Deutsche Revolution.pdf - Internationale Kommunistische Strömung
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Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.<br />
Sie hatte dabei keineswegs außer Acht<br />
gelassen, dass die Eroberung der Macht vor<br />
allem ein politischer Akt ist. Doch wollte sie<br />
einen anderen wichtigen Unterschied<br />
zwischen den revolutionären Prozess<br />
Russlands und Deutschlands beleuchten.<br />
1917 kam das russische Proletariat ohne<br />
größeren Gebrauch der Streikwaffe an die<br />
Macht. Doch war dies, wie Rosa Luxemburg<br />
hervorhob, nur möglich, weil die<br />
<strong>Revolution</strong> in Russland nicht 1917, sondern<br />
1905 begonnen hatte. Mit anderen<br />
Worten, das russische Proletariat hatte<br />
bereits vor 1917 die Erfahrung des<br />
Massenstreiks gemacht.<br />
Auf dem Kongress wiederholte sie nicht die<br />
Hauptgedanken, die von der Linken der<br />
Sozialdemokratie über den Massenstreik<br />
von 1905 entwickelt worden waren. Sie<br />
konnte getrost davon ausgehen, dass sie<br />
noch immer in den Köpfen der Delegierten<br />
präsent waren. Wir möchten sie an dieser<br />
Stelle kurz in Erinnerung rufen: Der<br />
Massenstreik ist die Vorbedingung für die<br />
Machtergreifung, gerade weil er die<br />
Trennung zwischen wirtschaftlichen und<br />
politischen Kämpfen aufhebt. Und<br />
während die Gewerkschaften selbst in<br />
ihren stärksten Zeiten als Instrumente der<br />
Arbeiter nur Minderheiten der Klasse<br />
organisierten, aktiviert der Massenstreik<br />
die „zusammen geknäuelte Masse der<br />
Heloten“ des Proletariats, der<br />
unorganisierten Massen, die unberührt<br />
vom Licht der politischen Bildung sind. Der<br />
Arbeiterkampf richtet sich nicht nur gegen<br />
die materielle Armut. Er ist eine Erhebung<br />
gegen die existierende Arbeitsteilung<br />
selbst, angeführt von ihren Hauptopfern,<br />
den Lohnsklaven. Das Geheimnis des<br />
Massenstreiks ist das Streben der<br />
Proletarier nach vollständiger<br />
Menschwerdung. Und nicht zuletzt: Der<br />
Massenstreik würde zur Wiederverjüngung<br />
der Arbeiterräte führen, indem der Klasse<br />
die organisatorischen Mittel verliehen<br />
werden, ihren Machtkampf zu<br />
zentralisieren.<br />
Daher beharrte Rosa Luxemburg in ihrer<br />
Rede auf dem Kongress darauf, dass die<br />
bewaffnete Erhebung der letzte, nicht der<br />
erste Akt des Machtkampfes sei. Die<br />
Aufgabe der Stunde, sagte sie, sei es nicht,<br />
die Regierung zu stürzen, sondern sie zu<br />
untergraben. Der Hauptunterschied zur<br />
bürgerlichen <strong>Revolution</strong> sei, so<br />
argumentierte sie, ihr Massencharakter,<br />
die Tatsache, dass sie von „unten“ komme.<br />
(9)<br />
Die Unreife des Kongresses<br />
Doch genau dies wurde auf dem Kongress<br />
nicht verstanden. Für viele Delegierten war<br />
die nächste Phase der <strong>Revolution</strong> nicht von<br />
Massenstreikbewegungen, sondern vom<br />
unmittelbaren Kampf um die Macht<br />
charakterisiert. Diese Konfusion wurde<br />
besonders deutlich von Otto Rühle (10)<br />
artikuliert, der behauptete, dass es möglich<br />
sei, innerhalb von vierzehn Tagen die<br />
Macht zu erobern. Selbst Karl Liebknecht<br />
wollte, obwohl er die Möglichkeit einer<br />
lang hingezogenen <strong>Revolution</strong> in Betracht<br />
zog, nicht die Möglichkeit einer „ganz<br />
rapiden Entwicklung“ ausschließen. (11)<br />
Wir haben jeden Grund, den<br />
Augenzeugenberichten Glauben zu<br />
schenken, denen zufolge insbesondere<br />
Rosa Luxemburg von den Resultaten dieses<br />
Kongresses schockiert und alarmiert war.<br />
Was Leo Jogiches anbelangt, soll seine<br />
erste Reaktion gewesen sein, Luxemburg<br />
und Liebknecht zu raten, Berlin zu<br />
verlassen und sich für eine Weile zu<br />
verstecken. (12) Er befürchtete, dass die<br />
Partei und das Proletariat sich auf eine<br />
Katastrophe zubewegten.<br />
Was Rosa Luxemburg am meisten<br />
alarmierte, waren nicht die<br />
verabschiedeten programmatischen<br />
Positionen, sondern die Blindheit der<br />
meisten Delegierten gegenüber der Gefahr,<br />
die die Konterrevolution darstellte, und die<br />
allgemeine Unreife, mit der die Debatten