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Kannetzky Cartesianische Prämissen

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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />

Denn mit dem Naturalisierungsprogramm wird die cartesianisch-lockesche<br />

Konzeption in ihrem wichtigsten Stück beibehalten: Grundphänomen ist das individuelle<br />

Seelenleben, das als solches scheinbar keiner weiteren Erläuterung<br />

bedarf. Dass ich etwas wahrnehme, glaube oder will, wird als selbstverständlich<br />

bekanntes Phänomen vorausgesetzt – jeder weiß, worum es geht. Als erklärungsbedürftig<br />

zählt deshalb nicht, was es im gewöhnlichen Sinne bedeutet, etwas<br />

wahrzunehmen etc., sondern nur, wie dies in einer Welt von physikalischen Teilchen<br />

möglich sein kann. Genau diese Selbstverständlichkeit wird im Privatsprachenargument<br />

befragt: Etwas wahrzunehmen, zu empfinden, glauben oder wollen<br />

bedeutet, etwas Bestimmtes wahrzunehmen etc. Bevor man sich an die (kausale)<br />

Erklärung der fraglichen Phänomene machen kann, muss erläutert werden,<br />

was die Bestimmtheit geistiger Phänomene bedeutet (d.h. auch: was sie impliziert).<br />

M.a.W.: Es ist zunächst nicht erläuterungsbedürftig, dass ich etwas wahrnehme,<br />

glaube oder will, sondern dass ich etwas Bestimmtes wahrnehme, glaube<br />

oder will. 72 An der Bestimmtheit hängt alles! Denn ohne die Bestimmtheit der intentionalen<br />

Zustände, ohne Kriterien ihrer Identifikation und Individuation laufen<br />

naturalistische Erklärungen ins Leere, schlicht weil der Erklärungsgegenstand<br />

unterbestimmt wäre. Das heißt, die Individuations- und Identifikationskriterien<br />

für Intentionen müssen aus logischen Gründen unabhängig von naturalistischen<br />

Beschreibungen und Erklärungen geistiger Zustände festliegen, andernfalls<br />

wären letztere von vornherein unmöglich – schlicht mangels Gegenstand.<br />

Die Frage ist nun, welche Kriterien hier möglich sind. Die cartesianischlockesche<br />

Antwort ist nach dem Vorangegangenem klar: Die Selbstauskunft des<br />

Individuums, weil es hinsichtlich seines Bewusstseins die letzte Autorität darstellt.<br />

Das Modell setzt voraus, dass das Subjekt (sei es als Sprecher, sei es als<br />

Akteur), für sich schon weiß, was es meint oder will, und zwar unabhängig von<br />

der Interaktion und Kommunikation mit anderen. Folglich wird eine Art Privatsprache<br />

vorausgesetzt, andernfalls gäbe es im Modell keine Bestimmtheit von Intentionen.<br />

73 Das Privatsprachenargument zeigt nun, dass ein im cartesianischlockeschen<br />

Sinne isoliertes, d.h. ein monadisches Subjekt nicht über Identifikati-<br />

72 Es wird unterstellt, dass „etwas“ und „etwas Bestimmtes“ die gleiche Extension haben – was zweifellos<br />

richtig ist, aber eben erklärungsbedürftig. Reden wir von „etwas“, dann ist gewöhnlich der<br />

(Rede-)Bereich, auf den sich „etwas“ als eine Art unbestimmter Quantor bezieht, mehr oder minder<br />

klar bestimmt, jedenfalls so weit, wie es möglich und nötig ist. „Etwas“ steht dann für einen<br />

Gegenstand einer dieser Sorte oder dieses Typs von Gegenständen. Mithin sind, je nach Redekontext,<br />

nicht beliebige Einsetzungen möglich. Wellmer spricht hier von der Notwendigkeit „kategorialer<br />

Erläuterungen“ (Sprachphilosophie, S. 99). Das Problem der Bestimmtheit haben schon Herder,<br />

Fichte, Hegel und Humboldt als Zentralproblem jeder Beschreibung und Erklärung der Phänomene<br />

des individuellen Bewusstseins erkannt. Da Wittgensteins Argumente genau diesen Punkt<br />

thematisieren, ist es sinnvoll, die Philosophischen Untersuchungen trotz aller Unterschiede, etwa<br />

mit Blick auf die Möglichkeit einer „Systemphilosophie“, in deren Tradition zu stellen.<br />

73 Vgl. dazu auch Searles Prinzip der Ausdrückbarkeit in Sprechakte, nämlich „daß man alles, was<br />

man meinen, auch sagen kann.“ (Sprechakte, S. 34). Searle selbst meint, dass dies die Möglichkeit<br />

einer Privatsprache nicht ausschließt (Sprechakte, S. 35). Ich glaube aber, dass allein schon dieses<br />

Prinzip mit der Möglichkeit einer Privatsprache nicht kompatibel ist (vgl. dazu <strong>Kannetzky</strong> 2001).

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