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Praktische Theologie - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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kumulativ. Dies geschieht durch die oben bereits angesprochene unhistorische<br />

und zugleich selektive Art, wie sie ihren Stoff darbieten. "Teils durch Auslese<br />

und teils durch Verzerrung werden die Wissenschaftler früherer Zeitalter<br />

ausdrücklich so dargestellt, als hätten sie an der gleichen Reihe fixierter<br />

Probleme und in Übereinstimmung mit der gleichen Reihe fixierter Kanons<br />

gearbeitet, welchen die letzte Revolution in der wissenschaftlichen Theorie und<br />

Methode den Stempel der Wissenschaftlichkeit aufgeprägt hat." 35<br />

1.1.6. Die Bedeutung des Paradigmenwechsels<br />

Paradigmenwechsel bewirken "Wandlungen des Weltbildes". 36 Der Umschlag des<br />

Weltbildes ist ein die Psyche erschütterndes, "relativ plötzliches und ungegliedertes<br />

Ereignis gleich einem Gestaltwandel". 37 Kuhn verweist auf Wissenschaftler,<br />

die von "Schuppen, die ihnen von den Augen fallen" berichten, oder<br />

vom "'Blitzstrahl', der ein vorher dunkles Rätsel 'erhellt'". Er selbst beschreibt<br />

den Vorgang als "Erleuchtung" (die auch im Schlaf kommen kann) oder als<br />

"Intuition". 38 In seinem "Postskriptum" spricht er sogar von einer (noch)<br />

"unergründlichen Nervenneuprogrammierung". 39<br />

Kuhn setzt sich auch mit der Frage auseinander, ob der Paradigmenwechsel nur<br />

subjektive Wandlungen bewirkt oder auch objektive. Verändert sich beim<br />

Paradigmenwechsel nur das jeweilige Weltbild durch eine neue Interpretation des<br />

gegebenen Datenmaterials, oder verwandelt sich auch dieses Datenmaterial, die<br />

Wirklichkeit selbst? Dahinter steht die grundlegende erkenntnistheoretische<br />

Problematik der Subjekt/Objekt-Beziehung. "Sind Theorien einfach menschliche<br />

Interpretationen gegebener Daten?" 40 Die traditionelle Antwort lautet: ja.<br />

Demnach wäre der Paradigmenwechsel lediglich ein innerpsychischer Vorgang.<br />

Kuhn ist sehr skeptisch: "In Ermangelung einer ausgereiften Alternative halte<br />

ich es für unmöglich, diesen Standpunkt völlig aufzugeben. Und doch, er<br />

fungiert nicht mehr wirksam, und die Versuche, ihn durch die Einführung einer<br />

neutralen Beobachtungssprache wieder dazu zu bringen, erscheinen mir<br />

hoffnungslos." 41<br />

Anhand verschiedener Beispiele weist Kuhn nach, daß Paradigmen auch weite<br />

Bereiche der sinnlichen Erfahrung strukturieren. So führte beispielsweise die<br />

Rezeption der chemischen Atomtheorie Daltons dazu, daß sich für die Chemiker<br />

das gegebene Datenmaterial selbst veränderte. 42<br />

Die diesbezüglichen Überlegungen und Ansichten Kuhns sind freilich nicht neu.<br />

So äußerte sich z.B. Max Horkheimer bereits 1935 in seinem programmatischen<br />

35 Ebd., 149.<br />

36 Zum folgenden vgl. ebd., 123 ff.<br />

37 Ebd., 134.<br />

38 Ebd., 134 f.<br />

39 Ebd., 216.<br />

40 Ebd., 137.<br />

41 Ebd., 137 f.<br />

42 Vgl. ebd., 145 f.<br />

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