wenn ich an uns denke … kommt's mir vor, als ob das ... - Burgtheater
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wenn ich an uns denke … kommt's mir vor, als ob das ... - Burgtheater
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Ursprüngl<strong>ich</strong> war Händl für eine<br />
Schauspielausbildung von Innsbruck<br />
nach Wien gekommen. Er wurde <strong>an</strong><br />
H<strong>an</strong>s Gratzers Schauspielhaus engagiert<br />
und spielte in Filmen von Jessica Hausner,<br />
Urs Egger und M<strong>ich</strong>ael H<strong>an</strong>eke.<br />
Nun überwog aber <strong>das</strong> Schreiben – w<strong>ob</strong>ei<br />
<strong>das</strong> Theater <strong>als</strong> Sp<strong>an</strong>nungsfeld blieb.<br />
Sein erster Theatertext hieß »Ich ersehne<br />
die Alpen; so entstehen die Seen« –<br />
ein Doppelmonolog, den er für Olivia<br />
Grigolli und Bruno Cathomas schrieb.<br />
Die szenische Anweisung lautet: »Am<br />
Fuß einer L<strong>an</strong>dschaft mit Toten spr<strong>ich</strong>t<br />
Olivia. Bruno w<strong>an</strong>dert und stolpert; er<br />
stößt auf einige Tote, die er am Ende<br />
versenkt.« Tote und Verschwundene<br />
spielen in den Texten von Händl Klaus<br />
eine große Rolle. Vielle<strong>ich</strong>t, weil es<br />
diejenigen sind, die die Kommunikation<br />
abgebrochen haben und deren Schweigen<br />
zuweilen die L<strong>an</strong>dschaft der Lebendigen<br />
zu überfluten droht.<br />
Der zweite Theatertext hatte den Titel<br />
»(Wilde) – M<strong>an</strong>n mit traurigen Augen«.<br />
Es ist die Gesch<strong>ich</strong>te eines M<strong>an</strong>nes,<br />
genauer eines Arztes ohne Grenzen, der<br />
bei seiner Heimkehr wegen unerträgl<strong>ich</strong>er<br />
Hitze in Atemnot gerät, aus dem<br />
Zug flieht und s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> einem seltsam<br />
verwaist wirkenden Un-Ort wieder findet,<br />
näml<strong>ich</strong> in Neumünster <strong>an</strong> der Lau<br />
– und dort sehr schnell in befremdl<strong>ich</strong>er<br />
Gesellschaft.<br />
»Dunkel lockende Welt« ist sein drittes<br />
Theaterstück (ein viertes schreibt er<br />
derzeit für <strong>das</strong> <strong>Burgtheater</strong>). Befragt<br />
nach dem Thema, kommt die Antwort<br />
prompt: Abwesenheit. Sie ist die Ladung<br />
dieses Textes. Jeder seiner Texte<br />
hat eine Grundladung, die er s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />
Saison 2006/2007<br />
wählt, sondern die ihn <strong>an</strong>fliegt. Es gibt<br />
einen Anf<strong>an</strong>g, einen ersten Absatz – und<br />
auch der lässt s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t herbeiführen,<br />
sondern muss kommen, unbewusst.<br />
Daraus leitet s<strong>ich</strong> jeweils die Form des<br />
G<strong>an</strong>zen ab. Diesem Absatz hört er nach<br />
und beginnt mit vielen Umwegen und<br />
Verwerfungen seinen Text zu bauen.<br />
Bauen ist tatsächl<strong>ich</strong> der r<strong>ich</strong>tige Ausdruck.<br />
Denn Händls Schreiben gle<strong>ich</strong>t<br />
einem architektonischen Akt. Seine<br />
Texte gle<strong>ich</strong>en Häusern, deren Wände<br />
immer wieder eingerissen und umgebaut<br />
Händl Klaus<br />
werden, in denen s<strong>ich</strong> beständig neue<br />
(Bedeutungs-)Räume auftun, aus denen<br />
n<strong>ich</strong>t selten der Rückweg versperrt bleibt<br />
und Löcher im Boden die Untiefen<br />
offenbaren, die die Ambivalenzen der<br />
Sprache bereit halten. Die Textbewegung<br />
verläuft labyrinthisch und löst<br />
beim Leser und Zuschauer eine ver<strong>uns</strong><strong>ich</strong>ernde<br />
Wahrnehmungsverschiebung<br />
aus. N<strong>ich</strong>t zufällig ließ s<strong>ich</strong> Händl<br />
Klaus auch für sein zweites Stück von<br />
