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Praktische Theologie - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Algolagnie verschlagene Sexualität im Flagellantismus, als in Hysterie<br />

verschlagene Sexualität im Hexenwesen, als in Rauflust verschlagene Sexualität<br />

in den Kreuzzügen." 20<br />

Treffender als diese vielleicht etwas simpel psychologisierende Beurteilung<br />

wirkt allerdings die Bewertung Guardinis: "Vom neuzeitlichen Weltgefühl her<br />

beurteilt, erscheint das Mittelalter leicht als ein Gemisch von Primitivität und<br />

Phantastik, Zwang und Unselbständigkeit. Dieses Bild hat aber mit geschichtlicher<br />

Erkenntnis nichts zu tun. Der Maßstab, an welchem eine Zeit allein gerecht<br />

gemessen werden kann, ist die Frage, wie weit in ihr, nach ihrer Eigenart und<br />

Möglichkeit, die Fülle der menschlichen Existenz sich entfaltet und zu echter<br />

Sinngebung gelangt. Das ist im Mittelalter in einer Weise geschehen, die es den<br />

höchsten Zeiten der Geschichte zuordnet." 21<br />

Zu einer ähnlich positiven Einschätzung kam auch Johan Huizinga, der<br />

eindringlich davor warnte, das Mittelalter lediglich als "Adventszeit der Renaissance"<br />

zu verstehen. 22<br />

2.2.2. Das Anbrechen der Neuzeit<br />

Die Meinungen darüber, wann genau der Beginn der Neuzeit zu datieren ist,<br />

divergieren. Manche setzen ihn fest auf die Eroberung Konstantinopels durch<br />

die Türken. 23 Laut Brockhaus wird nach der "traditionellen, an der europäischen<br />

Geschichte orientierten Periodisierung" die Neuzeit vom Mittelalter abgegrenzt<br />

durch vier Ereignisse: Renaissance und Reformation, den Fall Konstantinopels<br />

und die Entdeckung Amerikas. 24 Das Nachschlagewerk "Die<br />

Religion in Geschichte und Gegenwart" sieht den "Ursprung" der "gesamten<br />

Neuzeit" in der Reformation. 25 Für das "Evangelische Kirchenlexikon" umfaßt<br />

die Neuzeit "nach der schulmäßigen Gliederung der Geschichte ... den<br />

Abschnitt von 1648 bis zur Gegenwart". 26 Ernst Troeltsch wiederum datiert<br />

ihren Beginn erst mit der Aufklärung, da seiner Meinung nach die Reformation<br />

kulturell noch dem supranaturalen Daseinsverständnis des Mittelalters<br />

zuzurechnen ist. 27<br />

Die chronologische Einordnung ist jedoch von untergeordnetem Belang. Der<br />

Begriff "Neuzeit" bezeichnet ein qualitatives, kein formal temporales Phänomen.<br />

Habermas weist in Anlehnung an Koselleck darauf hin, daß das Wort in<br />

seiner heutigen Bedeutung noch relativ jung ist. Ursprünglich meinte der<br />

Ausdruck "neue Zeit" das noch bevorstehende, erst mit dem Jüngsten Tag<br />

20<br />

Friedell München 1980, Bd. 1, 85.<br />

21<br />

Guardini 1951, 34.<br />

22<br />

Huizinga 1975, Vorrede zur ersten Auflage 1925.<br />

23<br />

So z. B.: LAROUSSE 1949, Stichwort "moderne": "Histoire moderne: depuis la prise de<br />

Constantinople (1453) jusqu'à la Révolution francaise (1789)".<br />

24<br />

Brockhaus 1982, Stichwort "Neuzeit". Allerdings wird hinzugefügt, daß die neuere<br />

Geschichtsforschung auf die vom Mittelalter bis in das 17./18. Jahrhundert fortbestehenden<br />

Sozial- und Verfassungsstrukturen hinweist.<br />

25<br />

Schmidt, in: RGG, Bd. 4, 1443.<br />

26 Kupisch, in: EKL, Bd. II, 1573.<br />

27 Troeltsch 1909, 431-755.<br />

29

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