25 JA HRE €CO JAHRBU CH 1988–2013 - Sparkasse
25 JA HRE €CO JAHRBU CH 1988–2013 - Sparkasse
25 JA HRE €CO JAHRBU CH 1988–2013 - Sparkasse
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<strong>1988–2013</strong><br />
<strong>25</strong> <strong>JA</strong><strong>HRE</strong> <strong>€CO</strong> <strong>JA</strong>HRBU<strong>CH</strong><br />
2013
Dieses Buch widmen Ihnen<br />
Erste Bank und <strong>Sparkasse</strong>n
<strong>25</strong>. Ausgabe, Jahrgang 2013
Haftungserklärung<br />
Trotz sorgfältigster Recherche der Fakten und genauer Kontrolle ist es<br />
nicht auszuschließen, dass sich auch Fehler bei der Wiedergabe der Texte<br />
eingeschlichen haben. Der Verlag, das Redaktionsteam und die einzelnen<br />
Autoren erklären daher ausdrücklich, dass sie für die Richtigkeit<br />
der Zahlen und Texte keine wie immer geartete Haftung übernehmen.<br />
Wien, im Jänner 2013<br />
Fotohinweis ORF-Teil: ORF (21), Parlamentsdirektion (7), Ifo (1),<br />
OeBS (2), EZB (1), flickr/rinzewind (2), Kodak (1), Gewerkschaft Bau-<br />
Holz (2), Red Bull Content Pool (2), Stadt Linz (2), Graz Tourismus (1),<br />
freistaedter-bier.at (2), Fotolia.com (2), Voestalpine (1), KTM (2),<br />
Stadtgemeinde Salzburg (1), Google (1), Apple (1), facebook (1),<br />
Franz Hlavac (2), shutterstock (1)
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Österreichischer Rundfunk,<br />
Würzburggasse 30, 1136 Wien<br />
Erste Bank der Oesterreichischen <strong>Sparkasse</strong>n AG,<br />
Graben 21, 1010 Wien<br />
auch für die Inhalte der Erste Bank<br />
verantwortlich<br />
Eigentümer und Verleger:<br />
Dr. Peter Müller Buch- und Kunstverlag Ges. m. b. H.,<br />
Kärntnerstraße 13–15, 1010 Wien<br />
Dr. Harald Hohenberg<br />
Redaktion und für den Inhalt verantwortlich:<br />
Redaktion des ORF-TV-Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong><br />
Günther Kogler<br />
p.a. ORF, Würzburggasse 30, 1136 Wien<br />
Gestaltung & Layout: Sebastian Traxl, Wien<br />
Lektorat: Werner Egger, Graz<br />
Druck: Druckerei Seitz Ges. m. b. H., 2201 Gerasdorf<br />
Verlagsort: Wien<br />
Herstellungsort: Wien<br />
www.erstebank.at<br />
www.orf.at
Inhalt<br />
Turbulente Jahre für den Euro: Von Lügnern, Betrügern und Fantasten<br />
Günther Kogler 15<br />
Steuern, Gebühren & Co.: Das ist neu im Jahr 2013<br />
Christina Kronaus 21<br />
Auf (Kon-)Kurs: Warum wir Pleite-Banken retten<br />
Bettina Fink 27<br />
Allheilmittel ESM? So wird Europas Geldmaschine angeworfen<br />
Beate Haselmayer 31<br />
»Eherne Reserve«: Dem Gold der Österreicher auf der Spur<br />
Bettina Fink 37<br />
Nix wie raus aus dem Euro – aber welche »Fluchtwährung«?<br />
Katinka Nowotny 41<br />
Ratingagenturen: Die Spur der Verwüstung quer durch Europa<br />
Ilja Morozov 47<br />
Der Sündenfall der EZB – wenn nur noch die Druckmaschine hilft<br />
Katinka Nowotny 53<br />
Das Imperium Goldman Sachs – oder: Die Mönche des Geldes<br />
Günther Kogler 59<br />
Wenn Spaniens Blüten blühen, wird das teuer für Europa …<br />
Hans Hrabal 73<br />
»Dolce vita« ist vorbei: Italien wird von der Krise eingeholt<br />
Sabina Riedl 81<br />
Unsere teuren Parteien und der ungenierte Griff in den Steuertopf<br />
Ilja Morozov 85<br />
Das Werben um Betriebe: Noch ist Österreich »liebenswert«<br />
Katinka Nowotny 91<br />
Unser Gehalt, unser Geheimnis: So viel »Verdienst« ist normal<br />
Bettina Fink 95<br />
Ein totaler Bildausfall – der Absturz des Weltkonzerns Kodak<br />
Sabina Riedl 99<br />
Reha statt Rente: Die »Invaliditätspension neu«<br />
Ilja Morozov 105<br />
Österreichische Privatstiftungen: Unsere letzten Steuerparadiese?<br />
Beate Haselmayer 111<br />
Red Bull: Der Sprung in die Werbe-Stratosphäre<br />
Hans Wu 117<br />
6
Panzer, Kanonen und Pistolen – Österreichs »geheime Industrie«<br />
Ilja Morozov 123<br />
In Linz beginnt’s: »Die Dummen gegen die Unmoralischen …«<br />
Hans Hrabal 129<br />
Franzl, Schützi und Konsorten: Eine »eingtragene Partnerschaft«<br />
Günther Kogler 135<br />
Unser teures Bier: Wenn Hopfen und Malz zu barem Geld werden<br />
Philipp Jauernik 143<br />
Die neue Frauenpower: »Schatzi, was machen wir mit dem Geld?«<br />
Angelika Ahrens 149<br />
»Die Voest« – vom Stahlkocher zum hippen High-Tech-Konzern<br />
Sabina Riedl 151<br />
Der edle Stoff, das wunderbare Tuch – eine »Jungfrau« verwöhnt<br />
Angelika Ahrens 157<br />
Erfolg auf zwei Rädern – KTM auf Weltmeister-Kurs<br />
Sabina Riedl 159<br />
Goldenes Handwerk: Maßschuhe aus Frauenhand für »Jedermann«<br />
Angelika Ahrens 165<br />
Wirtschaftsfaktor Jagd – nur leider »ist der Ruf im Arsch«<br />
Philipp Jauernik 169<br />
Google, Apple & facebook: Sind wir machtlose Nutzer?<br />
Hans Wu 175<br />
<strong>25</strong> Jahre <strong>€CO</strong>-Jahrbuch: So hat sich die Welt verändert<br />
Franz Hlavac 183<br />
Bankgeschäft vor <strong>25</strong> Jahren – wo waren eigentlich Sie damals?<br />
Andreas Treichl im Gespräch 206<br />
<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse – Rückblick, Status und Ausblick<br />
Franz Gschiegl 212<br />
Der Euro – scheitert Europa an seiner eigenen Währung?<br />
Rainer Münz und Bernadett Povazsai-Römhild 223<br />
Osteuropa: Überholspur – oder doch nur Abstellgleis?<br />
Zoltan Bakay 234<br />
Geldanlage? Klar – aber wohin mit dem Ersparten?<br />
Thomas Schaufler 247<br />
7
Liebe Leserinnen und Leser!<br />
»Österreich hält sich im europäischen Vergleich recht gut«, das war<br />
im Jahr 2012 fast durchgängig und allerorts zu hören. Einerseits<br />
gilt das für die vergleichsweise erfreulich geringe Arbeitslosigkeit<br />
ebenso wie die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie oder etwa<br />
die Tourismuswirtschaft. Aber seit Herbst 2012 war klar: Wir können<br />
uns von den Wachstumsproblemen der europäischen Industriestaaten<br />
nicht gänzlich abkoppeln. Für das laufende Jahr wird es schon als Erfolg<br />
gelten, wenn das reale Wirtschaftswachstum nahe an die Ein-Prozent-<br />
Marke heranreicht. Die europaweite Staatsschuldenkrise wirkt weiterhin<br />
als Wachstumsbremse. Doch eine Fortsetzung der Konsolidierung der<br />
Staatshaushalte ist unausweichlich. Das wird wohl auch eine der größten<br />
Herausforderungen der nächsten Jahre bleiben.<br />
Da die Zentralbanken die Leitzinsen nach wie vor sehr tief halten,<br />
herrscht auch in der Eurozone ein historisch niedriges Zinsniveau.<br />
Gut für die Investoren, gleichzeitig jedoch eine schmerzhafte »Dürreperiode«<br />
für Sparer und Anleger, die derzeit bestenfalls darum kämpfen<br />
durch eine längerfristig konzipierte Veranlagungsstrategie den<br />
Realzinsverlusten zu entgehen. Aber auch die Kreditwirtschaft steht ob<br />
diverser Regulierungen vor bisher nicht gekannten Herausforderungen.<br />
Auch wenn in den vergangenen Monaten Banken und Finanzdienstleister<br />
in der öffentlichen Meinung nicht gerade mit den höchsten Beliebtheitswerten<br />
zu kämpfen hatten: Langsam gewinnt wieder die Einsicht<br />
Oberhand, dass nur leistungsfähige Banken, intakte Kapitalmärkte<br />
und wiederaufkommendes Vertrauen in das Finanzwesen die aktuellen<br />
Probleme überwinden helfen.<br />
In der <strong>Sparkasse</strong>ngruppe bleiben jedenfalls Sicherheit und ein erhöhter<br />
Qualitätsanspruch die Leitmotive. Aber immer wenn die Märkte zu stagnieren<br />
drohen ist Innovation das beste Mittel, um sich vom Mitbewerb<br />
positiv abzuheben. Deshalb setzten wir gerade in wirtschaftsschwachen<br />
Zeiten, in der viele Menschen noch immer verunsichert sind, auf<br />
innovative Produkte. Der Kundennutzen steht absolut im Mittelpunkt<br />
aller Überlegungen. Mit mobilen Services über Smartphones und Tablets<br />
aber auch im persönlichen Gespräch, wenn es um beratungsintensive<br />
8
Produkte oder Finanzierungen geht. Bei einem anhaltend niedrigen<br />
Zinsniveau ist es beispielsweise sehr wichtig, Sparern neue, mittel- und<br />
langfristige Veranlagungsalternativen zu eröffnen, um sie vor einem<br />
Substanzverlust zu bewahren. Dabei rücken etwa Investmentfonds<br />
oder gemanagte Vermögensverwaltungen wieder in den Fokus des<br />
Anlegerinteresses.<br />
Eines steht jedenfalls außer Streit: Bei den aktuellen Rahmen be dingungen<br />
braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen<br />
Veranlagung und Finanzierung. Das professionelle Eingehen auf individuelle<br />
Bedürfnisse ist jetzt gefragt. In diesem Sinne soll auch das diesjährige<br />
<strong>€CO</strong>-Jahrbuch – übrigens die <strong>25</strong>. Ausgabe in Folge – Anregung<br />
und Leitfaden zugleich sein. Denn eines ist gerade in Zeiten schwachen<br />
Wirtschaftswachstums und turbulenter Finanzmärkte sehr wichtig:<br />
Reservenbildung trotz gedrückter Realverzinsung, Sicherheit in der Wahl<br />
eines vertrauenswürdigen Finanzpartners und längerfristiges Denken in<br />
Sachen der eigenen Finanzen. Um es klarer zu formulieren: Jetzt gilt es<br />
alles zu unternehmen, um sich für die Zukunft gut aufzustellen. Denn<br />
eines ist – allen aktuellen Unsicherheiten zum Trotz – gewiss: Der<br />
nächste Aufschwung kommt bestimmt!<br />
Wir wünschen Ihnen im Namen der Erste Bank und aller österreichischen<br />
<strong>Sparkasse</strong>n mit diesem Buch eine leichtere Suche nach den für<br />
Sie besten Entscheidungen.<br />
Ihr Christian Aichinger<br />
Präsident des Österreichischen <strong>Sparkasse</strong>nverbandes<br />
Ihr Thomas Uher<br />
Vorstandssprecher der Erste Bank Oesterreich<br />
Thomas Uher, Christian Aichinger<br />
9
Von links nach rechts:<br />
Vordere Reihe:<br />
Angelika Ahrens, Katinka Nowotny, Sonja Titz<br />
Hintere Reihe:<br />
Mag. Hans Tesch, Günther Kogler, Mag. Ilja Morozov<br />
10
Von links nach rechts:<br />
Vordere Reihe:<br />
Sabina Riedl, Hans Wu, Mag. Bettina Fink<br />
Hintere Reihe:<br />
Dr. Christina Kronaus, Hans Hrabal, Mag. Beate Haselmayer<br />
11
Die Krise verlangt nach plausiblen Erklärungen. Diese werden<br />
immer öfter in Form von Metaphern geliefert. Bilder ersetzen Worte.<br />
Diese Gleichnisse wirken besser als langwierige Begründungen. Ein<br />
»Schutzschirm« gegen unberechenbare Finanzmärkte wird positiv gewertet.<br />
Gegen einen »Hebel«, mit dem sich das eingesetzte Rettungskapital<br />
der Euro-Staaten vervielfachen lässt, kann man doch nicht sein.<br />
Allerdings: Mit Metaphern werden Inhalte abgewandelt, oft verfälscht.<br />
Wir vom ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong> bemühen uns, diese Bilder ins<br />
rechte Licht zu rücken, richtig zu deuten. Würde anstelle des »Hebels«<br />
das Symbol eines »Ballons« stehen, der stärker aufgeblasen wird, ist die<br />
Bewertung eine andere. Ein Hebel gilt als stabiles Hilfsinstrument; ein<br />
Ballon kann platzen.<br />
Dieses Beispiel zeigt, dass man mit den passenden Metaphern die<br />
Gefährlichkeit verniedlichen und ausblenden kann, die in bestimmten<br />
Kriseninstrumenten steckt. Das gilt auch für den »stotternden Motor«,<br />
den man als Vergleich heranzieht, wenn die Konjunktur im Euro-Raum<br />
nicht richtig läuft. Sofort fällt einem ein, dass zu wenig Treibstoff im<br />
Tank sein könnte, also zu wenig Geld zur Verfügung steht. Dass ein<br />
stotternder Motor aber auch auf einen gravierenden Schaden hinweisen<br />
kann, daran denkt vorweg kaum jemand.<br />
In all diesen Fällen ist es unsere Aufgabe als Wirtschaftsjournalisten,<br />
auf die mögliche andere Deutung der Bilder hinzuweisen. Auch wenn<br />
die handelnden Akteure es nicht immer gerne sehen.<br />
Metaphern können im Einzelfall auch ganz entlarvend sein. So hat<br />
der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Einsatz von<br />
Rettungsgeldern für Griechenland Ende November gemeint: »Wir fahren<br />
auf Sicht.« Das heißt doch, dass die Rettungsgasse nicht frei sein muss;<br />
dass wir möglicherweise bremsen müssen, bevor es kracht.<br />
12<br />
Von Schutzschirmen, Hebeln<br />
und von stotternden Motoren<br />
von Mag. Hans Tesch
In unseren Sendungen machen wir Inhalte transparent und versuchen,<br />
die Fakten hinter den Metaphern bloßzulegen. Wir möchten den <strong>€CO</strong>-<br />
Zusehern den Durchblick erleichtern. Um selbst eine Metapher zu strapazieren:<br />
Wir versuchen die glatten Oberflächen zu entspiegeln, so dass<br />
die Wahrheiten dahinter sichtbar werden. Sei es bei der Euro-Rettung,<br />
bei den Hintergründen für die Staatsschulden oder bei den Angeboten<br />
für die private Geldanlage.<br />
Dieses <strong>€CO</strong>-Jahrbuch ist mit ein Teil unseres Bemühens, objektiv zu<br />
informieren, plausibel aufzuklären und allen Interessierten zu helfen,<br />
die jeweils richtige und passende Entscheidung für ein wirtschaftliches<br />
Fortkommen zu treffen.<br />
In diesem Sinne viel Nutzen wünscht<br />
Ihr<br />
Hans Tesch<br />
Sendungsverantwortlicher<br />
ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong><br />
PS: Das <strong>€CO</strong>-Jahrbuch erscheint heuer in einer Jubiläumsedition, in<br />
größerem Format und mit noch mehr Informationen. Mein Dank an alle<br />
Mitwirkenden.<br />
13
14<br />
Große Worte –<br />
meist sogar richtige<br />
gesammelt von Günther Kogler<br />
»Griechenland wird als Erstes verlangen, von<br />
Deutschland gerettet zu werden.«<br />
Margaret Thatcher erfährt, dass es die Europäische Union mit der<br />
Einführung einer gemeinsamen Währung ernst meint.<br />
Das war im Jahr 1993.<br />
»Der Euro wird ein brennendes Haus ohne Ausgänge sein.«<br />
William Hague, Parteichef der britischen Tories, im Jahr 2001.<br />
»Wir hätten da noch ein paar Fragen«<br />
Die deutsche Wochenzeitung »Die Zeit« zweifelt den Spruch des<br />
Verfassungsgerichtshofes in Karlsruhe an, der den Fiskalpakt<br />
und den »Europäischen Stabilitätsmechanismus« (ESM) als<br />
»mit dem Deutschen Grundgesetz weitgehend vereinbar«<br />
beurteilte.<br />
»Solange ich lebe, wird es in der europäischen<br />
Schuldenkrise keine Eurobonds geben.«<br />
Möglicherweise lebensverkürzende Ansage der deutschen<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel.<br />
»Wer möchte sich schon in einem brennenden Hotel einmieten?«<br />
Thora Anorsdottir, isländische Präsidentschaftskandidatin,<br />
warnt ihre Landesleute vor einem Beitritt zur Euro-Zone.<br />
»Auch wir bescheißen gelegentlich.«<br />
Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble<br />
nimmt Griechenlands Politiker in Schutz.<br />
»Er hat erzählt, dass er Nierensteine hat, direkt<br />
aus dem Krankenhaus kommt, enorme Schmerzen hat.«<br />
Finanzministerin Maria Fekter löst bei Euro-Gruppen-Chef<br />
Jean-Claude Juncker den nächsten Fieberschub aus.
Turbulente Jahre für den Euro: Von<br />
Lügnern, Betrügern und Fantasten<br />
von Günther Kogler<br />
Ist der Euro aus dem Gröbsten heraus? Nein. Steht er Anfang 2013<br />
besser da als Anfang 2012? Nein. Sind wenigstens die Risiken<br />
kleiner geworden, die die europäische Gemeinschaftswährung<br />
bedrohen? Ein letztes Mal: nein. Das Positive am letzten Jahr<br />
war, dass die Union Instrumentarien gefunden hätte, die das<br />
Überleben des Euro ermöglichen könnten. Das Negative an 2012<br />
war: Es gibt sie noch immer, die Lügner, Betrüger und Fantasten<br />
in den so genannten europäischen Eliten.<br />
Wir wollen das alte Jahr nicht als verloren abschreiben – anders, als<br />
das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« im September 2011 prophezeite,<br />
hat der Euro auch das Jahr 2012 überlebt. Das war schon eine<br />
beachtliche Leistung. Die Zone der Gemeinschaftswährung umfasst<br />
auch immer noch siebzehn Mitgliedsländer – diese Leistung war noch<br />
beachtlicher. Und: Unter viel Streit, endlosen Debatten und unzähligen,<br />
nervtötenden Gipfeltreffen hätten die Staatenlenker auch Instrumentarien<br />
gefunden, die das weitere Überleben des Euro auch gewährleisten<br />
könnten. Über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)<br />
wird dazu unglaublich viel Geld in die Hand genommen, über die<br />
Europäische Zentralbank (EZB) wird auf die Finanzmärkte eingewirkt,<br />
wie das in diesem Ausmaß in der alten Welt noch nie der Fall war.<br />
Also: Alles paletti? Leider nein. Die Bedrohungsbilder sind dieselben<br />
geblieben, schlimmer noch, es sind neue dazu gekommen. Als EU-<br />
Währungskommissar Olli Rehn Anfang November 2012 in Brüssel vor<br />
die Presse trat, um einen wirtschaftlichen Ausblick auf die kommenden<br />
Euro-Jahre zu geben, musste er ein Bild zeichnen, in dem Europa<br />
das Wasser bis zum Hals steht. Nur, wenn alles gut geht, schafft es die<br />
Union bis zum Jahresende aus der Rezession. Nur, wenn wirklich alles<br />
gut geht, rettet sich Europa bis zum Jahr 2014 wieder in eine Phase<br />
eines Mini-Wirtschaftswachstums. Und nur, wenn wirklich, also wirklich<br />
alles gut geht, wird die Zahl der Euro-Mitgliedsländer dann immer<br />
noch dieselbe sein wie heute.<br />
15
Abseits der Schönredner rundum die Fakten. Die Budget- und Schuldenlage<br />
vieler Staaten in der Union und vor allem auch in der Euro-<br />
Zone ist dramatisch. Spanien wird sein Budgetdefizit von heuer acht<br />
bis zum Jahr 2014 nur auf 6,4 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes<br />
drücken können. Zur selben Zeit steigt die Verschuldung des großen<br />
Landes von derzeit 86 Prozent der Wirtschaftsleistung auf fast einhundert<br />
Prozent.<br />
Italien bereitet nicht weniger Sorgen. Wenigstens stabil bleibt unser<br />
südlicher Nachbar, mit dem Österreich so viele Wirtschaftsbeziehungen<br />
unterhält – aber auf welchem Niveau: Schon heute ist Italien mit<br />
126 Prozent der eigenen jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet.<br />
Das wird sich, wenn alles gut geht, bis zum nächsten Jahr um genau<br />
null verändern. Aber all das, was die »Expertenregierung« Mario Monti<br />
an harten Sparprogrammen politisch auf die Reihe gebracht hat, all<br />
das fließt direkt in die Abdeckung der Ansprüche der internationalen<br />
Gläubiger.<br />
Und Griechenland? Griechenland ist in allen Modellrechnungen der<br />
Wirtschaftsforscher aus der Abteilung Akutproblem längst in die Abteilung<br />
Dauerproblem verlegt worden. Als 2009 die ersten Hilfszahlungen<br />
argumentiert werden mussten, lautete die Begründung noch:<br />
» ... damit Griechenland im Jahr 2013 wieder auf den Kapitalmarkt zurückkehren<br />
kann.« Die optimistischsten Prognosen heute rechnen mit<br />
einer Rückkehr von Hellas auf besagte Kapitalmärkte frühestens im<br />
Jahr 2020; das sind, wie gesagt, die Projektionen, in denen wirklich,<br />
wirklich, aber auch wirklich alles gut geht.<br />
An Problemfällen also mangelt es in der Euro-Zone nicht. Portugal<br />
könnte noch angeführt werden, das auch durch ein böses wirtschaftliches<br />
Tal geht; selbst Frankreich wird mittlerweile als Wackelkandidat<br />
angesehen und niemand in Berlin will sich ausmalen, was passiert,<br />
wenn Paris seine Probleme – und die bestehen nicht nur in der Automobil-Industrie<br />
– nicht in den Griff bekommt.<br />
Die größte Hürde für die so genannten politischen Eliten besteht in<br />
der Akzeptanz der Bevölkerungen. Daran sind sie selbst schuld. Wer<br />
beobachtet hat, welche Massen von Menschen im November des alten<br />
16
Wirtschaftswachstum (in Prozent, zum Vorjahr gerechnet)<br />
2012 2013 2014<br />
Deutschland<br />
0,8<br />
0,8<br />
2,0<br />
Österreich<br />
0,8<br />
0,5<br />
1,7<br />
Europ. Gemeinschaft (EU 27)<br />
-0,3<br />
0,4<br />
1,6<br />
Großbritannien<br />
-0,3<br />
0,9<br />
2,0<br />
Euro-Länder (Euro 17)<br />
-0,4<br />
0,1<br />
1,4<br />
Spanien<br />
-1,4<br />
-1,4<br />
0,8<br />
Italien<br />
-2,3<br />
-0,5<br />
0,8<br />
Portugal<br />
-3,0<br />
-1,0<br />
0,8<br />
Griechenland<br />
-6,0<br />
-4,2<br />
0,6<br />
Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaft, OeNB<br />
Jahres auf die Straßen gingen, von Madrid bis Athen, von Lissabon bis<br />
Rom, um gegen die Politik ihrer jeweiligen Regierungen zu demonstrieren,<br />
dem musste klar werden: Hier ist nicht nur der Feldversuch<br />
Euro in Gefahr, hier wackelt das Großprojekt Europäische Union.<br />
Wunder ist es keines. Jeder Zehnte (!) findet im Raum der Union keine<br />
Arbeit. In absoluten Zahlen: 26 Millionen EU-Bürger sind ohne Job.<br />
Bis zum Jahr 2014 werden, so die Ökonomen, weitere 2,6 Millionen<br />
dazu kommen. In Ländern wie in Griechenland und Spanien wird die<br />
Arbeitslosenrate bei 24 bzw. 26 Prozent verharren; ganz zu schweigen<br />
von den Jugendlichen. In den genannten Krisenländern beträgt die<br />
Jugendarbeitslosigkeit brutale 50 Prozent. So gut ausgebildete junge<br />
Leute wie nie kommen nicht und nicht auf dem Arbeitsmarkt unter.<br />
Lange wird sie nicht mehr ticken, diese Zeitbombe.<br />
Es schließt sich der Kreis zum kleinen Österreich. Wer sich unsere Ziffern<br />
vor Augen führt, dem muss – zwangsläufig beinahe – das Bild<br />
der kleinen Nussschale in rauer See erscheinen. Ein Wirtschaftswachstum<br />
wie jenes des großen Euro-Motors Deutschland; zwischen »good<br />
old germany« und der Alpenrepublik liegen in den Fakten und den<br />
Projektionen maximal 0,1 Prozent. Eine Verschuldung, in Prozent der<br />
Wirtschaftsleistung gerechnet, die besser liegt als jene Deutschlands<br />
17
Arbeitslosenrate (in Prozent)<br />
2012 2013 2014<br />
Österreich<br />
4,5<br />
4,7<br />
4,2<br />
Deutschland<br />
5,5<br />
5,6<br />
5,5<br />
Großbritannien<br />
7,9<br />
8,0<br />
7,8<br />
Europ. Gemeinschaft (EU 27)<br />
10,5<br />
10,9<br />
10,7<br />
Italien<br />
10,6<br />
11,5<br />
11,8<br />
Euro-Länder (Euro 17)<br />
11,3<br />
11,8<br />
11,7<br />
Portugal<br />
15,5<br />
16,4<br />
15,9<br />
Griechenland<br />
23,6<br />
24,0<br />
22,2<br />
Spanien<br />
<strong>25</strong>,1<br />
26,6<br />
26,1<br />
(ein gröberes Sparpaket wird noch vonnöten sein, sonst bleibt der Abstand<br />
nicht groß genug …). Das Highlight schlechthin: die Rate der<br />
Arbeitslosen. Von einer Quote von 4,5 (und in der Projektion: 4,7) Prozent<br />
können andere Euro-Länder nur träumen.<br />
Und doch, auch hierzulande wachsende Unzufriedenheit, wachsender<br />
Frust. Heuer ist ein großes Wahljahr und der Regierung sei ins<br />
Stammbuch geschrieben, was Wolfgang Bachmayer und sein Meinungsforschungsinstitut<br />
OGM zum Jahresende 2012 für <strong>€CO</strong> erhoben haben:<br />
Mehrheitlich fühlt sich die Bevölkerung bereits unterfordert. Sie<br />
glaubt den Lügnern, Betrügern und Fantasten auch im eigenen Land<br />
nicht mehr.<br />
Wer verfolgt hat, wie die Österreicher und Österreicherinnen in den<br />
vergangenen Jahren mit ihrem Geld und mit ihren Vermögen umgegangen<br />
sind, wusste zu deuten, wie groß das Vertrauen in die gemeinsame<br />
Währung noch ist. Wer viel Holz hatte, rettete sich in Immobilien; wer<br />
weniger auf der Kante hatte, steckte es in den Konsum.<br />
Nicht mit den Füßen wurde abgestimmt über den Euro, aber über das<br />
Konto. Gold? Hhmm, ein bisschen. Das Sparbuch? O.k., aber rechnen<br />
in Achtel-Prozenten ist mühsam. Der Bausparer? Auch nicht das<br />
18<br />
Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaft, OeNB
Gelbe vom Ei, aber vielleicht, wenn wir uns wieder trauen, brauchen<br />
wir einen »Anspruch« auf einen Kredit. Die Börse? Real gar keine so<br />
schlechte Performance, aber wer war drin? Die Profis, die »Institutionellen«<br />
– für die einfache Kundschaft war die Börse bloß ein Trauerspiel.<br />
Private Vermögensverwaltung? Machen wir selber. Neue Finanzprodukte?<br />
Igitt, so viele Betrugsfälle in den letzten Jahren, von denen<br />
ein Gutteil juristisch noch nicht einmal angegangen wurde.<br />
Am Ende die letzten Fakten. Österreich hilft, wie alle anderen Euro-<br />
Länder, Griechenland nicht nur mit Barem, sondern auch mit Man-Power.<br />
Direkt der EU-Kommission unterstellt befinden sich permanent<br />
Beamte des Wiener Finanzministeriums in Athen, um Griechenland<br />
beim Aufbau einer funktionierenden Finanzadministration zu helfen.<br />
Diese »Task-Force«, die hauptsächlich aus Deutschen, Franzosen und<br />
Italienern besteht, weiß Abenteuerliches zu berichten. Wer den<br />
Erzählungen der internationalen »Task-Force«-Mitglieder genau zuhört,<br />
kann gar nicht anders als Griechenland als »failed state« einzustufen.<br />
Unternehmensbesteuerung? Mittels Karteikarten. Umsatzsteuererhebung?<br />
Keine Software. Korruption? Na klar, nicht zu wenig.<br />
Dabei hätte eine Meldung, sie ging im Wust der vielen Griechenland-<br />
Depeschen des alten Jahres unter, viele hellhörig werden lassen müssen.<br />
Christine Lagarde, die Chefin des Internationales Währungsfonds IWF,<br />
brachte als Begrüßungsgeschenk für die neue griechische Regierung im<br />
Frühherbst des Jahres 2012 eine kleine Liste nach Athen mit: Darauf<br />
standen Namen, Daten und Kontonummern von griechischen Staatsbürgern,<br />
die ihr Scherflein zu Hause nicht leisten wollten, weil sie ihr Vermögen<br />
längst in das »sichere Ausland« transferiert hatten; Schweizer<br />
Banken, Liechtenstein’sche Stiftungen, »Trusts Ltd’s« auf den Kanalinseln<br />
Jersey und Guernsey zwischen England und Frankreich.<br />
Allein schon die Tatsache, dass die IWF-Chefin höchstpersönlich ein so<br />
hochbrisantes Papier überbringt (und offenbar darüber verfügt), sollte<br />
nachdenklich stimmen. Viel nach denklicher jedoch stimmte einen<br />
Journalisten die Meldungen der »Task-Force« dazu: »Ja, jetzt weiß die<br />
griechische Finanzadministration Bescheid. Das Problem ist: Sie verfügt<br />
über keinen alten Datenbestand. Sie beginnt quasi bei null. Bis<br />
das aufgearbeitet ist, vergehen Jahrzehnte.«<br />
19
Zum Politischen: Europa ist sich herzhaft uneins. Diametraler könnten<br />
die Lösungsansätze für die Krise gar nicht sein, als sie sich Ende des<br />
Jahres 2012 darstellten. Die einen, die noch halbwegs Wohlhabenden,<br />
pochen weiter aufs Sparen und Haushalten bei den Defizitländern, die<br />
anderen, die zunehmend Klammen, fordern immer heftiger die »Vergemeinschaftung<br />
der Schulden«. Und beide Pol-Enden haben Sorge an<br />
der Macht zu bleiben. In den »Geber«-Ländern sind neue Belastungen<br />
für die Steuerzahler »nicht mehr zumutbar«, in den »Nehmer«-Ländern<br />
gilt dasselbe für neue Sparprogramme.<br />
Dazwischen blüht das Biotop Europäische Zentralbank. Die in Frankfurt<br />
ansässige ursprüngliche »Inflationswächterin« und »Hüterin des<br />
Euro« ist als einzige handlungsfähige Institution des Euro-Raumes<br />
übrig geblieben. Der Preis dafür ist hoch: ein Land, eine Stimme. Und<br />
so wird im Vierzehn-Tage-Rhythmus abgestimmt, worüber sich die 17<br />
Finanzminister und 17 Regierungschefs der Euro-Zone nie einig würden:<br />
über Anleihenankäufe aus den Schuldnerländern, über Milliardenhilfen<br />
an Krisenbanken, über die Geldmenge und den Refinanzierungssatz<br />
für Kreditinstitute insgesamt.<br />
Das wirklich besondere an der EZB ist freilich nicht der Umstand, dass<br />
sie handelt. Es ist die Tatsache, dass niemand in Europa mehr weiß,<br />
wer wie mit dem Geld der Steuerzahler umgeht. Was in Frankfurt beschlossen<br />
wird, bleibt geheim.<br />
Alles in allem: eine vertrackte Situation. Es ist zu vermuten, dass ein<br />
Aufbrechen der Euro-Länder teuer würde. Fällt ein Land, springt der<br />
Funke der Destruktion auf das nächste über; gefährdet waren und<br />
sind immer die allzu Sorglosen. Es ist aber auch Fakt, dass kein Bürger<br />
in jenen Ländern Europas, die bewusst nicht dem Euro beigetreten<br />
sind, aus genau diesem Grund tot umgefallen wäre.<br />
Also: Der »Feldversuch Euro« hält an. Es gab und gibt unendlich viele<br />
gute Gründe dafür ihn zu unternehmen. Er kann gut ausgehen. Aber:<br />
Er muss nicht zwangsläufig gut gehen. Vor allem: Er muss nicht gut<br />
gehen für alle, die von Anfang an mitmachen wollten.<br />
20
Steuern, Gebühren & Co.:<br />
Das ist neu im Jahr 2013<br />
von Dr. Christina Kronaus<br />
Das heurige Wahljahr 2013 verspricht Spannung. Der Staat<br />
braucht dringend Geld; die etablierten Parteien kämpfen um<br />
ihre Wähler. Wie dieser Balanceakt zwischen Steuerjagd und<br />
Wahlzuckerln aussieht, zeigen wir Ihnen im folgenden Beitrag.<br />
Es gibt viele Neuerungen – sowohl in steuerlicher Hinsicht als<br />
auch, was Sozial- und Pensionsabgaben betrifft. Also: aufpassen<br />
– und nachrechnen.<br />
Gleich eine Milliarde Euro erwartet sich Finanzministerin Maria Fekter<br />
aus den Nachzahlungen österreichischer Steuerflüchtlinge aus<br />
der Schweiz: Viele Experten erachten dies als zu optimistisch. Aber<br />
die Fakten: Vom neuen Steuerabkommen betroffen sind alle Personen,<br />
die in Österreich ansässig sind und am 31. Dezember 2010 und am<br />
1. Jänner 2013 ein Konto oder Depot bei einer Schweizer Bank besaßen.<br />
Diese Personen haben im Zeitraum vom 1. Jänner 2013 bis zum 31. Mai<br />
2013 folgende zwei Wahlmöglichkeiten: Sie bezahlen per »Anonymer<br />
Abgeltung« (pauschale Einmalzahlung). Die Schweizer Bank bucht vom<br />
österreichischen Kunden den von ihr berechneten pauschalen Steuerbetrag<br />
in der Höhe von 15 bis 30 Prozent zu Lasten seines Vermögens<br />
ab und leitet diesen an die österreichische Steuerbehörde weiter. Oder:<br />
Die Betroffenen entscheiden sich, der österreichischen Finanzverwaltung<br />
ihre Vermögenswerte offen zu legen; dann handelt es sich um<br />
eine »freiwillige Meldung«. Dies gilt als strafbefreiende Selbstanzeige.<br />
Um auch die künftige ordnungsgemäße Besteuerung der Kapitalerträge<br />
in Österreich sicherzustellen, enthält das Abkommen auch<br />
eine Verpflichtung der Schweizer Banken zur Einbehaltung einer der<br />
österreichischen Kapitalertragssteuer (KESt) nachempfundenen Abgeltungssteuer<br />
auf die laufenden Kapitalerträge in Höhe von <strong>25</strong> Prozent.<br />
Der Anleger kann dabei wiederum wählen zwischen der (anonymen)<br />
Abzugssteuer und einer Offenlegung der Erträge gegenüber dem österreichischen<br />
Fiskus.<br />
21
Bei Beendigung eines (echten oder freien)<br />
Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung<br />
oder einvernehmliche Lösung muss ab 2013 der Dienstgeber eine<br />
Auflösungsabgabe von 113 Euro bezahlen. Diese neue Abgabe soll dem<br />
Staat 47 Millionen Euro einbringen.<br />
Auflösungsabgabe<br />
Die neue Autobahnvignette kostet für das<br />
gesamte Jahr 2013 für Pkw 80,60 Euro (statt<br />
77,80 Euro im letzten Jahr). Wer ohne gültige Vignette erwischt wird,<br />
zahlt für Pkw – unverändert zum Vorjahr – 120 Euro Ersatzmaut.<br />
Damit erwirbt man freilich nur die Berechtigung, mit diesem Fahrzeug<br />
die Autobahnen und Schnellstraßen an diesem Tag und dem darauf<br />
folgenden Kalendertag zu benützen. Eine gültige Vignette muss dann<br />
trotzdem her. Übrigens: Kann man nicht an Ort und Stelle bezahlen,<br />
droht eine Geldstrafe von 300 bis 3000 Euro.<br />
Autobahnvignette<br />
Die Berechnung der 1,1-prozentigen Eintragungsgebühr<br />
in das Grundbuch vom dreifachen<br />
Einheitswert soll auch ab 2013 für<br />
Schenkungen innerhalb der Familie beibehalten<br />
werden. Begünstigt sind alle (entgeltlichen und unentgeltlichen)<br />
Übertragungen an den Ehegatten, eingetragenen Partner oder<br />
Lebensgefährten, wenn die Lebensgefährten einen gemeinsamen<br />
Hauptwohnsitz haben. Weiters sind alle Übertragungen an Großeltern,<br />
Eltern, Kinder und Enkel sowie deren Ehegatten, an Stief-, Wahloder<br />
Pflegekinder oder deren Kinder bzw. Ehe gatten, aber auch an<br />
Geschwister, Nichten und Neffen begünstigt. Dabei soll es keine Rolle<br />
spielen, ob es sich um privat genutzte bzw. vermietete Liegenschaften<br />
handelt oder um Liegenschaften im Rahmen von Betriebsübertragungen<br />
innerhalb dieses Personenkreises.<br />
Eintragungsgebühr in<br />
das Grundbuch<br />
Elektronische<br />
Rechnung<br />
Ab 2013 berechtigen auch elektronische<br />
Rechnungen, die z. B. per E-Mail, als E-Mail-<br />
Anhang oder Web-Download übermittelt werden,<br />
zum Vorsteuerabzug, ohne dass sie nach<br />
dem Signaturgesetz signiert sein müssen. Voraussetzung ist, dass<br />
der Empfänger dieser Art der Rechnungsausstellung zugestimmt hat<br />
und die Echtheit der Herkunft, die Unversehrtheit ihres Inhaltes und<br />
22
ihre Lesbarkeit bis zum Ende der siebenjährigen Aufbewahrungsfrist<br />
gewährleistet. Eine sehr positive neue Regelung, meinen etwa die<br />
Steuerexperten der Kanzlei »BDO Austria«.<br />
Steuerpflichtige, die über einen Internetanschluss<br />
verfügen und die wegen Überschreitens<br />
der Umsatzgrenze von 30.000 Euro zur<br />
Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen<br />
verpflichtet sind, müssen die Jahressteuererklärungen verpflichtend<br />
über »Finanzonline« elektronisch einreichen. Ab 2013 werden in diesen<br />
Fällen auch die Bescheide nur noch elektronisch zugestellt.<br />
Elektronische<br />
Bescheidzustellung<br />
Steuer auf den<br />
Immobilienertrag<br />
Seit 1. April 2012 werden Veräußerungsgewinne<br />
aus Liegenschaften unabhängig von<br />
der Besitzzeit generell mit <strong>25</strong> Prozent Einkommensteuer<br />
belegt. Für private Veräußerungsgewinne<br />
aus Liegenschaften bedeutet dies in den meisten<br />
Fällen eine zusätzliche Steuerbelastung, da ja davor Liegenschaften<br />
ab dem elften Besitzjahr steuerfrei veräußert werden konnten (für die<br />
Veräußerung innerhalb der ersten Jahre mussten für den Gewinn aber<br />
50 Prozent Einkommensteuer bezahlt werden). Für so genannte Altvermögen,<br />
das sind insbesondere Liegenschaften, die bereits vor dem<br />
1. April 2002 angeschafft wurden, gibt es insofern eine Vereinfachung,<br />
als der Veräußerungsgewinn pauschal mit 14 Prozent des Veräußerungserlöses<br />
angenommen werden kann, was bei einem Steuersatz<br />
von <strong>25</strong> Prozent eine effektive Steuerbelastung von 3,5 Prozent ergibt.<br />
Steuerfrei bleibt weiterhin die Veräußerung von Eigenheimen oder<br />
Eigentumswohnungen, die dem Verkäufer seit der Anschaffung für<br />
mindestens zwei Jahre oder innerhalb der letzten zehn Jahre vor der<br />
Veräußerung für mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz<br />
gedient haben (das ist die so genannte Hauptwohnsitzbefreiung).<br />
Auch die Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden ist steuerfrei,<br />
soweit diese nicht vermietet wurden.<br />
Die Anhebung des begünstigten Steuersatzes<br />
für »sonstige Bezüge« tritt in Kraft. Für<br />
die Jahre 2013 bis 2016 (sagt die Regierung<br />
heute) wird die begünstigte Besteuerung von<br />
Solidarabgabe für<br />
höhere Einkommen<br />
23
»sonstigen Bezügen« mit sechs Prozent bei Einkünften von mehr als<br />
rund 185.000 Euro brutto pro Jahr (inklusive Sonderzahlungen) nicht<br />
mehr zustehen. Zu diesem Zweck wurde zusätzlich zum begünstigten<br />
Steuersatz von sechs Prozent für sonstige, insbesondere einmalige Bezüge<br />
(z. B. 13. und 14. Gehalt, Einmalprämien) innerhalb des Jahressechstels<br />
folgende Progressionsstaffel eingeführt:<br />
Steuersätze für steuerpflichtige sonstige, insbesondere<br />
einmalige Bezüge:<br />
für die ersten 620 Euro<br />
0,00 Prozent<br />
für die nächsten 24.380 Euro<br />
6,00 Prozent<br />
für die nächsten <strong>25</strong>.000 Euro<br />
27,00 Prozent<br />
für die nächsten 33.333 Euro<br />
35,75 Prozent<br />
über 83.333 Euro<br />
50,00 Prozent<br />
Dies bedeutet: Bis zu einem Bruttomonatsgehalt von rund 13.200 Euro<br />
ändert sich bei der Besteuerung der »sonstigen Bezüge« nichts. Bei<br />
darüber hinaus gehenden Bezügen wird der 13. und 14. Bezug bis<br />
zu einem Bruttomonatsgehalt von rund <strong>25</strong>.720 Euro mit 27 Prozent<br />
und bis zu einem Bruttomonatsgehalt von rund 42.400 mit 35,75 Prozent<br />
besteuert. Wer darüber liegt, zahlt einen Spitzensteuersatz von<br />
50 Prozent.<br />
Kürzung des Gewinnfreibetrages<br />
Parallel dazu wird für einkommensteuerpflichtige Unternehmer der<br />
13-prozentige Gewinnfreibetrag für Gewinne ab 175.000 Euro wie folgt<br />
reduziert:<br />
für Gewinne zwischen 175.000 und 350.000 auf 7 Prozent<br />
für Gewinne zwischen 350.000 und 580.000 auf 4,5 Prozent<br />
Die Höchstbemessung für Sozialversicherungsbeiträge<br />
erhöht sich ab 2013 nicht nur<br />
Sozialversicherung:<br />
Die neuen Werte 2013 um die Aufwertungszahl, sondern auch um<br />
zusätzliche 90 Euro pro Monat. Das heißt, die<br />
Höchstbemessungsgrundlage p. a. erhöht sich von 59.220 Euro auf<br />
62.160 Euro. Das bedeutet mehr Geld in die Sozialversicherungskassen,<br />
jedoch auch eventuell einen etwas höheren Pensionsanspruch.<br />
24
Spenden, die als Betriebsausgaben oder Sonderausgaben<br />
geltend gemacht werden können,<br />
Spenden<br />
waren bis jetzt mit zehn Prozent des Vorjahresgewinnes bzw. Gesamtbetrags<br />
der Einkünfte des Vorjahres gedeckelt. Ab 2013 gelten als<br />
Obergrenze zehn Prozent der Einkünfte des laufenden Jahres. Spendenvereine<br />
werden verpflichtet, auf Verlangen des Spenders eine Spendenbestätigung<br />
auszustellen.<br />
Der Bonus von maximal 500 Euro für Hybridautos<br />
und andere umweltfreundliche Antriebs-<br />
NOVA<br />
motoren wird bis zum 31. Dezember 2014 verlängert. Im Gegenzug wird<br />
die Freigrenze mit ersten Jänner von 160 auf 150 Gramm CO 2<br />
gesenkt.<br />
Die im Rahmen der Budgetsanierung<br />
eingeführte neue Besteuerung von<br />
Wertzu wächsen bei Aktien und sonstigen<br />
Kapital anlagen ist ja bereits mit<br />
Steuer auf den<br />
Vermögenszuwachs<br />
1. April 2012 in Kraft getreten. Für alle Verkäufe seit dem 1. April<br />
2012 fällt für das so genannte Neuvermögen die neue Wertpapiersteuer<br />
mit <strong>25</strong> Prozent an. Zum »Neuvermögen« zählen alle seit dem<br />
1. Jänner 2011 erworbenen Aktien und Investmentfonds sowie alle<br />
anderen ab dem 1. April 2012 entgeltlich erworbenen Kapitalanlagen<br />
(insbesondere Anleihen und Derivate). Neu ist, dass Verluste aus<br />
der Veräußerung dieser dem »Neuvermögen« zuzurechnenden Kapitalanlagen<br />
nicht nur mit Ver äußerungsgewinnen, sondern auch mit<br />
Dividenden und Zinsen aus Anleihen (nicht jedoch mit Sparbuchzinsen)<br />
eines Jahres ausgeglichen werden können. Für das Jahr<br />
2012 werden die Banken diesen Verlustausgleich bis spätestens<br />
30. April 2013 durchführen. Ab dem Jahr 2013 erfolgt der Verlustausgleich<br />
bereits laufend und zwar depotübergreifend für alle Depots beim<br />
jeweiligen Bankinstitut.<br />
Im Wahljahr entdeckt die Regierung die Pendler.<br />
Wegen der hohen Spritpreise wird das<br />
Pendlerpauschale angehoben. Zu Redaktionsschluss dieses Buches war<br />
folgendes Modell »in Parlamentsarbeit«: plus 60 Euro für Tagespendler,<br />
die mehr als 60 Kilometer zurücklegen; Erhöhung der Pauschale auch<br />
für Wochenpendler.<br />
Pendlerpauschale<br />
<strong>25</strong>
Pensionen<br />
Seit 1. Jänner sind die Pensionen um 1,8 Prozent<br />
erhöht. Das Sparpaket hat für dieses<br />
Jahr den üblichen »Anpassungsfaktor« außer Kraft gesetzt. Nicht<br />
betroffen sind die Ausgleichszulagen-Richtsätze. Ach ja: Auch für Politiker<br />
gibt’s erstmals nach vier Jahren wieder eine Gehaltserhöhung.<br />
Erraten: Sie beträgt 1,8 Prozent.<br />
Für Gewerbetreibende und Beamte gelten seit<br />
Jahresbeginn höhere Pensionsbeiträge. Der<br />
Eigenanteil der Pflichtbeiträge zur Pen sionsversicherung nach dem<br />
GSVG wird auf 18,5 Prozent der Beitragsgrundlage angehoben, jener<br />
der Pflichtbeiträge nach dem BSVG wird per 1. Juli auf 16 Prozent erhöht.<br />
GSVG und BSVG<br />
Das Ende der<br />
»Hackler«<br />
Die »lange Versicherungsdauer« wird stufenweise<br />
erhöht. Für die Inanspruchnahme der<br />
»Hacklerregelung« (von der hauptsächlich<br />
Beamte, Bank- und Versicherungsangestellte<br />
profitiert hatten) sind statt bisher 38,5 nunmehr 40 Versicherungsjahre<br />
erforderlich.<br />
UnternehmerInnen, die regelmäßig weniger<br />
als <strong>25</strong> Dienstnehmer beschäftigen, haben ab<br />
dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit erstmals<br />
Anspruch auf ein Krankengeld. Es orientiert<br />
sich an den Regelungen des ASVG.<br />
Krankengeld auch<br />
für die Chefs<br />
Mit Jahreswechsel ist die Gaststättenpauschalierungs-Verordnung<br />
vom Verfassungsgerichtshof<br />
aufgehoben worden. Bis zur Stunde<br />
wird im Finanzministerium um eine Nachfolgeregelung<br />
gestritten. Der Protest der Gastwirte ist beträchtlich. Viele<br />
hatten die günstige Steuerpauschalierung bereits fix in ihre Ein- und<br />
Ausgabenrechnung eingerechnet.<br />
Das Problem<br />
pauschalierte Wirte<br />
26
Auf (Kon-)Kurs: Warum<br />
wir Pleite-Banken retten<br />
von Mag. Bettina Fink<br />
Seit 2008 geht ein Schreckgespenst um: Es heißt »Bankenpleite«.<br />
Abermilliarden an Staatshilfen wurden auch in Österreich locker<br />
gemacht, um marode Kreditinstitute vor dem Untergang zu<br />
bewahren. Doch: Warum muss eigentlich der Steuerzahler für<br />
Banken aufkommen, die sich komplett verspekuliert haben? Und<br />
wie viel Geld soll noch fließen?<br />
Was bei der Pleite einer globalen Großbank passiert, zeigte das Beispiel<br />
»Lehman«. Die Investmentbank wurde 2008 von der US-Regierung in<br />
die Insolvenz geschickt. Betroffen waren 640.000 Geschäftspartner der<br />
Bank, 110.000 Gläubiger; die Klagsflut rollt bis heute. Zahlreiche Kleinanleger,<br />
die in Lehman-Zertifikate investiert waren, mussten ihr Geld<br />
abschreiben. Die Furcht vor unkontrollierbaren Auswirkungen solcher<br />
Pleiten versetzte vor allem Europas Politik in einen Banken-Rettungstaumel.<br />
In Österreich notverstaatlicht wurden die Österreichische<br />
Volksbanken AG, die Kommunalkredit und die Hypo Alpe Adria. Ein<br />
Ende der Zahlungsströme durch die öffentliche Hand ist nicht absehbar.<br />
Die Bankenrettung entpuppt sich als Fass ohne Boden.<br />
Die Pleite einer großen Bank käme teurer als deren Rettung, wird<br />
landläufig behauptet. Kurt Pribil, der Vorstand der österreichischen<br />
Finanzmarktaufsicht, schätzt, dass eine Pleite der Banken das Fünfbis<br />
Sechsfache einer Verstaatlichung kosten würde. Dadurch werde der<br />
Staat »de facto erpressbar«. Auf europäischer Ebene wurde 2012 der<br />
permanente Rettungsschirm ESM nicht nur für Pleitestaaten, sondern<br />
automatisch auch für die Rettung von angeblich »systemrelevanten«<br />
Banken aufgespannt. Doch ist die Rettung für die öffentliche Hand<br />
tatsächlich günstiger als eine Pleite?<br />
Schwer abzuschätzen, selbst für einen Experten wie Finanzprofessor<br />
Teodoro D. Cocca von der Universität Linz. Auf jeden Fall ist für ihn<br />
die quasi-automatische Verstaatlichung von Pleitebanken ein fatales<br />
Signal: »Normalerweise müsste ein Bankmanager immer auch Angst<br />
27
haben, dass er untergehen kann. Und weil er diese Angst spürt, wird<br />
er Risiken reduzieren, sorgfältig arbeiten. Diese disziplinierende Kraft<br />
eines drohenden Untergangs wird durch die permanenten Bankenrettungen<br />
freilich eliminiert.«<br />
Doch was hindert Europa denn, Banken »kontrolliert«<br />
pleitegehen zu lassen. Was steht<br />
tatsächlich auf dem Spiel – für Sparer, Investoren<br />
oder die Staaten? Das erste Problem:<br />
Es gibt in Europa kein taugliches Insolvenzrecht für Banken. Was<br />
für normale Unternehmen gilt, war für Banken offenbar undenkbar:<br />
»Scheitern« war einfach nicht eingeplant. In Europa und in Österreich<br />
wird seit einer gefühlten Ewigkeit an einem Fahrplan für die sinnvolle<br />
Abwicklung von Banken-Insolvenzen gearbeitet. Ergebnis: noch offen.<br />
Was steht tatsächlich<br />
auf dem Spiel?<br />
Und Banken unkontrolliert in die Pleite zu schicken, erscheint der Politik<br />
offenbar zu riskant. Da fürchtet man den viel zitierten »Dominoeffekt«:<br />
Stolpert eine Bank, könnten andere Banken, Institutionen und<br />
Investoren mitgerissen werden. Aber: Nicht alle Banken, die in den<br />
letzten Jahren gerettet wurden, wären tatsächlich »systemrelevant«<br />
gewesen. Was im »normalen« Wirtschaftsleben an der Tagesordnung<br />
steht, nämlich Insolvenzen, wird bei Banken gerne außer Kraft gesetzt.<br />
Was genau passierte denn, ginge eine Bank pleite? Ein Blick in eine<br />
Bankbilanz: Banken haben, wie jedes Unternehmen, Vermögen und Verbindlichkeiten.<br />
Besonderheit daran: Zu den »Verbindlichkeiten« zählt<br />
das Geld der Sparer, die diese bei der Bank einlegen, mit dem die Bank<br />
»arbeitet« – das die Sparer aber jederzeit zurückfordern können.<br />
»Schulden« hat eine Bank außerdem bei anderen Banken, die ihr<br />
Geld geliehen haben. Und bei allen, die Anleihen der Bank gekauft<br />
haben – ihr also eine Art Kredit gewähren. Und dann wäre da auch<br />
noch das Eigen kapital, das Geld der Bankeigentümer: Das wären, je nach<br />
Konstruk tion des Geldhauses, die Genossenschafter oder Aktionäre, die<br />
sich Anteile der Bank gekauft haben. Auf der Habenseite, also dem »Vermögen«<br />
einer Bank, stehen vor allem Kredite, die an Firmen, Staaten,<br />
Private oder andere Banken vergeben wurden. Und – quasi unter der<br />
Bilanz – laufen Vertragsgeschäfte, darunter Garantien, Derivate oder<br />
28
Swaps. Im Falle der Pleite sind all diese Akteure in irgendeiner Weise<br />
betroffen.<br />
Die gute Nachricht: Spareinlagen sind im Fall des Falles bis zu 100.000<br />
Euro pro Bank und Person abgesichert. Was die Pleite-Bank nicht<br />
selbst aufbringen kann, wird über die »Einlagensicherung« erst einmal<br />
von den anderen Banksektoren erstattet. Den »Rest« der Sicherung<br />
übernimmt am Ende der Staat. Die Pleite einer Großbank würde<br />
das derzeitige Sicherungssystem allerdings komplett überfordern. Und<br />
es gibt auch Kunden mit viel mehr als 100.000 Euro Einlagen: »Staaten,<br />
Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen, Universitäten – sie<br />
alle haben Geld bei Banken liegen. All diese Akteure wären auch von<br />
einer Bankenpleite betroffen – und da geht es um riesige Summen«,<br />
so Univ.-Prof. Dr. Stefan Pichler von der Wirtschaftsuniversität Wien.<br />
Dann wären da auch noch die institutionellen Anleger. Wie würde eine<br />
Pleite andere Banken oder jene, die Anleihen der Bank besitzen, treffen?<br />
Für Stefan Pichler keine guten Nachrichten: »Für Gläubiger, die<br />
keine gesicherten Spareinlagen haben, bedeutet eine Pleite einen herben<br />
Verlust. Es wird nur die Konkursquote ausbezahlt, die kann zum<br />
Beispiel 50 Prozent betragen – und es dauert Jahre, bis der Konkurs<br />
abgewickelt ist.«<br />
Durch das Auffangen von Banken besonders geschont werden aktuell<br />
immer die Eigentümer. Also Aktionäre oder Genossenschafter. Bei einer<br />
klassischen Pleite würden sie alles verlieren und teils sogar haften<br />
müssen. Doch das fällt ja eigentlich unter das Risiko, das Aktionäre<br />
und Eigentümer nun einmal eingehen. Deshalb sieht Teodoro D. Cooca<br />
den Bankensektor als »viel zu geschützte« Branche. »Der Staat scheint<br />
bereit zu sein, jegliche Verluste abzudecken. Dadurch leidet die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der ganzen Branche. Gute Banken können sich von<br />
schlechten kaum abheben, weil schlechte Banken am Ende auch noch<br />
für ihr Fehlverhalten belohnt werden, indem man sie rettet.«<br />
Und was ändert sich für Kreditnehmer bei einer Bankenpleite? Vorerst<br />
wenig. Ihre Raten zahlen sie weiter – an den Masseverwalter oder eine<br />
Bank, die die Kredite aus der Pleitemasse aufgekauft hat. Trotzdem kann es<br />
Probleme geben. Univ.-Prof. Dr. Stefan Pichler: »Ganz spannend wird<br />
29
die Frage bei Firmen, die ständig neuen Refinanzierungsbedarf haben.<br />
Muss man sich eine neue Bank suchen, wird die Bonität der Firma erst<br />
einmal geprüft. Das kann dauern. Und für manches Unternehmen wird<br />
dann die Zeit knapp.«<br />
Es gab in der Vergangenheit schon etliche<br />
Bankenpleiten in Österreich, darunter die<br />
Bank für Handel und Industrie, BHI, die 1995<br />
insolvent wurde. Tausende Sparer kamen<br />
plötzlich nicht mehr an ihr Geld heran. Fatal vor allem für jene, die<br />
ihr ganzes Geld bei der Pleitebank hatten, aber auch für Firmen, die<br />
Löhne ausbezahlen oder Rechnungen begleichen mussten.<br />
BHI: Die erste Pleite,<br />
die Sparer bedrohte<br />
Der heutige Pensionist Helmut Friedrich war einer der betroffenen<br />
Sparer. Er erinnert sich, dass es etliche Tage dauerte, bis eine erste<br />
Tranche der Einlagensicherung ausbezahlt wurde. »Wir waren deprimiert,<br />
weil wir uns in der Öffentlichkeit in einer langen Menschenschlange<br />
vor der Bank anstellen mussten und jeder wusste: Das waren<br />
die, die zu viel Geld hatten, die es bei der BHI eingelegt haben.«<br />
Friedrich nahm sich einen Anwalt. Und klagte mit zahlreichen anderen<br />
Betroffenen die Republik. 2003 musste der Staat tatsächlich für das<br />
gesamte Ersparte haften. Doch es dauerte zehn Jahre, bis alles Geld<br />
ausbezahlt war. Anwalt Harald Christandl weiß, was eine Bankenpleite<br />
bewirkt – und ist trotzdem nicht dagegen. Wenn auch in abgewandelter<br />
Form: »Jener Bereich einer Bank, der in der Spekulation beheimatet ist,<br />
sollte pleitegehen können. Dort, wo das Bank-Kerngeschäft abläuft, wo<br />
Vertrauen die Basis ist, wo Mittelständler oder kleine Sparer ihr Geld<br />
einlegen, dort sollten die Einlagen aber fast zur Gänze abgesichert sein.«<br />
Doch so ein Vorgehen würde ein neues Banken-Insolvenzrecht und<br />
eine Änderung der »Einlagensicherung« voraussetzen. Ideen gibt es<br />
viele – die politische Einigung, wer denn nun im Falle einer Bankenpleite<br />
finanziell gerade stehen muss, steht noch aus.<br />
Aber selbst dann bliebe die Frage: Wagt es die Politik im Fall des Falles<br />
tatsächlich eine Bank in die Pleite zu schicken – und einen »kalkulierten«<br />
Dominoeffekt zuzulassen?<br />
30
Allheilmittel ESM? So wird<br />
Europas Geldmaschine angeworfen<br />
von Mag. Beate Haselmayer<br />
Milliarden an Rettungsgeldern fließen aus den Geldbörsen<br />
der SteuerzahlerInnen in die maroden Volkswirtschaften der<br />
Euro-Zone. Das soll verhindern, dass die europäische Währung<br />
kollabiert. Doch sind ESM & Co. wirklich die großen Retter in<br />
der Not – oder navigieren sie Europa geradewegs ins Verderben?<br />
Drei Buchstaben sollen über die Zukunft Europas entscheiden. Doch<br />
was steht hinter diesen drei Buchstaben? ESM ist die Abkürzung für<br />
»Europäischer Stabilitätsmechanismus«. Oft wird der ESM auch als »Euro-<br />
Rettungsschirm« bezeichnet, was eigentlich nicht ganz korrekt ist.<br />
Viel eher ist der ESM Teil eines »umfassenden Euro-Rettungsschirms«.<br />
Gemeint sind alle Maßnahmen, die die Europäische Union setzt, um den<br />
Euro und die Euro-Wirtschaftszone zu retten.<br />
• Direktkredite an Griechenland<br />
• Maßnahmen der EZB (Europäische Zentralbank), z. B. Kauf von<br />
Anleihen<br />
• Maßnahmen des IWF (Internationaler Währungsfonds), z. B. Vergabe<br />
von Hilfskrediten<br />
• Maßnahmen des EFSF (die deutsche Übersetzung bringt das<br />
Wortungetüm »Europäische Finanzstabilisierungsfazilität« hervor),<br />
eine befristete Rettungsinstitution und Vorgängerin des ESM<br />
• Maßnahmen des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) oder<br />
unbefristete Rettungsinstitution<br />
»Unbefristete Rettungsinstitution« – das klingt sehr abstrakt für<br />
eine Autorität, die so mächtig ist, dass sie Europa retten oder in den<br />
