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wenn ich an uns denke … kommt's mir vor, als ob das ... - Burgtheater

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Die Abwesenheit von historischen Stücken<br />

gibt natürl<strong>ich</strong> auch viel Freiheit. Bei<br />

<strong>uns</strong> ist seit 20 Jahren die Av<strong>an</strong>tgarde der<br />

Mainstream. Die Theaterl<strong>an</strong>dschaft ist<br />

aber extrem von kleinen Gruppen oder<br />

Einzelpersonen geprägt, die zum Teil sehr<br />

subjektive und experimentelle Ansätze<br />

verfolgen. Und davon gibt es hunderte.<br />

Das sind für s<strong>ich</strong> genommen oft sehr interess<strong>an</strong>te<br />

Arbeiten, im G<strong>an</strong>zen führt <strong>das</strong><br />

aber zu einer Zersplitterung und Kleinteiligkeit,<br />

die <strong>uns</strong> auf Dauer n<strong>ich</strong>t gut tut.<br />

Bei <strong>mir</strong> wächst in letzter Zeit <strong>das</strong> Bedürfnis<br />

nach einem Ort, wo s<strong>ich</strong> die Kräfte bündeln<br />

ließen, um dieser wünschenswerten<br />

Vielfalt etwas entgegensetzen zu können.<br />

Wollen Sie damit sagen, <strong>das</strong>s Sie finden,<br />

Holl<strong>an</strong>d brauche ein Nationaltheater?<br />

Ja. Aber n<strong>ich</strong>t, um auch eines zu haben,<br />

sondern um einen Raum zu schaffen, der<br />

zu einer völlig zersplitterten Theaterl<strong>an</strong>dschaft<br />

ein Gegengew<strong>ich</strong>t bietet und Arbeitsbedingungen<br />

zur Verfügung stellt, die die<br />

Abw<strong>an</strong>derung <strong>uns</strong>erer besten Regisseure ins<br />

Ausl<strong>an</strong>d eindämmt.<br />

Haben Sie <strong>als</strong> Schauspieler Shakespeare<br />

gespielt?<br />

Ja, mehrfach. Einmal, kurz nach der Schauspielschule,<br />

sogar »Sommernachtstraum«<br />

– da habe <strong>ich</strong> Demetrius oder Lys<strong>an</strong>der<br />

gespielt – <strong>ich</strong> weiß es, ehrl<strong>ich</strong> gesagt, n<strong>ich</strong>t<br />

mehr so genau. Inszeniert habe <strong>ich</strong> »Hamlet«,<br />

»Was ihr wollt« und eine Bearbeitung<br />

von »Wie es euch gefällt«. Und wir pl<strong>an</strong>en<br />

einen »König Lear«.<br />

Ist Shakespeare ein schwieriger Autor?<br />

Ja. M<strong>an</strong> muss versuchen, <strong>das</strong> herauszufiltern,<br />

was heute noch relev<strong>an</strong>t ist, was für heute<br />

noch gilt, ohne plakativ zu modernisieren.<br />

Es gibt vieles <strong>an</strong> Shakespeare, was wir n<strong>ich</strong>t<br />

mehr verstehen können, weil <strong>uns</strong> <strong>das</strong> Wissen<br />

fehlt, die Bezüge verloren geg<strong>an</strong>gen sind. Die<br />

symbolische Bedeutung der verschiedenen<br />

Blumen in Ophelias großem Monolog kennen<br />

wir einfach n<strong>ich</strong>t mehr. Das lässt s<strong>ich</strong><br />

<strong>an</strong> einem Theaterabend n<strong>ich</strong>t rückgängig<br />

machen und muss auch n<strong>ich</strong>t sein. Aber<br />

solche Schwierigkeiten werden mehr <strong>als</strong> aufgewogen<br />

durch die unheiml<strong>ich</strong> sp<strong>an</strong>nende<br />

Psychologie der Figuren. Das ist <strong>das</strong> Ent-<br />

scheidende, <strong>das</strong> muss m<strong>an</strong> versuchen s<strong>ich</strong>tbar<br />

