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Auseinandersetzungen mit der Liebe - TOBIAS-lib - Universität ...

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(Cant LXXI, 8). Die körperliche <strong>Liebe</strong> wird als Sünde verworfen (vgl. Cant XXXIX, 7; XXX,<br />

9f), trotzdem wird die spirituelle Vereinigung im Bild des Kusses auf Christi Mund<br />

dargestellt, dem zunächst das Küssen <strong>der</strong> Füße und <strong>der</strong> Hände vorausgeht (vgl. Cant III). Die<br />

Bildsprache <strong>der</strong> weiblichen Mystik ist dabei weitaus expressiver als die <strong>der</strong> männlichen<br />

Zeitgenossen. 89 „Hadewijch wrote [...] some of the most affective, sensual, even erotic<br />

descriptions of union with Christ ever penned.“ 90 Insbeson<strong>der</strong>e in den Visionen und Briefen<br />

schil<strong>der</strong>t Hadewijch ihre Gotteserfahrung als eine extrem körperliche, ekstatische <strong>Liebe</strong>svereinigung,<br />

bei <strong>der</strong> die unio mystica einem sexuellen Höhepunkt gleichkommt (z.B. Vis 7).<br />

So kommt Gott im Bett zu ihr (Vis 1, l. 3); sie spricht von <strong>der</strong> gegenseitigen Penetration <strong>der</strong><br />

<strong>Liebe</strong>nden (Let 9; Vis 13, l. 219f) und beschreibt die Vereinigung als einen brechenden Deich<br />

(Let 6, l. 361) <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Folge einer (vorübergehenden) Selbstauf- bzw. -hingabe (vgl. PS 24).<br />

Während Hadewijch die <strong>Liebe</strong> <strong>mit</strong> einem Zustand des Wahnsinns vergleicht (z.B. Vis 14, l.<br />

2/54f; PS 28, PC 15, l. 4/40), erscheint sie in Bernhards Entwurf als überwältigende Kraft, die<br />

sich über alle Grenzen hinwegsetzt: „O <strong>Liebe</strong>, unbesonnen, heftig, lo<strong>der</strong>nd, stürmisch! Du<br />

läßt außer dir nichts an<strong>der</strong>es in den Sinn kommen [...]! Du bringst jede Ordnung<br />

durcheinan<strong>der</strong>, hältst dich an keinen Brauch, kennst kein Maß; über alles, was die Leute für<br />

Vorteil, Vernunft, Schamgefühl, guten Rat o<strong>der</strong> Urteilskraft halten, triumphierst du“ (Cant<br />

LXXIX, 1). Das wird auch in <strong>der</strong> Aufwertung deutlich, die <strong>der</strong> Mensch in <strong>der</strong> Vorstellung des<br />

mystischen Kusses erfährt: Indem die Braut, also <strong>der</strong> Mensch, <strong>mit</strong> Christus gleichgestellt<br />

wird, ist das Verhältnis zwischen Herr und Knecht und da<strong>mit</strong> die strenge Hierarchie <strong>der</strong><br />

christlichen Weltordnung vorübergehend aufgehoben (vgl. Cant LXXXIII, 3).<br />

Ein weiteres Charakteristikum des mystischen <strong>Liebe</strong>smodells ist <strong>der</strong> Aspekt des Leidens.<br />

Neben dem Leiden <strong>der</strong> i<strong>mit</strong>atio Christi, also des asketischen Lebens zur Wie<strong>der</strong>erlangung <strong>der</strong><br />

Gottähnlichkeit, wird das Leiden unterschieden, das die Sehnsucht nach <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holten unio<br />

mystica kennzeichnet:<br />

Denn wenn <strong>der</strong> in Nachtwachen, <strong>mit</strong> flehentlichen Gebeten und einem Strom von<br />

Tränen Gesuchte sich eingefunden hat und wenn man glaubt, ihn festzuhalten,<br />

entschwindet er plötzlich wie<strong>der</strong> [...] Und wenn die fromme Seele <strong>mit</strong> ihren<br />

tränenreichen Gebeten nicht nachläßt, wird er von neuem zurückkehren [...]; doch<br />

er wird wie<strong>der</strong> entschwinden und nicht mehr gesehen werden, wenn er nicht aufs<br />

neue <strong>mit</strong> innigem Verlangen gesucht wird. So kann also auch in diesem Leib eine<br />

wie<strong>der</strong>holte Freude über die Anwesenheit des Bräutigams herrschen, doch nicht in<br />

ungetrübter Fülle (Cant XXXII, 2).<br />

Die ekstatische Erfahrung <strong>der</strong> unio mystica wird selten erreicht und ist selbst dann nur von<br />

kurzer Dauer. Auch bei Hadewijch heißt es daher: „Hell should be the highest name of Love“<br />

89 Vgl. Bynum, „Religious Women“ 131.<br />

90 Bynum, Holy Feast and Holy Fast 153f.<br />

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