Abgrund stürzen könnte. Genau genommen ist der ESM so etwas wie<br />
ein Hilfsfonds. Vereinfacht ausgedrückt kann man sich den ESM so<br />
vorstellen:<br />
In Luxemburg steht ein unscheinbares Gebäude, in dem der ESM untergebracht<br />
ist. Dort treffen sich in regelmäßigen Abständen so genannte<br />
31
Finanzministerin Maria Fekter<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Ranz)<br />
»ESM-Gouverneure«; es sind die FinanzministerInnen der Euro-Länder.<br />
Für Österreich reist Finanzministerin Maria Fekter zu den ESM-Treffen.<br />
Sie und die anderen Gouverneure entscheiden, was mit den ESM-Hilfsgeldern<br />
passieren soll.<br />
Ganze 700 Milliarden Euro Stammkapital hat der ESM zur Verfügung.<br />
Diese Riesenmenge stellen alle Euro-Länder gemeinsam auf. Wie viel<br />
Geld ein Land einzahlt, hängt davon ab, mit wie viel Prozent das Land<br />
an der EZB beteiligt ist. Österreich ist mit 2,78 Prozent an der EZB<br />
beteiligt und muss deshalb zwei Milliarden Euro in bar einzahlen. Darüber<br />
hinaus geht jedes Land Haftungen ein. Österreich haftet inzwischen<br />
für 17,5 Milliarden Euro. Sollten alle Haftungen fällig werden,<br />
müsste Österreich also insgesamt 19,5 Milliarden Euro für den ESM<br />
locker machen. Das ist eine schöne Stange Geld – und es wird für die<br />
Politiker von Jahr zu Jahr schwieriger, sie vor den Bürgern zu rechtfertigen.<br />
Geld aus dem ESM soll immer dann fließen, wenn »die finanzielle<br />
Stabilität eines Mitgliedsstaates oder des gesamten Euro-Raums in Gefahr«<br />
ist. Griechenland und Portugal haben schon Gelder aus dem vorläufigen<br />
Hilfsfonds EFSF erhalten. Spanien und Zypern suchen Hilfe; allein<br />
für Spaniens Banken werden über 40 Milliarden Euro locker gemacht.<br />
32
Die Gouverneure des ESM haben dazu ein ganzes Repertoire an Maßnahmen<br />
zur Verfügung, mit denen sie gefährdeten Volkswirtschaften<br />
unter die Arme greifen wollen.<br />
• Finanzhilfen an Krisenstaaten: Der ESM kann der Regierung eines<br />
Krisenstaates mit zinsgünstigen Darlehen weiterhelfen. Im Gegenzug<br />
muss das Land bestimmte Reformauflagen erfüllen.<br />
• Ankauf von Staatsanleihen: Die Voraussetzung für den Ankauf von<br />
Staatsanleihen auf dem Anleihenmarkt ist, dass die EZB »außergewöhnliche<br />
Umstände« bescheinigt.<br />
• Direkte Finanzspritzen an Banken: Sollte es zu einer wirklichen<br />
Einigung in Sachen Bankenunion kommen, darf der ESM Darlehen<br />
gewähren, um auch Banken in Problemländern zu retten. Hier sind<br />
die Euro-Mitgliedsländer in den Verhandlungen sehr weit gekommen.<br />
• Neue Hilfen: Darüber hinaus ist der ESM in der Lage, neue Rettungsmaßnahmen<br />
zu erfinden und dadurch seinen Handlungsspielraum<br />
zu erweitern.<br />
Klar ist: Der ESM steht seit seinem Urbeginn an unter starkem Beschuss.<br />
Dabei besteht nicht nur Zweifel daran, dass er den Euro retten kann.<br />
Die Institution an und für sich, seine Macht und seine Befugnisse werden<br />
heftig kritisiert. Die Tatsache etwa, dass es für Länder, die Teil des<br />
ESM sind, keine Möglichkeit gibt, aus diesem wieder auszutreten. Die<br />
Mitgliedschaft am ESM ist dauerhaft in der jeweiligen nationalen Verfassung<br />
verankert. Oder der Machtverlust in Sachen »nationale Haushaltspolitik«,<br />
den die Mitgliedsstaaten durch die neue Finanzinstitution<br />
erleben. Heftige Kritik gab es auch an der unbegrenzten Haftung<br />
der Mitgliedsstaaten: Das ESM-Stammkapital von 700 Milliarden Euro<br />
kann unbegrenzt erhöht werden können, wenn das notwendig ist.<br />
In Deutschland wurde vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen<br />
den ESM eingereicht. Am 12. September 2012 genehmigte das Gericht<br />
in Karlsruhe den Beitritt Deutschlands zum ESM nur unter der Voraussetzung,<br />
dass die Haftung Deutschlands beschränkt bliebe ...<br />
Der ESM ist also mächtig und er hat sehr viel Geld zur Verfügung.<br />
Doch all die Macht und all das Geld – können sie Europa aus der Krise<br />
führen? Und was bedeutet es für Österreich, dass hier Milliarden an<br />
33
Steuergeldern dazu verwendet werden, die finanzschwachen Volkswirtschaften<br />
der Euro-Zone aufzupäppeln?<br />
Es liegt in der Natur der Sache, dass PolitikerInnen, die die Gesetze<br />
machen und unterzeichnen, diese als »unbedingt notwendig« und<br />
»effektiv« erachten. Finanzministerin Maria Fekter etwa betonte in<br />
<strong>€CO</strong>-Interviews beständig »die Wichtigkeit der neuen europäischen<br />
Finanzinstitution«, auch wenn Österreich nicht zu denen gehört, die<br />
davon profitieren: »Das ist im höchsten Interesse Österreichs. Weil<br />
die Euro-Zone als Staatengefüge muss stabil bleiben. Darauf ist unser<br />
Wohlstand aufgebaut. Wir haben ein großes Interesse daran, dass<br />
unsere Handelspartner, unsere Exportmärkte, jene Länder, mit denen<br />
wir Beziehungen haben, dass die zu einer Stabilität zurückkehren.«<br />
Natürlich werde »Österreich streng« sein und »genau kontrollieren«,<br />
ob die Empfängerstaaten auch ihre »Hausaufgaben machen«, sich also<br />
an die Reformvorgaben halten, die mit dem Erhalt von Krediten einhergehen,<br />
äußerte sich die Finanzministerin: »All jene, die sich nicht<br />
an die Spielregeln halten, die nicht die Hausaufgaben machen, die<br />
werden dann von Europa ein Korsett bekommen und bevormundet werden.<br />
Und ich glaube, dass alle in der Politik höchstes Interesse haben<br />
nicht bevormundet zu werden.«<br />
Es liegt auch in der Natur der Sache, dass eine Institution, die so umgreifend<br />
wirkt wie der ESM, scharfe Kritiker hat. Einer der heftigsten<br />
ist der bekannte Volkswirt Hans Werner Sinn vom deutschen »Ifo«-<br />
Institut. <strong>€CO</strong> traf ihn für ein Interview in München. Für ihn sind die<br />
»Euro-Rettungsmaßnahmen« ein Fass ohne Boden: »Es ist im Grunde<br />
das Thema eines Drogensüchtigen, der sich gewöhnt hat an die Droge.<br />
Wenn wir die absetzen, gibt es eine Krise; um das zu verhindern, müssen<br />
wir halt die Droge weitergeben.«<br />
Hans Werner Sinn kann beispielsweise nicht verstehen, dass die<br />
Steuerzahler für die Rettung des Euro zur Kasse gebeten werden. Viel<br />
eher sollten die Gläubiger der Krisenländer, darunter eben internationale<br />
Banken und Versicherungen, die Schulden abschreiben: »Es gibt<br />
nur eine Gruppe, die die Abschreibungslasten tragen kann, und das<br />
sind die Vermögensbesitzer, die dort investiert haben. Die wollen sich<br />
34
Hans Werner Sinn: Warnt vor der Griechenland-Hilfe<br />
(Foto: Ifo/A. Schellnegger)<br />
aber aus dem Staub machen, ohne die Lasten zu tragen; sie suchen<br />
jetzt einen Dummen, der an ihrer Stelle die Lasten übernimmt und<br />
das sind Sie und ich.« Diejenigen, die in den Krisenländern investiert<br />
hatten, mussten ein Risiko einkalkulieren, für das sie hohe Dividenden<br />
bekommen haben. Jetzt, da das Risiko schlagend geworden ist,<br />
müssten sie »eben die Konsequenzen tragen«, meint der renommierte<br />
Ökonom. Doch stattdessen würde der Verlust von der Europäischen<br />
Union, also letztendlich von den SteuerzahlerInnen der Euro-Länder,<br />
getragen.<br />
Durch die wiederholten Hilfszahlungen an die Krisenländer bestehe<br />
überdies die Gefahr, dass sich Europa in eine »Transferunion« verwandle,<br />
also in eine Gemeinschaft, in der ein starkes Mitglied dem<br />
finanziell Schwächeren auf Dauer Geld zur Verfügung stellen muss, so<br />
wie es zwischen Ost- und Westdeutschland der Fall war. Der Stabilität<br />
und dem sozialen und politischen Frieden diene das laut Sinn jedenfalls<br />
nicht.<br />
Auch mit den Reformvorgaben, dem »Korsett«, wie es Finanzministerin<br />
Maria Fekter so schön nennt, hat Hans Werner Sinn so seine<br />
Probleme: Auch hier sieht er den europäischen Frieden gefährdet: »Zu<br />
sagen, ihr kriegt das Geld und müsst das und das dafür tun, das ist<br />
35
erniedrigend und das führt zu einem Maximum an Spannung politischer<br />
Art in Europa. Das führt auch letztlich zu gar keiner Reform in<br />
Europa. Warum sollen sie sich denn reformieren, wenn das Geld weiter<br />
fließt?«<br />
Und dann ist da noch die große Frage, ob<br />
die europäischen Rettungsmaßnahmen rein<br />
volkswirtschaftlich betrachtet sinnvoll sind.<br />
Hans Werner Sinn hat große Zweifel daran,<br />
dass sie den Euro über Wasser halten: »Man muss natürlich den Euro<br />
retten, das ist doch keine Frage«, meint er im <strong>€CO</strong>-Interview. »Die<br />
Frage ist nur, wie man ihn rettet. Ich glaube, indem man grenzenlos<br />
zahlt, wird der Zusammenbruch des Euro in einem großen Knall vorbereitet.<br />
Wir können ihn nur retten, wenn man die Länder, die nicht<br />
mehr wettbewerbsfähig sind, temporär raus lässt aus der Euro-Zone<br />
und den Rest stabilisiert.« Dann könnten die Länder ihre neuen Währungen<br />
gegenüber dem Euro abwerten und langsam ihre Volkswirtschaften<br />
neu aufbauen – so die Theorie des Münchner Ökonomen.<br />
Den Euro retten?<br />
Ja, sicher. Nur, wie?<br />
In den Augen vieler PolitikerInnen wäre das aber genau die Lösung, die<br />
uns alle noch viel teurer zu stehen kommen würde. Maria Fekter: »Alle,<br />
die sagen, Griechenland pleitegehen zu lassen, die schaufeln erst recht<br />
die Last zu den Steuerzahlern. Daher bin ich nicht dafür, dass Griechenland<br />
pleitegeht; das würde die österreichischen Steuerzahler tatsächlich<br />
reale Milliarden kosten.«<br />
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Politiker und ihre Kritiker<br />
äußerst konträre Ansichten haben. Auch innerhalb der Volkswirtschaftslehre<br />
gibt es unterschiedliche Strömungen und Denkrichtungen.<br />
Je nach Lager werden die Maßnahmen, die die europäische Politik<br />
setzt, um der Euro-Krise Herr zu werden, unterschiedlich bewertet.<br />
Die einen halten den ESM für eine »notwendige Institution«, die anderen<br />
reiben sich an dem »vermeintlichen Stabilitätsmechanismus«.<br />
Den Weg aus der Krise geben die machthabenden PolitikerInnen vor.<br />
In deren Haut möchte man angesichts der Uneinigkeit unter den Fachleuten<br />
und Ökonomen nicht stecken. In der Haut der Steuerzahler-<br />
Innen allerdings auch nicht.<br />
36
»Eherne Reserve«: Dem Gold<br />
der Österreicher auf der Spur<br />
von Mag. Bettina Fink<br />
Es kracht gewaltig im Gebälk der Europäischen Währungsunion.<br />
Das beunruhigt die Bürger. Viele sehnen sich nach Handfestem,<br />
Angreifbarem: Gold zum Beispiel. Kein Wunder also, dass die<br />
Goldnachfrage in den letzten Jahren durch die Decke ging. Und:<br />
dass die Goldreserven der Republik Österreich plötzlich wieder<br />
interessieren. Nur: Wo ist »unser« Gold eigentlich? Wie viel besitzt<br />
der Staat? Und was sind die Barren wert?<br />
Im Shop der »Münze Österreich« dreht sich alles ums Edelmetall. Vor<br />
allem der Glanz des Goldes hat es den Privatanlegern angetan. Auf dem<br />
Höhepunkt der Finanzmarkt- und Euro-Krise wurden fünfmal so viele<br />
Münzen und Barren an Privatanleger verkauft wie zuvor. Gold gilt als<br />
sicherer Hafen. Die Menschen greifen auf das zurück, was sich schon<br />
einmal »in Krisenzeiten bewährt hat«. Und das, was die Bürger im Kleinen<br />
tun, macht auch der Staat: Er besitzt Gold als »eherne Reserve«.<br />
Österreich hat – so wie fast alle Nationen – Gold zur Absicherung der<br />
Währung im Portfolio. Hüterin des Staatsgoldes ist die Österreichische<br />
Nationalbank. 280 Tonnen Gold soll Österreich derzeit besitzen.<br />
Nur wo liegt es denn eigentlich? Lange gab es darauf keine klare<br />
Antwort. »Weil es internationale Praxis der Notenbanken ist, nicht<br />
alles im Detail zu veröffentlichen. Vor allem aus Sicherheitsgründen«,<br />
argumentierte Dr. Peter Zöllner von der Österreichischen Nationalbank<br />
bis vor kurzem. Doch der Druck der Öffentlichkeit stieg. Vor allem in<br />
Deutschland, wo wilde Debatten über den Verbleib des »nationalen<br />
Goldvorrats« geführt wurden. Ob der Geheimniskrämerei der Nationalbanken<br />
wurde auch der Raum für Verschwörungstheorien immer<br />
größer: So wurde der Verdacht geäußert, das deutsche Gold existiere<br />
gar nicht. Oder aber es hieß: Das Gold sei verliehen, gar nicht mehr als<br />
Barren vorhanden.<br />
Inzwischen hat sich Deutschland – unter dem Druck der Öffentlichkeit<br />
– für eine umfassende Inventur ihres Goldbestandes entschieden.<br />
37
Und auch in Österreich gab sich die Nationalbank Ende 2012 gegenüber<br />
dem Parlament plötzlich auskunftsfreudiger: »Ein Teil des österreichischen<br />
Goldes – nämlich 17 Prozent – liegt in Österreich, der größte<br />
Teil an Goldhandelsplätzen wie London (80 Prozent) und Schweiz<br />
(3 Prozent).« In den USA, wo es lange Zeit vermutet worden war (Fort<br />
Knox), soll derzeit kein österreichisches Gold liegen. Allerdings: »Es<br />
ist für die Zukunft nicht auszuschließen – auch die USA haben ein<br />
Rechtssystem, das zuverlässig ist; nicht umsonst kaufen so viele in<br />
Krisenzeiten US-Dollar.«<br />
Die Österreichische Nationalbank lagert unser<br />
Gold also vor allem dort, wo tief liegende sichere<br />
Tresorräume existieren und wo im Notfall<br />
das Gold auch gehandelt und sofort in<br />
Devisen umgewandelt werden kann. Doch wie sieht es mit dem Thema<br />
»Goldverleih« aus? Sind die österreichischen Goldbarren tatsächlich<br />
physisch vorhanden oder gibt es diese etwa nur noch auf dem Papier,<br />
weil sie »verleast« sind? Fakt ist: Das österreichische Staatsgold wird<br />
seit den 1990er-Jahren immer wieder verliehen. Mit den Zinsen können<br />
die Kosten der Goldlagerung beglichen werden und die Bilanz der<br />
Nationalbank wird aufgefettet.<br />
Das Gold lagert in<br />
Tresorräumen<br />
Das auch zur Freude der jeweiligen Bundesregierung, deren Budget von<br />
den Dividenden der Nationalbank profitiert. Und auch hier wurde die<br />
Nationalbank kurz vor Jahresende 2012 etwas auskunftsfreudiger: »In<br />
den letzten zehn Jahren haben wir mit Goldleihgeschäften rund 300<br />
Millionen Euro verdient – und bei solchen Geschäften keine Ausfälle<br />
verzeichnet«, so OeNB-Vizegouverneur Wolfgang Duchatczek. Anfang<br />
der 2000er-Jahre sollen noch bis zu 80 Prozent des Goldes verliehen<br />
gewesen sein – heute seien es nur noch rund 16 Prozent. »Tendenz<br />
weiter fallend.« Was vor allem mit den geringen Zinsen zu tun hat, die<br />
Gold derzeit bringt. Doch macht es aus heutiger Sicht überhaupt Sinn,<br />
mit der goldenen Notreserve Verleihgeschäfte zu betreiben? Was, wenn<br />
man das Gold plötzlich dringend bräuchte? Klare Antwort darauf: nein.<br />
Gold stellt nur einen Teil der österreichischen Währungsreserven dar.<br />
Diese machen derzeit rund 20 Milliarden Euro aus. Die Goldreserven<br />
waren – dank hohem Goldkurs – Ende 2012 rund elf Milliarden Euro<br />
38
wert. Rund sechs Milliarden der Währungsreserven sind in Devisen,<br />
also Fremdwährungen von Dollar bis Franken, angelegt. Und Österreich<br />
hat auch die Option auf Kredite des IWF, des Internationalen<br />
Währungsfonds, in Höhe von rund drei Milliarden Euro – für den Fall<br />
eines Liquiditätsengpasses. Zusätzlich hat Österreich rund um den<br />
Beitritt zur Europäischen Währungsunion rund 22 Tonnen Gold in die<br />
Europäische Nationalbank eingebracht – zum damaligen Wert von<br />
knapp 200 Millionen Euro übrigens. Heute wäre dieses Gold ein Vielfaches<br />
wert.<br />
Bezogen auf die umlaufenden Geldmengen macht der Anteil des österreichischen<br />
Staatsgoldes heute gerade einmal fünf bis neun Prozent<br />
aus. Österreich hat in den letzten Jahrzehnten auch massiv Goldreserven<br />
abgebaut. Unter anderem, weil dessen Bedeutung sank. Auch im<br />
Zusammenhang mit der Gemeinschaftswährung, dem Euro. 1992 hatte<br />
die Republik rund 650 Tonnen Gold als Währungsreserve. 1999, im<br />
Jahr der faktischen Währungsunion, waren es noch über 400 Tonnen.<br />
Bis 2007 wurde weiter abgebaut. Erst in den letzten Jahren blieben die<br />
Mengen stabil – bei 280 Tonnen.<br />
Es gab auch immer wieder politische Begehrlichkeiten, die österreichischen<br />
Goldvorräte zu verkaufen, um damit Staatsausgaben zu finanzieren.<br />
Auch das Null-Defizit-Budget 2001 des damaligen Finanzministers<br />
Karl-Heinz Grasser ist mit Hilfe von Goldverkäufen »vereinfacht«<br />
worden. Gegen einen Generalverdacht allerdings verwehrt sich der<br />
ehemalige Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Dr. Klaus<br />
Liebscher vehement: »Die Goldverkäufe waren für jene, die das Budget<br />
sanieren wollten, eine willkommene Gelegenheit; aber es war nicht so,<br />
dass wir für die Budgetsanierung verkauft hätten. Für mich war der<br />
Kursgewinn, den wir einfahren wollten, das entscheidende Kriterium.«<br />
Doch was wäre Österreichs Gold denn heute theoretisch wert – im<br />
Ernstfall? Bei einem Währungscrash? Ein paar Zahlen zum Vergleich:<br />
Österreichs Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 300 Milliarden Euro<br />
im Jahr; mit den elf Milliarden in Gold käme man wohl nicht sehr weit.<br />
Sie entsprechen in etwa dem Wert der österreichischen Importe eines<br />
einzigen Monats. Dr. Johann Kernbauer rechnet vor: »Wenn man den<br />
Goldbestand der Nationalbank auf die Österreicher umlegt, ergibt sich<br />
39
ein Goldbesitz pro Kopf von rund 1300 Euro – allein die Bauspareinlagen<br />
sind doppelt so hoch. Und das Finanzvermögen der Österreicher<br />
wird im Schnitt auf 60.000 Euro pro Kopf geschätzt – also ein Vielfaches<br />
dessen, was die Aufteilung des Goldbesitzes auf den einzelnen<br />
Österreicher ausmachen würde.«<br />
Zudem könnte Österreich innerhalb der Europäischen<br />
Währungsunion nicht so einfach nach<br />
Belieben über die eigenen Goldreserven verfügen.<br />
Es existiert ein Abkommen, das den Goldverkauf<br />
pro Jahr limitiert. Und: Man müsste sich bei einem Zugriff auf<br />
das nationale Gold mit der Europäischen Zentralbank abstimmen. »Und<br />
das ist gut so«, sagt Dr. Klaus Liebscher: »Wenn 17 Notenbanken plus die<br />
EZB zusammen sind, kann Österreich nicht souverän tun, was es will.«<br />
Freistil-Verkauf<br />
ist nicht möglich<br />
Gold hat vor allem psychologisch und symbolisch eine starke Wertigkeit;<br />
die reale Bedeutung in der internationalen Geldwirtschaft wird<br />
immer geringer. Für Gold als eiserne Reserve sprechen vor allem emotio<br />
nale Argumente, wie Dr. Eduard Brandstätter, Wirtschaftspsychologe<br />
an der Universität Linz, ausführt: »Gold steht für Luxus, für Reichtum,<br />
eventuell auch etwas Dekadenz. Gold symbolisiert Beständigkeit.«<br />
Und das übrigens seit Jahrtausenden. Angefangen vom Gold der Pharaonen<br />
über den legendären Schatz des antiken König Priamos bis<br />
heute – Gold hat eine wichtige Funktion. Es steht für Macht, für<br />
Sicher heit und Ewigkeit. Sicherheit, die es so natürlich nicht gibt:<br />
Auch Goldkurse schwanken. Bei Gold geht es aber auch um Sehnsüchte.<br />
Denn faktisch gibt es weltweit gar nicht so viel Gold, dass<br />
alles Papiergeld damit abgesichert werden könnte. Die Weltwirtschaft<br />
ist in ihren Dimensionen längst über die existierenden Goldmengen<br />
hinausgewachsen.<br />
Eine tragende Säule des Staates ist Gold derzeit nicht mehr. Doch der<br />
Mythos lebt. Heute, da Milliarden an Hilfsgeldern nach Griechenland<br />
oder hin zu Pleitebanken verschoben werden, mehr denn je. Denn<br />
die dabei bewegten Summen erscheinen den Bürgern immer irrealer,<br />
immer ungreifbarer. Da hat so ein kleiner, funkelnder Barren direkt<br />
etwas Handliches.<br />
40
Nix wie raus aus dem Euro –<br />
aber welche »Fluchtwährung«?<br />
von Katinka Nowotny<br />
Schuldenkrise und Euro-Schwäche – wen wundert es, dass immer<br />
mehr Menschen ihre Ersparnisse schützen wollen, in dem sie in<br />
andere Währungen investieren. Doch gerade für Kleinanleger lauern<br />
hier große Risiken. Oft ist der Spatz in der Hand tatsächlich<br />
besser als die Taube auf dem Dach – auch wenn die Versuchungen<br />
manchmal sehr gross scheinen.<br />
Zehn Jahre lang galt der Euro als starke und stabile Währung, als würdiger<br />
Nachfolger der harten D-Mark, die in ganz Europa als mächtiger Anker in<br />
einer turbulenten Wirtschaftswelt betrachtet wurde. Doch diese Zeiten<br />
sind vorüber. Zwar hat die Gemeinschaftswährung gegenüber anderen<br />
globalen Währungen – dem Dollar, dem Yen, dem britischen Pfund – nicht<br />
gerade dramatisch an Wert verloren. Die an haltende Schuldenkrise am<br />
Südrand der Euro-Zone und die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank,<br />
mit dem Ankauf von Staatsanleihen die Schulden mancher Staaten zu<br />
finanzieren, haben jedoch ihre Spuren in den Wechselkursen hinterlassen.<br />
Deshalb fragen sich immer öfter Anleger in der Euro-Zone, ob sie ihre<br />
Ersparnisse nicht doch anderswo investieren sollten – in Ländern, die<br />
auf das Experiment einer gemeinsamen Währung ohne gemeinsame<br />
Regierung verzichtet haben; in Währungen, die nicht dauernd im<br />
Gerede sind.<br />
Tatsächlich hat etwa der Schweizer Franken in den vergangenen drei<br />
Jahren rund ein Viertel gegenüber dem Euro zugelegt; die norwegische<br />
Krone hat knapp 20 Prozent gewonnen. Auch das britische Pfund ist<br />
heute um fünf Prozent fester als 2009 und selbst der polnische Zloty<br />
hat gegenüber dem Euro um vier Prozent an Boden gut gemacht. Sogar<br />
der US-Dollar ist heute rund zehn Prozent stärker als am Tiefpunkt<br />
der Weltfinanzkrise – trotz der anhaltenden Schwäche der amerikanischen<br />
Wirtschaft. Und der chinesische Yuan steht auch um 20 Prozent<br />
besser da als noch vor ein paar Jahren.<br />
41
Unser Euro: Viele flüchten aus der gemeinsamen Währung<br />
(Foto: OeBS)<br />
Das alles sind Werte, die zum Redaktionsschluss dieses Buches galten.<br />
Sie mögen nun, da Sie das neue <strong>€CO</strong>-Jahrbuch in Händen halten, nicht<br />
mehr hundertprozentig präzise sein – was aber sicher Gültigkeit<br />
haben wird, ist die Tendenz. Selbst die Prognosen für viele Währungen<br />
außerhalb des Euro-Raumes liegen besser als die Erwartungen für die<br />
mit so vielen Problemen behaftete europäische Einheitswährung. Also:<br />
Nichts wie raus aus dem Euro?<br />
Experten raten zur Vorsicht. Denn was eine Investition in eine andere<br />
Währung bringt, hängt nicht nur von der Entwicklung des Wechselkurses<br />
ab, sondern auch von den Zinsen, die man dort verdienen<br />
kann. Und die sind in manchen dieser klassischen Fluchtwährungen,<br />
nun ja, nicht besonders berauschend.<br />
Das gilt vor allem für den Schweizer Franken, für den Anleger fast gar<br />
keine Zinsen mehr erhalten – gerade 0,6 Prozent im Jahr auf zehnjährige<br />
Staatsanleihen. Nur so kann die Schweizer Nationalbank einen<br />
weiteren Wechselkurs-Anstieg der eigenen Währung vermeiden, der<br />
der Wirtschaft des Landes schweren Schaden zufügen würde. »Die<br />
wenigsten Anleger verwenden logischerweise den Schweizer Franken<br />
als Anlagewährung«, sagte uns auch Susanne Höllinger, als sie im Vorjahr<br />
noch Leiterin des Private-Banking-Bereiches der »Erste Bank« war.<br />
42
»Das hat zwei Gründe: Er bietet praktisch keine Verzinsung. Und er ist<br />
bereits so hart und teuer geworden, dass die Erwartung, später noch<br />
einmal Währungsgewinne zu machen, eigentlich gleich null sind.«<br />
Auch in den USA, Großbritannien, Norwegen und Japan sind die Zinsen<br />
niedriger als in Österreich, wo einfache Sparer bereits unter den<br />
geringen Renditen stöhnen. Nur polnische Staatsanleihen scheinen<br />
mit 5,2 Prozent gut aufgestellt. Doch dort gibt es, trotz der starken<br />
pol nischen Wirtschaft, auch ein höheres Risiko als im Westen.<br />
Die Flucht in fremde Währungen birgt grundsätzlich Gefahren, betonen<br />
Experten. Denn damit handelt man sich ein Währungsrisiko ein,<br />
das zu Hause so nicht existiert. Wenn der Euro fällt, dann spürt man<br />
das im Alltag kaum, weil die meisten Preise ja gleich bleiben. Weder<br />
Mieten noch Bier werden teurer. Bloß Tanken kostet noch etwas mehr,<br />
weil das Öl importiert wird; und natürlich verteuern sich auch Reisen<br />
ins (Nicht-Euro-)Ausland.<br />
Bei einer Veranlagung in Fremdwährungen aber spiegelt sich jede<br />
Wechsel kursschwankung sofort in Gewinnen oder Verlusten wider.<br />
Es ist wie eine Investition in spekulativen Aktien. »Wir sind immer<br />
der Meinung, dass es gefährlich ist, aus der Währung zu flüchten, in<br />
der man lebt und arbeitet; genauso wie es gefährlich war, Kredite in<br />
Yen oder Schweizer Franken aufzunehmen«, sagt Harald Holzer, ein<br />
Vorstand der »Kathrein«-Bank.<br />
Währungen können massiv und schnell schwanken. Tagtäglich werden<br />
mehrere Billionen an Euro, Dollar, Yen oder Pfund auf dem internationalen<br />
Devisenmarkt hin und her verschoben. Händler in den großen<br />
Banken bewegen per Mausklick riesige Summen; Angebot und Nachfrage<br />
bestimmen in jedem Augenblick den Preis. Und nicht selten sind<br />
es hochkomplexe Computerprogramme, die darüber entscheiden, ob<br />
ein Währungskurs fällt oder steigt.<br />
Während es bei Aktien noch möglich ist, die Solidität und finanzielle<br />
Stärke des Unternehmens zu beurteilen und daraus Prognosen abzuleiten,<br />
sind Wechselkursprognosen ein reines Ratespiel. Niemand weiß,<br />
wo eine Währung in einem Jahr stehen wird – nicht einmal für den<br />
43
Euro-Druck in Österreich: Währungsspekulation als unsicheres Terrain<br />
(Foto: OeBS)<br />
nächsten Tag ist eine präzise Prognose möglich. Das macht Währungsspekulationen<br />
zu einem unsicheren Terrain, auf dem man sich als<br />
Kleinanleger rasch die Finger verbrennen kann.<br />
Dennoch kann es sinnvoll sein, zumindest einen Teil seiner Ersparnisse<br />
in anderen Währungen anzulegen. Wenn der Euro fällt, dann<br />
bleibt zumindest dieser Teil des Portefeuille stabil. Diversifizierung<br />
hilft immer das Gesamtrisiko bei der Geldanlage zu senken. Je nach<br />
der eigenen Risikobereitschaft und dem Ausmaß der Ersparnisse sollten<br />
dies etwa zehn bis zwanzig Prozent der eigenen Ersparnisse sein,<br />
raten Experten. Bei größeren Vermögen auch mehr.<br />
Aber wohin »flüchten«? Die klassische Alternative zur Heimwährung<br />
ist immer noch der US-Dollar. Die USA bieten den größten Kapitalmarkt<br />
der Welt. Vor allem amerikanische Aktien gehören in jedes<br />
professionell gemanagte Portefeuille. Wer vor zehn Jahren Anteile von<br />
Apple, Google oder Amazon gekauft hat, hat auf jeden Fall gewonnen –<br />
egal, wie sich der Dollar nun von Tag zu Tag entwickelt.<br />
»Der Vorteil des US-Dollar ist, dass hier eine einheitliche Regierung<br />
da ist, die frei agieren kann, ohne Rücksicht auf 17 andere Nationen«,<br />
sagt Holzer unter Hinweis auf die Entscheidungsträgheit<br />
44
der Euro-Zone. »Ein weiterer Vorteil: eine Wirtschaft, die wächst. Der<br />
Nachteil: die volkswirtschaftlichen Rahmendaten – die Verschuldung,<br />
das Budgetdefizit. Hier gibt es Kennzahlen, die genauso schlecht,<br />
wenn nicht sogar noch schlechter als die in der Euro-Zone sind.«<br />
Dazu kommt, dass die Amerikaner Jahr für Jahr immer noch zu wenig<br />
sparen – und ebenso jedes Jahr viel mehr importieren, als sie selbst<br />
für den Export produzieren. Die Lücke in der Leistungsbilanz wird vor<br />
allen durch Kapital aus China geschlossen. Schon allein deshalb wird<br />
dem Dollar seit Jahren ein deutlicher Wertverlust vorausgesagt. Bloß<br />
weil dieser noch nicht oder erst gering eingetroffen ist, heißt das<br />
nicht, dass er niemals kommt.<br />
Wenn aber nicht Dollar, was dann? Japan ist<br />
noch viel höher ver schuldet als die USA und<br />
die Wirtschaft des Landes wächst seit Jahren<br />
kaum. Das spricht gegen den Yen. Auch<br />
in Großbritannien türmen sich die wirtschaftlichen Probleme; das<br />
Land mit seinem riesigen Finanzsektor wurde von der Krise besonders<br />
hart getroffen. Allerdings böte die Londoner Börse eine ansehnliche<br />
Auswahl an großen international agierenden Konzernen mit zum Teil<br />
guten Gewinnaussichten.<br />
Wenn aber nicht<br />
Dollar, was dann?<br />
Beim Schweizer Franken wiederum passen alle fundamentalen<br />
wirtschaft lichen Daten. Wenn die Schweizer Nationalbank nicht durch<br />
ihre Interventionen einen Deckel bei ihrem Kurs zum Euro eingezogen<br />
hätte, dann läge der Franken bereits viel höher in der Bewertung. Aber:<br />
Wer in Franken sein Geld anlegt, muss für diese Sicherheit bezahlen –<br />
durch den Verzicht auf Zinsen; zum Teil sogar durch negative Zinsen.<br />
Interessant scheinen die skandinavischen Staaten, die sich alle vom<br />
Euro fern gehalten haben. Hier ist vor allem die norwegische Krone der<br />
Liebling für Währungshasardeure. Dank des Ölreichtums des Landes<br />
ist die Krone de facto eine »Petrowährung«. »Die norwegische Krone<br />
wurde in den vergangenen Quartalen stark nachgefragt«, erklärt<br />
Valentin Hofstätter, Währungsexperte bei der Raiffeisen Zentralbank.<br />
»Ihr großer Vorteil sind die Erdöleinnahmen und Norwegen ist ein<br />
Nettogläubiger. Aber die Währung ist schon sehr teuer.« Wie sich die<br />
45
Krone weiter entwickelt, hängt also vor allem vom Ölpreis ab. Auch<br />
der muss, vor allem kurzfristig gesehen, nicht immer steigen, sondern<br />
könnte zwischendurch auch wieder einmal stärker nachgeben.<br />
Der polnische Zloty und andere osteuropäische Währungen hängen<br />
in ihrer Kursentwicklung wiederum stark vom Euro ab und stellen<br />
daher keine wirkliche Fluchtwährung dar. Für wirklich Wagemutige<br />
aber lockt der chinesische Yuan, die Währung der vielleicht bald größten<br />
Wirtschaftsmacht der Welt.<br />
Tatsächlich ist der Yuan, auch Renimbi genannt,<br />
in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.<br />
Freilich entscheidet hier nicht das<br />
freie Spiel der Marktkräfte, sondern der Wille<br />
der Kommunistischen Partei. Denn anders als die anderen großen<br />
Währungen der Welt ist der Yuan nicht frei handelbar; er wird von<br />
der Staatsmacht gelenkt. Jahrelang hat diese ihn künstlich niedrig<br />
gehalten, um die Exporte anzukurbeln; erst unter dem starken Druck<br />
der USA hat die chinesische Führung eine allmähliche Aufwertung<br />
zugelassen. »Es ist eine politische Entscheidung, wie sich der Wechselkurs<br />
des Yuan entwickeln wird«, sagt Harald Holzer von der<br />
»Kathrein«-Bank. »Alle gehen davon aus, dass er aufwerten wird; aber<br />
das wird sich erst zeigen.« Mitglied des Pekinger Zentralkomitees<br />
müsste man sein ...<br />
Für Wagemutige<br />
lockt Chinas Yuan<br />
Einer der Hebel, über die die chinesische Regierung den Wechselkurs<br />
steuert, ist: Sie begrenzt den Eintritt von ausländischem Kapital.<br />
Auch das macht es schwer, am künftigen Anstieg des Yuan zu partizipieren.<br />
Am ehesten geht das noch über Veranlagungen in Hongkong,<br />
sagen Asien-Experten.<br />
Also, wohin man immer will: Nur ein kleiner Teil des Vermögens sollte<br />
»anderswo« Zuflucht suchen. Denn was immer passiert – die Dinge,<br />
die jemand fürs tägliche Leben braucht, wird man stets mit der eigenen<br />
Währung bezahlen. Wie bereits zu Beginn geschildert: Der Spatz<br />
in der Hand – nun, Sie wissen schon ...<br />
46
Ratingagenturen: Die Spur der<br />
Verwüstung quer durch Europa<br />
von Mag. Ilja Morozov<br />
Lange Zeit galten »Standard & Poors«, »Moody’s« und »Fitch« als<br />
unantastbar. Damit ist jetzt Schluss. Mehrere wissenschaftliche<br />
Studien geben den berühmt-berüchtigten Ratingriesen Mitschuld<br />
an der Euro-Krise. Und Investoren haben gegen »die großen<br />
Drei« erstmals erfolgreich »wegen massiven Betruges« geklagt.<br />
Schließlich will auch die Europäische Union die Ratingagenturen<br />
an die Kandare nehmen – freilich erst ab dem Jahr 2014.<br />
Der Aufschrei in Europa war groß, als vor einem Jahr reihenweise die<br />
Buchstaben purzelten. Denn mit ihnen purzelten auch Ansehen und<br />
Kreditwürdigkeit. Im Jänner 2012 verlor neben Frankreich auch Österreich<br />
sein heiß geliebtes Triple-A-Rating. Insgesamt neun Staaten wurden<br />
auf einen Schlag ihrer bisherigen Note beraubt. Und das mitten in<br />
der Euro-Krise, während der viele Länder mit enormen Zinsaufschlägen<br />
zu kämpfen hatten. Für viele EU-Politiker war schnell klar, dass hier<br />
»nicht mit objektiven Maßstäben gerechnet« wurde. Sogar von einer<br />
Verschwörung gegen Europa war die Rede. Denn während Angela Merkel<br />
und Co. von einem Rettungsgipfel zum nächsten pilgerten, schienen die<br />
amerikanischen Ratingagenturen nahezu jede Lösung der Euro-Krise zu<br />
torpedieren.<br />
Auch in Österreich ging die Angst um, dass nach dem Verlust der AAA-<br />
Bonität die Zinszahlungen in die Höhe schnellen würden – mit fatalen<br />
Auswirkungen aufs Budget. Eine ganze Nation war empört. <strong>€CO</strong> besuchte<br />
im Frühjahr 2012 daher jenen Analysten, der Österreichs Herabstufung<br />
zu vertreten hatte – und staunte nicht schlecht: Alois Strasser<br />
ist gebürtiger Oberösterreicher und Chefanalyst bei »Standard &<br />
Poor’s« (S&P) in Frankfurt.<br />
Erstmals ließ sich der bis dahin medienscheue Natternbacher von<br />
einem Fernsehteam in die Mangel nehmen. Natürlich fragten wir<br />
ihn, ob er es bereue, seiner Heimat das Triple-A genommen zu haben?<br />
»Nein, weil mein Auftrag ist es, ein richtiges Rating draußen zu<br />
47
haben. Ob ich jetzt Österreicher bin oder aus einem anderen Land<br />
komme, ich habe eine gute Arbeit abzuliefern. Und dass Österreich<br />
heruntergestuft worden ist, ist zwar schade, aber es war aufgrund der<br />
Gesamtsituation nicht anders möglich«, antwortete Alois Strasser –<br />
eher unpatriotisch, aber pflichtbewusst. Der wahre Grund für die<br />
Herabstufung auf »das auch noch schöne Rating AA+«, so der Oberösterreicher,<br />
seien eben die Unsicherheiten in der EU und weniger<br />
Österreichs marode Staatsbanken.<br />
Immerhin: Das befürchtete Donnerwetter auf<br />
den Finanzmärkten blieb für die Alpenrepublik<br />
aus. Ende 2012 musste Finanzministerin<br />
Maria Fekter für neue Staatsanleihen so<br />
niedrige Zinsen zahlen wie nie zuvor – beinahe bereits lächerliche<br />
zwei Prozent. Ganz im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Portugal oder<br />
Griechenland. Dort hatten massive Herabstufungen durch die drei Ratingriesen<br />
pure Verzweiflung ausgelöst. Im <strong>€CO</strong>-Interview zeigte sich<br />
der österreichische S&P-Analyst Alois Strasser dennoch von der »makellosen<br />
Leistung« seiner Agentur überzeugt: »Es ist so, dass wir jahrzehntelang<br />
Meinungen zu Staatsratings veröffentlicht haben. Und die<br />
waren eigentlich immer sehr gut und korrekt.«<br />
Das Donnerwetter<br />
ist ausgeblieben<br />
Freilich: Das sehen viele Experten anders. Eine Studie der anerkannten<br />
Wirtschaftsuniversität »HSG« in St. Gallen bestätigte im alten Jahr<br />
erstmals schwarz auf weiß, was viele EU-Politiker von Anfang an vermuteten<br />
– und was sie im neuen Jahr zu neuen Beschränkungen für<br />
die Bonitätswächter greifen lässt: Die Agenturen tragen massiv (Mit-)<br />
Schuld an Europas Misere. »Nicht nachvollziehbare Herabstufungen<br />
europäischer Länder sind eine zentrale Ursache und Triebfeder der<br />
europäischen Schuldenkrise«, fassten die Autoren zusammen. So<br />
haben die Schweizer Wissenschaftler unter anderem errechnet,<br />
dass »S&P«, »Moody’s« und »Fitch« schon seit 2008 nach krummen<br />
Maßstäben bewertet haben. Anhand »objektiver Wirtschaftsfaktoren«<br />
hätte beispielsweise Irland statt um sieben Klassen nur um eineinhalb<br />
Klassen herabgestuft werden dürfen; Portugal statt um acht nur<br />
um eine halbe Klasse und – man glaubt es kaum – selbst Griechenland<br />
hätte zu Beginn der Krise gar nicht herabgestuft werden müssen.<br />
Freilich, hier liegt die Betonung auf dem Begriff »nicht müssen«.<br />
48
All das habe die Länder »allerdings an den Rand der Insolvenz« gedrängt,<br />
folgern die Experten nüchtern. Die Studienergebnisse sind<br />
harter Tobak, der den Kritisierten nicht gut bekommen ist. »Standard<br />
& Poor’s« reagierte verschnupft auf die Vorwürfe und antwortete mit<br />
einer zweieinhalbseitigen Gegendarstellung. Die Rechenmodelle der<br />
Schweizer Studienautoren freilich konnten nicht zweifelsfrei widerlegt<br />
werden. Und auch andere Institutionen gingen mit den Ratingagenturen<br />
hart ins Gericht. Laut den Wissenschaftlern der Plattform<br />
»Intereconomics« haben die Analysten vor der Euro-Krise »viel zu<br />
gutmütig Bestnoten« verteilt, »viel zu spät auf hohe Schuldenberge<br />
reagiert« und dann »übereifrig Staaten herabgestuft«. Das habe die Situation<br />
auf den Finanzmärkten »verschärft«.<br />
Die Problematik ist nicht neu. Auch während der Asienkrise vor fast<br />
15 Jahren sind die Agenturen für ihre wenig ruhmreiche Rolle kritisiert<br />
worden. Viele Staaten fühlen sich in »Geiselhaft der Bonitätsprüfer«,<br />
die hauptsächlich den US-Finanzmärkten nahe stehen. Wer<br />
Anleihen platzieren und somit neue Schulden machen will, kommt<br />
de facto nämlich an den »großen Drei« nicht vorbei. Investoren vertrauen<br />
noch immer auf das Urteil von »Standard & Poor’s«, »Moody’s«<br />
und »Fitch«. Dabei hätten Staaten und internationale Organisationen<br />
genügend Beweise in der Hand, um weniger aufgeregt auf die Beurteilungen<br />
der Ratingagenturen reagieren zu können. Doch was ist bisher<br />
geschehen? Richtig, so gut wie nichts. Denn egal, was Ratingagenturen<br />
auch machen, sie sind niemandem Rechenschaft schuldig. Haftungen<br />
für falsche Benotungen sind ausgeschlossen, da es sich ja schließlich<br />
nur um »Meinungen« handelt, die von der Redefreiheit geschützt<br />
werden.<br />
In den USA, dem größten Finanzplatz der Welt, waren die Bonitätswächter<br />
bis zum Jahr 2006 gar völlig ohne Aufsicht. Und das trotz vorheriger<br />
echter Rating-Katastrophen wie »Parmalat«, »Worldcom« oder »Enron«;<br />
dem US-Energieriesen »Enron« war gar vier Tage vor dem Konkurs noch<br />
eine »gute Bonität« bescheinigt worden. Erst als die blamierte amerikanische<br />
Börsenaufsicht SEC Nachforschungen anstellte, gab es die ersten<br />
Kratzer an der Fassade der Ratingagenturen: In einem 700 Seiten starken<br />
Bericht kam eine offizielle Untersuchungskommission der US-Regierung<br />
zum Schluss, dass »Ra tingagenturen die Hauptverursacher der<br />
49
Finanzkrise« sind. Detailreich werden darin toxische Finanzprodukte<br />
beschrieben, die bereitwillig mit »AAA« bewertet wurden. Hundertfach<br />
war von den Prüfern schnelles Geld gemacht worden, ohne dass die Produkte<br />
tatsächlich durchleuchtet worden wären ...<br />
Um das wahre Ausmaß der Abzocke im Detail<br />
verstehen zu können, lohnt ein Blick zurück<br />
zum Ausgangspunkt der Finanzkrise. Ratingagenturen<br />
wie »S&P« oder »Moody’s« verdienten<br />
bis dahin ihr Geld, indem sie Unternehmen und Länder auf ihre<br />
Bonität bewerteten. Nur: Staatsanleihen sind zwar prestigeträchtig,<br />
bringen jedoch kaum Umsatz. »Standard & Poor’s« etwa bewertet jährlich<br />
über eine Million Finanzprodukte, von denen aber nur ein Bruchteil<br />
Staaten zuzuordnen ist. Die USA oder Deutschland werden überhaupt<br />
gratis bewertet, weil die Agenturen sonst keinen Zugang zu den<br />
dortigen Kunden erhalten.<br />
Die Bonitätswächter<br />
sind ohne Aufsicht<br />
Richtig viel Geld lässt sich hingegen mit »komplexen Produkten« machen.<br />
Diese tauchten auf dem Markt auf, als ab dem Jahr 2002 immer<br />
mehr Menschen in den USA auch mit schlechter Bonität einen Kredit<br />
bekamen – urplötzlich nämlich machte sich unter den Investmentbanken<br />
eine Art Goldgräberstimmung breit. Gewiefte Finanz mathematiker<br />
verpackten Kredite schlechter Bonität, so genannte »subprime mortgages«,<br />
zu handelbaren Geldanlagen und verkauften diese toxischen<br />
Gebilde an andere Investoren. Damit das Ganze einen seriösen Charakter<br />
hatte, verpassten Ratingagenturen den Produkten ihr Gütesiegel<br />
– in den meisten Fällen übrigens ein »Triple-A«.<br />
Die Gewinne von »Moody’s« und Co. schnellten bei einer Marge von<br />
über 40 Prozent regelrecht in die Höhe. Insgesamt bewerteten die drei<br />
Ratingriesen »Finanzprodukte« im Wert von mehreren Billionen Dollar,<br />
allesamt angeblich höchst objektiv. In Wirklichkeit blieben ihnen<br />
im Schnitt oft nicht einmal zwei Stunden Zeit, um Millionendeals zu<br />
überprüfen – und abzusegnen. Was danach passiert ist, ist Geschichte.<br />
Zahllose »Triple-A«-Produkte verloren nach der Lehman-Pleite 2008 vollständig<br />
an Wert. Massenhaft gingen bestgeratete Finanzprodukte den<br />
Bach hinunter, unglaubliche Summen wurden vernichtet, weil die Investoren<br />
nahezu blind dem Urteil der Bonitätsprüfer vertraut hatten ...<br />
50
Und: Viele Investoren, die die Ratingagen turen nicht aus ihrer Verantwortung<br />
entlassen wollten, blitzten mit ihren Klagen auch vor den<br />
Gerichten ab – fast durchwegs argumentierten die Anwaltskanzleien<br />
der Agenturen dabei eben mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit.<br />
Erst im Vorjahr ist es »down under«, also in Aus tralien, zu einem Aufsehen<br />
erregenden Urteil gekommen, das die Opfer der Bonitätsprüfer<br />
erstmals hoffen lässt.<br />
Der Akt geht als »Fall Rembrandt« vermutlich in die Justizgeschichte<br />
ein. Tatsächlich liest sich das 1490 Seiten umfassende Gerichtsurteil<br />
wie ein Wirtschaftskrimi, der alle Vorurteile gegenüber Ratingagenturen<br />
zu bestätigen scheint. 13 kleine australische Gemeinden hatten<br />
auf Schadenersatz geklagt, weil sie durch Investments in »Rembrandt<br />
2006« rund 16 Millionen Dollar verloren hatten. »Standard & Poor’s«<br />
hatte dem neuartigen Finanzprodukt im Oktober 2006 ein »Triple-A«<br />
verpasst, damit dessen Vertreiber – die holländische Investmentbank<br />
»ABN Amro« – Anteilsscheine an den Mann bringen konnte.<br />
Es kam, wie so oft in diesen Jahren: Nur zwölf Monate später war<br />
»Rembrandt 2006« wertlos. Den Schaden trugen die kleinen australischen<br />
Gemeinden – und deren Rechtsvertreter und Detektive deckten<br />
Schriftverkehr und Zustände auf, die jedem Interessierten den<br />
Atem verschlagen. Weil »S&P« selbst nämlich kaum Erfahrung mit<br />
dem brandneuen CPDO (dem hoch riskanten Kreditderivat »Rembrandt<br />
2006« ) hatte, entwickelte ausgerechnet Vertreiber »ABN Amro« ein<br />
Ratingmodell, der es den Analysten dann auch netterweise zur Verfügung<br />
stellte. »Ist es normal, dass eine Ratingagentur einer Bank<br />
erlaubt, eigene Modelle zu erstellen, mit denen sie dann selbst geratet<br />
wird?«, fragte ein verblüffter Mitarbeiter in einem internen Mailverkehr<br />
der holländischen Bank. »Nein! Es ist nicht normal und absolut<br />
verrückt«, antwortete ein Bankmanager, »aber es ist eine tolle Chance<br />
für uns.«<br />
Nicht nur, dass die australischen »S&P«-Analysten keine Erfahrung<br />
mit dem Konstrukt »Rembrandt 2006« hatten; sie verließen sich auch<br />
auf ungeprüfte Daten der Bank und vergaben ein »AAA«, weil die<br />
»ABN Amro« Dampf machte: »Wir stehen unter enormem Druck, das<br />
Produkt noch nächste Woche zu starten. Ihr müsst so schnell wie<br />
51
möglich die nötigen Berechnungen starten.« Erst nach und nach dämmerte<br />
es den Analysten, dass Fehler begangen worden sind. »Dieser<br />
Deal ist eine absolute Katastrophe«, schrieb ein hochrangiger S&P-<br />
Analyst an seine Kollegen. Und dennoch: Auch bei einer zweiten Auflage<br />
von »Rembrandt« gab es wieder ein »Triple-A«.<br />
Schließlich rechneten die Prüfer von »S&P« selbst nach – und entdeckten,<br />
dass das Finanzprodukt bei weitem nicht die Bonität hatte,<br />
wie bereits zugestanden. »Als wir das erste Mal diesen ABN Amro-<br />
Deal vor uns hatten, wussten wir, dass hier etwas nicht stimmt. Aber<br />
wir hatten unsere eigene Modellierung auf später verschoben. Nun<br />
sind wir aber in diesem Deal gefangen und können nicht mehr raus«,<br />
hieß es darauf hin »S&P«-intern. Der Fluch der bösen Tat folgte auf<br />
dem Fuß: Um »die Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens« auf dem<br />
australischen Finanzmarkt zu wahren, musste auch eine letzte, dritte<br />
Tranche von »Rembrandt 2006« mit »AAA« bewertet werden.<br />
Verzweifelte Mails eines Junganalysten kurz vor Platzen der Seifenblase<br />
decken die absurd-kriminelle Welt der Ratingagenturen auf: »Ich<br />
bin fertig mit dem ganzen CPDO-Deal; ich wünschte, ich wäre nie in<br />
diese Schweinerei geraten.« Darauf sein Kollege: »Was bist du nicht für<br />
ein Waschlappen.« »Nein, du bist der Waschlappen, weil du dich vor<br />
den Bankern gebückt hast. Du bewertest etwas mit AAA, wenn es in<br />
Wirklichkeit ein A– ist? Bist du stolz darauf?«<br />
So viel zum Thema Ratingagenturen und Unabhängigkeit. Der Richter<br />
in Australien verdonnerte »Standard & Poor’s« und die Bank »ABN<br />
Amro« übrigens zu insgesamt 30 Millionen Dollar Schadenersatz. Und<br />
natürlich ist »Rembrandt 2006« noch immer gerichtsanhängig – ein<br />
derart richtungweisendes Urteil wollten die Rechtsvertreter der Ratingagenturen<br />
selbstverständlich nicht durchgehen lassen.<br />
Aber: Das Stück gibt Hoffnung.<br />
52
Der Sündenfall der EZB – wenn<br />
nur noch die Druckmaschine hilft<br />
von Katinka Nowotny<br />
Der Schritt der Europäischen Zentralbank, im großen Umfang<br />
Staatspapiere der Schuldnerstaaten in der Euro-Zone aufzukaufen,<br />
hat eine heftige Debatte unter Ökonomen ausgelöst: Wird damit<br />
die Euro-Krise beigelegt – oder wird nur die Inflation angeheizt?<br />
Sie sollte ein »Bollwerk monetärer Stabilität« sein, ein »fester<br />
Anker für die neue Währung«: Als die Europäische Zentralbank 1998<br />
als Notenbank für zunächst elf Teilnehmerstaaten gegründet wurde,<br />
waren alle ihre Statuten darauf ausgerichtet, sicherzustellen, dass<br />
die EZB niemals die Schulden ihrer Mitglieder finanzieren und so das<br />
Tor zu einer inflationären Geldpolitik aufmachen würde. Denn wenn<br />
einmal eine Notenbank Geld druckt und dieses den Regierenden borgt,<br />
dann werden die Ersparnisse der Bürger weniger wert ...<br />
Vor allem Deutschland hatte damals darauf gedrängt, dass dieses<br />
Szenario nie Wirklichkeit würde. Deshalb erhielt die EZB eine so genannte<br />
»Nichtbeistandsklausel« für Staatsschulden. Ja, selbst die Staaten<br />
untereinander sollten nicht für die Schulden anderer haften. Wenn<br />
jeder auf sich allein gestellt ist, so die Logik, dann würden die Regierungen<br />
bei ihrer Haushaltspolitik Vernunft und Sorgfalt walten lassen.<br />
Doch bekanntlich ist alles ganz anders. Vor allem die Regierungen der<br />
südlichen Euro-Länder häuften riesige Schulden an oder müssen ihren<br />
Banken zu Hilfe kommen, was riesige Löcher in die öffentlichen Haushalte<br />
reißt. Die Zinsen dieser Staaten schnellen in die Höhe, was die<br />
Budgets noch mehr belastet. Und in dieser Lage tut die EZB genau das,<br />
was Deutschland und andere befürchtet hatten: Sie kauft Staatsanleihen<br />
und entlastet damit den Schuldendienst ihrer Mitgliedsstaaten.<br />
Zuerst erwarb sie 2010 griechische Staatsanleihen, dann irische und<br />
portu giesische und schließlich auch Schuldpapiere der großen Volkswirtschaften<br />
Spanien und Italien. Sie tat dies anfangs in »begrenztem<br />
Umfang«, immer vom Argument begleitet, dass »die Beruhigung der<br />
53
Anleihemärkte notwendig« sei, damit die Geldpolitik überhaupt funktionieren<br />
kann.<br />
Freilich: Die EZB tastete sich dabei an die Grenzen des Erlaubten heran –<br />
und überschritt diese nach Meinung von Kritikern. Weil eine Änderung<br />
der Regeln die Zustimmung aller Staaten benötigt hätte, interpretierte<br />
die EZB-Spitze nämlich einfach die Regeln um. Wenn die Bank Staatsanleihen<br />
auf dem Sekundärmarkt, also von anderen Investoren, erwirbt,<br />
»dann ist das keine Schuldenfinanzierung«, behauptete das Direktorium.<br />
Nur der direkte Kauf von den Euro-Staaten selbst sei in den EU-<br />
Verträgen verboten.<br />
»Was die EZB tut, ist noch legal, aber bereits<br />
im Grenzbereich«, sagt auch der Wifo-Ökonom<br />
Fritz Breuss. »Und ich glaube, die EZB wäre<br />
froh, wenn sie in Zukunft zusätzliche rechtliche<br />
Kompetenzen hätte.« Als nämlich die Renditen der Krisenländer<br />
trotz aller Rettungsmaßnahmen weiter stiegen und immer heftiger die<br />
Existenz des Euro bedrohten, legte EZB-Präsident Mario Draghi, selbst<br />
Italiener, noch einen Gang zu: Im Sommer 2012 versprach er öffentlich,<br />
er werde »alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten«.<br />
Was die EZB tut,<br />
liegt im Grenzbereich<br />
Die Finanzmärkte lasen dies klarerweise als eine Ankündigung<br />
unbegrenzter Anleihekäufe. Im September wurde vom EZB-Rat mit nur<br />
einer Gegenstimme – sie kam vom deutschen Bundesbank-Präsidenten<br />
Jens Weidmann – tatsächlich ein entsprechender Beschluss gefasst:<br />
unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen für Staaten, die sich den<br />
Auflagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterwerfen.<br />
Seither tobt in der Euro-Zone eine wütende Debatte darüber, ob dies<br />
tatsächlich der einzige Ausweg aus der Krise ist oder ob der Pfad in<br />
Richtung Inflation eingeschlagen wurde, die das Ende der stabilen<br />
Währung Euro einläutet. Noch immer schärfster Kritiker ist Jens Weidmann,<br />
der den Anleihekauf vehement ablehnt und viele seiner Landsleute<br />
auf seiner Seite weiß. »Der Geldsegen der Zentralbanken weckt<br />
anhaltende Begehrlichkeiten«, warnte er im Spiegel-Interview. »Wir<br />
sollten die Gefahr nicht unterschätzen, dass Notenbank-Finanzierung<br />
richtig süchtig machen kann wie eine Droge.«<br />
54
Mario Draghi: Was die EZB tut, liegt im Grenzbereich<br />
(Foto: EZB)<br />
Auf der anderen Seite stehen aber eben Mario Draghi und die restliche<br />
Führung der EZB – die anderen 16 Notenbank-Chefs der Euro-Zone, die<br />
meisten Regierungen und auch ein Gutteil der Ökonomen. Sie halten die<br />
Warnungen vor einer bevorstehenden Inflation für maßlos übertrieben.<br />
Solange die Wirtschaft kaum wächst und die Arbeitslosigkeit so hoch<br />
ist, könnten Unternehmen ihre Preise nicht erhöhen und Arbeiter nicht<br />
maßlos höhere Löhne verlangen. Daher komme es trotz »stimulierender<br />
EZB-Politik« zu keinem Anstieg der Verbraucherpreise.<br />
»Wenn eine Zentralbank immer alles aufkauft, was ein Staat an Anleihen<br />
emittiert, dann haben wir irgendwann einmal Inflation«, sagt<br />
Stefan Bruckbauer, der Chefökonom der »UniCredit Bank Austria«. Die<br />
Euro-Zone befinde sich aber »meilenweit weg« von so einer Situation.<br />
»So wie es die EZB machen würde und auch gemacht hat, sehe ich überhaupt<br />
keine Gefahr für die Inflation.«<br />
Das zweite Argument der Kritiker betrifft die Anreize für die Schuldnerstaaten:<br />
Wenn die EZB deren Staatsanleihen unbegrenzt erwirbt,<br />
dann verlören sie jeden Anreiz, das Schuldenmachen einzuschränken<br />
und für eine Budgetkonsolidierung zu sorgen. Doch dann würde sich<br />
die Schuldenkrise langfristig nur weiter verschärfen. »Moral Hazard«<br />
heißt in Fachkreisen dieses Problem, das überall dort auftritt, wo<br />
55
Die EZB-Zentrale in Frankfurt: Die Hüter der Druckmaschinen<br />
(Foto: ORF)<br />
jemandem auf Kosten anderer geholfen wird oder wo gewisse Kosten<br />
gemeinsam getragen werden müssen.<br />
