Kannetzky Cartesianische Prämissen
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Frank <strong>Kannetzky</strong><br />
das Erbe Lockes. Dabei geht es mir ausdrücklich nicht um eine Interpretation der<br />
Schriften Descartes’ oder Lockes. Vielmehr geht es mir um die Charakterisierung<br />
eines Theorietypus in der Philosophie und einiger seiner kaum beachteten Folgen<br />
auf Gebieten, zu denen sich Descartes nicht explizit bzw. unter einem anderen<br />
Interesse und v.a. vor einem anderen Hintergrund geäußert hat. Etwa ist für Descartes<br />
das Problem des Handelns vor allem ein Problem des „richtigen“ Handelns,<br />
also der Rationalität materialer Handlungsmaximen, nicht ein Problem der<br />
Identifikation und Möglichkeit von Handlungen selbst. Diese werden als unproblematisch<br />
unterstellt und stehen daher nicht im Fokus des Interesses. (So wird die<br />
Übereinstimmung von Einsicht und Handlung, ebenso wie die von Geist und<br />
Welt, also rationale Erkenntnis und rationales Handeln, letztlich von Gott garantiert.)<br />
Ähnlich unproblematisch ist für Descartes die Sprache und die sprachliche<br />
Verfasstheit des Geistes. Mich interessiert aber, was aus Descartes Konzeption<br />
wird, wenn diese Hintergrundsgewissheiten entfallen.<br />
3.1 Handlung und Interpretation, Unvermeidlichkeit des Solipsismus<br />
Wenn Geist und Welt, Inneres und Äußeres auseinanderfallen, dann hat das auch<br />
Konsequenzen für den Begriff der Handlung. Insbesondere erscheint die Übereinstimmung<br />
von Intention und Resultat der Handlung als bloß zufällig, als<br />
„Gnade des Schicksals“ (Wittgenstein). Intention und Handlungsergebnis sind<br />
logisch voneinander unabhängig. Wäre das Resultat von der Absicht des Akteurs<br />
abhängig, dann müsste die Absicht im Widerspruch zur Voraussetzung in den Bereich<br />
der Ursachen, also zur äußeren Welt gehören. 26 Eine Reaktion auf dieses<br />
Dilemma ist, den Dualismus anzugreifen und Absichten zu Ursachen des Handels<br />
zu erklären, also den Geist in die Kausalreihen der äußeren Welt einzuordnen,<br />
was der Freiheit und Spontaneität des Geistes widerspräche. 27 Mit der logischen<br />
Unabhängigkeit (bzw. der bloß empirischen Abhängigkeit) von Absicht<br />
und Ergebnis der Handlung lassen sich nun verschiedene lebensweltliche Erfahrungen<br />
in das cartesianische Bild integrieren. Zum einen, dass anscheinend jedes<br />
Tun auf verschiedene, teilweise sogar ausschließende Weisen gedeutet werden<br />
kann, also das Problem der richtigen Beschreibung oder „Rationalisierung“ 28 der<br />
Handlung, zum anderen die Erfahrung, dass Handlungen scheitern können. Beides<br />
wird zu notwendigen, aus begrifflichen Gründen geltenden, Eigenschaften<br />
von Handlungen. Auch daraus zieht der moderne Cartesianismus prima facie<br />
26 Zur Frage der Unabhängigkeit von innerem und äußeren Aspekt der Handlung s. auch G. H. v.<br />
Wright: Erklären und Verstehen. (3. Aufl.). Frankfurt a.M.: Hain.1991, S. 89ff.<br />
27 Die Lösung, „Kausalität aus Freiheit“ zu postulieren, ist ebenso fragwürdig, eine Scheinlösung, die<br />
das Problem nur verschiebt, indem anstatt zweier Substanzen zwei Redebereiche eingeführt werden,<br />
die nicht miteinander kompatibel sind. Bei Kant führt sie bekanntlich zur strikten Trennung<br />
von empirischen und intelligblen Charakter, zur Lehre vom Menschen als Bürger zweier Welten.<br />
28 Vgl. Davidsons Aufsatz „Handlungen, Gründe und Ursachen.“ Aufgrund seines die Fragestellungen<br />
der handlungstheoretischen Diskussion prägenden Einflusses, soll der Verweis auf Davidson<br />
hier als paradigmatisches Beispiel für die Lebendigkeit cartesianischen Denkens genügen.