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Kannetzky Cartesianische Prämissen

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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />

nur wenn der Geist als Summe je individueller Bewusstseinszustände und<br />

-ereignisse gefasst wird, ist es möglich, ihn mit Vorgängen und Ereignissen der<br />

physischen Welt zu korrelieren. Und nur unter dieser Grundannahme erscheint<br />

eine über die Feststellung physiologischer Bedingungen des Bewusstseins und<br />

seiner Pathologien hinausgehende naturwissenschaftliche Untersuchung des<br />

Geistes in objektivierender, d.h. vom hermeutischen und normativen Blick des<br />

Teilnehmers gemeinsamer Praxen abgekoppelten Perspektive sinnvoll, ebenso<br />

wie die Unterstellung, dass ein Verständnis des Geistes letztlich nur durch dessen<br />

Rückführung auf objektive Vorgänge der Körperwelt möglich und dass das<br />

Geist-Welt-Problem folglich in das Leib-Seele- bzw. Gehirn-Geist-Problem zu<br />

transformieren ist.<br />

Damit bleibt das naturalistische Forschungsprogramm den <strong>Prämissen</strong> cartesianischen<br />

Philosophierens verhaftet, unter denen das Bewusstsein zum Rätsel<br />

werden muss. Denn der Wesenszug der cartesianischen Philosophie ist der Rückzug<br />

nicht auf den Geist (als Gesamtheit der humanen Lebensformen und ihrer<br />

Möglichkeiten), sondern auf die Seele qua je eigenes Bewusstsein. Nur dessen<br />

Gehalte können mir unmittelbar gewiss sein. Die Außenwelt, und damit auch das<br />

Bewusstsein anderer, ist dagegen nur vermittelt zugänglich und damit anfällig für<br />

Täuschungen. Die generelle Möglichkeit solcher Täuschungen führt zum Zweifel<br />

an der Existenz einer vom Denken unabhängigen Außenwelt. Diesen radikalen<br />

Zweifel meint Descartes nur dadurch überwinden zu können, dass er die Existenz<br />

Gottes beweist, der uns nicht täuscht, d.h. der die Übereinstimmung von innerer<br />

und äußerer Welt garantiert. 60 Für Descartes ist es Gott, der beide Welten zusammenhält<br />

und garantiert, dass unseren Ideen etwas in der Welt entspricht und,<br />

so muss man ergänzen, dass wir handelnd Ziele erreichen können. Gott wird zur<br />

erkenntnis- und handlungstheoretisch notwendigen Hypothese. Gerät diese<br />

Hypothese ins Wanken, dann führt der Dualismus in unlösbare Probleme, weil er<br />

Geist und Welt begrifflich auseinanderreißt. Will man gegen den Skeptiker und<br />

den Solipsisten dennoch an der Möglichkeit von Erkenntnis und Handlung festhalten,<br />

dann scheint die einzige Lösung ein Monismus zu sein, und wenn der I-<br />

dealismus in Misskredit kommt, dann bleibt nur der Materialismus, der, gegeben<br />

den cartesianischen Problemrahmen, nun vor der Aufgabe steht, die kategorial<br />

getrennten Sphären von Geist und Welt in der res extensa, dem Bereich naturgesetzlicher<br />

Zusammenhänge, zusammenzuführen (Physikalismus, Funktionalismus,<br />

Epiphenomenalismus, Emergenz- und Supervinienztheorie etc.). Der Naturalismus<br />

als Programm der Erklärung bzw. Rückführung des Geistes und seiner<br />

Gehalte durch bzw. auf Materielles ist kein Cartesianismus, aber er hat seine<br />

60 In neueren Lesarten Descartes’ wird die zentrale systematische Rolle der ersten Substanz und damit<br />

der Gottesbeweise häufig übersehen oder kleingeredet. Ich halte das für falsch, weil dann unterstellt<br />

werden müsste, dass Descartes die teils absurden Konsequenzen seines Dualismus ignoriert<br />

oder diesen – gewissermaßen in einem vorweggenommenen linguistic turn – statt als ontische als<br />

ontologische (und ontisch neutrale) Unterscheidung zweier inkompatibler Redebereiche konzipiert<br />

hätte. In beiden Fällen ist aber nicht verständlich zu machen, warum Descartes den Gottesbegriff<br />

überhaupt bemüht.

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