So sieht es auch der Ökonom Taghizadegan Rahim vom Institut für<br />
Wertewirtschaft (IfW): »Es wird immer wieder der Vorschlag gemacht,<br />
etwas zu tun, was die Rettung bringen soll; dabei wird nur Zeit<br />
erkauft. Doch diese wird nicht sinnvoll genutzt, um nachzudenken<br />
und Dinge in eine richtige Richtung zu bringen. Alles geschieht nur,<br />
um eine Lösung der Probleme hinauszuschieben.«<br />
Tatsächlich machte die Euro-Zone genau diese Erfahrung. Als die<br />
EZB im Sommer 2011 erstmals italienische Staatsanleihen kaufte und<br />
damit die stark gestiegenen Renditen wieder drückte, vollführte der<br />
damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi einen bedenklichen<br />
Schwenk. Er entschärfte zuvor beschlossene Spar- und Reformmaßnahmen<br />
wieder. Für viele in Brüssel und Berlin ein klassisches Beispiel<br />
für »Moral Hazard«.<br />
Immerhin war das noch nicht das Ende der Geschichte. Die anderen<br />
Euro-Staaten wandten sich damals gegen Berlusconi und machten<br />
klar, dass unter seiner Regentschaft Italien keine weitere Hilfe erwarten<br />
könne. Tatsächlich verlor »Il Cavaliere« in Rom die Macht. Und<br />
56
Nachfolger Mario Monti hat mit seiner Expertenregierung die Wirtschaftsreformen<br />
wieder beschleunigt.<br />
Schließlich will auch die EZB beim Aufkauf von Staatsanleihen vorsichtig<br />
vorgehen. Die Verknüpfung mit dem ESM bedeutet, dass nur<br />
jene Staaten davon profitieren sollen, die massiv sparen und sich von<br />
den Aufsehern der EZB, der EU-Kommission und des Internationalen<br />
Währungsfonds – der so genannten Troika – kontrollieren lassen.<br />
Den Beweis für das angeblich harte Durchgreifen musste der frühere<br />
Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi für seine »Europäische Zentralbank«<br />
bisher noch nicht antreten; Italien erklärte umgehend, es benötige<br />
»keine weitere EZB-Hilfe«, und die spanische Regierung von Premier<br />
Mariano Rajoy zögerte die Anrufung der EZB monatelang hinaus.<br />
Dennoch verbesserte sich die Stimmung auf den Finanzmärkten; die<br />
Renditen fielen.<br />
Das ist auch eines der Hauptargumente der Befürworter der umstrittenen<br />
Vorgangsweise: Wenn die EZB nur deutlich genug erkläre, sie sei<br />
»zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen« bereit, dann müsse<br />
sie dies vielleicht gar nicht tun. Denn dann sinke das Ausfallsrisiko<br />
für private Anleger und dann seien diese wieder bereit, die Schulden<br />
der Euro-Staaten zu vernünftigen Konditionen zu finanzieren. Alles<br />
eine Sache der Psychologie ...<br />
Begrenzt die EZB hingegen ihr Ankaufsvolumen, wird die Sache für<br />
sie teurer: denn dann bleibt das Risiko in den Augen vieler Investoren<br />
bestehen und die Notenbank muss tatsächlich marode Staatsanleihen<br />
aufkaufen, die dann bei der nächsten schlechten Nachricht abermals<br />
an Wert verlieren.<br />
Genau dies ist übrigens in den Jahren zwischen 2010 und 2012 geschehen<br />
und hat mit dazu beigetragen, dass die Bilanzsumme der EZB dramatisch<br />
angewachsen ist. Die Notenbank hat mehr Geld verborgt als je<br />
zuvor – vor allem den europäischen Geschäftsbanken, aber auch den<br />
Staaten. Damit hat sie auch mehr Geld »geschöpft« als je zuvor. Nach<br />
der Theorie des Monetarismus ist diese Aufblähung der Geldmenge<br />
aber genau die Hauptursache für Inflation. Gerne zitieren Leute wie<br />
Bundesbank-Chef Jens Weidmann die Szene aus Goethes »Faust II«,<br />
57
in der Mephisto dem Kaiser zum Gelddrucken rät, um seine Finanz -<br />
prob leme zu lösen – um dann gemeinsam mit Faust wieder zu verschwinden,<br />
als das Reich von einer Inflationswelle überrollt wird.<br />
Die Verteidiger des Aufkaufprogramms behaupten:<br />
Dazu muss es nicht kommen. Geld werde<br />
nicht nur von der Notenbank geschöpft, sondern<br />
normalerweise auch von den Geschäftsbanken,<br />
und zwar durch deren Kreditvergabe. Aber genau die sei seit<br />
Ausbruch der Krise deutlich zurückgegangen. Die EZB ersetze also nur<br />
das, was in der Kredit wirtschaft verloren gehe.<br />
Beruhigungspillen<br />
für die Kritiker<br />
Außerdem sind die Verleihungen der Notenbank »nur kurzfristig«; sie<br />
könnte, sobald sich die ersten Anzeichen einer beschleunigten Inflation<br />
einstellen, wieder auf die Bremse steigen, die Zinsen erhöhen und<br />
die Kredite an die Banken wieder zurückfahren.<br />
Aber – würde sie das wirklich tun? Die Warner vor der Inflation argumentieren,<br />
dass die EZB ihre politische Unabhängigkeit, die eigentlich<br />
in den Maastricht-Verträgen festgeschrieben wurde, schon lange verloren<br />
habe. Weil sie sich jetzt so willfährig gegenüber der Politik zeigt,<br />
werde sie das auch später wieder tun. Und die (meisten) Regierungen<br />
der Euro-Zone würden es gar nicht gerne sehen, wenn bei den ersten<br />
Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung die Zinsen gleich wieder<br />
hinaufschnellten. Wer einmal die Droge Schuldenfinanzierung probiert<br />
hat, komme von ihr nicht mehr los.<br />
Tatsächlich: Was derzeit in der Euro-Zone geschieht, ist ein gigantischer<br />
Feldversuch.<br />
Geht der schief, sind ganze Bevölkerungen zu entwöhnen.<br />
»De facto stellen wir einen gigantischen Blankoscheck an hoch<br />
verschuldete Staaten aus.«<br />
Eva Pichler, a.o. Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien,<br />
über den »Europäischen Stabilitätsmechanismus« ESM.<br />
58
Das Imperium Goldman Sachs –<br />
oder: Die Mönche des Geldes<br />
von Günther Kogler<br />
Sie ist das Feindbild der »Occupy«-Bewegung und selbst an der<br />
Wall Street mehr gefürchtet als geachtet – die US-Investmentbank<br />
»Goldman Sachs« verkörpert wie keine andere in der Öffentlichkeit<br />
das, was die Finanzwelt in Verruf gebracht hat: Hemmungslose<br />
Spekulation, rücksichtsloses Gewinnstreben, scheinbar gewissenloses<br />
Vorgehen auch gegen die eigene Kundschaft. Und: Ihre<br />
Macht stützt sich auf ein unglaubliches Netzwerk in Politik, in<br />
Aufsichtsbehörden und in Zentralbanken – auch in der EZB.<br />
»Wenn sie irgendwo auf der Welt eine Bank suchen, die die öffentliche<br />
Meinung beeinflusst – sie landen unweigerlich bei Goldman Sachs.«<br />
Als sich vergangenes Jahr drei Kollegen der BBC und zwei französische<br />
Wirtschaftsjournalisten aufmachten und redaktionelle Unterstützung<br />
für eine Dokumentation über das vermutlich mächtigste Geldhaus der<br />
Welt suchten, konnte <strong>€CO</strong> nicht anders – das Wirtschaftsmagazin des<br />
ORF machte mit. Und stieß, so wie die anderen, in den gemeinsamen<br />
Recherchen auf eine wirkliche Geldmaschine.<br />
Goldman Sachs ist keine Bank im herkömmlichen Sinn. Es ist eher ein<br />
Imperium. Mit 700 Milliarden Euro Spielgeld in der Tasche wettet es<br />
auf alles und jedes, strebt nach unerschöpflichem, nie endendem Profit.<br />
Die Bank beschäftigt 30.000 Angestellte, die rund um die Uhr rund<br />
um den Erdball nur eines tun – Geld bewegen. Und von Frankfurt bis<br />
Rom, von London bis Washington haben die Manager von Goldman<br />
Sachs dafür ein Netzwerk errichtet, das einzigartig ist. Krisen kümmern<br />
Banker nur wenig. Ort, Zeit und Anlass spielen keine Rolle –<br />
Goldman Sachs macht immer weiter.<br />
Kritik an den Praktiken des Investmenthauses kommt nur aus der<br />
Zivil gesellschaft. Formuliert wird sie ausschließlich von unabhängigen<br />
Finanzexperten, Buchautoren und Journalisten. Die Politik macht um<br />
das mächtige Geldhaus lieber einen großen Bogen. »Goldman ist keine<br />
Bank wie jede andere; sie ist die mächtigste Bank der Welt. Sie ist von<br />
59
Goldman Sachs-Zentrale in New York: Keine Adresse, aber ein Netzwerk<br />
(Foto: ORF)<br />
einer unglaublichen Aura umgeben, fast nicht zu durchschauen. In<br />
meinen 35 Jahren als Wirtschaftsjournalist hat sich Goldman Sachs<br />
verändert – von einer ganz normalen, transparenten Bank zu einem<br />
Konzern, zu einem Supermarkt der Spekulation und des Risikos«, erzählt<br />
etwa Marc Roche, der über die »Goldmänner« in Frankreich auch<br />
ein wenig schmeichelhaftes Buch veröffentlicht hat.<br />
Um zu verstehen, wie die US-Investmentbank tickt, empfiehlt sich ein<br />
Ausflug in die Vergangenheit, zurück auf das Jahr 2007. Es ist das Jahr,<br />
in dem die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Im Jänner richtet US-Präsident<br />
George W. Bush in seiner traditionellen »Botschaft an die Nation«<br />
den Amerikanern aus, dass eigentlich alles paletti ist. Die USA wähnen<br />
sich unbezwingbar: »Unsere Zukunft liegt in einer wachsenden<br />
Wirtschaft. Und das ist genau das, was wir besitzen.«<br />
Tatsächlich aber nimmt das mächtige Land gerade direkten Kurs auf<br />
den Abgrund. Seine Kapitäne hatten einen Eisberg übersehen. Bis<br />
heute fragen sich die Geschichtsschreiber, wie das möglich war. Der<br />
Eisberg war nämlich derart riesig, dass er eigentlich auf jedem Radarschirm<br />
jedes durchschnittlichen Wirtschaftsforschers hätte auftauchen<br />
müssen. Hunderttausende von Amerikanern können nämlich<br />
im selben Jänner 2007 ihre Kredite für ihre Eigenheime nicht mehr<br />
60
zurückzahlen. Sieben Millionen Familien sind von einer Zwangsräumung<br />
bedroht. Die »Subprime-Krise« bahnte sich ihren Weg – der<br />
Traum, mit null Eigenkapital, aber augenscheinlich extrem niedrigen<br />
Zinsen an ein Eigenheim zu kommen, platzte. Am Ende sollten Suppenküchen,<br />
Notunterkünfte und Zeltstädte stehen.<br />
Nur: An der Wall Street in New York, der ersten Börseadresse des Erdballs,<br />
da herrschte Euphorie. »Solange die Musik spielt, solange musst<br />
du tanzen«, sollte sich später einer der Chefs der großen Banken rechtfertigen.<br />
Tatsächlich tanzte die Wall Street. Im Juli 2007 erreichte der<br />
Aktienindex ein Allzeit-Hoch, das seither nie mehr erreicht wurde.<br />
Dabei hatte der Eisberg den Luxusliner schon gerammt, die billigen<br />
Kabinen in den unteren Decks bereits zerstört.<br />
Und: Abseits des Rampenlichts hatte Goldman Sachs den Tanzsaal<br />
längst verlassen. Die Bank spekulierte bereits auf den Untergang –<br />
auf die Pleite der US-Haushalte, auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes.<br />
Nun könnten unbeteiligte Beobachter zu der Erkenntnis<br />
kommen: Gut, die Jungs von Goldman Sachs waren eben kühle<br />
Rechner. Sie haben sich eben nicht blenden lassen vom Glamour des<br />
Tanzsaales, sondern hinter die Fassade des sagenhaften Eigenheim-<br />
Wunders geblickt. Tatsächlich könnte man das sagen – wenn die Banker<br />
von Goldman Sachs mit ihrem Handeln nicht die Grenzen der Moral<br />
überschritten hätten.<br />
Goldman Sachs ist ein Konzern ohne Zweigstellen, ohne Straßenschilder,<br />
ohne sichtbare Identität. Die Bank arbeitet nicht für individuelle<br />
Kunden; sie arbeitet für eine ausgesuchte Klientel: für Ford, für BP,<br />
für den Stahlriesen Arcelor Mittal oder das IT-Netzwerk Facebook etwa.<br />
Und sie arbeitet für Regierungen – für die USA, für China, für Russland.<br />
Ihr Hauptquartier liegt in einem unscheinbaren Bürogebäude,<br />
nur einen Steinwurf entfernt vom neuen World Trade Center. Hinter<br />
diesen Fenstern arbeitet eine ganze Armee von Finanzfachleuten.<br />
Die beraten ihre Kunden; aber sie handeln auch selbst, arbeiten für den<br />
eigenen Vorteil. Sie fühlen sich als die Herren der Finanzwelt. »17 Jahre<br />
lang habe ich an der Wall Street gearbeitet; aber egal wo, bei Merrill<br />
Lynch oder bei JP Morgan, alle wollten wir so werden wie die Leute<br />
61
von Goldman Sachs. Die definierten den Standard der Finanzindustrie.<br />
Immer schien es, als hätten sie die besten und cleversten Beschäftigten;<br />
die waren unterwegs, um zu gewinnen. Und sie pflegten zu sagen:<br />
Es reicht nicht, dass du gewinnst; ein anderer muss verlieren«, erzählte<br />
uns William Cohan, ein ehemaliger Bank manager aus New York.<br />
Viele ehemalige Mitarbeiter des Investmenthauses<br />
bestätigten uns: Wer Goldman Sachs<br />
beitrat, trat einer Glaubensgemeinschaft bei.<br />
Die Kultur des Unternehmens bedeutete: Unterordnung.<br />
Die besteht aus der Mischung aus Gier und Geheimhaltung<br />
– und einem Hunger nach Risiko. Steve Bannon, ein Ex-Goldman-Banker<br />
aus Washington, etwa meinte im Interview: »Goldman Sachs stand<br />
für Erfahrung und für Leistung. Es spielte keine Rolle, woher du kamst,<br />
welche Schule du besucht hattest, was deine Religion oder deine Hautfarbe<br />
war. Das Einzige, was zählte, war: wie hart du gearbeitet, wie<br />
clever du gedealt und wie gut du deine Kunden betreut hattest. Es war,<br />
als wäre man einem Jesuitenorden beigetreten. Und über allem stand:<br />
Alles und jedes berechenbar, alles und jedes zu Geld zu machen. Und<br />
das geschah alles schon früher, noch bevor diese Quants, diese Finanzmathematiker,<br />
überall an der Wall Street auftauchten.«<br />
Beitritt zu einer<br />
Glaubensgemeinschaft<br />
Tatsächlich heuerte Goldman Sachs über Jahrzehnte nur die besten<br />
Uni-Abgänger an. Es war das Markenzeichen des Konzerns. Die Finanzmathematiker<br />
hatten nur eine Aufgabe: die Welt in Gleichungen einzuteilen,<br />
für alles und jedes, das uns umgibt, einen Preis festzulegen:<br />
für Unternehmen, für Staaten, für deren Bevölkerungen. Um dann<br />
Geld darauf zu wetten – auf Zuwächse, auf Verluste. Immer auf der<br />
Suche nach dem maximalen Profit. Nicht umsonst wurden und werden<br />
die Goldman-Mitarbeiter an der Wall Street die »banker monks«<br />
genannt – die Mönche des Geldes.<br />
Im Gegenzug garantierte »die Firma« ihren Fußtruppen Wohlstand und<br />
ein bisserl Reichtum. Nomi Prins, ehemalige Goldman-Bankerin in New<br />
York, räumte ein: »Dein Einkommen sagte etwas über dich aus innerhalb<br />
des Konzerns. Also, wenn jemand 100.000 Dollar im Jahr verdiente und<br />
du konntest 150.000 einstreifen, dann bedeutete das: Du bist besser als<br />
der mit den 100.000. Das hat dir Aufmerksamkeit eingebracht.«<br />
62
Nomi Prins arbeitet heute übrigens als Schriftstellerin in New York. Sie<br />
hätte eine einträgliche Karriere im US-Investmenthaus vor sich gehabt,<br />
aber dann passierte der traumatische 11. September des Jahres 2001<br />
auch für sie. »Vom vierten Stock der Zentrale aus hatte ich den Anschlag<br />
auf das World Trade Center miterlebt. In meiner Etage wurde mit<br />
Öl und mit Gas gehandelt, lauter Dinge, die irgendwie mit Flugzeugen<br />
zu tun haben. Und dann bekommen wir mit, dass ein Flugzeug das Gebäude<br />
nebenan getroffen hat, später sogar noch das zweite, und unser<br />
damaliger Vorgesetzter fordert uns auf, weiter zu arbeiten. Sein Bauchgefühl<br />
sage ihm: Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um Geld zu verdienen.«<br />
Vier Monate später kündigte Nomi Prins.<br />
Den fundamentalen Vertrauensbruch begeht Goldman Sachs schließlich<br />
im Jahr 2007: Das Investmenthaus wettet gegen die eigene Kundschaft.<br />
Es wettet gegen den Immobilienmarkt und leistet sich den »Abacus«-<br />
Skandal. Der ist in den USA in der Zwischenzeit ein viel zitierter<br />
Begriff und rasch erklärt. Die Finanzmathematiker des Geldhauses<br />
suchten sich die Immobilienkredite mit den höchsten Risiken aus. Sie<br />
bündelten sie, bringen ein neues Papier auf den Markt und taufen es<br />
»Abacus«. Das Ding wird mit »Triple-A« gerated; also mit der vermeintlich<br />
größtmöglichen Sicherheit für Investoren.<br />
Goldman Sachs verkauft die Papiere anschließend an die eigene Kundschaft.<br />
Die ist gutgläubig, wird im Ungewissen über die tatsächlichen<br />
Risiken gelassen. Und zur selben Zeit beginnt eine andere Hauptabteilung<br />
von Goldman Sachs gegen das eigene Papier zu spekulieren. Der<br />
Rest ist Geschichte. Sechs Monate später bricht der Immobilienmarkt<br />
in den USA tatsächlich zusammen. Auch die »Abacus«-Papiere brechen<br />
ein. Die Kunden von Goldman Sachs verlieren all ihr Geld. 750 Millionen<br />
Euro hatten sie in das »Triple-A«-Investment gesteckt.<br />
Nur Goldman Sachs streift zweimal Geld ein. Zuerst als Zwischenhändler<br />
beim Verkauf der »Abacus«-Papiere; schließlich als Spieler am<br />
Pokertisch, als die Wette gegen den Erfolg von »Abacus« aufgeht.<br />
Drei Jahre müssen die Hintergangenen des »Abacus«-Skandals warten,<br />
um zu erfahren, wer ihnen so übel mitgespielt hatte. Ein Franzose wird<br />
vorgeführt. Fabrice Tourre. Selbst nennt er sich »the fabulous Fab«<br />
63
– »der märchenhafte Fabrice«. Fabrice Tourre ist Finanzmathematiker.<br />
Er hatte in der angesehenen »Ecole Centrale« in Paris sein Studium<br />
abgeschlossen und war von Goldman Sachs im Alter von nur 22 Jahren<br />
angeheuert worden. Ehrgeizig, reich und arrogant – Tourre ist das<br />
Sinnbild eines Goldman-Sachs-Händlers.<br />
Er muss er sich als Einziger einer Befragung vor dem US-Senat stellen.<br />
Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hatte ihn angeklagt. Es ging um<br />
seine Verwicklung in den Skandal um die »Abacus«-Papiere. Die Anhörung<br />
wird live von mehreren amerikanischen TV-Anstalten übertragen;<br />
und rund um die Welt wurde den Zusehern vor Augen geführt, wie<br />
Goldman Sachs arbeitete – und: wie zynisch das System funktionierte.<br />
Tourre wird von einem Tag auf den anderen von seinem eigenen<br />
Arbeitgeber geopfert. Goldman Sachs bezahlte seine Anwälte, sorgte<br />
aber gleichzeitig dafür, dass höchst peinliche E-Mails Tourres an die<br />
Öffentlichkeit gespielt wurden. Kundenfreundlich für die internationale<br />
Presse gleich in mehrere Sprachen übersetzt. Ein kleiner Auszug:<br />
23. Jänner 2007:<br />
»Das ganze Konstrukt steht vor dem Zusammenbruch ...<br />
Es wird nur einen Überlebenden geben: den märchenhaften Fabrice …«<br />
7. März 2007:<br />
»Das Geschäft ist tot. Die kleinen, dummen Kreditnehmer und<br />
Hauseigentümer halten nicht mehr lange durch.«<br />
13. Juni 2007:<br />
»Gerade habe ich ein paar ›Abacus‹-Papiere an ein paar Zurückgebliebene<br />
verkauft, die mir auf dem Flughafen über den Weg gelaufen sind.<br />
Es hat den Anschein, die reißen sich um unseren Ramsch.«<br />
Selbst verteidigt sich Fabrice Tourre, auf Anraten seiner Anwälte,<br />
folgendermaßen: »Ich bedaure diese E-Mails. Sie werfen ein schlechtes<br />
Licht auf mich und mein Unternehmen. Ich wünschte, ich hätte<br />
sie nicht geschrieben.« Bis heute sollte Fabrice Tourre der einzige<br />
Angestellte von Goldman Sachs bleiben, der angeklagt wurde.<br />
Goldman Sachs selbst wird nie unter Anklage gestellt. Nach dem<br />
64
Tourre-Verfahren zahlte die Bank 400 Millionen Euro quasi als »Abschlagszahlung«.<br />
400 Millionen Euro – zu dieser Zeit verdiente Goldman<br />
Sachs diese Summe binnen zweier Wochen.<br />
Tatsächlich schreibt Goldman Sachs im Jahr<br />
2007 einen Gewinn von 13 Milliarden Euro. Die<br />
Bank hatte erfolgreich gewettet: Gegen die<br />
Kreditnehmer in den kleinen amerikanischen<br />
Wette gegen die<br />
eigene Kundschaft<br />
Haushalten – und gegen die eigene Kundschaft. Der Vorstandsvorsitzende<br />
von Goldman Sachs gewährt sich ein Gehalt von über 50 Millionen<br />
Euro. Intern wird der Verkauf der »Abacus«-Papiere als »Operation<br />
Gegenspekulation« bezeichnet. Es ist der Raubzug des Jahrhunderts.<br />
Dieser »Abacus«-Skandal freilich sollte nur ein Vorbote jenes Crash auf<br />
den Finanzmärkten sein, der die Welt erschütterte. Die Schockwellen,<br />
die vom Platzen der amerikanischen Immobilienblase ausgehen, erreichten<br />
auch alle Spieler außerhalb der Wall Street. Die Zukunft eines<br />
ganzen Systems wurde aufs Spiel gesetzt – innerhalb eines Jahrzehntes<br />
hatte sich global eine so genannte Finanzindustrie entwickelt. Geld<br />
mit Geld zu verdienen, war die Devise gewesen – bis der Traum platzte.<br />
Im September 2008 schlittert die Investmentbank Lehman Brothers in<br />
den Konkurs. Lehman ist einer der größten Konkurrenten von Goldman<br />
Sachs. Ein Hilferuf an die US-Regierung wird ausgeschickt. Deren<br />
Finanzminister Hank Paulson lehnt ab. Lehman Brothers wird ausgelöscht.<br />
Mit einer Pressekonferenz.<br />
Allerdings: Die Sache hatte einen schalen Beigeschmack. Bevor Hank<br />
Paulson Finanzminister der USA wurde, war er Vorstandsvorsitzender<br />
von Goldman Sachs gewesen. Dort hatte er das Aktienvermögen des<br />
Institutes verwaltet. Als Paulson in das Kabinett Bush berufen wird,<br />
verkaufte er seine Goldman-Sachs-Aktien. Daran verdiente er 200 Millionen<br />
Dollar.<br />
Hank Paulson verhinderte aber nicht nur die Rettung des größten<br />
Gegenspielers von Goldman Sachs, er musste auch über die Zukunft<br />
von Amerikas größtem Versicherer, der American Insurance Group,<br />
entscheiden. Auch die AIG befindet sich auf dem Weg in den Bankrott.<br />
65
Ginge freilich AIG pleite, würde auch Goldman Sachs zehn Milliarden<br />
Euro verlieren. Paulson beruft kurzerhand ein Treffen in New York ein;<br />
er verhandelt höchstpersönlich mit seinem früheren Mitstreiter Lloyd<br />
Blankfein. Der ist inzwischen zum neuen Vorstandsvorsitzenden von<br />
Goldman Sachs aufgestiegen. Hinter verschlossenen Türen wird AIG<br />
gerettet – auf einmal doch mit Hilfe von Steuergeld. Unter Freunden<br />
wird aber noch ein Deal vereinbart. Die »American Insurance Group«<br />
zahlt zuerst Goldman Sachs aus – und lässt sich erst dann von der<br />
US-Regierung notverstaatlichen.<br />
William Black, damals Mitarbeiter der US-Finanzmarkt-Aufsichtsbehörde<br />
SEC, ist heute noch sprachlos. »Die Sachlage war: Hank Paulson,<br />
der frühere Vorstandsvorsitzende von Goldman Sachs, fragt Goldman<br />
Sachs, wie mit den Schulden zu verfahren sei, die der gestrauchelte<br />
Versicherungskonzern AIG bei Goldman Sachs hat. Das müssen Sie sich<br />
vorstellen, das ist einfach unglaublich. Es wird Sie wenig überraschen:<br />
Goldman empfiehlt, alle Außenstände abgegolten zu erhalten. Was AIG<br />
auch macht. Das ist klagswürdig, geradezu obszön. Das kostete die<br />
amerikanische Regierung Milliarden.«<br />
Weitere Sündenfälle des US-Investmenthauses gefällig? Das Jahr 2009<br />
beginnt mit Feiern – und mit einem Machtkampf. Barack Obama tritt<br />
sein Amt als neuer Präsident der größten Militär-, aber auch der größten<br />
Wirtschaftsmacht der Welt an. Damit handelt er sich quasi von<br />
Amts wegen mächtige Gegenspieler ein. Einer der ersten Termine, den<br />
der frisch gebackene US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus einberuft,<br />
ist deshalb auch ein Treffen mit den führenden Bankmanagern<br />
des Landes. Unter ihnen befindet sich auch die Nummer eins von Goldman<br />
Sachs – Lloyd Blankfein.<br />
Obama erinnert die Banker an den Zorn der Straße. Die Leute wollten<br />
Köpfe rollen sehen. Tatsächlich ist die Lage ernst. Die USA waren in<br />
eine Rezession geschlittert. Viele Banken überlebten nur, weil hunderte<br />
Milliarden an Steuergeldern in das System gepumpt werden.<br />
Obama verspricht die Geldspritzen aufrecht zu erhalten, verlangt von<br />
den Bankmanagern aber deren Unterstützung bei einer Reform des<br />
Finanzsystems ein. Der Deal wird einvernehmlich abgenickt. Auch von<br />
Lloyd Blankfein.<br />
66
Es ist, nach nur wenigen Tagen Amtszeit, ein erster fataler Fehler<br />
des US-Präsidenten. Er nutzte die Gunst der Stunde nicht, um sofort<br />
Änderungen und Reformen im US-Bankensystem durchzusetzen. Nur<br />
sechs Monate später, als Obama im Sommer 2009 New York besucht,<br />
ist das Mondfenster wieder geschlossen, haben sich die Machtverhältnisse<br />
zurück verschoben. Die Geldhäuser schreiben wieder Profite; das<br />
Casino hatte wieder geöffnet; die atemberaubenden Bonuszahlungen<br />
werden wieder aufgenommen. Niemand mehr will sich an die Milliardenspritzen<br />
erinnern.<br />
Die Bankenlobby hatte den US- Präsidenten<br />
einfach links liegen gelassen, ihn durch Nichtbeachtung<br />
»overruled«. Der ist so verärgert,<br />
dass er sich bei einer Veranstaltung zu einer<br />
Schelte hinreißen lässt, wie sie die Welt noch nicht gehört hatte. »In<br />
der Welt der Finanz gibt es welche, die diesen Moment missdeuten. Ich<br />
ersuche alle, mir zuzuhören: Wir werden nicht, ich wiederhole: Wir werden<br />
nicht wieder zur Maßlosigkeit zurückkehren, die der Auslöser für<br />
diese Krise war. Tatsache ist: Viele Konzerne, die nun wieder Gewinne<br />
schreiben, schulden der amerikanischen Bevölkerung noch etwas.«<br />
Präsident Obama<br />
wird »overruled«<br />
Aber die Sache war längst entschieden. Im Machtkampf mit dem Weißen<br />
Haus behalten die Banker die Oberhand. Auch dieser US-Präsident<br />
hatte einen wichtigen Punkt übersehen – vor allem Goldman Sachs ist<br />
in der Gesetzesmaschinerie Washingtons bestens vernetzt. Zwar muss<br />
der Konzern im Nachhall an den Finanzcrash seinen Status als privilegiertes<br />
Investmenthaus aufgeben, auf seinen Einfluss im Zentrum der<br />
Macht verzichtet er aber nicht. Und diese »Regierung Goldman Sachs«<br />
im Umfeld des Weißen Hauses ist mächtig.<br />
Direkt im Weißen Haus arbeitet der frühere Vorstandsvorsitzende<br />
Robert Rubin. Der war Finanzminister schon unter Bill Clinton, hat<br />
heute direkten Zugang zu jedem US-Präsidenten; Mark Patterson ist<br />
Stabschef im gegenwärtigen Finanzministerium, Robert Hormats<br />
schließlich ist Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium.<br />
Der zweite Kreis der »Goldman-Freunde« beackert Zentralbank und Aufsichtsbehörden.<br />
William Dudley ist Vorstandsvorsitzender der Federal<br />
67
Reserve von New York; Gary Gensler ist Chef der Handelskommission<br />
der Warenterminbörse; und in der amerikanischen Börseaufsicht werkt<br />
Adam Storch. Allesamt sind sie frühere Mitarbeiter von Goldman Sachs.<br />
Der letzte Zirkel wiederum nimmt Einfluss auf internationale Behörden.<br />
Robert Zoelick war bis vor kurzem Präsident der Weltbank. Und Mark<br />
Carney, Gouverneur der Bank of Canada, hat gerade den Vorsitz im<br />
so genannten Financial Stability Board übernommen – just in jenem<br />
Gremium, das das weltweite Finanzsystem reformieren soll.<br />
Keine einzige dieser Personen wollte uns für unsere Dokumentation<br />
ein Interview geben; Fragen sind in diesem System offenbar nicht erwünscht.<br />
Wir wissen nur: Der Klub der früheren Goldman-Sachs-Gentlemen<br />
funktioniert. Und wie aus einer Drehtür kommen immer wieder<br />
neue Freunde heraus.<br />
An der Wall Street wird Goldman-Sachs-<br />
Chef Lloyd Blankfein übrigens »das Messer«<br />
genannt. Seine Schlagfertigkeit ist<br />
gefürchtet. Blankfein entstammt einer<br />
Arbeiterfamilie aus Brooklyn, einer rauen Umgebung. Vom einfachen<br />
Verkäufer schaffte er den Aufstieg in die Chefetage von Goldman<br />
Sachs, den Olymp der Finanzwelt. Heute ist Blankfein 59 Jahre<br />
alt, verkörpert das Gesicht der Firma; selten nur tritt er an die Öffentlichkeit.<br />
Wenn, dann ist das Kalkül. Dann gibt es Erklärungsnotstand.<br />
Sein Auftritt in der »Charlie Rose Show« vom April 2010<br />
ist nahezu legendär. »Wie oft haben Sie mich im Fernsehen gesehen,<br />
in Talkshows? Niemals«, schnauzte er dabei den Moderator an.<br />
Um dann mit sanfter Stimme hinzuzufügen: »Möglicherweise war<br />
das ein Fehler. Nun haben wir eine Menge Arbeit vor uns, den Leuten<br />
zu erklären, was wir eigentlich tun; eigentlich beginnen wir<br />
dabei bei null.«<br />
Lloyd Blankfein<br />
ist »das Messer«<br />
Als ihn der Moderator dann aber doch höflich und bestimmt auf die<br />
Tatsache hinweist, dass es ja auch Zeiten gegeben habe, da Goldman<br />
Sachs gegen die eigene Kundschaft spekulierte, folgen bei Lloyd<br />
Blankfein Sekunden des Nachdenkens, die sich im TV wie Stunden<br />
anfühlten. »Das ist schwierig zu erklären ... Als Marktführer kaufen<br />
68
und verkaufen wir in jeder Minute des Tages tausende Positionen. Sie<br />
mögen das als Casino bezeichnen – aber wenn es das ist, dann ist es<br />
ein wichtiges Casino der Gesellschaft.«<br />
Und Goldman Sachs heute? Heute geht ein Deal auf, der vor zwölf Jahren<br />
eingefädelt wurde. Am 1. Jänner 2001 wird Griechenland in die<br />
Euro-Zone aufgenommen. Das kommt damals etwas überraschend. Es<br />
ist eine Verbeugung vor dem südlichen Beitrittskandidaten, dessen<br />
Wirtschaft deutlich hinter der anderer Euro-Länder hinterher hinkt.<br />
Aber trotz massiver Bedenken wird Griechenland in die europäische<br />
Oberliga aufgenommen.<br />
Was folgte, ist sattsam bekannt. Das griechische Defizit erreicht binnen<br />
kurzem 100 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes. Bis zum Vorjahr<br />
steigt es auf 160 Prozent.<br />
Aber wie konnte das Land seinen wahren Zustand, seine tatsächliche<br />
Finanzkraft derart verschleiern?<br />
Tatsächlich ist es möglich, Schuldpapiere zu manipulieren. Kreditanleihen<br />
werden in fremde Währungen umgetauscht; an der Wall Street werden<br />
solche Transaktion als »Währungsswap« bezeichnet. Sie täuschen –<br />
sie verfälschen die Bilanzen. Sie ahnen es: Goldman Sachs hilft Athen<br />
beim Frisieren der Bücher. Das US-Investmenthaus stellt nur eine<br />
Bedingung: Der Deal unterliegt höchster Geheimhaltung.<br />
Der Londoner Finanzjournalist Nick Dunbar analysierte für <strong>€CO</strong>, was<br />
seinerzeit passierte, als die Jongleure von Goldman Sachs mit den<br />
Vertretern der griechischen Regierung verhandelten: »Da wurde mit<br />
vielen Fachbegriffen argumentiert; die Rede war von Derivaten und<br />
von Swaps. In Wirklichkeit handelte es sich nur um eine große Wechselstube.<br />
Stellen Sie sich vor, der Schalterbeamte schlägt Ihnen folgenden<br />
Deal vor. Er wechselt Ihnen nicht einen Euro in einen Dollar um,<br />
nein, er gibt Ihnen für jeden Euro zwei Dollar. Sie denken sich: Will<br />
der sein Geld verschenken? Nein, antwortet der Schalterbeamte, natürlich<br />
nicht. Aber wir machen einen Geheimvertrag. Sie zahlen mir später<br />
alles zurück und am offiziellen Wechselbeleg steht, dass ich Ihnen<br />
für jeden Euro zwei Dollar gegeben habe. So arbeitete Goldman Sachs<br />
69
New Yorks Börse: Hier wettete Goldman Sachs gegen die eigene Kundschaft (Foto: ORF)<br />
in Griechenland. Das verringerte die offiziellen Staatsschulden gleich<br />
um drei Milliarden Euro.«<br />
Nur für Goldman Sachs wird die böse Angelegenheit zum einträglichen<br />
Geschäft. Allein im ersten Jahr verdient die Bank daran 600 Millionen<br />
Euro. Risiko? Null. Am selben Tag, als der Deal mit Griechenland<br />
unterzeichnet wird, versichert sich Goldman Sachs gegen eine Pleite<br />
des Euro-Landes.<br />
Das bittere Ende haben am Ende ausschließlich die Griechen auszubaden.<br />
Als alles auffliegt, schießt ihr Zinssatz für weitere Ausleihungen<br />
in die Höhe; die Rückzahlungsraten müssen gestreckt werden,<br />
die Rechnung verdoppelte sich schlicht. Bis Ende 2037 noch muss<br />
Griechen land Jahr für Jahr 400 Millionen Euro für diesen einen Deal<br />
bezahlen. Und der Athener Wirtschaftsjournalist Pavlos Tsinas weiß<br />
sogar von einem zweiten Manipulationsversuch der Goldman-Sachs-<br />
Leute zu berichten. »Wir wissen, dass Goldman im Jahr 2008 einen<br />
weiteren Deal anbieten wollte. Es ging um eine neuerliche, diesmal private<br />
Spekulation auf die Schulden des Landes.«<br />
Nur: Diesmal passierte nichts. Nichts ging weiter. Ein Glück für den<br />
Rest der Euro-Zone, meint Tsinas: »Weil es alle kapiert hatten: Stürzt<br />
70
Griechenland, erschüttert das die ganze Euro-Zone. Wenn Griechenland<br />
fällt, fallen auch Portugal, Belgien und Irland. Diesen Haien ging<br />
es um den ersten Biss: Gelingt der, dann ist Blut im Wasser – und alle<br />
anderen Haie kommen nach.«<br />
Aber Goldman Sachs bereitet im Juni 2011 den letzten Coup vor. Just<br />
einer der früheren Vizechefs, der Italiener Mario Draghi, steht vor<br />
der Wahl zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Ganze drei<br />
Jahre lang hatte der Italiener für Goldman Sachs gearbeitet, als Europadirektor,<br />
kurz bevor die Bilanztricks mit Athen aufgedeckt worden<br />
waren. Also: Was wusste Mario Draghi?<br />
Hier seine Rechtfertigung vor den Abgeordneten des Europaparlamentes<br />
in der Original-Übersetzung: »Die Vereinbarungen zwischen Goldman<br />
Sachs und der griechischen Regierung wurden getroffen vor meinem<br />
Job bei Goldman Sachs. Ich hatte damit weder vor noch nach meinem<br />
Job zu tun. Ich habe für Privatkunden von Goldman gearbeitet; tatsächlich<br />
wollte man, dass ich auch für den öffentlichen Sektor arbeite, aber<br />
ich habe höflich abgelehnt. Also: Über diese Dinge weiß ich nichts, ich<br />
habe mich damit auch nicht beschäftigt, Da können sie fragen, wen sie<br />
wollen.« Keine Verurteilung der Praktiken von Goldman Sachs?<br />
Schon im Oktober des Jahres 2011 feiert die europäische Elite den<br />
neuen Chef der Europäischen Zentralbank. Er heißt Mario Draghi. Wieder<br />
gewinnt Goldman Sachs. Nun spannt die Bank ihr wundersames<br />
Netzwerk nicht mehr nur über die USA, sondern auch über Europa.<br />
Wieder hatte sich die Drehtür gedreht, wieder war aus ihr ein Manager<br />
der US-Investmentbank getreten.<br />
Draghi bleibt nämlich nicht allein. Auch Mario Monti, inzwischen Italiens<br />
Premierminister, früher EU-Wettbewerbskommissar, war lange<br />
Zeit Berater von Goldman Sachs gewesen. Übrigens genauso wie sein<br />
Vorvorgänger Romano Prodi, der sogar Präsident der EU-Kommission<br />
gewesen war.<br />
Othmar Issing, einst Chefökonom der Europäischen Zentralbank,<br />
schwärmt in Deutschland in den höchsten Tönen über die Vorzüge von<br />
Goldman Sachs. In Großbritannien steigt Peter Sutherland, einst Chef<br />
71
der Internationalen Abteilung von Goldman, zum EU-Kommissar auf;<br />
er nützt das Netzwerk, das schon Lord Griffiths aufgebaut hatte, ein<br />
früherer enger Berater von Margaret Thatcher<br />
Aus Portugal hilft Antonio Borges, er wird Europadirektor des Internationalen<br />
Währungsfonds; aus Frankreich stößt Charles de Croisset dazu,<br />
einst Vorstandsvorsitzender der Credit Comercial de France, zwischendurch<br />
war er Vizepräsident von Goldman Sachs Europa gewesen.<br />
Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um von einer dunklen<br />
Ahnung befallen zu werden. Macht sich der Oligarch des Finanzwesens<br />
aus der Neuen Welt auch in der Alten Welt breit? Selbst Richard<br />
Sylla von der New Yorker »Stern Business School« kann das System<br />
dahinter nicht in Abrede stellen, relativiert aber: »Goldman Sachs<br />
ist eine Kaderschmiede. Du kriegst den Goldman-Sachs-Abschluss an<br />
der Goldman-Sachs-Universität und du wirst dich immer an die Goldman-Sachs-Kultur<br />
erinnern. Heute ist Mario Draghi Chef der Europäischen<br />
Zentralbank; wenn Lloyd Blankfein von Goldman Sachs ihn<br />
morgen sprechen will, na gut, er braucht nur zum Hörer zu greifen. Es<br />
gibt alte Verbindungen. Das ist einfach die Strategie dieser Banker: Sie<br />
zementieren ihre Position.«<br />
Eine Frage freilich bleibt unbeantwortet: Sind Finanzfachleute, Banker<br />
und Manager wirklich die Geeignetsten, den Bevölkerungen Europas<br />
die neuen, unglaublichen Sparprogramme zu verordnen? Und: Steht<br />
hinter den Aufstiegen eines Mario Draghi, eines Mario Monti und eines<br />
Lucas Papademos, der Gouverneur der griechischen Zentralbank gewesen<br />
war, nicht noch etwas anderes? Wird Europa gerade Zeuge, wie<br />
Banker politische Macht übernehmen? Ist es Hilflosigkeit oder Unachtsamkeit:<br />
Die politischen Eliten Europas lassen Finanzprofis als »Retter<br />
in der Not« agieren.<br />
Aber waren es nicht gerade diese »Retter in der Not«, die nur ein paar<br />
Jahre zuvor den Markt mit giftigen Papieren überflutet hatten?<br />
72
Wenn Spaniens Blüten blühen,<br />
wird das teuer für Europa …<br />
von Hans Hrabal<br />
Wie verantwortungslose Eliten, die Gier des Mittelstandes und der<br />
Egoismus der Regionen Europas viertgrößte Volkswirtschaft in<br />
die Pleite manövrierten – so könnte der Untertitel eines Buches<br />
lauten, das die spanische Tragödie beschreibt. Tatsächlich ist es<br />
beschämend zu beobachten, wie ein ehemaliges Vorzeige land der<br />
Europäischen Union ruiniert wurde – und welche Kraftanstrengungen<br />
jetzt nötig sind, das Land wieder aufzurichten.<br />
Den Spaniern geht die Geduld aus. Die Abstände zwischen den<br />
Generalstreiks, die jeweils das ganze Land lähmen, werden immer kürzer.<br />
Der Aufruhr überrascht nicht. <strong>25</strong> Prozent der Bevölkerung sind<br />
mittler weile arbeitslos. Bei den Unter-30-Jährigen ist gar die Hälfte<br />
ohne Job. Doch nicht nur die Arbeitslosen gehen auf die Straße. So<br />
gut wie alle sind von Einsparungen, drohendem Jobverlust, strauchelnden<br />
Betrieben, Privatkonkursen, Delogierungen betroffen und<br />
artikulieren ihren Frust immer lauter.<br />
Arbeiter, Geschäftsleute, Angestellte, Beamte, auch Polizisten, Ärzte,<br />
Krankenschwestern demonstrieren zu Zehntausenden gegen die von<br />
der Regierung verordneten Sparprogramme. Die Fahnen der Protestierer<br />
wehen aufmüpfig. Auch die Sprüche, die die Demonstranten in Madrid,<br />
in Barcelona, in Valencia vor sich her schreien, werden radikaler. »Es<br />
tut uns leid, dass wir die wirklich Schuldigen nicht einsperren dürfen«,<br />
lautet einer der einprägsamsten Slogans etwa der Polizeigewerkschafter.<br />
Die Antwort, wer dies denn sei, liefern die aufgebrachten Hüter<br />
von Recht und Ordnung auch gleich mit: »Banker und Politiker!«<br />
Weit von der von der Wahrheit ist der Kampfruf nicht entfernt. Wie in<br />
Griechenland zeigt sich auch in Spanien, dass Politiker, Justiz, Banken<br />
und Medien versagt haben. Vor allem die angeblichen Eliten tragen<br />
Schuld an der Misere. Eine Clique, bestehend aus höchsten Repräsentanten<br />
des Staates, hat das Land jahrelang heruntergewirtschaftet,<br />
hat selbst Kasse gemacht, hat sinnlos ausgegeben, spendiert, ließ sich<br />
73
Ciudad Val de Luz: Leere Gassen, leere Kassen<br />
(Foto: flickr/rinzewind)<br />
feiern – und hat den Kopf in den Sand gesteckt vor den wirtschaftlichen<br />
und gesellschaftspolitischen Konsequenzen.<br />
Ciudad Val de Luz, die »Stadt des Lichts« – einprägsamer kann ein<br />
Symbol für die spanische Misere nicht sein. Ersonnen von Marketingexperten,<br />
Immobilienentwicklern und Baulöwen, liegt etwa 150 Kilometer<br />
von Madrid entfernt eine riesige Ansammlung von fertigen und<br />
halbfertigen Wohnblöcken und brach liegenden, fertig aufgeschlossenen<br />
Bauparzellen – mitten in der spanischen Pampa. Wohnraum für<br />
etwa 50.000 Menschen sollte hier entstehen. Das Zielpublikum: junge<br />
Familien aus dem Mittelstand, Aufsteiger mit guter Ausbildung und<br />
einer viel versprechenden Zukunft.<br />
Heute ist Ciudad Val de Luz eine Geisterstadt; Licht erzeugen nur wenige<br />
einsame Straßenlaternen. Die sind freilich vom Feinsten. Designerschick<br />
und modernste Neontechnik scheinen auf fertig asphaltierten<br />
Zufahrtsstraßen, fein säuberlich angelegte Blumenbeete, bunte<br />
Kinderschaukeln und Klettergerüste. Die meisten der Häuser und Anlagen<br />
stehen leer. Der Wind weht einsam durch die Straßen.<br />
Das Geisterprojekt wurde noch vor der Wirtschaftskrise begonnen.<br />
Kurz nach Baubeginn, im Jahr 2008, entwickelte es sich über Nacht<br />
74
zum Rohrkrepierer. Statt 20.000 Wohnungen wurden nur knapp 2000<br />
gebaut (nicht einmal 500 davon sind verkauft). Statt 50.000 Menschen<br />
zählt die halbfertige Satellitensiedlung heute kaum 2000 Einwohner.<br />
Die meisten von ihnen haben sich für ihre schmucken Appartements<br />
und Bilderbuch-Reihenhäuser auch noch schwer verschuldet. Ciudad<br />
Val de Luz wird wegen genau dieser »Besonderheiten« von ausländischen<br />
Kamerateams gestürmt ...<br />
Eine 80-Quadratmeter-Wohnung mit zwei Zimmern kostet wegen Immobilienflaute<br />
und Konjunktureinbruch im Herbst 2012 offiziell noch<br />
85.000 Euro. Vor wenigen Jahren, als die spanische Wirtschaft noch als<br />
kerngesund galt, kostete dieselbe Wohnung das Doppelte – mindestens.<br />
Und das Losschlagen der Appartements war lange Zeit trotzdem kein<br />
Problem. Hunderttausende solcher Neubauwohnungen fanden in der<br />
Zeit vor 2008 begeisterte Nachfrage. Hunderte ähnliche Retorten städte<br />
wie Ciudad Val de Luz zeugen in ganz Spanien davon.<br />
Die Finanzierungen zum Kauf von Wohnungen<br />
wurden den Spaniern jahrelang von den<br />
Banken und <strong>Sparkasse</strong>n geradezu nachgeworfen.<br />
Fremdfinanzierungen über 100 Prozent<br />
des Kaufwerts waren Standard; sehr häufig umwarben die Kreditgeber<br />
ihre Kunden sogar mit Finanzierungspaketen von bis zu 130 Prozent<br />
des Kaufpreises. So konnten sich die Kunden nicht nur ihre Wohnung,<br />
sondern zusätzlich auch gleich noch die gesamte Einrichtung, ein kleines<br />
Auto und einen Familienurlaub leisten. Die Gier erfasste das ganze<br />
Land – wer sollte solchen Verlockungen auch widerstehen können?<br />
Günstige Kredite<br />
zum Diskontpreis<br />
An die Rückzahlung der Schulden dachte in ganz Spanien jahrelang<br />
niemand. Wieso auch? Von 1999 bis 2008 hatten sich die Immobilienpreise<br />
in Spanien durchschnittlich verdreifacht. Wer eine Immobilie<br />
(egal, ob ein Industrieobjekt oder eine Wohnung) erstand, ging davon<br />
aus, dass das Investment ohnehin verlässlich an Wert gewinnen würde.<br />
Der Boom riss alle mit. Wer da wegen zu berappender Zinsen oder<br />
Rückzahlungsraten nicht investieren wollte, stand schnell als kleinlicher<br />
Idiot und Verlierer da. Wer hingegen riskierte und Schulden aufnahm,<br />
lukrierte Wertsteigerungen, schöpfte Gewinne ab, konnte quasi<br />
auf Kredit reich werden.<br />
75
Millionen Normalverdiener sprangen auf den verheißungsvollen<br />
»Wachstumszug« auf. Die Gier nach schnellem Geld wurde zur Volksseuche.<br />
Manch cleverer Mittelständler wurde tatsächlich reich oder<br />
schaffte es wenigstens zu ein bisschen Wohlstand. Im Hintergrund<br />
schöpften aber vor allem die Bauwirtschaft, die Banken und die Immobilienentwickler<br />
den Rahm ab. Die Gewinnspirale, die hier gedreht<br />
wurde, glich letztendlich einem großen, riskanten Pyramidenspiel, bei<br />
dem klar war, dass irgendwann ziemlich viele alles verlieren werden –<br />
aber alle mitzockten, weil sie hofften, doch noch zu den Gewinnern zu<br />
gehören.<br />
Und niemand stoppte die unkontrollierte Spekulationblase.<br />
Aber was war mit den politischen<br />
Kontrollmechanismen, mit der Justiz,<br />
mit der Bankenaufsicht und auch mit den<br />
Medien los? Alfredo Pastor war 1993 bis 1995 spanischer Staatssekretär<br />
für Finanzen. Heute ist er ein anerkannter Professor für Wirtschaftswissenschaften<br />
in Barcelona. Pastor sieht die Ereignisse, die zur aktuellen<br />
Situation geführt haben, natürlich kritisch. Das Versagen sämtlicher<br />
Frühwarn- und Kontrollmechanismen erklärt er so: »Keiner kann<br />
heute mehr verstehen, was damals los war. Es herrschte der allgemeine<br />
Wahnsinn, die Gier hatte die Vernunft außer Kraft gesetzt. Wie die<br />
Lemminge haben sich die Spanier in die Spekulation gestürzt. Und<br />
alle haben begeistert mitgemacht. Es war wie bei einer lustigen, verrückten<br />
Party. Auch wenn man weiß, dass man morgen Kopfweh haben<br />
wird, gibt es niemanden, der gerade dann die Musik abdreht, wenn die<br />
Party auf dem Höhepunkt ist.«<br />
Niemand stoppte die<br />
Spekulationsblase<br />
Die Party begann mit der Zusammenarbeit von Baufirmen, Banken und<br />
Immobilienbranche, kurz nachdem Spanien Generalissimo Franco<br />
los- und endlich eine Demokratie geworden war. Damals galt Spanien<br />
als ein hoffnungslos zurückgebliebener europäischer Schwellenstaat,<br />
der ab seinem EU-Beitritt 1986 mit milliardenschweren Infrastruktur-<br />
Investitionen aus Brüssel aufgepäppelt werden musste.<br />
Und wie es bei Infrastrukturprojekten nun mal so ist: Nutznießer<br />
ist primär die Bauwirtschaft. Die boomte und mit ihr zogen Handel<br />
und Gewerbe nach. Ab den 1990er-Jahren galt Spanien als<br />
76
Spanien: Immobilienblase wie in den USA<br />
(Foto: flickr/rinzewind)<br />
Wirtschaftswunderland, als konjunktureller Phönix aus der Asche. In<br />
Spanien grünte es grün. Das Land hatte sich nach außen hin innerhalb<br />
nur eines Jahrzehnts ins 21. Jahrhundert katapultiert, den Moder und<br />
Staub von fünfzig Jahren Diktatur hinter sich gelassen.<br />
Gestylte Verwaltungsgebäude, moderne Straßennetze, Flughäfen,<br />
Hoch geschwindigkeitsbahnen wurden errichtet. Berühmte Architekten<br />
mit Aufsehen erregenden und teuren Konstruktionen beauftragt.<br />
Spanien war wieder wer. Und die Bauwirtschaft mit den Banken im<br />
Rücken war der Motor dieser Entwicklung. Der konservativen Regierung<br />
Aznar, die das Land in den 1990ern dominierte, konnte das nur<br />
recht sein. Spanien litt traditionellerweise unter einer relativ hohen<br />
Sockelarbeitslosigkeit von etwa 20 bis <strong>25</strong> Prozent, doch dank des Baubooms<br />
stieg die Beschäftigung rasant an. Diesen Erfolg heftete sich<br />
die Regierung gerne auf ihre Fahnen. Und tat ab nun alles nur Menschenmögliche,<br />
um die Bauwirtschaft immer weiter zu beschäftigen.<br />
Die Olympischen Spiele 1992 etwa boten dafür einen prächtigen Anlass.<br />
Und das war nur der Anfang. Bis zur Wirtschaftskrise 2008 herrschte<br />
in Spanien für die Bauwirtschaft Goldgräberstimmung.<br />
Nicht nur die Zentralregierung, auch die 17 weitgehend autonomen<br />
Regionen schöpften aus dem Vollen. Auch wenn vor allem die<br />
77
wirtschaftlich erfolgreichen nördlichen Regionen wie Katalonien, das<br />
Baskenland und Navarra heute so tun, als ob ausschließlich die Maßlosigkeit<br />
der Politiker in Madrid schuld am spanischen Debakel wäre:<br />
Die Regionen haben stets ihr Scherflein beigetragen, wenn es um Geldverschwendung<br />
ging.<br />
Gnadenlos egoistisch betrieb jeder Provinzkaiser<br />
wirtschaftlich meist sinnlose Prestigeprojekte.<br />
Jahrzehntelang. Jenseits einer<br />
vernünftigen Koordination der infrastrukturellen<br />
Bedürfnisse des Gesamtstaates wurden Flughäfen gebaut, deren<br />
Kapazitäten bis heute niemand braucht, wurden vierspurige Autobahnen<br />
verlegt, die in der Ödnis enden, gigantomanische Bahnhöfe, riesige<br />
Universitäten, ausufernde Fußballstadien errichtet, die nie ausgelastet<br />
wurden.<br />
Die Prestigeprojekte<br />
der Provinzkaiser<br />
Bis 2007 verursachten die Regionen allein bereits 38 Prozent der<br />
Staatsschulden. Für die Defizite der Regionen musste letztendlich ohnehin<br />
der Zentralstaat, die Regierung in Madrid geradestehen. Obwohl<br />
diese bei den Ausgaben der Regionalregierungen keinerlei Mitspracheoder<br />
gar Vetorechte hatte.<br />
Die Regionen waren es auch, die letztlich das spanische Bankensystem<br />
zum Kippen brachten. Denn die viel zitierte spanische Bankenkrise,<br />
wegen der die EU Madrid erst vor wenigen Monaten mit einem 45-Milliarden-Hilfspaket<br />
beistehen musste, ist keine Krise der Banken, sondern<br />
eine Krise der <strong>Sparkasse</strong>n. Der regionalen <strong>Sparkasse</strong>n, um genau<br />
zu sein. Nicht genug, dass die Regionen das Geld ihrer Steuerzahler<br />
jahrelang für sinnlose Imageprojekte ausgaben, hatten sie auch noch<br />
die unter ihrem Einfluss stehenden Regional-<strong>Sparkasse</strong>n zur Finanzierung<br />
weiterer Unternehmungen genötigt.<br />
Das gilt vor allem für gigantische Wohnbauprojekte im Stil der Ciudad<br />
Val de Luz, die in Spanien zur Jahrtausendwende zunehmend<br />
die In frastrukturprojekte der 1990er-Jahre ergänzten. Regionen und<br />
Gemeinden versprachen sich davon Wohlstand, Reichtum und Ansehen.<br />
Die Banken, die <strong>Sparkasse</strong>n und die Bauwirtschaft sowieso. Das<br />
System funktionierte so: Die Gemeinden brachten billiges Bauland<br />
78
ein und schlossen es auf Kosten des Steuerzahlers auf. Die Regionen<br />
gründeten mit Gemeinden, <strong>Sparkasse</strong>n, Baufirmen gemeinsame Entwicklungsgesellschaften<br />
und Bauträger, die das Ganze umsetzten und<br />
vermarkteten; die Kreditinstitute sorgten für die Vorfinanzierungen<br />
und halfen, Kunden mit unverschämt günstigen Krediten anzulocken;<br />
die Baufirmen bauten, die Gemeinden hofften auf neue Mitbürger und<br />
Steuerzahler und die Regionalpolitiker saßen in den Aufsichtsräten,<br />
kassierten saftige Zusatzeinkommen oder ließen auch mal ihren Parteien<br />
fette Spenden zukommen.<br />
Es war wie bei der »Subprime-Krise« in den USA. Solange dann auch<br />
noch die Immobi lienpreise kontinuierlich anstiegen, glich das System<br />
dem Stein der Weisen. Nur: Ab 2008 war auch hier die wunderbare Geldvermehrung<br />
vorüber. Die Immobilienpreise fielen, die Menschen konnten<br />
ihre Kredite nicht mehr bedienen. Der Baufortschritt stockte. Die<br />
Finanz ierungen wackelten, die Kassen gerieten in Schieflage. Milliarden<br />
von Krediten hätten abgeschrieben werden müssen. Und zahlreiche Banken<br />
hätten ehrlicherweise wohl in Konkurs gehen müssen.<br />
Spätestens zu diesem Zeitpunkt erhält die spanische Misere ein neue,<br />
abstoßende Fratze: Regierungskriminalität. Denn trotz hoffnungs loser<br />
Überschuldung wurde keine der maroden Kassen in die Insolvenz geschickt.<br />
Bankenaufsicht, Finanzministerium, Zentralbank, Justiz – alle<br />
verharrten im Nichtstun. Nicht nur, dass der Staat nicht eingriff, die<br />
Regierung verschlimmerte die Situation noch. Sieben Regional-<strong>Sparkasse</strong>n,<br />
jede für sich allein genommen ein Sanierungsfall, wurden zu einer<br />
Riesenbank, der heutigen Bankia-Gruppe, verschmolzen.<br />
Es war eine gigantische Bad-Bank, die nach außen hin freilich blütenweiß<br />
präsentiert wurde. Die kriminelle Konstruktion wurde schließlich<br />
auch noch an die Börse gebracht. Die Aktien wurden zu überhöhten<br />
Preisen überwiegend den Kunden der früheren sieben <strong>Sparkasse</strong>n,<br />
nunmehr eben den Kunden der Bankia, aufs Auge bzw. ins Depot gedrückt.<br />
Rund 350.000 Kunden, Sparer und Anleger, wurden so unter<br />
Mitwirkung der Regierung in die Miesen manövriert.<br />
Nur wenige Monate nach Ausgabe der Aktien waren diese bereits um<br />
75 Prozent ihres Ausgabepreises gefallen. Ein Betrug, dessen Ausmaß<br />
79
sogar die großen bisherigen Anlegerskandale in Europa und den USA<br />
in den Schatten stellt – und der vor allem in die Verantwortung der<br />
sozialistischen Regierung unter Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez<br />
Zapatero fällt.<br />
Und die Moral von der Geschichte? Die Gründung der Bankia-Gruppe<br />
konnte den Verfall des spanischen Finanzsystems nur geringfügig verzögern;<br />
die Bad-Bank schreibt 24 Milliarden Miese, ist als systemrelevante<br />
Bank heute aber too big to fail und muss mit EU-Geld gerettet<br />
werden. Und Zapatero verlor zwar die letzten spanischen Wahlen, politisch<br />
oder juristisch vorgegangen wird gegen ihn nicht. Ebenso nicht<br />
wie gegen andere Politiker (sowohl der Sozialisten als auch der Konservativen),<br />
gegen eingeweihte Bankmanager und nicht gegen die in<br />
den Betrug involvierten Beamten. Nicht einmal Ermittlungen wurden<br />
bisher eingeleitet.<br />
Freilich: Nicht alle in Spanien finden das gerecht. Auch das ist ein<br />
Grund für die Demonstrationen. Der bekannte TV-Journalist Hermann<br />
