Die historisch-kritische Methode – kritisch betrachtet - Kurt Bangert.de
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Ein zweites Beispiel dafür, dass <strong>de</strong>r längere und nicht <strong>de</strong>r kürzere Text die<br />
ursprünglichere Lesart darstellt, ist <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong> Lukas-Text, bei <strong>de</strong>m es noch einmal um das<br />
Zeichen <strong>de</strong>s Jona geht.<br />
Luk. 11, 31-32<br />
Hesych-Text:<br />
(31) <strong>Die</strong> Königin vom Sü<strong>de</strong>n wird auftreten<br />
im Jüngsten Gericht mit <strong>de</strong>n Leuten dieses<br />
Geschlechts und wird sie verdammen; <strong>de</strong>nn<br />
sie kam von <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>, zu hören die<br />
Weisheit Salomos. Und siehe, ein größerer<br />
als Salomo ist hier.<br />
(32) <strong>Die</strong> Leute von Ninive wer<strong>de</strong>n auftreten<br />
im Gericht mit diesem Geschlecht und<br />
wer<strong>de</strong>n‘s verdammen; <strong>de</strong>nn sie taten Buße<br />
nach <strong>de</strong>r Predigt <strong>de</strong>s Jona. Und siehe, ein<br />
größerer als Jona ist hier.<br />
Westlicher Text:<br />
(31) <strong>Die</strong> Königin vom Sü<strong>de</strong>n wird<br />
auftreten im Jüngsten Gericht mit <strong>de</strong>n<br />
Leuten dieses Geschlechts und wird sie<br />
verdammen; <strong>de</strong>nn sie kam von <strong>de</strong>r Welt<br />
En<strong>de</strong>, zu hören die Weisheit Salomos. Und<br />
siehe, ein größerer als Salomo ist hier.<br />
Ausgehend von <strong>de</strong>r allgemeinen Regel, dass <strong>de</strong>r kürzere Text <strong>de</strong>r ursprünglichere sein<br />
muss, müsste man hier <strong>de</strong>n Westlichen Text für <strong>de</strong>n älteren halten. Doch gibt es, wie wir<br />
sahen, an<strong>de</strong>re Belege dafür, dass <strong>de</strong>r Hesych-Text <strong>de</strong>r ältere ist. Wie soll man sich also hier<br />
das Weglassen eines langen Verses durch <strong>de</strong>n Schreiber <strong>de</strong>s Westlichen Textes erklären?<br />
Wahrscheinlich war <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>s Westlichen Textes beim Abschreiben irrtümlich <strong>de</strong>r<br />
Meinung, er habe <strong>de</strong>n zweiten Vers bereits kopiert, weil die jeweils letzten Sätze <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />
Verse sich doch sehr ähneln. Ein an<strong>de</strong>rer Grund als ein Abschreibfehler, diesen Vers einfach<br />
wegzulassen, scheint nicht vorzuliegen. <strong>Die</strong>se Art von Flüchtigkeitsfehler erklärt eine ganze<br />
Reihe von abweichen<strong>de</strong>n Lesarten. In manchen Fällen ist es vielleicht nur ein einziges Wort,<br />
das gleich zweimal, noch dazu am En<strong>de</strong> einer Zeile, auftaucht, und <strong>de</strong>n Kopierer dazu<br />
verleitet, eine ganze Zeile, manchmal einen ganzen Vers auszulassen.<br />
Zusammenfassung: <strong>Die</strong> Textkritik, auch Textgeschichte genannt, wird von bibelgläubigen<br />
Christen gewöhnlich ohne weiteres akzeptiert, weil man erkennt, dass es verschie<strong>de</strong>ne<br />
Handschriften mit teilweise unterschiedlichen Lesarten und sogar verschie<strong>de</strong>nen<br />
Überlieferungen gibt, und man natürlich bemüht sein muss, <strong>de</strong>n ursprünglichen Text <strong>de</strong>s<br />
Alten und Neuen Testaments sicherzustellen. Manche Christen tun sich aber schwer mit<br />
an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>r <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong>n <strong>Metho<strong>de</strong></strong>, weil sie glauben, dass damit am Wort<br />
Gottes herumgedoktort und seziert wird, weil man auf diese Weise die Wahrheit <strong>de</strong>r Texte<br />
relativieren möchte o<strong>de</strong>r die Historizität <strong>de</strong>r darin beschriebenen Ereignisse leugnen will.<br />
Aus theologisch-wissenschaftlicher Sicht sind die übrigen <strong>Metho<strong>de</strong></strong>n im Grund auch nur das<br />
wissenschaftliche Handwerkszeug, das nötig ist, um Form, Zweck und Entstehung <strong>de</strong>r<br />
biblischen Texte zu verstehen und zu würdigen. Das einem aufgrund <strong>de</strong>r gründlichen<br />
Betrachtung <strong>de</strong>r Entstehungsgeschichte eines Texte auch schon mal Zweifel an <strong>de</strong>r<br />
Historizität <strong>de</strong>s Geschil<strong>de</strong>rten kommen, das nehmen viele Theologen durchaus in Kauf, ohne<br />
dass dies etwa in einer Predigt thematisiert wer<strong>de</strong>n muss o<strong>de</strong>r sollte. Gera<strong>de</strong> dieser Zweifel<br />
verbietet sich jedoch aus <strong>de</strong>r Sicht streng gläubiger Christen.