Die historisch-kritische Methode – kritisch betrachtet - Kurt Bangert.de
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2. <strong>Die</strong> zweite Voraussetzung ist die Überzeugung, dass dieses heilige Buch <strong>historisch</strong><br />
gewachsen ist. Es ist nicht vom Himmel gefallen, son<strong>de</strong>rn von ganz verschie<strong>de</strong>nen<br />
Menschen zu unterschiedlichen Zeiten und Anlässen geschrieben, die es jeweils aufzuhellen<br />
gilt. Und obwohl man diesen biblischen Verfassern unterstellt, dass Gott durch sie gere<strong>de</strong>t<br />
hat, sind sie als Menschen doch Kin<strong>de</strong>r ihrer Zeit und darum nicht unfehlbar. <strong>Die</strong><br />
Anerkennung <strong>de</strong>r potentiellen „Fehlbarkeit“ <strong>de</strong>r biblischen Schreiber und ihrer Texte ist<br />
somit die zweite Voraussetzung. Durch sie ist begrün<strong>de</strong>t, dass die biblischen Texte mittels<br />
<strong>de</strong>r <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong>n <strong>Metho<strong>de</strong></strong> nicht nur auf ihre kontextuale Entstehungsgeschichte,<br />
son<strong>de</strong>rn auch auf ihre <strong>historisch</strong>e Verifizierbarkeit hin untersucht wer<strong>de</strong>n können und<br />
dürfen.<br />
Bei<strong>de</strong> Voraussetzungen sind von enormer Tragweite. <strong>Die</strong> erste Voraussetzung lädt <strong>de</strong>n<br />
diese Vorraussetzung akzeptieren<strong>de</strong>n Leser dazu ein, hinter <strong>de</strong>n Texten <strong>de</strong>r menschlichen<br />
Autoren Gottes Re<strong>de</strong> zu vermuten und zu ent<strong>de</strong>cken. <strong>Die</strong> zweite Voraussetzung entzaubert<br />
<strong>de</strong>n biblischen Text etwas, in<strong>de</strong>m er ihm <strong>de</strong>n Nimbus <strong>de</strong>r Irrtumslosigkeit o<strong>de</strong>r<br />
Unfehlbarkeit nimmt. Nicht, dass man Gottes Re<strong>de</strong>n in Zweifel zöge, aber <strong>de</strong>r traditionelle<br />
Anspruch <strong>de</strong>r uneingeschränkten Irrtumslosigkeit <strong>de</strong>r Bibel wird nicht mehr aufrecht<br />
erhalten.<br />
Wer diese letzte Voraussetzung nicht anerkennt, muss notwendigerweise die <strong>historisch</strong><strong><strong>kritisch</strong>e</strong><br />
Beschäftigung mit <strong>de</strong>r Bibel ablehnen. Der braucht auch nicht mehr weiterzulesen,<br />
weil dieses Kapitel sich mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen <strong>Metho<strong>de</strong></strong>n <strong>de</strong>r <strong>historisch</strong>en Bibelkritik<br />
beschäftigt. Wer diese zweite Voraussetzung aber anerkennt, kann die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong><br />
<strong>Metho<strong>de</strong></strong> getrost anwen<strong>de</strong>n. Das heißt nicht, dass er alle mittels dieser <strong>Metho<strong>de</strong></strong> zutage<br />
geför<strong>de</strong>rten Ergebnisse im Einzelnen anerkennen muss, zumal viele dieser „Ergebnisse“<br />
nicht auf harten Fakten beruhen, son<strong>de</strong>rn häufig genug Spekulationen darstellen, die nicht<br />
beweisfähig sind. Viele Ergebnisse bleiben im Dunkeln und lassen sich nicht endgültig<br />
klären. Das spricht nicht gegen die <strong>Metho<strong>de</strong></strong> selbst, son<strong>de</strong>rn allenfalls gegen diejenigen, die<br />
sie anwen<strong>de</strong>n, insofern sie an Schlussfolgerungen festhalten, die mehr spekulativ als faktisch<br />
sind.<br />
Aber die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong> <strong>Metho<strong>de</strong></strong> hat eine Beschränkung, auf die hingewiesen<br />
wer<strong>de</strong>n muss. Sie ist keine <strong>Metho<strong>de</strong></strong>, um Gott zur Sprache zu bringen o<strong>de</strong>r das Hören <strong>de</strong>s<br />
Wortes Gottes zu ermöglichen. Sie kann allenfalls <strong>de</strong>n Weg dazu ebnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n<br />
dafür vorbereiten. Aber um Gottes Wort zu hören, bedarf es einer an<strong>de</strong>ren <strong>Metho<strong>de</strong></strong>: nämlich<br />
<strong>de</strong>s andächtigen, stillen Lesens <strong>de</strong>s biblischen Textes und gleichzeitigen Lauschens nach <strong>de</strong>r<br />
Stimme Gottes, insbeson<strong>de</strong>re was mein eigenes Leben angeht. Nur wenn ich frage: Was will<br />
mir Gott mit diesem Text sagen, habe ich eine Chance, Gottes Stimme auch wirklich zu hören<br />
und zu verstehen. <strong>Die</strong>se Haltung eines erwartungsvollen und vertrauensvollen sich Öffnens<br />
und Hörens auf das Wort Gottes kann ich im Prinzip auch ohne die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong><br />
<strong>Metho<strong>de</strong></strong> einnehmen. Ich muss auch kein Theologe o<strong>de</strong>r Religionswissenschaftler sein, um<br />
Gott zu hören.<br />
Aber es kommt auch immer wie<strong>de</strong>r vor, dass die biblischen Texte <strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren Leser unerträglich anstößig erscheinen, etwa wenn <strong>de</strong>r Gott Israels seinem Volk<br />
vorschreibt, wie sie die Nachbarstämme abschlachten sollen. Und für solche und ähnliche<br />
Fälle kann die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong> <strong>Metho<strong>de</strong></strong> dazu dienen, Gott hinter <strong>de</strong>m Schutt <strong>historisch</strong>kulturellen<br />
Abfalls hervorzukehren und freizuschaufeln, wenn man das so salopp sagen