Kannetzky Cartesianische Prämissen
Kannetzky Cartesianische Prämissen
Kannetzky Cartesianische Prämissen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
124<br />
Frank <strong>Kannetzky</strong><br />
zess der Interpretation, der in der Kontrolle der Beteiligten steht und keiner weiteren<br />
Instanzen bedarf. Insbesondere ist er nicht an vorgegebene Formen oder<br />
Regeln gebunden. Zum Zeichen kann alles werden, dem von einem Sprecher mit<br />
der Absicht, etwas zu verstehen zu geben, Bedeutung verliehen wird. Auf diese<br />
Weise sollen dann auch sprachliche Konventionen zirkelfrei, d.h. ohne Rückgriff<br />
auf explizite Vereinbarungen, erläutert werden, nämlich per Gewohnheitsbildung<br />
aufgrund von Kommunikationserfolgen und darauf gründenden wechselseitigen<br />
Verhaltenserwartungen. 46 Die Idee einer handlungstheoretischen Semantik (Grice,<br />
Meggle), nach der sich Konventionalität aus dem wechselseitigen Bezug der<br />
Handlungen rationaler, intentionaler Akteure ergibt, kann nahtlos an Lockes Modell<br />
der sprachlichen Verständigung anschließen.<br />
Das Problem ist freilich, dass das Erfolgskriterium der Lockeschen Kommunikation,<br />
nämlich dass der Hörer versteht, was der Sprecher meint, keines ist,<br />
weil aufgrund der Basisannahmen keine sprecherunabhängigen Identifikationsund<br />
Individuationskriterien für geistige Zustände angegeben werden können.<br />
M.a.W.: Der Hörer kann allenfalls glauben, den Sprecher verstanden zu haben,<br />
ob er ihn tatsächlich versteht, kann er nach den Annahmen des Modells nicht<br />
entscheiden, ja, er kann nicht einmal gute Gründe für einen solchen Glauben geben.<br />
Denn in Lockes Theorie der Bedeutung und des Verstehens wiederholen<br />
sich die Muster des cartesianischen Handlungsbegriffs und der Trennung von Innen<br />
und Außen: Die der Sprache vorgängigen und unabhängig von ihr bestimmten<br />
geistigen Zustände der Person müssen aus ihrem äußeren Verhalten erschlossen<br />
werden. Und hier wie da gilt: Da es für die Zuordnung von Innerem und Äußerem<br />
keine logisch zwingenden Verfahren gibt, bleibt der Akteur bzw. der Sprecher<br />
die letzte Instanz des Sinns der Handlung bzw. der Bedeutung der Äußerung.<br />
47<br />
Für Lockes Modell, ganz allgemein: für jede intentionalistische bzw. mentalistische<br />
oder Meinenstheorie der Bedeutung und damit zugleich für jede Interpretationstheorie<br />
des Verstehens, ergibt sich daraus das Problem, dass die Möglichkeit<br />
des Verstehens nicht erläutert werden kann. Verstehen ist aufgrund der<br />
Privatheit des Geistes letztlich eine Sache des Zufalls, und selbst wenn der Hörer<br />
den Sprecher richtig versteht, kann er sich dessen nicht sicher sein. Denn, so Locke,<br />
jeder kann den Wörtern „offenbar nur seine eigenen Vorstellungen beilegen<br />
46 Das ist das einflussreiche Lewis-Modell sprachlicher Konventionen. Vgl. D. Lewis: Konventionen.<br />
Berlin; New York: de Gruyter, 1975.<br />
47 Gelegentlich werden zur Lösung des Problems Modelle der Induktion, der Wahrscheinlichkeitsbewertung,<br />
der Analogie- und Hypothesenbildung (Simulationstheorie bzw. Theorie-Theorie des<br />
Geistes), der besten Erklärung etc. als Hilfskonstruktionen angeboten, um die skeptischen Konsequenzen<br />
zu vermeiden. Aber: Diese Verfahren setzen immer schon eine Induktionsbasis, Regeln<br />
der Wahrscheinlichkeitsbewertung, sinnvolle Projektionsregeln etc. voraus, die doch gerade in<br />
Frage stehen – andernfalls sind die entsprechenden induktiven bzw. abduktiven Schlüsse wertlos.<br />
Die Ausarbeitung entsprechender detaillierter Kohärenzmodelle ist daher eher eine Verlegenheitslösung,<br />
die dem eigentlichen philosophischen Problem ausweicht – als ob man die Instandsetzung<br />
eines maroden Hauses beim Stuck statt bei den Fundamenten beginnen könnte.