dem bildenden Künstler Gregor Schneider<br />
und dessen K<strong>uns</strong>twerk »Totes Haus<br />
u r« inspirieren, diesem <strong>uns</strong>cheinbaren<br />
elterl<strong>ich</strong>en Wohnhaus des Künstlers in<br />
Mönchengladbach-Rheydt, <strong>das</strong> er immer<br />
wieder umbaut, Wände <strong>vor</strong> Wände<br />
setzt, Türen einbaut, die in Sackgassen<br />
münden, Fenster vermauert und <strong>an</strong><br />
<strong>an</strong>derer Stelle öffnet, doppelte Böden<br />
einzieht, so <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Vertraute für den<br />
Besucher plötzl<strong>ich</strong> ins Unbek<strong>an</strong>nte,<br />
Unheiml<strong>ich</strong>e kippt. Zu einem Motiv<br />
geronnen, kehrt dieses »Haus u r«<br />
auch in »Dunkel lockende Welt« wieder,<br />
doch ist die Schwelle hier entscheidender,<br />
die Schwelle, diese Todesmetapher<br />
auch, dieses unverz<strong>ich</strong>tbare<br />
Kasino<br />
Element menschl<strong>ich</strong>er Raumordnung,<br />
<strong>das</strong> Innen von Außen, Oben und Unten,<br />
aber auch Vorher und Nachher trennt.<br />
Und vielle<strong>ich</strong>t noch entscheidender und<br />
damit verbunden geht es in »Dunkel<br />
lockende Welt« um Stärkegewinnung,<br />
Stärkebildung, <strong>das</strong> heißt um n<strong>ich</strong>ts weniger<br />
<strong>als</strong> um die Grundlage <strong>uns</strong>erer<br />
Existenz und um den ernsthaften Versuch,<br />
diese zu erfassen. »M<strong>an</strong> l<strong>an</strong>det«,<br />
sagt Händl Klaus, »ja doch zuverlässig<br />
bei den Fragen: Woher kommen<br />
wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?<br />
Eigentl<strong>ich</strong> erledigt dieser Satz, ebenso<br />
wie er her<strong>vor</strong>ruft, alles, was gespielt,<br />
geschrieben und gesungen wird.« Das<br />
wäre ein schöner Schlusssatz, doch<br />
leider ist m<strong>an</strong> durch ihn n<strong>ich</strong>t entlassen.<br />
Das sagt Händl Klaus auch.<br />
W<strong>ich</strong>tig scheint (mindestens) noch eines:<br />
Händl Klaus’ Texte rufen nach Ver-<br />
stimml<strong>ich</strong>ung, doch was herbeigerufen<br />
wird, ist zugle<strong>ich</strong> ein drohender Verlust.<br />
Denn in der Verstimml<strong>ich</strong>ung, in<br />
jeder Entscheidung für eine Betonung,<br />
liegt die Gefahr, die Spiegelges<strong>ich</strong>te der<br />
Sprache, denen s<strong>ich</strong> Händl Klaus <strong>an</strong>vertraut<br />
und mit ihnen zu spielen weiß,<br />
zum Erlöschen zu bringen und den graphischen<br />
Raum, den <strong>das</strong> Schriftbild <strong>als</strong><br />
bedeutsame Ze<strong>ich</strong>nung in s<strong>ich</strong> trägt,<br />
zum Verblassen. Doch ist es wohl gerade<br />
diese <strong>als</strong> Risiko eingeg<strong>an</strong>gene Sp<strong>an</strong>nung<br />
zwischen Schrift und Rede, die diese<br />
Texte zum Flirren bringen und die es<br />
verbieten, sie <strong>als</strong> Sprachk<strong>uns</strong>twerk zu<br />
zelebrieren, sondern einfordern, Menschen<br />
in ihrem schweißtreibenden Versuch<br />
zu zeigen, damit umzugehen, mitein<strong>an</strong>der<br />
zu kommunizieren oder eben<br />
– weit öfter – ein<strong>an</strong>der auszuwe<strong>ich</strong>en.<br />
Judith Gerstenberg<br />
Dunkel lockende Welt<br />
von Händl Klaus<br />
Regie: Tom Kühnel<br />
Bühne: Etienne Pluss<br />
Kostüme: Nina Wetzel<br />
Mit Regina Fritsch, Libgart Schwarz;<br />
Joh<strong>an</strong>n Adam Oest<br />
H Premiere / Österre<strong>ich</strong>ische Erstaufführung<br />
am 30. November 2006 im Kasino<br />
Im Anschluss <strong>an</strong> die Vorstellung am 2. Dezember 2006<br />
findet ein Publikumsgespräch mit dem Autor statt.<br />
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