wenn ich an uns denke … kommt's mir vor, als ob das ... - Burgtheater
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Saison 2006/2007<br />
DER SpAzIERgANg<br />
Ignaz Kirchner<br />
liest R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er<br />
R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er ist – auch <strong>wenn</strong><br />
er viel geschrieben hat, auch<br />
<strong>wenn</strong> er oft daherzuplappern<br />
scheint – ein Schweiger.<br />
Eigentl<strong>ich</strong> taugen ja Worte<br />
überhaupt n<strong>ich</strong>t viel, die eigentl<strong>ich</strong>en<br />
Gefühle und Ged<strong>an</strong>ken<br />
liegen irgendwo jenseits der<br />
Sprache. R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er stapelt<br />
tief, er sagt »n<strong>ich</strong>ts« auch da,<br />
wo er »etwas« meint. Der kontaktscheue<br />
W<strong>als</strong>er ist auch in<br />
seiner Prosa kontaktscheu.<br />
Das Schreiben war für ihn<br />
sowieso die einzige Mögl<strong>ich</strong>keit,<br />
seine Schamschwelle zu<br />
überspringen: er flüchtete s<strong>ich</strong><br />
Ignaz Kirchner<br />
in die Maske des Mittell<strong>an</strong>d-<br />
Tölpels, um seine Ängste und<br />
Sehnsüchte vermitteln zu können,<br />
um endl<strong>ich</strong> »von s<strong>ich</strong>« reden zu dürfen. R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er schreibt von<br />
s<strong>ich</strong> und nur von s<strong>ich</strong>. Seine Arbeiten sind, <strong>wenn</strong> m<strong>an</strong> sie <strong>an</strong>ein<strong>an</strong>derreiht,<br />
eine Art innere Aut<strong>ob</strong>iographie mit verstellter Stimme. Seine Rollen erlauben<br />
ihm erst, überhaupt etwas zu sagen, er k<strong>an</strong>n nur »<strong>ich</strong>« sagen, <strong>wenn</strong><br />
dieses Ich <strong>als</strong> Kind, <strong>als</strong> Schüler, <strong>als</strong> Angestellter, <strong>als</strong> Spaziergänger etc. verkleidet<br />
ist. So sagt er <strong>das</strong> ihm w<strong>ich</strong>tige »Etwas« je nach der <strong>an</strong>genommenen<br />
Rolle nur halbwegs oder d<strong>an</strong>eben oder dumm oder ungeschickt. Ja, auch<br />
diese Tölpelhaftigkeit war wiederum durchaus Methode: R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er<br />
erfüllte bewusst die Erwartungen n<strong>ich</strong>t, die m<strong>an</strong> auch schon zu seiner Zeit<br />
<strong>an</strong> einen Schriftsteller stellte. Er funktionierte n<strong>ich</strong>t in einem Gesellschaftsgefüge,<br />
in dem auch die D<strong>ich</strong>ter zu funktionieren hatten. 1927 schrieb er<br />
z.B. in einem Brief: »Jeweilen, d.h. von Zeit zu Zeit werfe <strong>ich</strong> zerrissene<br />
M<strong>an</strong>uskripte in den Papierkorb, im Instinkt, daß es hübsch, fein, propper,<br />
n<strong>ob</strong>el sei, stets irgendwas aufzuopfern, und damit <strong>das</strong> Schaffen mäßig<br />
bleibe.« W<strong>als</strong>er wollte n<strong>ich</strong>t, <strong>an</strong>alog der Konsumartikelindustrie, »jährl<strong>ich</strong><br />
irgendwelche neue Hundertprozentigkeit <strong>an</strong>s Tagesl<strong>ich</strong>t gel<strong>an</strong>gen lassen.«<br />
Eine seiner Qualitäten ist gerade, <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> n<strong>ich</strong>t wollte. Er war kein<br />
Leistungs-Schriftsteller, der Literatur in stets gle<strong>ich</strong>bleibender Qualität<br />
liefern konnte und wollte. Eher schon schrieb er, wie er atmete und dachte,<br />
ja beinahe, wie m a n atmet und denkt.<br />
W<strong>als</strong>ers Ged<strong>an</strong>ken sind keine besonders großen, schlauen, ph<strong>an</strong>tastischen,<br />
einmaligen Ged<strong>an</strong>ken, sie sind eher so dahergesagt. W<strong>als</strong>er hat – überspitzt<br />
ausgedrückt – überhaupt keine Einfälle, denn Einfälle haben die, die s<strong>ich</strong> in<br />
ihrer gelassenen Muße solche leisten können. R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er aber kämpft<br />