Saison 2006/2007<br />

und erfahrbar zu machen. D<strong>an</strong>n ist er auch<br />

n<strong>ich</strong>t schwerer <strong>als</strong> <strong>an</strong>dere große Autoren.<br />

Trotzdem ist diesen Stücken doch immer<br />

abzulesen, <strong>das</strong>s sie für ein <strong>an</strong>deres Theater<br />

<strong>als</strong> <strong>das</strong> <strong>uns</strong>ere geschrieben sind, für eine<br />

<strong>an</strong>dere Architektur, ein <strong>an</strong>deres Zuschauerverhalten<br />

etc.<br />

In Shakespeares Theater wird sehr viel über<br />

die Sprache vermittelt. Den Sturm auf der<br />

Heide im »König Lear« k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> in den<br />

Vokalen des Monologs wüten hören. Die<br />

Sprachempfindl<strong>ich</strong>keit des Publikums dam<strong>als</strong><br />

war viel größer, viel re<strong>ich</strong>er. Aber <strong>das</strong><br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auch von den alten Griechen<br />

sagen. Wir müssen dafür eine neue Art des<br />

Sprechens erfinden. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

mehr rhetorisch spielen. Die Arbeit besteht<br />

darin, die Kraft und die Bildsprache der<br />

Rhetorik zu erhalten und gle<strong>ich</strong>zeitig die<br />

g<strong>an</strong>ze Psychologie rauszuholen. Eine Bal<strong>an</strong>ce<br />

zu finden zwischen Rhetorik, Psychologie<br />

und Identifikation.<br />

Bei aller Fremdheit haben wir einen n<strong>ich</strong>t<br />

unbeträchtl<strong>ich</strong>en Teil dessen, was wir<br />

heute über Menschen <strong>denke</strong>n, aus Shakespeares<br />

Stücken.<br />

Er hat s<strong>ich</strong> sehr stark auf die Antike bezogen,<br />

viele Themen zum Beispiel von Plutarch über-<br />

nommen und den Stoff s<strong>ich</strong> und den Menschen<br />

seiner Zeit neu erklärt. Da sind viele<br />

Grundmech<strong>an</strong>ismen schon <strong>an</strong>gelegt. So<br />

bezieht s<strong>ich</strong> »Hamlet« zum Beispiel g<strong>an</strong>z<br />

deutl<strong>ich</strong> auf die »Orestie« von Aischylos und<br />

ihre Konstellation. Shakespeare hat den <strong>an</strong>tiken<br />

Stoff neu übersetzt und die Frage gestellt:<br />

Wie sind diese Gesch<strong>ich</strong>ten zu erzählen,<br />

<strong>wenn</strong> m<strong>an</strong> n<strong>ich</strong>t mehr davon ausgehen k<strong>an</strong>n,<br />

<strong>das</strong>s ein metaphysisches System existiert, ein<br />

Schicksal, ein Götterhimmel, sondern die<br />

Menschen selber ver<strong>an</strong>twortl<strong>ich</strong> sind? Er ist<br />

<strong>als</strong>o seinen literarischen Vorlagen so begegnet,<br />

wie wir <strong>uns</strong> heute mit ihm ausein<strong>an</strong>dersetzen:<br />

in dem Bewusstsein eines großen Werts, einer<br />

w<strong>ich</strong>tigen, gültigen Überlieferung, aber unter<br />

geänderten Bedingungen. Heute tauchte<br />

auf der Pr<strong>ob</strong>e des ersten Akts die Frage auf:<br />

Ist <strong>das</strong> noch aktuell, <strong>das</strong>s ein Vater seiner<br />

