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Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts - Unilibrary

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260 Das Erbe der alten Welt. <strong>Die</strong> Erscheinung Christi.<br />

<strong>Die</strong>s ist jedoch keine blosse Träumerei, sondern eine lebendige<br />

Überzeugung, ein G l a u b e, und, wie alles Lebende, erzeugt es<br />

wieder Leben. <strong>Die</strong> Helden seines Stammes und seine heiligen<br />

Männer erblickt er als „Übermenschen“ (wie Goethe sagt) hoch<br />

über der Erde schweben; ihnen will er gleichen, denn auch ihn<br />

zieht es hinan, und jetzt weiss er, aus welch‘ tief innerem<br />

Brunnen sie die Kraft schöpften, gross zu sein — — — <strong>Die</strong>ser<br />

Blick in die unerforschlichen Tiefen <strong>des</strong> eigenen Innern, diese<br />

Sehnsucht nach oben: das ist Religion. Religion hat zunächst<br />

weder mit Aberglauben noch mit Moral etwas zu thun; sie ist ein<br />

Zustand <strong>des</strong> Gemütes. Und weil der religiöse Mensch in<br />

unmittelbarem Kontakt mit einer Welt jenseits der Vernunft steht,<br />

so ist er Dichter und Denker: er tritt bewusst schöpferisch auf;<br />

ohne Ende arbeitet er an dem edlen Sisyphus-Werke, das<br />

Unsichtbare sichtbar, das Undenkbare denkbar zu gestalten;¹) nie<br />

finden wir bei ihm eine abgeschlossene, chronologische<br />

Kosmogonie und Theogonie, dazu erbte er eine zu lebendige<br />

Empfindung <strong>des</strong> Unendlichen; seine Vorstellungen bleiben im<br />

Flusse, erstarren niemals; alte werden durch neue ersetzt; Götter,<br />

in einem Jahrhundert hochgeehrt, sind im andern kaum dem<br />

Namen nach gekannt. Und doch bleiben die grossen Erkenntnisse<br />

fest erworben und gehen nie mehr verloren, obenan unter allen<br />

die grundlegende, welche Jahrtausende vor Christo der Rigveda<br />

folgendermassen auszusprechen suchte: „<strong>Die</strong> Wurzelung <strong>des</strong><br />

Seienden fanden die Weisen im H e r z e n,“ — eine Überzeugung,<br />

welche im neunzehnten Jahrhundert durch Goethe's Mund fast<br />

identischen Ausdruck fand:<br />

Ist nicht der Kern der Natur<br />

Menschen im H e r z e n?<br />

—————<br />

¹) Schön sagt Herder: „Der Mensch allein ist im Widerspruch mit sich und<br />

mit der Erde; denn das ausgebildetste Geschöpf unter allen ihren<br />

Organisationen ist zugleich das unausgebildetste in seiner eigenen n e u e n<br />

A n l a g e — — — Er stellt also zwo Welten auf einmal dar, und das macht die<br />

anscheinende Duplicität seines Wesens“ (Ideen zur Geschichte der Menschheit,<br />

Teil I, Buch V, Abschnitt 6).

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