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"Krebsstation" aus psychologischer Sicht

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ES GILT DAS GESPROCHENE WORT<br />

wollte er diskutiert und wahrgenommen sehen; aber eigentlich wollte und konnte er<br />

darüber gar nicht reden. Die Ausstellung „Vernichtungskrieg, Verbrechen der<br />

Wehrmacht 1941-1944“ geleitet von Hannes Heer vom Hamburger Institut für<br />

Sozialforschung 1996 hat er zutiefst abgelehnt als dass diese „nur Dreck auf die<br />

Wehrmacht werfe“. Dabei blieb es auch, als ich unter anderem in meiner<br />

Doktorarbeit ein Motto von Jan Philipp Reemstma – er unterhält das Hamburger<br />

Sozialforschungsinstitut – voranstellte: „Kein Verbrechen führt automatisch zum<br />

nächsten. Für jedes Handeln gibt es Freiheitsspielräume und die Dimension der<br />

Verantwortung. 7 “ – nun war ich es, die auf seine Generation Dreck warf, weil ich die<br />

Geschichte einer psychiatrischen Anstalt während des Nationalsozialismus<br />

aufarbeitete, wobei ich offen beide Seiten beschrieb: Das Schwierige, der<br />

Rassenideologie dienend, aber ebenso das Positive, das den Menschen Dienende.<br />

Und auch die Frage, was hätten wir getan, war nicht untergegangen.<br />

In den Dokumenten, die wir nach seinem Tod fanden, gab es einen Gefechtsbericht<br />

seines Vorgesetzten von einer Schlacht südlich von Bjeloj vom 25.11. – 9.12.1942. In<br />

diesem Dokument werden akribisch die Gefechtsbewegungen beschrieben. Obwohl<br />

es Tote und Verwundete auf beiden Seiten gegeben haben muß, ist die Sprache<br />

völlig neutral, sachlich beschreibend. Die Worte Tote, Opfer kommen nicht vor.<br />

Vielleicht erstaunt Sie das nicht, weil es eben ein Gefechtsbericht ist, aber ich habe<br />

das Dokument mehrmals ziemlich fassungslos gelesen. Die Aufreibung der<br />

Mittelfront im Osten gilt nach Stalingrad als einer der schwersten Schlachten. Wer<br />

das überlebte, wer russische Gefangenenlager überlebte, letztlich wegen<br />

jugendlichem Alter entnazifiziert wurde, scheint im Aufbaudeutschland nach<br />

wiedererlangter Gesundheit nur noch nach vorne geschaut zu haben. Man wollte<br />

vergessen.<br />

Was kümmert mich, wen ich getroffen, wen ich getötet habe, es war Krieg, es wurde<br />

allgemein gestorben. Und die anderen, die aktiv im Nazireich mitgemacht haben,<br />

denunziert, <strong>aus</strong>geliefert, gefoltert, gemordet, geschwiegen, Hitler und seinen<br />

Getreuen zur Macht verholfen haben, die SS und Gestapo angehörten, stellten sich<br />

in der Regel auch nicht einem offenen Gespräch: „Wir waren dabei, wie konnte es<br />

soweit mit mir, mit uns kommen?“ Die Mehrzahl suchte Rechtfertigungen und sei es<br />

der Verweis, ich war doch nur ein ganz kleines Licht, ich hatte doch nichts wirklich in<br />

diesem System zu melden.<br />

Ich habe an Hand dieser Dokumente auf einmal seine Geschichte auf einer anderen<br />

emotionalen Ebene verstanden. Als eine Generation erzogen, eher zu gehorchen,<br />

mit einem eigenen Willen nicht zu offensichtlich in Erscheinung zu treten, auch wenn<br />

man von starkem Temperament war, haben die Erlebnisse und Tatsache, nirgendwo<br />

7 Reemtsma, Jan Philipp, zitiert nach: Fritz Göttler, Im Profil – Jan Philipp Reemtsma, Laudator für Jürgen<br />

Habermas, den Friedenspreisträger, Süddeutsche Zeitung 13./14.10.2001, S. 4.<br />

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