Tochter eine Beziehung verbieten k<strong>an</strong>n und<br />

ihr bei Ungehorsam von Gesetz wegen die<br />

Todesstrafe droht? Ich habe gesagt: Lasst <strong>uns</strong><br />

einfach <strong>vor</strong>stellen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> gilt – <strong>wenn</strong> m<strong>an</strong><br />

diese Spielregel, die Shakespeare aufstellt,<br />

<strong>Burgtheater</strong><br />

akzeptiert, findet m<strong>an</strong> plötzl<strong>ich</strong>, <strong>das</strong>s es vieles<br />

davon noch gibt: Es gibt den Tod noch immer.<br />

Es gibt noch die Unterdrückung der Frauen.<br />

Es kommt <strong>vor</strong>, <strong>das</strong>s Väter ihre Töchter n<strong>ich</strong>t<br />

loslassen. Wir halten <strong>uns</strong> für so demokratisch,<br />

aber in diesem absurden Gesetz, <strong>das</strong> ja auch<br />

zu Shakespeares Zeiten n<strong>ich</strong>t galt, sind viele<br />

Elemente enthalten, die weiterhin gelten.<br />

An Shakespeares Komödien werden häufig<br />

besonders die glückl<strong>ich</strong>en Ausgänge für<br />

pr<strong>ob</strong>lematisch gehalten.<br />

Shakespeare dekonstruiert die gesamten<br />

menschl<strong>ich</strong>en Verhältnisse und zeigt auch<br />

in den Komödien, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t<br />

klappen k<strong>an</strong>n, <strong>das</strong> Happy End. Aber Komödien<br />

erfordern nun mal einen guten Ausg<strong>an</strong>g,<br />

und d<strong>an</strong>n lässt er eben einen Deus<br />

ex machina einschweben. Dass <strong>das</strong> niem<strong>als</strong><br />

glaubwürdig ist, war Shakespeare bewusst,<br />

davon bin <strong>ich</strong> überzeugt. Aber <strong>das</strong> macht<br />

<strong>das</strong> Leben ja auch: Wenn kein Happy End<br />

mögl<strong>ich</strong> ist, d<strong>an</strong>n machen wir <strong>uns</strong> eins. Mit<br />

den Kompromissen, die wir schließen.<br />

Das ist auch <strong>das</strong> Menschenwürdige <strong>an</strong> den<br />

glückl<strong>ich</strong>en Schlüssen. Also n<strong>ich</strong>t nur eine<br />

Forderung des Genres, der der D<strong>ich</strong>ter nolens<br />

volens nachkommt.<br />

Wir sehnen <strong>uns</strong> d<strong>an</strong>ach zu wissen, warum<br />

wir leben und worum es geht. Und <strong>ob</strong>wohl<br />

wir es n<strong>ich</strong>t wissen, tun wir so <strong>als</strong> <strong>ob</strong> und<br />

machen weiter. M<strong>an</strong> malt, komponiert oder<br />

schreibt, um ein Gefühl von Ordnung zu er-<br />

zeugen. Das Gefühl, <strong>das</strong>s es nur Widersprü-<br />

che gibt und n<strong>ich</strong>ts geht – dieses Gefühl muss<br />

m<strong>an</strong> in eine Form bringen.<br />

Das hat d<strong>an</strong>n letztl<strong>ich</strong> etwas Tröstl<strong>ich</strong>es.<br />

Ja. Wenn die Dinge zu einer Tr<strong>an</strong>sparenz<br />

gel<strong>an</strong>gen, <strong>wenn</strong> m<strong>an</strong> Schönheitserfahrungen<br />

macht, zu denen einem die K<strong>uns</strong>t verhelfen<br />

k<strong>an</strong>n, d<strong>an</strong>n ist <strong>das</strong> ein Trost.<br />

Ein Sommernachtstraum<br />

von William Shakespeare<br />

Regie: Theu Boerm<strong>an</strong>s<br />

Bühne: Bernhard Hammer<br />

Kostüme: Marion Münch<br />

Mit Andrea Clausen, Maria Happel, Pauline Knof,<br />

Adina Vetter, Bibi<strong>an</strong>a Zeller; Patrick O. Beck,<br />

Bernd Birkhahn, Karim Chérif, Philipp Hauß,<br />

Urs Hefti, H<strong>an</strong>s Dieter Knebel, Juergen Maurer,<br />

Udo Samel, Peter Simonischek, Joh<strong>an</strong>nes Terne<br />

H Premiere am 7. Jänner 2007<br />

im BURGTHEATER<br />

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