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Kannetzky Cartesianische Prämissen

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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />

messen oder unangemessen, kurz: der Korpus der Zwecke, Erfüllungsbedingungen<br />

und Normen der Handlungsform, kann nur sprachlich (wenn auch nicht in<br />

jedem einzelnen Fall als explizites Regelwissen) repräsentiert werden, denn es<br />

hängt von den realen Bewertungen des jeweiligen Tuns als diese oder jene bestimmte<br />

Handlung, den entsprechenden Stellungnahmen und normativen Konsequenzen<br />

ab. Damit hängt zusammen, dass Verstehen keine primär epistemische<br />

Frage der Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens bestimmter geistiger<br />

Zustände ist, sondern eine praktische Frage der letztlich gemeinsamen, kommunikativen<br />

Festlegung und Anerkennung eines Tuns als Handlung eines bestimmten<br />

Typs. 93 Präsident werde ich nicht, oder nur in meiner Einbildung, wenn ich<br />

mir eine bunte Schärpe um den Bauch binde, den Eid spreche etc.; zum Versprechen<br />

gehört nicht nur das Versprechengeben, sondern auch die Annahme des<br />

Versprechens durch den Adressaten u.a.<br />

Vor diesem Hintergrund kehrt sich das gesamte Bild des intentionalen Geschehens<br />

um: Die Privatheit geistiger Zustände erweist sich als Mythos. Sie ist<br />

nicht der „Standardfall“, sondern bezieht sich auf Beispielfälle von Personen, die<br />

an bestimmten fundamentalen Praxen gerade nicht teilnehmen und daher nicht<br />

unter deren Rationalitätsstandards fallen. Daher sind reale Beispiele für die „echte“<br />

Privatheit von Intentionen im Grunde nur als (relativ zu unseren Praxen) „pathologische“<br />

Fälle möglich, etwa als „idealtypischer“ Autismus oder rein affektives<br />

Verhalten wie im Wutausbruch etc., also als Modi des Verhaltens, die sich<br />

unseren „Gepflogenheiten“ und deren interner Rationalität entziehen. Wo sie dies<br />

nicht tun, sind uns die geistigen Zustände anderer nicht nur prinzipiell zugänglich,<br />

sondern es kann erst unter dieser Bedingung überhaupt von Absichten gesprochen<br />

werden. (Im Falle des nichtkalkulierten Wutausbruchs z.B. sprechen<br />

nämlich weder wir noch der Wüterich von einer absichtlichen Handlung.) Im<br />

Lichte des Privatsprachenargumentes erscheint die Möglichkeit skeptischer und<br />

dann auch solipsistischer Folgerungen mit Blick auf die Möglichkeit des Verstehens<br />

anderer daher als negatives Adäquatheitskriterium für Theorien des Geistes,<br />

des Verstehens, der Kommunikation und des individuellen wie des kollektiven<br />

Handelns: Dass eine Theorie skeptische, insbesondere aber solipsistische Konsequenzen<br />

als Normalfolgerungen zulässt, zeigt, dass sie dem Privatsprachenargument<br />

und seiner Verallgemeinerung als Privathandlungsargument nicht gerecht<br />

wird.<br />

Das Privatsprachenargument benennt damit ex negativo die Bedingungen<br />

sinnvoller Rede über „den Geist“, d.h. über Wahrnehmen und Handeln, Sprechen<br />

und Denken, über Sinn und Bedeutung, Intention und Richtigkeit, nämlich den<br />

Bezug auf geteilte Handlungs- und Praxisformen. Was eine Handlung ist, versteht<br />

man erst, wenn man das Handeln in der Gemeinschaft und seine Verobjek-<br />

93 Auch dies ein Kantscher Gedanke: Wir verfügen da über (apodiktisches) Wissen, wo wir „Gesetzgeber“<br />

sind. – Wir verstehen intentionales Geschehen, wo unsere Handlungs- und Praxisformen,<br />

unsere Kompetenzen und Festlegungen für dieses Geschehen in seiner normativen Formbestimmtheit<br />

konstitutiv sind.

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