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Die historisch-kritische Methode – kritisch betrachtet - Kurt Bangert.de

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<strong>Die</strong> Inschrift am Kreuz Jesu:<br />

Matt. 27, 37:<br />

<strong>Die</strong>s ist Jesus, <strong>de</strong>r<br />

Ju<strong>de</strong>n König<br />

Markus 15, 26:<br />

Der Ju<strong>de</strong>n König<br />

Luk. 23, 38:<br />

<strong>Die</strong>s ist <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n<br />

König<br />

Joh. 19, 19:<br />

Jesus von Nazareth,<br />

<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n König<br />

Wollte man diese vier voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n Inschriften harmonisieren, so dürfte uns<br />

das eigentlich nicht schwerfallen. Dann wür<strong>de</strong> sich je<strong>de</strong> dieser Versionen als Kürzung einer<br />

ursprünglicheren erklären lassen, die verloren gegangen ist. Dann nämlich, wenn Pilatus zu<br />

schreiben befohlen hatte: “<strong>Die</strong>s ist Jesus von Nazareth, <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n König.“ Wenn wir diesen<br />

Satz als <strong>de</strong>n <strong>historisch</strong> ursprünglichen ansähen, so müssten wir allerdings konstatieren, dass<br />

alle vier hier überlieferten Varianten je eine Kürzung <strong>de</strong>s Ursprünglichen darstellen.<br />

Das wäre ja weiter nichts Aufregen<strong>de</strong>s, aber wir hätten uns damit zwei Schwierigkeiten<br />

eingehan<strong>de</strong>lt. Erstens wür<strong>de</strong> es be<strong>de</strong>uten, dass keine <strong>de</strong>r vier Varianten ursprünglich sein<br />

kann. Und zweitens hätten wir die Schwierigkeit erklären zu müssen, warum alle vier<br />

Schreiber eine Kürzung vorgenommen hätten und warum nicht wenigstens einer von ihnen<br />

<strong>de</strong>n wirklichen ursprünglichen Wortlaut beibehalten hat. Gibt es eine an<strong>de</strong>re Lösung?<br />

Man könnte diese Abweichungen auch an<strong>de</strong>rs erklären. Man könnte annehmen, dass<br />

Markus (als das kürzeste und darum vielleicht älteste Evangelium) die älteste Version<br />

wie<strong>de</strong>rgibt, zumal seine Variante auch die kürzeste ist. <strong>Die</strong> an<strong>de</strong>rn Evangelien wür<strong>de</strong>n dann<br />

an <strong>de</strong>r knappen Markus-Variante leichte Präzisierungen o<strong>de</strong>r Deutungen vorgenommen<br />

haben. <strong>Die</strong> Präzisierungen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren drei Evangelien wür<strong>de</strong>n ja durchaus Sinn machen,<br />

<strong>de</strong>nn als das Schild über <strong>de</strong>m Kopf Jesu hing, wird es keine Unklarheit darüber gegeben<br />

haben, wen Pilatus mit „<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n König“ gemeint hatte, wohingegen man dies als später<br />

beim bloßen Erzählen leicht in Frage stellen konnte. Insofern wäre es dann unzwei<strong>de</strong>utig, in<br />

die Inschrift <strong>de</strong>n Namen Jesu mit aufzunehmen.<br />

Wir können hier nicht mit Sicherheit sagen, welche <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Erklärungen für die<br />

Abweichungen nun die richtige ist. Es mag eine Sache <strong>de</strong>s persönlichen Geschmacks sein.<br />

Letztlich ist das aber auch gar nicht entschei<strong>de</strong>nd. Der Streitpunkt zwischen Ju<strong>de</strong>n und<br />

Christen entfachte sich ja ohnehin nicht darüber, was genau auf <strong>de</strong>m Schild geschrieben war,<br />

son<strong>de</strong>rn darüber, ob Jesus tatsächlich <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n König sei o<strong>de</strong>r ob er nur behauptet habe, es<br />

zu sein. In Joh. 19, 21-22 wird erzählt, dass „die Hohenpriester <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n“ Pilatus<br />

auffor<strong>de</strong>rten, nicht „Der Ju<strong>de</strong>n König zu schreiben“, son<strong>de</strong>rn „dass er gesagt habe: Ich bin<br />

<strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n König“, worauf Pilatus geantwortet haben soll: „Was ich geschrieben habe, das<br />

habe ich geschrieben.“ <strong>Die</strong> Formulierung „die Hohenpriester <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n“ (es gab immer nur<br />

einen Hohenpriester <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n!) könnte nahelegen, dass wir es hier möglicherweise mit einer<br />

nachträglichen Erzählerweiterung zu tun haben, die <strong>de</strong>n Streit zwischen Christen und Ju<strong>de</strong>n<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Person Jesu auf <strong>de</strong>n Punkt bringt.<br />

Wir können schon anhand dieser wenigen Beispiele erkennen, dass die <strong>historisch</strong>en<br />

Fragen meist nicht letztgültig beantwortet wer<strong>de</strong>n können. Aber sehen wir uns ein weiteres<br />

Beispiel an:

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