wenn ich an uns denke … kommt's mir vor, als ob das ... - Burgtheater
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<strong>Burgtheater</strong><br />
6<br />
Reden wir n<strong>ich</strong>t über Liebe<br />
Shakespeares übermütige Komödie »Viel Lärm um n<strong>ich</strong>ts«<br />
Vor gut 400 Jahren hat Shakespeare ein Stück geschrieben, <strong>das</strong> noch immer aktuell ist:<br />
die selbstern<strong>an</strong>nten Experten in Liebesdingen sind wortgewaltige Schaumschläger, denen<br />
es <strong>an</strong> Mut fehlt, s<strong>ich</strong> zum Bekenntnis durchzuringen. Liebe zuzulassen scheint schwerer,<br />
<strong>als</strong> m<strong>an</strong> denkt oder einen <strong>das</strong> Theater glauben macht. Hier allerdings darf s<strong>ich</strong> der Zuschauer<br />
dar<strong>an</strong> erfreuen, wie der größte Dramatiker der Weltliteratur Menschen skizziert,<br />
die wahre Verbal-Eroten sind, und deren Fetisch der Witz und die eigene Schlagfertigkeit<br />
sind. Vor Selbstverliebtheit blasen sie ihr Ego so weit auf, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> wahre Objekt der<br />
Leidenschaft fast aus ihrem Blickfeld gerät.<br />
Im Zentrum von »Viel Lärm um n<strong>ich</strong>ts«<br />
stehen zwei Paare, die verschiedener n<strong>ich</strong>t<br />
sein könnten: Auf der einen Seite Claudio<br />
und Hero, die lieber heute <strong>als</strong> morgen<br />
heiraten wollen, <strong>ob</strong>wohl sie s<strong>ich</strong> kaum<br />
kennen, und durch die Intrigen des bösartigen<br />
Don John dar<strong>an</strong> gehindert werden.<br />
Ihnen gegenüber steht <strong>das</strong> Paar Beatrice<br />
und Benedict, die geschworen haben, s<strong>ich</strong><br />
niem<strong>als</strong> und unter keinen Umständen<br />
mit dem <strong>an</strong>deren Geschlecht einzulassen,<br />
aber schließl<strong>ich</strong> doch heiraten. Der Titel<br />
des Stücks »Much Ado About Nothing«<br />
fasst den Plot zusammen, denn die beiden<br />
Paare werden durch eine Reihe unwahrer<br />
Ber<strong>ich</strong>te, durch Intrigen, aber auch durch<br />
f<strong>als</strong>che Schlüsse – <strong>als</strong>o durch buchstäbl<strong>ich</strong><br />
»n<strong>ich</strong>ts« –, zu ihren H<strong>an</strong>dlungen<br />
ver<strong>an</strong>lasst. Gle<strong>ich</strong>zeitig hat der Titel eine<br />
<strong>ob</strong>szöne Nebenbedeutung: »nothing«<br />
war im Gegensatz zum »something« des<br />
M<strong>an</strong>nes auch ein Synonym für die weibl<strong>ich</strong>en<br />
Genitalien.<br />
Zudem passt der Titel auch glänzend auf<br />
<strong>das</strong> Liebespaar Beatrice und Benedict,<br />
dessen Beziehung im Ze<strong>ich</strong>en der Unkonventionalität<br />
beginnt. Der »Lärm«, den<br />
die beiden machen, ist n<strong>ich</strong>t zu überhören,<br />
dafür sorgen die unermüdl<strong>ich</strong>en Redner.<br />
All ihre witzigen Aussprüche gegen<br />
die Ehe im Allgemeinen und ihre bissigen<br />
Ausfälle gegenein<strong>an</strong>der erweisen s<strong>ich</strong> <strong>als</strong><br />
viel Wind um n<strong>ich</strong>ts, verwehen im Bewusstwerden<br />
und Akzeptieren einer Liebe,<br />
deren Mögl<strong>ich</strong>keiten die beiden trotz<br />
ihres Anspruchs auf Klars<strong>ich</strong>t einfach<br />
n<strong>ich</strong>t sehen wollten.<br />
Der Preis der Liebe<br />
Die Gründe von Beatrice und Benedict, so<br />
sehr darauf zu beharren, im allgemeinen<br />
Liebeswerben zwischen M<strong>an</strong>n und Frau<br />
eine Sonderrolle zu spielen, lassen s<strong>ich</strong> mit<br />
Schlagworten nur gr<strong>ob</strong> umreißen: Eigenliebe<br />
und Bindungs<strong>an</strong>gst, Freiheitsdr<strong>an</strong>g<br />
und Eitelkeit oder Vors<strong>ich</strong>t und Klugheit.<br />
S<strong>ich</strong> im <strong>an</strong>deren zu finden, hieße auch für<br />
die beiden, s<strong>ich</strong> im <strong>an</strong>deren verlieren zu<br />
müssen. Leidenschaftl<strong>ich</strong>e Liebe zwingt<br />
dazu, s<strong>ich</strong> in die Hände des Gegenübers zu<br />
geben und die Kontrolle abzugeben, denn<br />
große Gefühle übersteigen die Mögl<strong>ich</strong>-<br />
Alles dreht s<strong>ich</strong> ums Gefühl, mag die Welt<br />
s<strong>ich</strong> auch noch so rational geben.<br />