Tertsch bringt, als <strong>€CO</strong> dem Niedergang des Landes hinterher recherchierte,<br />
den Frust der Menschen auf den Punkt: »Zapatero hatte alles<br />
gewusst, als man noch etwas dagegen hätte machen können. Anstatt<br />
zu reagieren hat er alles vertuscht, hat behauptet, dass Spaniens Bankensystem<br />
das sicherste der Welt sei. Er und die gesamte Clique, die<br />
das zu verantworten hat, sind Verbrecher und sollten ins Gefängnis.«<br />
Ob das je passieren wird, ist freilich fraglich. Und letztlich hätte ja<br />
auch die EU zeitgerecht eingreifen können. Warum sie es nicht getan<br />
hat, bleibt ebenfalls eine der vielen unbeantworteten Fragen, die sich<br />
aus dem spanischen Dilemma ergeben.<br />
»Mit dem Euro ist es wie mit einem Auto, das den Berg<br />
hinunterfährt und immer schneller wird. Die Euro-Retter sagen<br />
sich: Wenn wir bremsen, bricht das Auto vielleicht aus; und<br />
deshalb bremsen wir lieber gar nicht.«<br />
Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener<br />
Wirtschaftsforschungsinstitutes „ifo“<br />
80
»Dolce vita« ist vorbei: Italien<br />
wird von der Krise eingeholt<br />
von Sabina Riedl<br />
Leere Strände im Sommer; Italiens Vorzeigeindustrien auf dem<br />
Boden. Lange Gesichter statt »dolce vita« – was ist nur los mit<br />
»bella Italia«? Nach Spanien, Portugal und Griechenland hat<br />
das Krisenvirus den nächsten Mittelmeerstaat erfasst und hält<br />
unseren unmittelbaren südlichen Nachbarn im Würgegriff. Es<br />
war nahezu mitleiderregend, wie <strong>€CO</strong> einen Lokalaugenschein<br />
an der oberen Adria erleben musste ...<br />
Das jedenfalls sind die ernüchternden Eckdaten der italienischen<br />
Wirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt: Ein Ende der Rezession ist<br />
nicht in Sicht. Im letzten Quartal des Vorjahres schrumpfte die Wirtschaft<br />
um weitere 0,2 Prozent und die EU-Kommission rechnet sogar<br />
mit einem Konjunktureinbruch insgesamt um 2,3 Prozent. Auch heuer<br />
stehen die Zeichen auf »Schrumpfen«. Erst 2014 erwartet die EU für<br />
Italien wieder ein zartes Wachstum.<br />
Die Industrie in der drittgrößten Volkswirtschaft Europas ist schwer<br />
angeschlagen und scheint sich nicht zu erholen. Sowohl im Inland als<br />
auch im Ausland ging die Nachfrage nach italienischen Produkten zurück.<br />
In den letzten vier Jahren mussten allein 100.000 Textilhersteller<br />
zusperren. Damit aber trifft die Wirtschaftskrise auch die Identität<br />
und das Selbstverständnis unserer südlichen Nachbarn ins Mark.<br />
Ein Drittel der italienischen Jugend ist arbeitslos, man spricht auch<br />
hier schon von einer verlorenen Generation. »Dove vai?«, fragt man<br />
sich besorgt, denn außer dass Italien der drittgrößte Player in der<br />
Europäischen Gemeinschaft ist, sind viele Österreicher, die im letzten<br />
Jahr in Italien Urlaub machten, von dem spürbaren Stimmungstief im<br />
Land des »dolce vita« bestürzt.<br />
Ein Sommer in Italien war für Generationen von uns der Inbegriff<br />
der Unbeschwertheit, des prallen Lebens und des Genusses gewesen.<br />
Doch gerade in der italienischsten aller Jahreszeiten, der Urlaubszeit,<br />
81
offenbarte sich im vierten Krisenjahr hintereinander der triste Zustand<br />
unseres Lieblings-Nachbarlandes. Unser Lokalaugenschein an<br />
der oberen Adria, der Badewanne der Österreicher, übertraf die düstersten<br />
Erwartungen noch. Gab es früher in der Hochsaison zwischen<br />
Juli und August keine freie Liege mehr auf dem Lido di Jesolo, war das<br />
Gästeaufkommen diesmal mehr als verhalten. Kein Zweifel, die Krise<br />
war in Italien angekommen.<br />
Wie immer standen die Schirme dicht gedrängt<br />
nebeneinander in Reih und Glied, aber<br />
darunter herrschte außer Schatten nur gähnende<br />
Leere. So wenig Touristen wie 2012<br />
gab’s an Italiens beliebtester Strandmeile noch nie. Vor allem die<br />
Italiener selbst, die oft übers Wochenende zum Blaumachen an den<br />
Strand fahren, ließen aus. 44 Prozent verzichteten auf einen Sommerkurzurlaub<br />
– andare al mare, der obligate Ausflug an den Strand, war<br />
schlicht und einfach zu teuer geworden.<br />
Gähnende Leere<br />
unter den Schirmen<br />
Auch die Urlauber aus dem restlichen Europa sparten spürbar. Die<br />
Stimmung in den Ferienparadiesen am Mittelmeer, wo die Österreicher<br />
seit Generationen ihre Lebensgeister auftankten, war im Keller. Und<br />
selbst in der Serenissima, die um diese Jahreszeit sonst hoffnungslos<br />
überlaufen ist, war es ungewöhnlich still. In den Restaurants, Cafés<br />
und Geschäften klagten die Betreiber, dass die wenigen Gäste, die<br />
kommen, nichts ausgeben würden.<br />
Ein paar Eindrücke, noch einmal in Erinnerung gerufen: Der Lido di<br />
Jesolo, die längste Strand- und Partymeile an der oberen Adria, ist<br />
üblicherweise zum Bersten voll. Letztes Jahr erreichte die Auslastung<br />
ein Rekordtief. Von einem Rückgang um die 30 Prozent war die Rede –<br />
hinter vorgehaltener Hand, denn nur wenige der Hoteliers oder Geschäftsleute,<br />
die wir fragten, waren besonders auskunftsfreudig.<br />
So fragten wir zwei, die es wissen müssten: Daniele Bragato und Giuglio<br />
Rovere, beide Bademeister wie aus dem Bilderbuch, am beliebten<br />
Mazzini-Strand von Jesolo. Wir trafen sie, sonnengebräunt und vom<br />
Workout gestählt, auf einem der salvataggio, der Hochstände, wo sie<br />
seit mehr als zwanzig Jahren für die Sicherheit der Badegäste sorgen.<br />
82
Und obwohl ihre äußere Erscheinung immer noch die heile italienische<br />
Urlaubswelt verkörperte, saßen ihnen zwei schlechte Saisonen in den<br />
Knochen. »Eine so miese Saison wie diese«, klagten sie, hätten sie<br />
noch nie erlebt. »Leute«, sinnierte Daniele Bragato, »waren voriges<br />
Jahr viel mehr hier. Man spürt den Unterschied zu 2011 – und Schuld<br />
daran trägt die Krise.«<br />
Sein Kollege Giuglio Rovere sekundierte: »Die Leute bleiben aus, weil<br />
sie kein Geld haben, keine Arbeit, leider, das ist wirklich hart. Überhaupt<br />
finde ich, es war ein Fehler, in Italien den Euro einzuführen.<br />
Denn darauf hin hat sich alles verteuert. Eine Pizza Margherita beispielsweise<br />
hat früher 5000 Lire gekostet, jetzt kostet sie fünf Euro,<br />
also doppelt so viel. So wie alles andere auch – nur die Einkommen,<br />
die sind gleich geblieben.«<br />
Kein Wunder, dass es unter diesen Umständen die Italiener waren, die<br />
hauptsächlich ausblieben. Viele sorgten sich um ihre Zukunft und wollten<br />
vorsichtshalber sparen; andere wieder waren bereits Opfer der Krise.<br />
»Ausländer sind etwa gleich viele da wie voriges Jahr«, erzählte uns der<br />
Student Nicola Vido, der mit seinem rollenden Eis-und-Getränke-Kiosk<br />
den Strand auf und ab fuhr. »Nur Italiener sind deutlich weniger da.«<br />
Der rigide Sparkurs Mario Montis hatte den Italienern bereits tief in<br />
die Tasche gegriffen. Statt ein, zwei Wochen Badeurlaub am Meer, wie<br />
es früher Tradition war, fuhr man im vergangenen Jahr maximal ein<br />
bis zwei Tage ans Meer. Das war das höchste der Gefühle.<br />
Der Rückgang der touristischen Einnahmen traf Italien im Vorjahr<br />
hart – denn immerhin machten die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr<br />
22 Prozent der gesamten Wertschöpfung des Mittelmeerstaates<br />
aus. Die Krise traf also den Lebensnerv unseres liebsten Urlaublandes.<br />
Und: Wie nimmt Österreich die Krise bei unserem südlichen Nachbarn<br />
wahr? Wir bitten unseren Interviewpartner, den Finanzberater<br />
Andreas Schuster von Hypo Capital Management, in eine der traditionsreichsten<br />
Pizzerien in Wien: das Rossini in der Innenstadt. Der<br />
erklärte Italienfan berät Kunden der Kathrein-Bank und der Raiffeisen<br />
NÖ. Im Auftrag besorgter Anleger und Investoren hatte er eine Studie<br />
83
zur Wirtschaftslage in Italien verfasst – die verheißt allerdings nichts<br />
Gutes. Die Gründe für das Schwächeln der italienischen Wirtschaft<br />
sind vielfältig; gerade die traditionellen Säulen der italienischen Exportwirtschaft<br />
hätten nachgegeben.<br />
Andreas Schuster erklärt das so: »Der Wegfall der Konkurrenzfähigkeit<br />
der italienischen Exportindustrie ist bedingt durch die Tatsache,<br />
dass Italien auf Märkten produziert, wo die asiatische Konkurrenz<br />
relativ gute, günstige Produkte herstellt.« Gerade die »klassischen italienischen<br />
Sektoren« wie die Bekleidungsindustrie, Schuhe, Textilien,<br />
Fahrzeuge hätten Federn gelassen – also all jene Handelssparten, in<br />
denen Italien bereits viel Terrain verloren hat.<br />
Und worauf müssen sich die Österreicher einrichten, die Italienische<br />
Investitionen oder Anleihen haben? »Ich glaube«, so Andreas Schuster,<br />
»den Worst Case haben wir schon gesehen im Fall von Griechenland.<br />
Man muss eben auf einen Gutteil seiner Forderungen oder Investitionen<br />
verzichten oder wird dazu gezwungen. So ein Szenario ist für Italien<br />
aktuell nicht am Horizont, aber sicher eines der Risikoszenarien,<br />
die man langfristig sehen könnte.«<br />
Eine der größten italienisch-österreichischen Finanzverflechtungen<br />
findet sich natürlich im Bankensektor. Die Bank Austria ist eine<br />
100-Prozent-Tochter der Mailänder Großbank UniCredit, deren Aktien<br />
seit der Krise im Sinkflug sind. Ist eine Ansteckung der größten<br />
heimischen Bank durch die italienische Mutter zu befürchten, wollen<br />
wir vom Chef-Ökonomen der UniCredit Bank Austria AG, Stefan<br />
Bruckbauer, wissen? Und der findet deutliche Worte: »Ein Land in der<br />
Rezession ist immer eine Herausforderung für eine Bank. Am italienischen<br />
Staat leidet die UniCredit nicht. Der italienische Staat geht<br />
nicht pleite. Und sollte er pleitegehen, ist es aus meiner Sicht ziemlich<br />
egal, wo eine Bank in Europa angesiedelt ist; dann wird es alle<br />
ordentlich durchbeuteln, egal, ob es eine deutsche, österreichische,<br />
spanische oder italienische Bank ist. Also dieser Illusion brauchen wir<br />
uns nicht hinzugeben. Wenn eines der reichsten und größten Länder<br />
Europas eine Staatspleite macht, bleibt kein Stein auf dem anderen.«<br />
84
Unsere teuren Parteien und der<br />
ungenierte Griff in den Steuertopf<br />
von Mag. Ilja Morozov<br />
So teuer waren uns die Parteien noch nie: SPÖ, ÖVP und Co. dürfen<br />
sich ab 2013 über viel Geld freuen; über sehr viel Geld. Denn<br />
während etwa bei den Pensionisten oder den Beamten gespart<br />
wird, wird die Parteienförderung saftig erhöht. Und zwar gleich<br />
um das Zweifache. Und selbstverständlich ist klar: Bezahlen muss<br />
das wie üblich der Steuerzahler.<br />
Seit vielen Jahren schon ist Österreich Weltspitze, was die Parteienförderung<br />
betrifft. Kaum woanders auf dem Globus wird – pro Kopf<br />
gerechnet – so viel Geld an das politische System ausgeschüttet wie<br />
hierzulande. Hierfür hat die Republik in der Vergangenheit schon<br />
reichlich Kritik geerntet.<br />
Aber: Im Frühjahr 2012 roch es nach Veränderung. Angesichts der<br />
Euro-Krise und klammer Staatsfinanzen brachte die Regierung gerade<br />
ein milliardenschweres Sparpaket zur Welt. »Gespart muss überall werden,<br />
aber nicht bei jenen, die arm sind«, erklärte Bundeskanzler Werner<br />
Faymann seinen Mitbürgern auf »Youtube«. Auch von einer möglichen<br />
Kürzung der Parteienförderung war die Rede.<br />
Aber: Weit gefehlt. Nur wenige Monate später und zur großen Überraschung<br />
von Experten und wohl auch der Parteikassiere selbst haben<br />
sich die »armen« Parlamentsparteien stattdessen per Gesetz eine<br />
Verdoppelung der Staatszuschüsse ab Juli 2012 gegönnt. Von nun an<br />
werden jedes Jahr stolze 29 Millionen Euro (statt bisher 15 Millionen)<br />
auf die Parteikonten überwiesen. Eine Steigerung um rund 90 Prozent.<br />
Heuer werden gar 36 Millionen Euro ausgeschüttet, da der Staat bereitwillig<br />
auch noch für das zweite Halbjahr 2012 nachzahlt.<br />
Beinahe wäre die Rechnung für den Steuerzahler sogar noch höher<br />
ausgefallen. Eifrige Beamte im Bundeskanzleramt hatten das Gesetz<br />
nämlich so ausgelegt, dass die Parteienförderung rückwirkend für das<br />
gesamte Jahr 2012 ausbezahlt werden muss. Also 43 statt 36 Millionen<br />
85
Euro im heurigen Jahr. Erst aufmerksame Journalisten schlugen gerade<br />
noch rechtzeitig Alarm. Und nach einem öffentlichen Aufschrei der<br />
Entrüstung wurde das peinliche Missgeschick als schlichter »Irrtum«<br />
abgetan und korrigiert.<br />
So oder so, für viele Bürger ist dieser plötzliche Geldregen eine Frechheit,<br />
da doch im Zuge des Sparpaketes »jeder seinen Beitrag leisten«<br />
sollte. Pensionen wurden eingefroren, Beamtenposten nicht nachbesetzt<br />
und Bausparprämien gekürzt. Selbst die Super-Reichen sollten<br />
höhere Steuern zahlen. Warum nur blieben die Parteien verschont? Hat<br />
die Opposition etwa geschlafen, als sich ÖVP und SPÖ darauf geeinigt<br />
hatten? Nein, das nicht. Zumindest nach außen zeigte man sich auf<br />
einer Linie mit dem Volk. Eva Glawischnig von den Grünen tönte etwa<br />
im Parlament: »Ich halte die Erhöhung der Parteienförderung für nicht<br />
akzeptabel, absolut inakzeptabel!« Und Josef Bucher vom BZÖ tobte:<br />
»Das ist eine entwürdigende Maßnahme für die Steuerzahlerinnen und<br />
Steuerzahler!«<br />
Die Oppositionsparteien waren zwar empört und verweigerten ihre Zustimmung<br />
zum Gesetz, das Geld nahmen sie dann aber trotzdem gerne.<br />
So liegt es seitdem an Faymann, Fekter und Co. die immense Geldflut<br />
mit immer denselben Argumenten zu verteidigen. Diese Rückzugslinie<br />
lautet kurz zusammengefasst: Weil künftig weniger Geld fließt, muss<br />
ab sofort mehr Geld fließen. Alles klar? Wir klären gerne auf. Nur eines<br />
gleich vorweg: Rein rechnerisch fällt diese Argumentation durch sämtliche<br />
Logiktests.<br />
Tatsächlich ist es zunächst so, dass mit dem neuen Gesetz nicht nur<br />
höhere Förderungen, sondern auch strengere Regeln bei der Parteienfinanzierung<br />
eingeführt worden sind. Da wären einmal die bis dato<br />
kaum kontrollierten Spenden. Im Lichte der Telekom-Affäre, zahlreicher<br />
Korruptionsvorwürfe und anderer illegaler Zahlungen müssen<br />
von nun an von allen Parteien Spendenzuwendungen über 3500 Euro<br />
offen gelegt werden – samt Namen und Anschrift des Wohltäters. Gelder<br />
aus dem Ausland dürfen bei Beträgen über <strong>25</strong>00 Euro gar nicht<br />
mehr angenommen werden. Und Einzelspenden ab 50.000 Euro gehören<br />
umgehend dem Rechnungshof gemeldet, der den Namen des Spenders<br />
kundtun muss.<br />
86
Unser Parlament: Teure Parteien<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Hikade)<br />
Der erste öffentlich »gebrandmarkte« Großspender ist übrigens Parteigründer<br />
Frank Stronach, weil er sich selbst – sprich seiner »Team<br />
Stronach«-Partei – eine Million Euro gespendet hat. Auch Spenden auf<br />
Landes- und Bezirksebene sowie Geldflüsse an parteinahe Organisationen<br />
gehören nach den neuen Regelungen eingerechnet. Zusätzlich<br />
müssen auch Inserate (ab 3500 Euro) und Sponsoring-Gelder (ab 12.000<br />
Euro) veröffentlicht werden. Damit sollen die bisher mickrigen Rechenschaftsberichte<br />
der Parteien aussagekräftiger werden, zumal sie derzeit<br />
kaum ein Fünftel eines A4-Blattes umfassen. Zum Vergleich: Ein<br />
Jahresabschluss eines Unternehmens geht meist über mehrere Seiten.<br />
Und: Erstmals drohen bei Vergehen auch harte Strafen, die künftig<br />
ein »unabhängiger Parteien-Transparenz-Senat« ahnden soll. Somit<br />
soll »endgültig Schluss« sein mit anonymen und dubiosen Zahlungen.<br />
Diese plötzliche Transparenz hatte anfangs selbst hart gesottene Kritiker<br />
überzeugt. Parteifinanzierungs-Experte DDr. Hubert Sickinger<br />
etwa sprach in einer ersten Reaktion von einem »großen Wurf«.<br />
Alles schön und gut, aber warum greift man im Gegenzug wiederum<br />
den Bürgern so unverschämt in die Tasche? Vermutlich aus einem<br />
einfachen Grund: Die Parteizentralen haben Sorge, dass die strengeren<br />
Transparenzregeln künftig viele Spender abschrecken. Und um<br />
87
Der Beschluss: Der Steuerzahler zahlt eh’ (Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Hagen)<br />
finanziellen Katastrophen vorzubeugen, wurde die Parteienförderung<br />
daher sicherheitshalber gleich verdoppelt. Schließlich hat ja nicht<br />
jeder einen Stronach bei der Hand.<br />
Freilich: Welche »Unsummen« bei einem totalen Spendenboykott tatsächlich<br />
in den Parteikassen fehlen würden, verrät ein Blick in die<br />
aktuell verfügbaren Rechenschaftsberichte aus dem Jahr 2011. Die<br />
SPÖ müsste demnach auf 2260 Euro verzichten. Die FPÖ hätte 320 Euro<br />
in den Wind zu schreiben, das BZÖ 300 Euro. Und die Grünen würden<br />
nicht einmal etwas merken – weil an sie angeblich überhaupt niemand<br />
gespendet hat. Einzig für die ÖVP dürfte einiges auf dem Spiel<br />
stehen. Hier verzeichnete man 2011 immerhin 1,3 Millionen Euro auf<br />
dem Spendenkonto. Dem gegenüber steht freilich das satte Förderplus<br />
von 14 Millionen Euro im Jahr, das ganz klar in krasser Relation zu<br />
den möglichen Spendenausfällen steht ...<br />
Aber: Schließlich droht ja noch an einer anderen Front finanzielles<br />
Ungemach. Ab sofort gibt es nämlich keine Rückerstattung von Wahlkampfkosten<br />
mehr, argumentieren die Parteien. Allein der Urnengang<br />
im Jahr 2006 dürfte nach den Berechnungen von Prof. Sickinger ungefähr<br />
60 Millionen Euro gekostet haben, also deutlich mehr als zehn<br />
Millionen Euro je Partei. Nun war es bisher so, dass zumindest ein Teil<br />
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der Kosten bei Nationalratswahlen vom Staat übernommen worden war.<br />
Rund 14 Millionen an Steuermitteln sind hierfür geflossen. Allerdings<br />
nur in jenen Jahren, in denen eine Wahl stattgefunden hat – also alle<br />
fünf Jahre, manchmal auch etwas öfter.<br />
Einen drohenden Geldmangel kann man SPÖ, ÖVP und Co. hier tatsächlich<br />
nicht abstreiten. Doch mit der doppelten Parteienförderung – in<br />
genau derselben Höhe wie die bisherige Kostenrückerstattung – wird<br />
jetzt so getan, als ob jedes Jahr Wahlkampf wäre. Das ist unverständlich.<br />
Ein automatischer Inflationsausgleich sorgt noch dazu für stetig<br />
steigende Förderungen. Auch wenn die Spenden gänzlich ausfallen<br />
sollten, können sich die Parteien noch immer getrost nach hinten<br />
lehnen. Zumal auch die Wahlkampfkosten mit dem neuen Parteienfinanzierungs-Gesetz<br />
auf maximal sieben Millionen Euro pro Partei<br />
begrenzt worden sind. Die heuer stattfindenden Nationalratswahlen<br />
dürften folglich keine allzu große finanzielle Belastung darstellen.<br />
Und worauf auch gerne vergessen wird: EU-Wahlkampfkosten werden<br />
auch weiterhin rückerstattet. Auch hier hätte einiges Sparpotenzial<br />
bestanden. Immerhin schießt der Staat rund 13 Millionen Euro zu, wie<br />
zuletzt bei der EU-Wahl im Jahr 2009. Aber das war den Parteien dann<br />
wohl doch zu riskant. Künftig werden »bis zu zwei Euro je Wahlberechtigten«<br />
extra abgegolten. Macht übrigens genau 13 Millionen Euro.<br />
Also auch hier ist keine Gefahr auszumachen, die eine Verdoppelung<br />
rechtfertigen würde.<br />
Überhaupt stehen die Parteien derzeit finanziell so gut da wie schon<br />
lange nicht. Bis auf FPÖ und SPÖ haben keine der anderen Parteien<br />
nennenswerte Schulden in der Bilanz stehen. Nüchtern betrachtet<br />
kann die enorme Anhebung der Parteienförderung daher nur als<br />
»großzügiges Geschenk«, keinesfalls aber als »bittere Notwendigkeit«<br />
qualifiziert werden.<br />
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich kostet<br />
Demokratie Geld und es sei hart arbeitenden Parteien auch vergönnt.<br />
Jedoch nur, wenn es tatsächlich notwendig ist. Denn am Ende<br />
bleibt fraglich, ob die teuer erkaufte Transparenz bei den Parteienfinanzen<br />
auch wie erwartet eintrifft. Bekanntlich gibt es ja immer<br />
89
Die Säulenhalle: Absprache unter den Parteien<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Ranz)<br />
irgendwelche Schlupflöcher. So haben bereits parteinahe Vorfeldorganisationen<br />
damit begonnen, Parallelstrukturen aufzubauen, um der<br />
Spendentransparenz zu entgehen.<br />
Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter gründet etwa<br />
den Verein »Gewerkschafter in der SPÖ« und der ebenfalls rote Pensionistenverband<br />
den Verein »65 Plus«. Solch Entwicklungen lassen<br />
am durchschlagenden Erfolg des neuen Gesetzes zweifeln. Und<br />
noch ein Punkt bereitet Kopfzerbrechen: die Parteienförderung auf<br />
Bundesländer ebene. Mit 1<strong>25</strong> Millionen Euro im Jahr ist diese um ein<br />
Vielfaches teurer als jene für die Bundesparteien.<br />
Statt auch hier den Sparstift anzusetzen, ist im neuen Parteienförderungs-Gesetz<br />
ein Korridor zwischen 6,20 und maximal 22 Euro je<br />
Wahlberechtigten vorgesehen, den die einzelnen Länder auch noch<br />
unter sich aushandeln dürfen. Noch hat kein Bundesland ähnlich<br />
drastische Erhöhungen angekündigt wie die Parlamentsparteien. In<br />
Zukunft ist das jedoch nicht auszuschließen, bewegt sich doch beispielsweise<br />
Niederösterreich mit 11,16 Euro pro Kopf am unteren Limit<br />
des Möglichen. Doch um auch hier härter durchzugreifen, dafür hat es<br />
den Bundesparteien wohl an Argumenten gefehlt ...<br />
90
Das Werben um Betriebe:<br />
Noch ist Österreich »liebenswert«<br />
von Katinka Nowotny<br />
Jedes Jahr siedeln sich hunderte ausländische Unternehmen in<br />
Österreich und hier vor allem in Wien an. Angezogen werden sie<br />
von hoher Lebensqualität und gut ausgebildeten Mitarbeitern.<br />
Aber der Wettkampf um neue Firmen wird immer härter.<br />
Der US-Amerikaner Chris Carlston hätte mit seinem kleinen Unternehmen<br />
auch nach Paris, nach London oder nach Madrid gehen können.<br />
Aber er hat sich vor rund einem Jahr für Wien entschieden – und<br />
wurde so einer von hunderten neuen Betriebsgründern in Österreich.<br />
Carlstons kleines Büro in der Wiener Innenstadt wertet für internationale<br />
Ölkonzerne Satellitenbilder aus, damit diese wissen, wo<br />
es sich zu bohren lohnt. Diese Arbeit kann überall auf der Welt gemacht<br />
werden. Carlston entschied sich für Österreichs Bundeshauptstadt<br />
– wegen der hohen Lebensqualität, die er und seine Familie hier<br />
genießen können<br />
»Wien ist gut für Familien«, sagt er. »Die Stadt ist sicher, sauber<br />
und der öffentliche Verkehr funktioniert bestens. Wir können unseren<br />
Kindern hier mehr Freiheiten geben. Paris und London wären für uns<br />
zu groß gewesen. Wien war eine gute Wahl.«<br />
Tatsächlich ist die hohe Lebensqualität einer der großen Pluspunkte,<br />
mit denen Wien und auch andere österreichische Städte in aller Welt<br />
um Ansiedelungen werben können. Jahr für Jahr wird die Bundeshauptstadt<br />
vom Beratungsunternehmen »Mercer« als »lebenswerteste Stadt<br />
für internationale Manager« ausgezeichnet. Aber mit Kultur, mit Parks<br />
und mit Freundlichkeit allein kann man Weltkonzerne nicht mehr dazu<br />
bringen, große Summen hier zu investieren. Der Kampf um Betriebsansiedelungen<br />
ist härter geworden und nicht mehr in allen Bereichen<br />
kann Österreich punkten. Hohe Steuern, eine schwerfällige Bürokratie<br />
und komplizierte Arbeitsbewilligungen sind die häufigsten Themen,<br />
über die internationale Manager regelmäßig klagen.<br />
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»Staaten wie Tschechien oder Ungarn gehen immer stärker in unser<br />
Standortprofil hinein«, warnt Rene Siegl, der Chef der Austrian<br />
Business Agency (ABA), die für Betriebsansiedelungen wirbt. 2011 hat<br />
seine Firma 180 Unternehmen mit 1800 neuen Jobs begleitet. »Es ist<br />
kein Wunder – die müssen sich ihrerseits gegen die Ukraine, gegen<br />
Rumänien oder gegen Bulgarien abgrenzen und das machen sie, indem<br />
sie höher qualifizierte Leistungen anbieten. Daher ist Wien sicherlich<br />
auch der Konkurrenz durch Prag und durch Budapest ausgesetzt. Das<br />
ist ein neues Umfeld, das in den letzten fünf bis zehn Jahren entstanden<br />
ist.«<br />
Lange Zeit war Wien der unumstrittene Champion,<br />
wenn es um Ost europa-Zentralen internationaler<br />
Konzerne ging. Schon vor dem Fall<br />
des Eisernen Vorhanges wurde von Wien aus<br />
der Markt in den kommunistischen Ländern beobachtet; und ab 1989<br />
erfolgte die Expansion in die Nachbarstaaten und weiter nach Osten<br />
von Wien aus – rasant. Für Österreichs Bundeshauptstadt sprachen<br />
unter anderem die zen trale Lage in Europa, gute Verkehrsverbindungen,<br />
vor allem das dichte Flugnetz der AUA, die hohe Rechtssicherheit<br />
und die Verfügbarkeit hochwertiger Dienstleistungen. Immer noch ist<br />
Wien für viele deutlich attraktiver als Prag oder Budapest, aber der<br />
Abstand ist geschrumpft.<br />
»Go east« startete<br />
immer von Wien aus<br />
»Es ist ein globaler Wettlauf um die besten Unternehmen dieser Erde<br />
und sobald man sich da ein bisschen zurücklehnt, fällt man klarerweise<br />
auch zurück«, sagt Gerhard Hirczi, der die Wirtschaftsagentur<br />
Wien in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) leitet. 126 Unternehmen<br />
kamen mit seiner Hilfe im Vorjahr nach Wien – ein Rekordwert.<br />
Darunter war auch die amerikanische Modekette »Forever 21«. Auf<br />
ihrem ersten Sprung nach Europa entschied sie sich für Wien – als attraktiven,<br />
aber auch herausfordernden Testmarkt. Entscheidend waren<br />
neben dem kaufkräftigen Publikum die Verfügbarkeit qualifizierter<br />
Mitarbeiter – und natürlich Immobilien in Top-Lage und (damals) dennoch<br />
erschwinglichen Mieten.<br />
Aber: So attraktiv Headquarters und Dienstleistungsbetriebe für einen<br />
Wirtschaftsstandort auch sind, die meisten Arbeitsplätze entste hen<br />
92
nach wie vor in der Industrieproduktion. Und da muss Österreich noch<br />
härter kämpfen, denn die heimischen Löhne zählen zu den höchsten<br />
der Welt. Statt Ansiedelungen kommt es deswegen auch immer wieder<br />
zu Abwanderungen oder Betriebsschließungen, die meist in strukturschwachen<br />
Regionen Arbeitsplätze kosten.<br />
Bei hohen Kosten müssen andere Dinge passen – vor allem die Qualifikation<br />
der Mitarbeiter und die Möglichkeiten für Partnerschaften bei<br />
Forschung und Entwicklung. Das zählt etwa für die Firma »Castolin«,<br />
einem Spezialisten für Schweißtechnik und Tochter der deutschen<br />
»Messer Gruppe«. Vor kurzem hat das Unternehmen in Niederösterreich<br />
eine neue Produktionshalle eingerichtet und zusätzliches Personal<br />
eingestellt. Kieswerke, Papierproduzenten und die Stahlindustrie lassen<br />
hier ihre Maschinen und Anlagen mit Spezial-Schweißverfahren<br />
vor zu raschem Verschleiß schützen.<br />
Dem Einsatz dieser Technik gingen lange Jahre der Entwicklung voraus<br />
– in enger Zusammenarbeit mit lokalen Forschungseinrichtungen.<br />
Solches Know-how ist nicht einfach zu verlagern, deshalb bleibe<br />
»Castolin« auch in Österreich, sagt Manager Robert Kirchmayer. »Es<br />
gibt eine gute Kundenstruktur hier in Österreich und in den umliegenden<br />
Ländern, die wir schon seit Jahrzehnten beackern. Mit ihr<br />
können wir uns weiter entwickeln; zusammen mit der Technologie<br />
und der Forschung ist das ein Mix, der uns am Standort in Österreich<br />
sicherlich gegenüber anderen überlegen macht.«<br />
Der gute Ruf des Landes wird auch noch weiter im Osten geschätzt –<br />
in China. Der steirische Elektromotoren-Hersteller ATB stand nach der<br />
Pleite des Großinvestors Mirko Kovats und dessen »A-Tec«-Holding zum<br />
Verkauf. Den Zuschlag erhielt das chinesische Familienunternehmen<br />
Wolong, das von einem neuen Headquarter in Wien mit ATB-Produkten<br />
in alle Welt expandieren will. »Jene Motoren, die ich hier herstellen<br />
kann, kann ich nicht in China produzieren«, sagt ATB-Aufsichtsrat<br />
Christian Schmidt. »Das spricht für den Standort Österreich und eine<br />
Headquarterfunktion in Wien.«<br />
Doch Experten warnen: Wenn Österreich die Rahmenbedingungen<br />
nicht laufend verbessert, dann wird das Land von anderen überholt.<br />
93
»In den letzten zwei, drei Jahren verliert Österreich in den internationalen<br />
Rankings jedes Mal ein, zwei, teilweise sogar drei Plätze. Wenn<br />
man selbst nicht stark reformiert, dann wird man nach hinten durchgereicht«,<br />
sagt ABA-Chef Siegl.<br />
Die Körperschaftssteuer ist in Österreich mit <strong>25</strong> Prozent im guten<br />
euro päischen Durchschnitt und stellt kein Hindernis dar. Die unter<br />
der schwarz-blauen Regierung eingeführte Gruppenbesteuerung galt<br />
lange Zeit sogar als echtes Plus: Verluste bei Auslandstöchtern<br />
konn ten im Inland von der Steuer abgesetzt werden. Das war vor<br />
allem bei der Ansiedelung von Unternehmenszentralen ein starkes<br />
Argument. Wie bekannt, ist es hier zu wirklichen Verschlechterungen<br />
für Unternehmen gekommen.<br />
Zusätzlich gibt es eine Fülle von kleineren Steuern und Gebühren wie<br />
Werbeabgaben oder Gesellschaftssteuern, die dem Budget relativ wenig<br />
bringen, aber dem Unternehmen großen Verwaltungsaufwand verursachen,<br />
kritisiert Barbara Polster-Grüll von der internationalen Wirtschaftstreuhand-Gesellschaft<br />
KPMG. Und die hohen Einkommensteuern<br />
und Lohnnebenkosten sind vor allem für hoch bezahlte Manager ein<br />
echtes Problem. 60 Kilometer weiter in Bratislava ist das Leben zwar<br />
weder billiger noch schöner, aber die Steuerbelastung deutlich geringer.<br />
»Die Höhe der Steuern ist in der Regel nicht das entscheidende<br />
Argument für eine Ansiedelung«, schränkt Hirczi ein. »Es muss ein<br />
Package geben, dann läuft die Steuer sozusagen nebenbei mit.«<br />
Zu diesem »Paket« gehört im Übrigen auch die berühmte »Ausländerpolitik«<br />
– und die könnte hierzulande deutlich liberaler werden. Der<br />
Amerikaner Chris Carlston etwa konnte seiner Frau keine Arbeitsbewilligung<br />
beschaffen. Und andere Unternehmen klagen auch darüber, wie<br />
schwer es ist, die notwendigen Papiere für qualifizierte Arbeitskräfte<br />
aus dem Nicht-EU-Raum zu erhalten – Rot-Weiß-Rot-Card hin oder her.<br />
Und noch wirchtiger als das, ist das Wissen, dass die Kinder in Wien<br />
sicherer aufwachsen als etwa in einer amerikanischen Großstadt. »Wir<br />
sehen unsere Kinder in die Straßenbahn einsteigen und haben dabei<br />
ein sicheres Gefühl.«<br />
94
Unser Gehalt, unser Geheimnis:<br />
So viel »Verdienst« ist normal<br />
von Mag. Bettina Fink<br />
Studieren Sie manchmal aus Interesse Stellenanzeigen? Mal sehen,<br />
was sich auf dem Arbeitsmarkt so tut? Seit geraumer Zeit finden<br />
sich im Kleingedruckten auch konkrete Angaben zur Entlohnung:<br />
Also Informationen über das Monats- oder Jahresbruttogehalt<br />
sowie den Kollektivvertrag. Das liest sich spannend. Doch sind<br />
die genannten Summen auch realistisch?<br />
Seit mehr als einem Jahr sind Arbeitgeber per Gesetz verpflichtet,<br />
Löhne in Jobausschreibungen offen zu legen. Die neue Lohntransparenz:<br />
Sie wurde von der Frauenministerin und der Gewerkschaft als<br />
»Waffe im Kampf gegen die konstatierten Lohnunterschiede zwischen<br />
Männern und Frauen« durchgesetzt. Die These: Wer weiß, was die<br />
eigene Arbeitskraft wert ist, welche Löhne üblicherweise in der eigenen<br />
Branche bezahlt werden, kann auch besser verhandeln.<br />
Das Gute daran: Der größte Teil aller Unternehmen hält sich mittlerweile<br />
auch an die gesetzlichen Vorgaben. Doch meist wird in Inseraten<br />
nur der kollektivvertragliche Mindestlohn angegeben – und Bereitschaft<br />
zur Überzahlung signalisiert. Das ist zwar gesetzeskonform –<br />
für Bewerber aber oft wenig hilfreich. Beispiele gefällig?<br />
Conrad Pramböck ist Gehaltsexperte bei der internationalen Personalberatung<br />
»Pedersen & Partners«. Als solcher hat er permanent Einblick<br />
in die Einkommensdaten verschiedenster Branchen und Firmen,<br />
sowohl national als auch international. Mit ihm machen wir einen<br />
Gehalts-Check: Im Karriereteil großer österreichischer Tageszeitungen<br />
nimmt er spontan Inserate unter die Lupe.<br />
Beispiel eins: Gesucht wird eine Assistentin der Geschäftsführung<br />
mit Berufserfahrung. Der angegebene Mindestlohn: 1586 Euro<br />
brutto monatlich. Die Einschätzung von Dr. Conrad Pramböck: »1500<br />
Euro entsprechen dem Mindestgehalt von Einsteigerinnen, die die<br />
HAK-Matura absolviert haben. Wenn ich Vorstandsassistentin bin und<br />
95
Berufserfahrung habe, bewegen sich die Gehälter jedenfalls zwischen<br />
<strong>25</strong>00 und 3500 Euro brutto pro Monat, die Gehaltsangabe ist also völlig<br />
unrealistisch.«<br />
Beispiel zwei: Gesucht wird ein/e VertriebsmitarbeiterIn in der Pharmabranche.<br />
Die Person soll ein abgeschlossenes naturwissenschaftliches<br />
Studium und Berufserfahrung vorweisen. Die Pharmabranche<br />
hat den Nimbus gut zu bezahlen. Doch das Jobinserat offeriert gerade<br />
einmal 1441 Euro brutto pro Monat. Dr. Conrad Pramböck: »Das ist<br />
nicht einmal das Einstiegsgehalt von MaturantInnen. Tatsächlich<br />
müsste so jemand zwischen <strong>25</strong>00 und 3000 Euro brutto verdienen, also<br />
die Angaben im Inserat weichen um 50 Prozent von der Realität ab.«<br />
Beispiel drei: Ausgeschrieben ist die Stelle einer Buchhalterin mit<br />
abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung und dem Schwerpunkt<br />
Rechnungswesen. Sie soll einige Jahre Erfahrung haben. Für eine Vollzeitbeschäftigung<br />
werden im Inserat 1700 bis <strong>25</strong>00 Euro als Gehalt genannt.<br />
Pramböck: »Das ist eine Stellenausschreibung, die realistische<br />
Angaben macht. Damit kann man etwas anfangen.«<br />
So einfach scheint es mit der Lohntransparenz in Inseraten also nicht<br />
zu sein. Darum liefern wir zur Orientierung einen realistischen Überblick<br />
über übliche Einstiegsgehälter in Österreich. Abweichungen je<br />
nach Branche sind natürlich möglich.<br />
Einstiegsgehälter im Überblick<br />
• Die Einstiegsgehälter für Facharbeiter liegen meist zwischen 1300<br />
und 1700 Euro. Nach zehn Jahren sind es 2100 bis 2800 Euro.<br />
• Die meisten Maturanten starten mit 1400 bis 1800 Euro und kommen<br />
nach zehn Jahren auf 2300 bis 3200 Euro.<br />
• Akademiker steigen mit 1800 bis <strong>25</strong>00 Euro ein. Nach fünf Jahren<br />
liegen sie bei 2900 bis 3600 Euro. Deutliche Ausreißer nach unten<br />
oder oben sind möglich – je nach Studienwahl.<br />
Besonders schwierig wird es mit den realistischen Gehaltsangaben in<br />
den höheren Etagen. Markus Brenner ist Personalberater in Wien und<br />
vermittelt Führungskräfte. »Gehälter sind hierzulande immer noch ein<br />
großes Tabuthema. Vor allem aber hängen sie stark von der Person des<br />
96
Bewerbers, der Bewerberin ab, der Erfahrung und dem Wissen, die sie<br />
oder er mitbringt. Die Spielräume sind darum – speziell bei Führungspositionen<br />
– gewaltig.« Gehaltsbandbreiten zwischen 50.000 bis zu<br />
120.000 Euro jährlich für einen ausgeschriebenen Job im mittleren Management<br />
– alles ist möglich. Und dann wären da auch noch viele andere<br />
Variablen zu beachten: »Wie viel ist fix, wie viel Gehalt va riabel,<br />
sind Überstunden inkludiert, gibt es einen Dienstwagen, eventuell<br />
auch Pensionszusagen?«, so Markus Brenner.<br />
Das reine Jahresgehalt sagt oft wenig aus. Und wenn man es allein<br />
darauf anlegt, fürchtet der Personalberater eine Annäherung an »britische<br />
Verhältnisse, wo es nur noch darum geht, wie viel ist der Job<br />
wert, was bekomme ich bezahlt. Das gefällt mir persönlich gar nicht,<br />
es geht ja auch darum, dass ein Job zu mir passt, dass er Spaß macht.«<br />
Auch wenn bei Führungsjobs scheinbar vieles relativ ist: hier ein Gehaltsüberblick<br />
zur Orientierung. Viel hängt auch von der Größe des<br />
Unternehmens und von der Branche ab, fügt Conrad Pramböck hinzu.<br />
Gehälter für Führungsjobs<br />
• Wer nach fünf bis zehn Jahren zum Teamleiter aufsteigt, verdient<br />
meist 3400 bis 5000 Euro brutto monatlich.<br />
• Abteilungsleiter in einem mittelständischen Betrieb mit 200 bis 500<br />
Mitarbeitern können nach zehn bis 20 Jahren mit 4800 bis 7000 Euro<br />
rechnen.<br />
• Bereichsleiter bei einem Großunternehmen mit mehr als 1000<br />
Mitarbeitern wird man meist nach 15 bis <strong>25</strong> Berufsjahren. Die<br />
Gehaltsbandbreite: 6800 bis 11.000 Euro. Abweichungen nicht<br />
ausgeschlossen.<br />
Eine völlig andere Welt: die Produktion des<br />
Automobil-Zulieferers Rupert Fertinger in Angelernter oder<br />
Wolkersdorf. 150 der 200 Mitarbeiter arbeiten<br />
in der Produktion. Meist angelernte Ar-<br />
echter Facharbeiter?<br />
beiter und echte Facharbeiter. Hier gilt der Metaller-Kollektivvertrag.<br />
Rund 1600 Euro brutto monatlich – das ist der Einstiegslohn<br />
– bei entsprechender Erfahrung und Qualifikation sind Überzahlungen<br />
von zehn bis 20 Prozent möglich. Und auch der Schichtdienst<br />
bringt Zulagen.<br />
97
Doch in lichte Höhen eines richtig guten Akademikergehalts steigen<br />
die wenigsten hier auf. Die Firma Rupert Fertinger sucht vor allem für<br />
die automatisierten Anlagen immer wieder Fertigungstechniker und<br />
Mechatroniker – Fachkräfte, die sehr rar sind. Der kollektivvertragliche<br />
Mindestlohn ist für besonders gefragte Techniker zwar ein Anhaltspunkt,<br />
aber nicht der alles entscheidende. Für das Unternehmen<br />
ist die Offenlegung der Löhne in Stelleninseraten also eine Gratwanderung.<br />
Man will keine unattraktiven Mindestgehälter angeben und<br />
gute Bewerber abschrecken – aber auch nicht überzogene Erwartungen<br />
wecken. Doch gerade bei sehr gefragtem Personal stehen die Firmen<br />
in einem harten Wettbewerb um die besten Leute. Personalchefin<br />
Brigitta John: »In der freien Wirtschaft kann man das Gehalt nicht<br />
so schematisieren, wie man sich das vielleicht in Ministerien oder<br />
Ämtern vorstellt, wo es fixe, klare Einstufungen gibt. Bei uns herrscht<br />
das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das ist ein Markt.«<br />
Hilfreich ist die Gehälteroffenlegung derzeit vor allem für Berufsgruppen,<br />
die nahe am Kollektivvertrag bezahlt werden. Laut Gewerkschaft<br />
wussten viele ArbeitnehmerInnen bislang nicht einmal, welches<br />
Gehalt ihnen mindestens zusteht. Und ob sie im richtigen oder in<br />
einem für sie schlechteren Kollektivvertrag angestellt werden, so<br />
Brigitte Ruprecht, Bundesfrauenvorsitzende im ÖGB. »Wir haben in<br />
Österreich mehr als 800 verschiedene Kollektivverträge. Und da kann<br />
es schon einen Unterschied machen, ob ich in einem Industrie- oder<br />
einem Gewerbekollektivvertrag eingestuft werde.«<br />
Zumindest diese Einstufungen werden durch die Gehaltsoffenlegung<br />
transparenter. Es bleibt aber trotzdem niemandem erspart, sich gut<br />
über den Marktwert der eigenen Arbeitskraft zu informieren, wenn<br />
man einen neuen Job anstrebt. Je höher oder je gefragter die Qualifikation,<br />
desto mehr Spielraum ist gegeben.<br />
Aber so lange Firmen in vielen Inseraten keine realistischen Angaben<br />
machen, sondern nur Minimalanforderungen veröffentlichen, erfüllt<br />
sich eine politische Idee hinter der Gehälteroffenlegung nur bedingt:<br />
nämlich, dass allfällige Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern<br />
verschwinden sollen.<br />
98
Ein totaler Bildausfall – der<br />
Absturz des Weltkonzerns Kodak<br />
von Sabina Riedl<br />
Es war die spektakulärste Pleite des abgelaufenen Jahres – dass<br />
ein Weltkonzern und mit ihm eine der wertvollsten, gediegensten<br />
und bekanntesten Marken der Welt baden gehen, erlebt man<br />
nicht alle Tage. Der Kamerapionier und Filmhersteller Kodak<br />
schlitterte in die Insolvenz. Für viele markiert der Crash auch<br />
das Ende einer Ära.<br />
Kodak hat die digitale Revolution verschlafen, darin sind sich die<br />
Brancheninsider einig – viele von ihnen freilich mit einer Träne im<br />
Knopfloch. Immerhin war Kodak die neuntwichtigste Marke der Welt.<br />
Gründer- und Firmenvater George Eastman war ein visionäres Genie.<br />
Er hatte 1888 die erste Amateurkamera auf den Markt gebracht und<br />
damit Fotogeschichte geschrieben.<br />
Die europäischen Niederlassungen sind vorläufig nicht betroffen. Wenngleich<br />
der Schock auch dort tief sitzt. Die Kodak-Aktie ist in nur fünf<br />
Jahren ins Bodenlose gestürzt – von <strong>25</strong>,8 Euro auf zum Jahreswechsel<br />
0,17 Euro – und lange schien es fraglich, ob und wie es mit dem einstigen<br />
Vorzeigebetrieb nach dem Insolvenzverfahren weitergehen würde.<br />
Doch nun zeichnet sich eine wenigstens vorläufige Rettung ab.<br />
Mitte November gab Kodak nämlich bekannt, dass der Konzern 800<br />
Millionen Dollar für einen Neubeginn in der Kriegskasse habe. Genau<br />
gesagt sind es 793 Millionen, die vorwiegend von zwei US-Großbanken,<br />
UBS und JP-Morgan, kommen sollen. Damit Kodak als Druckerhersteller<br />
durchstarten kann, muss das Unternehmen erst seine etwa<br />
1000 Digitalfoto-Patente zu Geld machen. Die Geschäftsführung erhofft<br />
sich daraus einen Erlös von rund 500 Millionen Dollar – das<br />
klingt schon sehr viel bescheidener als noch Anfang des Jahres 2012,<br />
als von »bis zu drei Milliarden Dollar an Patentwerten« die Rede war.<br />
Nach seinem Niedergang muss sich der Konzern womöglich mit noch<br />
viel weniger als einer halben Milliarde begnügen.<br />
99
Eine Marke verschläft das digitale Zeitalter<br />
(Foto: Kodak)<br />
Das ist doppelt bitter und auch ein wenig ironisch, weil aus der<br />
Kodak-Entwicklungsabteilung die allerersten, damals noch revolutionären<br />
Digitalkameras schlüpften. Doch während die Konkurrenten<br />
schleunigst auf den digitalen Zug aufsprangen, verschlief Marktführer<br />
Kodak, der die Speerspitzen der Entwicklung unter seinem eigenen<br />
Dach beschäftigte, trotz seines gewaltigen Vorsprungs an Know-how<br />
und Forschung die digitale Revolution.<br />
Wie sind die Mächtigen gefallen, denkt man unwillkürlich, wenn man<br />
an das goldene K denkt. Vom weltumspannenden Imperium und einer<br />
Marke, die jedes Kind noch heute mit Familienalben, wertvollen Erinnerungen<br />
und Fotografie verbindet, zu einem beispiellosen Niedergang<br />
war es nur ein kurzer Weg. Zu spät haben die Chefs die Weichen gestellt,<br />
viel zu spät erkannt, dass der Film, ihre Haupteinnahmequelle,<br />
zum Nischenprodukt verkommen würde.<br />
Und wer hätte gedacht, dass der Oldie von Paul Simon aus dem Jahr<br />
1973 »Don’t Take My Kodakchrome Away« die Firma Kodak überleben<br />
würde? Das gigantische Kamera-und-Film-Imperium mit Sitz in<br />
Rochester, New York, beschäftigte zu seinen Glanzzeiten in den 1980erund<br />
1990er-Jahren 145.000 Mitarbeiter weltweit; heute sind es gerade<br />
mal 19.000.<br />
100
Ein Teil des Kodak-Dramas hat sich, abgeschottet von der Öffentlichkeit,<br />
sogar vor den Toren Wiens abgespielt. Im Sommer 2003, kurz vor<br />
der Schließung des Kodak-Labors in Wien-Auhof, waren wir mit einer<br />
<strong>€CO</strong>-Kamera vor Ort. Was wir dort, im damals größten Foto-Entwicklungslabor<br />
Europas, zu sehen bekamen, lässt sich am ehesten mit dem<br />
sprichwörtlichen »Zeichen an der Wand« beschreiben.<br />
Es war die erste Urlaubssaison im Zeichen der Digitalfotografie. Im<br />
Entwicklungslabor am westlichen Stadtrand Wiens herrschte im Herzstück<br />
des Betriebs, an den kilometerlangen Produktionsstraßen zur<br />
Filmentwicklung, bereits gespenstische Stille – während sich im Obergeschoss,<br />
in einem behelfsmäßig eingerichteten Digitallabor, Wäschekörbe<br />
mit unerledigten Aufträgen für die Ausarbeitung von digitalen<br />
Urlaubsfotos türmten.<br />
Der damalige Geschäftsführer von Kodak-Österreich versuchte noch,<br />
den sich abzeichnenden Dammbruch auf dem Fotosektor zu verhindern:<br />
Mit einer 300.000 Euro teuren »Gratis-Ausarbeitungsaktion« für<br />
digitale Urlaubsfotos versuchte er zumindest den Printbetrieb zu retten.<br />
Vergebens. Das Geld war futsch und es hagelte wütende Kundenproteste,<br />
weil die Ausarbeitung wochenlang dauerte und nicht, wie in<br />
der Werbung versprochen, »ein paar Tage«.<br />
Im <strong>€CO</strong>-Interview vor neun Jahren, am 7. August 2003, gab er sich<br />
noch zuversichtlich, dass die schlimmsten Einschnitte nicht unter<br />
seinem Dach passieren würden. Das digitale Schlamassel, dem er nicht<br />
Herr wurde, kommentierte er damals, als wären alle Chancen intakt,<br />
doch noch die Kurve zu kriegen: »Das bedeutet nur«, sagte er, »dass<br />
wir uns fit machen müssen. Wir werden da und dort natürlich auch<br />
Restrukturierungen vornehmen müssen, bei der Produktion und den<br />
Maschinen, aber leider auch, und das sollte man immer zuletzt machen,<br />
bei der Belegschaft.« Nachsatz: Aber betroffen wären sowieso in<br />
erster Linie die USA und nicht Europa.<br />
Nun, er sollte sich täuschen, denn schon kurz nach seinem Interview<br />
war das größte Kodak-Entwicklungslabor Europas geschlossen, alle Mitarbeiter<br />
entlassen, nur Christian Wimmer und 18 weitere Kodak-Angestellte<br />
verblieben in ganz Österreich ...<br />
101
Im Vorjahr besuchten wir den Ex-Kodak- Geschäftsführer an seinem<br />
neuen Arbeitsplatz. Heute ist Christian Wimmer Geschäfts führer<br />
des Einrichters »Service & More«. Die Kodak-Ära ist auch für ihn zu<br />
Ende gegangen. Die dramatischen Ereignisse, die zum Finale geführt<br />
hatten, wird er sein Leben lang nicht vergessen. »Es war ein sehr<br />
schmerzhafter Prozess«, erinnert sich Christian Wimmer, »auch für<br />
mich persönlich. Weil man den Plan im Kopf hat, es sind 450 Mitarbeiter<br />
und am Ende des Tages werden nur 50 bis 100 überbleiben. Man weiß,<br />
dass das nur unter Schmerzen vonstatten gehen kann.«<br />
Hochmut, die Gier der Aktionäre, die von hohen Renditen verwöhnt<br />
waren, gewaltige Fixkosten und ein zu langsamer Richtungswechsel<br />
sind dem Weltmarktführer letztlich zum Verhängnis geworden.<br />
»Man hätte die Restrukturierung nicht auf zehn, zwölf oder 15 Jahre<br />
planen dürfen, sondern auf zwei oder drei Jahre – man hätte den Aktionären<br />
sagen müssen, es gibt jetzt kein Geld, das brauchen wir, um<br />
uns neu aufzustellen. Das hat man verabsäumt. Diesen Mut hat man<br />
leider in Rochester nicht gehabt«, lautet Wimmers wehmütige Bilanz.<br />
Dabei stand am Beginn der Firmengründung vor 131 Jahren eine<br />
technische und ökonomische Revolution – die Fotografie wurde massentauglich.<br />
US-Fotopionier und Visionär George Eastman entwickelte<br />
die erste Amateurkamera, genannt »The Original«.<br />
Im »Fotomuseum Westlicht« in Wien zeigt uns Inhaber und Sammler<br />
Peter Coeln die erste Kodak, die den Firmenruhm begründete. »Der<br />
Slogan«, erzählt er, »lautete: You push the button, we do the rest. Man<br />
hat die ganze Kamera eingeschickt und bekam 100 entwickelte Fotos zurück,<br />
mit einem neu eingelegten Film. Die Kamera hat <strong>25</strong> Dollar gekostet,<br />
das Tauschen des Films und die Entwicklung der Bilder zehn Dollar.«<br />
Es folgte der »Kodak Brownie 1894«, der für nur zwei Dollar auf den<br />
Markt kam – ein massentaugliches Amateurprodukt, dem noch viele<br />
epochale Entwicklungen folgen sollten.<br />
Goldene Rahmen, Bilder auf Silberplatten, die Exponate im »Westlicht<br />
Fotomuseum« zeugen vom Wert der Fotografie anno dazumal. Sie<br />
102
führen dem Betrachter vor Augen, wie kostspielig fotografieren einst<br />
war – und wie spottbillig heute; auch und nicht zuletzt das Verdienst<br />
von Kodak.<br />
Branchenkenner und Profifotograf Peter Coeln über die Zukunft der<br />
Firma: »Wichtig wäre, dass sich Kodak wieder selbst reinigt. Ich hoffe,<br />
dass die Firma bestehen bleibt. Kodak ist einer der großen Brands der<br />
Welt und ist in keiner Sprache negativ besetzt, was für eine Marke<br />
sehr wichtig ist.« Alte Kodak-Werbespots aus den 1960er-Jahren lassen<br />
einen wehmütig werden. Ist die Marke doch mit öster reichischen<br />
Wohnzimmern und Familiennostalgien auf Generationen hin untrennbar<br />
verwachsen.<br />
Das bestätigt auch die österreichische Fotodynastie<br />
schlechthin, die in den goldenen<br />
Kodak-Zeiten ihre eigene Firmen-Erfolgsgeschichte<br />
schrieb: die Hartlauers. Nach dem<br />
Ein Markt stellt<br />
sich auf den Kopf<br />
plötzlichen Tod des »Fotolöwen« Franz Josef im Jahr 2000 übernahm<br />
Sohn Robert den Betrieb – für den Junior ein Sprung ins kalte Wasser<br />
– an der Schwelle zur digitalen Revolution. »Bei den Kameras«, erinnert<br />
sich Robert Hartlauer an die rasante Entwicklung, »war im Jahr 2000<br />
ein Anteil von fünf Prozent digital. Heute sind es 100 Prozent. Heute<br />
gibt es kaum noch analoge Kameras, die verkauft werden. Bei der Ausarbeitung<br />
lag der analoge Anteil früher bei 99 Prozent, heute macht die<br />
digitale Ausarbeitung 60, 70 Prozent aus. Das hat sich ganz klar in den<br />
letzten zehn Jahren zu 100 Prozent gedreht – verständlicherweise.«<br />
Die frühen Familienalben der Hartlauers sind noch analog, die späteren<br />
digital – wie schnell ein Fixstern wie Kodak zu einer Fußnote werden<br />
kann, überrascht sogar den Profi. »Ich werde oft nachdenklich, wenn<br />
ich mir die Marktentwicklung so anschaue, auch im Tele kom-Bereich.«<br />
Totgesagte leben länger, heißt es im Allgemeinen. Wenn Kodak im<br />
Sanierungsverfahren seine Patente zu Geld machen kann, wäre der<br />
Weg für ein Comeback auf einen strahlenden Siegerplatz im Fotodruck<br />
geebnet. Wenn nicht, verschwindet die einstmals achtgrößte Marke<br />
der Welt vom Markt – einfach so. Einfach, wie eine Fotografie im<br />
Laufe der Jahre verblassen und schließlich ganz verschwinden kann.<br />
103
104<br />
Große Worte –<br />
meist sogar richtige<br />
gesammelt von Günther Kogler<br />
»Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ein<br />
Regierungsmitglied hinzugehen hat, wenn<br />
es eingeladen wird.«<br />
Wollte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) tatsächlich<br />
in die »Gästeliste« aufgenommen werden, um vor dem<br />
parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Sachen<br />
Inseratenaffäre auszusagen?<br />
»Ich weiß nicht, was Sie mit Schmiergeld meinen.”<br />
Ex-Innenminister und Ex-EU-Abgeordneter Ernst Strasser<br />
(auch Ex-ÖVP) hat keine Ahnung, was der parlamentarische<br />
Korruptions-Unterausschuss von ihm will.<br />
»Die Leistungsfrage wird hier immer wieder ins<br />
Lächerliche gezogen. Ich beantworte sie daher nicht mehr.«<br />
Walter Meischberger, Ex-FPÖ-Generalsekretär und Ex-Lobbyist,<br />
will bei der Suche nach seiner Leistung nicht mehr helfen.<br />
»Ich hab’ im Jahr 35 bis 40 Jagden. Wenn nicht<br />
gerade der Kaiser von China kommt, merk’ ich<br />
mir keine Namen.«<br />
Lobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly merkt sich auf<br />
seinen Pirschzügen nur die Tiere.<br />
»Nach der Abwicklung des Hypo-Verkaufes haben<br />
Haider und ich die Idee entwickelt, dass etwas an<br />
die Parteien gehen soll.«<br />
Aus der Erinnerung des zurückgetretenen und in erster Instanz<br />
verurteilten Kärntner ÖVP-Chefs Josef Martinz.<br />
»Am Hochstand verhandeln, das bringt sicher nichts.«<br />
Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad will Geschäfte<br />
niemals mit der Flinte im Anschlag abgeschlossen haben.
