Auseinandersetzungen mit der Liebe - TOBIAS-lib - Universität ...
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zwischen <strong>Liebe</strong> und Identitätsbildung. 167 Individuell spezifische Charaktereigenschaften und<br />
Verhaltensweisen lassen sich direkt auf die erste <strong>Liebe</strong>serfahrung zurückführen.<br />
Freud geht von einem primären Narzißmus des Säuglings aus, <strong>der</strong> nur sich selbst liebt, weil er<br />
noch nicht in <strong>der</strong> Lage ist, das eigene Selbst und die Außenwelt als verschieden wahrzunehmen.<br />
Die Mutter gilt dabei als das erste <strong>Liebe</strong>sobjekt, <strong>der</strong> primäre Narzißmus entspricht<br />
<strong>der</strong> Einheitserfahrung in <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>. Der frühe Freud differenziert in <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>, von ihm Libido<br />
genannt, „zwei Strömungen, die wir als die zärtliche und die sinnliche voneinan<strong>der</strong><br />
unterscheiden können.“ 168 Die zärtliche Strömung entspricht dabei den Ichtrieben, die<br />
sinnliche den Sexualtrieben. Das Saugen an <strong>der</strong> Mutterbrust befriedigt vor allem die Ichtriebe,<br />
die auf Überleben und Selbsterhalt gerichtet sind, hinzu kommt eine unbewußte sexuelle<br />
Komponente. 169 Erst beim Erwachsenen manifestiert sich diese sinnliche Strömung, die das<br />
Kleinkind nur als Begleiterscheinung <strong>der</strong> zärtlichen Strömung beim Umsorgt-Werden<br />
beiläufig erfährt, als eigenständiger, auf die sexuelle Vereinigung zielen<strong>der</strong> Trieb. Ein<br />
‘normales’ <strong>Liebe</strong>sverhalten muß für Freude beide Strömungen erfolgreich integrieren.<br />
In Freuds Modell stellt <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> Mutter das zentrale Moment für die Entwicklung des<br />
<strong>Liebe</strong>sgefühls dar. 170 Der Erwachsene versucht, diese Verlusterfahrung durch die <strong>Liebe</strong><br />
aufzuheben, also ein dem verlorenen ähnliches Objekt wie<strong>der</strong>zufinden. „Every object of adult<br />
desire stands in for an original object which is forever lost.“ 171 Eine vollkommene <strong>Liebe</strong>serfüllung<br />
läßt sich so<strong>mit</strong> allerdings nicht erreichen, da jedes <strong>Liebe</strong>sobjekt immer nur<br />
Ersatzobjekt ist. 172 Diese Art <strong>der</strong> Objektwahl, die ein <strong>der</strong> Fürsorgeperson ähnliches<br />
<strong>Liebe</strong>sobjekt sucht, bezeichnet Freud als den „Anlehnungstypus“ 173 . Die Fürsorgeperson des<br />
Kindes gibt da<strong>mit</strong> wesentlich vor, welchen Partner sich <strong>der</strong> Erwachsene sucht: „In freierer<br />
Anlehnung an diese Vorbil<strong>der</strong> [Mutter bzw. Vater] geht wohl die Objektwahl überhaupt vor<br />
167<br />
Vgl. Anthony Giddens, The Transformation of Intimacy: Sexuality, Love and Eroticism in Mo<strong>der</strong>n Societies<br />
(Stanford: Stanford University Press, 1992) 30f.<br />
168<br />
Sigmund Freud, „Über die allgemeinste Erniedrigung des <strong>Liebe</strong>slebens,“ 1912, Sexualleben, Studienausgabe<br />
Bd. 5 (Frankfurt am Main: Fischer, 1972) 200.<br />
169<br />
Vgl. Freud, „Über die allgemeinste Erniedrigung des <strong>Liebe</strong>slebens“ 200f und „Drei Abhandlungen zur<br />
Sexualtheorie“ 88f.<br />
170<br />
Im Zuge <strong>der</strong> Entwicklung des Kleinkindes durchläuft dieses Phasen <strong>der</strong> Kastrationsangst bzw. des Penisneids<br />
(Freud, „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 101), durchlebt den Ödipuskomplex (Sigmund Freud, „Das Ich<br />
und das Es,“ 1923, Psychologie des Unbewußten, Studienausgabe Bd. 3 (Frankfurt am Main: Fischer, 1975)<br />
299f) und wird sich <strong>der</strong> Inzestschranke bewußt (Freud, „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 128). Obwohl<br />
diese Aspekte wesentlich für Freuds Sexualtheorien sind, sind sie für die Diskussion seines <strong>Liebe</strong>sbegriffes doch<br />
zweitrangig und werden hier nicht weiter berücksichtigt.<br />
171<br />
Catherine Belsey, Desire. Love Stories in Western Culture (Oxford: Blackwell, 1994) 50.<br />
172<br />
Vgl. Freud, „Über die allgemeinste Erniedrigung des <strong>Liebe</strong>slebens“ 208.<br />
173<br />
Sigmund Freud, „Zur Einführung des Narzißmus,“ 1914, Psychologie des Unbewußten, Studienausgabe Bd. 3<br />
(Frankfurt am Main: Fischer, 1975) 54.<br />
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