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Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

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Hanna Kowalewska Die Maske des Harlekins<br />

64<br />

„Europa!“,<br />

fauchte sie und<br />

begutachtete den<br />

nächsten Kratzer<br />

im Leder ihrer italienischen Pumps. „Elendes Geschluder!<br />

Noch schlimmer als zu Zeiten der Kommune. Damals wusste<br />

der Mensch wenigstens, was ihm widerfahren konnte. Er<br />

war geistig darauf vorbereitet. Und jetzt hofft man auf werweißwas!“<br />

Vor zehn Jahren hatte Olga noch keine Highheels getragen,<br />

keine hautfarbenen Nylonstrümpfe und luftigen Gewänder.<br />

Sie hatte kein gefärbtes Haar auf dem Kopf, keine<br />

mit grellem Nagellack bepinselten langen Fingernägel und<br />

nicht Tonnen von Wimpertusche aufgelegt. Und sie bewegte<br />

sich nicht wie ein Dämchen, sondern stand mit beiden<br />

Beinen fest auf der Erde, trug solides Schuhwerk mit dicker,<br />

flacher Sohle. Warum hatte sie darauf beharrt, auf bürotauglichen<br />

Absätzen, in denen man stundenlang in der Nähe des<br />

Arbeitszimmers des Chefs am Schreibtisch sitzen konnte,<br />

die alte, neue Welt kennenzulernen, und das zu Fuß? Wozu<br />

brauchte sie Unbequemlichkeit und Schmerz? Warum hatte<br />

sie beschlossen, sich so furchtbar zu quälen? Wollte sie mir<br />

und sich beweisen, dass man diese Stadt in die Mülltonne<br />

klopfen konnte? Musste sie sie unbedingt so kleinmachen?<br />

Aber warum? Um ihr eigenes gegenwärtiges Leben zu erhöhen?<br />

Das Berliner? Das elegante? Das Highheelleben?<br />

Das alles hatte keinen Sinn, jedenfalls konnte ich keinen<br />

finden. Sie stöckelte, ich ging in meinem alten Schritt, in<br />

bequemen, nicht schlecht geschnittenen Schuhen. Also passten<br />

wir wie schon vor Jahren nicht zueinander, wenn auch<br />

damals aus völlig anderen Gründen.<br />

Nicht nur die Stadt, sondern die ganze Welt war in Olgas<br />

Gegenwart irgendwie anders. Es regnete, obwohl es nicht<br />

hatte regnen sollen. Zumindest war Olga davon überzeugt,<br />

dass es an genau diesem Tag nicht hätte regnen dürfen. Es<br />

hätte Hitze geben sollen, doch es gab keine. Olga stapfte in<br />

leichten Sachen in die Tiefe kalter Straßen, mit Gänsehaut,<br />

durchgefroren, kalt erwischt von der plötzlichen Kälte, die ihr<br />

durch Mark und Bein ging. Es sah aus, als verstünde sie diese<br />

Stadt und dieses Klima nicht mehr, nichts, was ihr früher so<br />

vertraut war wie mir. Sie beharrte zudem auf ihrer Ansicht,<br />

als müsste sich die Stadt und alles andere ihren Vorstellungen<br />

und Erinnerungen anpassen, nicht sie den Umständen.<br />

In der Nähe der Centrum-Kaufhäuser, in einer Seitenstraße<br />

– wo Olga einen winzigen Teeladen suchte, den es hier<br />

einmal gegeben haben sollte und der sich jetzt einfach nicht<br />

finden wollte – trafen wir Jakub. Er trug unter dem Arm einen<br />

bunten Karton, dessen Aufkleber der ganzen Welt kund<br />

taten, dass er nicht nur ein fürsorglicher, sondern auch ein<br />

großzügiger Papi war. Ein Fernglas! Ein Geschenk für seinen<br />

Sohn! Nun ja, was sonst hätte ihn in der Innenstadt, die er<br />

nicht mochte, aus dem Auto bewegen können.<br />

„Jakub? Soll heißen wer?“, fragte Olga provokativ, als wir<br />

uns gemeinsam unter die Schirme eines kleinen Cafés setzten.<br />

„Ein Bekannter? Ein guter Bekannter? Ein Freund? Der<br />

Liebhaber? Der Freund?“<br />

Jakub war einen Augenblick lang verlegen. Er wusste selbst<br />

nicht, wer er für mich war.<br />

„Ein Bekannter“, sagte ich für ihn, und er protestierte<br />

nicht.<br />

„Die Bezeichnung behagt ihm offensichtlich nicht besonders“,<br />

bemerkte Olga ironisch. Sie nahm sich gleich eine Zigarette,<br />

wartete, bis Jakub ihr Feuer gegeben hatte, und setzte<br />

dann zu ihrem Monolog an. „Entweder wäre er gerne mehr,<br />

oder du hast nicht die Wahrheit gesagt.“ Sie hatte die unerträgliche<br />

Manier, so zu sprechen, dass immer jemand vom<br />

eigentlichen Gespräch ausgeschlossen wurde. Diesmal war es<br />

Jakub. „Lass mich raten, Liebhaber. Ich weiß nur nicht, ob<br />

ehemaliger, gegenwärtiger oder auch nur potentieller.“<br />

„Achte nicht auf sie“, brummte ich Jakub zu. „Sie ist so.<br />

Ihr scheint, dass das Menschenprovozieren der einfachste<br />

Weg ist, um sie zu enträtseln. Deshalb schießt sie so blindlings<br />

drauf los.“<br />

„Manchmal trifft sie dabei ins Schwarze“, erwiderte Jakub,<br />

obwohl er wusste, dass mir das nicht gefallen würde.<br />

„Na bitte!“, lachte Olga triumphierend auf. „Schießen wir<br />

weiter?“<br />

„Hör auf!“, protestierte ich.<br />

„Wie du wünschst.“ Einen Augenblick lang widmete sie<br />

sich dem Zigarettenqualm. Aber sie hörte nicht auf, uns zu<br />

beobachten.<br />

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