Kannetzky Cartesianische Prämissen
Kannetzky Cartesianische Prämissen
Kannetzky Cartesianische Prämissen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
154<br />
Frank <strong>Kannetzky</strong><br />
messen oder unangemessen, kurz: der Korpus der Zwecke, Erfüllungsbedingungen<br />
und Normen der Handlungsform, kann nur sprachlich (wenn auch nicht in<br />
jedem einzelnen Fall als explizites Regelwissen) repräsentiert werden, denn es<br />
hängt von den realen Bewertungen des jeweiligen Tuns als diese oder jene bestimmte<br />
Handlung, den entsprechenden Stellungnahmen und normativen Konsequenzen<br />
ab. Damit hängt zusammen, dass Verstehen keine primär epistemische<br />
Frage der Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens bestimmter geistiger<br />
Zustände ist, sondern eine praktische Frage der letztlich gemeinsamen, kommunikativen<br />
Festlegung und Anerkennung eines Tuns als Handlung eines bestimmten<br />
Typs. 93 Präsident werde ich nicht, oder nur in meiner Einbildung, wenn ich<br />
mir eine bunte Schärpe um den Bauch binde, den Eid spreche etc.; zum Versprechen<br />
gehört nicht nur das Versprechengeben, sondern auch die Annahme des<br />
Versprechens durch den Adressaten u.a.<br />
Vor diesem Hintergrund kehrt sich das gesamte Bild des intentionalen Geschehens<br />
um: Die Privatheit geistiger Zustände erweist sich als Mythos. Sie ist<br />
nicht der „Standardfall“, sondern bezieht sich auf Beispielfälle von Personen, die<br />
an bestimmten fundamentalen Praxen gerade nicht teilnehmen und daher nicht<br />
unter deren Rationalitätsstandards fallen. Daher sind reale Beispiele für die „echte“<br />
Privatheit von Intentionen im Grunde nur als (relativ zu unseren Praxen) „pathologische“<br />
Fälle möglich, etwa als „idealtypischer“ Autismus oder rein affektives<br />
Verhalten wie im Wutausbruch etc., also als Modi des Verhaltens, die sich<br />
unseren „Gepflogenheiten“ und deren interner Rationalität entziehen. Wo sie dies<br />
nicht tun, sind uns die geistigen Zustände anderer nicht nur prinzipiell zugänglich,<br />
sondern es kann erst unter dieser Bedingung überhaupt von Absichten gesprochen<br />
werden. (Im Falle des nichtkalkulierten Wutausbruchs z.B. sprechen<br />
nämlich weder wir noch der Wüterich von einer absichtlichen Handlung.) Im<br />
Lichte des Privatsprachenargumentes erscheint die Möglichkeit skeptischer und<br />
dann auch solipsistischer Folgerungen mit Blick auf die Möglichkeit des Verstehens<br />
anderer daher als negatives Adäquatheitskriterium für Theorien des Geistes,<br />
des Verstehens, der Kommunikation und des individuellen wie des kollektiven<br />
Handelns: Dass eine Theorie skeptische, insbesondere aber solipsistische Konsequenzen<br />
als Normalfolgerungen zulässt, zeigt, dass sie dem Privatsprachenargument<br />
und seiner Verallgemeinerung als Privathandlungsargument nicht gerecht<br />
wird.<br />
Das Privatsprachenargument benennt damit ex negativo die Bedingungen<br />
sinnvoller Rede über „den Geist“, d.h. über Wahrnehmen und Handeln, Sprechen<br />
und Denken, über Sinn und Bedeutung, Intention und Richtigkeit, nämlich den<br />
Bezug auf geteilte Handlungs- und Praxisformen. Was eine Handlung ist, versteht<br />
man erst, wenn man das Handeln in der Gemeinschaft und seine Verobjek-<br />
93 Auch dies ein Kantscher Gedanke: Wir verfügen da über (apodiktisches) Wissen, wo wir „Gesetzgeber“<br />
sind. – Wir verstehen intentionales Geschehen, wo unsere Handlungs- und Praxisformen,<br />
unsere Kompetenzen und Festlegungen für dieses Geschehen in seiner normativen Formbestimmtheit<br />
konstitutiv sind.