"Krebsstation" aus psychologischer Sicht
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ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />
Die Fragen gehen weiter, wovon und wofür leben die Menschen? (120) Asja, die<br />
Brustkrebskranke, geht noch leichtfertig über das hinweg, was anderen etwas wert<br />
ist. So mag Djomka ihr nicht zeigen, was ihm etwas bedeutet – seine Bücher. Für<br />
Asja ist es noch ganz klar: Wir leben „(f)ür die Liebe, natürlich.“ (121)<br />
Rusanow sagt: „Die Menschen leben von der Ideologie und den gesellschaftlichen<br />
Interessen.“ (99) Und Sibgatow – der Mensch mit dem zerfressenen Rückgrat – sagt:<br />
„Wo man daheim ist, fällt einem die Krankheit nicht so lästig. Daheim ist alles<br />
leichter.“ (98)<br />
Jefrem hingegen weiß, „dass es für ihn kein Ziel mehr (gibt). Dass er nichts mehr<br />
ändern (wird). Niemanden mehr überzeugen. Dass ihm nur noch wenig Zeit bl(eibt),<br />
mit sich selbst ins reine zu kommen.“ (108) Er mag diese Diskussionen nicht mehr<br />
führen, er nimmt sich zurück.<br />
Die knapp 60jährige chirurgische Oberärztin, Jewgenija Ustinowna, die ihr Leben<br />
lang resolut operiert hat, immer mit Blut und Fleisch umging, stellt fest, dass das ihre<br />
Berufung bis zum Ende sein wird: „Aber was sollte sie auch anderes tun, kein<br />
Mensch kann auf halben Weg sein bisheriges Leben aufgeben, um mit erneuerten<br />
Kräften etwas ganz anderes zu beginnen.“ (102)<br />
In unserer Zeit – also 50 Jahre nach Abfassung des Romans – reden wir anders: Es<br />
ist nie zu spät, packen wir’s an, erfüllen wir uns unsere heimlichen Träume. Wenn<br />
Sie mich fragen, weiß ich genau, an welchen Schaltern des Berufs, der Berufung ich<br />
mich in einem zweiten Anlauf anstellen werde: Musik oder Theater – deswegen<br />
stehe ich hier – oder Profiler bei der Kripo, der Mordkommission. Was es dann wird,<br />
wenn ich dran bin und anstehe an den Schaltern, das weiß ich halt nicht.<br />
Letztes Kapitel.<br />
6. Wie wollen wir leben?<br />
Durch den Tod meines Vaters, die Auflösung und Aufgabe meines Elternh<strong>aus</strong>es, die<br />
Zusammenarbeit mit meinen Kollegen des Innovationskollegs zum Stadtklima<br />
Potsdam (das Sozialklima umfassend), die Arbeit in meinem SILQUA-<br />
Forschungsprojekt, was auf den Umgang mit dem sog. demographischen Wandel<br />
zielt, stelle ich mir oft die Frage und sie ist gesellschaftlich und nicht nur persönlich<br />
gemeint: Wie wollen wir leben und wie sollten wir leben angesichts der Endlichkeit,<br />
angesichts, dass wir nichts von dem, was wir angehäuft haben, was unsere<br />
vermeintliche Identität <strong>aus</strong>macht, mitnehmen werden. Was ist wirklich wichtig, wenn<br />
wir in persönlich schwere psychische und gesundheitliche Krisen geraten, wenn wir<br />
z.B. Krebs bekommen? Und können wir das nicht schon vorher abstrahierend<br />
denken und danach in etwa leben?<br />
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