keiten einer Person und treiben <strong>das</strong> Ich <strong>an</strong><br />
die Grenzen seines Selbst. Ein Preis, den<br />
keiner der beiden zu zahlen bereit ist. Sie<br />
schützen s<strong>ich</strong> <strong>vor</strong> dem Ausbruch von Liebe<br />
durch der Empfindung »<strong>vor</strong>gelagerte«<br />
Witzgefechte. Für <strong>das</strong> Paar bedarf es daher<br />
der Vermittlung durch die Gesellschaft,<br />
der es nur mit Hilfe von Intrigen gelingt,<br />
der Liebe zum Erfolg zu verhelfen. Denn<br />
jeder, Beatrice wie auch Benedict, klammert<br />
s<strong>ich</strong> <strong>an</strong> seine Unabhängigkeit und<br />
versucht, s<strong>ich</strong> hinter der eigenen Klugheit<br />
und Zungenfertigkeit zu versch<strong>an</strong>zen.<br />
Doch die spitzen Stacheln, mit denen die<br />
beiden s<strong>ich</strong> zu schützen versuchen, sind<br />
mit Widerhaken bestückt. So haben Kuppler<br />
ein le<strong>ich</strong>tes Spiel mit ihnen: einmal zu<br />
d<strong>ich</strong>t <strong>an</strong>ein<strong>an</strong>der geraten, verhaken sie<br />
s<strong>ich</strong> so fest inein<strong>an</strong>der, <strong>das</strong>s sie n<strong>ich</strong>t mehr<br />
ausein<strong>an</strong>der können. So wird ihr Spaß am<br />
Spiel mit den Worten, mit dem Schein und<br />
dem Sein, zum Fallstrick. Beatrice und<br />
Benedict – die ersten überzeugten Singles<br />
der Theatergesch<strong>ich</strong>te – fallen auf die Intrige<br />
herein. Jeder glaubt, der <strong>an</strong>dere liebe<br />
ihn, und sie reagieren mit Gegenliebe<br />
auf Gefühle, die nur scheinbar existieren.<br />
Als sie zu wissen glauben, was der <strong>an</strong>dere<br />
<strong>an</strong>gebl<strong>ich</strong> zu verbergen sucht, werden<br />
sie gegen den eigenen Willen selbst zum<br />
Opfer ihrer Schlagfertigkeit und spitzen<br />
Zungen. Durch die behauptete Spiegelung<br />
entsteht, was mögl<strong>ich</strong>erweise nie da<br />
war: Liebe.<br />
Jedenfalls will der Komödienschluss <strong>das</strong><br />
glauben machen. Die beiden wären, ohne<br />
die Intrige, vermutl<strong>ich</strong> unverheiratet geblieben.<br />
Statt s<strong>ich</strong> in einer von Konventionen<br />
durchdrungenen Welt <strong>als</strong> Individuum<br />
zu behaupten, geben die beiden<br />
ihren Autonomie<strong>an</strong>spruch auf. Sie wurden<br />
zur Ehe verführt, weil sie die Gesellschaft<br />
mit ihrem Andersseinwollen provozierten.<br />
Dabei hatten sie allen Grund, auf ihrem<br />
Single-Dasein zu beharren, denn ihre Welt<br />
hatte strikte Vorstellungen von dem, wie<br />
M<strong>an</strong>n und Frau zu leben haben. Es ist der<br />
Hahnrei-Komplex, welcher alle Männer in<br />
Shakespeares Komödie perm<strong>an</strong>ent verfolgt<br />
und bei dem leisesten Verdacht zu einem<br />
reflexartigen Zurückziehen in eine Heerlager-Mentalität<br />
führt. Vor allem Benedict<br />
sieht s<strong>ich</strong> in seiner Rolle <strong>als</strong> M<strong>an</strong>n gefährdet<br />
und fürchtet, von der intellektuell<br />
em<strong>an</strong>zipierten Beatrice Hörner aufgesetzt<br />
zu bekommen. Aber auch Beatrice weiß,<br />
<strong>das</strong>s sie ihre Unabhängigkeit nach der<br />
Hochzeit verlieren wird, weil sie s<strong>ich</strong> von<br />
den Entscheidungen eines M<strong>an</strong>nes abhängig<br />
macht. Es ist n<strong>ich</strong>t nur Selbstverliebtheit,<br />
sondern <strong>das</strong> Insistieren auf der<br />
eigenen souveränen Intellektualität, <strong>das</strong><br />
s<strong>ich</strong> einer tiefen menschl<strong>ich</strong>en Liebe in<br />
den Weg stellt. So können s<strong>ich</strong> die beiden<br />
auch n<strong>ich</strong>t die Hände re<strong>ich</strong>en, ohne<br />
nochm<strong>als</strong> darauf hinzuweisen, <strong>das</strong>s sie s<strong>ich</strong><br />
ihrer prekären Lage bewusst sind: »Du<br />
und <strong>ich</strong>, wir sind zu klug, um friedl<strong>ich</strong> zu<br />
werben.«<br />
Ihre Heirat ist ein Triumph der Gesellschaft<br />
über den unbedingten Anspruch<br />
auf die Unabhängigkeit des Single-Lebens,<br />
die aber mit gesellschaftl<strong>ich</strong>er Isolation<br />
erkauft ist. Benedict sagt: »Ich häng<br />
den Junggesellen <strong>an</strong> den Nagel, adieu!<br />
2006/2007 Saison