um sein Leben, auch <strong>wenn</strong> er von seinem s<strong>an</strong>ften Spazierg<strong>an</strong>g durch Biel<br />
ber<strong>ich</strong>tet. Fast verstehe <strong>ich</strong> m<strong>an</strong>chmal, <strong>das</strong>s l<strong>an</strong>ge Zeit niem<strong>an</strong>d so recht<br />
W<strong>als</strong>ers Skizzen aus seinem tägl<strong>ich</strong>en Leben drucken wollte. Sie sahen so<br />
<strong>an</strong>ders aus <strong>als</strong> all <strong>das</strong>, was m<strong>an</strong> <strong>als</strong> »große« Literatur zu sehen gewohnt<br />
war. Sie sahen beinah so aus, <strong>als</strong> könnte eigentl<strong>ich</strong> ein jeder so etwas machen<br />
– und wer druckt <strong>das</strong> schon. Nur wenige merkten, <strong>das</strong>s kaum jem<strong>an</strong>d<br />
so nahe am Selbstverständl<strong>ich</strong>en war wie W<strong>als</strong>er und damit der »Wahrheit«,<br />
was immer <strong>das</strong> auch sei, am nächsten. Ich glaube, R<strong>ob</strong>ert W<strong>als</strong>er ist<br />
am ehesten über die g<strong>an</strong>z einfachen Gefühle zu erre<strong>ich</strong>en. M<strong>an</strong> muss ihm<br />
ein gutes Stück Verständnis und Liebe <strong>vor</strong>geben, oder m<strong>an</strong> hat es schwer<br />
mit ihm. Seine Prosa macht traurig und glückl<strong>ich</strong>, Kategorien wie »gut«<br />
oder »schlecht« sind irgendwie sinnlos bei ihm. Ist er n<strong>ich</strong>t so »gut«, weil<br />
er so tolpatschig und hilflos ist? Ist er n<strong>ich</strong>t da besonders rührend, wo alles<br />
besonders d<strong>an</strong>ebenzugehen scheint, gemessen <strong>an</strong> den h<strong>an</strong>delsübl<strong>ich</strong>en<br />
Erwartungen? Urs Widmer<br />
Ab Jänner 2007 im VESTIBÜL<br />
»VERTRAULIcH«<br />
Joh<strong>an</strong>na Wokalek und Rol<strong>an</strong>d Jaeger<br />
singen Ch<strong>an</strong>sons von Serge Gainsbourg<br />
»Die Sonne ist rar<br />
und <strong>das</strong> Glück so wie sie<br />
doch wie wunderbar<br />
ist Melody.«<br />
Serge Gainsbourg (Melody Nelson)<br />
Magazin<br />
Die Dinge, die ihn umgeben, diktieren ihm Gesch<strong>ich</strong>ten.<br />
In den frühen 70er Jahren erwirbt Gainsbourg einen Rolls<br />
Royce, ohne Zweifel ein Kindertraum. Serge hat weder<br />
einen Führerschein, noch die Abs<strong>ich</strong>t, einen Chauffeur<br />
einzustellen. Ihn faszinieren vielmehr der Kl<strong>an</strong>g der Worte<br />
»Rolls Royce« und die Kühlerfigur, die ihn berauscht.<br />
Dadurch inspiriert, entsteht ein Konzeptalbum »Melody<br />
Nelson«. Serge behält <strong>das</strong> Auto zehn Jahre, d<strong>an</strong>n trennt er<br />
s<strong>ich</strong> davon, wie m<strong>an</strong> eine alte Liebesgesch<strong>ich</strong>te wegwirft.<br />
Die Kühlerfigur aber behält er, <strong>als</strong> Souvenir.<br />
Serge Gainsbourg, vielen nur durch <strong>das</strong> berühmte, gemein-<br />
sam mit J<strong>an</strong>e Birkin interpretierte »Je t’aime, moi non<br />
plus« bek<strong>an</strong>nt, hat zahlre<strong>ich</strong>e Ch<strong>an</strong>sons geschrieben, die<br />
den Ausdruck von Mel<strong>an</strong>cholie, Bitterkeit und oft die<br />
Direktheit eines Polizeiber<strong>ich</strong>ts haben. »Nouvelle Vague«<br />
– »New Style«, wie m<strong>an</strong> dam<strong>als</strong> sagte. Dahinter aber versteckt<br />
s<strong>ich</strong> der scheue Serge, der am Straßenr<strong>an</strong>d zurückbleibt,<br />
mit seiner Sehnsucht im Arm.<br />
Musikalische Unterstützung bekommen Joh<strong>an</strong>na Wokalek<br />
und Rol<strong>an</strong>d Jaeger, die die Ch<strong>an</strong>sons in deutscher Übersetzung<br />
präsentieren, von Martin Holter (Keyboards), Rainer<br />
Lidauer (Drums, Percussion), Steph<strong>an</strong> Dickbauer (Reeds),<br />
Simon Radner (Bass) und Engel Mayr (Gitarre).<br />
Am 9. und 10. November 2006 im KASINo<br />
Rol<strong>an</strong>d Jaeger und Joh<strong>an</strong>na Wokalek<br />
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