07.10.2013 Aufrufe

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />

5. Letzte Fragen, wichtige Fragen oder keine endgültigen Antworten …<br />

Jefrem, der Wanderer mit der schlimmen Zunge hat wichtige Gedanken, die ich<br />

Ihnen nicht vorenthalten will. Er erinnert sich daran, wie die Alten – die oft ein ganzes<br />

Leben nicht einmal in eine Stadt gefahren waren – daheim an der Kama 12 gestorben<br />

waren. Ich musste an meine Oma väterlicherseits denken, die sicher nur ganz wenig<br />

von Deutschland gesehen hat. Jefrem sagt über die Alten: „Sie hatten sich nicht<br />

aufgebäumt, gewehrt, geprahlt, dass sie niemals sterben würden – sie alle hatten<br />

dem Tode ruhig entgegengesehen. Aber nicht nur, dass sie sich nicht wehrten, sie<br />

bereiteten sich in aller Stille und beizeiten auf den Tod vor, bestimmten, wer die<br />

Stute, wer das Fohlen, wer den Mantel, wer die Stiefel bekommen sollte. Und gingen<br />

dann, solcherart erleichtert, unbeschwert hinüber, so als würden sie nur in eine<br />

andere Hütte übersiedeln. Und keinem von ihnen hätte man mit dem Krebs Angst<br />

einjagen können. Und Krebs hatte auch keiner von ihnen gehabt.“ (93)<br />

Stellen Sie sich unsere Häuser vor, unseren Reichtum, unsere angesammelten<br />

Dinge. Ich kann manchmal nicht mehr das – entschuldigen Sie die Despektierlichkeit<br />

– Gequatsche vom Wachstum hören. Was sollen wir noch kaufen und verbrauchen.<br />

Ich will ja gar nicht in Abrede stellen, dass junge Familien vieles brauchen, Wünsche<br />

haben, dass Kinder, Jugendliche Wünsche haben. Auch wenn ich bald zu den Alten<br />

gehöre, erinnere ich mich noch daran. Wer Häuser aufgelöst hat, in dem nur noch<br />

ein Elternteil lebte, für die als Kriegsgeneration das eigene H<strong>aus</strong> der große<br />

Lebenswunsch war, weiß wovon ich rede. Warum sollen und wollen wir weiter mit<br />

den Ressourcen dieser Erde so verschwenderisch, so mißbräuchlich umgehen, nur<br />

um eine Ideologie des Wachstums zu befriedigen, unseren Staatsh<strong>aus</strong>halt zu<br />

sanieren statt effektiv die Ausgaben sinnvoll zu begrenzen, zu sparen. Gehen Sie<br />

durch die Geschäfte mit offenen Augen, schauen Sie an, was lebensnotwendig ist,<br />

was vielleicht ganz nett ist und was effektiv überflüssig ist, bei aller<br />

Unterschiedlichkeit, die wir haben.<br />

Beeindruckt hat mich auch der Abschnitt über das Lernen, in Zeiten wo es nichts<br />

gibt, in denen nichts normal ist. (109) Kostoglotow hilft dem Jungen Djomka,<br />

Mathematik zu lernen. Man bringt einander bei, was man kann, man nutzt die<br />

wenigen Bücher, die einer mitbringt und in den Schnee werden Formeln<br />

geschrieben, um einander etwas zu erklären. Das hat mich gerührt, weil so deutlich<br />

wird, wie in der Not, in der Begrenztheit es einen erfinderischen Reichtum gibt. Die<br />

Dinge bekommen einen anderen Stellenwert. (110)<br />

12 Vermutlich handelt es sich um eine Landbezeichnung. Es handelt sich um Nebenflüsse der Wolga und Om.<br />

18

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!