Reha statt Rente: Die<br />
»Invaliditätspension neu«<br />
von Mag. Ilja Morozov<br />
Es war ein logischer Reformansatz im »Frühpensionsland<br />
Österreich«: Wer krank ist, kann künftig nicht mehr so einfach<br />
in Frühpension gehen. Stattdessen stehen Arztbesuche und Umschulungen<br />
auf dem Programm. Die Idee ist gut, die Umsetzung<br />
jedoch weniger. Große Ungerechtigkeiten bleiben bestehen.<br />
Großbaustelle Wiener Innenstadt. Vergangenen Sommer besucht <strong>€CO</strong><br />
schwer schuftende Bauarbeiter beim Umbau der U-Bahnstation Karlsplatz.<br />
Hitze, Feuer, Staub – unter harten Bedingungen werden hier im<br />
Akkord Gleise aneinandergeschweißt. Wie lange hält man denn so eine<br />
Arbeit körperlich aus, wollen wir wissen. »Bis zur Pension sicherlich<br />
nicht«, tönt es unisono aus den verschwitzten Gesichtern. Für mehr<br />
bleibt im Interview keine Zeit, jede Minute ist hier beinhart kalkuliert.<br />
Arbeitsunfälle, Bandscheiben-Vorfälle, Stress. Bauarbeiter sind<br />
Paradekandidaten für die invaliditätsbedingte Frühpension, sollte<br />
man denken. Leider sind sie bei Weitem nicht die einzigen.<br />
Österreichweit scheiden jedes Jahr über 20.000 Menschen krankheitsbedingt<br />
aus dem aktiven Erwerbsleben aus, quer durch alle Berufsgruppen.<br />
Egal, ob Angestellter oder Arbeiter, keiner ist davor gefeit.<br />
Aktuell gehen hierzulande sogar mehr Menschen in Invaliditätspension<br />
als in die reguläre Alterspension. Besonders alarmierend ist die<br />
Zahl der Unter-50-Jährigen. Diese machen bereits ein Drittel aller Betroffenen<br />
aus, Tendenz steigend. Das kommt den Staat ziemlich teuer.<br />
Drei bis fünf Milliarden Euro müssen jedes Jahr für diese Invaliditätspensionen<br />
berappt werden. »Ohne Ergreifung gesetzlicher Maßnahmen<br />
ist die mittel- und langfristige Finanzierung der gesetzlichen<br />
Pensionsversicherung gefährdet«, warnt daher das Sozialministerium.<br />
Verhindern soll das die »Invaliditätspension NEU«, ein unter Sozialminister<br />
Rudolf Hundstorfer (SPÖ) ausgearbeitetes Gesetz. Im Kern sieht<br />
die neue Regelung vor, dass die befristete Invaliditätspension ab 2014<br />
schrittweise abgeschafft wird.<br />
105
Behandlung<br />
statt Pension<br />
Da jedes Jahr ein neuer Jahrgang dazu kommt, läuft die bisherige<br />
Regelung bis 2029 automatisch aus. Damit soll massenhaften Frühpensionierungen<br />
endlich ein Riegel vorgeschoben werden. »Das Wichtigste<br />
ist einmal, dass wir nicht sagen: Da hast’ eine Rente, baba und fall net.<br />
Sondern dass wir einmal hinschauen und mit den Menschen arbeiten«,<br />
erklärt Rudolf Hundstorfer. Gleich zwei Fliegen mit einer Klappe will<br />
der Minister schlagen. Einerseits sollen erkrankte Menschen wieder ins<br />
Berufsleben integriert und das durchschnittliche Pensionsantrittsalter<br />
dadurch angehoben werden. Das ist im europäi schen Vergleich ja<br />
wahrlich nicht berühmt. Und andererseits sollen die Pensionskosten<br />
innerhalb von fünf Jahren um 700 Millionen Euro reduziert werden.<br />
Abgesehen davon, dass das Einsparungspotenzial von so manchem Experten<br />
als »heroische Annahme« stark angezweifelt wird, bleiben viele<br />
Problemfelder freilich ungelöst.<br />
Zunächst aber zu den Details. Das neue Gesetz<br />
gilt für all jene, die am 1. Jänner 2014 jünger<br />
als fünfzig Jahre sind. Sie können dann nicht<br />
mehr in die befristete Invaliditätspension<br />
abgeschoben werden, sondern müssen sich stattdessen medizinischen<br />
Behandlungen oder einer Umschulung beim Arbeitsmarktservice unterziehen.<br />
Oder beidem. Nur wer tatsächlich dauerhaft krank oder invalide<br />
ist, darf auch in Zukunft in den vorzeitigen Ruhestand.<br />
Bisher wurde etwa ein an Krebs erkrankter Angestellter nach einer gewissen<br />
Zeit nahezu automatisch in Frühpension geschickt. Ab 2014<br />
erhält er aber so lange eine ärztliche Behandlung und Reha-Geld bezahlt,<br />
bis er – hoffentlich auskuriert – seinen alten Beruf wieder aufnehmen<br />
kann. Sollte jemand den alten Job nicht mehr verrichten können,<br />
so sind verpflichtende Umschulungsmaßnahmen durch das AMS<br />
vorgesehen. Parallel wird ein Umschulungsgeld ausbezahlt, das sich am<br />
Arbeitslosengeld orientiert, zumindest jedoch sind es 950 Euro im Monat.<br />
Nach den Vorstellungen des Sozialministers könnte ein Tischler mit<br />
Bandscheiben-Vorfall zum Fachmarktverkäufer ausgebildet werden und<br />
später eine neue Karriere als Holzberater im Baumarkt starten. Oder<br />
eine Friseurin, die an Neurodermitis und Depressionen erkrankt ist,<br />
eine Umschulung zu ihrem »Traumberuf« EDV-Technikerin erhalten. So<br />
106
Die Gretchenfrage: Gelernter oder ungelernter Arbeiter? (Foto: Gewerkschaft Bau-Holz)<br />
wenigstens der Wunsch des Ministers. Eine ganze Reihe von Problemen<br />
trübt jedoch diese Hoffnung.<br />
Ein großes Manko ist der oft kritisierte »Berufsschutz«, der in abgeschwächter<br />
Form weiterhin erhalten bleibt. Die Problematik: Derzeit<br />
kann »Fachpersonal« bei Invalidität nur auf Tätigkeiten im »angestammten<br />
Berufsfeld« verwiesen werden. Ein invalider Dachdecker<br />
darf also auf keinen Fall als Bürokaufmann arbeiten. Weil er aber<br />
nichts anderes gelernt hat, ist der Weg in die Frühpension praktisch<br />
vorgezeichnet.<br />
Nun hat man stattdessen den Begriff »Qualifikationsschutz« eingeführt.<br />
Das AMS kann künftig auf andere Berufsfelder verweisen und<br />
umschulen. Die Umschulung muss aber dem Ausbildungsniveau und<br />
der »Neigung« des Betroffenen entsprechen. Ein gelernter Elektriker<br />
müsste demnach eine gleichwertige Lehrausbildung erhalten, aber<br />
nichts darunter. Er dürfte also nicht als einfacher Verkäufer arbeiten.<br />
Kritiker monieren daher, dass trotz neuer Regelung noch immer<br />
keine ausreichende Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gegeben ist.<br />
Befürchtet wird, dass sich Schlupflöcher in die Frühpension auftun<br />
könnten. Vor allem der ÖVP sind sämtliche Schutzbestimmungen für<br />
107
Rudolf Hundstorfer–Baugewerkschafter Josef Muchitsch: Alles eitel Wonne? (Foto: GBH)<br />
Arbeitnehmer ein Dorn im Auge (sofern diese nicht gerade die Beamtenschaft<br />
schützen ...). In einem Schreiben an das rote Sozialministerium<br />
forderte Finanzministerin Maria Fekter, dass »eine Qualifikation<br />
nach ›unten‹ nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollte« und<br />
eine Aufhebung des Qualifikationsschutzes »anzustreben wäre«.<br />
Es blieb dennoch dabei: Weitergehende Änderungen sind am Veto der<br />
Gewerkschaften und der Arbeiterkammern gescheitert. Die Folgen: Im<br />
AMS fürchtet man nun eine Kostenlawine, die beispielsweise berufsunfähige<br />
Akademiker lostreten könnten. Denn diese müssten dem<br />
Gesetz entsprechend eine »ebenbürtige Ausbildung« erhalten. »Das<br />
läuft im Wesentlichen darauf hinaus, wenn einer von der Gesellschaft<br />
schon ein Studium finanziert bekommen hat, dass er unter den gegebenen<br />
Umständen einen Rechtsanspruch hat, ein zweites Studium finanziert<br />
zu bekommen«, warnte AMS-Chef Herbert Buchinger.<br />
Ein weiteres Problem für viele ist, dass eine große Berufsgruppe von<br />
jeglichen Strapazen verschont bleibt – die Beamten. Bei ihnen greift<br />
das neue Gesetz nicht. Sie profitieren weiterhin von einem Versetzungsschutz<br />
und müssen nicht zum AMS pilgern. Dabei: Frühpensionierungen<br />
gebe es aber auch hier zuhauf. So erfolgt etwa in der<br />
Stadt Wien mit ihren weit über 80.000 Bediensteten die Hälfte aller<br />
108
Pensionierungen »frühzeitig«. Freilich: Den Vorwurf, dass manch<br />
Beamtem großzügig »Dienstunfähigkeit« attestiert wird, will man hier<br />
nicht gelten lassen. Schließlich würde es sich ja meist um verbeamtete<br />
Feuerwehrleute oder Krankenpfleger handeln, die körperlich am Ende<br />
seien ...<br />
Wie gut es ist, ein<br />
Beamter zu sein<br />
Während diese Beamten also auch in Zukunft<br />
getrost in Frührente gehen können, muss<br />
eine andere Gruppe bis zum Schluss »leiden«:<br />
die Berufsgruppe der »ungelernten Hilfskräfte«.<br />
Allein am Bau machen sie 40 Prozent aller Arbeiter aus. Schon<br />
bisher hatten sie absolut keinen Berufsschutz, konnten folglich überall<br />
hin »auf dem gesamten Arbeitsmarkt« weiter verwiesen werden.<br />
»Ein Hilfsarbeiter hat keine Chance auf eine Frühpension, auf eine<br />
Invaliditätspension. Der pendelt zwischen Arbeitsamt, Krankenkasse<br />
und Pensionsversicherung hin und her, jahrelang. Bis er letztendlich<br />
irgendwann einmal eine Pensionszuerkennung erhält«, ärgert sich<br />
Bau-Gewerkschafter Josef Muchitsch über diese Ungerechtigkeit. An<br />
dieser misslichen Lage hat sich nichts geändert.<br />
Scharfe Kritik gibt es aber nicht nur an dem, was im Gesetz drinnen<br />
steht. So vermisst etwa die Arbeiterkammer, dass verpflichtende Präventivmaßnahmen<br />
für Unternehmen nicht festgeschrieben worden<br />
sind. Dabei geht es nicht nur um körperliche Gefahren, sondern auch<br />
um das geistige Wohlbefinden der Mitarbeiter. Denn immer öfter sind<br />
psychische Erkrankungen der Hauptgrund für vorzeitige Pensionierungen.<br />
Von knapp 24.000 Invaliditätspensionen im Jahr 2011 waren 8500<br />
auf Depressionen oder Burn-out zurückzuführen. Das bedeutet einen<br />
dramatischen Anstieg um 80 Prozent innerhalb von nur zehn Jahren.<br />
Die weitläufige Meinung, es treffe hauptsächlich Schreibtisch-Angestellte,<br />
stimmt dabei mit der Realität nicht überein. In absoluten Zahlen<br />
leiden deutlich mehr Arbeiter an psychischen Erkrankungen als Angestellte.<br />
»Wir sind heute Belastungsfaktoren ausgesetzt, die sich in der Arbeitswelt<br />
genauso wie auch in der Freizeitwelt spiegeln. Man ist de facto<br />
24 Stunden erreichbar und die Unsicherheit hat auch zugenommen«,<br />
erklärt Dr. Klaus Rudolf Pirich, der stellvertretende Chefarzt der Pensionsversicherungsanstalt.<br />
Seine Institution ist es, die schlussendlich<br />
109
darüber entscheidet, ob jemand in Invaliditätspension gehen kann,<br />
eine Umschulung bekommt oder medizinisch rehabilitiert wird.<br />
Hier lassen jahrzehntelange Erfahrungen Zweifel am vollen Erfolg der<br />
Invaliditätspension NEU aufkommen. Egal, ob bei körperlichen oder<br />
psychischen Gebrechen, eine Reintegration in die Arbeitswelt gestaltet<br />
sich oft langwierig und kompliziert. »Die Erfahrung hat gezeigt: Berufliche<br />
Rehabilitationen bei Personen bis 45 sind erfolgversprechend.<br />
Danach wird’s kritisch«, glaubt Dr. Pirich. Oft fehlt etwa die Motivation,<br />
nach jahrzehntelanger Arbeit nochmals die Schulbank zu drücken.<br />
Es gebe aber auch viele, die »trotz ihrer psychischen Erkrankung<br />
im Erwerbsleben sein wollen, aber es geht nur ganz einfach nicht«,<br />
erklärt der Arzt und urteilt zum Gesetz: »Ein wesentliches Wunder erwarte<br />
ich mir dadurch nicht.«<br />
Angesichts dessen erscheinen die Pläne des Sozialministers überambitioniert,<br />
um nicht zu sagen unrealistisch. Eine depressive<br />
Friseurin als EDV-Technikerin? Ein invalider Tischler als Holzberater?<br />
In wenigen Jahren wissen wir, welche Umschulungsmaßnahmen Erfolg<br />
haben und welche nicht. Unter dem Strich sind sich die Experten<br />
einig: Die neue Regelung ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Ein großer<br />
Wurf ist sie nicht.<br />
»Ich habe mir da einmal alle Finger verbrannt und die<br />
Zunge. Ich möchte die derzeit friedliche Stimmung mir<br />
gegenüber nicht anheizen.«<br />
Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) regt doch keine Anhebung<br />
des Frauenpensionsalters an.<br />
»Ich habe nie zu jenen Reporter-Schönlingen gehört,<br />
die mit ihren gelifteten Hodensäcken eher<br />
Unterhosenmodels gleichen.«<br />
ORF-Kriegsreporter Fritz Orter geht in Pension.<br />
110
Österreichische Privatstiftungen:<br />
Unsere letzten Steuerparadiese?<br />
von Mag. Beate Haselmayer<br />
Privatstiftungen haben letztes Jahr wieder einmal für Schlagzeilen<br />
gesorgt. Hat Martin Graf, Dritter Nationalratspräsident, die<br />
Wiener Pensionistin Getrude Meschar tatsächlich hinters Licht<br />
geführt? Oder hat die betagte Frau nur die Vor-, nicht aber die<br />
Nachteile solcher Konstruktionen gesehen? Und: Was ist mit den<br />
vielen anderen Privatstiftungen in Österreich? Kann man dort<br />
wirklich ganz legal Steuern sparen?<br />
Melinda Esterhazy, Hannes Androsch, Hans Peter Haselsteiner – sie<br />
alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie gehören zu den reicheren Menschen<br />
des Landes und sie haben ihr Vermögen in eine Privatstiftung<br />
gesteckt. 3400 solcher Privatstiftungen gibt es in Österreich. Experten<br />
schätzen, dass bis zu 100 Milliarden Euro darin geparkt sind. Ganz<br />
schön viel Geld. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, warum<br />
die Reichen Stiftungen gründen, bekommt man Antworten, die nicht<br />
ganz frei von Vorurteilen sind: »Geldwäsche, Steuerhinterziehung,<br />
linke Tricksereien!« Doch was ist dran an diesen Vermutungen?<br />
Nun, eines ist ganz klar: Österreichische Privatstiftungen wurden ins<br />
Leben gerufen, um vermögenden Menschen Steuervorteile zu bieten.<br />
Mit dem Erlass des Privatstiftungsgesetzes im Jahr 1993 reagierte die<br />
Politik darauf, dass Großanleger wie »Billa«-Gründer Karl Wlaschek mit<br />
ihrem Vermögen in die Schweiz oder nach Liechtenstein abwanderten.<br />
Dorthin, wo die Steuerabgaben niedriger waren. Keine Erbschaftssteuer,<br />
keine Steuern für Zinserträge und Dividenden – das waren die<br />
Anreize, mit denen man Wlaschek & Co. nach Österreich lockte. Mit<br />
Erfolg, erzählt Dr. Christoph Kraus vom Verband österreichischer Privatstiftungen:<br />
»Karl Wlaschek ist nur der Paradefall. Es gibt eine Reihe<br />
von anderen Vermögenden, die auch zurückgekommen sind mit dem<br />
Stiftungsgesetz von 1993.«<br />
Die Steueroase blühte, doch nicht für lange Zeit. Heftige Kritik von<br />
vielen Seiten sorgte dafür, dass sukzessive Steuervorteile abgebaut<br />
111
wurden. Ein vehementer Kritiker war Steuerexperte Otto Farny von<br />
der Arbeiterkammer: »Wir haben nie eingesehen, warum man für nicht<br />
gemeinnützige Stiftungen derartige Steuerbegünstigungen braucht.«<br />
Schritt für Schritt wurden also Begünstigungen abgebaut. Doch wie<br />
sieht es heute aus? Zahlt es sich aus steuerlicher Sicht aus, eine Privatstiftung<br />
zu gründen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden,<br />
muss man sich schon ziemlich genau mit dem Thema »Privatstiftungen«<br />
auseinandersetzten.<br />
Zunächst einmal aber das »Einmaleins« des<br />
Stiftungswesens: Eine Privatstiftung ist eine<br />
durchaus komplizierte rechtliche Konstruktion.<br />
Wer eine Stiftung gründet, muss bereit<br />
sein, sich von seinem gesamten Vermögen zu trennen. Wertpapiere,<br />
Geld, Unternehmen, Häuser – alles kann auf eine Stiftung übertragen<br />
werden. Der Stifter legt in einer Stiftungsurkunde den Zweck<br />
der Stiftung fest. Der kann eigennützig (häufig findet man auch die<br />
Bezeichnung privatnützig) oder gemeinnützig sein. Im Fall einer<br />
eigennützigen Privatstiftung werden Begünstigte festgelegt. Meist<br />
sind das der Stifter selbst und seine Kinder. Sie bekommen regelmäßig<br />
Geld aus der Stiftung. Melinda Esterhazy, Hannes Androsch, zu Lebzeiten<br />
auch Hans Dichand – sie alle haben eigennützige Privatstiftungen<br />
gegründet.<br />
Das »Einmaleins«<br />
des Stiftungswesens<br />
Bei einer gemeinnützigen Stiftung kommen die Stiftungserträge<br />
einem gemeinnützigen Projekt zugute. Ein Beispiel für eine gemeinnützige<br />
Stiftung ist die »Caritas Socialis«. Sie wurde 2002 von der<br />
Schwesterngemeinschaft »Caritas Socialis« gegründet und unterstützt<br />
etwa ein Hospizzentrum und ein Wohnheim für Mütter und Kinder.<br />
Mag. Hanna Schneider von der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht<br />
derartige gemeinnützige Stiftungen in Österreich. Doch allzu<br />
viele gibt es davon gar nicht: 200 sind es an der Zahl, wenig im<br />
europäischen Vergleich. Das überrascht nicht, denn wie wir bereits<br />
wissen, wurde das Privatstiftungsgesetz geschaffen, um das Kapital<br />
der Reichen ins Land zu bringen und nicht um Gemeinnützigkeit zu<br />
fördern. »In Deutschland gibt es eine große Zahl an Stiftungen, es<br />
112
Stiftungen in Österreich: Verzicht auf Rechte<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Ranz)<br />
sind ungefähr 16.000. Von diesen Stiftungen sind etwa 95 Prozent gemeinnützig.<br />
Und nur ein verschwindender kleiner Teil privatnützig.<br />
Das liegt genau daran, dass dort nur jene Stiftungen steuerlich begünstigt<br />
werden, die gemeinnützige Zwecke verfolgen; die rein privatnützigen<br />
bekommen diese steuerlichen Anreize nicht«, erläutert Mag.<br />
Hanna Schneider im <strong>€CO</strong>-Interview.<br />
Doch bevor es um die aktuellen Steuerbegünstigungen geht, zurück zu<br />
den Basics rund um Privatstiftungen: Eine wichtige Rolle innerhalb<br />
des Stiftungskonstrukts spielen die Stiftungsvorstände. Der Stifter<br />
legt mindestens drei Vorstände fest. Im medial offen diskutierten<br />
Fall der Pensionistin Gertrude Meschar war Martin Graf einer dieser<br />
Stiftungsvorstände – ein Politiker der FPÖ, gleichzeitig auch Dritter<br />
Nationalratspräsident.<br />
Für ihre Arbeit bekommen die Stiftungsvorstände regelmäßig Geld.<br />
Auch sonst fallen in einer Stiftung Kosten an. Aus diesem Grund sollte<br />
eine Privatstiftung eine bestimmte Größe haben. Experten sprechen<br />
von mindestens fünf bis zehn Millionen Euro Stiftungs kapital. Und<br />
der wichtigste Aspekt: Die Stiftungsvorstände lenken die Stiftung<br />
– und das Vermögen, das sich darin befindet. Der Stifter hat also keinen<br />
direkten Einfluss mehr auf sein Vermögen. Ein ziemlich großer<br />
113
Steueroase per Parlamentsbeschluss?<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Hagen)<br />
Machtverlust. Warum aber sollte jemand mit viel Geld diesen in Kauf<br />
nehmen? Welche Vorteile erschließen sich daraus?<br />
Hans Peter Haselsteiner, Lenker des international aufgestellten Baukonzernes<br />
STRABAG, war einer der ersten Österreicher, die eine Privatstiftung<br />
gründeten. Damals blühte sie noch, die Steueroase. Die<br />
Steuervorteile waren für ihn aber nicht ausschlaggebend – »Man nimmt<br />
sie natürlich, wenn sie einem angeboten werden«, beteuert er im Gespräch<br />
mit <strong>€CO</strong> und: »Seinerzeit war die Überlegung, dass die Firma<br />
durch den Erbweg nicht geteilt werden sollte und meine Nachkommen,<br />
also meine Kinder, an einem gemeinsamen Strang ziehen sollten.«<br />
Ein Vorteil, der vor allem Unternehmer überzeugt: Wenn es ums Erben<br />
geht, gehen viele Unternehmen verloren. Sie werden auf die Nachkommen<br />
aufgeteilt – und nicht selten kommt es deshalb zum Verkauf<br />
einzelner Unternehmensteile. Wird das Unternehmen aber in eine Privatstiftung<br />
eingebracht, dann bleibt das Unternehmen ein Ganzes. Die<br />
Erben werden als Begünstigte eingesetzt und bekommen regelmäßig<br />
Anteile aus den Stiftungserträgen ausbezahlt.<br />
Freilich: Könnte ein ausgeklügelt formuliertes Testament nicht genau<br />
denselben Zweck erfüllen? Christoph Kraus: »Eine Stiftung ist ein<br />
114
lebendiger Grabstein, wenn Sie so wollen. Das Testament ist ein<br />
wesentlich eingeschränkteres Instrument als eine Stiftung; sie kann<br />
über hundert Jahre existieren, sie kann sämtliche unternehmenspolitischen<br />
Prinzipien ausformulieren. Das ist ein Instrument, das<br />
wesentlich weiter geht als das Testament.« Ein Vorteil, der – abgesehen<br />
von der Sicherung von Arbeitsplätzen – wohl oft auch aus familiären<br />
Gründen gesucht wird.<br />
Doch wo sind sie, die großen Steuervorteile, die eine Privatstiftung<br />
heute noch bringt? Um diese Frage zu beantworten, ist ein kleiner<br />
Exkurs ins Steuerrecht nötig. Dort steht schwarz auf weiß, welche<br />
Steuern derzeit in Stiftungen anfallen:<br />
• bis zu 3,5 Prozent Stiftungseingangssteuer für jenes Vermögen,<br />
das in die Stiftung eingebracht wird.<br />
• <strong>25</strong> Prozent Körperschaftssteuer, die etwa bei betrieblichen<br />
Einkünften anfällt.<br />
• <strong>25</strong> Prozent Zwischensteuer, die zum Beispiel bei Zinsen aus<br />
Bankguthaben und Anleihen zu entrichten ist.<br />
• <strong>25</strong> Prozent Kapitalertragssteuer bei der Ausschüttung an<br />
Begünstigte (wenn nicht schon Zwischensteuer entrichtet wurde).<br />
Ganz schön viele Steuern – vorausgesetzt, man hält sich an die Gesetze.<br />
Und doch wieder weniger, als befände sich das Vermögen außerhalb<br />
der Stiftung. Doch wie ist das eigentlich mit den Gesetzen? Kann<br />
man die in österreichischen Privatstiftungen umgehen und tatsächlich<br />
tricksen oder sogar Geld waschen? Viele von <strong>€CO</strong> befragten Steuerexperten<br />
meinten: eher nicht. »In Österreich herrschen im Rahmen dieser<br />
ganzen Geldwäsche-Bestimmungen, die ja in den letzten Jahren<br />
sukzessive verschärft wurden, derart strenge Bestimmungen, dass es<br />
kaum möglich ist, eine österreichische Stiftung zum Geldwaschen zu<br />
verwenden. Mag sein, dass das in der Anfangszeit in den 1990er-Jahren<br />
noch möglich war, aber aus heutiger Sicht ist das nicht mehr möglich.«<br />
Auch Christoph Kraus vom Verband österreichischer Privatstiftungen<br />
verweist darauf, dass die Kriminalfälle der Vergangenheit alle mit<br />
liechtensteinischen Stiftungen zu tun haben. »Es ist eindeutig so,<br />
dass die missbräuchliche Verwendung der österreichischen Privatstiftung<br />
nicht möglich ist.«<br />
115
Dann gehen wir also davon aus, dass man sich hierzulande an die<br />
Steuergesetze hält. Kann man dann österreichische Privatstiftungen<br />
fairerweise überhaupt noch als »legale Steueroasen« bezeichnen? Nun,<br />
es gibt noch einen Steuervorteil, der sehr ungewöhnlich im europäischen<br />
Vergleich ist. Er besteht dann, wenn Beteiligungen an Kapitalgesellschaften<br />
verkauft werden. Normalerweise würden auf den Gewinn,<br />
der dabei gemacht wird, <strong>25</strong> Prozent Steuer anfallen. Doch wenn<br />
das Geld wieder investiert wird, wird die Steuer gestundet. Und eine<br />
Steuer, die etwa erst in fünfzig Jahren bezahlt werden muss, ist fast<br />
null.<br />
Für Unternehmer macht es einen großen Unterschied, ob nach Abzug<br />
der Steuer ein Investment von 75 Millionen Euro möglich ist oder ob<br />
100 Millionen investiert werden können, weil keine Steuer bezahlt<br />
wurde. »Selbstverständlich werden Stiftungen wegen dieses verbliebenen<br />
Steuervorteils gegründet. Ich würde sogar behaupten, dass ein<br />
Großteil der in den letzten ein bis zwei Jahren, in denen ja die anderen<br />
Steuervorteile abgeschafft wurden, und auch ein Großteil der in<br />
Zukunft noch zu gründenden Stiftungen auf genau diesen Umstand<br />
zurückzuführen ist.«<br />
Abseits von Tricksereien, Steuerhinterziehung und Geldwäsche gibt es<br />
sie also doch noch, die österreichische Steueroase. Auch wenn sie kleiner<br />
geworden ist – der Steuervorteil, den österreichische Privatstiftungen<br />
bieten, ist nicht zu unterschätzen.<br />
»Lieber spät als gar nicht erwischt.«<br />
Finanzministerin Maria Fekter freut sich früh über frische<br />
Steuermillionen aus der Schweiz.<br />
»Sparen ist freiwillige Enteignung.«<br />
Peter Bosek, der Privat- und Firmenkundenvorstand der „Erste<br />
Bank“, in einer Formulierung, die sich die Autoren dieses<br />
Jahrbuches nie getraut hätten.<br />
116
Red Bull: Der Aufstieg in<br />
die Werbe-Stratosphäre<br />
von Hans Wu<br />
Der Begriff »Gassenfeger« ist ein Relikt aus einer mittlerweile<br />
fernen Vergangenheit. Gemeint sind damit Fernsehereignisse, die<br />
zum Zeitpunkt der Ausstrahlung den Großteil des Fernsehpublikums<br />
von der Straße holen. Der Stratosphärensprung von Felix<br />
Baumgartner war so ein »Gassenfeger«.<br />
Es waren Bilder, die sich bei Millionen von Fernsehzusehern in der<br />
ganzen Welt in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Es waren<br />
Bilder, die auch weit nach Sendeschluss, im Internet, von weiteren Millionen<br />
gesehen wurden. Es sind Bilder von der höchsten Werbereklame<br />
der Welt. Dabei passierte eigentlich nicht viel: Ein Mann in einem<br />
Raumanzug steigt aus einer Art Tonne, salutierte in die Kamera – und<br />
stürzte sich in die Tiefe. Und 3,2 Millionen Österreicher sahen zu.<br />
Auch jenseits der Grenzen der Alpenrepublik wurde der sechsminütige<br />
Sprung aus knapp 40.000 Metern über Null live übertragen. Beim<br />
Berlusconi-Sender »Italia 2« sahen 1,8 Millionen Italiener den Höhepunkt<br />
der Stratosphären-Performance. Der deutsche Nachrichtensender<br />
»n-tv« freute sich über einen Spitzenwert von sieben Millionen Zusehern.<br />
Einen Rekord konnte auch das Internet-Videoportal »Youtube«<br />
verzeichnen: Mit acht Millionen gleichzeitigen Sehern wurde sogar die<br />
erste Amtseinführung von Präsident Barack Obama, dem bisherigen<br />
Rekordhalter bei Liveübertragungen, geschlagen.<br />
Und die Alpenrepublik hat wieder Grund stolz zu sein: Wir sind Weltraum!<br />
Ein extraterrestrisch gesteigertes Selbstwertgefühl, das von<br />
einem Getränkeproduzenten aus dem Salzburger Fuschl spendiert<br />
wurde. Freilich: Über die Kosten des Fernsehstunts schweigt Red Bull.<br />
Eine »Summe von 50 Millionen Euro« wird kolportiert – mehr ist nicht<br />
zu erfahren.<br />
<strong>€CO</strong> fragte an kompetenter Stelle nach. In Graz befindet sich das Österreichische<br />
Weltraum-Forschungsinstitut. Ja, das gibt es tatsächlich.<br />
117
Der Sprung in die Werbe-Stratosphäre<br />
(Foto: Red Bull Content Pool/Jay Nemeth)<br />
Hier wurde einst die Mission des letzten Österreichers im All, Franz<br />
Viehböck, vorbereitet. Neben der Vermittlung von Forschung und Lehre<br />
werden hier auch Messgeräte für internationale Weltraummis sionen<br />
hergestellt. Institutsleiter Wolfgang Baumjohann hatte in seiner Studienzeit<br />
noch bei unbemannten Ballonmissionen in die Stratosphäre<br />
mitgearbeitet. Aber das ist schon lange her.<br />
Den »Forschungswert« der »Red Bull«-Mission, den bezweifelt er. Für<br />
die Weltraumwissenschaft gibt es schon lange keinen Grund mehr, wie<br />
Felix Baumgartner in erdnahe Höhen von 40 Kilometern aufzusteigen.<br />
Alles, was man über die Stratosphäre wissen will, weiß man schon. Die<br />
High-Tech-Messgeräte der Grazer fliegen dagegen mit der europäischen<br />
Weltraumagentur ESA und mit der NASA bereits zum Saturn und darüber<br />
hinaus.<br />
Bis zu fünf Millionen Euro lässt sich das Österreichische Weltrauminstitut<br />
für einen der Forschungsapparate von den Auftraggebern bezahlen.<br />
Missionen ins All haben schon immer astronomische Kosten<br />
verursacht. Und die 50 Millionen, die gerüchteweise die »Mission Stratos«<br />
gekostet haben soll, die sind für den Weltraumprofessor durchaus<br />
realistisch: »Ich denke, die hauptsächlichen Gelder sind in den Ballon<br />
selbst geflossen, in den Bau der Kapsel und in den Aufbau des kleinen<br />
118
Bodenzentrums. All das kostet jeweils ein paar Zigmillionen Euro. Ich<br />
denke auch, wenn ich ein ganzes Team über fünf Jahre bezahlen muss,<br />
auch da kommen etliche Lohnkosten zusammen. So ganz billig sind<br />
Spezialisten auch nicht.«<br />
Es sind also 50 Millionen, die eigentlich für die Bewerbung einer Dose<br />
mit einem Verkaufspreis rund um einen Euro ausgegeben wurden.<br />
Allerdings richtet sich die Werbebotschaft vom Rande des Weltalls auch<br />
an einen weltweiten Markt. In 164 Ländern der Welt wird das süßliche<br />
rosa Getränk in der blauen Dose mittlerweile verkauft.<br />
In den 1980er-Jahren entdeckte der Marketingmitarbeiter Dietrich<br />
Mateschitz bei einem Thailand-Aufenthalt das koffein- und taurinhaltige<br />
Getränk »Krating Daeng«. Mit den Produzenten Chaleo Yoovidhya<br />
einigte er sich über die Lizenzrechte, gemeinsam wurde dann die Red<br />
Bull GmbH gegründet. 49 Prozent der Gesellschaft gingen an Dietrich<br />
Mateschitz, 49 Prozent an seinen thailändischen Geschäftspartner –<br />
und zwei Prozent an dessen Sohn. Nach dem Tod von Chaleo Yoovidhya<br />
dürfte die Mehrheit der Firma nun bei der thailändischen Familie liegen.<br />
Nur: Das Geschäft wird weiter aus Österreich bestimmt. 1987 erschien<br />
die Dose auf dem heimischen Markt. Der Rest ist Marketinggeschichte.<br />
Auch wenn sich heute weit günstigere Dosen im Regal tummeln, der<br />
Ur-Energydrink kommt noch immer aus Fuschl. Eine bekannte, nahezu<br />
unbezahlbare Marke: Neben der Dose fällt jedem auf die Frage nach<br />
Red Bull zumindest auch noch der Spruch mit »den Flügeln« ein.<br />
Es ist eine riesige Bilderwelt, die »Red Bull«-Chef Dietrich Mateschitz<br />
rund um die Marke aufgebaut hat. Überall, wo der Schriftzug mit den<br />
roten Stieren platziert wird, gehen Emotionen hoch, überschreiten<br />
Menschen scheinbar Grenzen, wird es in jeder Hinsicht extrem. Klippenspringer,<br />
Snowboarder, Kunstflieger, Fallschirmspringer – und<br />
selbst Lindsey Vonn trägt gegen gute Entlohnung das Logo der Energy-<br />
Brause zur Schau. In der Formel 1 unterhält der Salzburger Getränkeproduzent<br />
im Namen der Dose sogar gleich zwei Rennställe.<br />
Unfassbare 4,6 Milliarden Dosen werden im Jahr produziert; damit erzielt<br />
Red Bull einen Umsatz von aktuell 4,3 Milliarden Euro. Ebenso<br />
119
unfassbare 1,4 Milliarden Euro, also ein Drittel davon, werden für die<br />
Marketingaktivitäten ausgegeben. So stehen, nur als Beispiel, gleich<br />
600 Sportler als Werbeträger im Sold von Dietrich Mateschitz. Die 50<br />
Millionen Euro, die da fünf Jahre hindurch für das »Projekt Stratos«<br />
ausgegeben wurden, sind da noch relativ günstig. Vor allem im Vergleich<br />
zu den Ausgaben in der Formel 1: Geschätzte 150 Millionen Euro<br />
kosten hier pro Jahr die Boliden, die Teams und die Entwicklung.<br />
Doch im Vergleich zum »Projekt Stratos« handelt es sich bei den üblichen<br />
»Red Bull«-Aktivitäten nur um einfaches Sponsoring. Sogar bei<br />
den hoch dotierten Formel-1-Teams stehen im Endeffekt im Bewusstsein<br />
der Zuseher an erster Stelle die Fahrer und die Fahrzeuge – und<br />
danach erst die Werbebotschaften an der Karosserie. Beim Sprung vom<br />
Rande des Alls aber ist ein Ereignis direkt an eine Marke gescriptet<br />
worden. Höher, schneller, gefährlicher – hier wurde das selbst konstruierte<br />
Image von Red Bull in Reinform abgefeiert.<br />
Ist mit dem Aufstieg und dem Fall von Felix Baumgartner nun auch der<br />
Zenit des Werbehimmels erreicht worden? Wie nachhaltig profitiert die<br />
Marke Red Bull von dieser Aktion? Kann der Wert der Bilder, die dabei<br />
entstanden sind, überhaupt monetär bewertet werden?<br />
Wolfgang Mayerhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien ist Fachmann<br />
für Werbewirkungsforschung. Der Wissenschaftler zeigt sich von<br />
dem Ereignis beeindruckt; auf die Nachfrage nach einer genauen Bewertung<br />
bleibt er aber kryptisch: »Als Marktforscher kenne ich zwar<br />
den Wert der Marktforschung für Markenführung und auch für Entscheidungen,<br />
die das Unternehmen trifft. Ich würde aber sagen, und<br />
das passt ja für dieses Beispiel, es gibt Phänomene zwischen Himmel<br />
und Erde, die sich ganz einfach der Messung der Marktforschung entziehen.<br />
Und ich glaube, diese Frage ist eine, durch die die Marktforschung<br />
an ihre Grenzen stößt.«<br />
Wir gingen mit unseren Fragen weiter zu den Praktikern des täglichen<br />
Werbegeschäfts. Die »Mediacom« ist die größte Medienagentur des<br />
Landes Österreich. Ihre Aufgabe ist die Verteilung von Werbung auf<br />
verschiedenste Massenmedien. 420 Millionen Euro »für Schaltungen«<br />
vergibt Geschäftsführer Andreas Vretscha jedes Jahr.<br />
120
Felix Baumgartner: Jubeln für Geld<br />
(Foto: Red Bull Content Pool/Jörg Mitter)<br />
Mit der genauen Berechnung, zumindest der Werbewerte, müsste er<br />
also über Expertisen verfügen. Doch auch vom Werbeplaner hören wir<br />
nur eine grobe Einschätzung: »Da kommt mehr zurück als nur die 50<br />
Millionen, die vermutlich ausgegeben wurden. Wenn man alle medialen<br />
Coverages zusammenrechnet weltweit, wird man sehr leicht über diese<br />
50 Millionen kommen. Und das Ganze hat natürlich auch einen mittelund<br />
langfristigen Effekt. Da ist ein Pay-off da, das weit über diesen 50<br />
Millionen liegen wird.«<br />
Das Consulting-Unternehmen »Eurobrand« dagegen will es ganz genau<br />
wissen. Kein Wunder, lebt die Beraterfirma doch von dem Anspruch,<br />
Marken »exakt bewerten« zu können. Geschäftsführer Gerhard Hrebicek<br />
hatte wenige Tage nach dem Ereignis zu rechnen begonnen: »Wir<br />
haben das analysiert; wir schätzen die Werbewerte, und nur die Werbewerte,<br />
auf vier bis sechs Milliarden Euro.« Auf diese wirklich atemberaubende<br />
Summe kommt der Markenfachmann einfach durch die Multiplikation<br />
der Sendezeiten mit den gängigen Werbetarifen. Freilich:<br />
Eine Methode der Bewertung, die von anderen Marketingexperten eher<br />
kritisch beäugt wird.<br />
Um Werbung geht es hier doch ohnehin nicht allein. Hier ist eine<br />
Geschichte geschrieben worden, in der es um Mut, Tatendrang und<br />
121
Fortschritt geht. Das Publikum erlebt eine schwierige Vorbereitung,<br />
einen langwierigen Aufstieg, einen tiefen Fall und natürlich ein<br />
Happy-End. Und das alles vor einer Kulisse, die sich zwischen Himmel<br />
und Erde spannt. Es ist ein inszeniertes Epos, bei dem am Ende nur<br />
eine einfache Botschaft überbleibt: »Red Bull«. »Projekt Stratos« hat<br />
auch die Marke und das Image der Dosenhersteller in stratosphärische<br />
Höhen gebracht.<br />
Und: Ist so ein Ereignis überhaupt noch »zu toppen«? Weltraumprofessor<br />
Wolfgang Baumjohann hätte sogar »eine Idee«. Mit einer kleinen<br />
Rakete könnte Felix Baumgartner noch um einiges weiter in den<br />
Himmel aufsteigen; vom Scheitelpunkt des Geschosses könnte er dann<br />
bereits aus etwa 60 Kilometer Höhe in die Tiefe stürzen. Für den Wissenschaftler<br />
ist das technisch machbar. Die Kosten für diese Aktion<br />
schätzt er auf »etwa 200 Millionen Euro«. Und auch das wäre für »Red<br />
Bull« durchaus machbar.<br />
»Mit einer Goldmedaille um den Hals kannst<br />
du 500 Mädels haben.«<br />
Wie viele Goldmedaillen hat Schwimmstar Markus Rogan im alten<br />
Jahr errungen?<br />
»Du hast eine gewisse Verantwortung<br />
deinem Sponsor gegenüber.«<br />
Schallmauer-Hüpfer Felix Baumgartner nimmt sich fest vor, seinen<br />
Stratosphärensprung zu überleben.<br />
»Für mich sind das Leute, die vom Wasser maximal wissen,<br />
dass es nass ist.«<br />
Schwimmstar Dinko Jukic ärgert sich über die Funktionäre des<br />
Österreichischen Schwimmverbandes.<br />
122
Panzer, Kanonen und Pistolen –<br />
Österreichs »geheime Industrie«<br />
von Mag. Ilja Morozov<br />
Keine Werbung, keine Interviews, keine Publicity. Diskretion<br />
hat bei heimischen Rüstungsbetrieben oberste Priorität. Oder<br />
wussten Sie etwa, dass der »Kristallkonzern« Swarovski auch<br />
auf Waffen messen vertreten ist? <strong>25</strong> Jahre nach dem »Noricum-<br />
Skandal« blickt <strong>€CO</strong> hinter die Kulissen von Glock, Steyr und Co.<br />
Man schweigt und genießt. Unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeitet<br />
eine ganze Branche still und heimlich vor sich hin und das noch dazu<br />
überaus erfolgreich. Drei Milliarden Euro Umsatz, mehr als 90 Prozent<br />
Exportanteil und rund 8000 Arbeitsplätze. Österreichs Rüstungs- und<br />
Sicherheitsindustrie liefert so ziemlich alles in alle Welt, was man sich<br />
als ziviler Bürger gar nicht alles vorstellen will. Drohnen, Handgra naten,<br />
Panzermunition – bis hin zur High-Tech-Verschlüsselungstechnik.<br />
Kaum jemand weiß davon, weil sich die heimischen Branchenvertreter<br />
lieber nicht der Öffentlichkeit stellen. »Wir sind gebrannte Kinder«,<br />
rechtfertigt ein Manager am Telefon die Geheimnistuerei. Gemeint<br />
ist das überaus schlechte Image der Waffenproduktion hierzulande.<br />
Kein Wunder, hat doch so ziemlich jeder Hersteller schon den einen<br />
oder anderen Skandal hinter sich. Nur selten sind diese »gebrannten<br />
Kinder« in der Vergangenheit zu Unrecht beschuldigt, viel öfter jedoch<br />
zu Recht wegen unmoralischer oder gar illegaler Deals angeprangert<br />
worden. Daher wird jede Interviewanfrage kritisch beäugt – und oft<br />
abgelehnt. Warum auch Rechenschaft ablegen – das Geschäft rennt<br />
ja ohnehin prächtig. Nur nicht auffallen in der eigenen Heimat, lautet<br />
die Devise. Längst befinden sich die großen Kunden außerhalb<br />
Österreichs, vor allem im Nahen Osten, in Asien oder in Lateinamerika.<br />
Um an lukrative Aufträge zu gelangen, hält man sich an »internationale<br />
Gepflogen heiten« – an die Diskretion der Branche. So auch im<br />
vergang enen Jahr im Juni. <strong>€CO</strong> war dabei.<br />
Kaum zwei Flugstunden von Wien entfernt, im Pariser Vorort Ville pinte,<br />
findet alle zwei Jahre ein höchst klandestiner Event statt. In der Stadt<br />
123
der Mode und Haubenlokale geht die so genannte »Euro satory« über<br />
die Bühne, die größte Waffenschau auf Erden. Die schweigsamste Branche<br />
trifft sich ausgerechnet auf einer Messe. Hier bieten rund 1400<br />
Rüstungskonzerne aus aller Welt ihr neuestes Kriegsgerät feil. Und<br />
tausende Offiziere, Sicherheitsexperten und Waffenhändler halten sich<br />
über die neuesten Vernichtungsdinge auf dem Laufenden. Bomben<br />
und Raketen aus den USA, Kampfpanzer aus Deutschland, Maschinengewehre<br />
aus Russland. Alles, was Rang und Namen hat – von der<br />
deutschen Firma Kraus Maffei-Wegmann bis zum US-Konzern Lockheed<br />
Martin –, ist vertreten. Auch China, Indien oder Israel haben ihre<br />
Zelte aufgeschlagen. Auf einem abgeriegelten Außengelände werden<br />
Terroristenangriffe nachgespielt, Drohnen gestartet und Gelände wagen<br />
durch den Schlamm gejagt. In den Hallen präsentieren Manager im<br />
Anzug ihr Warensortiment. Prospekte werden verteilt, Verhandlungen<br />
geführt, verkauft.<br />
Und mitten drin, da ist auch Österreich auf<br />
stolzen 800 Quadratmetern vertreten. Es geht<br />
gemütlich zu. Bei Mozartkugeln, Mannerschnitten<br />
und Sekt wird am Stand der Wirt -<br />
schaftskammer auf den Erfolg angestoßen. Auch die ehemalige<br />
Außen ministerin und jetzige Botschafterin in Frankreich Ursula<br />
Plassnik ist gekommen. Hier, und nur hier, kann man ungeniert stolz<br />
sein auf die heimischen Rüstungsbetriebe, die sich in aller Welt durchsetzen<br />
können.<br />
Kugeln von Mozart –<br />
und solche von Glock<br />
Wenig überraschend ist die Firma Glock mit ihren populären Pistolen<br />
auf der Rüstungsmesse vertreten. Auch der etwas kleinere Konkurrent<br />
Steyr-Mannlicher führt seine Maschinengewehre samt Granatenwerfer<br />
vor. Ebenfalls dabei ist der niederösterreichische Betrieb Hirtenberger,<br />
der tatsächlich noch immer Mörser, Granatwerfer und Panzermunition<br />
herstellt – aber absolut nichts dazu sagen möchte.<br />
Neben den Traditionsfirmen weist die österreichische Teilnehmerliste<br />
auch weniger bekannte Unternehmen auf. Etwa den Wiener Betrieb<br />
»Blaschke Wehrtechnik«, der weltweit führend ist, wenn es um<br />
Schutz anzüge für schwer kontaminierte Gebiete geht. Oder die Tiroler<br />
Firma Plansee, die Legierungen für panzerbrechende Munition fertigt.<br />
124
Gänzlich unerwartet trifft man jedoch auf den gut versteckten Stand<br />
von Swarovski. Hier werden ausnahmsweise keine mit Glitzerstein verzierten<br />
Produkte ausgestellt. Wir erfahren: Der Konzern ist Weltmarktführer<br />
im Hochqualitätsbereich der Beobachtungsoptik. Zu Deutsch:<br />
Ferngläser für »professionelle Beobachter«. »Unsere Geräte sieht man<br />
beim Militär, bei Sondereinheiten etwa in Afghanistan, im Einsatz«,<br />
erzählt der einzige Swarovski-Vertreter vor Ort, um sofort klarzustellen:<br />
»Ferngläser, das machen wir. Zielfernrohe für Waffen machen wir<br />
nicht. Das machen dann andere Firmen.« Stimmt, denn gleich daneben<br />
ist der Stand der Firma »Kahles« aufgebaut, des ältesten Zielfernrohr-Herstellers<br />
der Welt. Ebenfalls ein Unternehmen aus Österreich.<br />
Und, siehe da, es ist ausgerechnet eine Tochterfirma von Swarovski.<br />
Aber das wollte man so offen nicht zugeben. Schließlich passt das so<br />
gar nicht zum Glamour-Image, mit dem man sich in der Heimat gerne<br />
schmückt.<br />
Eines ist bei der Waffenmesse offensichtlich: Österreichs Hersteller<br />
haben ein Problem mit sich selbst. Man will zwar am Rüstungsgeschäft<br />
gut verdienen, aber auf keinen Fall damit in die Öffentlichkeit<br />
gehen. Offenbar schämt man sich für das, was man macht. Dabei fertigen<br />
die heutigen österreichischen Produzenten längst kein richtig<br />
schweres Kriegsgerät mehr. Kampfpanzer oder Haubitzen heimischer<br />
Produktion sind auf der »Eurosatory« im Gegensatz zur ebenfalls »neutralen«<br />
Schweiz nicht zu finden. Dieser Industriezweig ist hierzulande<br />
ausgestorben. Doch nicht etwa aus moralischen Gründen oder einer<br />
strengen Neutralitätsauslegung wegen hat man darauf verzichtet. Und<br />
schon gar nicht auf freiwilliger Basis. »Der berühmte Noricum-Skandal<br />
hat stattgefunden. Ausschlaggebend war aber neben dem Skandal,<br />
dass auch die Märkte für diese Produkte aus österreichischer<br />
Sicht nicht mehr vorhanden sind«, erklärt Dr. Rudolf Lohberger. Der<br />
ehemalige Chef des Minen- und Sprengstoffherstellers Dynamit Nobel<br />
schneidet mit dem Skandal die dunkelste Geschichte der heimischen<br />
Rüstungsindustrie an. Firmen gingen in Konkurs, mysteriöse Todesfälle<br />
machten Schlagzeilen, Untersuchungskommissionen wurden eingeleitet<br />
und Gerichtsurteile gesprochen. Nur ein einziger Mann erlebte<br />
in dieser Zeit einen ungeahnten Höhenflug: Gaston Glock, der in Wahrheit<br />
von der Ideenlosigkeit Steyr-Mannlichers profitierte. Ein Blick zurück<br />
zeigt, wie es zu all dem gekommen ist.<br />
1<strong>25</strong>
Vor etwas mehr als <strong>25</strong> Jahren ist die Welt noch in Ordnung. Damals<br />
dominieren zwei Betriebe die schwere Waffenproduktion in Österreich.<br />
Auf der einen Seite steht der Staatskonzern Steyr-Daimler-Puch,<br />
der den berühmten Jagdpanzer Kürassier, den Truppentransporter<br />
Pinzgauer und das STG77 fertigt. Und auf der anderen Seite steht<br />
der Staatsbetrieb Voest, zu dem die Tochterunternehmen Noricum<br />
und Hirtenberger gehören. Hirtenberger versorgt das Bundesheer mit<br />
Munition und produziert auch sonst alles Mögliche, das abge feuert<br />
werden kann. Noricum hingegen ist ein Quereinsteiger. Ende der<br />
1970er-Jahre, als die Auftragslage des reinen Stahlverarbeiters schwächelt,<br />
droht der Bankrott.<br />
Das Management setzt als vermeintlich letzte Chance auf ein kanadisches<br />
Lizenzprodukt der Firma »Gerald Bull« und lässt die gefürchtete<br />
GHN-45 – die »Gun Howitzer Noricum« – produzieren. Eine Kanone,<br />
die mit spezieller Munition über 40 Kilometer weit feuern konnte.<br />
Fürs österreichische Bundesheer ist das nichts, da der Staatsvertrag<br />
solch weitreichende Artilleriegeschütze verbietet. Es bleibt also nur<br />
der Export, der schon damals gesetzlich stark eingeschränkt ist. Und<br />
dennoch liefert Noricum ab 1981 insgesamt 340 Haubitzen an den Irak<br />
und den Iran. Möglich machen das fingierte Endabnehmerzertifikate<br />
und Zwischenstopps in Libyen, Jordanien oder Brasilien.<br />
Das Problem: Beide Länder befinden sich gerade im Krieg. Trotz Hinweisen<br />
eines österreichischen Botschafters im Jahr 1985, der kurz<br />
danach auf mysteriöse Weise stirbt, passiert nichts. Als das illegale<br />
Geschäft dann 1987 doch auffliegt, ist der größte Skandal der Zweiten<br />
Republik perfekt. Zahlreiche Manager werden wegen Neutralitätsgefährdung<br />
verurteilt, Karl Blecha – heutiger Präsident des Pensionistenverbandes<br />
– tritt als Innenminister zurück. Ebenfalls bestraft wird<br />
die Firma Hirtenberger; sie hatte die dazugehörige Munition an die<br />
Kriegsnationen im Golf geschickt.<br />
Mit dem »Noricum-Skandal« kommt die gesamte Rüstungsindustrie<br />
in Verruf und verliert immer mehr an Bedeutung. Unternehmen wie<br />
der Minenhersteller Assmann gehen in Konkurs, Dynamit Nobel stellt<br />
seine militärische Produktion ein und Steyr-Daimler-Puch wird nach<br />
finanziellen Problemen filetiert und verkauft. Doch während sich in<br />
126
der gesamten Branche Katerstimmung breit macht, erobert ein Kärntner<br />
Ingenieur in Windeseile die weite Welt: der Messer- und Feldflaschenproduzent<br />
Gaston Glock.<br />
Oft wird er als genialer Erfinder seiner Pistole<br />
bezeichnet. Tatsächlich spielten Glück<br />
und Zufall die größten Rollen. Anfang der<br />
1980er-Jahre schreibt das österreichische<br />
Ein Anfang mit<br />
20.000 Pistolen<br />
Bundesheer eine große Pistolenlieferung aus, um Altbestände aus der<br />
Wehrmachtszeit zu ersetzen. Steyr-Mannlicher nimmt als einziger heimischer<br />
Produzent an der internationalen Ausschreibung teil – und<br />
verliert. Gewonnen hatte die italienische Beretta. Auf politischen<br />
Druck hin wird nochmals eine Auswahlrunde gestartet. Weil sich die<br />
Firma Steyr vehement weigert, Mängel an ihrer Pistole auszumerzen,<br />
wird Glock gefragt, ob er nicht eine Pistole fertigen könnte. Dieser<br />
riecht seine Chance und engagiert zwei Ferlacher Büchsenmacher, die<br />
die Anweisungen vom Bundesheer technisch umsetzen. »Er konnte<br />
eine Pistole nicht von einem Revolver unterscheiden«, berichtet ein<br />
damaliger Offizier. Aber Glock hat den nötigen Riecher, er riskiert all<br />
sein Geld und gewinnt den Auftrag für mehr als 20.000 Pistolen. Zwar<br />
hatte er nicht die beste Waffe angeboten, aber das Preis-Leistung-Verhältnis<br />
hatte gepasst.<br />
Was danach passiert, ist Geschichte: Die Glock-Pistole feiert rund um<br />
den Globus Erfolge. Mit gerissenen Marketingstrategien – beispielsweise<br />
Gratis-Lieferungen an Hollywoods Filmausstatter – fasst der Waffenproduzent<br />
schnell Fuß in den USA. Heute verwenden 65 Prozent aller<br />
US-Polizisten eine Waffe »made in Austria«. Unglaub liche 500.000 Pistolen<br />
exportiert die Glock GmbH jährlich in die Verein igten Staaten. Der<br />
Umsatz bewegt sich schätzungsweise bei weit über 150 Millionen Euro.<br />
Offizielle Zahlen werden vom Unternehmen freilich nicht veröffentlicht.<br />
Und wie erging es dem unfreiwilligen Wegbereiter Steyr-Mannlicher?<br />
Weniger gut. Nach einem Beinahe-Konkurs im Jahr 2007 rappelt sich<br />
der oberösterreichische Produzent erst langsam wieder auf. »Wir standen<br />
sehr schlecht da. Wir hatten damals einen Umsatz von acht Millionen<br />
Euro. 2011 haben wir ihn auf 22 Millionen Euro steigern können,<br />
2012 sind es bereits 30«, erzählt Geschäftsführer Dr. Michael Engesser.<br />
127
Zwei österreichische Investoren haben den Betrieb letztendlich gerettet.<br />
Mit seinen Scharfschützen-Gewehren ist Steyr bei Spezialeinheiten<br />
in aller Welt bereits gut aufgestellt. Jetzt wird mit einer eigens<br />
entwickelten Pistole auch Glock der Kampf angesagt.<br />
Einziges Hindernis aus Unternehmenssicht: die seit dem Noricum-<br />
Skandal noch strengeren Exportkontrollen der Republik. »Es ist wohl<br />
die am besten kontrollierte Industrie Österreichs«, beteuern Branchenvertreter<br />
immer wieder. Für jede Lieferung muss angefragt werden,<br />
bei Kriegsgerät wird noch strenger geprüft. Genau unter die Lupe<br />
genommen wird neben Steyr, Glock und Hirtenberger auch die ehemalige<br />
ARGES Armaturen, die heute zum deutschen Rheinmetall-Konzern<br />
gehört und im oberösterreichischen Kaufing Handgranaten und<br />
40-mm-Munition fertigt. Sowie die ehemalige Steyr Spezialfahrzeuge<br />
in Wien-Simmering – aufgekauft vom US-Riesen General Dynamics –,<br />
wo erst im vergangenen Juni ein neuer Prototyp für einen Aufklärungspanzer<br />
vom Stapel lief.<br />
Diese fünf Unternehmen zählen auch zu den letzten klassischen<br />
Rüstungsproduzenten Österreichs. Ansonsten tummeln sich heutzutage<br />
Dutzende Firmen sowohl im zivilen als auch im militärischen<br />
Sicherheits bereich herum. Die Wiener Firma Frequentis etwa stellt<br />
Kommunika tionssysteme für die Flugsicherung her, liefert aber<br />
auch an das US-Militär. Schiebel aus Wiener Neustadt verkauft seine<br />
Drohnen sowohl an private Unternehmen als auch an Grenzschutz-<br />
Behörden.<br />
Solange ein Land als »okay« genehmigt ist, liefert die Branche überall<br />
hin. Schließlich ist der internationale Wettbewerb groß. Dabei wird<br />
vergessen, wie schnell sich das Blatt drehen kann. Pakistan galt beispielsweise<br />
in den 1960er-Jahren als Tor zur westlichen Welt, war unbedenklich.<br />
Österreich vergab eine Produktionslizenz für Handgranaten.<br />
Jahrzehnte später finden sich genau diese Granaten in Konflikten<br />
und bei Terroranschlägen wieder.<br />
So etwas könne man im Vorhinein eben nie wissen, sagt ein Manager<br />
nüchtern. Tatsächlich: So läuft nun einmal das Geschäft. Für Moralfragen<br />
bleibt da wenig Zeit.<br />
128
In Linz beginnt’s: »Die Dummen<br />
gegen die Unmoralischen ...«<br />
von Hans Hrabal<br />
Seit Jahren tobt zwischen der Stadt Linz und der BAWAG ein<br />
bizarrer Millionenstreit um ein verunglücktes Zins-Swap- Geschäft.<br />
Dabei geht es auch um Politik, mehr aber um Eitelkeit, um Größenwahn,<br />
um Gier und um Dummheit; möglicherweise auch um<br />
kriminelle Machenschaften. Wenn Gemeinden zocken gehen – ein<br />
Sittenbild, ausnahmsweise nicht aus Salzburg.<br />
Österreich im Jahr 2005. Unsere Geschichte beginnt in einem längst<br />
vergangenen Zeitalter, als Anleger noch daran glauben durften, schnell<br />
reich zu werden, Investoren davon ausgingen, locker bessere Gewinne<br />
zu machen als der Börsenindex dies ahnen ließ und Banken allen<br />
Grund hatten, ihren Kunden zu versichern, dass dies – wenn schon<br />
nicht garantiert – dann doch »zumindest wahrscheinlich« ist.<br />
Die erste tragende Rolle in unserem Plot hat die ehemalige Gewerkschaftsbank,<br />
die BAWAG. Damals war die Bank gerade »angeschlagen«<br />
– der BAWAG-Skandal war Tagesthema, Unsummen von Geldern<br />
waren futsch, das vorherige Management vor Gericht, die Kunden irritiert,<br />
das Image auf im Keller. Und trotzdem: Gerade erst schien es,<br />
als sei die Bank aus dem ärgsten Schlamassel der Skandale um Elsner,<br />
Zwettler und Flöttl so einigermaßen entkommen. Die tat alles, um sich<br />
zu regenerieren, wieder ihren normalen Geschäften nachzugehen, der<br />
Öffentlichkeit, den Kunden und auch sich selbst zu beweisen, dass<br />
man doch nichts anderes sei als eine normale, tüchtige Bank – bemüht,<br />
sich an die Gesetze zu halten und gute Geschäfte zu machen.<br />
Das Management war ausgetauscht worden. Ein anerkannter Finanzfachmann<br />
wurde gefunden. Er war zuvor Direktor bei der Bank für<br />
internationalen Zahlungsausgleich gewesen und half den seriösen Neustart<br />
der Bank perfekt zu personifizieren. Ewald Nowotny, ein versierter<br />
Volkswirtschaftsprofessor, früher auch langjähriger SPÖ-Abgeordneter,<br />
sollte die Bank wieder ins rechte Licht rücken. Sie fit für einen Verkauf<br />
oder eine Beteiligung neuer Eigentümer machen. Projekt Neustart.<br />
129
In Linz beginnt’s: »Die Dummen gegen die Unmoralischen…«<br />
(Foto: Stadt Linz)<br />
Dieser Neustart führte die neue BAWAG auch nach Linz, jene Kommune,<br />
die die zweite tragende Rolle in unserer Geschichte spielt.<br />
Oberste Gemeindevertreter sind Bürgermeister Franz Dobusch und dessen<br />
»Kronprinz« und engster Vertrauter, Finanzstadtrat Johann Mayr,<br />
Akademiker, Managertyp und zuständig für sämtliche finanziellen<br />
Belange von Österreichs drittgrößter Kommune. Mayer zur Seite stand<br />
auch ein beamteter Finanzdirektor, auch er spielt in der Geschichte<br />
eine Rolle. Zusammen regierten die drei über rund 600 Millionen Euro<br />
Jahresbudget. Und mehrere Dutzend auf Geldgeschäfte aller Art spezialisierte<br />
Magistratsbedienstete helfen ihnen dabei.<br />
Mayer und die Kommune waren selbstbewusste Kunden, die genau wussten,<br />
was sie wollten. Keine kleinen Sparer oder Häuslbauer jedenfalls.<br />
Man hatte die BAWAG, aber auch andere Banken geladen, um »eine<br />
Anleihe zu begeben und Fremdmittel in der Höhe von 195 Millionen<br />
Euro« aufzutreiben. Das ist übrigens rund ein Drittel des jährlichen<br />
Gesamtbudgets der Kommune, das da als Kreide aufgenommen werden<br />
sollte. Und, wichtiger Punkt für unsere Geschichte: Eine »Anleihe in<br />
einer fremden Währung, nämlich in Schweizer Franken«, sollte es sein.<br />
Solch eine Anleihenemission ist für eine Gemeinde, die ja mit dem<br />
Geld der Steuerzahler operiert, auf den ersten Blick vielleicht ein<br />
130
wenig unüblich; doch die BAWAG übernahm die Emission prompt<br />
und gern. Auch sonst schienen die Partner wie füreinander geschaffen.<br />
Der frisch gebackene BAWAG-General Nowotny war für die Linzer<br />
Stadtroten quasi einer der Ihren. Er hatte in Linz Wirtschaft<br />
studiert, saß jahrelang in allen möglichen oberösterreichischen Leitungsgremien<br />
der SPÖ, hatte sozusagen Stallgeruch. Der Deal wurde<br />
abgeschlossen und er hätte auch niemanden mehr interessiert oder<br />
gar Staub aufgewirbelt, wenn ... ja wenn es sich um eine Euro-Anleihe<br />
und eben nicht um eine Franken-Anleihe gehandelt hätte.<br />
Ähnlich wie das auch jene Österreicher, die Franken-Kredite für den<br />
Kauf von Wohnungen oder Häusern aufnahmen, bemerken mussten,<br />
erging es nämlich auch den Linzer Gemeindevätern. Der Kurs des<br />
Franken hatte sich zunehmend gegenüber dem Euro verbessert und<br />
die Rückzahlungen der Franken wurden für jene, die ihr Geld in Euro<br />
scheffelten, empfindlich teurer. Nachdem die Säckelwarte von Linz<br />
mit der Franken-Anleihe ab 2005 durchaus einige schöne Kursgewinne<br />
machen konnten und sich ihre Rückzahlungen anfangs dadurch verbilligten,<br />
schmierte ab 2007 der Euro ab. So richtig. Richtig teuer. Die<br />
Finanz- und Wirtschaftskrise im Euro-Raum ließ grüßen.<br />
Ab jetzt wurde das Verhältnis der Geschäftspartner komplizierter.<br />
Denn die Anleihe wurde nicht, um eine weitere Eskalation des Währungsrisikos<br />
zu verhindern, in Euro über- (was natürlich gekostet<br />
hätte), sondern weitergeführt. Zusätzlich wurde ein zweites Geschäft<br />
gestrickt, das angeblich der Absicherung »etwaiger weiterer Währungsschwankungen<br />
der Anleihe« dienen hätte sollen. Ein so genanntes<br />
Derivatengeschäft. Und noch dazu ein ziemlich kompliziertes: ein<br />
so genannter Zins-Swap, bei dem der Gegenzeichner, in diesem Fall die<br />
BAWAG, dem Zeichner, der Stadt Linz, einerseits einen fixen Zinssatz<br />
der Anleihe garantiert, aber sich etwaige Zinssteigerungen, die durch<br />
die Währungsschwankungen entstehen, abgelten lässt.<br />
Es ist ein Geschäft, das nichts für Partner mit schwachen Nerven ist.<br />
Ein Geschäft nur für die Vollprofis des Finanzmarktes. Ein Geschäft,<br />
das nur eingehen sollte, der zuvor genau verstanden hat, worauf er<br />
sich einlässt, dem bewusst ist, welche Chancen und welche Risiken<br />
er eingeht. Und ein Geschäft, das zumindest in diesem Fall komplett<br />
131
in die Hosen ging. Denn es kam, wie es kommen musste – entgegen<br />
den ursprünglichen Hoffnungen der Kommune stiegen nämlich sowohl<br />
der Wert des Franken zum Euro weiter an als auch der Zinssatz selbst.<br />
Damit wurden sämtliche Risiken aus beiden Geschäften schlagend –<br />
und das hieß für die Linzer: Zahlen bitte. Und das nicht zu knapp. Bis<br />
Ende 2012 hatten sich die Kosten aus dem gefloppten Geschäft für die<br />
Linzer auf aberwitzige 418 Millionen Euro aufgetürmt. 418 Millionen<br />
Euro als Folge einer 195-Millionen-Anleihe, die ja eigentlich Geld hätte<br />
bringen sollte. Gute Geschäfte lesen sich zweifellos anders.<br />
Gezahlt haben die Linzer Finanzmanager bisher nicht. Der Grund<br />
dafür ist so skurril, dass er sogar wahr sein könnte. Die Linzer Stadtväter,<br />
sonst Manns genug, um die Verantwortung für die drittgrößte<br />
österreichische Stadt und ihr jährliches 600 Millionen schweres Jahresbudget<br />
zu übernehmen, wollen nämlich, jetzt da es ans Zahlen ging,<br />
erkannt haben, dass sie »eigentlich nie wirklich verstanden haben«,<br />
worauf sie sich bei dem Zins-Swap eigentlich einließen; sie spielten<br />
der BAWAG nun den alleinigen schwarzen Peter für die Verluste zu.<br />
