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Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

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Jerzy Pilch Der Zug ins ewige Leben<br />

28<br />

Ein<br />

weiteres Anzeichen des sich im polnischen Lande<br />

verbreitenden Gesundheits-Faschismus ist<br />

– das sich mit riesigen Schritten nähernde und<br />

mit Triumph in den Medien angekündigte – völlige Rauchverbot<br />

in den InterCity-Zügen. Aus den diesbezüglichen<br />

Fahrgast-Umfragen der polnischen Bahn PKP geht hervor,<br />

dass sich achtzig Prozent der Reisegäste für ein solches Verbot<br />

aussprechen.<br />

Für die Raucher ist es eine enorme Ehre, dass sie in dieser<br />

erbärmlichen Epoche des gesunden, und folglich ewigen<br />

Lebens, eine zwanzigprozentige Unterstützung erhalten haben.<br />

Nichtdestotrotz hat die gesunde Mehrheit einen niederschmetternden<br />

Vorsprung über der kranken Minderheit<br />

gewonnen. Die Nikotinsucht ist, wie allgemein bekannt,<br />

eine Krankheit, jedoch eine zweideutige, eine selbstverschuldete,<br />

eine exzentrische Krankheit; eine zwar im traditionellen<br />

Sinne des Wortes nicht ansteckende, und dennoch im<br />

wesentlichen Sinne viel schlimmere Krankheit! Der Qualm<br />

und der Gestank, die vom Raucher in die Umgebung entweichen,<br />

vergiften höchst effektiv alle in seiner Nähe. Mit<br />

einem Wort: es ist keine Krankheit, derer Opfer irgendeine<br />

Chance hätten, die Vorteile beziehungsweise den Status von<br />

Behinderten zu genießen. Im Gegenteil: der natürliche Raum<br />

des Rauchers wird überall immer mehr begrenzt, und in der<br />

Folge zerstört. Raucherzimmer nach alter Tradition wurden<br />

schon vor langer Zeit dem Erdboden gleich gemacht; und<br />

auch das, was es noch gibt, diese demütigenden „Raucherecken“,<br />

auch diese Orte, irgendwo in der Nähe der Aborte<br />

angesiedelt, verschwinden nach und nach.<br />

Wenn aus den InterCitys die Raucherabteile verschwunden<br />

sind, wird bei uns endlich die gelobte Gesundheits-<br />

Gleichschaltung Einzug halten. Ich werde mich in den Zug,<br />

von, sagen wir mal, Warschau nach Breslau setzen, und über<br />

fünf Stunden lang werde ich nicht qualmen, werde meinen<br />

mitfahrenden Nächsten nicht dem passiven Rauchen aussetzen<br />

– diesen gut gebauten netten Mann neben mir, der<br />

sich während der langen Reise mit gesundem Schmalzbrot<br />

und einem nach kräftigender ländlicher Wurst riechenden<br />

Brötchen stärken wird, der den Boden mit Schalen seiner<br />

hart gekochten Eier vollsauen wird, der mit der Glasur seiner<br />

Berliner Pfannkuchen die Sitzbezüge voll schmieren wird.<br />

Ich werde angesichts all dessen still und ruhig sitzen und mir<br />

sagen: Es ist ja nichts, passives Essen schadet doch niemandem,<br />

bisher haben ja die amerikanischen Wissenschaftler<br />

nichts darüber gesagt, und der psychische Druck, der zählt<br />

ja nicht, es ist alles gut, alles in Ordnung.<br />

Vielleicht werde ich aus Sehnsucht nach einer Kippe die<br />

Nase hochziehen, und mein nichtrauchender, vor Gesundheit<br />

strotzender, vor Empathie geradezu explodierender Mitreisender<br />

wird mir eine Knoblauchzehe anbieten, „Das ist<br />

doch das Beste gegen Schnupfen!“, wird er freundlich sagen,<br />

und wenn ich ablehne, wird er sich, „rein vorbeugend“, zwei<br />

davon genehmigen.<br />

Nachdem er dann seine Stärkung mit lebensspendender<br />

Fanta hinunter gespült, herzlich gerülpst, sich in den Zähnen<br />

gepolkt hat, wird er sich zur Ruhe betten wollen; er wird<br />

seine Schuhe ausziehen und seine Beine zur Entspannungszwecken<br />

auf den gegenüber liegenden Sitz legen – und dann<br />

könnte es geschehen (ich will niemandem etwas vormachen),<br />

dass ich einen Nervenzusammenbruch bekomme. Ich<br />

werde abwarten, bis er die Augen geschlossen hat, und mich<br />

dann verstohlen davon schleichen, in den Toilettenraum,<br />

und dort werde ich mein Zigarettenpäckchen hervorholen<br />

und mir eine anstecken – im vollkommenen Bewusstsein der<br />

Tatsache, dass ich ein Gesetz breche. Ich werde mit voller<br />

Verzweiflung qualmen, als wenn es um mein Leben ginge.<br />

Ich mache mir dabei keine Illusionen: kaum, dass der blaue<br />

Dunst aus meiner Zigarette seine feinen Nüstern reizen<br />

wird, wird mein vom Krebs bedrohter Abteilnachbar erwachen,<br />

den Zugführer rufen, und dann werden sie kommen.<br />

Sie werden kommen und an die Klotür trommeln und mich<br />

da heraus schleifen. Und meine Tabakorgie wird mich fünf<br />

Hundert Złoty kosten.<br />

Nein, es ist kein billiges groteskes Bild, das ich hier vor<br />

euch entstehen lasse – jeder von euch hat schon eine solche<br />

Reise hinter sich, alle seid ihr schon quer durch Polen gefahren<br />

mit einem Monster im Abteil. Wenn es kein monströser<br />

Fresssack war, dann ein niedliches Kindchen mit drei Stück<br />

Magnum-Eis und einer riesigen Tüte Chips in der Hand,<br />

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