Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute
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Lidia Amejko Viten der Heiligen der Siedlung<br />
72<br />
Dazu<br />
sage ich euch: Kyrill starb täglich aus<br />
Angst vor dem Tod!<br />
„Was soll denn das?!“ ruft ihr. „Jeder<br />
hat doch Angst vor dem Tod (solange er nicht getrunken<br />
hat), aber aus Angst wird man kein Heiliger! (Allein aus<br />
großem Mut, wovon dann den Kindern in Religion erzählt<br />
wird). Wieso sollen wir einen feigen Waschlappen zu den<br />
Heiligen zählen?“<br />
„Haltet einen Moment die Klappe, verdammich, und<br />
hört zu!“<br />
Es fiel Kyrill nicht leicht, aus Angst vor dem Sterben zu<br />
sterben, und so kam er eines Tages auf die Idee, sich vielleicht<br />
ein bißchen mit dem Tod vertraut zu machen und zu<br />
sterben, aber nur ein ganz klein bißchen, eine Prise auf der<br />
Fingerspitze, versuchsweise. Um zu sehen, ob es wirklich so<br />
schrecklich ist.<br />
Er legte sich aufs Sofa und drückte auf die Fernbedienung,<br />
um sich nicht während seines Sterbens zu verzetteln, denn es<br />
ist bekanntlich blöde, mit einem Auge zu sterben und mit<br />
dem anderen in die Röhre zu glotzen. (Das ist, Mann, die<br />
bewegendste Frage in der Siedlung: wie man sein endgültiges<br />
ENDE mit der Serie abstimmt, die sich bis in alle EWIG-<br />
KEIT hinzieht.)<br />
Kyrill drückte also, der Bildschirm wurde blaugrau, wie<br />
eine Leiche, in der Mitte glühte noch für einen Moment das<br />
helle Pünktchen wie eine Seele, und dann ging mit einem<br />
leisen Klick der Fernseher aus.<br />
Kyrill machte also die Augen zu und starb.<br />
So schlimm war es gar nicht!<br />
Am nächsten Tag wachte er zufrieden auf und schaute<br />
voller Freude in die Welt – wie bekanntlich ein jeder nach<br />
dem Tod! Er briet er sich ein Rührei mit Speck und sang<br />
dabei fröhlich vor sich hin, aber gegen Abend beschlich ihn<br />
die Furcht, daß er bei seinem Sterben etwas vergessen haben<br />
könnte, daß es irgendwie zu reibungslos gelaufen war, daß er<br />
es auf alle Fälle noch einmal nachprüfen sollte!<br />
So starb er am zweiten Tag.<br />
Am dritten Tag aß er sich satt, aber am Abend wurde er<br />
wieder unruhig und kreiste wie ein Hündchen, das Gassi gehen<br />
muß. Er wußte inzwischen, daß er nicht auf den Film<br />
nach der Tagesschau warten würde, sondern der Ewigkeit, die<br />
ihn in Schrecken versetzt, erneut ins Auge schauen wollte.<br />
Und so ging es von nun an Tag für Tag.<br />
Kyrill starb, dann stand er wieder auf von den Toten und<br />
machte sich das Frühstück.<br />
Anfangs war er sogar glücklich, aber bald kam es ihm blöde<br />
vor, daß er eigensüchtig vor sich hin starb, nur für sich<br />
allein, ohne an die anderen zu denken. Denn wenn ihm dieses<br />
Sterben schon so gut von der Hand ging, warum sollte er<br />
dann nicht für einen anderen sterben, der nicht eine solche<br />
Übung darin hatte wie er?<br />
Er hängte im Laden eine Bekanntmachung aus: „Sterbe<br />
kostenlos. Bestellungen unter Telefon 3452861, Kyrill<br />
Damasceński.“<br />
Als erste rief Frau Hapiór an, ob er nicht für sie sterben<br />
wollte, sie hätte vor den Feiertagen so viel zu tun und wüßte<br />
gar nicht, wo sie anfangen soll, und mit dem Tod, da könnte<br />
sie sich nicht mehr entsprechend vorbereiten. Sie würde zu<br />
einem späteren Termin sterben, wenn sie mehr freie Zeit hätte.<br />
Und für Kyrill würde sie einen Käsekuchen backen.<br />
Dann rief Herr Kruczek an, der während der Besatzung<br />
hundertmal um ein Haar getötet worden wäre und den Tod<br />
ganz und gar nicht fürchtete; jetzt aber brauchte er nur an<br />
ihn zu denken, und schon würde er blaß, weichlich und zittrig<br />
und müßte pausenlos weinen. Gar nicht mannhaft. Janina<br />
O., Dienerin des Saums, hätte ihm zwar den Übergang<br />
zum Nichts hübsch umsäumt, und Herr Kruczek würde<br />
auch Nacht für Nacht in dieses Loch gaffen, aber irgendwie<br />
hätte er Angst, ins Jenseits hinüberzukriechen. Ob Kyrill also<br />
nicht, als Nachbar, für ihn sterben wollte – als Dank dafür<br />
würde Herr Kruczek ihm den Abfluß reparieren.<br />
Verschiedene Leute wandten sich an ihn.<br />
Einer, der zu ihm kam, war gerade auf Entzug, wollte<br />
ein neues Leben beginnen und hatte keine Lust, dabei zu<br />
sterben; ein anderer wollte bei der Hochzeit seiner Tochter<br />
dabeisein, und wieder andere hatten sich einen billigen Auslandsurlaub<br />
gekauft, als sich plötzlich herausstellte, daß für<br />
sie selbst die last minute gekommen war!<br />
Kyrill war glücklich, weil er jetzt für andere starb!<br />
Und es ging ihm gut, denn jeder bedankte sich bei ihm mit<br />
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