Quintessenz: Man wurde »nicht richtig und nicht rechtzeitig informiert«<br />
– und letztendlich »über den Tisch gezogen«. Die Stadt hat<br />
diesbezüglich auch Klage eingebracht und einen Prozess angestrengt.<br />
Die einst so schöne Geschäftsfreundschaft zwischen den Partnern, sie<br />
ist dahin; der Stallgeruch verweht.<br />
Martin Janssen ist ein anerkannter Professor. Der Schweizer Finanzwissenschaftler<br />
hat in Zürich auch eine kleine, feine Investment-Boutique,<br />
die für Auftraggeber aus der Bankenbranche hoch komplizierte<br />
Derivativprodukte entwickelt. Er gilt als einer der führenden Gutachter<br />
in Finanzdingen im deutschen Sprachraum.<br />
Die Linzer Stadtväter haben sich Janssen als Gutachter gegen die<br />
BAWAG ins Spiel geholt. Der Mann hat den umfangreichen Geschäftsakt<br />
und die Prozessunterlagen studiert. Er bestätigt seinen Auftraggebern,<br />
dass sie – na ja – zu naiv waren. »Die Linzer Politiker und<br />
Beamte waren fachlich nie in der Lage, das hoch komplizierte Wechselspiel<br />
der beiden Geschäfte, Anleihe und Zins-Swap, zu verstehen.<br />
Die BAWAG hätte solche Geschäfte mit einem solchen Kunden nicht<br />
eingehen dürfen. Man muss doch merken, wenn das Gegenüber etwas<br />
132
Die Ars electronica: Da war die Welt noch in Ordnung, in Linz<br />
(Foto: Stadt Linz)<br />
nicht versteht und nicht verstehen kann. Das ist unethisch.« Die Stadt<br />
Linz gegen die BAWAG, das ist für Janssen ein Match der »Dummen<br />
gegen die Unmoralischen« – genau so schreibt er es auch in seinem<br />
Gutachten. Sicher nicht gerade schmeichelhaft für den Finanzdirektor<br />
und den Finanzstadtrat, nicht für den Bürgermeister und nicht für die<br />
Gemeinderatsmehrheit; anderseits die offenbar einzige nachvollziehbare<br />
Argumentation, die helfen könnte, alle politischen Verantwortungsträger<br />
aus eben dieser Verantwortung zu manövrieren und der<br />
Stadt – vielleicht – einen Teil der offenen 418 Millionen zu ersparen.<br />
Aber: Auch die Gegenseite schläft nicht. Auch die BAWAG hat ihren<br />
Gutachter ins Feld gerückt: Mark Wahrenburg, wieder ein Professor,<br />
diesmal aus Frankfurt. Auch Wahrenburg bestätigt: Dass die Bank<br />
alles richtig gemacht hat, dass die Stadt jederzeit aus dem Deal hätte<br />
aussteigen können, dies aber nicht wollte. Dass die Bank sogar dazu<br />
geraten hätte, der Kunde sich aber als beratungsresistent erwiesen<br />
hätte. Ja, was soll man da machen?<br />
Dummheit? Mangelnde Moral? Eitelkeit? Gier? Oder doch ein abgekartetes<br />
Spiel von Beteiligten, die sich an dem Flop der Stadt noch<br />
bereichert haben? Man muss das nunmehr involvierte Landesgericht<br />
Linz nicht beneiden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt erst mal. Wegen<br />
133
Betrug und Untreue. Verdächtige gibt es auf beiden Seiten. Bei den<br />
Stadtverantwortlichen laufen Ermittlungen gegen den ehemaligen<br />
Finanzdirektor und den immer noch im Amt befindlichen Finanzstadtrat.<br />
Auch gegen die BAWAG wird ermittelt. Selbst wenn man nicht so<br />
ganz genau sagen kann, gegen wen konkret. Das damals verantwortliche<br />
Management hat die Bank samt und sonders verlassen. Das gilt<br />
übrigens auch für alle seinerzeit in das Geschäft verwickelten subalternen<br />
Mitarbeiter.<br />
Die Linzer Steuerzahler auch – ja, auch sie haben eine tragende Rolle<br />
in unserer Geschichte. Es ist jener Part, der am Schluss immer alles<br />
bezahlt. Trost gibt es für sie nur einen und der ist schwach genug. Sie<br />
sind nicht allein. Nicht nur in Linz könnte es im fernen Zeitalter vor<br />
der Finanzkrise »dumme« Politiker oder »unethische« Banker gegeben<br />
haben, die mit Steuergeldern zockten. Laut dem Land Oberösterreich<br />
hatten im letzten Jahr noch 24 Gemeinden 92 Franken-Kredite in einer<br />
Gesamthöhe von <strong>25</strong>6 Millionen Euro am Laufen. Zehn davon hatten<br />
auch Swaps und ähnlich komplizierte Derivat-Absicherungsgeschäfte<br />
abgeschlossen.<br />
Und: Das sind nur die Zahlen aus dem Land Oberösterreich. In der<br />
ganzen Republik sind »etliche hundert Kommunen« von ähnlichen<br />
Finanz unfällen betroffen. Die meisten Fälle sind zumindest dem<br />
Gemeindevertreterverband bekannt. Oder dem Städtebund. Wen das<br />
ärgern sollte – 2013 finden drei Landtagswahlen und eine Nationalratswahl<br />
statt.<br />
»Man hätte ebenso gut auf Schweinebäuche<br />
spekulieren können.«<br />
Prüfer Martin Janssen über die (Steuer-)Geldanlagen<br />
der Stadt Linz.<br />
134
Franzl, Schützi und Konsorten:<br />
Eine »eingetragene Partnerschaft«<br />
von Günther Kogler<br />
Es ist eine seltsame Diskrepanz: Im Land selbst begleitet die<br />
politische Funktionärskaste das Treiben ihrer politischen Führung<br />
mit Skepsis, Ohnmacht und manchmal auch Wut. In Restösterreich<br />
schwankt die Gefühlslage zwischen stillem Respekt und<br />
abwartendem Kalkül – »na, schaun mer mal, wie lang die das<br />
durchhalten«. Dabei passiert nichts Außergewöhnliches in der<br />
Steiermark. Außer, dass es zwei Parteiobleute gibt, die es ernst<br />
meinen mit dem Wählerauftrag.<br />
Die Rede ist von Franz Voves und von Hermann Schützenhöfer, dem<br />
Landeshauptmann und dem Landeshauptmann-Stellvertreter der<br />
Grünen Mark. Der »Franzl« hatte, als größte Heldentat, vor acht Jahren<br />
der SPÖ im einstmals schwarzen Kernland den Fürstenstuhl erobert;<br />
der »Schützi« hatte, als größte Heldentat, ebenfalls vor acht<br />
Jahren, verhindert, dass sich eine kopf- und machtlos gewordene ÖVP-<br />
Führungsriege in nur einer Nacht gegenseitig ausrottete.<br />
Soweit die Heldensagen. Aber: Was kümmern die den einfachen Bürger;<br />
den, wir nehmen es an, ehrlichen Steuerzahler? Nun, es gesellt<br />
sich noch eine Legende dazu. Einmal noch durften der »Franzl« und<br />
der »Schützi« in altgewohnter Manier bei Landtagswahlen ihre Klingen<br />
kreuzen und die Entscheidung ist denkbar knapp für den Amtsinhaber<br />
und gegen den Herausforderer ausgefallen.<br />
Aber dann, in den Wochen nach diesem erneuten politischen und<br />
abermaligen finanziellen Blutbad, traf wieder Licht die Steiermark.<br />
Der angebliche Quereinsteiger (Voves) und der angebliche Polit-<br />
Dauerfunktionär (Schützenhöfer) kamen einander bei tatsächlichem<br />
steirischem Wein (angeblich Sauvignon blanc) näher. Die Führer von<br />
SPÖ und ÖVP, per Landesverfassung ohnehin zur Zusammenarbeit<br />
verdonnert, begründeten aus heiterem Himmel eine »Reformpartnerschaft«.<br />
Sie vereinbarten, nicht gegeneinander, sondern miteinander<br />
arbeiten zu wollen. Sogar ein Schwur wurde abgelegt, berichteten die<br />
135
In Graz wird ein normaler Polit-Job erledigt<br />
(Foto: Graz Tourismus/Schiffer)<br />
Minnesänger: Fortan und fürderhin sollte mit dem Geld der Steirerinnen<br />
und Steirer sorgfältiger umgegangen werden.<br />
Und plötzlich berührte diese Selbstverständlichkeit den einfachen<br />
Bürger sehr wohl. Über Jahre und Jahrzehnte hindurch war die steirische<br />
Landespolitik nahezu liederlich mit den Finanzen umgegangen.<br />
Im österreichweiten Vergleich waren nur Kärnten und das Ausnahme-<br />
Bundesland Wien noch sorgloser im Ausgeben der Steuergelder gewesen.<br />
Ein erstes (sie nannten es im Jahr 2011 keck: Spar-)Budget der<br />
»Reformpartner« drückte die Neuverschuldung der Grünen Mark auf<br />
4<strong>25</strong> Millionen Euro. Ein wahrhaft mutiger Begriff bei einem Gesamtbudget<br />
von knapp 5,4 Milliarden und einem Gesamtschuldenstand (inklusive<br />
der ausgelagerten Anleihen für die Krankenanstalten-Gesellschaft<br />
und inklusive anderer Budgettricks) von vier Milliarden Euro.<br />
Aber Franz Voves und Hermann Schützenhöfer stöberten weitere<br />
Vorräte des Sauvignon blanc auf und plötzlich kamen die anderen<br />
Fürsten außerhalb der steirischen Landesgrenzen aus dem Staunen<br />
nicht mehr heraus. Die meinten es tatsächlich ernst in der Grazer<br />
Burg. Auf breiter Front wurde in die Defizitmaschine der Landespolitik<br />
eingegriffen. An den Schleusen des Füllhorns Sozialpolitik wurde<br />
gedreht; den Spitälern wurde gezielt der Geldhahn zugedreht; in der<br />
136
Wirtschaftsförderung, im Wohnbau und in der Subventionierung der<br />
Landwirte wurde »durchforstet«; Schulen wurden und werden geschlossen;<br />
Bezirkshauptmannschaften wurden und werden zusammengelegt;<br />
die Landesverwaltung wurde und wird ungekrempelt – vorbehaltlich<br />
hofrätlicher Empörungen bei den Höchstgerichten wird die<br />
Zahl der Verantwortung tragenden Spitzenbeamten von <strong>25</strong>0 auf 140<br />
eingedampft. Bei der nächsten Landtagswahl wird der Landtag verkleinert,<br />
ebenso die Zahl der Mitglieder der Landesregierung.<br />
Alles funktioniert, weil die »erste eingetragene Partnerschaft der<br />
Steiermark« (Copyright: Nicht-Partner FPÖ) tatsächlich funktioniert.<br />
Bestürmen die durchwegs roten Sozialverbände den roten Soziallandesrat<br />
und den roten Landeshauptmann, widersteht die ÖVP dem Versuch,<br />
daraus Kapital zu schlagen. Protestieren schwarze Agrarier, schwarze<br />
Unternehmer und schwarze Personalvertreter bei ihren schwarzen Landesräten<br />
und dem schwarzen Landeshauptmann-Stellvertreter gegen<br />
die Kürzungen, hält »Reformpartner« SPÖ still. Ein bisserl ist die Demokratie<br />
ausgeschaltet in der Steiermark. Aber wer will schon etwas dagegen<br />
haben, gegen einen vernünftigeren Umgang mit öffentlichem Geld?<br />
Damit ist auch schon das entscheidende Stichwort gefallen. Wer will<br />
schon etwas gegen einen vernünftigeren Umgang mit öffentlichem<br />
Geld haben? Niemand weiß, wie lange es noch funktioniert, aber das<br />
Modell der Reformpartner löst rundherum unterschiedlichste Befindlichkeiten<br />
aus. An einem geschlossenen Regierungsblock zerschellt<br />
einmal als allererstes die Opposition; weder die Grünen noch die in der<br />
Landesregierung vertretene FPÖ haben dem bestimmenden Auftritt<br />
der Regierenden nennenswerte Argumente entgegenzusetzen. Allein<br />
die KPÖ – jawohl, liebe Österreicherinnen und Österreicher, die gibt<br />
es in der Steiermark noch in nennenswerter Größe – könnte von der<br />
Unzufriedenheit (vor allem im Bereich der Sozialpolitik) profitieren.<br />
Ratlos trifft die Reformpartnerschaft vor allem die üblichen Verdächtigen<br />
der eigenen Parteifunktionäre. Wie Stimmen maximieren bei einer<br />
Personal vertretungswahl, wenn der eigene Personallandesrat bei den<br />
eigenen Leuten hineinschneidet? Wie »soziale Wärme« erzeugen bei<br />
Benachteiligten, wenn der eigene Sozialreferent durch eine Kürzung<br />
der Zuschüsse die Außentemperatur absenkt? Spürbar sind rundherum<br />
137
die Irritationen gewachsen. Wenn niemand mehr aus dem eigenen Nest<br />
die eigenen Befindlichkeiten befriedigt – wie lange dauert es, bis die<br />
Nestflüchter eine kritische Masse erreichen?<br />
Ratlos auch die Medienlandschaft. Die beherrschenden Nachrichtenund<br />
Meinungsbildner in der Grünen Mark sind die »Kleine Zeitung«,<br />
die größte Bundesländer-Zeitung der Republik, weiters der Steiermark-<br />
Ableger der »Kronen-Zeitung«, die mit Abstand meistgelesene Kaufzeitung<br />
Österreichs, und natürlich der ORF, die noch immer größte<br />
»Medienorgel des Landes« (Copyright: Gerd Bacher). Alle verspüren,<br />
dass es zu Brüchen und Umbrüchen kommt, auch in der Kundschaft<br />
der regierenden Parteien; aber alle haben sich dazu durchgerungen,<br />
den Kurs der Reformpartner eher wohlwollend zu begleiten.<br />
Das schafft Unmut bei Lesern, Hörern und Sehern. Viele finden sich in<br />
der Berichterstattung nicht wieder. Als ruchbar wurde, dass die großen<br />
Tageszeitungen aus dem Topf der Landesregierung jeweils auch<br />
noch einige hunderttausend Euro für die »Begleitung der Reformvorhaben«<br />
erhalten, drohte eine veritable Vertrauenskrise. Tatsächlich ist<br />
es eine Gratwanderung für die Meinungsbildner in den Medien. Aber<br />
das Projekt ist zu schaffen. Wer Notwendigkeiten erkennt und Befindlichkeiten<br />
enttarnt, ist immer auf der richtigen Seite.<br />
Und tatsächlich scheinen die Aussichten verheißungsvoll; halten<br />
»Franzl« und »Schützi« ihren Kurs, sinkt das Budgetdefizit der Steiermark<br />
heuer auf 377 Millionen, im Jahr 2014 gar auf 190 Millionen Euro.<br />
Na ja, und im Jahr 2015, dem Jahr der nächsten Landtagswahl, würde<br />
bei Fortsetzung des Kraftaktes gar ein ausgeglichener Landeshaushalt<br />
locken. Erstmals, noch einmal: erstmals seit fünf Jahrzehnten, würde<br />
in der Grazer Burg nicht mehr Geld ausgegeben, als die Grazer Burg an<br />
Steuergeldern einnimmt.<br />
Und völlig konsterniert schließlich der Rest Österreichs. Mit Ausnahme<br />
Vorarlbergs schreiben alle Bundesländer Miese, die einen mehr,<br />
die anderen weniger. Aber: Ein solches Programm umgesetzt auch im<br />
wirklich reichen Niederösterreich? Oder gar in einer der besten Hauptstädte<br />
der Welt, der in der Zwischenzeit unparkbar gewordenen »Wohlfühloase«<br />
Wien? Undenkbar. Jedenfalls für die jeweils Regierenden. Die<br />
138
veranlagen lieber Wohnbaugelder und verkaufen Straßenbahnen und<br />
Abwasserkanäle. Wohl ist zu hören, dass auch Erwin P. und Michael H.<br />
dem Sauvignon nicht abgeneigt wären, aber jenseits von Wechsel und<br />
Semmering wird der Begriff »Reformpartnerschaft« noch immer anders<br />
interpretiert. Die mächtigsten Politiker der Republik reformieren lieber<br />
ihre jeweils aktuellen Bundesregierungen als Zu- und Eingriffe in ihren<br />
eigenen Machtbereichen zuzulassen.<br />
Um die Kirche im Dorf zu lassen. Noch ist die<br />
Steiermark kein Vorzeige-Bundesland, was<br />
den Umgang mit Steuergeld angeht. Noch<br />
immer ist das Budgetdefizit erdrückend hoch.<br />
Der Weg ist<br />
lang und steinig<br />
Noch immer ist der Weg lang und steinig und noch immer nicht ist klar,<br />
ob beide Landesparteiobleute den eingeschlagenen Kurs politisch überleben.<br />
Aber es gäbe einen Plan, eine Vision, wie sich die handelnden<br />
Personen aus dem Würgegriff der begrenzten Finanzen befreien wollen.<br />
Natürlich: Nicht immer fährt der Sparstift geräuschlos durch den Bürgerwald.<br />
Die »Privatisierung« des landschaftlichen Landeskrankenhauses<br />
West in Graz (es soll den knapper kalkulierenden »Barmherzigen<br />
Brüdern« übertragen werden) ist zwar notwendig und nimmt mit<br />
einem Schlag 300 teure Spitalsbetten aus der Kostenstruktur des Landes;<br />
aber war besagtes »Landeskrankenhaus West« nicht mit viel Pomp<br />
und Trara der Landespolitik erst vor zwölf Jahren neu gegründet und<br />
gebaut worden – mit einem Schock neuer Ärztestellen und einer Hundertschaft<br />
neuer Pflegebediensteter?<br />
Aber: Der Kern des Vorhabens ist richtig. Vernünftiger mit dem Geld<br />
der Steuerzahler umgehen. Sparen. Nicht mehr ausgeben, als das<br />
Land hat. Die Mittel dorthin lenken, wo sie gebraucht werden, und<br />
dort abziehen, wo es nur um das Bedienen privilegierter Seilschaften<br />
geht. Das Besondere an der »Reformpartnerschaft« ist nicht, dass es<br />
so etwas gibt. Franz Voves und Hermann Schützenhöfer erledigen bloß<br />
ihren Job.<br />
Das Besondere in einer der reichsten Republiken der Welt ist, dass<br />
eine ganz normale Managertätigkeit zweier Landespolitiker als Ausnahmeerscheinung<br />
empfunden wird.<br />
139
Gemeindefinanzen: Sparen, ohne<br />
dass das Land einen Cent sieht<br />
Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Steiermark »kleiner« geworden.<br />
Sie verfügt nur noch über 539 Gemeinden; im alten Jahr waren es<br />
noch 542 gewesen. Im Bezirk Leoben fusionierten Trofaiach, Gai<br />
und Hafning, im Bezirk Hartberg machen seit Jahresbeginn 2013<br />
Buch-Geiselsdorf und St. Magdalena am Lemberg gemeinsame Sache.<br />
Warum eine solche Meldung Eingang in ein Jahrbuch über Wirtschaft<br />
und Finanzen findet? Weil selbst anhand des Mikrokosmos<br />
der kleinsten Verwaltungsebenen, eben der Gemeinden, veranschaulicht<br />
werden kann, wie es sich mit dem Steuergeld der Bürger<br />
vernünftiger umgehen lässt. Und das Schöne daran ist: Das Ersparte<br />
bleibt direkt in den Kommunen. Das Land sieht keinen Cent.<br />
Als zentrales Programm ihrer »Reformpartnerschaft« hat die steirische<br />
Landesregierung ihren Gemeinden auch ein großes Fusionsprogramm<br />
verordnet. 39 Prozent aller Kleinstgemeinden Österreichs<br />
nämlich liegen in der Grünen Mark. Das kostet Geld und Personal.<br />
Jede Gemeinde unterhält eine Verwaltung – selbst Freiland, mit 128<br />
Einwohnern die kleinste Gemeinde der Steiermark, benötigt einen<br />
Bürgermeister (Entschädigung), einen Gemeinderat (Sitzungsgeld)<br />
und einen Gemeindesekretär (Monatsgehalt). Weitere 76 Kommunen<br />
in der Grünen Mark haben weniger als 500 Einwohner, nochmal 120<br />
liegen unter der 1000er-Marke.<br />
Am Ende der Gemeindezusammenlegungen sollen nur noch »weit<br />
unter 300« Kommunen übrig bleiben – das wäre der Wunsch des<br />
Landeshauptmannes und seines Stellvertreters. Die Vorzüge des Vorhabens<br />
liegen im Detail, sie sind aber handfest. Dass die Fusionierung<br />
von Bruck an der Mur und Kapfenberg mit weit mehr als 35.000<br />
Einwohnern dabei auch eine neue zweitgrößte Stadt des Landes<br />
entstehen lassen würde, schriebe freilich auch die Geschichte einer<br />
ganzen Region um.<br />
Nicht alle Bürger und schon gar nicht alle Bürgermeister können den<br />
eingeforderten Zusammenlegungen etwas abgewinnen. Aber denen,<br />
140
die nachrechnen, tun sich kleine Schatzkisten auf. So wie einer Region<br />
im oberen Feistritztal im Bezirk Weiz, wo sich die Ortschefs von<br />
Gschaid (rund 1000 Einwohner), Haslau (450), Koglhof (1100) und<br />
Waisenegg (1100) mit der »Zentrale« Birkfeld (1600) auf ein gemeinsames<br />
»Packel« hauen wollen. Bislang schrieben alle fünf Gemeinden<br />
zusammen ein Defizit von 268.000 Euro im Jahr; nach der Fusion<br />
blieben auf einmal 443.000 Euro im Jahr als Überschuss übrig. Wenn<br />
das nichts ist ...<br />
Im Einzelnen: Die Verwaltung der neuen »Großgemeinde« Birkfeld<br />
käme um 142.000 Euro billiger. Von fünf Gemeindeämtern blieben<br />
nur zwei übrig. Personal würde eingespart; bei den Standesbeamten,<br />
im Bauamt, bei den Gemeindearbeitern. Entlassen würde niemand,<br />
aber frei werdende Stellen würden nicht nachbesetzt. Vier<br />
Kindergärten würden zu nur noch dreien zusammengelegt. Damit<br />
könnte auch eine Ferienbetreuung während der für Eltern kritischen<br />
Sommermonate organisiert werden.<br />
Die Wasserversorgung, die Müllentsorgung und die Gebühren würden<br />
billiger. Fünf gemeinsam organisierte Gemeinden organisieren sich<br />
leichter und verhandeln besser mit den Anbietern. Ersparnis: 137.000<br />
Euro im Jahr, davon allein 84.000 Euro durch den Entfall von Krediten,<br />
die nicht mehr aufgenommen werden müssen. Dasselbe gilt für<br />
den Straßenbau: Dort sind gleich 168.000 Euro zu holen, der Großteil<br />
wieder durch den Entfall unbedeckter Kredite. Wird solcherart gespart<br />
ist sogar an den Neubau von Gemeindestraßen wieder zu denken ...<br />
Schließlich die »politischen Kosten«: Fünf Gemeinden benötigen<br />
15 Gemeindevorstände, die eine Aufwandsentschädigung erhalten<br />
(Bürgermeister, der Stellvertreter, der Kassier). Eine Gemeinde<br />
müsste nur noch drei Vorstände entlohnen. Das läppert sich. Im<br />
oberen Feistritz tal macht die Einsparung »in der Politik« allein<br />
100.000 Euro im Jahr aus. Allerdings: Am Ortsbild soll sich nichts<br />
ändern. Zwar wird die neue Gemeinde den Namen Birkfeld tragen,<br />
die Ortstafeln Gschaid, Haslau, Koglhof und Waisenegg bleiben aber<br />
erhalten – nur mit dem Zusatz: »Gemeinde Birkfeld«. Verwaltung<br />
und lokale Identität sollen zwei Paar Schuhe bleiben.<br />
141
Alle Einsparungen greifen schon im ersten Jahr nach der Zusammenlegung.<br />
Jedes weitere Jahr kommt frisch Angespartes hinzu. Der<br />
Fuhrpark der bisher getrennten Wirtschaftshöfe wird im Laufe der<br />
Zeit optimiert; nach 15 Jahren ist der Personalumbau abgeschlossen,<br />
mit nur noch einem Bauamtsleiter, einem Standesbeamten, einem<br />
Gemeindesekretär. Im Idealfall stimmen sogar die Freiwilligen Feuerwehren<br />
ihre Löschfahrzeuge aufeinander ab. Pfarr- und Kulturvereine<br />
arbeiten enger zusammen, Fremdenverkehrs- und Wirtschaftsverbände<br />
werden optimiert.<br />
Das alles wird viel Stress und Unruhe auslösen; aber es ist schaffbar.<br />
Wer nachrechnet, wird sich der Fusion nicht verschließen können.<br />
Es bleibt Geld in der gemeinsamen Gemeindekasse übrig. Es ist<br />
das Geld der Bewohner der fünf Gemeinden. Sind einmal die Schulden<br />
aus der Vergangenheit beglichen, könnten sogar die Wasser-,<br />
Abwasser- und Müllgebühren gesenkt werden.<br />
Übrigens: Die letzte große »Flurbereinigung« in der Steiermark<br />
datiert aus dem vorigen Jahrhundert. Unter Landeshauptmann<br />
Josef Krainer sen. wurden aus 884 (!) Gemeinden 561 gemacht.<br />
Das geschah vor fast 50 Jahren. Zur Erinnerung: Das vorliegende<br />
<strong>€CO</strong>-Jahrbuch gibt es seit <strong>25</strong> Jahren. Vielleicht machen wir uns einmal<br />
die Mühe nachzurechnen, wie viel Geld in dieser Zeit verloren<br />
gegangen ist. Ja: Steuergeld.<br />
»Der Rechnungshof kommt in letzter Zeit von einer<br />
Disqualifikation in die andere. Manche Herren im Glaspalast am<br />
Donaukanal sind offensichtlich zu wenig qualifiziert.«<br />
Wenn Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) glaubt,<br />
dass das Land Niederösterreich seine Wohnbaugelder lukrativ<br />
veranlagt hat, dann ist das auch so.<br />
142
Unser teures Bier: Wenn Hopfen<br />
und Malz zu barem Geld werden<br />
von Philipp Jauernik<br />
Sie haben es sicher schon bemerkt – die Bierpreise sind gestiegen.<br />
Zumindest beim österreichischen Branchenprimus, der Brau<br />
Union, die rund die Hälfte der Marktanteile für sich reklamieren<br />
kann. Mit Dezember 2012 erhöhte sie die Preise für ihre bekannten<br />
Marken (Zipfer, Gösser, Puntigamer, Kaiser, Schwechater) um<br />
durchschnittlich drei Prozent. Begründet wurde das mit »gestiegenen<br />
Rohstoffpreisen«. Tatsächlich: Am mangelnden Absatz<br />
konnte es nicht gelegen sein. Der Durchschnittsösterreicher trinkt<br />
inzwischen mehr Bier als der Durchschnittsdeutsche.<br />
Ein altes Sprichwort sagt: »Auch Wasser wird zum edlen Tropfen,<br />
mischt man es mit Malz und Hopfen.« Tatsächlich wäre die Wasserqualität<br />
entscheidend. Der Brauvorgang beginnt aber erst mit der Fermentation<br />
– dazu verwendet der Brauer Hefe. So sähe Bier aus, braute man<br />
es allein nach dem »Reinheitsgebot« – einer Verordnung, die so nie<br />
existierte. Dabei wurde bloß auf einzelne Textpassagen unterschiedlicher<br />
alter gesetzlicher Regelungen Bezug genommen – insbesondere<br />
auf die »bayerische Landesordnung« aus dem Jahr 1516.<br />
Heute steckt im kühlen Hellen schon ein bisserl mehr moderne Technik.<br />
Das ursprünglich recht einfache Produkt wird umso komplexer, je höher<br />
die Qualitätsstandards werden. Dazu braucht es »das entsprechende<br />
Equipment und auch ein Hygienegrundverständnis«, erklärt der Wiener<br />
Albert Welledits. Der Technikingenieur stammt aus einer Familie von<br />
Brauern – seit 1924 stellen die Welledits’ zudem Brauanlagen her.<br />
Mittlerweile werden diese in die ganze Welt exportiert. Albert Welledits<br />
lieferte schon nach Afrika, nach Lateinamerika und nach Russland. Zu<br />
seinen bekannteren Kunden zählt etwa der russische Oligarch Roman<br />
Abramowitsch. In Welledits’ eigener Wirtshausbrauerei, dem »Salmbräu«<br />
am Wiener Rennweg, hängen unter anderem Bilder, die den Hausherrn<br />
mit dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales zeigen – gleich neben<br />
dem berühmt-berüchtigten venezolanischen Staatschef Hugo Chavez.<br />
143
In Russland ist Bier zwar nicht so tief verwurzelt wie in Mitteleuropa,<br />
aber das Reich Wladimir Putins schlägt sich in der Produktion nicht<br />
schlecht. Von wegen »Wodka-Land«: Fast 103 Millionen Hektoliter Bier<br />
werden jährlich in Russland gebraut – Tendenz steigend. Das bevölkerungsmäßig<br />
wesentlich kleinere Deutschland liegt mit über 95 Millionen<br />
Hektolitern auf Platz zwei. Österreichs Brauer können mengenmäßig<br />
nicht mithalten und schafften zuletzt »nur« 8,67 Millionen<br />
Hektoliter. Rechnet man aber pro Kopf und Kehle, so ist das rot-weißrote<br />
Ergebnis ein internationaler Spitzenwert: Wir trinken mehr Bier<br />
als die Deutschen. Nur Nachbar Tschechien weist weltweit (!) einen<br />
höheren Bierkonsum aus als Österreich.<br />
Das weiß man auch in den 170 heimischen Braustätten. 97 davon sind<br />
Gasthaus- und Hausbrauereien; zusammen stellen sie mehr als 1000<br />
verschiedene Biere her. Damit wird ein Umsatz von weit über einer Milliarde<br />
Euro erzielt. Allein die Steuern auf Bier spülten dem Fiskus im<br />
vergangenen Jahr rund 700 Millionen Euro in die Kassen. Das liegt auch<br />
am heimischen Steuerrekord. Die österreichische »Biersteuer« wurde im<br />
Jahr 2000, als Ersatz für die abgeschaffte Getränkesteuer, umgehend<br />
drastisch erhöht. Kein schlechtes Geschäft also für die Republik, wenn<br />
sie solcherart Hopfen und Malz zu barem Geld macht ...<br />
Nach Angaben des Verbandes der Brauereien beträgt die gesamtsteuerliche<br />
Belastung des Hopfengetränkes fast 50 Prozent. Die Steuerlast<br />
ist damit in Österreich zweieinhalb Mal so hoch wie im benachbarten<br />
Deutschland, das noch dazu eine geringere Umsatzsteuer einhebt. Daraus<br />
ergibt sich, so der Verband, ein »im Schnitt um 20 Prozent höherer<br />
Flaschenbierpreis in Österreich«; und folglich einen Preisunterschied,<br />
der für die heimischen Brauer einen Wettbewerbsnachteil bedeutet.<br />
Die Produzenten wissen das und versuchen mit Spezialsorten zu punkten.<br />
So hat etwa die »Trumer Brauerei« im »Jahr des Waldes« 2011 in<br />
Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten ein Waldbier aus<br />
frischen Tannentrieben gebraut. »Gösser« braut in diesen Wochen zur<br />
Schiweltmeisterschaft in Schladming das »Gösser WM-Gold« und vermarktet<br />
es mit drei WM-»Bier-Botschaftern«: Harti Weirather, Hans<br />
Knauß und Michael Walchhofer. Letzterer fungiert auch als Ehrenbraumeister<br />
des »goldenen Bieres«.<br />
144
Braucommune Freistadt: Jeder Hausbesitzer hält Anteile<br />
(Foto: freistaedter-bier.at)<br />
Vor allem aber sind es süße Mischgetränke, die den Absatz steigern<br />
sollen. Besonders Frauen soll das Produkt Bier, das von vielen eher als<br />
bitteres Männergetränk wahrgenommen wird, schmackhaft gemacht<br />
werden. Karl Schwarz, Geschäftsführer und Eigentümer der »Privatbrauerei<br />
Zwettl«, begründet diesen Trend zum Radler: Radler sei zwar<br />
keine große Braukunst, es werde nur Limonade mit Bier gemischt. Aber<br />
es böte den Brauereien eine ideale Gelegenheit, die Zielgruppe zu erweitern:<br />
»Vor allem junge Leute sind daran gewöhnt, süße Getränke zu<br />
trinken. Sie kommen über den süßlichen Geschmack letztlich zum Bier.«<br />
Wie viele kleinere Brauereien kämpfen auch die Zwettler gegen die<br />
Marktdominanz der »Brau Union«, die zur internationalen Heineken-<br />
Gruppe gehört. Die Branche zeigt sich allerdings lernfähig: Seit Bier als<br />
Genussmittel vermarktet wird, geht’s mit Image und Absatz bergauf.<br />
Man hat sich einfach ein Beispiel an der Weinbranche genommen, die<br />
seit dem Glykolskandal im Jahr 1985 unglaubliche Fortschritte gemacht<br />
hat. Hiermit ist auch Bier, das vorher als »Maurergetränk« verschrien<br />
war, »salonfähig« geworden. Karl Schwarz: »Bier passt zu jeder Gelegenheit.<br />
Das äußert sich eben auch in dem sehr hohen Pro-Kopf-Verbrauch.«<br />
In der Tat: Beim Biertrinken ist Österreich, wie gesagt, Weltspitze.<br />
108 Liter werden pro Kopf und Jahr getrunken. Mehr verdrücken nur<br />
145
Braucommune: Wird ohne Bier aus Freistadt gestreikt?<br />
(Foto: freistaedter-bier.at)<br />
die Tschechen: Mit 132 Litern sind sie klar die Nummer eins. Nachbar<br />
Deutschland (102 Liter) gerät bereits immer mehr ins Hintertreffen;<br />
Seit Österreich im Jahr 2010 an Deutschland vorbeigezogen ist, erhöht<br />
sich der Abstand von Jahr zu Jahr. Das traditionsreiche Brauerland<br />
Belgien kommt gar »nur« auf 78 Liter. Und zum »Leben wie Gott in<br />
Frankreich« gehört anscheinend eher Wein als Bier: Nur 30 Liter Gerstensaft<br />
werden dort pro Kopf jährlich getrunken.<br />
Für Ewald Pöschko ist das wenig verwunderlich: »Jedes Volk hat<br />
irgend wo sein Rauschmittel kultiviert«, erklärt der Geschäftsführer<br />
der »Braucommune Freistadt« verschmitzt. Bayern, Südböhmen und<br />
Österreich sind in seinen Augen »die Biertrinkernationen der Welt«.Er<br />
weiß, wovon er spricht: Die Freistädter »Braucommune« ist ein weltweites<br />
Unikat – ihre Besitzanteile sind nämlich grundbücherlich an<br />
die Häuser der Freistädter Altstadt geknüpft und können nicht veräußert<br />
werden. Wer also ein Haus in der Freistädter Altstadt kauft, ist<br />
automatisch Miteigentümer der »Braucommune«.<br />
Die Brauerei, die in dieser Form seit dem 17. Jahrhundert besteht,<br />
ist ein nicht wegzudenkender Teil der Geschichte und Kultur der<br />
Bezirkshauptstadt im Mühlviertel. Ihre Bedeutung ist unter anderem<br />
daran ersichtlich, dass sie Gastgeberin der oberösterreichischen<br />
146
Landesausstellung 2013 ist. Auf Regionalität wird in der Brauerei viel<br />
Wert gelegt. Alle Rohstoffe kommen aus der unmittelbaren Umgebung.<br />
Die Bevölkerung honoriert das. »Bei uns ist es nicht egal, ob etwa ein<br />
Bauherr einem Maurer irgendein No-Name-Produkt hinstellt. Der will<br />
schon ›sein‹ Produkt haben: Mit Freistädter Bier wird seine Arbeit gewertet.<br />
Gibt man ihm allerdings irgendein Massenbier, könnte es sein,<br />
dass er womöglich gar nicht mehr weiterarbeitet«, schildert Pöschko<br />
nicht ohne Stolz den Stellenwert »seines« Bieres in der Region.<br />
Allerdings ist bei aller Regionalität auffällig, dass bestimmte Biersorten<br />
nur in bestimmten Gegenden zu erwerben sind. Im oberösterreichischen<br />
Mühlviertel dominiert Freistädter Bier in den Supermarktregalen.<br />
Sobald man die Landesgrenze zum niederösterreichischen Waldviertel<br />
überschreitet, ist es so gut wie verschwunden; die Getränkeabteilungen<br />
sind plötzlich mit Zwettler Bier gefüllt. In Vorarlberg findet man kaum<br />
Produkte der Wiener Ottakringer Brauerei, dafür ist etwa »Mohrenbräu«<br />
stark vertreten. Der Gedanke an mögliche Kartellabsprachen drängt sich<br />
nahezu auf ...<br />
Und: So abwegig scheint diese Vermutung nicht. Erst im Juni 2011<br />
führte die Bundeswettbewerbsbehörde Hausdurchsuchungen bei »Stiegl«<br />
und »Ottakringer« durch, die »Brau Union« trat als »Kronzeugin« auf.<br />
Der Vorwurf: Preis- und Belieferungsabsprachen der Brauereien gegenüber<br />
Großverbrauchermärkten. 2007 erst verhängte die EU-Kommission<br />
eine Strafe von knapp 274 Millionen Euro gegen ein weiteres Bierkartell<br />
in den Niederlanden. Die belgische Beck’s-Mutter »InBev« hatte im Verbund<br />
mit den niederländischen Braufirmen »Heineken«, »Bavaria« und<br />
»Grolsch« die Bierpreise künstlich hoch gehalten. Auch die Erinnerungen<br />
an das »Bierkartell«, das bis zum Jahr 2000 in Österreich den Markt<br />
unter sich aufteilte, sind noch lebendig.<br />
Die Lieferabsprachen in Österreich hätten allerdings »ausschließlich<br />
Qualitätshintergründe« gehabt, behauptet »Ottakringer«-Vorstandschef<br />
Sigi Menz. Der Vorarlberger, der auch Präsident des Brauereiverbandes<br />
ist, hält Absprachen hierzulande für gar nicht mehr notwendig:<br />
»Das ist wahrscheinlich eine regionale Zufallsthematik, weil der<br />
eine den einen Wirten und der andere den anderen Wirten besser<br />
kennt.« In einer derart stark regionalisierten Bierwirtschaft sei das<br />
147
anders kaum möglich. »Ottakringer« habe, so Menz, zwar versucht, in<br />
Vorarlberg Fuß zu fassen, das sei aber nicht geglückt. Die Konsumenten<br />
seien eben ihren regionalen Stammmarken treu. »Daraus ergibt<br />
sich, dass keiner ein Kartell braucht.«<br />
Auch Alfred Welledits aus dem »Salmbräu« glaubt daran, dass Konsumenten<br />
verstärkt zu ihrem angestammten Bier greifen. Er spricht<br />
sogar von »einer Schere zwischen den Bieren der großen Konzerne,<br />
die immer mehr in Richtung Einheitsgeschmack tendieren, und andererseits<br />
kleinen, regionalen Brauern«, die spezielle Biere brauen und<br />
ihre Stammkundschaft hätten. Für ihn gibt es auch noch ökologische<br />
Aspekte, die für regionale Wirtshausbiere sprechen, denn globale Konzerne<br />
transportieren ihr Gebräu oft tausende Kilometer weit. »Der<br />
ökologische Fußabdruck ist enorm, wenn man bedenkt, dass Bier zu<br />
weit mehr als 90 Prozent aus Wasser besteht.«<br />
Auch qualitativ ist der gelernte Brauer von den »Massenbieren nicht<br />
überzeugt«. Wenn man auf den Boden einer Bierdose blicke und dort<br />
ein Haltbarkeitsdatum entdeckt, das noch drei Jahre entfernt liege,<br />
»dann kann man sich nicht viel erwarten. Das Bier ist zu Tode pasteurisiert<br />
und zu Tode filtriert. Da bleibt nichts mehr übrig vom Bier.«<br />
Was viele Konsumenten überhaupt übersehen: Der Qualitätsabfall vom<br />
Flaschen- zum Dosenbier ist nochmals enorm: »Es geht noch weiter hinunter,<br />
tatsächlich.«<br />
Die Österreicher trinken übrigens am liebsten Märzen- und Lagerbier.<br />
Während Sport-Großereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft<br />
steigen übrigens die Umsätze der Brauereien um bis zu zehn Prozent.<br />
Spielen Mannschaften wie Deutschland oder Tschechien – klassische<br />
Biertrinkernationen, die auch sportlich reizvoll sind –, konstatiert<br />
Sigi Menz besonders volle Bierlieferwagen.<br />
Echte Anhänger des Hopfengetränks finden aber ohnehin immer einen<br />
Grund zum Anstoßen. Und frisch gezapft lässt sich’s noch immer am<br />
genussvollsten zuprosten.<br />
148
Die neue Frauenpower: »Schatzi,<br />
was machen wir mit dem Geld?«<br />
von Angelika Ahrens<br />
Immer mehr Frauen in Österreich sind berufstätig – sprich: sie<br />
verdienen ihr eigenes Geld. Aber wie sieht es beim Anlegen von<br />
Geld aus? Haben da die Männer oder die Frauen die bessere<br />
Nase? Fest steht der »kleine Unterschied«: Für Männer ist Geld<br />
oft ein Statussymbol, für Frauen ist es nur Mittel zum Zweck,<br />
meinen Experten.<br />
Frauen sind in der Anlage von Geld weniger kompetent als Männer –<br />
das ist das weit verbreitete Vorurteil. Kaum ein anderer Aspekt in<br />
Sachen Finanzanlage ist mit so viel Klischees und Vorurteilen besetzt<br />
wie das Thema Frauen und Geldanlage. Dabei interessieren sich Frauen<br />
immer intensiver mit der Frage: »Was tun mit dem Verdienten?« Und<br />
Studienergebnisse haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt,<br />
dass sich Frauen mit ihrer Herangehensweise an das heikle Problem<br />
keineswegs verstecken müssen.<br />
Oft fallen die Ergebnisse im langjährigen Vergleich unter dem Strich<br />
sogar besser aus als bei Männern. Beide Geschlechter denken zunächst<br />
einmal vollkommen unterschiedlich über Geld: »Männer identifizieren<br />
Geld mit Macht und Kontrolle. Für Frauen bedeutet Geld Sicherheit und<br />
Autonomie«, erklärt die US-Psychologin Kathleen Gurney. Und: Frauen<br />
gehen Finanzfragen einfach anders an. »Frauen holen sich Rat vom<br />
Profi, fragen ihre Bank oder bestimmte Mitglieder in der Familie«, wissen<br />
die Finanzexperten der Branche. »Nur ganz wenige Frauen nutzen<br />
das Internet oder die Medien.«<br />
Jede Frau entscheidet letztendlich am liebsten selbst, wie sie ihr<br />
Geld anlegt. Es muss in erster Linie sicher sein: So haben 65 Prozent<br />
der Frauen ein Sparbuch, 60 Prozent besitzen einen Bausparvertrag,<br />
46 Prozent eine Lebensversicherung. Risikoreiche Anlagen wie Aktien,<br />
Anleihen oder Investmentfonds besitzen gerade einmal 16 Prozent der<br />
weiblichen Bevölkerung. »Frauen haben ein größeres Risikobewusstsein<br />
als Männer. Wenn sie einmal Geld verdient haben, dann wollen sie<br />
149
»Schatzi, was machen wir mit dem Geld?«<br />
(Foto: Peter Atkins/Fotolia.com)<br />
es auch nicht mehr hergeben. Sie streben danach, es zu behalten. Und<br />
setzen deswegen weniger auf eher riskante Anlagemöglichkeiten«, berichten<br />
die Anlageexperten quer durch den Markt.<br />
»Für Männer ist Geld oft ein Statussymbol. Für Frauen ist es ein Mittel<br />
zum Zweck«, meint Renate Kewenig. Mitbegründerin von »FrauInvest«,<br />
einer Anlageberatung von Frauen für Frauen. Aber sind Frauen deswegen<br />
die besseren Anleger? »Frauen halten ihre Anlagestrategien länger<br />
durch. Und das ist sicher ein klarer Vorteil. Meist kommt am Ende<br />
ein positives Gesamtergebnis dabei heraus.« So hat die University of<br />
California erhoben und errechnet, dass die Rendite der von Frauen<br />
gemanagten Aktiendepots im Schnitt um 1,4 Prozent höher liegt als<br />
die der Männer. Die Gründe lagen zum Beispiel in der geringeren Zahl<br />
an Umschichtungen (also Käufen und Verkäufen) und an der größeren<br />
Sicher heitsorientierung.<br />
Zum Schluss noch ein paar Fakten: Im Schnitt legen Frauen <strong>25</strong>0 Euro<br />
pro Monat zur Seite. Das sind nur um 13 Euro weniger, als Männer monatlich<br />
ansparen. Immerhin: Frauen verdienen ja im Schnitt auch noch<br />
immer deutlich weniger als Männer. Und viele Frauen arbeiten gar nur<br />
Teilzeit. Und wer letztendlich die bessere Strategie und damit die bessere<br />
»Nase« haben wird – nun, frau ist sich da schon ziemlich sicher.<br />
150
»Die Voest« – vom Stahlkocher<br />
zum hippen High-Tech-Konzern<br />
von Sabina Riedl<br />
Österreichs Schwerindustrie ist trotz des schwierigen konjunkturellen<br />
Umfelds auf Erfolgs- und Expansionskurs. Mit Schienen<br />
für prestigeträchtige Hochgeschwindigkeitsstrecken und Spezialstählen<br />
für die Raumfahrt- und Flugzeugindustrie füllt etwa die<br />
Voestalpine AG auch in Krisenzeiten ihre Auftragsbücher – und<br />
mausert sich vom Stahlkocher zum High-Tech-Konzern.<br />
Dabei sind insgesamt die Aussichten für die europäische Stahlindustrie<br />
nicht gerade rosig. Hohe Überkapazitäten stehen einem stetig sinkenden<br />
Verbrauch gegenüber. Von den derzeit produzierten 210 Millionen<br />
Tonnen Rohstahl werden gerade einmal 145 Millionen verbraucht.<br />
Dadurch sind bis zu ein Viertel der Jobs der europäischen Stahlerzeuger<br />
bedroht – das wären immerhin 100.000 Arbeitsplätze. Um Angebot<br />
und Nachfrage wieder anzugleichen, müsste einiges an Überkapazität<br />
vom Markt genommen werden. Denn derzeit liegt die Auslastung der<br />
Stahlproduzenten bei nur 70 bis 75 Prozent.<br />
Und: Klar hat auch die Voestalpine AG diese Entwicklung zu spüren<br />
bekommen. Obwohl das Team um CEO Wolfgang Eder die richtigen<br />
Schwerpunkte gesetzt hat und wichtige Nischen auf dem Stahlmarkt<br />
erobern konnte. Dennoch gab es im ersten Halbjahr 2012 einen Rückgang<br />
des operativen Ergebnisses um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr<br />
zu vermelden. Immerhin blieb der Umsatz weitgehend stabil.<br />
Dennoch ist das Management nicht von seinen Expansionsvorhaben<br />
abgewichen. So wurde noch im November des alten Jahres mit dem<br />
Bau des neuen US-Werks der »Metal Forming Division« in Cartersville<br />
im Bundesstaat Georgia begonnen. Eine Investition von immerhin<br />
50 Millionen Euro. Im jüngsten US-Ableger der Voestalpine sollen<br />
künftig Automobil-Komponenten hergestellt werden.<br />
Stahl ist seit 3000 Jahren der Inbegriff von Macht, Kraft und Fortschritt<br />
– heiß begehrt bei Potentaten für Waffen und Rüstung, aber<br />
151
Das Weltmeister-Produkt: Langschienen aus Donawitz<br />
(Foto: Voestalpine)<br />
auch als Werkzeug für Gewerbe und Industrie. Stahl gilt auch als die<br />
Initialzündung für die Mobilität. Österreich hat eine lange Tradition<br />
in Metallgewinnung und -verarbeitung. Diesen Vorsprung haben wir<br />
bis heute gehalten. Die Voestalpine AG ist dabei mit 20.000 Beschäftigten<br />
nicht nur größter heimischer Arbeitgeber und Leitbetrieb, sondern<br />
auch Kulturträger, Lehrwerkstatt, Großfamilie und Innovationsmotor<br />
– und das schon seit Generationen.<br />
Ein chinesisches Sprichwort sagt: Stahl kann man brechen, aber nicht<br />
biegen. Zumindest auf die Langschienen der Voestalpine trifft das<br />
nicht zu – wie Spaghetti winden sich die 120 Meter langen Ungetüme<br />
beim Transport, ehe sie im Sommer auf dem neuen Hauptbahnhof<br />
Wien verlegt wurden. Diese Schienen sind tatsächlich ein verfahrenstechnisches<br />
Meisterwerk: Sie halten mehr aus als andere – und nützen<br />
sich nicht so schnell ab. Das liegt am Verfahren, das nur die Voest beherrscht.<br />
Kopfgehärtet nennt man es – und nur am Standort Donawitz in der<br />
Obersteiermark können Schienen dieser Dimensionen gleichmäßig<br />
abgekühlt werden, was sie so widerstandfähig macht. Gebraucht werden<br />
sie überall, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden und die<br />
Schienen großen Belastungen ausgesetzt sind – also in Bahnhöfen<br />
152
und anderen stark frequentieren Strecken. Mit diesem Produkt sind<br />
die Österreicher konkurrenzlos auf dem Weltmarkt.<br />
Das hat ihnen prestigeträchtige Aufträge wie die Hochgeschwindigkeits-Strecke<br />
Shanghai– Peking eingetragen und jüngst auch Moskau–<br />
St. Petersburg. Und wer solche Lieferungen quer über den Globus hinkriegt,<br />
scheut keine noch so große technische Herausforderung. Kein<br />
Auftrag in dieser Größenordnung ist alltäglich – obwohl es auch in<br />
dieser Liga absolute Top-Herausforderungen zu meistern gilt.<br />
Auf eine bauliche Meisterleistung dabei ist<br />
Voestalpine-Chef Wolfgang Eder besonders<br />
stolz. »Beim Projekt Flughafen Hongkong beispielsweise<br />
waren wir die Einzigen, die sich<br />
getraut haben, die Hochgeschwindigkeits-Verbindung vom Flughafen<br />
in die Stadt zu bauen – über viele Brücken, in sehr schwierigem Gelände<br />
mit hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht.<br />
Sie müssen sich vorstellen, die Schienen auf einer Brücke verändern<br />
ihre Länge zwischen Tag und Nacht um rund einen Meter aufgrund<br />
des Temperaturunterschiedes. Das müssen Sie technisch in den Griff<br />
kriegen.«<br />
Temperaturunterschied<br />
von über einem Meter<br />
Auch die ÖBB, ein lang gedienter Partner der Voest, sind ein zufriedener<br />
Kunde. Für den neuen HBf Wien, der vor kurzem in Teilbetrieb<br />
ging, wurden 100 Kilometer Langschienen und 330 Spezialweichen im<br />
Wert von 60 Millionen Euro bestellt und verlegt. Was der Voestalpine<br />
den Auftrag gebracht hat, erklärt der technische Direktor der ÖBB,<br />
Bernhard Knoll: »Die Voestalpine kann Dinge, die andere nicht können.<br />
Zum Beispiel verschiedene Schienenprofilformen mit unterschiedlichsten<br />
Stahlgüten zu walzen ist eine große Herausforderung. Aber auch<br />
Weichen komplett vormontiert auf Weichentransportwagen just in<br />
time auf die Baustelle zu liefern, ist eine logistische Herausforderung,<br />
die nicht jeder meistert.«<br />
Spezialstähle sind übrigens die Zukunft. Sie müssen immer höheren<br />
Anforderungen entsprechen, auch immer leichter ist die Devise, denn<br />
je weniger Gewicht ein Werkstoff hat, desto geringer wird der Spritverbrauch<br />
von Autos und Flugzeugen, für deren Bau er verwendet wird.<br />
153
Auch eine Reduktion der Emissionen kann dadurch erreicht werden.<br />
Trotzdem muss ein Leichtstahl stabil, rostfrei, unverformbar und robust<br />
sein – also ein Alleskönner.<br />
Das war für die Voestalpine auch die Eintrittskarte ins »big business«<br />
der Raumfahrt- und Flugzeugindustrie. <strong>25</strong> Prozent der Triebwerke des<br />
neuen Airbus A-380 bestehen aus Voeststahl – und der ist so leicht,<br />
dass er offenbar Flügel verleiht. Aber auch in der Automobilindustrie<br />
punkten die Linzer mit ihren hochwertigen Stahlblechen. Das hat<br />
übrigens selbst die Arbeit im Werk verändert – die schmutzigen Jobs<br />
sind deutlich weniger geworden.<br />
Bei unserem Besuch im Walzwerk treffen wir übrigens Helmut<br />
Schypani, der seit 33 Jahren »im Betrieb« arbeitet, und seine Tochter<br />
Nina, die hier Maschinenbau lernt. Herr Schypani führt uns durch die<br />
riesige Halle, in der die Stahlbleche gewalzt und für den Transport auf<br />
Rollen gedreht werden. Heute, erzählt er uns, laufe »alles automatisch,<br />
die Arbeit hier war früher wesentlich lauter, dreckiger und gefährlicher«.<br />
Die beiden, Vater und Tochter, sind »Voestler«, wie sie im Buche<br />
stehen – stolz auf ihren Betrieb und dessen Familientradition. Die<br />
Schypanis stehen exemplarisch für alles, wofür die Voestalpine sonst<br />
noch steht – nicht nur dass sie ein weltweit agierender Stahlkonzern<br />
ist, ist sie auch Heimat, Identität und Großfamilie. Immerhin halten<br />
die Voestler 13 Prozent an ihrem Betrieb und sind damit zweitgrößter<br />
Kernaktionär – das schafft Loyalität und Verbundenheit über viele<br />
Generationen.<br />
Nina Schypani erzählt, dass sie schon als Kind mitbekommen habe,<br />
dass ihr Vater »schichtelt« (so heißt die Schichtarbeit im Arbeiterjargon).<br />
Am Beispiel des Vaters lernte sie früh, dass die Arbeit laut<br />
und schmutzig ist, aber das schreckte sie nicht ab. »Da mach’ ich lieber<br />
eine Arbeit, bei der ich dreckig werde, als dass ich im Büro sitz’,<br />
wo’s mir überhaupt nicht gefällt«, sagt die hübsche Blondine, die sich<br />
entgegen der ursprünglich geplanten Karriere als Friseurin für die<br />
Voest-Hack’n entschied und heute eines der wenigen Mädchen unter<br />
den Voest-Lehrlingen ist.<br />
154
Helmut Schypani hatte auch schon als Junger im Betrieb gelernt, auch<br />
sein Vater war Voestler gewesen. Seine 18-jährige Tochter verkörpert<br />
also die dritte Generation, die die Familientradition aufrecht hält.<br />
Das erfüllt ihn mit Stolz. »Man macht sich zwar als Vater Sorgen, wie<br />
wird’s weitergehen nach ihrer Ausbildung. Ich kenn‘ das Metier, wenn<br />
sie nachher im Betrieb draußen ist, gibt’s gefährliche Situationen, gerade<br />
bei der Maschinenbautechnik, wo du nicht nur im Büro sitzt oder<br />
in der Werkstätte. Auf der einen Seite ist das gut, man kommt zu Störungen<br />
und lernt das Werksgelände kennen. Aber man macht sich Sorgen<br />
als Vater, ist andererseits aber auch stolz auf die Tochter.«<br />
Während die Voestalpine in Linz ihr lokales<br />
Kolorit behalten hat, ist sie außerhalb Österreichs<br />
still und leise zum Weltkonzern aufgestiegen.<br />
Mehr als 46.000 Mitarbeiter weltweit,<br />
Stiller Aufstieg zum<br />
Weltkonzern<br />
360 Niederlassungen in 60 Ländern auf fünf Kontinenten – sie ist der<br />
drittgrößte börsenotierte Stahlproduzent Europas, wo sie 72 Prozent<br />
ihres Umsatzes von heuer elf Milliarden Euro macht.<br />
Die Nachteile der Globalisierung hat die Voestalpine wie alle Stahlkonzerne<br />
während der Wirtschaftskrise zu spüren bekommen. Auftragsrückgänge<br />
zwangen zu Mitarbeiterabbau und Kurzarbeit – eine bittere<br />
Erfahrung für Belegschaft und Management. Wolfgang Eder erinnert<br />
sich: »Wir hatten gerade von Herbst 2008 bis Herbst 2009 eine schwierige<br />
Phase, aber – wenn ich mich richtig erinnere – es gab überhaupt<br />
nur ein Quartal, in dem wir Verlust gemacht haben, selbst in dieser<br />
sehr schwierigen Situation. Wir haben die ganze übrige Zeit Gewinn<br />
gemacht, wir konnten, Gott sei Dank, den Abbau an Mitarbeitern in<br />
Grenzen halten und erfreulicherweise haben wir heute wieder den Mitarbeiterstand,<br />
den wir vor der Krise hatten.«<br />
Viel schlimmer, erinnert sich Eder, der seit 30 Jahren bei der Voestalpine<br />
ist, war die Krise der 1980er-Jahre. Damals ging es für »die alte<br />
Verstaatlichte« ums Überleben – Zerschlagen oder Neubeginn, das war<br />
die Frage. Dieselbe Frage war auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
gestellt worden, als die Voest in Schutt und Asche lag. Die Alliierten<br />
hatten die von den Nazis begründeten Hermann-Göring-Werke dem Erdboden<br />
gleich gemacht und die kriegswichtige Stahlindustrie pulverisiert.<br />
155
Zweimal in ihrer bewegten jüngeren Geschichte ist die Voestalpine<br />
wieder auferstanden – wie der Phönix aus der Asche. Und der Standort<br />
an der Donau ist heute kaum wieder zu erkennen: sauberes, grünes,<br />
parkartiges Gelände, getrimmter Rasen, kein schwarzer Qualm steigt<br />
mehr aus den Schloten der Hochöfen – der wahrscheinlich sauberste<br />
Stahlkocher der Welt. 194 Millionen Euro hat die Voestalpine allein<br />
voriges Jahr für die Einhaltung der strengen Umweltschutzauflagen in<br />
der EU bezahlt.<br />
Das macht eine Absiedelung der Hochöfen an eine EU-Außengrenze<br />
zwar immer wahrscheinlicher, doch das kann noch dauern – wie jede<br />
Weichenstellung in der Stahlbranche. »Das ist der große Unterschied<br />
zu anderen Industrien«, sinniert Wolfgang Eder, »wo die Halbwertszeiten<br />
bei ein, zwei Jahren liegen, das heißt, wo man mit vier- bis<br />
fünfjährigen Planungszeiträumen auskommt. Wir planen auf fünfzehn,<br />
zwanzig, dreißig Jahre, zumindest in einem erheblichen Teil unseres<br />
Portfolios. Das heißt, die Planung allein ist bei uns schon eine sehr<br />
große Herausforderung.«<br />
132 Millionen Euro übrigens hat die Voestalpine im vergangenen Jahr<br />
in die Forschung investiert, elf Prozent mehr als 2011 – ein Etat, von<br />
dem manche Universität nur träumen kann, aber notwendig, um sich<br />
auch künftig als Marktführer zu behaupten. Schließlich wurde auch<br />
der Grundstein für den Welterfolg mit den Schienen und Weichen<br />
schon vor 30 Jahren gelegt. Maschinen werden ausgeladen und für die<br />
Testfahrt vorbereitet.<br />
»Wir haben 50 freigestellte Betriebsräte mit mindestens<br />
weiteren 50 Mitarbeitern, die nichts anderes zu tun haben als<br />
ihre Daseinsberechtigung zu rechtfertigen.«<br />
»Post«-Chef Georg Pölzl scheint sein Unternehmen<br />
wirklich gut zu kennen.<br />
156
Der edle Stoff, das wunderbare<br />
Tuch – eine »Jungfrau« verwöhnt<br />
von Angelika Ahrens<br />
Der Prinz von Quatar, der König von Malaysia und Luciano<br />
Pavarotti – sie alle besuchten schon die »Schwäbische Jungfrau«<br />
am Graben im Ersten Bezirk in Wien. Auch Kaiser Franz I. und<br />
Kaiserin Sisy hatten ihre Servietten und Spitzenbettwäsche dort<br />
fertigen lassen. Das Traditionsunternehmen mit angeschlossener<br />
Näherei in der Bundeshauptstadt gibt es seit fast 300 Jahren<br />
»Bei uns gibt es fast alles – für ein Flugzeug, ein Schiff, ein kleines<br />
Haus oder auch für ein schlichtes Apartment: ländliche Motive auf<br />
handgewebtem Leinen. Oder, wenn Sie wollen, auch etwas für einen<br />
Palast. Wir helfen Ihnen gerne.« Die quirlige Frau Hanni breitet in<br />
Windeseile gestickte Tischdecken, Läufer und Geschirrtücher auf dem<br />
Verkaufstisch aus. Darunter auch eine Tischdecke mit Fasanen oder<br />
mit Gockelhahn und Hennen. »Wenn jemand ein Häuschen auf dem<br />
Semmering hat oder eine Fasanjagd besitzt – oder für sein Landhaus<br />
in Kitzbühel in Tirol beispielsweise«, meint die 74-Jährige augenzwinkernd.<br />
Die Mitarbeiterinnen der »Schwäbischen Jungfrau« fertigen in<br />
der angeschlossenen Näherei alles nach Maß, wenn es sein muss.<br />
Auch persönliche Taschentücher sind wieder in Mode – mit gesticktem<br />
Monogramm selbstverständlich. Darauf ist Frau Hanni besonders stolz.<br />
»Das ist zum Beispiel ein belgischer Stoff. Fühlen sie mal! Das ist sehr<br />
kostbar. Diese Taschentücher sind einfach ihr Geld wert. Vor allem<br />
Gäste aus Japan kaufen derzeit so etwas gerne ein. Man hat eben wieder<br />
a bisserl Kultur. Das ist doch sehr schön «, meint Frau Hanni.<br />
Und so ein »persönliches Taschentuch« kann auch schon einmal an<br />
die 42 Euro kosten. Das ist viel Geld. Immerhin: Es gibt auch noch<br />
edle Stofftaschentücher für etwas weniger. Das Unternehmen versucht<br />
allen Kunden und jedem Börsel etwas zu bieten.<br />
Frau Hanni Vanicek kennt ihre Kundschaft bestens. Seit 52 Jahren<br />
führt sie den Wäscheausstatter »Zur schwäbischen Jungfrau«. Viele<br />
157
tatsächliche und auch manche nur vermeintliche Prominente »sind<br />
schon da gewesen«, am Graben im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Von<br />
den Rockefellers aus den USA über Karl Merkatz und Luciano Pavarotti<br />
bis hin zu Udo Jürgens. Auch viele Königshäuser hat der Betrieb ausgestattet.<br />
Alles ist mit Fotos und Autogrammen in zahlreichen Fotoalben<br />
festgehalten.<br />
»Wir haben kürzlich einen ganzen Palast in Malaysia ausgestattet. Da<br />
haben wir Tisch- und Bettwäsche für 900 Personen gefertigt. Der König<br />
war dann selbst einmal in Wien, er war sogar bei uns im Geschäft«,<br />
erzählt Frau Hanni stolz.<br />
Klar: Wirtschaftskrise und Co sind auch in der »Schwäbischen Jungfrau«<br />
zu spüren. Doch Frau Hanni macht noch immer ein gutes Geschäft:<br />
»Ich glaube, in den letzten Jahres ist vieles anders geworden.<br />
Wir sind aber Gott sei Dank zu bekannt. In unserer Branche gibt es<br />
nur wenige, die ein ähnliches Sortiment anbieten. So können wir in<br />
die ganze Welt liefern. Ich wundere mich oft, dass die Kunden sogar<br />
aus Mexiko zu uns kommen. Viele entdecken uns auch im Internet. Das<br />
Bürgertum hat immer Qualität gekauft. Es gibt nur wenige Firmen, die<br />
maßfertigen, sticken und ganze Häuser einrichten.<br />
Freilich: Harte Zeiten hat auch Frau Hanni erlebt. 1968 ist ihr Geschäft<br />
ausgebrannt; mitten in der Nacht ist die »Schwäbische Jungfrau« in<br />
Flammen aufgegangen. Einzig die wertvollen großen Jungfrauen-<br />
Gemälde von Leopold Kuppelwieser und Johann Nepomuk Maier konnten<br />
damals gerettet werden. Sie hängen auch heute noch im Geschäft.<br />
Ein Jungfrauen-Bild verziert auch außen das Geschäft. Und die gemalte<br />
Jungfrau aus längst vergangener Zeit ist es auch, die die Kunden<br />
ins Geschäft lockt. Oft nur, um ein Leintuch für die Kinder zu kaufen,<br />
das 40 Euro kostet. Wie eine serbische Touristin, die während unseres<br />
Besuches in das Geschäft schneit. Sie weiß zwar nicht genau, was, aber<br />
»irgendetwas« habe sie »hineingezogen in den kleinen Laden«. Dann<br />
erkundete sie die Qualität – und musste einfach etwas kaufen. Frau<br />
Hanni lächelt und begleitet die Kundin noch zur Tür. Mit dem Stil und<br />
dem Charme der alten Schule: »Serbien, so ein schönes Land – beehren<br />
Sie uns bald wieder.«<br />
158
Erfolg auf zwei Rädern –<br />
KTM auf Weltmeister-Kurs<br />
von Sabina Riedl<br />
KTM – der Erfolg trägt Orange. Nach einer krisenbedingten<br />
Katharsis geht es für einen heimischen Traditionsbetrieb wieder<br />
steil bergauf. Erstmals konnten die Mattighofener im vergangenen<br />
Jahr in nur sechs Monaten mehr als 50.000 Motorräder<br />
absetzen. Damit befand sich ein österreichisches Unternehmen<br />
auf weltmeisterlichem Kurs.<br />
Allein im ersten Halbjahr 2012 erzielte KTM mit weltweit 50.233 verkauften<br />
Motorrädern einen Rekordabsatz – und steigerte sich gegenüber<br />
dem Vorjahr um 36 Prozent. Die angepeilten 100.000 Stück, das<br />
ist die Marke, die es wieder zu erreichen gilt, waren in greifbare Nähe<br />
gerückt und würden an die Stückzahlen, die vor der Krise verkauft<br />
wurden, anschließen. Eine psychologisch wichtige Marke.<br />
Mit diesem erhöhten Drehmoment bei den Absatzzahlen hat KTM auch<br />
bei den Marktanteilen enorm aufgeholt und liegt jetzt trotz eines<br />
weiter rückläufigen Motorradmarktes in Europa (minus zwölf Prozent<br />
waren es im vergangenen Jahr) bei einem Plus von sieben Prozent.<br />
Das war angesichts des wirtschaftlich steinigen Umfelds sensationell.<br />
Auf dem US-Markt, der noch mehr gelitten hatte als der europäische,<br />
konnten die Mattighofener immerhin 0,5 Prozent aufholen – sie liegen<br />
dort bei einem Marktanteil von 4,5 Prozent.<br />
Diese starke Entwicklung verdankte KTM vor allem zwei neuen<br />
Modellen: der schweren Straßenmaschine »Duke 690« und dem »Offroad<br />
Bike Freeride 350«.<br />
Von den Fahreigenschaften der Letzteren durften wir uns auf der KTM-<br />
Teststrecke in Stegenwald bei Salzburg selbst ein Bild machen. Das<br />
Gelände liegt unweit von Werfenweng, umgeben von einem atemberaubenden<br />
Bergpanorama. Im Morgengrauen kommen zwei Kleinbusse mit<br />
zwei Technikern und fünf Fahrern. Zehn funkelnagelneue Maschinen<br />
werden ausgeladen und für die Testfahrt vorbereitet.<br />
159
Weltmeister KTM: Ingenieure aus Österreich, Kapital aus Indien<br />
(Foto: KTM)<br />
