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"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

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ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />

anderem gedacht „auf was habe ich mich denn da wieder eingelassen; will ich das<br />

wirklich hier im Urlaub lesen, will ich es jetzt wirklich in der Bahn auf dem Weg nach<br />

Dessau, an diesem Wochenende usw. lesen?“ Als es dann nicht mehr zu umgehen<br />

war – irgendwann wird ja die Zeit eng – habe ich den ersten Band an einem<br />

verlängerten Wochenende komplett durchgelesen und war begeistert. Der Roman<br />

atmet eine philosophische, auch poetische Intensität. Ethische und politische, Wert-<br />

und Haltungsfragen wechseln sich unentwegt ab und verlangen vom Leser oder<br />

Betrachter Mitdenken, sich selbst diese Fragen zu stellen und/ oder zu beantworten.<br />

Viele Fragen, viele Denkanstöße sind so aktuell – ich hätte es nicht für möglich<br />

gehalten. Oft hat man den Eindruck, als habe Solschenizyn in die Zukunft geschaut<br />

und klarsichtig vorweg genommen, mit was wir uns auch im neuen Jahrt<strong>aus</strong>end<br />

weiterhin herum zu plagen haben, wo wir eine Antwort, zumindest eine Haltung für<br />

uns finden müssen. Dabei habe ich den Roman nicht als niederziehend, depressiv<br />

machend oder traurig, larmoyant empfunden. Er ist klar, zeigt Zwänge, beschönigt<br />

nichts, aber geht wohlwollend, schonend, differenzierend mit seinen Protagonisten<br />

um. Es gibt heitere, verführerische, schöne, schnöde, freche, diskrete, ärgerliche und<br />

„na, das kennen wir doch“-Szenen, es geht um Un<strong>aus</strong>weichliches, Traurigkeit über<br />

die Endlichkeit, das Nicht-Heilen-Können. Aber es gibt auch Hoffnung für die, die<br />

noch nicht dran sind, Hoffnung, dass man selbst in schwierigen, sehr begrenzten<br />

Lebenszeiten ein Recht auf Selbstbestimmung über sein Leben hat, diese sich<br />

nehmen muß oder zumindest sie sich nehmen kann. Und dahinter steht die Frage an<br />

uns: „Wie wollen wir leben?“ – darauf werde ich zurückkommen.<br />

Solschenizyns Klarsichtigkeit, die vermutlich keine bewusste oder wirklich wissende<br />

gewesen sein wird, ist erstaunlich und wahrscheinlich von großen persönlichen und<br />

politischen Hoffnungen angetrieben gewesen. Zum Ende seines Lebens,<br />

insbesondere nach seiner Rückkehr nach Rußland im Jahre Mai 1994 war nicht nur<br />

immer enttäuschter und resignierter über die politischen Verhältnisse, sondern galt<br />

als jemand, der sich künstlerisch und moralisch, ethisch „verrannt“ hatte, rückwärts<br />

gewandt argumentierte und viele vor den Kopf stoß. 3<br />

Der Roman „Krebsstation“ ist aber sein zweiter Roman, in dem sich<br />

Autobiographisches widerspiegelt, verarbeitet wird. Geboren am 11. Dezember 1918,<br />

kämpfte er während des II. Weltkriegs 1941 – 45 in der Roten Armee. Unter anderem<br />

nahm S. als Offizier an der Schlacht bei Kursk und an der Weichsel-Oder-Operation<br />

in Ostpreußen teil. 4 In den letzten Kriegsmonaten – Solschenizyn war 26, 27 Jahre<br />

3 Er übte „harsche Kritik an den seiner Meinung nach dekadenten und materialistischen Demokratien“,<br />

betitelte einzelne Literaturkollegen als „verwestlicht“, gottfern und menschenfeindlich, so dass er auch ihm<br />

nahe stehende Freunde gegen sich aufbrachte.<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Issajewitsch_Solschenizyn [Zugriff: 01.11.2012].<br />

4 „Seine Erlebnisse als Offizier während der Einnahme Ostpreußens schrieb er in Gedichtform im Band<br />

‚Ostpreußische Nächte’ und als Erzählung … nieder.“ Die biographischen Angaben des Abschnitts – auch<br />

3

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