Peter Böhmer: Die österreichische Finanzverwaltung und die ...

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25 Das war jedoch nicht die einzige Fehleinschätzung. Ein weitere Fehleinschätzung betraf das Verhältnis der jüdischen rückstellungsverfangenen Vermögenschaften zu nichtjüdischen rückstellungsverfangenen Vermögenschaften. Im Februar 1947 ging das BMVS davon aus, „dass rein schätzungsmäßig das jüdische Vermögen ungefähr 1/3 des entzogenen Vermögens ausgemacht hat.“ 57 Diese Angabe wurde für die Staatsvertragsverhandlungen in London gemacht. Ein Jahr später war diese Schätzung nicht mehr haltbar, wie aus folgender Tabelle hervorgeht. Tabelle 2: Art und Umfang der Bescheide der FLD Wien (nach Erstem und Zweitem Rückstellungsgesetz zusammen). 58 Bescheide Verhältnis Juden Nicht- juristische gesamt 1. RG : 2. RG juden Personen Mär. 1948 137 127 : 2 160 1 25 Apr. 1948 169 157 : 3 205 0 27 Mai 1948 144 130 : 2 172 0 25 Jun. 1948 79 76 : 1 94 1 15 Jul. 1948 162 159 : 0 166 1 51 Aug. 1948 238 233 : 0 271 0 33 Okt. 1948 138 135 : 0 173 0 13 Nov. 1948 145 139 : 0 164 0 21 Dez. 1948 161 153 : 0 246 1 0 Jän. 1949 220 215 : 0 199 0 72 Apr. 1949 170 173 : ? 230 0 9 Mai 1949 156 152 : 0 242 1 - Jun. 1949 164 152 : 8 252 2 3 Jul. 1949 130 120 : 10 177 1 16 Aug. 1949 111 108 : 3 140 0 14 Sep. 1949 155 151 : 4 193 1 37 Okt. 1949 168 156 : 12 160 2 11 Nov. 1949 142 133 : 9 185 3 4 In den Anfangsjahren stellten fast ausschließlich jüdische Rückstellungswerber Anträge (für die Kategorie „juristische Personen“ gibt es keine Aufschlüsselung nach der Konfession). Klar ersichtlich ist außerdem, dass das Zweite Rückstellungsgesetz in dieser Phase eine vergleichsweise geringe Rolle spielte. 57 ÖstA, AdR BMF-VS 22.526-1/47. 58 Quelle für die Monate April und Mai 1948: ÖstA, AdR BMF-VS 38.016-3/48; für die restlichen Monate: ÖstA, AdR BMF-VS 61.347-3/49
26 Der hohe prozentuelle Anteil jüdischer Antragsteller dürfte die Behörden in der Folge veranlasst haben, von derartigen Statistiken abzugehen. Dies belegt ein Brief des Bundesministeriums für Justiz an das BMF vom 10. Jänner 1958: „Zusammenstellungen, die eine auch nur annähernd verläßliche Schätzung der jüdischen und der nicht jüdischen Rückstellungsfälle ermöglichen würden, bestehen nicht; es ist auch eine nachträgliche Anlegung solcher wegen Personalmangels nicht möglich.“ 59 Lag der Schwerpunkt am Anfang der Rückstellungsgesetze noch eindeutig bei jüdischen Antragstellern, so dürfte in den fünfziger Jahren ein Wandel stattgefunden haben. Für Mitte 1954 gibt es Zahlen, die einen neuerlichen Vergleich ermöglichen; diesmal auf Basis der noch nicht in Anspruch genommenen Liegenschaften, die in Verwaltung der FLD Wien standen. 337 Liegenschaften eindeutig jüdischer Provenienz standen 118 Liegenschaften nichtjüdischer Provenienz gegenüber (vor allem Liegenschaften des NÖ Religionsfonds und des Familienversorgungsfonds Habsburg-Lothringen). 60 Umgerechnet kommt man auf eine 3:1-Verteilung. Diese Verschiebung in Richtung nichtjüdischer Vermögenschaften lässt in Zusammenhang mit den Verordnungen über die Fristverlängerungen den Schluss zu, dass die Rückstellungsbescheide bis 1951 vorwiegend jüdischem Eigentum galten und später verhältnismäßig mehr nichtjüdische Antragsteller auftraten. Dies würde auch die relative Folgenlosigkeit in der Frage der Fristverlängerung erklären – die Fristen des Ersten Rückstellungsgesetzes wurden ja vor allem in Hinblick auf noch rückstellungsverfangene Vermögenschaften von Vereinen, Stiftungen und Fonds sowie vereinsähnlichen Organisationen verlängert, deren Wiedererrichtung längere Zeit benötigte. Das bedeutet: Die Rückstellung jüdischer Vermögenschaften nach dem Ersten Rückstellungsgesetz dürfte überwiegend bis 1951 abgeschlossen gewesen sein – das Jahr 1951 als jenes Jahr, in dem die Zahl der Gesamtanträge nicht mehr so 59 Bundesministerium für Justiz an BMF, 10. Jänner 1958, ÖstA, AdR BMF-VS 225.249-34/58. 60 Nicht zuzuordnen sind sieben Liegenschaften der Kategorie „Liegenschaften definitiven Deutschen Eigentums zufolge vorliegendem Rückstellungsanspruchsverzicht“, ÖstA, AdR BMF-VS 226.227- 34/58.
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