09.10.2013 Aufrufe

Praktische Theologie - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Praktische Theologie - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Praktische Theologie - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

"Cogito sum" - mit diesem Axiom seines Gedankengebäudes und der daraus<br />

folgenden Aufspaltung der Wirklichkeit in eine bewußte und eine bewußt-lose<br />

Sphäre, hat Descartes in folgenschwerer Weise Weichen gestellt. Verstand sich<br />

der Mensch früher durchaus als eingebunden in die Naturprozesse, so stellt ihn<br />

die kartesiansche Lehre vom Substanzendualismus nun als Subjekt einer verobjektivierten<br />

Natur gegenüber, die seinem Zugriff preisgegeben ist. Die lebendige,<br />

nichtmenschliche Welt, Tiere, Pflanzen, das systemische Zusammenspiel<br />

ökologischer Einheiten - all das war nurmehr auf eine Stufe gestellt mit toter<br />

Materie. Zugleich wird die Identität des Menschen nun wesentlich über seine<br />

Rationalität definiert. Für Descartes aber, der in der Mathematik den Inbegriff<br />

aller Rationalität verkörpert sah, war Denken im Grunde nicht viel anderes als<br />

logisches operieren. Die kartesianische Konzeption markiert den Beginn einer<br />

Realitätsauffassung, die sich bald als bestimmend durchsetzen sollte: jene<br />

Engführung, die Geist gleichsetzt mit rechnender Vernunft und Menschsein mit<br />

Denkvermögen (Schlatter macht diese Implikation treffend deutlich durch seine<br />

- sprachlich nicht unkorrekte - Umformung des kartesianischen Kernsatzes:<br />

"Also ist mein Denken mein Sein." 60 ), eine verhängnisvolle Redutkion, für die<br />

Bewußtsein gleichbedeutend ist mit Rationalität und Erkenntnis nichts anderes<br />

mehr als eine Funktion des Verstandes. Im Werk Descartes' ist so schon<br />

angelegt, was man später die Herrschaft und noch später die Diktatur der<br />

Vernunft nennen wird.<br />

Die neue Akzentsetzung läßt sich gut ablesen am Bedeutungswandel, den der<br />

Begriff der Erkenntnis erfährt: Für den Menschen des Mittelalters war<br />

Erkennen noch ein ganzheitlicher Akt, bei dem das Herz mindestens ebenso<br />

involviert war wie der Verstand, ja es stand außer Frage, daß die Augen des<br />

Herzens letztlich tiefer zu sehen vermögen, als die des Intellekts. Im Vorgang<br />

des Erkennens baut sich nach diesem Verständnis eine Beziehung zwischen dem<br />

Erkennntissuchenden und dem zu Erkennenden auf, die beide verändert. Das<br />

Geschehen hat viel von dem, was Paul Tillich als "einendes Erkennen"<br />

bezeichnete. 61 Der ganzheitliche, dynamisch-dialektische Bedeutungsgehalt des<br />

Begriffs wird besonders deutlich am hebräischen Wort für "erkennen", "jadah",<br />

das nicht nur Kognition meint, sondern auch sexuelle Vereinigung, also tiefste,<br />

fruchtbare Verschmelzung, aus der Neues entstehen kann.<br />

Bei Descartes dagegen wird Erkenntnis immer mehr zu dem, was Tillich<br />

"beherrschendes Erkennen" nannte 62 : Erkennen ist nunmehr ein manipulierender<br />

Vorgang, bei dem sich das Subjekt des Objekts vergewissert und<br />

bemächtigt. Man könnte sagen, an die Stelle der Zärtlichkeit ist Härte, an die<br />

Stelle der Liebe Dominanz getreten. Auf die Spitze wird es nicht lange nach<br />

Descartes Thomas Hobbes treiben, wenn er sagt, eine Sache "kennen" bedeute<br />

"to know what we can do with it, when we have it". 63<br />

60<br />

Schlatter 1959, 34.<br />

61<br />

Vgl. Tillich 1973, Bd. 1, 118.<br />

62<br />

Ebd., 117.<br />

63<br />

Zit. bei Spaemann, in: Koslowski u.a. (Hg.) 1986, 19-39, 24.<br />

43

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!