03.11.2013 Aufrufe

Kannetzky Cartesianische Prämissen

Kannetzky Cartesianische Prämissen

Kannetzky Cartesianische Prämissen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

136<br />

Frank <strong>Kannetzky</strong><br />

wäre bei hinreichender Kenntnis der menschlichen Biologie und Physiologie<br />

dann auch das Problem der Interpretation von Handlungen prinzipiell lösbar:<br />

Beweggründe (oder eben: die Ursachen) und Mechanismen individuellen Handelns<br />

sind als neurophysiologische Dispositionen verankert, interindividuelle<br />

Unterschiede und Verhaltensvariationen erklären sich aus der individuellen<br />

Lerngeschichte des Organismus und seines Gehirns. Damit scheint ein objektiver<br />

Interpretationsrahmen möglichen Verhaltens vorgegeben, ein archimedischer<br />

Punkt des Verstehens. An dieses Erklärungsmuster schließen, trotz der Betonung<br />

der Besonderheit des Menschen und der Vermeidung falscher Allgemeinheit mit<br />

Blick auf den Tier-Mensch-Vergleich, bei entsprechender evolutionärer Deutung<br />

dann auch Chomskys „<strong>Cartesianische</strong> Linguistik“ der grammatischen Universalien<br />

und seine Theorie der angeborenen „mentalen Organe“ oder Fodors „Sprache<br />

des Geistes“, d.h. des individuellen Bewusstseins, die im Grunde eine universale,<br />

d.h. in jedem Individuum instantiierte, Privatsprache ist, an.<br />

Akzeptiert man den Cartesianismus und die daran anschließende Theorie des<br />

Geistes und der Handlung, dann muss auch das Soziale individualistisch, genauer:<br />

atomistisch, erklärt werden. Wenn es Geist ausschließlich in Form individueller<br />

Bewusstseinszustände gibt, also Intentionalität und Handlung individualtheoretische<br />

Begriffe sind, dann müssen soziale Phänomene, die gewöhnlich als<br />

„geistig“ angesprochen werden, etwa kollektive Intentionalität, gemeinsames<br />

Handeln, soziale Gruppen und ihre Kultur, ihre Normen, Regeln, Praxen und Institutionen<br />

letztlich als Aggregation bzw. Superposition individueller Intentionen<br />

und Handlungen bzw. als deren Resultate aufgefasst werden, ggf. auf Basis biologisch<br />

festgelegter individueller Dispositionen zu sozialem Verhalten. M.a.W.:<br />

Es gibt nur die Individuen und deren Handlungen, nur eine Welt monadischer,<br />

d.h. auch: asozialer, Individuen, die jedes für sich, in ihrer privaten Welt von Ü-<br />

berzeugungen und Wünschen leben und entscheiden und die als solche nicht<br />

bzw. nur in ihnen äußerlichen Wechselbeziehungen stehen. Koordination und<br />

Kooperation sowie darauf beruhende soziale Einrichtungen sind daher reduktiv<br />

in Begriffen individueller Überzeugungen, Wünsche, Entscheidungen und Übereinkünfte<br />

zu beschreiben, d.h. in Begriffen, die zunächst nur für Individuen Anwendung<br />

haben und deren Zutreffen letztlich nur vom Individuum selbst beurteilt<br />

werden kann. 67<br />

sondere mit Blick auf nichtmenschliche Primaten. Aufgrund des genetischen Befundes, dass sich<br />

das Erbmaterial von Mensch und Affe nur in Bruchteilen unterscheidet, scheint auch die Interpretation<br />

der verhaltensbiologischen Daten auf der Hand zu liegen: Es liegt alles in den Genen, es gibt<br />

keinen evolutionären Bruch zwischen Tier und Mensch, folglich auch keinen kategorialen Unterschied<br />

der Verhaltensbeschreibung. Daher sei der Mensch vollständig mit den Mitteln der Naturwissenschaft,<br />

insbesondere denen der Evolutionsbiologie und Genetik sowie der Neurophysiologie,<br />

beschreibbar – des irreduzibel normativen, intentionalen Vokabulars der Geistes- und Kulturwissenschaften<br />

bedürfe es dazu nicht mehr.<br />

67 Wieder ist das Lewis-Modell aus Konventionen einschlägig, dem in der einen oder anderen Weise<br />

auch so verschiedene Positionen wie die von Tuomela, Gilbert und Bratman, aber auch die von<br />

Searle folgen. Zur Diskussion des Individualismus in der Sozialphilosophie s. auch <strong>Kannetzky</strong><br />

2004.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!