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Kannetzky Cartesianische Prämissen

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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />

dern es gibt hier gar kein klar bestimmtes Handlungsschema. Folglich kann hier<br />

auch nicht von einer Sprache die Rede sein. Denn auch ein Empfindungsausdruck<br />

hat nur dann Bedeutung, wenn er einen (praktisch fassbaren) Unterschied<br />

markiert – die E-Eintragungen tun gerade dies nicht. Das Privatsprachenargument<br />

zeigt, dass es für ein im relevanten Sinne isoliertes Individuum unmöglich<br />

ist, eine Sprache zu sprechen, weil eine einzelne Person nicht über Kriterien der<br />

Befolgung sprachlicher Regeln verfügen kann, die sinnvolle Verwendung von<br />

Sprache aber an Regeln gebunden ist. Es zeigt damit auch, dass selbst die<br />

scheinbar privatesten, unmittelbar gewissen Empfindungen als solche sozial konstituiert<br />

und prinzipiell öffentlich zugänglich, wenngleich nicht in jedem Einzelfall<br />

öffentlich prüfbar, sind. 81<br />

4.3 Handlungstheoretische Deutung und Verallgemeinerung des Privatsprachenargumentes<br />

Ich schlage nun vor, das Privatsprachenargument nicht nur als sprachphilosophisches,<br />

i.e.S. bedeutungstheoretisches Argument zu lesen, sondern als ein handlungstheoretisches<br />

Argument, welches die begrifflichen Grundlagen jeder Theorie<br />

der Intentionalität und Handlung unmittelbar betrifft. Denn es lässt sich<br />

zwanglos verallgemeinern: Es gilt überall da, wo die Autorität der ersten Person<br />

hinsichtlich ihrer geistigen Vorgänge und Zustände Begründungs- oder Konstitutionslasten<br />

zu tragen hat, d.h. überall da, wo von individualpsychologischen Begriffen<br />

im genannten Sinne zur Erklärung sozialer Tatsachen wesentlich Gebrauch<br />

gemacht wird. Insbesondere erschüttert es den (intentionalistischen bzw. mentalistischen)<br />

Begriff der Handlung, sofern dieser wie im cartesianisch-lockeschen<br />

Modell unter wesentlichem Bezug auf Leistungen und Gehalte des individuellen<br />

Bewusstseins, insbesondere den „subjektiven Handlungssinn“, die Absicht, erklärt<br />

werden soll. 82 Denn eine Handlung zu verstehen bedeutet in diesem Modell,<br />

81 Dass man z.B. Schmerz vortäuschen, Mitleid heucheln etc. kann, setzt voraus, dass gewöhnlich<br />

nicht getäuscht und geheuchelt wird. Das Schmerzverhalten u.ä. verlöre sonst seinen Sinn, so wie<br />

die Lüge nur vor dem Hintergrund der Aufrichtigkeit bestehen kann. (vgl. auch G. Ryle: Der Begriff<br />

des Geistes, Kap. 6, sowie Kant zur Lüge). Aber auch wenn Aufrichtigkeit als pragmatische<br />

Präsumtion vorausgesetzt werden kann, sollte mit Blick auf die Rolle von Selbstauskünften über<br />

Empfindungen, Absichten etc. zwischen der Frage der Konstitution ihrer Gehalte einerseits, der<br />

Frage ihrer Verifikation andererseits unterschieden werden. Im Privatsprachenargument geht es um<br />

die Konstitution der Gehalte. Die Möglichkeit von authentischen Selbstauskünften der Teilnehmer<br />

gemeinsamer Praxen ist damit nicht bestritten, wenngleich immer die Möglichkeit einer Differenz<br />

von Selbst- und Fremdzuschreibung besteht, die nur kommunikativ aufgelöst werden kann. Denn<br />

ein Sprecher kann sich, entgegen den Annahmen des Cartesianismus, in seinen Selbstauskünften<br />

irren, er hat deshalb auch in Bezug auf seine „geistigen Zustände“ nicht notwendig das letzte Wort.<br />

82 M. Weber allerdings kennt neben der am subjektiven Handlungssinn ausgerichteten instrumentellen<br />

Rationalität (die gewöhnlich als Präferenzmaximierung gedeutet wird) noch andere Rationalitätstypen.<br />

Abgesehen von der Wertrationalität könnte man auch von einer „Formrationalität“ sprechen,<br />

wenn es um die an tradierten Handlungs- und Praxisformen ausgerichtete Handlung geht – und<br />

diese Art der Rationalität scheint für unseren Handlungsbegriff grundlegend zu sein, denn sie erlaubt<br />

die Identifikation und Bewertung der Handlung prima facie unabhängig von der Kenntnis der

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