Was dann passiert, treibt selbst einem Zuseher das Adrenalin bis in<br />
die Haarwurzeln. Mit Vollgas geht’s bergauf und bergab, in halsbrecherische<br />
Kurven, über Stock und Stein. Die Fahrt auf der Teststrecke ist<br />
symbolisch für den wilden Ritt, den der Innviertler Motorradhersteller<br />
in den letzten Jahren hingelegt hat: Getöse, Steinschlag, Schleudern,<br />
Aufholen, Gas geben, Abheben inklusive.<br />
Was die Testfahrer dort aus den Maschinen rausholen, erinnert eher<br />
an Filmstunts denn an ein Fahren mit einem Motorrad. Sprünge über<br />
Schanzen bis zu fünf, sechs Meter hoch machen sie nicht aus purem<br />
Übermut, sondern von Berufs wegen. Die neuen Modelle müssen auf<br />
Herz und Nieren geprüft werden und werden deshalb bis auf ihre<br />
maximale Belastbarkeit hin ausgereizt. Nur so lassen sich die Fahreigenschaften<br />
über die Entwicklungsabteilung nochmals verbessern.<br />
Der jüngste Coup aus der KTM-Entwicklungsabteilung ist der elektrische<br />
Offroader »Freeride E«. Mit einem Drehmoment von 70 Newtonmeter<br />
ist er genauso leistungsstark wie ein 1<strong>25</strong>-ccm-Verbrennungsmotor<br />
– nur eben emissionsfrei und lautlos, sozusagen die »grüne<br />
Zukunft« im Gelände. Verwirrend anzusehen, weil die Maschine neben<br />
den Zuschauern einen Kavalierstart hinlegt – umherfliegende Steine,<br />
aber kein blauer Dunst, kein ohrenbetäubendes Geknatter.<br />
160
Die Produktion ist nach wie vor am ursprünglichen Standort im oberösterreichischen<br />
Mattighofen beheimatet; und wäre dort gar nicht<br />
mehr wegzudenken. Mattighofen ist praktisch KTM – jeder zweite Einwohner<br />
ist beim Zweiradhersteller beschäftigt. Neu ist nur der strategische<br />
Partner: Bajaj, der zweitgrößte indische Motorradhersteller, den<br />
KTM-Chef Stefan Pierer an Bord geholt hat.<br />
Pierer selbst leitet die Geschicke von KTM seit 20 Jahren und hat das<br />
Handwerk, das hier so groß geschrieben wird, von der Pieke auf gelernt.<br />
»Ich bin gelernter Maschinenbauer«, erzählt der Chef, während<br />
wir die Produktionsstraße, in der die Motorräder händisch zusammengebaut<br />
werden, abschreiten. »Ich habe zumindest die Fähigkeit, das<br />
zusammenzuschrauben, was wir hier sehen.«<br />
Der indische Motorradriese, übrigens der viertgrößte<br />
der Welt, hat zwar 47 Prozent von KTM<br />
übernommen, das Sagen haben aber nach wie<br />
vor die Mattighofener. Stefan Pierer hat damit<br />
nicht nur 180 Millionen Euro Kapital ins Unternehmen geholt, sondern<br />
vermutlich auch die Eintrittskarte für das ganz große Geschäft auf dem<br />
Zweiradsektor gelöst.<br />
Indien ante portas:<br />
180 frische Millionen<br />
»Indien ist der weltgrößte Motorradmarkt – nur damit Sie eine Vorstellung<br />
haben: Zwölf Millionen Stück Motorräder im Jahr werden dort<br />
verkauft, also eine Million pro Monat«, erklärt Stefan Pierer. »Natürlich<br />
sind die Motorräder nicht vergleichbar mit diesen hier; das sind<br />
einfache, luftgekühlte Zweiräder mit kleinen Hubräumen, aber der<br />
Wohlstand in Indien wächst. Ich sag’ einmal: In zehn, fünfzehn Jahren<br />
kann sich eine Mittelschicht auch unsere Motorräder leisten.«<br />
Derzeit werden die in Indien produzierten »Duke 200« noch zu Hause<br />
in Oberösterreich kontrolliert – auf dem Subkontinent wird zwar zum<br />
halben Preis gefertigt, doch das bedarf umso strengerer Qualitätskontrollen.<br />
Übrigens: Welche Maschinen aus Indien kommen, erkennt<br />
sogar der Laie – am Geruch. Das feine Curryaroma in der Werkshalle<br />
kommt nicht etwa aus der werkseigenen Kantine, sondern haftet an<br />
der Verpackung der indischen »Duke 200« – ein Hauch Exotik in<br />
Mattighofen.<br />
161
Das hat zweifellos Charme, bedeutet aber auch eine Gratwanderung<br />
zwischen den günstigen Fertigungsbedingungen des neuen Partners<br />
und der peniblen Einhaltung der gewohnt gediegenen technischen<br />
Standards bei KTM. Wie man diesen gerecht wird, wollen wir wissen:<br />
»Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist wesentlich besser«, sagt Stefan<br />
Pierer. »Wir haben in Indien Mitarbeiter, die die Fertigung auch vor<br />
Ort kontrollieren.«<br />
Die gewaltige Absatzsteigerung um mehr als 36 Prozent geht jedenfalls<br />
mehrheitlich auf das Konto des neuen indischen Partners. Und<br />
auch die Hoffnung auf zusätzliches Wachstum gründet sich auf den<br />
Zweirad-Giganten Bajaj.<br />
Den Grundstein für den allerersten Höhenflug von KTM legten zwei<br />
Pioniere in den Vierzigerjahren des vorigen Jahrunderts: Die Gründerväter<br />
Ernst Kronreif und Hans Trunkenpolz. Das Kürzel KTM steht für<br />
»Kronreif, Trunkenpolz, Mattighofen« und ist seither untrennbar mit<br />
der kleinen Gemeinde im Innviertel verbunden. Hier gingen 1954 die<br />
ersten Kult roller, die Motorräder von der Siegerstraße – die Chrom gewordenen<br />
Bubenträume, in Serie gefertigt.<br />
Auch Stefan Pierer gerät ins Schwärmen,<br />
wenn er an seine erste KTM denkt: »Eine KTM<br />
war mein allererstes Moped. Das war Anfang<br />
der Siebzigerjahre. Wenn man auf dem Land<br />
aufwächst, dann ist ein Moped oder ein motorisiertes Zweirad die Teilnahmekarte<br />
am sozialen Leben. Jedenfalls: Meine erste KTM habe ich<br />
mir mit eigener Ferienarbeit, genauer gesagt mit Schwammerlsuchen,<br />
verdient.«<br />
Das Moped als<br />
Eintrittskarte<br />
Nach den goldenen 1970er-Jahren folgten schwere Schicksalsjahre in<br />
Mattighofen. Das Management setzte mit der Fahrradproduktion aufs<br />
falsche Pferd. Der Absatz brach ein und führte, trotz oder wegen des<br />
Sanierers Josef Taus, in eine historische Pleite – ein Los, das auch die<br />
steirische Traditionsmarke »Puch« ereilte.<br />
»Wie bei allen Dingen«, sinniert Pierer, »kann eine große Krise auch<br />
immer eine riesige Chance zur Veränderung sein. KTM hatte 1991 die<br />
162
KTM »Offroad«: In diesem Segment nahezu unschlagbar<br />
(Foto: KTM/R. Schedl)<br />
größte Pleite abgeliefert in Österreich und wir hatten damals die Möglichkeit<br />
und die Chance, die Marke und alles, was mit den Motorrädern<br />
zusammenhing, also Maschinenteile und Mitarbeiter, zu übernehmen.<br />
Wir haben am 7. Jänner 1992 begonnen, damals mit 160 Mitarbeitern,<br />
klein und sehr motiviert; und wir haben daraus in den letzten zwanzig<br />
Jahren die Nummer zwei in Europa und, beim Geländemotorrad,<br />
die Nummer eins auf der Welt gemacht. Wir sind jetzt mittlerweile<br />
knapp 1800 Mitarbeiter. Das ist insgesamt eine sehr schöne, sehr motivierende<br />
Geschichte.«<br />
Immer »vorne mitzufahren« ist auch Teil der Firmenphilosophie und<br />
des wirtschaftlichen Erfolgs. Der KTM-Pilot Ken Roczen etwa findet<br />
sich beim Supercross regelmäßig auf den ersten Plätzen; und der<br />
Sizilianer Tonio Cairoli, der früher Yamaha fuhr, hat mit seiner KTM<br />
zuletzt bereits zum zweiten Mal hintereinander den Motocross-Weltmeistertitel<br />
geholt.<br />
Der Slogan »Ready to Race«, die Farbe Orange, das Design, die Renntage,<br />
die KTM-Mitarbeiter und die treue Fangemeinde, die sich regelmäßig<br />
zu den Wettbewerben trifft – all das hat eine starke Marke entstehen<br />
lassen. Motorsportbegeisterte identifizieren sich damit wie mit<br />
ihrem Lieblingsclub. Die Fanartikel, die Kappen, Jacken, Stiefel, alle<br />
163
im KTM-Design, sind mittlerweile »der« Renner – und eine tragende<br />
Säule bei den Einnahmen. »Wir machen ungefähr 20 Prozent unseres<br />
Umsatzes in diesem Produktbereich«, erklärt Stefan Pierer. »Das ist<br />
ein Ausdruck unserer Markenstärke.«<br />
Die Wirtschaftskrise 2008 hatte allerdings auch vor den Mattighofenern<br />
nicht halt gemacht. Der Welt-Motorradmarkt halbierte sich innerhalb<br />
kürzester Zeit – die gesamte Branche geriet ins Schleudern.<br />
Stefan Pierer erlebte die schwärzeste Zeit in seinen zwanzig Jahren<br />
bei KTM. »Dass etwas heraufzieht, haben wir gespürt«, sagt er und<br />
wird auf einmal sehr nachdenklich. »Aber das Ausmaß des Absturzes<br />
war völlig unerwartet. Im Nachhinein muss ich sagen, alles, was einen<br />
nicht umbringt, macht einen wesentlich stärker. Aber insgesamt war<br />
das eine ganz schwierige und harte Erfahrung. Ich habe viel gelernt,<br />
ich muss auch sagen, ich habe viel gelitten darunter, weil Sie letztlich<br />
Mitarbeiter abbauen müssen. Das war eine schwere Zeit. Aber auch<br />
diese Erfahrung hat schlussendlich zu dem Erfolg geführt, den wir<br />
jetzt haben.«<br />
»Damals« mussten über 400 Mitarbeiter abgebaut<br />
werden – immerhin fast 20 Prozent<br />
der Belegschaft. Ein schwerer Gang für den<br />
leidenschaftlichen KTMler Stefan Pierer: »Das<br />
tut weh«, erinnert er sich an die dramatischen Ereignisse. »Wissen Sie,<br />
wenn Sie 15 Jahre Mitarbeiter aufbauen und dann müssen Sie hintreten<br />
und sagen, wir müssen kehrt machen ... Und keiner weiß, wie tief<br />
der Abgrund hinuntergeht. Das war eine Zeit, in der Fahren auf Sicht<br />
nicht möglich war. Alle bewegten sich nur im Nebel.«<br />
»Fahren auf Sicht«<br />
war unmöglich<br />
Seit vorigem Jahr geht es, wie gesagt, wieder steil bergauf. Der Mitarbeiterstand<br />
ist beinahe dort, wo er vor der Krise lag, ebenso die Absatzzahlen.<br />
Nicht schlecht für einen kleinen Player aus einem noch<br />
kleineren europäischen Land, der es mit asiatischen Giganten wie<br />
Honda und Yamaha aufnehmen muss. Die sind zwar auf der Straße<br />
unschlagbar – aber im Gelände, da haben die Innviertler noch jeden<br />
Konkurrenten abgehängt.<br />
164
Goldenes Handwerk: Maßschuhe<br />
aus Frauenhand für »Jedermann«<br />
von Angelika Ahrens<br />
Wer lernt heute noch ein altes Handwerk? Wer lässt sich nach<br />
der Matura zum Meister ausbilden? Das machen in der Tat nur<br />
wenige. Doris Pfaffenlehner ist so eine Ausnahme. Im letzten<br />
Festspielsommer war sie erstmals die Chefin der Schuhmacher-<br />
Werkstatt der Salzburger Festspiele. Wir haben sie besucht.<br />
»Bei den Knopfstiefeletten mit den Barockabsätzen geht es um den<br />
Fersenschwung«, erklärt uns Doris Pfaffenlehner. »Der soll während<br />
der Vorführung schön ausgeprägt sein.« Burschikos ist sie, die Leiterin<br />
der Schuhmacher-Werkstatt der Festspiele. Sie hat ihren Arbeitsplatz<br />
nur einen Steinwurf von der berühmten Pferdeschwemme entfernt.<br />
Ein blaues Haarband hält ihre kurzen dunklen Haare aus dem Gesicht.<br />
Jetzt wird Maß genommen. Sie stellt gerade einen Holzleisten her, also<br />
eine Art Rohling. Der soll das Maß für den späteren Barock stiefel ergeben.<br />
Um sie herum wird gehämmert. Sohlen werden mühsam mit<br />
Glasscherben aufgeraut. Manchmal legt die Leiterin der Schuh macher-<br />
Werkstatt ihre blaue lange Schürze zur Seite und eilt zu den Stars, um<br />
persönlich Maß zu nehmen.<br />
Bei Anna Netrebko zum Beispiel. Für »die Netrebko« hat sie rote Lackschuhe<br />
gemacht, die die Diva als Violetta bei »La Traviatta« auf der<br />
Bühne getragen hat. Für Peter Simonischek waren es »Jedermann«-<br />
Schuhe. Bei den Barockstiefeln jetzt misst sie den Leisten mit einem<br />
Maßband ab. Zeichnet Entwürfe für den Schuh, wie eine Schneiderin<br />
es für ein Kleid machen würde. Als Vorlage dienen alte Zeichnungen,<br />
Muster aus dem Archiv, die schon so vergilbt und mitgenommen sind,<br />
dass sie fast schon auseinander fallen. Vorsichtig fährt sie noch einmal<br />
mit den Fingern über den Leisten.<br />
Sie fühlt den Schwung des Holzabsatzes, kontrolliert, ob der Papierentwurf<br />
passt. Dann schneidet sie den Stoff zu und setzt sich zur Nähmaschine.<br />
»Jeder Schuhmacher hat seine eigene Art zu zeichnen, man<br />
165
Salzburg, Dom: Maßschuhe für »Jedermann«<br />
(Foto: Stadtgemeinde Salzburg)<br />
kann das auch mit Formeln machen. Ich habe eine freiere Art. Hab’<br />
mir von überall was abgeschaut und mache das jetzt auf meine eigene<br />
Art und Weise.« Das Rattern der Nähmaschine lässt sie verstummen.<br />
Pro Festspielsaison fertigt eine Handvoll Schuhmacher aus Deutschland<br />
und Österreich bis zu <strong>25</strong> Paar Schuhe für die Festspielstars. Alles<br />
per Hand. Das ist nicht wenig. Denn für ein Paar Herrenschuhe braucht<br />
man locker bis zu 40 Arbeitsstunden. Dazu kommen Eilaufträge. Und<br />
das alles wenige Wochen vor Festspielbeginn. Hier ist alles last minute.<br />
Auch die Kostümbildner kommen erst kurz zuvor zur Besprechung.<br />
Die heute 29-jährige Niederösterreicherin ist seit Jahren dabei. Doch<br />
2012 hat die junge Schuhmacher-Meisterin erstmals auch die Leitung<br />
der Festspielwerkstatt übernommen. »Wir fertigen nur Schuhe, die<br />
man sonst nicht kaufen kann. Wie die blauen Knopfstiefeletten mit<br />
Barockabsätzen für das Stück ›Die Soldaten‹«, erklärt uns Doris Pfaffenlehner.<br />
Superman-Stiefel für »La Boheme«. Oder weiße und bunte<br />
Schuhe für »Ariadne auf Naxos«. Alles ist aus dem feinsten Material.<br />
Aus feinster Seide. Oder edlem Leder.<br />
Die junge Schuhmacher-Meisterin lässt vorsichtig die Nadel der Nähmaschine<br />
über den Stoff gleiten. Stich für Stich. »Man muss aufpassen,<br />
166
dass man sich nicht in die Finger näht. Wichtig ist auch, dass die Naht<br />
g’rad’ ist. Jeder Stich hinterlässt ein Loch im Leder. Wenn man daneben<br />
näht, muss man meist neu anfangen.«<br />
Die Barockstiefel haben viele kleine Knöpfe. Zu viele: »Ich nehme an, die<br />
haben damals Ankleiderinnen gehabt, die ihnen auch die Schuhe, die<br />
Stiefel zugemacht haben. Weil das Zumachen von den ganzen Knöpfen<br />
ist echt viel Arbeit. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum es solche<br />
Stiefel heute nicht mehr zu kaufen gibt«, sinniert Doris Pfaffenlehner.<br />
Plötzlich geht die Werkstatttür auf – eine Dame schiebt sich mit großen<br />
Säcken, die auf dem Boden schleifen, herein. »Ein Eilauftrag«,<br />
stößt sie schnaufend hervor und zeigt den Schuhmachern eine handgeschriebene<br />
Liste. »Die Größen hier sind dringend. Die sind für die<br />
›Prinzen von Homburg‹. Alle Stiefel brauchen eine Gummisohle auf der<br />
Bühne. Denn da spritzt Wasser bei der Aufführung. Es sind 13 bis 14<br />
Paar. Die sollten bis morgen früh fertig sein.« Die Schuhmacher schlucken,<br />
lächeln. Wird sich schon irgendwie ausgehen. Bis morgen.<br />
Andere Schuhe brauchen dringend eine Flüstersohle, damit sich die<br />
Schauspieler auf der Bühne so leise wie möglich bewegen können. Hier<br />
in Salzburg wird beinahe alles ermöglicht. Fast eine kleine Zauberwerkstatt.<br />
Das übrige Jahr über ist Schuhmacher-Meisterin Doris Pfaffenlehner<br />
ebenso gefragt. In ihrer Werkstatt in einem historischen Gebäude, in<br />
einem alten Bahnhof. In der Nähe von Mariazell. Genauer gesagt in<br />
Kernhof; auch da fertigt sie Maßschuhe statt Masse. Das Unternehmen<br />
liegt ein bisserl außerhalb der Welt. Mitten in einem Wandergebiet.<br />
Beim Wandern hatte sie auch den leerstehenden alten Bahnhof mit<br />
dem schönen Wartesaal entdeckt; dann mit ihrem Freund gemeinsam<br />
gekauft und in mühevoller Kleinarbeit saniert. Sie hat sich dort kurzerhand<br />
selbstständig gemacht – mitten in der Wirtschaftskrise ein<br />
Geschäft aufgesperrt. Für sie hat es funktioniert.<br />
Dabei war es ganz nützlich, dass viele Industrielle und Kaufleute aus<br />
Wien rund ums Mariazellerland einen Zweitwohnsitz, oft auch eine<br />
167
Jagd haben. Dieser kaufkräftige und qualitätsbewusste Kundenkreis<br />
hat sie untereinander weiterempfohlen.<br />
Doris Pfaffenlehner ist eines von vier Kindern einer Bauernfamilie<br />
aus dem Melktal. Die Arbeit mit den Händen hat ihr immer schon viel<br />
Freude bereitet. Nach der Mittelschule hatte sie zunächst die Höhere<br />
Lehranstalt für künstlerische Gestaltung besucht und damit mit Holz,<br />
Keramik oder Metall gearbeitet. Bis sie entdeckte, was sie wirklich<br />
will – die Schuhmacherei. »Ich hab’ zwar immer gern Schuhe gekauft.<br />
Aber ich hatte, bevor ich zufällig beim k. u. k. Hofschuhmacher Scheer<br />
im Ersten Wiener Gemeindebezirk vorbeigegangen bin, nie darüber<br />
nachgedacht, dass ich sie auch selbst herstellen könnte.«<br />
Die junge Frau hat sich darauf hin bei Wiens erster Adresse für Maßschuhe<br />
beworben. Und wird – abgelehnt. Kein Platz für sie. Ein halbes<br />
Jahr später probiert sie es noch einmal beim Scheer. Diesmal nimmt er<br />
sie. Sie stellt sich derart geschickt an, dass sie nach kaum mehr als<br />
eineinhalb Jahren auf Rat ihres Lehrmeisters zur Abschlussprüfung<br />
antritt. Die schafft sie mit Bravour.<br />
Und dann – Venedig. Dort lernt sie weiter.<br />
Die junge Frau ist nicht nur ehrgeizig, sondern<br />
auch beharrlich. Mittlerweile ist sie bereits<br />
bekannt. Und: ein halbes Jahr im Voraus<br />
ausgebucht. Die Preise für ihre Schuhe sind kein Klacks: Herrenschuhe<br />
kosten 1100 Euro und mehr. Damenschuhe gibt es auch erst ab 700<br />
Euro. Alles Einzelstücke. Alles aus Leder. Kein Wunder, arbeitet die<br />
junge Mutter doch eine ganze Woche an einem einzigen Paar Schuhe.<br />
»Es ist ein seltener Beruf geworden«, meint Doris Pfaffenlehner nachdenklich.<br />
»Und es ist nicht die bestbezahlte Arbeit der Welt. Aber ich<br />
finde, es ist wichtig, dass es eine schöne Arbeit ist.«<br />
Kein Klacks: Ein Schuh<br />
um 1100 Euro<br />
Das Wichtigste ist übrigens bei einem Lederschuh, dass er innen und<br />
außen aus Leder ist. Nur so ist er atmungsaktiv, erklärt sie abschließend<br />
noch. Zweigstellen à la Wien–Mailand wird es wohl nicht geben,<br />
meint sie. Aber: Einen Lehrling will sie haben, die Schuhmacher-Meisterin.<br />
Dem sie ein Handwerk beizeiten weitergeben kann.<br />
168
Wirtschaftsfaktor Jagd – nur<br />
leider »ist der Ruf im Arsch«<br />
von Philipp Jauernik<br />
Der Wald. Morgengrauen. Ein paar Vögel zwitschern. Mitten<br />
in dieses Idyll hinein bricht ein Schuss aus der Büchse eines<br />
Jägers ... Viel gescholten sind sie, die in Grüntöne gekleidet<br />
auf Hochständen sitzen, geduckt durch den Wald pirschen und,<br />
so will es das aktuelle Image, durch gegenseitige Einladungen<br />
» einander gewogen machen« wollen: Das letzte Jahr war für Jäger<br />
ein echtes Seuchenjahr. Rund um »Graf Ali« (Mensdorff-Pouilly)<br />
gingen alle etwaigen vorhandenen Sympathiepunkte verloren.<br />
Selbst erklärte der burgenländische Landwirt in einem Interview:<br />
»Der Ruf ist eh im Arsch.«<br />
Tatsächlich war es nicht gerade förderlich, dass in den vergangenen<br />
Monaten Jagdeinladungen in Verbindung mit vermuteten Korruptionsgeschäften<br />
ans Tageslicht kamen. Telekom, Eurofighter und viele<br />
andere Affären sollen unter dubiosen Umständen ausgerechnet auf<br />
Österreichs Hochständen buchstäblich in Schuss gekommen sein. Die<br />
Beliebtheitswerte der heimischen Weidmänner sanken bodenlos in<br />
den Keller. Nicht nur »Bambimörder«, nein, auch noch »korrupte Verbrecher«<br />
seien sie, sprach der Volksmund.<br />
Das will Peter Lebersorger nicht auf sich sitzen lassen. Der Jurist ist<br />
Generalsekretär der österreichischen Landesjagdverbände und damit<br />
oberster Vertreter der heimischen Jägerschaft. Natürlich, meint er,<br />
gebe es auch in der Jägerschaft »schwarze Schafe«, die »das Weidwerk<br />
für ihre Zwecke missbrauchen«. Dadurch sei aber doch nicht die Jagd<br />
an sich etwas Schlechtes – oder würden etwa »Jachten an sich verteufelt,<br />
nur weil ein Finanzminister sich einst einen Urlaub auf einer solchen<br />
von einem befreundeten Banker schenken ließ«?<br />
Aufgabe des Jägers, erläutert Lebersorger, seien Hege und Pflege von<br />
Wald und Wild. Die Jägerschaft sei damit verantwortlich für eine<br />
intakte und auch für das Auge erfreuliche und blühende Landschaft<br />
voller gesunder Wildtiere. Davon profitieren Wirtschaftszweige wie der<br />
169
Tourismus, das Gastgewerbe oder die Hotellerie. »Manche bezeichnen<br />
das als Umwegrentabilität.«<br />
Ins selbe Horn stößt auch Fritz Wolf, Waldpädagoge und Forstwart in<br />
Niederösterreich. »Für jeden Schaden, den das Wild an Wald und Natur<br />
hinterlässt, ist der Jäger verantwortlich.« Das betrifft auch finanzielle<br />
Fragen: Von Rehen geschälte Baumstämme sterben, von Wildschweinen<br />
zerwühlte Felder werfen keine Ernten ab. Die Schadensummen klettern<br />
dann schnell in schwindelnde Höhen, vom ökologischen Schaden ganz<br />
zu schweigen.<br />
»Es ist also keineswegs so, dass wir Jäger,<br />
wie man uns mitunter beschuldigt, im Wald<br />
schießwütig werden und wild drauflos ballern«,<br />
weist Wolf die Vorwürfe der Jagdgegner zurück.<br />
Vielmehr muss sehr genau beachtet werden, wann worauf geschossen<br />
wird. Und selbst unter den zum Abschuss freigegebenen Tieren gibt es<br />
Einschränkungen. Das Erlegen eines kapitalen Tieres erfordert genaue<br />
Kenntnisse der sozialen Struktur im Rudel: »Wir Jäger müssen sehr<br />
genau auf die Balance im Wald achten. So darf aus einer Rotte Wildschweine<br />
niemals die Leitbache geschossen werden, da geht es auch um<br />
den sozialen Frieden unter den Tieren.«<br />
Jäger achten auf<br />
die Balance<br />
Keine Freude hat Wolf mit dem Klischee, Jäger würden nur alte und<br />
kranke Tiere schießen, denn »das ist Schwachsinn«. »Wir sind nur<br />
dann gute Jäger, wenn wir einen gesunden Wildbestand haben.« Das<br />
Wildbret muss schließlich verkauft werden. Kein Wirt möchte seinen –<br />
zahlenden – Gästen krankes Wildbret vorsetzen.<br />
Die Forderung vieler Jagdgegner, doch die Natur sich selbst zu überlassen,<br />
damit die Tiere eines natürlichen Todes sterben und sich der Bestand<br />
selbst regelt, kostet Wolf nur ein müdes Lächeln. Dazu bedürfe<br />
es, erklärt er, einer von Menschen unberührten Wildnis. Die sei aber<br />
in Österreich nicht mehr gegeben. Ganz im Gegenteil: Betrachtet man<br />
Österreich und ganz Mitteleuropa einmal aus der Vogelper spektive,<br />
sieht man Häuser, Wiesen, Felder, dazwischen auch Bäume. Eine Kulturlandschaft,<br />
die mit unberührter Wildnis und unendlicher Bewaldung<br />
»nicht mehr viel zu tun hat«.<br />
170
Tatsächlich: Rund 98 Prozent der Bundesfläche werden »jagdlich bewirtschaftet«,<br />
also bejagt. Und das ist ein richtiger Wirtschaftszweig:<br />
Der gesamte jährliche Wirtschaftswert des Jagdwesens in Österreich<br />
einschließlich angeschlossener Wirtschaftszweige wird auf rund<br />
475 Millionen Euro Gesamtumsatz geschätzt. Völlig unabhängig davon,<br />
ob man nun positiv oder negativ zum früher so viel besungenen »edlen<br />
Weidwerk« steht – es ist ein Geschäft!<br />
Ein Geschäft, dessen größter Anteil Löhne und Gehälter der zahllosen<br />
Beschäftigten im Jagdwesen sowie der Berufsjäger und der Jagdaufsichtsorgane<br />
sind. Sie allein machen schon 199 Millionen Euro aus.<br />
Ebenfalls eine sehr beachtliche Summe stellen die jährlichen Jagdpachtbeträge<br />
und die Abschussgebühren dar. Zusammen sind dies<br />
allein 53 Millionen. Diese Beträge sind insofern von besonderer Bedeutung,<br />
da sie zu einem hohen Anteil den Landwirten und Grundeigentümern<br />
verbleiben und für sie in schwierigen Zeiten ein wichtiges –<br />
weil vorhersehbares – Einkommen darstellen.<br />
Österreichs Jäger liefern jährlich Wildbret im Wert von ungefähr<br />
24 Millionen Euro. Und die Nachfrage nach dem Qualitätsprodukt Wildbret<br />
ist ungebrochen. Gerade in Zeiten des Misstrauens in Fleisch und<br />
Fleischprodukte explodierte europaweit der Bedarf an Wildfleisch.<br />
Offen sichtlich ist Wildfleisch ein Produkt, von dessen naturnaher Herkunft<br />
und auch ethisch-einwandfreier Beschaffung die Konsumenten<br />
überzeugt sind.<br />
Genau bekannt ist auch die Summe aller Abgaben, Gebühren und<br />
Versicherungsprämien, die jährlich im Zuge der Jagd entstehen bzw.<br />
abgeführt werden: 26 Millionen Euro. In diesen Topf fallen auch die<br />
Forschungsförderung durch die Jägerschaft sowie wichtige Projekte,<br />
die Jagdgesellschaften verwirklichen.<br />
Über die tatsächlichen Kosten für Jagdbetrieb, Weiterbildung, Jagdwaffen<br />
und Munition, Optik, Bekleidung und Brauchtum gibt es keine<br />
detaillierten Aufzeichnungen. Sie hängen auch sehr stark von den<br />
Möglichkeiten des einzelnen Jägers und den Notwendigkeiten des jeweiligen<br />
Reviers ab. Für diesen Bereich werden rund 173 Millionen<br />
Euro geschätzt.<br />
171
Die Kosten des Jagdbetriebes – dazu zählen in erster Linie die Wildfütterung,<br />
aber auch die Auspflanzung von Wildäckern samt dem dazugehörigen<br />
Maschineneinsatz sowie die Erhaltungskosten – machen<br />
in der Regel etwa 100 Prozent des so genannten »Pachtschillings«<br />
einer Jagd aus. Österreichweit beläuft sich diese Summe demnach auf<br />
etwa 53 Millionen Euro.<br />
Die Kosten für die jeweilige Aus- und Weiterbildung<br />
wiederum lassen sich sehr genau<br />
abschätzen: Kurse und Seminare werden zu<br />
einem wesentlichen Prozentsatz von den Landesjagdverbänden<br />
selbst veran staltet, auch Fachliteratur, Videos und<br />
Lehrmittel werden teilweise über die Verbände vertrieben. Dazu kommen<br />
noch Standgebühren und für individuelles Schießtraining auf den<br />
Schießplätzen. Pro Jahr und Jäger kommen auf diese Weise an die 140<br />
Euro zustande, zusammen etwa 16 Millionen.<br />
Billig ist sie<br />
nicht, die Jagd<br />
Kaum ein Jäger kauft jährlich ein neues Gewehr. Doch geht man auch<br />
nur davon aus, dass jeder Jäger pro Jahr 350 Euro an Munition und<br />
anteiligen Kosten für seine Jagdwaffen aufbringt, so beträgt dies bei<br />
österreic hweit rund 120.000 Jägern bereits 40 Millionen Euro.<br />
Ein Jäger benötigt verschiedene optische Hilfen: mindestens ein<br />
Fernglas und ein Zielfernrohr, oft jedoch deren mehrere mit verschiedenen<br />
Vergrößerungen und dazu häufig auch noch ein Spektiv<br />
– ein optisches Teleskop, das der Beobachtung größerer Revierflächen<br />
dient. Die extremen Anforderungen der Jägerschaft vor allem<br />
im Schwachlicht bereich oder in der Nacht – vor allem bei der Wildschweinjagd<br />
– lassen einen jährlichen Anteilswert von 140 Euro pro<br />
Jäger als nicht zu hoch gegriffen erscheinen. Summe: 16 Millionen<br />
Euro.<br />
Jagdbekleidung muss den Jäger nicht nur vor Kälte, Nässe und Schmutz<br />
schützen, sondern sollte auch noch möglichst reißfest und selbstverständlich<br />
aus geräuscharmen Materialien hergestellt sein. Dennoch<br />
nutzt sie sich verhältnismäßig stark ab. Jeder Jäger investiert nach<br />
Schätzung der Zentralstelle pro Jahr etwa 350 Euro in seine jagdliche<br />
Bekleidung, was insgesamt etwa 40 Millionen Euro ergibt.<br />
172
Ebenfalls auf der Gewinnerseite sind die Versicherungsgesellschaften.<br />
Alle »Jagdsport ausübenden Personen« müssen 75 Euro an den jeweiligen<br />
Landesjagdverband abführen, der die Jäger kollektiv versichert.<br />
Damit ist Vorsorge getroffen, sollte im Trubel ein Jagdhund einen<br />
anderen beißen oder ein Weidmann irrtümlich einen Dachziegel vom<br />
Forsthaus schießen. Jagdunfälle mit Personenschaden, die ebenfalls<br />
versichert sind, sollen auch schon vorgekommen sein ...<br />
Die Ausgaben unter der Rubrik Brauchtum entfallen zu einem wesentlichen<br />
Prozentsatz auf die Trophäenbehandlung. Präparierte Geweihe<br />
und Gehörne, Keilerwaffen, Felle, Bälge und Decken oder auch Ganzpräparate<br />
schlagen sich in der Börse jedes Jägers zu Buche. Dazu kommen<br />
noch Ausgaben für – oftmals historische – Kunst und Kultur aus<br />
dem jagdlichen Bereich. Pro Jäger werden etwa 70 Euro im Jahr angenommen,<br />
insgesamt dann acht Millionen Euro.<br />
Apropos Jagdpacht! In Österreich wird nach dem so genannten Reviersystem<br />
gejagt. Jagdrecht ist in Österreich untrennbar mit dem Eigentum<br />
an Grund und Boden verbunden. Von diesem Grundsatz gibt es<br />
keine Ausnahmen. Allerdings muss ein Gebiet groß genug sein, um als<br />
Eigenjagd gelten zu dürfen. In den meisten Bundesländern liegt diese<br />
Grenze bei 115 Hektar, die zusammenhängend liegen müssen. Ist das<br />
nicht der Fall, fällt das Grundstück jagdrechtlich zur Genossenschaftsjagd<br />
der jeweiligen Gemeinde. Solche Genossenschafts-Jagdgebiete<br />
müssen zwingend verpachtet werden; in all diesen Fällen sind dann<br />
die Pächter die Jagdausübungsberechtigten.<br />
Dieses System sichert den Artenreichtum im Lande, erklärt Exper te Lebersorger.<br />
Einerseits haben die Landesjagdverbände und Bezirkshauptmannschaften<br />
so einen klaren Überblick, wie viel Stück welchen Wildes<br />
sich auf ihrem Gebiet aufhält. Überzählige müssen nach den behördlich<br />
vorgegebenen Abschussplänen von den Pächtern der jeweiligen Gebiete<br />
geschossen und der Behörde nachgewiesen werden.<br />
Damit ist gewährleistet, dass niemand aus Jux und Tollerei eine Tierart<br />
ausrottet. Gleichzeitig wird der Bestand in einem Maße gehalten,<br />
das für die Natur auch erträglich ist, für das genug Lebensraum, Rückzug<br />
und Nahrung vorhanden ist.<br />
173
Die Jagd: Schlechtes Image, gutes Geschäft<br />
(Foto: Bergringfoto/Fotolia.com)<br />
Entgegen einem Irrglauben wird übrigens auch in Nationalparks gejagt.<br />
Schmankerl am Rande: Der Nationalpark Hohe Tauern hat im Sommer<br />
2012 verlautbaren lassen, nur noch bleifreie Munition einsetzen zu<br />
wollen. Begründet wird die Umstellung von den Verantwortlichen des<br />
Parks mit der »besseren Verträglichkeit für Mensch und Tier«. Greifvögel,<br />
die sich an im Wald verbleibenden Organen erlegter Tiere laben,<br />
würden durch verbleite Geschosse Vergiftungen erleiden und daran zugrunde<br />
gehen. In der Vergangenheit seien davon mehrfach streng geschützte<br />
Steinadler betroffen gewesen. Außerdem wolle man den Kunden<br />
Wildbret ohne Bleieintrag im Muskelgewebe anbieten können ...<br />
Auch wenn durch die Jagd immer wieder Hektik entsteht, sei es bei<br />
den Anhörungen im Korruptions-Untersuchungsausschuss oder im Umfeld<br />
von Politik und Telekom: Mit Weidmannsheil und Weidmannsdank<br />
wird pro Jahr eine halbe Milliarde Euro umgesetzt. So ist das Sitzen<br />
auf dem Hochstand für die einen ein Beruf, für andere stellt es eine<br />
besondere Leidenschaft dar. Für tausende Österreicher ist die Jagd ein<br />
sicherer Arbeitsplatz. Für Revierbesitzer und das Land ist sie ein Millionengeschäft.<br />
Alles in allem heißt das für die Beteiligten: Wenn »der<br />
Ruf im Arsch ist«, fleißig daran arbeiten, dass das nicht so bleibt ...<br />
174
Google, Apple & facebook:<br />
Sind wir machtlose Nutzer?<br />
von Hans Wu<br />
Durch den Boom bei Smartphones und Tablets ist uns das Internet<br />
auf den Leib gerückt. Und damit auch drei Technologiekonzerne<br />
aus dem Silicon Valley. Ist die Welt jetzt kleiner geworden? Sind<br />
wir zu einem globalen Dorf zusammengerückt? Und wie profitieren<br />
Google, Apple und facebook davon?<br />
Die aktuelle Zahl der Mitarbeiter, die weiß der Schweizer Pressebetreuer<br />
von Google-Europa nicht, »aber tausend werden es jetzt am Standort<br />
Zürich schon sein«. Waren es im August 2012 nicht noch 800 Mitarbeiter?,<br />
so unsere überraschte Frage. »Generell kommen jeden Monat immer<br />
rund 50 neue Mitarbeiter dazu.« Wachstumssorgen sind hier anscheinend<br />
nicht bekannt. Und, es wird also eng im »Paradies«. Google eilt<br />
seit Gründungstagen der Ruf voraus, seine Angestellten über alle Maße<br />
zu verwöhnen. Ein Ruf, den <strong>€CO</strong> nach einem Lokalaugenschein im<br />
Headquarter Zürich im letzten Sommer nur bestätigen kann.<br />
Im Erdgeschoss, gleich hinter der Rezeption, betreten wir den Speisesaal.<br />
Für die Google-Mitarbeiter gilt all you can eat – zum Nulltarif.<br />
Für die kulinarische Grundversorgung außerhalb der Hauptmahlzeiten<br />
sorgen auch die so genannten »Microkitchen« in jedem Stockwerk.<br />
Die Microkitchen »Library« wiederum ist eine Mischung aus Kaffeehaus<br />
und Bibliothek. Am beliebtesten ist der »Jungle«, der mit einem<br />
üppigen Arrangement aus exotischen Zimmerpflanzen tatsächlich an<br />
einen In-door-Urwald erinnert. Dafür, dass das Grün nicht welk wird,<br />
sorgen eigene Zimmerpflanzengärtner. Und dafür, dass in den Microkitchen<br />
immer genug Kekse, Schokolade, Eiscreme und Softdrinks vorhanden<br />
sind, sorgt täglich eine eigene Cateringtruppe.<br />
Kein Wunder, dass die Alteingesessenen hier von der »Google-Kugel«<br />
sprechen, also vom kleinen Bäuchlein, das sich neue Mitarbeiter nach<br />
spätestens zwei Monaten zugelegt haben. Dabei gebe es genug Gelegenheit,<br />
überflüssige Pfunde loszuwerden: Der große Fitnessbereich<br />
175
Microkitchen bei Google: Wohlfühloase für Mitarbeiter<br />
(Foto: Google)<br />
gehört zum Wohlfühl-Arbeitsplatz genauso wie das Massageangebot,<br />
die Rückzugskojen, die Räume für Sport und Spiel und der Ruheraum.<br />
Beleuchtete Aquarien sind da in einem abgedunkelten Zimmer die einzige<br />
Lichtquelle, unzählige Liegen stehen für das »Powernapping« der<br />
Mitarbeiter bereit.<br />
Das Mitarbeiter-Wellness-Programm hat durchaus wirtschaftliche<br />
Gründe: Ein Angestellter, der so am Arbeitsplatz umsorgt wird, bleibt<br />
länger im Büro. Arbeits- und Freizeit verschwimmen. Hier wird die<br />
Ausweitung der Produktionszone betrieben. Weltweit hat Google<br />
55.000 Mitarbeiter, die alle in ähnlichen Arbeitsumgebungen ihrem<br />
Werk nachgehen.<br />
Fast könnte man von einem neukalifornischen way of life sprechen.<br />
Im facebook-Hauptquartier in Silicon Valley findet man nämlich ähnliche<br />
Arbeitsverhältnisse vor. Und bei der Ur-Technologiefirma im Tal,<br />
Apple, gilt der legere Umgang seit den Gründungstagen in den 1970ern.<br />
Diese drei Firmen gelten zur Zeit als die »heißesten« Brands im Technologiebereich.<br />
Drei erfolgreiche Konzerne, die seit Jahren einen beinharten<br />
Konkurrenzkampf untereinander führen. Alle drei profitieren vom<br />
Zugriff in unsere Privatsphäre. Wir haben sie selber herein gelassen.<br />
176
Google, Apple, facebook: Der Suchmaschinenbetreiber, der Hardware-Hersteller<br />
und das soziale Netzwerk. Es sind Firmen, die, wenn<br />
es um Kunden, Nutzung und Verkauf geht, Minute für Minute Rekordzahlen<br />
schreiben: Während sie die nächsten zehn Zeilen lesen, werden<br />
47.000 Apps, also Spiele und Programme für Apples iPhone und iPad<br />
heruntergeladen, werden auf facebook 700.000 Meldungen geschrieben<br />
und auf Google zwei Millionen Suchabfragen getätigt.<br />
Es ist die schöne neue Welt der totalen Vernetzung.<br />
Und wie sich die Gattung Homo sapiens<br />
in dieser verhält, dafür gibt es sogar<br />
eine neue Wissenschaft. Wolfgang Zeglovits<br />
Drei Firmen, drei<br />
Gründer-Mythen<br />
ist Medienanthropologe. Für ihn rührt der Erfolg der drei Großprofiteure<br />
daher, dass Nutzer und Kunden sich gegenseitig als gute<br />
Freunde betrachten: »Bei Apple, facebook und Google sind vor allem<br />
die Entstehungsmythen interessant. Es sind alle drei recht junge Firmen.<br />
Apple gibt es eigentlich seit den 1970er-Jahren, Google ist in<br />
den 1990er-Jahren entstanden und facebook zur Jahrtausendwende.<br />
Die drei Geschichten sind einander ein bisschen ähnlich: Es gibt da<br />
jemanden mit einer genialen Idee und der macht mit viel Einsatz eine<br />
erfolgreiche Firma auf.«<br />
Der im Jahr 2011 verstorbene Steve Jobs wird von seinen Fans als<br />
»Visionär« verehrt. Dabei hat er, im Gegenteil, nie darauf gehört, was<br />
seine Anhänger eigentlich wollten. Dem Apple-Gründer ist es immer<br />
nur um die Produkte der Zukunft gegangen. Die Kundenbedürfnisse<br />
der Gegenwart sind für ihn nie von Interesse gewesen. Diese Ignoranz<br />
gegenüber den Nutzern ist zu einem wichtigen Teil der Heiligenvita<br />
geworden.<br />
Die Legende der Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin klingt<br />
da wenigstens um Nuancen anders: Als Mathematikgenies, wie sie im<br />
Buche stehen, sind sie die Gralsritter auf der Suche nach der Weltformel<br />
für Wissen gewesen. Und »nur nebenbei« soll dabei der Milliardenkonzern<br />
entstanden sein.<br />
Nahezu banal wirkt da der Gründermythos eines anderen jungen<br />
Genies. Als junger Harvard-Student soll Mark Zuckerberg einen Weg<br />
177
gesucht haben, Mädchen näher zu kommen. Das Ergebnis seiner hormonell<br />
bedingten Sturm-und-Drang-Zeit war dann die Schöpfung des<br />
sozialen Netzwerkes. So erzählt es zumindest die Legende über den<br />
facebook-Gründer. Da sieht man den »Like-Button« dann auch gleich<br />
mit ganz anderen Augen.<br />
Schöne Geschichten regen gewöhnlich die Fantasie an – vor allem die<br />
der Anleger und Investoren. Nur: Die Börsenfantasien bei den drei<br />
Technologiekonzernen haben sich unterschiedlich entwickelt. Die<br />
Aktie von facebook hat sich nach dem Start im Mai 2012 zumeist auf<br />
Talfahrt befunden. Ein Wertpapier hat bei der Ausgabe noch 38 Dollar<br />
gekostet; zwischenzeitlich ist der Kurs auf 17,55 Dollar eingebrochen.<br />
Wenn Sie diese Zeilen lesen, liegt er möglicherweise schon wieder wo<br />
anders.<br />
Die anfängliche schlechte Börsenperformance<br />
ist auf die Unsicherheiten bei dem Geschäftsmodell<br />
für Handynutzer zurückzuführen. Als<br />
weiterer Grund gilt der Umstand, dass die<br />
wichtigen Anleger schon vor dem Börsengang investiert waren. So war<br />
die Aktie bereits überbewertet gestartet. Erst Ende des vergangenen<br />
Jahres hatten die Anleger wieder etwas Vertrauen gefunden.<br />
Aktien nur mit<br />
viel »Fantasie«<br />
Zufriedener sind die Investoren mit der Google-Aktie. Hier setzt man<br />
auf die technologische Kompetenz und das solide Geschäftsmodell<br />
mit der Internetwerbung. Und gar zu einem Riesen an der Börse hat<br />
sich Apple entwickelt. Der Aktienanalyst Stephan Lingnau lässt die<br />
Performance der vergangenen Jahre Revue passieren: »Apple dotiert<br />
seit 1982 auf der Börse und konnte seither eine durchschnittliche<br />
Jahresperformance von 18 Prozent aufweisen. Wenn man sich nur die<br />
letzten zwei Jahre ansieht, so konnte die Apple-Aktie um 80 Prozent<br />
zulegen.«<br />
2012 ist der Börsenwert von Apple zeitweise über 620 Milliarden Dollar<br />
gelegen – und ist somit wertvoller als jener der großen Öl-Multis<br />
gewesen. Für eine Digi- und Internetbude gar nicht schlecht. Manche<br />
Experten prophezeien gar eine Marktkapitalisierung von einer Billion<br />
Dollar im Jahr 2015.<br />
178
iPhone 5: »Wischhandy« mit Kultcharakter<br />
(Foto: Apple Inc.)<br />
Für Apple ist die Rolle als Nummer eins in der Welt der Bits und Bytes<br />
eine neue. Seit der Gründung in den 1970ern hat man sich eher als<br />
kleinerer Herausforderer der Großen, wie IBM und Microsoft, geübt.<br />
Eine innovative Firma, deren Produkte vorwiegend von einer Minderheit<br />
von Spezialisten, wie Grafikern, Musikern oder Architekten, gekauft<br />
worden ist.<br />
Doch das hatte sich vor sechs Jahren radikal geändert. 2007 bringen<br />
die Ingenieure und Designer von Apple ihren Stein der Weisen auf den<br />
Markt. Das Wundermittel für hohe Gewinne und anscheinend endlos<br />
steigende Aktienkurse, ein Produkt, das für eine völlig neue Zielgruppe<br />
geschaffen worden ist: für die breite Masse. Mit einem ersten iPhone<br />
hat Apple auf einem milliardenschweren Markt der mobilen Traumwelt<br />
keinen Stein auf dem anderen gelassen. High-Tech-Handys, mit denen<br />
man im Internet surfen, fotografieren, Videos ansehen oder Spiele spielen<br />
konnte, hatte es schon vorher gegeben. Mit dem kleinen flachen<br />
Quader mit Touchscreen aber war eine neue Liga eröffnet worden.<br />
Über 300 Millionen iPhones sind seit 2007 weltweit verkauft worden.<br />
Das aktuelle Gerät, das iPhone 5, ist ab 680 Euro in Österreich<br />
erhältlich. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass die Produktions-<br />
und Vertriebskosten auf maximal 100 Euro geschätzt werden.<br />
179
Der große Rest bleibt vorwiegend dem Konzern, denn immer häufiger<br />
vertreibt Apple seine Hardware über eigene Shops oder gleich direkt<br />
online.<br />
Doch auch nach dem Kauf des Smartphone gibt es für den Besitzer<br />
viele Möglichkeiten, Apple neues Geld zu überweisen. Das Zauberwort<br />
heißt »Ecosystem«. Jedes iPhone hat direkte Verbindung zu einem<br />
Online-Angebot an Musik, Filmen und Apps, wie die Software und<br />
die Spiele für das Smartphone genannt werden. Und bei jedem Verkauf<br />
schneidet Apple mit. Das abgeschlossene virtuelle Einkaufszentrum<br />
am Handy hatten schon viele vorher einrichten wollen: die alten<br />
Handyproduzenten etwa wie Nokia, aber auch zahllose andere Mobilfunk-Anbieter<br />
in aller Welt. Aber erst dem Branchenneuling Apple ist<br />
es gelungen, daraus ein funktionierendes Geschäft zu machen.<br />
Das große Geschäft mit den smarten Handtelefonen<br />
zog bald auch andere Marktteilnehmer<br />
an. Heute liefern viele ostasiatische<br />
Gerätehersteller wie Samsung, LG oder HTC<br />
Umsatzkaiser Apple einen harten Konkurrenzkampf. Dabei können sie<br />
auf mächtige Rückendeckung bauen. Mit dem Android-Betriebssystem<br />
haben sie einen starken Motor auf ihren Smartphones, noch dazu<br />
einen, der von Google entwickelt worden ist und gratis zur Verfügung<br />
gestellt wird.<br />
Nokia hatte begonnnen,<br />
was Apple zu Ende führt<br />
Ende 2012 waren bereits 72 Prozent aller Smartphones solche, die<br />
mit Android ausgestattet worden sind. Im Kampf um Marktanteile<br />
wird auf allen Seiten technologisch hochgerüstet. In immer kürzeren<br />
Abständen erscheinen neue Modelle. Die Rivalität wird aber nicht<br />
nur auf dem Markt ausgefochten, sondern immer öfter auch vor dem<br />
Patentrichter. Vor allem Apple zerrt die Konkurrenz immer wieder vor<br />
Gericht. Diese spart nicht mit Gegenklagen. Kein Detail ist dabei zu<br />
klein, um es nicht zum Streitgegenstand zu machen. Es geht um abgerundete<br />
Ecken oder um wenige Zeilen Programmiercode.<br />
Mittlerweile ist die ganze Technologieszene in Patentkriege verwickelt.<br />
Neben Apple, Google, facebook und Handyherstellern wie Samsung,<br />
Nokia oder HTC stehen auch Firmen wie IBM, Oracle, Yahoo oder Kodak<br />
180
im juristischen Streit miteinander. »In der Welt der Smartphones<br />
werden Patente benutzt, um Innovation zu behindern. Darauf sind wir<br />
eigentlich gar nicht erpicht. Natürlich verteidigen auch wir unser geistiges<br />
Eigentum gegen Angriffe der anderen, aber eigentlich wollen wir<br />
weiter entwickeln. Es ist wirklich beunruhigend, dass so viel Aufwand<br />
in die gegenseitige Behinderung gesteckt wird statt in die Innovation<br />
zum Vorteil für Kunden und Gesellschaft«, so Matt Brittin, der Europachef<br />
von Google, im <strong>€CO</strong>-Interview.<br />
Neben den Kleinkrieg der Anwälte gibt es natürlich<br />
die klaren Hauptkampflinien unter<br />
den drei Konzernen. Facebook will mit seinem<br />
so zialen Netzwerk (eine Milliarde Nutzer!)<br />
Der Kleinkrieg der<br />
Konzernanwälte<br />
Marktanteile vom Internet-Werbekuchen von Google. Und Google macht<br />
mit Android Apple das Leben auf dem Smartphone-Markt schwer.<br />
Und es geht bei allen Dreien um die Vorherrschaft in der Datenwolke.<br />
Die so genannten »Clouds« sind, einfach gesagt, Computerzentren,<br />
in denen der Nutzer Daten wie Fotos, Musik, Kontakte und Filme<br />
hoch- und wieder herunterladen kann. Ein nützlicher Service, bei<br />
dem verschiedene Geräte wie Computer, Tablet oder Smartphone, die<br />
viele User schon besitzen, zum Einsatz kommen. Nur: Die Internetspeicher<br />
der drei Konzerne gelangen so auch zu sensiblen, persönlichen<br />
Daten ihrer Nutzer. Und das ruft die Datenschützer auf den Plan.<br />
Der Wiener Jusstudent Max Schrems hatte sich etwa für die Daten<br />
interessiert, die facebook über ihn gespeichert hat. Beim europäischen<br />
Hauptquartier in Irland hat er deren Herausgabe gefordert. Nach genauer<br />
Durchsicht des Datenmaterials hat er dann den Konzern mit<br />
22 Datenschutzklagen eingedeckt. Es ist der sprichwörtliche Kampf<br />
»David gegen Goliath«, bei dem der angehende Jurist den Konzern<br />
gut kennen gelernt hat: »Facebook ist ein Studentenprojekt. Das ist<br />
irgendwann mal in den USA explodiert, dort gibt es kein Datenschutzrecht.<br />
Es ist größer und größer geworden und trotzdem steht das<br />
Ganze auf tönernen Füßen. Das Problem ist, es heißt oft: ›Ja, wissen<br />
wir, aber der Zuckerberg will das nicht.‹ Und damit endet dann die<br />
Diskussion. Das ist das Hauptproblem, dass dort oben einer sitzt, der<br />
sagt: ›Europäisches Recht interessiert mich nicht.‹ «<br />
181
Mark Zuckerberg: Anfangs beurteilte facebook nur die Studentinnen<br />
(Foto: facebook)<br />
Auch für Google und Apple ist Datenschutz eine »fremde europäische<br />
Sitte«, so Medien anthropologe Wolfgang Zeglovits: »Letztendlich ist<br />
es so, dass alle drei Firmen klarerweise den Kunden im Fokus haben.<br />
Das, was wir diesen Firmen geben, ist nicht nur Aufmerksamkeit,<br />
indem wir deren Services nutzen, sondern auch jede Menge Daten, die<br />
über unser Verhalten Auskunft geben.«<br />
Sind wir machtlose Nutzer in einem Nachbarschaftsstreit, der im fernen<br />
kalifornischen Silicon Valley ausgetragen wird? Tatsache ist, dass<br />
wir sie schätzen, die schönen Smartphones, die komfortablen Services<br />
und die vielen neuen Freunde im sozialen Netzwerk. Tatsache ist aber<br />
auch, dass uns dabei der mögliche Missbrauch von Machtverhältnissen<br />
durch Monopole noch immer zu wenig bewusst ist.<br />
Die Welt ist nicht kleiner geworden. Wir sind nicht zu einem globalen<br />
Dorf zusammengerückt. Auch nicht durch Google, Apple und facebook.<br />
Aber wir, die Nutzer, sind für die drei Riesen durchsichtiger geworden.<br />
182
<strong>25</strong> Jahre <strong>€CO</strong>-Jahrbuch:<br />
So hat sich die Welt verändert<br />
von Franz Hlavac<br />
»Die derzeitige Stimmungskrise der EU ist weder die erste noch<br />
die schwerstwiegende. Sie wird auch nicht die letzte sein.«<br />
Erinnern Sie sich noch an Corrado Pirzio-Biroli? Nun, er war<br />
Botschafter der EU in Österreich, als Österreich der Union beitrat.<br />
Das Eingangszitat hören wir, als wir ihn im August des letzten<br />
Jahres auf seinem Schloss in Brazzà in der Nähe von Udine im<br />
Friaul besuchen.<br />
Bei diesem Gespräch geht es nicht nur um Griechenland und die Schuldenkrise<br />
in Europa, sondern auch um gemeinsame Erinnerungen an<br />
die Vorbereitungen für die EU-Volksabstimmung am 12. Juni 1994.<br />
Corrado ist überzeugter Europäer, nicht nur aus Tradition. Bei einer<br />
Führung durch das Familienmuseum in Brazzà zeigt er Fotos der<br />
Familie. Ein Teil davon ist europäische Geschichte, auch aus der Zeit,<br />
als die europäischen Großmächte Afrika entdeckten. Großonkel Pietro<br />
Savorgnan di Brazzà etwa erforschte den Kongo; die Hauptstadt Brazzaville<br />
ist nach ihm benannt.<br />
Im Ersten Weltkrieg ist das Schloss Brazzà Sitz des Oberkommandos<br />
der österreichisch-ungarischen Armee – und brennt 1918 ab. Danach<br />
erfährt die Familie viel Leid im Faschismus. Großvater Ulrich von Hassel<br />
wird als Gegner Hitlers hingerichtet; Corrados Mutter kommt ins<br />
KZ. Corrado und Bruder Roberto werden verschleppt und im Kinderheim<br />
Wiesenhof in Absam in Tirol zwangsuntergebracht. Dort werden<br />
sie von der Großmutter erst im Jahr 1945 wieder gefunden. Nach dem<br />
Studium in Italien arbeitet Pirzio-Biroli ab 1971 bei der EG, wird Spezialist<br />
vor allem für Agrarfragen. 1993 wird er Botschafter der EU in<br />
Österreich.<br />
Pirzio-Biroli hat viel zur positiven Haltung Österreichs gegenüber der<br />
Europäischen Union beigetragen. Bei seinen Auftritten im ORF, unter<br />
anderem im damaligen Wirtschaftsmagazin »Schilling«, hat er mit<br />
183
Corrado Pirzio-Biroli: »Nicht die erste und nicht die letzte Krise der EU« (Foto: Hlavac)<br />
zum Teil unkonventionellen Methoden ein Bild der EU vermittelt, das<br />
sich deutlich von der Vorstellung einer anonymen EU-Bürokratie unterscheidet.<br />
Ich war damals neben meiner Funktion als Chef der Wirtschaftsredaktion<br />
(ab 1. Jänner 1992) zuständig für die Koordination aller<br />
ORF-Aktivitäten im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt. Die folgenden<br />
fünf Themen standen im Mittelpunkt unserer Beiträge und der Diskussionen<br />
unseres Europa-Forums:<br />
• Arbeitsplatz Europa. Wohlstand und Lebensqualität<br />
• Markt ohne Grenzen. Transit und Umwelt<br />
• Landwirtschaft, Lebensmittel und Konsumentenschutz<br />
• Demokratie und Mitbestimmung, Sicherheit und Frieden<br />
• Die Herausforderungen der EU und ihre Zukunft. Als hätte sich<br />
irgendetwas geändert ...<br />
Bundeskanzler (und SPÖ-Chef) war damals Franz Vranitzky, im<br />
Außenamt amtierte Alois Mock, ÖVP-Chef war Erhard Busek und als<br />
Landwirtschaftsminister fungierte Franz Fischler. Fischler wird 1995<br />
Österreichs erster EU-Kommissar, zuständig für Agrarfragen. Sein<br />
Kabinettschef heißt – Corrado Pirzio-Biroli ...<br />
184
In Brüssel arbeitet damals Günter Schmidt als ORF-Korrespondent. Der<br />
hatte davor bis Ende 1991 die Fernseh-Wirtschaftsredaktion geleitet.<br />
Am 24. Oktober 1979 war erstmals ein Wirtschaftsmagazin im Fernsehen<br />
ausgestrahlt worden. Die Idee, die Sendung »Schilling« zu taufen,<br />
kommt aus der Redaktion. Leiter war damals Klaus Emmerich; mit im<br />
Team damals schon unter anderen Hans Tesch.<br />
Wirtschaftsnachrichten gelten in dieser Zeit als »etwas Trockenes«,<br />
schwer Verständliches. Wer damals versucht, Wirtschaftsinformationen<br />
konsumierbar zu machen, muss sich von »Experten« den Vorwurf<br />
der Trivialisierung anhören.<br />
1980 übernimmt Günter Schmidt die Leitung des Magazins, das anfangs<br />
14-täglich ausgestrahlt wird. Von März 1984 an gibt es »Schilling«<br />
wöchentlich. Dauer: <strong>25</strong> Minuten.<br />
Zur Jahreswende 1988/89 erscheint auch das<br />
erste Jahrbuch. Die Europadebatte beherrscht<br />
schon dieses erste Buch. In welcher Form soll<br />
sich das neutrale Österreich auf dem künftigen<br />
Binnenmarkt beteiligen, fragt Ernst A. Swietly; Elmar Oberhauser<br />
berichtet aus der Schweiz über die Transitproblematik; Walter Sonnleitner<br />
beleuchtet die Steuerreform der seinerzeitigen Bundesregierung.<br />
Kurt Rammers torfer untersucht die Sanierung der verstaatlichten<br />
Industrie, Erich Hirtl die Änderungen bei der Wohnbauförderung<br />
und Eva Pfisterer die Stadtsanierung. »Schilling« präsentiert außerdem<br />
ein Auto, das General Motors mit einem Antrieb aus Sonnenenergie<br />
gebaut und in Australien erprobt hat.<br />
Schon 1989 ein Thema:<br />
Die Sonnenenergie<br />
Damals, 1988, gibt es noch die Zentralsparkasse unter Generaldirektor<br />
Karl Vak, weiters den Müller-Verlag in der Grinzinger Straße und den<br />
Informationsintendanten Johannes Kunz.<br />
1989 bringt die Wende im Osten eine Revolution und den Zusammenbruch<br />
eines Systems. Die Epoche des Kalten Krieges ist ausgestanden.<br />
Es begann mit Gorbatschows »neuem Denken«. Das bringt den verfolgten<br />
Schriftsteller Vaclav Havel auf den Präsidentenstuhl und in<br />
Berlin fällt die Mauer. Die Deutschen werden wieder vereint. Politiker<br />
185
geben den Staaten zwischen Atlantik und Ural plötzlich die Chance, in<br />
»einem gemeinsamen Haus« unterzukommen.<br />
Was 1989 die Menschen in Leipzig, Prag und Budapest bewegt, dokumentiert<br />
der ORF in zahlreichen Livesendungen, Kommentaren – und<br />
auch im hauseigenen Wirtschaftsmagazin. Und natürlich nicht zu vergessen:<br />
Außenminister Alois Mock übergibt dem französischen Ratsvorsitzenden<br />
Roland Dumas am 17. Juli 1989 in Brüssel den Antrag<br />
Österreichs auf Mitgliedschaft bei der Europäischen Gemeinschaft.<br />
Von himmelhoch jauchzend bis einigermaßen betrübt reicht im Jahr<br />
1990 die Gemütsverfassung der Wirtschaftsexperten. Die westliche<br />
Wirtschaft befindet sich in einer noch nie dagewesenen Aufschwungphase:<br />
Die Marktwirtschaft hat auf allen Linien gesiegt, die Sanierung<br />
der maroden Ostwirtschaften verspricht neue Wachstumsimpulse,<br />
ebenso die neue wirtschaftliche Supermacht Deutschland mit seinen<br />
nun 80 Millionen Einwohnern.<br />
Doch zur Jahresmitte zeigt sich, dass einige Hoffnungen etwas zu<br />
euphorisch sind. Die irakische Invasion Kuwaits macht deutlich, dass<br />
die Weltwirtschaft auch nach dem Ende des Kalten Krieges für Störungen<br />
anfällig ist. Die Ölpreiskrise trifft vor allem die ehemaligen<br />
»Satelliten« Moskaus, deren Reformprogramme ohnedies nur sehr zäh<br />
vorankommen.<br />
1991 wird die Weltbühne geprägt vom Ende des Sowjetkommunismus<br />
als einer der führenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Faktoren. Es gibt jetzt auch formal keinen Warschauer Pakt und<br />
keinen Comecon (oder »Rat für wirtschaftliche Zusammenarbeit«, wie<br />
er offiziell hieß) mehr. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die<br />
schon lange das »W« aus dem Kürzel »EWG« gestrichen hat, um zu<br />
dokumentieren, dass sie mehr als ein Wirtschaftsklub sein will, diese<br />
»EG« ringt um eine neue politische und wirtschaftliche Verfassung.<br />
Wie sehr sie nach ihren unbestreitbar großen wirtschaftlichen Erfolgen<br />
auch eine stärkere politische Identität und Kraft benötigt, zeigt sich an<br />
ihrem über lange Strecken wenig erfolgreichen Agieren in der jugoslawischen<br />
Tragödie. Auf der positiven Seite der Bilanz steht der erfolgreiche<br />
186
Die Deutschen werden wieder vereint<br />
(Foto: anweber/shutterstock)<br />
Abschluss der EWR-Verhandlungen, mit dem die sieben EFTA-Staaten in<br />
vielen Bereichen den zwölf EG-Ländern gleichgestellt werden. Dieser<br />
Vertrag ist eine Vorstufe zum angepeilten EG-Beitritt Österreichs.<br />
In diesem Jahr 1991 erfolgt auch die Fusion von Zentralsparkasse und<br />
Länderbank zur Bank Austria AG. Es entsteht die größte Bank<br />
Österreichs. Ende 1991 verlässt Günter Schmidt die Leitung der Wirtschaftsredaktion<br />
und tritt in Brüssel die Nachfolge des EG-Korrespondenten<br />
Klaus Emmerich an. In Wien ernennt mich Generalintendant<br />
Gerd Bacher zum Leiter der Wirtschaftsredaktion und zum Koordinator<br />
aller EG-und Europafragen in der Informationsintendanz von Johannes<br />
Kunz. Die nächsten 18 Jahre leite ich das Wirtschaftsmagazin.<br />
1992 wird die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen weiter ausgebaut.<br />
Im April startet das tägliche Finanzmarkt-Service. Nun gibt es<br />
in jeder »Zeit im Bild«-Ausgabe aktuelle Wirtschaftsnews aus Österreich<br />
und aus aller Welt mit Beiträgen über Unternehmen und Branchen,<br />
über Arbeitsplätze, Manager sowie Entwicklungen und Veränderungen<br />
bei den Zinsen und auf den Finanzmärkten.<br />
Ende 1992 hat das »Schilling«-Team Grund zum Feiern: Die 500. Ausgabe<br />
des Wirtschaftsmagazins wird ausgestrahlt.<br />
187
ORF-Magazin »Schilling«: Moderator Franz Hlavac, damals noch jung (Foto: ORF/Friess)<br />
1993 jammern alle über die Rezession. In diesem Jahr geht der längste<br />
Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit zu Ende. Nach Jahren des<br />
ununterbrochenen Wachstums reißt die Konjunktur ab. Das belebt auch<br />
in Österreich den Willen zur Veränderung. Das Wirtschaftsmagazin<br />
zeigt positive Alternativen und Nischen für neue Produkte auf. Erfolgreiche<br />
Unternehmen, die den Trend der Zukunft darstellen, werden<br />
porträtiert.<br />
Eine sechsteilige Dokumentation »Industrie am Wendepunkt« beleuchtet<br />
die Zukunftschancen der österreichischen Industrie.<br />
Im Februar 1993 beginnen Österreichs Beitrittsverhandlungen mit der<br />
EG und am 1. November 1993 tritt der Vertrag von Maastricht in Kraft.<br />
Aus der EG, der Europäischen Gemeinschaft, wird die EU, die Europäische<br />
Union.<br />
Am 1. Jänner 1994 wird der EWR, der Europäische Wirtschaftsraum,<br />
aus EU- und EFTA-Staaten (mit Ausnahme der Schweiz und Liechtensteins)<br />
Realität. Am 1. März 1994 werden Österreichs Beitrittsverhandlungen<br />
abgeschlossen. Am 12. Juni 1994 stimmen 66,58 Prozent der<br />
Österreicher beim Referendum mit ja. Und schon am 24. Juni werden<br />
auf der griechischen Insel Korfu die Beitrittsverträge Österreichs,<br />
188
Schwedens, Finnlands und Norwegens beim EU-Gipfeltreffen feierlich<br />
unterzeichnet. Der Nationalrat beschließt am 11. November 1994 den<br />
EU-Beitrittsvertrag mit großer Mehrheit (141 Ja-Stimmen).<br />
In »Schilling« wird 1994 eine unendliche Fülle von Informationen zu<br />
allen Fragen rund um Österreichs EU-Beitritt aufgearbeitet, durchwegs<br />
kritisch und offen Pro und Kontra beleuchtend. Der Kontakt mit Fragen<br />
und Wünschen der Bevölkerung wird durch die Diskussionsveranstaltungen<br />
des »Europa Forums«, an denen unsere Redaktion (Waltraud<br />
