"Krebsstation" aus psychologischer Sicht
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ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />
Prognosen, Heilbarkeit, neue Forschungsperspektiven und -hoffnungen von<br />
Krebserkrankungen. Die Krebserkrankungen in Alexander Solschenizyns Roman<br />
sind sowohl real und sehr unterschiedlich als auch eine Metapher. Sie sind das<br />
große Gemeinsame der vielen Personen, die in dem Kaleidoskop der „Krebsstation“<br />
auftreten.<br />
Für diejenigen, die noch nicht das Theaterstück im HOT gesehen haben – und die<br />
das hoffentlich noch tun werden –, eine kurze Zusammenfassung: Solschenizyn hat<br />
diese mehr oder minder geschlossene Gesellschaft, eine Krebsstation fern von<br />
Moskau, irgendwo in Zentralrussland im Februar 1955 „placiert – zwei Jahre nach<br />
Stalins Tod, als die Zeit der Rehabilitierung, die Zeit der großen Hoffnung begann.“ 1<br />
Der Roman, geschrieben zwischen 1963 und 67, erschien 1968 im Westen. Eine<br />
geschlossene Gesellschaft – man könnte auch von einer totalen Institution sprechen<br />
– zeichnet sich dadurch <strong>aus</strong>, dass eigene Regeln und Normen herrschen und<br />
entstehen, die Menschen auf einander bezogen, abhängig voneinander leben und<br />
die eine Seite, also Insassen bzw. Patienten – je nachdem um welche Institution es<br />
sich handelt – nicht einfach weggehen, <strong>aus</strong>weichen können. Sie sind von der<br />
herrschenden Seite – und seien es noch so bescheidene Berufe – abhängig.<br />
Typische totale Institutionen sind Lager, KZs, ehemalige psychiatrische Anstalten<br />
(ehemalige …), <strong>aus</strong> denen Patienten viele Jahre, oft Jahrzehnte nicht hin<strong>aus</strong> kamen<br />
und die Verfügungsgewalt, ob sie hin<strong>aus</strong> kamen, auf der anderen Seite bzw. bei<br />
Administrationen außerhalb der Institution lag.<br />
„Der Roman beschreibt (sehr differenziert) den Tagesablauf in (einer) Krebsklinik,<br />
den Krankheitsverlauf (…) und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten (zu<br />
jener Zeit), die einzelnen Patienten und deren Angehörigen, die Ärzte,<br />
Krankenschwestern“, Putzfrauen, Besucher, „die Gedanken der Figuren und deren<br />
Geschichten.“ 2<br />
Im Mittelpunkt stehen zwei Antipoden: Pawel Rusanow – Funktionär, Denunziant und<br />
Spießer wird in diese chronisch überfüllte Krebsstation eingewiesen. Seiner<br />
Privilegien plötzlich verlustig, muss er nun Leben und Leiden mit anderen Kranken<br />
teilen, unter ihnen auch der Sträfling und Verbannte Oleg Kostoglotow, der lange<br />
unschuldig in einem Lager inhaftiert war. Sie beide und die anderen Menschen, die –<br />
man kann schon sagen – den Roman bevölkern, vergewissern sich angesichts ihres<br />
drohenden Todes ihres Lebens, ihrer Zukunft und ihrer Vergangenheit.<br />
Viele Wochen habe ich den ersten Band des Romans – auf ihn beziehe ich mich –<br />
hin- und hergetragen, mühselig mich durch ein paar Seiten gekämpft und unter<br />
1<br />
Böll, Heinrich: Vorwort. In: Solschenizyn, Alexander: Krebsstation. Reinbek bei Hamburg 1971, S. 6 – 8,<br />
hier S. 6.<br />
2<br />
http://www.krümel.com/?p=835 15. Juli 2009 [Zugriff: 01.11.2012]. Änderungen in Klammern JMB.<br />
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