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Abfahren entdecken wir jede Menge Ringelblumen<br />
auf dem Platz vor der Kirche. Ob sie wohl<br />
geerntet und verarbeitet werden?<br />
San Marcos: REMHI<br />
Nach diesem ereignisreichen Tag besuchen uns<br />
am Abend im Hotel in San Marcos noch der<br />
Leiter des Büros von REMHI (San Marcos), Rodolfo<br />
Godínez und ein Mitarbeiter namens Oscar<br />
und erzählen uns von ihrer Arbeit im hiesigen<br />
Departement.<br />
REMHI bedeutet Recuperación de la Memoria<br />
Histórica, das heisst auf deutsch «Wiedererlangung<br />
des historischen Gedächtnisses». Es<br />
handelt sich um ein Projekt, das 1994 nach<br />
dem Abkommen über die Menschenrechte in<br />
Oslo von Bischof Gerardi initiiert wurde. Seine<br />
Idee war, der Bevölkerung zu ermöglichen,<br />
sich an ihre Geschichte zu erinnern und sie so<br />
aufzuarbeiten, denn «Ein Volk, das seine Geschichte<br />
vergisst, ist dazu verdammt, die Geschichte<br />
zu wiederholen.» Er gründete die sogenannte<br />
Wahrheitskommission und begann,<br />
die Bevölkerung über Plakate und durch das<br />
Radio über das Ziel des Projektes aufzuklären.<br />
Die Hälfte der Gemeinden im Bereich San Marcos<br />
wollten sich zunächst nicht mit der Sache<br />
befassen, sie hatten keinen Mut und fürchteten<br />
um ihre KatechetInnen, da noch lange nicht<br />
klar war, wie stabil der bisherige Friede war.<br />
In der ersten Phase des Projekts wurden die<br />
KatechetInnen ausgebildet. Sie wurden über<br />
die Inhalte der Friedensabkommen, die Rolle<br />
der katholischen Kirche und die Ursachen der<br />
Konflikte in der Vergangenheit aufgeklärt. Sie<br />
lernten, Interviews zu führen und mit Hilfe von<br />
psychologischer Begleitung zu ertragen, was<br />
die Menschen ihnen erzählten. Daran beteiligten<br />
sich 40 Männer und Frauen.<br />
In der zweiten Phase gingen diese ausgebildeten<br />
Menschen zu den Betroffenen und versuchten<br />
dort, einen Rahmen des Vertrauens zu<br />
schaffen und deren Ängste zu überwinden,<br />
denn keiner traute dem anderen mehr. Der Zugang<br />
zu den Frauen war offenbar leichter,<br />
denn 80% der Berichte stammen von Frauen.<br />
Das Kernstück des Projekts sind die sog. Testimonios,<br />
diese waren oft sehr schmerzhaft für<br />
die Menschen, sie benötigten sehr viel Zeit,<br />
Zeit zum Reden, Zeit zum Weinen, aber es war<br />
auch eine Befreiung, endlich über alles sprechen<br />
zu können, oft nach mehr als zehn Jahren.<br />
Alle Interviews wurden gesammelt, in das<br />
Büro des Erzbischofs gebracht und dort zu<br />
dem Bericht Guatemala Nunca Más zusammengefügt.<br />
Am 24.5.1998 wurde der Bericht<br />
der Öffentlichkeit vorgestellt und keine 50<br />
13<br />
Stunden später wurde Bischof Gerardi ermordet.<br />
In der Hauptstadt gibt es inzwischen eine<br />
Gedenkstätte für ihn, im April ist ein Gedächtnismarsch<br />
für Gerardi geplant.<br />
Die Ermordung Gerardis bedeutete zunächst<br />
einen Stopp für das gesamte Projekt, die alten<br />
Ängste tauchten wieder auf. Doch die Diözese<br />
San Marcos führte trotzdem ihre Arbeit fort.<br />
Inzwischen sind vier Bände mit unterschiedlichen<br />
Titeln und Themen erschienen, ausserdem<br />
gibt es eine populäre Version mit vielen<br />
Bildern, die wir auch für uns erwerben konnten.<br />
Als nächster Wunsch kam aus der Bevölkerung<br />
die Bitte um die Exhumierung der Toten. Für<br />
die Mayas haben der Tod und der Ort der Bestattung<br />
eine grosse Bedeutung. Durch die Ermordungen<br />
war der Zyklus Geburt – Tod unterbrochen<br />
worden, denn oft wurden die Toten<br />
entweder von den Angehörigen oder vom Militär<br />
ohne Ritus ganz schnell in Massengräbern<br />
verscharrt .<br />
Der Bischof der Diözese, Alvaro Ramazzini,<br />
fördert das Projekt mit viel Mut und Engagement.<br />
Er hat viele Auslandkontakte, dadurch<br />
wird es auch finanzierbar. In den Kirchengemeinden<br />
werden weiterhin AnimatorInnen ausgebildet,<br />
die ihr Wissen weitergeben sollen und<br />
können.<br />
Die Regierung versucht immer wieder, das Projekt<br />
zu stoppen. Die Opfer werden immer älter<br />
und eine Wiedergutmachung, die auch gefordert<br />
wird, kann evtl. nicht mehr stattfinden,<br />
weil sich alles in die Länge zieht. Doch es gibt<br />
auch immer wieder positive Prozesse, die Mut<br />
machen, fortzufahren. Mit Schulen wird zusammengearbeitet,<br />
so erfahren die Kinder die<br />
Geschichte ihrer Eltern und die Vergangenheit<br />
wird nicht vergessen. Gruppen, die sich gebildet<br />
haben, versuchen, einen legalen Status zu<br />
erreichen, um so den Zugang zu Geldern zu<br />
bekommen.<br />
Inzwischen ist der Hauptbereich ihrer Arbeit<br />
die Exhumierung. Deren Finanzierung ist problematisch,<br />
denn die psychologische Begleitung<br />
der Betroffenen und die Beerdigungen sind<br />
teuer. Und immer wieder gibt es noch neue<br />
Testimonios.<br />
Unsrerseits gibt es noch verschiedene Fragen,<br />
zum Beispiel:<br />
Welche war die Rolle der Kirche während des<br />
Prozesses? – Sie stand offenbar auf der Seite<br />
der Verfolgten, beeinflusst von der Befreiungstheologie.<br />
Das war auch der Grund dafür, dass<br />
die KatechetInnen verfolgt und bedroht wurden.