Die historisch-kritische Methode – kritisch betrachtet - Kurt Bangert.de
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„Es ist aber zu Jerusalem bei <strong>de</strong>m Schaftor ein Teich, <strong>de</strong>r heißt auf hebräisch Bethesda und hat<br />
fünf Hallen, in welchen lagen viele Kranke, Blin<strong>de</strong>, Lahme, Ausgezehrte. [Zusatz] Es war aber<br />
daselbst ein Mensch, <strong>de</strong>r lag schon achtunddreißig Jahre krank. Da Jesus <strong>de</strong>n sah liegen und<br />
vernahm, dass er schon lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund wer<strong>de</strong>n? Der<br />
Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, wenn das Wasser sich bewegt, <strong>de</strong>r mich<br />
in <strong>de</strong>n Teich bringe; wenn ich aber komme, so steigt ein an<strong>de</strong>rer vor mir hinein. Jesus spricht zu<br />
ihm: Stehe auf, nimm <strong>de</strong>in Bett und gehe hin!“ (Joh. 5, 1-3a, 5-8)<br />
Joh. 5, 3b-4 fehlt hier beim Hesych-Text. Es könnte ein Zusatz <strong>de</strong>s Verfassers <strong>de</strong>s<br />
Westlichen Textes sein, <strong>de</strong>r ihn als eine Erläuterung für nötig hielt, um die Bemerkung <strong>de</strong>s<br />
Kranken besser verständlich zu machen, <strong>de</strong>r in seiner Antwort an Jesus erwähnt, dass er<br />
nieman<strong>de</strong>n hätte, <strong>de</strong>r ihn in <strong>de</strong>n Teich führt, wenn sich das Wasser bewegt. Wollte man<br />
vermuten, <strong>de</strong>r Hesych-Text habe Vers 3b-4 ausgelassen, so müsste man begrün<strong>de</strong>n, warum<br />
er ihn ausgelassen haben könnte. Dafür läßt sich kaum ein Grund fin<strong>de</strong>n Als späteren<br />
Einschub hingegen kann man ihn sich schon besser erklären. In diesem Fall wür<strong>de</strong> auch eine<br />
allgemeine, in <strong>de</strong>r Textkritik gern angewandte Regel zutreffen, die da lautet: <strong>Die</strong> kürzere<br />
Lesart ist die ursprünglichere.<br />
Wir können hier nicht alle Beispiele zitieren, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Hesych-Text vom Westlichen<br />
Text abweicht, um im Einzelnen zu untersuchen, welche Lesarten jeweils als die<br />
ursprünglicheren anzusehen sind. Aber die Summe <strong>de</strong>r Vergleiche und die Anwendung<br />
einfacher Regeln wie die obige haben die Forscher zu <strong>de</strong>r Überzeugung kommen lassen, dass<br />
in <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Hesych-Text <strong>de</strong>r ältere <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Überlieferungen und damit auch <strong>de</strong>r<br />
ursprünglichere aller drei Texte zu gelten hat.<br />
Aber schauen wir uns ein weiteres Beispiel an, welches zeigt, dass <strong>de</strong>r Westliche Text als<br />
<strong>de</strong>r jüngere und <strong>de</strong>r Hesych-Text als <strong>de</strong>r ältere <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Texte anzusehen ist. <strong>Die</strong>ses<br />
Beispiel fin<strong>de</strong>n wir im Bericht vom Zeichen <strong>de</strong>s Jona in Lukas 11. Das Zeichen <strong>de</strong>s Jona<br />
möchte ich hier etwas gründlicher betrachten, weil ich zwei Dinge damit aufhellen will: Zum<br />
einen möchte ich zeigen, wie die unterschiedlichen Varianten <strong>de</strong>r drei o<strong>de</strong>r vier Evangelien<br />
die verschie<strong>de</strong>nen Lesarten beeinflusst haben. Und zum an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n wir dieses Beispiel<br />
von Jonas Zeichen später noch zum Verständnis <strong>de</strong>r Literarkritik benötigen. Aber schauen<br />
wir uns zunächst Luk. 11, 29-30 einmal genauer an.<br />
Luk. 11, 29-30:<br />
Hesych-Text:<br />
Da fing er an und sagte: <strong>Die</strong>s Geschlecht ist<br />
ein arges Geschlecht; es begehrt ein Zeichen,<br />
und es wird ihm kein Zeichen gegeben <strong>de</strong>nn<br />
nur das Zeichen <strong>de</strong>s Jona.<br />
Denn wie Jona ein Zeichen war <strong>de</strong>n<br />
Niniviten, so wird es auch <strong>de</strong>s Menschen<br />
Sohn sein diesem Geschlecht.<br />
Westlicher Text:<br />
Da fing er an und sagte: <strong>Die</strong>s Geschlecht ist<br />
ein arges Geschlecht; es begehrt ein Zeichen,<br />
und es wird ihm kein Zeichen gegeben <strong>de</strong>nn<br />
nur das Zeichen <strong>de</strong>s Jona.<br />
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im<br />
Bauch <strong>de</strong>s Fisches war, so wird auch <strong>de</strong>s<br />
Menschen Sohn in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sein.<br />
Nach <strong>de</strong>m Hesych-Text wird das Zeichen <strong>de</strong>s Jona dahingehend ge<strong>de</strong>utet, dass es Jesus<br />
selbst ist, <strong>de</strong>r allein durch sich und seine Predigt seinen Zeitgenossen ein Zeichen sein sollte:<br />
So wie Jona lediglich hinging und predigte und sich die Niniviten schon bei seiner Predigt