Die historisch-kritische Methode – kritisch betrachtet - Kurt Bangert.de
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zwischen ihr und <strong>de</strong>r alten Inspirationslehre, ich wür<strong>de</strong> entschlossen zu <strong>de</strong>r letzteren<br />
greifen: sie hat das größere, wichtigere Recht, weil sie auf die Arbeit <strong>de</strong>s Verstehens selbst<br />
hinweist, ohne die alle Zurüstung wertlos ist.“ 2<br />
Karl Barth hatte erkannt, dass die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong> <strong>Metho<strong>de</strong></strong> <strong>de</strong>r Kirche nicht nur gute<br />
<strong>Die</strong>nste erwiesen hatte. Gleichwohl hielt er an ihr fest, weil er in <strong>de</strong>r Alternative „Bibelkritik“<br />
einerseits und „Inspirationslehre“ an<strong>de</strong>rerseits kein Entwe<strong>de</strong>r/O<strong>de</strong>r sah, son<strong>de</strong>rn ein<br />
Sowohl/Als-auch. Barth und Bultmann, die ja auch einen längeren Briefwechsel miteinan<strong>de</strong>r<br />
führten, waren sich im Wesentlichen darin einig, die <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong> <strong>Metho<strong>de</strong></strong> als<br />
theologisches Handwerkszeug beizubehalten, aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer<br />
sich am bestehen<strong>de</strong>n biblischen Text orientierten Verkündigung hinzuweisen.<br />
Wir wollen uns nunmehr <strong>de</strong>n einzelnen Arbeitsbereichen <strong>de</strong>r <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong>n<br />
<strong>Metho<strong>de</strong></strong> zuwen<strong>de</strong>n und sie an konkreten Beispielen veranschaulichen.<br />
Textkritik und Textgeschichte<br />
Eine <strong>de</strong>r ersten Schritte <strong>de</strong>r <strong>historisch</strong>-<strong><strong>kritisch</strong>e</strong>n Methodik ist die Textkritik, die nicht nur<br />
von mo<strong>de</strong>rnen, son<strong>de</strong>rn auch von konservativen Theologen für notwendig erachtet wird, um<br />
überhaupt festzustellen, von welchem Urtext wir ausgehen müssen. Obwohl die<br />
Verwendung <strong>de</strong>r Textkritik somit in <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen biblizistischer und<br />
mo<strong>de</strong>rn-wissenschaftlicher Theologie unstrittig ist, will ich sie doch anhand einiger<br />
konkreter Beispiele veranschaulichen, und sei es nur <strong>de</strong>shalb, um hernach <strong>de</strong>n Unterschied<br />
zwischen Textkritik und Literarkritik zu ver<strong>de</strong>utlichen. Letztere <strong>Metho<strong>de</strong></strong> wird von heutigen<br />
Theologen immer wie<strong>de</strong>r herangezogen, um die Entstehung biblischer Texte zu verstehen,<br />
während streng Bibelgläubige sich mit dieser <strong>Metho<strong>de</strong></strong> schon recht schwer tun. Aber wen<strong>de</strong>n<br />
wir uns erst einmal <strong>de</strong>r Textkritik zu, die auch Textgeschichte genannt wird, weil es auch<br />
hier schon darum geht, die Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>r Bibel nachzuzeichnen. Übrigens<br />
zeigt <strong>de</strong>r auch von sehr konservativen Auslegern akzeptierte Begriff <strong>de</strong>r „Textkritik“ sehr<br />
<strong>de</strong>utlich, dass das Wort „Kritik“ in diesem Zusammenhang nichts mit einer skeptischen<br />
Einstellung zum Bibeltext zu tun hat, son<strong>de</strong>rn lediglich für die „Untersuchung“ <strong>de</strong>s Textes<br />
steht. Warum ist Textkritik überhaupt nötig?<br />
Bevor wir uns an irgen<strong>de</strong>ine Bibelauslegung heranwagen können, müssen wir feststellen,<br />
wie <strong>de</strong>r Text, <strong>de</strong>n wir verstehen wollen, überhaupt lautet. Wir wollen also wissen, wie <strong>de</strong>r<br />
„Urtext“ lautet. Dabei ist <strong>de</strong>r Ausdruck „Urtext“ eigentlich irreführend. Denn einen “Ur“-<br />
Text im strengen Sinne besitzen wir überhaupt nicht. Der Urtext im strengeren Sinn wäre ja<br />
das Original, also die ursprüngliche Fassung <strong>de</strong>r biblischen Schreiber. Aber <strong>de</strong>rartige<br />
Originale gibt es nicht, je<strong>de</strong>nfalls haben wir noch nie eines gefun<strong>de</strong>n. Alles, was uns zur<br />
Verfügung steht, sind spätere Abschriften beziehungsweise Abschriften von Abschriften.<br />
<strong>Die</strong>se Abschriften sind von unterschiedlicher Qualität: Einige sind früheren Datums, an<strong>de</strong>re<br />
älteren Datums. Bei einigen Kopien kann man erkennen, dass sie von an<strong>de</strong>ren Handschriften<br />
abgeschrieben und sogar <strong>de</strong>ren Rechtschreibfehler o<strong>de</strong>r Auslassungsfehler, <strong>de</strong>ren es<br />
zahlreiche gibt, mit übernommen haben. Einige Kopierer haben eigenhändig die<br />
vermeintlichen Fehler <strong>de</strong>r früheren Handschriften zu korrigieren versucht o<strong>de</strong>r haben<br />
2 Karl Barth, Vorwort zur ersten Auflage seines „Römerbrief“-Kommentars, Evangelischer Verlag, Zollikorn-<br />
Zürich, 1954.