Kannetzky Cartesianische Prämissen
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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />
wird der Geist als Seele, als individuelles Bewusstsein des Ich aufgefasst. Der<br />
Cartesianismus führt damit zum Individualismus, zum Nominalismus in Fragen<br />
des Geistes. 22 Das notorische ontologische Problem des Geistes scheint damit gelöst:<br />
Geist ist Psyche. Zugleich wird damit eine Erklärungs- und Darstellungsnorm<br />
der Rede über Geistiges gesetzt: Überindividuelles ist auf Individuelles zurückzuführen,<br />
Objektivität auf Subjektivität. 23 Damit ist zweitens auf engste verknüpft,<br />
was man die Psychologisierung des Geistes nennen kann. 24 Das bedeutet,<br />
dass man, um die Gehalte, die Funktionsweise, die Reichweite und die Grenzen<br />
des Geistes zu erfassen, das Seelenleben der einzelnen Person(en) betrachteten<br />
muss. Die wichtigste (und in der Konsequenz einzige) Quelle der Kenntnis über<br />
den, nun auf das seelische Innenleben geschrumpften, Geist ist die Introspektion,<br />
die nach innen gerichtete Wahrnehmung: Ich weiß, was in meinem Inneren vorgeht,<br />
die Tätigkeiten meines Geistes sind mir unmittelbar bewusst, und ich kann<br />
meine Aufmerksamkeit darauf richten. Das Denken „wird deshalb eher und sicherer<br />
als die körperlichen Gegenstände erkannt; denn man begreift es schon,<br />
während man über alles Andere noch zweifelt.“ 25 Damit wird ein weiterer Zug<br />
des Cartesianismus deutlich: Der Geist ist privat – nur ich kann wissen, was in<br />
meinem Inneren vorgeht – und zwar aus begrifflichen Gründen. Denn die<br />
Introspektion, welche die Erkenntnisart der Vorgänge und Zustände des Geistes<br />
darstellt, ist als Selbstbeobachtung des Inneren anderen per definitionem nicht<br />
zugänglich. Deshalb ist das Individuum mit Blick auf sein Seelenleben erste und<br />
22 Gegen die Deutung des Cartesianismus als Individualismus spricht auch nicht, dass das cartesianische<br />
Ich als transzendentales Ich gedeutet werden kann. Denn worauf es ankommt ist, wie diese<br />
transzendentalen Bedingungen der Teilnahme an menschlichen Praxen realisiert sind: Als quasinatürliche<br />
Kompetenzen eines jeden einzelnen Subjektes, gewissermaßen als das natürliche oder angeborene<br />
Allgemeine beliebiger Ichs, oder als Resultat der Aneignung kultureller Formen? Sind sie<br />
mittels (im logischen Sinne) universeller oder mittels generischer Sätze zu beschreiben? Was eine<br />
transzendentale Bedingung von Subjektivität ist, gilt per definitionem für jedes einzelne Individuum,<br />
die umgekehrte Richtung der Implikation gilt nicht. Auch wenn die transzendentale Deutung<br />
interessanter ist, scheint mir, dass Descartes Behauptungen eher als universelle zu lesen sind.<br />
Ich will aber an dieser Stelle nicht um die Lesart streiten, weil es mir um die Charakterisierung eines<br />
Theorietypus geht, an dessen Tradition sich einflussreiche Hauptrichtungen des gegenwärtigen<br />
Philosophierens orientieren, und dieser Theorietypus zielt auf universelle Sätze.<br />
23 Als Ausweg aus dieser Ungereimtheit bietet sich an, Objektivität auf Intersubjektivität zurückzuführen.<br />
Die Frage ist dann allerdings, in welchem Sinne Intersubjektivität zu verstehen ist. Die<br />
bloß zufällige Allgemeinheit von Vorstellungen, Normen etc. in einer Population jedenfalls genügt<br />
nicht. Es bedarf vielmehr einer von den individuellen Vorstellungen unabhängigen, „idealen“ Intersubjektivität,<br />
an der sich die Richtigkeit faktischer Übereinstimmungen bemisst. Diese stellt<br />
sich nicht einfach ein, sondern muss vor dem Hintergrund gemeinsamer Traditionen gemeinsam<br />
hergestellt und anerkannt werden. Ich komme darauf zurück.<br />
24 Obwohl Individualismus und Psychologismus in der Philosophie des Geistes faktisch eng zusammenhängen,<br />
oft bis zur Unkenntlichkeit ihres Unterschiedes, ist es sinnvoll, sie zu unterscheiden.<br />
Der Individualismus betrifft die Form möglicher Erklärungen und Theorien, er entscheidet die<br />
Frage, was Explanans und was Explanandum ist; der Psychologismus bestimmt ihren materialen<br />
Gehalt. Der Mentalismus als prima facie plausibelste Verbindung dieser Theoriedimensionen verknüpft<br />
das individualistische Theorieformat mit dem Gehalt psychologischer Begriffsbildungen.<br />
Der Intentionalismus ist dann der ins Handlungstheoretisch-Pragmatische gewendete Mentalismus.<br />
25 Prinzipien I/8