Kybernetik und Revolte
Kybernetik und Revolte
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1946 fand in New York eine wissenschaftliche Konferenz<br />
statt, deren Ziel darin bestand, die kybernetische Hypothese<br />
auf die Sozialwissenschaften auszuweiten. Die Teilnehmer<br />
waren sich einig über eine aufgeklärte Disqualifikation der<br />
philisterhaften Philosophien des Sozialen, die vom Individuum<br />
oder von der Gesellschaft ausgehen. Die Soziokybernetik<br />
sollte sich auf die Zwischenphänomene von sozialen Feedbacks<br />
konzentrieren, wie etwa diejenigen, welche die amerikanische<br />
Anthropologenschule damals zwischen »Kultur«<br />
<strong>und</strong> »Persönlichkeit« zu entdecken glaubte, um eine für amerikanische<br />
Soldaten bestimmte Charakterologie von Nationen<br />
zu erstellen. Das Unternehmen bestand darin, das dialektische<br />
Denken auf eine Beobachtung von Prozessen zirkulärer<br />
Kausalitäten innerhalb einer a priori invarianten gesellschaftlichen<br />
Gesamtheit zu reduzieren <strong>und</strong> Widerspruch <strong>und</strong> mangelnde<br />
Anpassung miteinander zu verbinden, wie etwa bei<br />
der zentralen Kategorie der kybernetischen Psychologie, dem<br />
double bind. Als Wissenschaft von der Gesellschaft will die<br />
<strong>Kybernetik</strong> eine soziale Regulierung erfinden, die zugunsten<br />
von Mikro-Mechanismen der Kontrolle <strong>und</strong> von Dispositiven<br />
auf Makro-Institutionen wie den Staat <strong>und</strong> den Markt verzichten<br />
kann. Das gr<strong>und</strong>legende Gesetz der Soziokybernetik<br />
ist das folgende: Wachstum <strong>und</strong> Kontrolle entwickeln sich<br />
in umgekehrtem Verhältnis. Es ist daher viel einfacher, eine<br />
kybernetische gesellschaftliche Ordnung in kleinem Maßstab<br />
zu schaffen: »Die schnelle Wiederherstellung von Gleichgewichtszuständen<br />
erfordert, daß die Abweichungen an den<br />
Orten selbst, an denen sie entstehen, aufgespürt werden <strong>und</strong><br />
daß die Korrektur in dezentralisierter Weise erfolgt.« Unter<br />
dem Einfluß von Gregory Bateson – dem von Neumann der<br />
Sozialwissenschaften – <strong>und</strong> der amerikanischen soziologischen<br />
Tradition, die von der Frage der Abweichung besessen<br />
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