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Andrzej Stasiuk - Polish Book Institute

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Marek Bieńczyk Durchsichtigkeit<br />

80<br />

Über<br />

die Durchsichtigkeit und Durchschaubarkeit<br />

wollte ich schon seit vielen<br />

Jahren wenigstens ein paar Seiten<br />

schreiben. Die Durchsichtigkeit, sagte ich mir, ruft mich,<br />

bohrt in mir wie eine Sonde, ist mein Thema. In fremden<br />

Städten wählte ich zum Mittagessen Restaurants mit Panoramafenstern,<br />

abends blieb ich vor beleuchteten Schaufenstern<br />

stehen, die Freunde begannen sich über mich lustig<br />

zu machen und mir Glaskugeln zu schenken, es entstand<br />

eine ordentliche Sammlung. Ich hatte einen Glastick, ich<br />

betrat Zoohandlungen, um in die Aquarien zu starren, ich<br />

kehrte zu den Museen zurück, in denen Exponate (in Bozen<br />

dieser seltsame Ötzi, ein eingefrorener Schneemensch,<br />

Urahn, der mit einem Köcher voller Pfeile im Gletscher aufgefunden<br />

wurde) hinter Panzerglas ausgestellt wurden; ich<br />

zog es vor, Lenin und Mao Tse-tung in ihren gläsernen Särgen<br />

zu vergessen. Arbeitete ich an irgendeinem Text, dünnte<br />

ich unwillkürlich dessen konkreten Gehalt aus, die Wörter<br />

mieden die Bedeutungen, den Metaphern gingen die Ideen<br />

verloren, alles bewegte sich unvermeidlich auf die Abstraktion<br />

zu, hinter den Sätzen schimmerte das Weiß hervor. Es<br />

klingt lächerlich, aber ich mochte klare Suppen, Essen mit<br />

Gelatine, Fisch oder Fleisch in Sülze, in Aspik, und ähnliche<br />

Speisen. In der Wohnung hängte ich Reproduktionen der<br />

Gemälde Edward Hoppers auf, sie glänzten hinter Glas wie<br />

zu kitschige Heiligenbildchen.<br />

Ich mochte Hopper, so wie andere Erinnerungen mögen.<br />

Ich hatte das einst erlebt, so war es schon einmal gewesen;<br />

in Fantasien und Gedichten wurde ich der Held verschiedener<br />

Bilder, der Typ in der Glasveranda, der in den endlosen<br />

Horizont starrt, jener Cafébesucher, der aus dem Fenster auf<br />

die leere Straße schaut. Manchmal zog ich Olga in diese Fantasien<br />

mit hinein; wenn ich ihr davon erzählte, wurde sie<br />

ärgerlich, also verstummte ich schnell. Natürlich (stellte ich<br />

mir vor) waren wir vor allem Nighthawks, Nachthabichte,<br />

Vögel der Dunkelheit, Nachtschwärmer und Nachtfalter,<br />

wenn wir in verglasten Bars saßen, die sich um Mitternacht<br />

wie die Nester nach dem Frühling leerten; wir nippten an<br />

unseren Drinks mit amerikanischen Namen, Bronx, Manhattan,<br />

und beim letzten Whisky waren wir schon alleine,<br />

versunken in die feierliche Stille nach dem Leben, das ausgeflogen<br />

war. Sie füllte uns aus wie Helium; wir schwebten<br />

leicht über der Erde, über uns selbst, geflügelte Wächter des<br />

Planeten, dessen Emissäre in der kosmischen Nacht. Wir<br />

fühlten uns frei und obdachlos; unsere Gemeinschaft, Olgas<br />

und meine, konnte irgendwo über der Stadt fortbestehen<br />

und musste nicht in ihren Mauern sterben, sondern war verurteilt<br />

zum ziellosen Umherirren durch die Himmelsalleen,<br />

über die Felder an der Weichsel, durch die Stadtteilparks,<br />

wo auch immer. Nighthawks, das berühmteste Bild von Edward<br />

Hopper, tauchte immer häufiger auf Buchumschlägen,<br />

Ansichtskarten, ja sogar auf Werbetüten auf, von denen James<br />

Dean und Marlon Brando, manchmal Marilyn Monroe<br />

– deren Köpfe die anonymen Gesichtszüge der Barbesucher<br />

ersetzten – stumpf in ihre eigene Einsamkeit starrten. Das<br />

verunsicherte und irritierte mich etwas, meine Vorstellung,<br />

die Lieblingsfotografie von uns selbst, derart banal vervielfältigt<br />

und auf glänzende Laminatteilchen verteilt, mein<br />

Wunschtraum gemeinsam mit dem Plattencover von der Abbey<br />

Road oder dem Bild vom Bau des Chrysler Towers in ein<br />

Gelini Puzzle verwandelt, das in jedem Warenhaus erhältlich<br />

ist, in Erzählungen überschrieben, die aus dem Bild Hoppers<br />

wachsen wie Pilze aus dem Erdboden. Davon gab es viel,<br />

etwas zu viel, zu oft erschien „mein“ Bild auf Umschlägen<br />

von Büchern und Deckblättern von Kalendern, kostenlos<br />

Zeitschriften beigefügt, die man ohnedies nicht mehr kaufen<br />

wollte, jedoch fand ich mich auch mit dieser allgemeinen<br />

Begeisterung ab; da es sie nun einmal gab, da sich in ihr eine<br />

unausgesprochene Sehnsucht der Menschen regte, da sie von<br />

einer ihnen gemeinsamen Matrize von Wünschen zeugte, gewann<br />

sie an Gewicht. Wenn auch banalisiert und stereotyp,<br />

erzählte sie von einem Wunsch, der wie der Hunger jeden<br />

befallen kann. Ich existierte also (stellte ich mir vor), um die<br />

Verantwortung für ihn zu übernehmen, ihn zu durchleuchten<br />

im Namen aller bei einem Schnapsgläschen, bei Gläsern<br />

mit klirrenden Eiswürfeln an Juliabenden, bei einem Glas<br />

Grog (was zum Teufel ist Grog?), wenn der Frost auf den<br />

Fenstern den Dampf überwältigte, ihn aus den Mündern<br />

der Passanten ausstieß wie den Weißen Rauch für eine neue<br />

Winterreligion.<br />

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