07.10.2013 Aufrufe

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />

Kostoglotow, der so sicher ist, „dass ein Kranker alles über sein Leiden wissen<br />

soll(t)e“, dass Transparenz unabdingbar ist, (110), übersetzt Proschka, der als ein<br />

Hoffnungsloser entlassen wird, auch nicht, was er hat. Aber er macht einen<br />

Unterschied auf: Seine Prämisse gilt für lebenserfahrene Menschen wie ihn, aber<br />

nicht für Proschka, der wenig besitzt. (110) Es gibt eine Gnade des Nicht-Wissens,<br />

Aufklärung soll einhergehen mit dem Wissen-Wollen? Auch das ist eine aktuelle<br />

Frage unserer Zeit.<br />

4. Dr. Wera Hangart & Soja oder das Menschsein in einem solchen Kosmos<br />

Die jüngere, begabte Dr. Vera Hangart hat Kostoglotow aufgenommen. Als er seinen<br />

Sack nicht selbst hochnehmen konnte, packt sie zu, trägt ihn, ruht sich nicht auf<br />

ihrem Status <strong>aus</strong>. Es heißt „Sie nahm großen Anteil an ihm. Sie wünschte sich,<br />

strenger sein zu können, konnte es aber nicht: Sie hatte sich allzu schnell an diesen<br />

Kranken gewöhnt. Sie wünschte sich, erwachsener zu sein, aber irgend etwas in ihr<br />

war noch immer jungmädchenhaft.“(52) Ich finde das sympathisch.<br />

Sie ist verletzbar, empfindet angesichts der Machtkämpfe, die Kostoglotow auch mit<br />

ihr führt, Demütigung. Auch sie möchte Vertrauen für all ihre Menschlichkeit ernten,<br />

das ist nicht verwerflich. Aber der vom Lagerleben, der Unberechenbarkeit, der<br />

Denunziation geprägte Kostoglotow wirft ihr an den Kopf: „Warum sollte ich Ihnen<br />

trauen? Wir haben schließlich noch nicht <strong>aus</strong> demselben Napf gegessen!“ (62)<br />

Er will kein Blut mehr „abgezapft“ haben, er will auch kein fremdes Blut. Es ist ein<br />

Machtkampf, dass er nicht annimmt, was sie vorschlägt. Dann macht er es für sie<br />

persönlich, was sie auch verwirrt. Sie reagiert irritiert, gibt Persönliches preis, was sie<br />

nicht will – das normale Spiel zwischen Mann und Frau, auch in solch einer<br />

Ausnahmesituation wie der Krebsstation.<br />

Soja, die Krankenschwester und Medizinstudentin, ist unkomplizierter. Sie steht zu<br />

ihrem Verlangen und dem Spiel von Mann und Frau und Kostoglotow spielt mit oder<br />

spielt zuerst. „Alle Leidenschaften des Lebens kehrten in den gesundenden Körper<br />

zurück. Alle, alle!“ (155) „Alle leichtsinnigen, verworrenen, gar nicht erhabenen<br />

Wünsche wurden wieder lebendig, auch die Freude an den weichen Sesseln, an<br />

dem gemütlichen Zimmer – nach den t<strong>aus</strong>end Jahren ungeregelten,<br />

erbarmungslosen Lebens. Auch die Freude über Soja, nicht nur das Gefallen an<br />

ihrem Anblick, sondern die viel stärkere Freude, dass er sich nicht unbeteiligt,<br />

sondern ganz bewusst freute. Er, der noch vor einem halben Jahr sterben wollte!“<br />

Das ist gut, das gibt Hoffnung, das Leben bahnt sich den Weg. Es geht weiter.<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!