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Auseinandersetzungen mit der Liebe - TOBIAS-lib - Universität ...

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zeigt sich darin doch, daß die Antike auch an<strong>der</strong>e Modelle als die <strong>der</strong> kontrollierendrationalen<br />

<strong>Liebe</strong>svorstellung Platons bietet.<br />

Dieses äußert sich z.B. in den Dichtungen von Sappho (ca. 650-590 v. Chr.), Anakreon (ca.<br />

572-488 v. Chr.) und den Anakreonteen 45 sowie Ovid (43 v. Chr. - 17 n. Chr.). Hier steht vor<br />

allem die Körperlichkeit <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>serfahrung im Mittelpunkt, zudem gehen die Gegenmodelle<br />

über den männlich-homoerotischen Kontext hinaus. Sappho schreibt in ihren Gedichten, die<br />

nur fragmentarisch erhalten sind, über das <strong>Liebe</strong>sgefühl an sich, insbeson<strong>der</strong>e aber auch über<br />

die <strong>Liebe</strong> zu Frauen. Die sexuelle Orientierung <strong>der</strong> historischen Sappho kann wie ihre<br />

genauen Lebensumstände nicht klar festgelegt werden; 46 auch in ihren Dichtungen bleibt die<br />

Sexualität oftmals mehrdeutig. Diese Ambiguität in Sapphos Sprachverwendung erschließt<br />

sich häufig nur aus den Originaltexten und geht in Übersetzungen verloren. 47 Die Mehrdeutigkeit<br />

kann beispielhaft am Fragment „Ode an Aphrodite“ aufgezeigt werden, in dem das<br />

<strong>Liebe</strong>sobjekt durchgehend <strong>mit</strong> einer in ihrer Neutralität ambivalenten Bezeichnung belegt<br />

wird („one“), die erst am Ende des Texte zugunsten einer eindeutig weiblichen Charakterisierung<br />

aufgelöst wird:<br />

[...] Who, O Sappho, does you wrong?<br />

For one who flees will<br />

soon pursue, one who rejects gifts will soon be making offers,<br />

and one who<br />

does not love will soon be loving, even against her will. 48<br />

Viele an<strong>der</strong>e Sappho-Fragmente benennen ganz klar von vornherein ein weibliches <strong>Liebe</strong>sobjekt<br />

– namentlich wird hier mehrfach das Mädchen Atthis erwähnt 49 – allerdings bleibt<br />

dann die Identität und da<strong>mit</strong> das Geschlecht des Sprechers bzw. <strong>der</strong> Sprecherin unklar. Die<br />

Gleichsetzung <strong>mit</strong> Sappho wie in <strong>der</strong> hier zitierten Ode ist zwar möglich, aber keine<br />

zwingende Notwendigkeit. DeJean weist darauf hin, daß Sappho sich das Vokabular <strong>der</strong><br />

45 Anakreons Werk ist nur sehr fragmentarisch erhalten. Das umfassen<strong>der</strong>e Textkorpus <strong>der</strong> Anakreonteen wurde<br />

zunächst Anakreon selbst zugeschrieben; die Forschung sieht es <strong>mit</strong>tlerweile allerdings als Sammlung epigonaler<br />

Nachdichtungen, <strong>der</strong>en Entstehungszeit bis in 5. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. reichen könnte. Durch ihre inhaltliche Nähe<br />

zum Werk von Anakreon selbst können hier aber auch die Gedichte <strong>der</strong> Anakreonteen zur Verdeutlichung<br />

herangezogen werden. Zu den Problemen <strong>der</strong> Autorschaft, Überlieferung und Datierung siehe David A.<br />

Campbell, ed., Greek Lyric: Anacreon, Anacreontea, Choral Lyric from Olympus to Alcman (Cambridge,<br />

Massachusetts: Harvard University Press; London: Heinemann, 1988) 4-6, 10-18.<br />

46 Vgl. Joan DeJean, Fictions of Sappho 1546-1937 (Chicago: University of Chicago Press, 1989) 17-19.<br />

47 Mehrdeutige Texte werden oft entsprechend <strong>der</strong> Überzeugungen <strong>der</strong> jeweiligen Übersetzer eindeutig hetero-<br />

o<strong>der</strong> homosexuell gelesen. Für eine detaillierte Beschreibung <strong>der</strong> Übersetzungsproblematik, aber auch <strong>der</strong><br />

wi<strong>der</strong>sprüchlichen Darstellungen <strong>der</strong> historischen Sappho, siehe DeJean, a.a.O., „Introduction,“ 1-28, und<br />

„Appendix,“ 317-325, sowie Margaret Reynolds, The Sappho Companion (London: Chatto & Windus, 2000),<br />

darin „Introduction,“ 1-11, und „The Fragments of Sappho,“ 13-66.<br />

48 DeJean 318f, Übersetzung von John J. Winkler, Hervorhebungen von mir. Ich greife hier auf eine englische<br />

Übersetzung zurück, da diese, an<strong>der</strong>s als alle mir vorliegenden deutschen Übersetzungen, die Ambiguität in<br />

Bezug auf das Geschlecht <strong>der</strong> geliebten Person aufrechterhält.<br />

49 Fragmente 8, 49, 96, 131 in <strong>der</strong> Zählung nach Lobel-Page bzw. Fragmente 40, 41, 98, 137 nach Diehl. Im<br />

folgenden werden die Abkürzungen LP bzw. D für die jeweilige Zählung verwendet.<br />

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