Langer) maßgeblich mitarbeitet, besonders eng gehalten.<br />
1995 erhält »Schilling« einen neuen Sendeplatz. Am Donnerstag, um<br />
22.30 Uhr im »zweiten Hauptabend«, beginnt seither das Wirtschaftsmagazin.<br />
Das neue spartanische Design der Sendung spiegelt sich auch<br />
im damaligen Jahrbuch wider.<br />
Das Vertrauen in die Währung Schilling bleibt erhalten, auch nach<br />
dem Scheitern der Budgetverhandlungen im Herbst 1995 und der Auflösung<br />
der Koalitionsregierung von SPÖ und ÖVP. Der neue Finanzminister<br />
Viktor Klima macht sofort klar, dass Österreich alle notwendigen<br />
Schritte setzen wird, um die strengen Bedingungen für eine Aufnahme<br />
des Schilling in die Europäische Währungsunion zu schaffen. Am Sparziel<br />
für Maastricht, also den Richtzahlen für die Staatsverschuldung<br />
und das Budgetdefizit, führt kein Weg vorbei.<br />
1996 – der Countdown für den Euro läuft. Die Vorbereitung auf die<br />
künftige gemeinsame europäische Währung lenkt die Aufmerksamkeit<br />
der Österreicher wieder intensiver auf die Wirtschaftsthemen. Die Vielschichtigkeit<br />
dieser Materie veranlasst den ORF einen neuen Schwerpunkt<br />
auf eine umfassende Information über diesen Euro zu legen.<br />
Am 13. Dezember 1996 ist es so weit. Das Aussehen der Euro-Geldscheine<br />
wird präsentiert. Gleichzeitig um 15 Uhr wird in allen<br />
EU-Staaten der Siegervorschlag präsentiert. Die Sache ist bis zuletzt so<br />
geheim, dass es die Österreicher fast als Letzte erfahren: Ihr Entwurf<br />
hat gewonnen. Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Wolfgang<br />
Schüssel wird beim EU-Gipfel in Dublin bereits zum österreichischen<br />
Erfolg gratuliert, als sie noch nichts davon wissen.<br />
189
Denn die Österreichische Nationalbank hält sich an die Schweigepflicht.<br />
Sie präsentiert nur in einem kleinen Kreis den Mann, der mit<br />
einem Schlag europaweit bekannt wird: Der Grafiker Robert Kalina<br />
hatte in nur einem halben Jahr »dem Euro sein Gesicht« gegeben. Mit<br />
allen Sicherheitsbestimmungen und unter Vermeidung aller Symbole,<br />
die ein Land als negativ empfinden könnte.<br />
Die Reaktionen auf die für viele ungewohnt bunten Noten fallen sehr<br />
unterschiedlich aus. Vom empörten »Der Mist kommt aus der hiesigen<br />
Nationalbank« im »profil« bis zu »Das ist positiv für Österreichs kulturelles<br />
Selbstbewusstsein« vom damaligen Bundeskanzler Vranitzky. Im<br />
Jänner tritt Vranitzky nach der Schlappe der SPÖ bei den Europawahlen<br />
zurück. Sein Nachfolger wird Viktor Klima, auch als Parteivorsitzender.<br />
1997 ist bei den Österreichern der Groschen gefallen. Ihnen wird klar,<br />
dass der Euro kommt. ORF-Informationsintendant Rudolf Nagiller<br />
beauftragt die Redaktion, einen Informationsschwerpunkt in allen<br />
ORF-Programmen über die Vor- und Nachteile der neuen Währung zu<br />
koordinieren und zu gestalten. Spezialausgaben von »Schilling«, »Report«<br />
und »Pressestunde« berichten über »Das Geld von morgen«.<br />
In diesem Jahr bewältigt die »Erste Bank« die Fusion zwischen der Ersten<br />
Österreichischen Spar-Casse und der GiroCredit in Rekordzeit und<br />
beweist mit ihrem Börsengang, dass es möglich ist, die Österreicher<br />
durch fundierte Informationen für Aktieninvestments zu gewinnen.<br />
Ebenfalls 1997 beschließt die »Erste Bank«, sich an der 10. »Schilling«-Jahrbuchausgabe<br />
zu beteiligen. Dieses Jahrbuch erscheint ab<br />
nun immer als Vorschau und nicht wie bisher als Nachlese.<br />
Es folgt also auf die neunte Ausgabe 1996 die zehnte Ausgabe 1998. An<br />
dieser Stelle sei festgehalten, dass sich die »Erste« seither nie in den<br />
redaktionellen Teil des ORF eingemischt hat. Im Gegensatz zu anderen<br />
Financiers, die das einmal erfolglos probierten. Wir sind deshalb gewechselt.<br />
1998 steht ganz im Zeichen der Vorbereitungen auf die künftige gemeinsame<br />
europäische Währung. Im ersten Halbjahr wird die erste<br />
190
Das Parlament: Grosse Mehrheit für den EU-Beitritt<br />
(Foto: Parlamentsdirektion/Olah)<br />
Teilnehmerrunde am Euro festgestellt. Voraussetzung ist die Erfüllung<br />
der Maastrichter Kriterien (Haushaltsdefizit, Stand der öffentlichen<br />
Schulden, Inflationsrate, Wechselkurse, langfristige Zinssätze).<br />
Die bilateralen Umrechnungskurse der nationalen Währungen zu -<br />
einander werden verhandelt und publiziert.<br />
Im zweiten Halbjahr 1998 dominiert die erste EU-Präsidentschaft<br />
Österreichs die Berichterstattung und die Entwicklung an den Börsen.<br />
1998 ist das Finanzwetter ziemlich stürmisch. Die Krisen in Asien, Russland<br />
und Lateinamerika haben wieder einmal gezeigt, dass der sicher<br />
fährt, der sich auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen bewegt.<br />
Am 1. Jänner 1999 werden die Umrechnungskurse der am Euro teilnehmenden<br />
nationalen Währungen unwiderruflich festgelegt. Ab diesem<br />
Zeitpunkt gibt es bis zum 31. Dezember 2001 den Euro als Buchgeld.<br />
Das heißt, er kann für alle »unbaren« Zahlungen, etwa bei Überweisungen,<br />
verwendet werden.<br />
1999 erscheint auch das Wirtschaftsmagazin des ORF unter dem Namen<br />
»Euro Austria«. Der Sendungstitel zeigt die Philosophie. Die neue<br />
191
So ändern sich die Zeiten:<br />
Das Jahrbuch des ORF-<br />
Wirtschaftsmagazines vor<br />
20 Jahren (rechts) und<br />
vor zwei Jahren (links)<br />
(Fotos: ORF/Hans Leitner)<br />
Währung gibt es schon als Verrechnungseinheit und das Magazin<br />
streicht das typisch Österreichische hervor.<br />
Erinnern Sie sich noch, wie zum Jahreswechsel 1999/2000 die Furcht<br />
vor dem Milleniums-Bug herrschte, also vor den Computerproblemen,<br />
die durch die Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Angabe<br />
drohten? Was würde es mit sich bringen, wenn Computer statt des<br />
1. Jänner 2000 den 1. Jänner 1900 ausweisen? Nichts Wesentliches<br />
ist Gott sei Dank geschehen. Der Aufbruch ins neue Jahrtausend hat<br />
andere spannende Perspektiven.<br />
Die österreichische Wende ist auch eine politische; im Februar 2000<br />
wird die erste schwarz-blaue Regierung Schüssel gebildet. Eine starke<br />
Polarisierung durchzieht das Land. Die EU belegt das Land mit politischen<br />
Sanktionen. Das Jahr 2000 bringt Österreich ein »Wendejahr«<br />
auch für die Wirtschaft. Budgetsanierung heißt das Schlagwort. Und<br />
das bedeutet: neue Belastungen für alle Österreicher. Von Gebührenerhöhungen<br />
bis zu Selbstbehalten im Gesundheitsbereich und zum<br />
Wegfall so manchen Steuerzuckerls.<br />
Von »sozialer Treffsicherheit« ist schon damals viel die Rede.<br />
In diesem Jahr wird in der Zeit im Bild um 13 Uhr die Börseleiste<br />
192
eingeführt. Moderatorin wird Waltraud Langer aus unserem Team. Sie<br />
wird 2001 mit der Leitung der Wirtschaftsredaktion für die Zeit im<br />
Bild 1 beauftragt. Mir wird gleichzeitig die Funktion des ORF-Wirtschaftssprechers<br />
übertragen.<br />
2001 steht die Information ganz im Zeichen der bevorstehenden<br />
Euro-Bargeldeinführung. Der ORF startet in Kooperation mit der Wirtschaftskammer<br />
Österreich und der Österreichischen Nationalbank eine<br />
Hotline, die sich mit Fragen der Euro-Einführung beschäftigt. Im Wirtschaftsmagazin<br />
gibt es die »Doppelte Preisauszeichnung«: Ab 1. Juli<br />
2001 werden auf allen Inserts der TV-Beiträge die Preise in Schilling<br />
und in Euro aufgelistet.<br />
Ende August 2001 zeigt Nationalbank-Präsident Klaus Liebscher erstmals<br />
im Wirtschaftsmagazin die neuen Euro-Banknoten. Bereits am<br />
1. September beginnt die Vorverteilung der Euro-Banknoten und -Cent<br />
Münzen an Banken und Unternehmen. Am 15. Dezember gibt es dann<br />
die Euro-Startpakete »für alle«.<br />
Ein weiterer Aspekt des Geldlebens 2001, der uns in Erinnerung bleibt,<br />
sind die turbulente Entwicklung der internationalen Börsen und<br />
schließlich die Kursstürze, die die Terroranschläge vom 11. September<br />
verursachen. Die USA verfallen 2001 in eine Rezession.<br />
Der EU-Kommissar für die »Erweiterung«, der deutsche Günter Verheugen,<br />
meint im ORF-Wirtschaftsmagazin: »Die Bewahrung der inneren<br />
und äußeren Sicherheit steht heute an oberster Stelle der europäischen<br />
Agenda. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation wird<br />
wieder deutlich, worum es bei der Erweiterung der EU eigentlich geht:<br />
um ein geopolitisch-strategisches Großprojekt, das Europa tief greifend<br />
verändern wird.« Und er sagt dann: »Nur auf der Grundlage des inneren<br />
und äußeren Friedens in Europa lassen sich nachhaltiges Wachstum<br />
und Wohlstand erzielen.« Nach dem Motto: Mehr Integration erfordert<br />
mehr Sicherheit.<br />
Am 1. Jänner 2002 lösen Euro und Cent Schilling und Groschen als<br />
Zahlungsmittel ab. Beide Währungen sind noch bis Ende Juni in Verwendung.<br />
Dann wird der Schilling endgültig vom Euro ersetzt.<br />
193
Im ORF wird Gerhard Weis als Generalintendant von Monika Lindner<br />
abgelöst und im Zuge ihrer Programmreform erhält im Oktober 2002<br />
die Wirtschaftssendung des ORF den neuen Namen »<strong>€CO</strong>«.<br />
Ein weiteres Thema, das noch bis ins Jahr 2002 die Österreicher bewegt,<br />
ist die Abschaffung der Sparbuch-Anonymität. Doch die weitere<br />
Entwicklung beweist, dass sich auch die besondere österreichische Lösung<br />
des Bankgeheimnisses bewährt.<br />
Im September 2002 zerbricht nach einem Sonderparteitag in Knittelfeld<br />
die ÖVP/FPÖ-Koalition. Die Novemberwahlen gewinnt die ÖVP –<br />
und sie macht mit der geschwächten FPÖ weiter.<br />
Finanzminister Grasser, damals beliebt und geachtet, verkündet ein<br />
saniertes Budget. Erst Jahre später wird enttarnt, was damals alles<br />
gelaufen ist.<br />
Im Prozess der EU-Erweiterung wird 2003 ein<br />
ereignisreiches Jahr. In Deutschland finden<br />
Parlamentswahlen statt. Gerhard Schröders<br />
Amtszeit als Chef einer rot-grünen Koalition<br />
wird verlängert, Jacques Chiracs Position bei den Präsidentenwahlen<br />
in Frankreich gestärkt. Weil es keine Veränderung gibt, erleichtert<br />
dies die Einigung der EU mit den »neuen Beitrittsländern« im Osten,<br />
vor allem in der Agrarfrage. Im April 2003 werden die Beitrittsverträge<br />
mit zehn Ländern feierlich unterzeichnet. Neben den beiden Mittelmeerinseln<br />
Malta und Zypern, den drei baltischen Ländern Estland,<br />
Lettland und Litauen kommen ab Mai 2004 auch die fünf Länder zur<br />
EU, die für Österreich von größter Bedeutung sind: die mittelbaren<br />
und unmittelbaren Nachbarn Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn<br />
und Polen.<br />
Die EU wächst in<br />
Richtung Osten<br />
Durch die EU-Erweiterung rückt Österreich geopolitisch wieder ins<br />
Zentrum Europas und gewinnt ohne Zweifel an Bedeutung.<br />
Österreichs Wirtschaft kommt im Osten eine tragende Rolle<br />
zu. Viele Betriebe haben sich schon in den Jahren vor 2004 in den<br />
zentraleuropäischen Nachbarländern angesiedelt. Damit wird eine<br />
194
langfristig strategisch richtige Standortwahl getroffen. In naher<br />
Zukunft befinden auch sie sich mit ihren osteuropäischen Tochterunternehmen<br />
in der EU, womit die Vorteile des freien Personen-,<br />
Waren- und Dienstleistungsverkehr voll genützt werden.<br />
2005 ist für die Republik Österreich ein Jubiläums- und Gedenkjahr.<br />
In dessen Mittelpunkt stehen die Jubiläen »60 Jahre Zweite Republik«,<br />
»50 Jahre Staatsvertrag« und »10 Jahre EU-Mitgliedschaft«. Dieses<br />
Gedenkjahr bietet dem ORF-Wirtschaftsmagazin Gelegenheit, Vergangenheit<br />
und Zukunftsperspektiven zusammenzuführen. Das gilt insbesondere<br />
im Hinblick auf die Entwicklung von Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Technologie. <strong>€CO</strong> geht damals der Frage nach, ob die Österreicher<br />
– wenn die Medizin weiter so große Fortschritte macht – nicht<br />
bis zum Alter von 70 Jahren im Arbeitsprozess stehen könnten ...<br />
2005 wird die – laut Regierung – »größte Steuerreform der Zweiten<br />
Republik« in einer zweiten Etappe umgesetzt. Aber nicht jeder Steuerzahler<br />
wird entlastet; Kleinstverdiener bekommen nichts und Spitzenverdiener<br />
de facto auch nichts. Ein neues Jahr – auch eine neue<br />
Pensionsreform. 2005 tritt mit der so genannten »Harmonisierung«<br />
die dritte Reform innerhalb weniger Jahre in Kraft. Mit dem Pensionskonto<br />
wird ein neues, einheitliches Pensionssystem für alle Unter-50-Jährigen<br />
geschaffen. Die Reform bringt Änderungen bei den<br />
Versicherungszeiten, bei der Erlangung eines Anspruchs und bei der<br />
Pensionsberechnung. Das Expertenurteil: Die Harmonisierung ist für<br />
Ältere günstiger, für Jüngere schlechter – und für alle komplizierter.<br />
Österreichs Bankenlandschaft verändert sich 2005 dramatisch. Der<br />
größte Bankkonzern, die Bank Austria-Creditanstalt, erfährt einen<br />
einschneidenden Eigentümerwechsel. Statt der bayerischen Hypo-Vereinsbank<br />
ist sie in den Besitz der italienischen UniCredit übergegangen<br />
und wird entscheidend umstrukturiert.<br />
Die viertgrößte Bankengruppe, der BAWAG-PSK-Konzern, muss im<br />
Spätherbst 2005 eine bittere Erfahrung machen. Eine ihrer langjährigen<br />
Partnergesellschaften in den USA, die Maklerfirma Refco bzw.<br />
deren Haupteigentümer Bennett, lockt dem Management an einem<br />
Oktober-Wochenende unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen<br />
195
350-Millionen-Euro-Kredit heraus. Die Sicherheiten werden nicht ausreichend<br />
geprüft. Als der Fehler bemerkt wird und die Bank das Geld<br />
zurückholen will, ist es zu spät. Die Refco wird insolvent. Das verantwortliche<br />
Management tritt in Wien zurück und macht dem Nationalökonomen<br />
Ewald Nowotny Platz.<br />
Im Frühjahr 2006 informiert Nowotny die Finanzmarktaufsicht über<br />
spekulative Karibik-Geschäfte. Bawag-Aufsichtsratschef Günter<br />
Weninger enthüllt hohe Verluste aus dem Jahr 2000 und die damalige<br />
Garantie des ÖGB für die BAWAG. Weninger tritt zurück. ÖGB-Chef Verzetnitsch<br />
verteidigt die Entscheidung, die Haftung für die BAWAG zu<br />
übernehmen. Auch Verzetnitsch tritt zurück. Vier BAWAG-Vorstände<br />
müssen gehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der ÖGB-Bundesvorstand<br />
fasst in einer Nachtsitzung den Grundsatzbeschluss zum vollständigen<br />
Verkauf der BAWAG. Ende Dezember wird die BAWAG tatsächlich<br />
an den US-Investor Cerberus verkauft.<br />
Im folgenden Frühjahr wird Ex-Generaldirektor Elsner in Frankreich<br />
verhaftet. Es folgen gegen ihn und andere Vorstände erste Prozesse; bis<br />
heute gelingt die vollständige Aufklärung des Bawag-Skandals nicht.<br />
Dr. Franz Hlavac, Jahrgang 1948, maturierte 1966 am<br />
Schottengymnasium in Wien. Anschließend absolvierte er den<br />
ordentlichen Präsenzdienst. 1967 begann er das Studium der<br />
Zeitgeschichte und Germanistik an der Philosophischen Fakultät<br />
der Universität Wien. 1973 promovierte er zum Doktor der<br />
Philosophie.<br />
Erste journalistische Erfahrungen sammelte Franz Hlavac<br />
ab 1971 als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen<br />
und beim Hörfunk des ORF. Im April 1974 wurde er im Aktuellen Dienst des<br />
Fernsehens angestellt. 1989 wurde Dr. Hlavac Programmkoordinator in der Fernseh-<br />
Informationsintendanz und Leiter des Europa-Magazins »Compass«.<br />
Von 1. Jänner 1992 bis 31. Dezember 2009 leitete Franz Hlavac die<br />
Wirtschaftsredaktion des Fernsehens und damit auch das Wirtschaftsmagazin.<br />
Zunächst das Magazin »Schilling«, danach »Euro Austria« und zuletzt »<strong>€CO</strong>«. In<br />
dieser Zeit koordinierte er die Berichterstattung über den EU-Beitritt Österreichs<br />
(1992 bis 1995). Außerdem koordinierte Dr. Hlavac auch die ORF-Berichterstattung<br />
über die Währungsumstellung auf den Euro.<br />
Im August 2005 wurde ihm der Professortitel verliehen.<br />
Seit 2010 arbeitet Franz Hlavac als freier Journalist und Buchautor. Im »Styria«-<br />
Verlag erschien 2011 der Bestseller »Unser Friaul« (Autoren: Dr. Gisela Hopfmüller<br />
und Dr. Franz Hlavac).<br />
196
Im Jahr 2006 steht Österreich auch im Mittelpunkt der europäi schen<br />
Politik. Im ersten Halbjahr übernimmt unser Land die EU-Präsidentschaft.<br />
Europa neuen Schwung verleihen – unter diesem Motto startet<br />
Österreich ins Mozartjahr. Am 26. Jänner, an Mozarts <strong>25</strong>0. Geburtstag,<br />
lädt EU-Ratspräsident Schüssel 24 Staats- und Regierungschefs nach<br />
Salzburg ein. Es steht die Schlussphase der Gespräche mit Bulgarien<br />
und Rumänien an sowie die Anfangsphase der Beitrittsverhandlungen<br />
mit Kroatien und der Türkei.<br />
Die schwierigen Rahmenbedingungen 2006: 20 Millionen Arbeitslose<br />
in Europa. Pessimismus und Reformkrise trotz leichter Konjunkturverbesserung.<br />
Ausgesprochen positive Zeichen kommen nur aus<br />
Japan. China erwartet acht Prozent Wirtschaftswachstum. Die EU zwei<br />
Prozent.<br />
2007 – ein Jahr der Veränderungen. In Österreich tritt die Regierung<br />
Gusenbauer/Molterer an. Alexander Wrabetz ist neuer Generaldirektor<br />
des ORF. Die Anleger an den internationalen Börsen brauchen Nerven<br />
wie Drahtseile. Kreditkrise, Bankenkrise, Finanzkrise sind die<br />
Schlagwörter des Jahres im Herbst. Tatsache ist, dass von vielen Anlegern<br />
die US-Hypothekenkrise nicht ernst genug eingeschätzt worden<br />
ist. Viele Banker, Ökonomen, Wirtschaftsforscher und Politiker glauben,<br />
dass sich die Gewitterwolken bald verziehen werden. Alle haben<br />
Unrecht.<br />
Der 15. September 2008, der Tag, an dem die US-Investment-Bank<br />
Lehman Brothers kollabiert, ist ein historischer Tag. Die Finanzkrise<br />
ist über Nacht global zu spüren und sie zwingt in der Folge Banken,<br />
Märkte und ganze Staaten in die Knie. Noch nie zuvor ist so viel Kapital<br />
in ganz kurzer Zeit vernichtet worden und noch nie zuvor sind<br />
so viele hoch bezahlte Experten als Blender und Betrüger enttarnt<br />
worden.<br />
Warum es so weit kommen konnte, ist einfach zu beantworten.<br />
Eine Kombination von Gier, Unvorsichtigkeit und Unwissen und der<br />
Glaube, dass Risiko keinen Preis hat, diese Mixtur ist letztendlich<br />
der Ausgangspunkt der Krise. Dazu kommt, dass wir in Österreich und<br />
197
Günther Schmidt, Franz Hlavac: Ein Jahrbuch wird geboren<br />
(Foto: ORF)<br />
auch in Zentral- und Osteuropa lange in der falschen Überzeugung<br />
lebten, wir hätten nicht in die Subprime-Papiere investiert. Ein Irrglaube,<br />
also werden wir von den Folgen dieser Produkte nicht bewahrt.<br />
Das war der Hauptfehler. Wir haben geglaubt, dass die Finanzkrise in<br />
den USA keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft in Österreich und<br />
Zentral- und Osteuropa haben wird.<br />
Dass die Welt im September wirtschaftlich am Abgrund steht, zeigt die<br />
Dokumentation der BBC, die <strong>€CO</strong> im Sommer 2010 ausstrahlt.<br />
In diesem Sommer wird Hans Tesch zu meinem Nachfolger als Leiter<br />
des Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong> bestellt. Sein Team hat in den letzten<br />
Jahren gezeigt, dass <strong>€CO</strong> seine besten Momente hat, wenn es gelingt,<br />
plastisch Zusammenhänge aufzuzeigen und Fragen zu aktuellen Entwicklungen<br />
zu geben. Die Zuseherzahlen geben dem <strong>€CO</strong>-Team Recht.<br />
Ich bin 2010 aus dem ORF altersbedingt ausgeschieden. Meine Frau<br />
und ich leben jetzt als freie Journalisten teilweise im Friaul und in<br />
Wien. Im März 2013 wird unser zweites Buch über Friaul erscheinen.<br />
Titel: »Friaul erleben«, eine historische und kulinarische Reise durch<br />
unsere Teilzeit-Heimat.<br />
198
Große Worte –<br />
meist sogar richtige<br />
gesammelt von Günther Kogler<br />
»Träumt groß. Arbeitet hart. Denkt selbstständig.«<br />
Lehrer David McCullough jr. verabschiedet die Absolventen<br />
der Highschool von Wellesley, einem Vorort von Boston.<br />
Seine bewegende Rede wurde auf »Youtube« gestellt und von<br />
US-Nutzern mehrere Millionen Mal angeklickt.<br />
»Erklimmt die Berge nicht, um dort eine Flagge zu hissen,<br />
sondern wegen der Herausforderung. Erklimmt die Berge, damit<br />
ihr die Welt sehen könnt, nicht damit die Welt euch sieht.«<br />
Derselbe.<br />
»Adelstitel sollen in Österreich auf zehn Jahre vergeben<br />
werden. So wie Wunschkennzeichen.«<br />
Auf diese Idee ist das demokratische Österreich tatsächlich<br />
noch nicht gekommen. Zitat von Ulrich »von« Habsburg, einem<br />
Urururur-Urenkel von Kaiserin Maria Theresia.<br />
»Ich bin nicht mediengeil; die Medien sind geil auf mich.«<br />
Balettstar Karina Sarkissova ahnt, wie sie auf die Öffentlichkeit wirkt.<br />
»Politik ist wie Schlammcatchen mit einem Schwein:<br />
Du wirst dreckig und dem Schwein macht es Spaß.«<br />
Alexander Morlang, Berliner »Pirat«, über die Zustände<br />
(nicht nur) in der deutschen Innenpolitik.<br />
»Wir nennen das bulls without balls.«<br />
Was Frank Stronach über Wirtschaftsforscher denkt,<br />
übersetzen wir lieber nicht.<br />
»Das Wort Ungehorsam kann so nicht stehen bleiben.«<br />
Kardinal Christoph Schönborn weist behutsam auf die klitzekleine<br />
Differenz hin, die er mit der »Pfarrerinitiative« hat.<br />
199
Die AutorInnen des ORF-Teiles<br />
Angelika Christine Ahrens<br />
Geboren: 24. 3. 1972 in Salzburg,<br />
aufgewachsen in Freilassing/Deutschland<br />
Schulbildung: Abitur am Rottmayr-Gymnasium<br />
Laufen (Abschluss 1991)<br />
Bis 1994 <strong>Sparkasse</strong> Berchtesgadener Land, parallel dazu eine TV/<br />
Radioausbildung; 1994 Brokerbüro Hornblower Fischer New York;<br />
1994–96 Studium an der Europäischen Journalismus Akademie,<br />
Donauuniversität Krems (Master of Advanced Studies,<br />
Journalism in Print, Radio and Television).<br />
Ab 1995 für den ORF (Österreicher Rundfunk) unterwegs<br />
zunächst als Volontärin im Aktuellen Dienst Niederösterreich.<br />
Ab 2001 Moderation und Gestaltung der Börsenleiste in der »ZiB<br />
13 Uhr«, TV-Beiträge in der »ZiB 1«, »ZiB 2« und <strong>€CO</strong> sowie seit<br />
2002 Moderation des Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong><br />
Mag. Bettina Fink<br />
Geboren in Bregenz, Vorarlberg<br />
seit 2000: Redakteurin beim Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>,<br />
zuvor bei der Zeit im Bild<br />
1994–2000: ORF-Landesstudio Vorarlberg, Chefin vom Dienst für<br />
die Sendung »Vorarlberg heute«.<br />
1993–94: Freie Journalistin in Berlin. Ständige freie<br />
Mitarbeiterin der Tageszeitung »taz«, Kulturberichte für »Die<br />
Welt«, Hörfunk-Beiträge für den »Sender Freies Berlin«<br />
1990–93: »Energieinstitut Vorarlberg«, Projektleiterin für<br />
Öffentlichkeitsarbeit in der Non-Profit-Organisation.<br />
1989–90: »Vorarlberger Nachrichten«, Bregenz, Redakteurin in<br />
den Bereichen Lokales, Kultur und Wirtschaft<br />
Studium der Germanistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaften<br />
an den Universitäten Salzburg bzw. Innsbruck<br />
Hans Hrabal<br />
geb. 19. 9. 1964<br />
Seit Sommer 2010 Redakteur beim Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>, ORF<br />
2004–10 Leiter Business Development Neue Medien, ORF<br />
2000–04 Projektleiter Fernsehdigitalisierung,<br />
1998–2000 Redakteur für Konsumentenschutz- und<br />
Bürgerservice-Themen beim Vorabendmagazin<br />
Willkommen Österreich, ORF<br />
1992–98 Redakteur Wir Bürgerservice, ORF<br />
1988–92 Freier Journalist für TREND, PROFIL, WIENER, Ö3<br />
Studium der Politikwissenschaft und Handelswissenschaft in<br />
Wien. Post Graduate Studien in Washington D.C., Bologna und<br />
Berlin<br />
200
Günther Kogler<br />
geb 1956 in Übelbach in der Steiermark; Matura in Graz;<br />
Computerausbildung Systemprogrammierer;<br />
seit 1982 verheiratet, zwei Kinder<br />
1976 Freier Mitarbeiter »Kleine Zeitung«,<br />
1979 Redakteur für Innenpolitik<br />
1988 Leiter der Lokalredaktion »Kleine Zeitung«, Graz<br />
1989 ORF-Landesstudio Steiermark<br />
1994 ORF Wien, Politikmagazin »Der Report«<br />
seit 1998 Vortrags- und Prüfungstätigkeit im Rahmen des<br />
» Medienkundlichen Lehrganges« an der Universität Graz<br />
2001 Sendungsverantwortlicher »TV- Diskussionen«<br />
seit 2010 stv. Sendungsverantwortlicher <strong>€CO</strong><br />
Hobbys: Neugier, Architektur, steirischer Weißwein,<br />
Flugmaschinen aller Art<br />
Dr. Christina Kronaus<br />
Studium der Romanistik und Publizistik<br />
an der Universität Wien.<br />
Lehrgang für Werbung und Verkauf an der<br />
Wirtschaftsuniversität Wien.<br />
Journalistische Lehrjahre in der »Presse«,<br />
seit 1984 Reporterin/Filmemacherin für den ORF/3Sat.<br />
Produktionen für internationale Fernsehprojekte<br />
zum Thema Frauen/Umwelt/Nachhaltigkeit.<br />
Lehrtätigkeit für die europäische<br />
Konsumentenschutzorganisation<br />
BEUC in Brüssel.<br />
Mag. Ilja Morozov<br />
Geboren 1986 in Moskau, aufgewachsen in St. Pölten,<br />
gesegnet mit steirischen Wurzeln. Wirtschaftlich geprägt<br />
durch seine HAK-Ausbildung und dem Wirtschaftsstudium<br />
ab 2006 (Diplom), mit Spezialisierung auf Außenhandel<br />
und Unternehmensführung. Suchte frühen Kontakt mit der<br />
Praxis: in der Schulzeit Verkäufer im Möbelhaus Leiner, div.<br />
Praktika im Controlling, Ausbildung zum Vermögensberater,<br />
Marketingpraktikum bei 3M, Backstage-Guide im ORF usw.<br />
Einstieg in den Journalismus 2006 als freier Redakteur bei den<br />
Bezirksblättern, 2009 ORF-Redaktionspraktikant in der »Zeit im<br />
Bild«. Zunächst im Aktuellen Dienst des ORF, seit November 2010<br />
bei <strong>€CO</strong><br />
201
Sabina Riedl<br />
Geboren am 14. 5. 1965 in Wien<br />
Aufgewachsen in den USA, in Chapel Hill, North Carolina.<br />
1976–83 Gymnasium in Wien 19, Gymnasiumstraße<br />
Ab 1984 Studium am Institut für Übersetzer- und<br />
Dolmetscherausbildung / Englisch und Italienisch<br />
Seit 1987 Redakteurin im ORF<br />
1998 Staatspreis für Wissenschaftspublizistik für die<br />
Dokumentation »Der kleine Unterschied«, ein Feature über<br />
Geschlechtsunterschiede in der Sendereihe Modern Times Spezial<br />
Seit 1999 ist sie als Redakteurin für das<br />
Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong> im Dauereinsatz<br />
Sie ist Mutter einer 12-jährigen Tochter und frönt privat<br />
dem Boxsport, Reisen, Kinofilmen, Rockmusik und dem<br />
Gitarrespielen.<br />
Mag. Hans Tesch<br />
Jahrgang 1955. Studierter Betriebswirtschafter,<br />
Wirtschaftsuni Wien.<br />
Journalist mit Leib und Seele. Begonnen 1979 als Freier<br />
Mitarbeiter der Zeit-im-Bild-Redaktion, dann Redakteur und<br />
Chefredakteur im ORF-Landesstudio Burgenland. Seit Anfang<br />
2011 Leiter von <strong>€CO</strong>. Sachbuchautor von »Sicher selbständig«<br />
und »Bauen, kaufen, finanzieren«, Wirtschaftsverlag<br />
Ueberreuter. Projektentwickler und Studienverfasser<br />
Als ehrenamtlicher Obmann des Franz-Liszt-Vereines im Wohnort<br />
Raiding die Basis für den Bau des Konzerthauses und somit für<br />
den heute hochkarätigen Konzertbetrieb geschaffen.<br />
»Liest« gerne Hörbucher, »studiert« gerne Wein-Jahrgänge.<br />
Tätigkeit als Hobby-Winzer im Geburtsort Horitschon.<br />
Hans Wu<br />
Geboren in Wien, am 28. 11. 1969<br />
Sohn von Liu Lee-Chun, Landwirtin, und<br />
DI Dr. Wu Zun-Ho, Landwirt<br />
1980–88 BRGXXI Ödenburgerstraße in 1210 Wien<br />
1988–95 Studium der Geschichte an der Uni Wien<br />
1991–2000 Redakteur/Gestalter beim ORF.<br />
2002 Application Research Manager und Trendscout beim<br />
Mobilfunkbetreiber ONE GmbH<br />
2003 Produktentwickler beim Mobilfunk-Serviceentwickler<br />
Connovation GmbH<br />
2003–07 Produktmanager bei ORF Online<br />
2007–09 Redakteur bei der ORF-Sendung »Wie bitte?«<br />
2009 Wechsel zur ORF-Wirtschaftssendung <strong>€CO</strong><br />
202
Die AutorInnen des ORF-Teiles<br />
Philipp Jauernik<br />
Geboren 1987 in Wien, Studium der Geschichte mit Fokus auf<br />
Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Journalistenausbildungen<br />
an diversen Schulen, Praktika im Zuge eines selbst gebastelten<br />
Medientrainee-Programms bei APA, Furche, Die Presse und <strong>€CO</strong>.<br />
Außerdem mehrere längere Aufenthalte in Brüssel. Seit Sommer<br />
als freier Journalist in Wien tätig.<br />
Mag. Beate Haselmayer<br />
geb. 1981 in Tulln in NÖ.<br />
Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften,<br />
Slawistik und Deutsch als Fremdsprache in Wien.<br />
Studienaufenthalte in Russland und der Ukraine.<br />
Stipendium an der Donau-Universität Krems (Lehrgang für<br />
Fernsehjournalismus). 2006: Recherche für Dokumentarfilme.<br />
2007–2012: Freie Reporterin für die ORF-Reportagesendung »Am<br />
Schauplatz«. 2011–2012: Freie Mitarbeiterin in der »Zeit im Bild«.<br />
Seit März 2012: Redakteurin im ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>.<br />
Katinka Nowotny<br />
Jahrgang 1964; Studium Volkswirtschaft und Soziologie an der<br />
Universität Wien, Master (M.A.) in Television Journalism an der<br />
New York University mit einem Fulbright-Stipendium.<br />
Seit mehr als zwei Jahrzehnten Fernsehjournalistin aus<br />
Leidenschaft. Aufgewachsen in Kairo, New York und Wien hat sie<br />
immer wieder für das Weltjournal aus Krisengebieten berichtet:<br />
aus Nordkorea, aus Sarajevo, aus New York nach 9/11. Nebenbei<br />
15 Jahre lang Österreich-Korrespondentin von CNN World View.<br />
Zahlreiche Journalistenpreise. 2011 »Chefin vom Dienst« im<br />
Weltjournal. Ab 2012 im Stammteam von <strong>€CO</strong>. Ganz nach dem<br />
Motto: »Wirtschaft in diesen Zeiten ist spannend wie selten<br />
zuvor.« Verheiratet; zwei Kinder. Eine begeisterte Ruderin und<br />
jeden Sommer besteigt sie einen Dreitausender in Österreich.<br />
203
204<br />
Von links nach rechts:<br />
Franz Gschiegl, Bernadett Povazsai-Römhild, Thomas Schaufler
Zoltan Bakay, Rainer Münz<br />
205
War die Zeit als Banker vor <strong>25</strong> Jahren eine »schönere«? Ich weiß,<br />
auf was Sie hinauswollen. Die Reputation von Bankern in der heutigen<br />
Zeit und so ... Aber, ehrlich gesagt, ich habe mir diese Frage<br />
noch nie so gestellt. Denn als Banker muss ich die Verantwortung für<br />
die Spareinlagen meiner Kunden tragen und vor diesem Hintergrund<br />
entscheiden, wie ich kreditfinanzierte Projekte einschätze. Daran<br />
hat sich nichts geändert. Man darf aber nicht vergessen, dass die<br />
Bankenbranche vor einem totalen Umbruch steht. Das ist auf der einen<br />
Seite spannend, aber es ist auch eine Herausforderung. Immerhin kann<br />
man so auch beweisen, ob man sein Unternehmen kennt und wie gut<br />
man es vor Untiefen schützen kann. Insofern ist es heute wahrscheinlich<br />
sogar aufregender als vor <strong>25</strong> Jahren.<br />
War die Bankenlandschaft damals stabiler als heute? In Österreich<br />
war sie bis in die späten 1990er-Jahre von verstaatlichten Banken oder<br />
von Banken, deren Eigentümer nicht an entsprechenden Erträgen interessiert<br />
waren, geprägt. Das hat sich im Vergleich zu heute wesentlich<br />
verbessert. Was in ganz Europa im Vergleich zu den USA aber nicht<br />
passiert ist, ist ein Abbau der Überkapazitäten im Bankensektor.<br />
Während in den USA seit 2008 allein 1800 Banken geschlossen worden<br />
sind und das Geschäft auf die verbleibenden Banken übergegangen ist,<br />
gab es so etwas in Europa nicht einmal annähernd. Und das halte ich<br />
für ungesund.<br />
Die Erste war zu dieser Zeit eine kleine <strong>Sparkasse</strong>. Sie waren maßgeblich<br />
daran beteiligt, dass die Erste heute eine der größten<br />
Bankengruppen in Zentraleuropa ist. Rückblickend eine kluge<br />
Entscheidung? Ja, es war eine kluge Entscheidung, weil wir uns neue,<br />
wichtige Wachstumsmärkte erschlossen und dadurch Arbeitsplätze in<br />
Österreich gesichert und aufgebaut haben. Ohne die damals begonnene<br />
Expansion nach Tschechien, in die Slowakei und bis nach Rumänien<br />
gäbe es keine eigenständigen österreichischen Banken mehr – und<br />
auch viele andere heimische Firmen, die sich in der Region etabliert<br />
206<br />
Bankgeschäft vor <strong>25</strong> Jahren –<br />
wo waren eigentlich Sie damals?<br />
Andreas Treichl im Gespräch
Andreas Treichl<br />
(Foto: Godany)<br />
haben nicht. Und wir werden als Land auch weiterhin von dieser<br />
Region profitieren, weil sie die einzige Wachstumsregion in Europa<br />
ist. Was uns als Region in Zentraleuropa allerdings noch fehlt, ist<br />
die Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr erreichen könnten. Ich<br />
habe da die skandinavischen Staaten vor Augen, die uns zeigen, wie<br />
man sich als Region interna tional sehr gut positioniert und damit für<br />
Investoren interessant wird.<br />
Der Wirtschaftsmotor will seit über vier Jahren nicht mehr richtig<br />
anspringen. Was sind Ihrer Meinung nach jetzt die größten<br />
Herausforderungen für Banken? Im Moment sicherlich die Unsicherheit<br />
über die künftigen Regelwerke. Derzeit haben wir drei unterschiedlich<br />
hohe Anforderungen an das Eigenkapital, die allesamt<br />
anders berechnet werden und von verschiedenen Regulatoren überwacht<br />
werden. Das ist ineffizient und lähmend. In Zeiten wirtschaftlicher<br />
Unsicherheit kann so etwas die Situation noch verschärfen. Ein<br />
Beispiel: Der Straßenverkehr wird dann am sichersten, wenn sich niemand<br />
mehr bewegt. Aber dann kommt keiner mehr vorwärts. Und das<br />
darf im Bankgeschäft nicht passieren, denn unser Geschäft ist es, der<br />
Wirtschaft das Risiko abzusichern. Das können wir sofort ausschalten,<br />
wenn wir den Banken 100 Prozent Eigenkapital vorschreiben. Nur,<br />
dann be wegt sich auch in der Wirtschaft nichts mehr.<br />
207
Wird es jemals wieder so werden wie »früher«?<br />
(Anm.: Wachstum wie bis Mitte/Ende<br />
der 2000er-Jahre) Ja, jede Krise hat irgendwann<br />
ein Ende. Es ist zugegebenermaßen eine<br />
schwere Krise, die wir erleben, aber auch nicht<br />
die erste. Was wir brauchen, sind Vertrauen<br />
und Sicherheit. Beides ist im Moment noch<br />
ziemlich unterentwickelt. Wir sollten aber alles daran setzen, den<br />
Menschen Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Ganz<br />
besonders wichtig ist dies für die Länder im Süden Europas. Denn aus<br />
einer Jugendarbeitslosigkeit von knapp 50 Prozent können politische<br />
Strömungen entstehen, die wir alle in Europa nicht mehr haben wollen.<br />
»Jede Krise hat<br />
irgendwann ein Ende<br />
… Nur der Blick nach<br />
vorne bringt einen<br />
voran.«<br />
Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wie früher wird es nicht mehr.<br />
Das ist aber auch gut so. Wachstum um des Wachstums willen ist nicht<br />
nachhaltig.<br />
Was macht ein Banker wie Sie eigentlich an einem »normalen«<br />
Arbeitstag? Mir den Kopf darüber zerbrechen, wie wir die Kunden in<br />
unserer Region noch besser erreichen können. Und das nicht nur mit<br />
unserem Service, sondern wir müssen das Bankgeschäft insgesamt verständlicher<br />
machen. Dazu trägt auch hoffentlich das <strong>€CO</strong>-Jahrbuch bei:<br />
Wirtschaftsthemen und Zusammenhänge kurz und kompakt zu erklären.<br />
Das Image von Bankern hat in den letzten Jahren schwer gelitten.<br />
Welches Ego bzw. welches Selbstverständnis braucht ein<br />
Banker heute, um zu überleben? Das stimmt und ist gleichzeitig<br />
aber auch falsch. Ja, wir werden für die Krise verantwortlich<br />
gemacht, aber gleichzeitig wird auch der eigene Berater oder die<br />
eigene Bank als vertrauenswürdig eingeschätzt. Da hilft uns sicherlich,<br />
dass wir als heimische Banken immer nur das klassische Einlagen-<br />
Kredit-Geschäft gemacht haben. Wir finanzieren unseren Wohnbau,<br />
wir ölen den Wirtschaftsmotor und sind regionaler Partner unserer<br />
Klein- und Mittelbetriebe. Anonymisiert werden wir als Branche aber<br />
für Missstände verantwortlich gemacht, die wir nicht verursacht haben.<br />
Damit meine ich die Problematik der öffentlichen Verschuldung.<br />
Außerdem liegt viel an noch immer gültigen Regelungen: Z. B. wenn ich<br />
als Bank einer Firma, die ich seit hundert Jahren kenne und die immer<br />
208
profitabel war, einen Kredit geben will, muss ich aktuell zehn Mal so<br />
viel Eigenkapital vorhalten, als wenn ich eine Anleihe von Griechenland<br />
kaufe, von der ich jetzt schon weiß, dass sie, wenn überhaupt, nur über<br />
den Steuerzahler zurückgezahlt werden kann. Das ist doch verrückt.<br />
»Was sich aber<br />
geändert hat, ist die<br />
Wahrnehmung von<br />
Risiko.«<br />
Was bedeutet Risiko heute? Grundsätzlich<br />
nichts anderes als früher. Risiko berechnet<br />
grob gesagt die Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
eines Negativereignisses. Was sich aber geändert<br />
hat, ist die Wahrnehmung von Risiko.<br />
Heute werden Risiken doch etwas differenzierter<br />
gesehen. Wer hat sich z. B. vor 2008 vorstellen können, dass<br />
eine US-Bank wie Lehman einfach pleitegehen kann und die ganze<br />
Finanzwirtschaft mit in den Abgrund reißt? Ein erhebliches Risiko das<br />
offenbar anders bewertet wurde. Das Bewusstsein hat sich jedenfalls<br />
geschärft. Als Banker muss ich auch sagen, Risiko ist teurer geworden.<br />
Durch das Misstrauen auf dem Kapitalmarkt und die regulatorischen<br />
Bestimmungen müssen Banken für die Übernahme von Kreditrisiken<br />
mehr Geld aufwenden. Insgesamt sind aber alle Akteure der Wirtschaft<br />
risikoaverser geworden, nicht nur die Banken.<br />
Wenn Sie heute ein Kind fragt, wozu man überhaupt Banken<br />
braucht, wie erklären Sie das? Das Kerngeschäft einer <strong>Sparkasse</strong>, so<br />
wie wir es sind, ist im Prinzip ein Simples: Auf der einen Seite zahlt<br />
die Bank denen, die Geld sparen, Zinsen. Wenngleich das bei der<br />
momentanen Vorgabe auf dem Geldmarkt nicht viel ist. Auf der anderen<br />
Seite bezahlt jemand, der Geld braucht, der Bank Zinsen für das Geld,<br />
das er sich ausborgt. Auch diese Zinsen sind aktuell so niedrig wie nie.<br />
Bei dem Ganzen übernimmt die Bank ein Risiko. Nämlich jenes, dass<br />
sie Geld verborgt und darauf vertraut, dass derjenige es zurückbezahlt.<br />
Mit der Differenz aus Spar- und Kreditzinsen verdienen wir unser Geld.<br />
Und man darf dabei nicht vergessen, Wachstum und somit Wohlstand<br />
sind nur möglich, wenn ich jemanden habe, der das damit verbundene<br />
finanzielle Risiko übernimmt. Und das sind eben nun mal die Banken.<br />
Zukunftsprognosen haben mittlerweile eine kurze Halbwertszeit.<br />
Trotzdem – wo sehen Sie Banken und deren Aufgaben in <strong>25</strong> Jahren?<br />
Hätten Sie mich das vor <strong>25</strong> Jahren gefragt, hätte ich wahrscheinlich<br />
209
nicht gedacht, dass heute jeder mit einem Smartphone herumläuft<br />
und seine Überweisungen auf dem Heimweg in der Straßenbahn machen<br />
kann. Es sind einerseits technologische Entwicklungen, die unser<br />
Geschäft noch stark verändern werden. Aber auch gesellschaftliche. Es<br />
heißt ja nicht, nur weil eine Technologie mal gut funktioniert, dass<br />
sie deswegen auch jeder gleich verwenden wird. Da gibt es auch viele<br />
kulturelle Unterschiede, allein wenn ich mir die USA anschaue und<br />
einzelne Länder in Europa. Ich glaube aber, in Summe wird es eine<br />
Kombination aus beidem sein – Bankgeschäft als Beziehungsgeschäft<br />
mit Menschen, wenn es um Wissen und Beratung geht. Auf der anderen<br />
Seite die »einfachen« Dinge, die jeder flexibel und unabhängig von<br />
e iner Filiale selbst erledigen will.<br />
Gibt es noch Wachstumsmöglichkeiten für Banken, quantitativ und<br />
qualitativ? Natürlich! In der Region Zentral- und Osteuropa ist die<br />
Durchdringung mit Bank- oder Versicherungsprodukten immer noch<br />
weit unter dem EU-Durchschnitt. Es gibt aber auch Nischen wie das<br />
Mikrokreditgeschäft oder der gesamte Bereich der Alternativ energie-<br />
Finanzierung. Da werden wir auch in Zukunft unseren Fokus weiter<br />
darauf legen.<br />
Muss man als Unternehmen wirklich immer weiter wachsen oder ist<br />
es auch irgendwann mal gut? Wachstum um jeden Preis führt in die<br />
falsche Richtung. Es geht darum, nachhaltige Entwicklungen zu fördern<br />
– auch in der Finanzwirtschaft. Die Zweite <strong>Sparkasse</strong> oder unsere<br />
Mikrofinanztochter Good.bee sind hier nur zwei Beispiele.<br />
Was motiviert Sie persönlich den Job noch<br />
zu machen – immerhin sind Sie schon<br />
über 30 Jahre Banker? Ich mache das aus<br />
Leidenschaft. Und weil ich auch nach über 30<br />
Jahren immer noch etwas bewirken und verändern<br />
möchte. Einen so großen Bankkonzern<br />
zu führen war gerade in den letzten Jahren<br />
eine echte Herausforderung. Und es tut sich<br />
so viel Neues – nicht immer nur Erfreuliches, aber dafür auch viel<br />
Notwendiges und das finde ich einfach spannend. Und es beschäftigen<br />
mich ja nicht immer nur die graue Theorie und Zahlen, sondern das<br />
»Einen so großen<br />
Bankkonzern zu<br />
führen war gerade<br />
in den letzten<br />
Jahren eine echte<br />
Herausforderung.«<br />
210
Andreas Treichl<br />
(Foto: Godany)<br />
ständige Weiterentwickeln unserer Bank. Wie kann ich unser Service<br />
verbessern? Was bedeutet die Technologisierung in den Hosentaschen<br />
(Anm. Smartphones) für unser Geschäft? Was erwarten die Menschen<br />
von einer modernen Bank und wie können wir das bieten? Das sind doch<br />
spannende Fragen, die mich laufend motivieren.<br />
Welche Perspektive geben Sie einem jungen Menschen, den Sie<br />
heute für eine Karriere in der Ersten anwerben wollen? Es gibt<br />
Entwicklungsmöglichkeiten in alle Richtungen. In einem so großen<br />
Unternehmen gibt’s fast alle Arten von Jobs: Lehrlinge, Kundenbetreuer,<br />
Risikomanager, Juristen, Marketingleute usw. – und es ist keine<br />
Seltenheit, dass ein Lehrling es bis zum Filialdirektor hier geschafft<br />
hat. In einer Bank zu arbeiten ist nach wie vor ein toller Job. Auch<br />
wenn seit der Finanzkrise manche das Gegenteil behaupten.<br />
Andreas Treichl absolvierte nach dem Studium der Volkswirtschaft mehrere<br />
Traineeprogramme in New York, wo er 1977 bei der Chase Manhatten Bank seine<br />
Banklaufbahn begann. Diese führte ihn über einen Zeitraum von 15 Jahren nach<br />
Brüssel, Athen und Wien. Im Jahr 1994 wurde Treichl Mitglied des Vorstandes der<br />
Erste Österreichische <strong>Sparkasse</strong> und am 1. Juli 1997 dessen Vorstandsvorsitzender.<br />
211
Auch wenn die Wiener Börse auf der Bühne der globalen Aktienmärkte<br />
nur eine ganz kleine Rolle spielt, so konnte sie sich doch des Öft<br />
eren gehörig in Szene setzen ... allerdings in beiden Richtungen.<br />
Kursvervielfachungen in relativ kurzen Zeitphasen wurden von extremen<br />
Abstürzen abgelöst – und umgekehrt. Mal standen die Austroaktien<br />
im Banne der internationalen Ereignisse, mal koppelten sie sich davon<br />
total ab, mal gab es eine hausgemachte Hausse 1 – und auch Baisse 2 , mal<br />
eine Siebenschläferphase. Immer wieder war der heimische Aktienmarkt<br />
auch für Überraschungen gut – ebenfalls in beiden Richtungen.<br />
Kneippkuren gab es jedenfalls im letzten Vierteljahrhundert ausreichend,<br />
damit aber oft auch enorme Kurschancen für mutige und antizyklisch<br />
agierende Investoren. Kleine Börsen, und mit einem Anteil von<br />
unter einem halben Prozent gemessen an der Weltbörsenkapitalisierung<br />
zählt Wien eben dazu, zeichnen sich durch hohe Volatilitäten und damit<br />
Kursbocksprüngen genauso aus wie durch international betrachtet<br />
geringe Umsätze, die eben diese Fluktuationen nach oben und unten<br />
mitverantworten.<br />
Wir beginnen unsere Zeitrechnung etwas früher, da in der globalen<br />
Börsegeschichte im Spätsommer 1982 eine der kräftigsten Haussephasen<br />
des letzten Jahrhunderts startete, nachdem eine schwere Rezession<br />
ihr Ende fand. Der weltweit am meisten beachtete Börsenindex, der 30<br />
Industrieaktien umfassende Dow Jones Industrial Index, lag im August<br />
1982 noch unter 800 Punkten, zum Jahresende waren es dann schon<br />
1070,55 Punkte und heute liegen die Werte bei etwa 13.000.<br />
212<br />
<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse –<br />
Rückblick, Status und Ausblick<br />
von Franz Gschiegl<br />
<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse: eine bewegte Geschichte. <strong>25</strong> Jahre sind<br />
in der raschlebigen und hektischen Finanzwelt eine fast endlos<br />
erscheinende Zeitspanne. Trotzdem blicken wir kurz zurück und<br />
stellen dann die Wiener Börse hinter den Röntgenschirm für eine<br />
aktuelle anatomische Analyse.<br />
1 Phase steigender Kurse von Wertpapieren, Devisen etc.<br />
2 Baisse steht für anhaltend sinkende Kurse an den Börsen.
Die Börse Wien<br />
(Foto: Paul Weber/fotolia.de)<br />
An der Wiener Börse ging diese globale Trendwende allerdings fürs<br />
Erste einmal vorbei, der damals repräsentative Wiener Börse kammerindex<br />
fiel noch im Oktober auf 96,44 – den tiefsten Stand seiner Geschichte.<br />
14 Jahre davor, also 1968, lag der Startwert bei 100 (den ATX<br />
gibt es erst ab 1991, er wurde aber bis 1986 rückgerechnet).<br />
Das Jahr 1982 endete dann in Wien mit einem Minus von 6,65<br />
Prozent, während nahezu alle Weltbörsen mit einem kräftigen Plus<br />
abschlossen. Der heimische Aktienmarkt wurde vorerst von der internationalen<br />
Trendwende nicht angesteckt, erst gegen Jahresende<br />
zeigten sich leichte Kursanstiege. Schlechte Unternehmensergebnisse,<br />
Dividendenausfälle, weiter abnehmender Streubesitz und allgemeines<br />
Desinteresse der Anleger waren die entscheidenden Bremsklötze. So<br />
lag der gesamte Jahresumsatz der sowohl börslich als auch außerbörslich<br />
gehandelten Austroaktien bei knapp über einer Milliarde Schilling,<br />
also etwa 70 Millionen Euro.<br />
Überhaupt, so ändern sich die Zeiten: Das Interesse der Investoren<br />
fokussierte sich auf den heimischen Anlei henmarkt, gab es doch<br />
für beste Bonitäten noch Renditen von 10,6 Prozent, nachdem 1981<br />
sogar kurzfristig elf Prozent angeboten wurden – damals noch ohne<br />
Besteuerung der Zinsen.<br />
213
Etwas verspätet gab es dann doch im zweiten Halbjahr 1983 auch in<br />
Österreich kräftig steigende Aktienkurse, 1984 war wiederum von einer<br />
Verschnaufpause geprägt. 1985 sorgte dann Wien erstmals (zumindest<br />
nach dem Börsencrash vom 8. Mai 1873) für internationale Schlagzeilen,<br />
wurde doch vom Großinvestor Jim Rogers die Wiener Börse als unterbewerteter<br />
Geheimtipp in der US-Wochenzeitschrift »Barron’s« ganz groß<br />
in die Auslage gestellt. Noch heute träumen viele heimische Börsianer<br />
vom berühmten Prinzen, der das Dornröschen wach küsste. Die Aktien<br />
des Magnesitproduzenten Veitscher (übrigens auch mit einem riesigen<br />
eigenen Wertpapier-Portefeuille) war 1985 mit + 344 Prozent der<br />
Highflyer, über den gesamten Börsezyklus war die Kahane-Holding<br />
»Montana« der Star mit einem Plus von fast 1000 Prozent (!).<br />
Zur damaligen Zeit überwogen in Wien noch<br />
die Einheitsnotierungen, das heißt, bei den<br />
meisten Aktien gab es nur einen Kurs pro<br />
Börsetag. Des Öfteren gab es sogar aufgrund<br />
eines Nachfrage- oder Angebotsüberhanges<br />
gar keine Umsätze, sondern nur eine Notiz mit<br />
dem Zusatz G (für Geld), was eine zu hohe Nachfrage bedeutete, oder rG<br />
(für repartiert Geld), wobei mindestens <strong>25</strong> Prozent des Kaufwunsches<br />
bedient wurden. In die Gegenrichtung ging es dann mit W (für Ware)<br />
und rW (für repartiert Ware). Die Tageskursveränderung war mit zehn<br />
Prozent begrenzt. Dies führte nicht selten dazu, dass ein »Favorit« umsatzlos<br />
einige Tage mit einer »G-Notiz« jeweils um zehn Prozent stieg<br />
und der Trend dann allerdings oft auf eine rW- und W-Notiz umschlug.<br />
Naja, immerhin ein interessantes Austriacum.<br />
»Bei den meisten<br />
Aktien gab es 1985<br />
nur einen Kurs pro<br />
Börsetag.«<br />
Nach dem Weltbörsencrash vom Oktober 1987 (wobei der Einbruch zwar<br />
heftig, aber nur kurzfristig war und die meisten Börsen das Kalenderjahr<br />
sogar noch mit einem Plus abschlossen) setzte sich die 1982 begonnene<br />
Megahausse fort und brachte auch der heimischen Börse im Zeitraum von<br />
Februar 1988 bis Februar 1990 eine Indexvervierfachung im schon zurückgerechneten<br />
ATX von 434 Punkten auf etwa 1800 Zähler. Der Fall der<br />
Berliner Mauer und die nachfolgende Öffnung Osteuropas waren dabei<br />
die Trendbeschleuniger. Mit der Kuwaitkrise stürzten die Austroaktien<br />
dann um etwa zwei Drittel in den nachfolgenden zwei Jahren ab. Danach<br />
folgte ein lang anhaltender Seitwärtstrend und erst 14 Jahre später,<br />
214
also im Jahre 2004, konnte der ATX seine historischen Höchststände<br />
überbieten.<br />
Dazwischen platzte noch die »TMT«-Blase,<br />
eine internationale Megahausse, die von<br />
Technologie-, Medien- und Telekomaktien<br />
getragen wurde. Mit dem Beginn des Internetzeitalters<br />
wurden vor allem Technoaktien<br />
extrem nach oben gepusht, wobei die Mehrheit<br />
der Titel kaum über einen fundamentalen<br />
Hintergrund oder gar schwarze Bilanzzahlen verfügten. In Wien<br />
waren (Gott sei Dank!) diese drei Branchen kaum vertreten, die wenigen<br />
Highflyer wie Cybertron oder Y-Line gingen schlussendlich auch<br />
pleite. Auch für gestandene Börsianer war das Geschehen auf dem<br />
»Neuen Markt« in Deutschland eine neue Erfahrung, gab es doch in<br />
diesem speziellen »TMT«-Segment nach Indexvervielfachungen einen<br />
Indexrückgang um über 90 Prozent (!), was die Auflösung des gesamten<br />
Neuen Marktes zur Folge hatte.<br />
»Mit dem Beginn des<br />
Internetzeitalters<br />
wurden vor allem<br />
Technokatien extrem<br />
nach oben gepusht.«<br />
Einige Tapfere der »Überlebenden« fanden sich dann im neu gegründeten<br />
»Tec-DAX« wieder. Kleine Anekdote: Am Top dieser Hausse wollte<br />
sogar Dieter Bohlen mit »Modern Talking« an die Börse gehen und hatte<br />
sich schon eine Bewertung eingeholt.<br />
Ziemlich exakt drei Jahre gingen dann die Weltbörsen auf Tauchstation,<br />
genau vom März 2000 bis März 2003. Nachdem Wien dieses Thema so gut<br />
wie nicht spielte, waren auch die Kursverluste »überschaubar«. Wien war<br />
dann neben New York auch die einzige Börse, die schon im Oktober 2002<br />
drehte, die anderen eben erst im darauffolgenden März.<br />
In knapp fünf Jahren zeigte dann der ATX seine bisher beste Performance,<br />
stieg er doch um das Fünffache an. Konkret lag der Ausgangswert<br />
am 11. Oktober 2002 bei 1014,02 und der Intraday-Höchstkurs<br />
am 9. Juli 2007 bei tollen 5010,93 Punkten. Daneben gab es noch<br />
eine austrospezifische Hausse bei den alsbald heillos überbewerteten<br />
Immobilienaktien, die sich vorerst vervielfachten, dann aber mit einem<br />
Minus von etwa 90 Prozent im IATX (dem Immobilien-ATX) dem ehemaligen<br />
»Neuen Markt« Konkurrenz machten.<br />
215
Im Zuge der bekannten Finanzkrisen (US-Subprime, dann Lehman-Pleite<br />
und die nachfolgenden »Lawinen«) ging auch die Wiener Börse zu einem<br />
Sturzflug über und verlor in 20 Monaten 72,5 Prozent. Am 9. März 2009<br />
drehten dann mit den Weltmärkten auch die Wiener Titel und legten in<br />
der ersten kräftigen technischen Gegenbewegung in sieben Monaten<br />
wieder 100 Prozent zu. 2011 kam es dann im Zuge der Zuspitzung<br />
der Staatsschuldenkrisen zu einem gehörigen Einbruch vor allem der<br />
Finanztitel, wobei Österreich auch im internationalen Vergleich zu den<br />
größten Verlierern zählte. Am 23. November 2011 kam der ATX-Absturz<br />
bei einem Niveau von 1653 Punkten dann zum Stillstand und konnte<br />
sich dann im letzten Jahr (2012) sukzessive wieder auf 2200 Zähler<br />
zurückkämpfen.<br />
Eine Erfolgsstory auf dem heimischen Kapitalmarkt soll nicht verschwiegen<br />
werden: Gab es 1982 lediglich zwei österreichische Fondsgesellschaften,<br />
die in zwölf Fonds gerade einmal eine halbe Milliarde<br />
verwalteten, so sind es zur Zeit 22 Kapitalanlagegesellschaften, die<br />
in 2159 Fonds 134,6 Milliarden betreuen. Sie sind somit auch wichtige<br />
Teilnehmer am heimischen Börsegeschehen.<br />
Auch wenn die heimischen Aktien 2012 deutlich hinter der Performance<br />
vieler Weltbörsen nachhinkten, zählen sie weiterhin zu den<br />
vernachlässigten Favoriten. Es liegt nach wie vor eine attraktive<br />
Bewertung gemessen an den klassischen Börsekennzahlen (wie Kurs-<br />
Gewinn-Verhältnis, Kurs-/Buchwert, Dividendenrendite, Cashflow<br />
etc.) vor, Österreich weist im EU-Raum eine überdurchschnittlich<br />
gute Konjunktursituation auf, die Zinsen werden niedrig bleiben, was<br />
Aktien interessanter macht, die meisten Investoren haben die Hausse<br />
verpasst und weisen zu geringe oder gar keine Aktienpositionen auf,<br />
sukzessive nimmt die Risikobereitschaft der Anleger wieder zu.<br />
Als Bremsen sind die stark reduzierte Osteuropa-Fantasie, die Angst<br />
vor weiteren Krisen, neue steuerliche Belastungen, die ungelöste<br />
Staatsschulden-Problematik und das internationale Desinteresse an<br />
Österreich zu nennen.<br />
Das Börsejahr 2012 war von einer selten zu beobachtenden, aber erfreulichen<br />
Besonderheit geprägt: Nahezu alle Wertpapierkategorien und<br />
216
Handelsüberwachungsraum<br />
(Foto: Wiener Börse)<br />
Weltbörsen wiesen ein Plus auf, wenn man von ein paar Exoten absieht.<br />
Es gibt in der Börsegeschichte nur wenige Zeitfenster, in denen unisono<br />
Aktien und Anleihen über sehr weite Strecken Kursanstiege aufwiesen,<br />
wobei im Segment der Anleihen sich auch die Plusstände über alle<br />
Bereiche erstreckten, egal, ob man mündelsichere Papiere oder hochverzinste<br />
Risikoanleihen hielt, egal, ob sie im Euro-Land-Bereich oder<br />
in den Schwellenländern angesiedelt waren.<br />
Die meisten Dividendenwerte zeigten nach einem enttäuschenden<br />
Aktienjahr 2011 im Jahr 2012 in zwei Aufwärtsphasen teils kräftige<br />
Kursgewinne, der erste Schwung zog sich vom Jahresbeginn bis in<br />
den April hinein, nach einer Verschnaufpause mit entsprechender<br />
Gegenbewegung ging es dann nochmals vom Juni bis Anfang Oktober<br />
nach oben. Im vierten Quartal gab es dann wieder eine Verschnaufpause.<br />
Die zahlreichen Krisen führten 2011/2012 bei vielen Anlegern zu neuerlichen<br />
Resignationen, zu Wertpapierdepot-Auflösungen und damit entweder<br />
zu Dotierungen der Sparbücher, zu Käufen von Staatsanleihen<br />
höchster Bonität hin bis zur Nullverzinsung, zur Flucht in Immobilien<br />
und, dieses Mal etwas abgeschwächter, zum Kauf von Edelmetallen. Die<br />
Einlagensicherung mit bis zu 100.000 Euro pro Person und Institut war<br />
und ist ein beliebtes Argument, um Geld zu »bunkern« oder zumindest<br />
217
vorübergehend Munition trocken zu halten. Dies führte beispielsweise<br />
in Österreich und in Deutschland zu täglich fälligen rekordhohen<br />
Sparbucheinlagen.<br />
Die nahe dem Gefrierpunkt liegende Verzinsung spielte dabei keine<br />
Rolle, auch die Inflation mit zuletzt 2,8 Prozent 3 war nicht beängstigend<br />
im Sinne eines längerfristigen Kaufkraftverlustes. Ja, die meisten<br />
Investoren würden sogar eine höhere Inflation bei unveränderten<br />
Zinsniveaus akzeptieren, da sie dies quasi als »Versicherungsprämie« für<br />
ihr heiliges Sparbuch werten. »Cash is king« oder auf gut Wienerisch:<br />
»Cash is fesch« war die klare Devise – zum Teil auch von alten Börsehasen.<br />
Das »Bunkern« ist eine durchaus verständliche<br />
Reaktion, liegt es doch in der Natur jeden<br />
Anlegers, dass er in erster Linie einmal kein<br />
Geld verlieren will – und wenn aktuell keine<br />
interessanten Ertragschancen in Sicht sind,<br />
so muss man wohl geduldig zuwarten, bis die<br />
Gewitterwolken abziehen. Dabei ist psychologisch leicht nachvollziehbar,<br />
dass die jüngsten (leider überwiegend negativen) Ereignisse stärker das<br />
Handeln beeinflussen als die langfristige Statistik und Erfahrung. Gleich<br />
hat man das Thema des »Paradigmenwechsels« bei der Hand – eine probate<br />
Entschuldigung für orientierungslose Anleger.<br />
»Das »Bunkern«<br />
ist eine durchaus<br />
verständliche<br />
Reaktion.«<br />
Jedenfalls sei die allerwichtigste Erkenntnis aus den letzten Jahrzehnten<br />
im Börsegeschehen leicht zusammengefasst: Die Aufteilung<br />
des Vermögens auf mehrere »Assetklassen« wie Aktien, Anleihen,<br />
Gold, Devisen, Rohstoffe, Immobilien etc. bringt eben eine vernünftige<br />
und langfristig ertragreiche Risikostreuung, eben die viel zitierte<br />
Diversifikation, mit sich. Konkret und besonders exemplarisch: Auch<br />
wenn man in den letzten Jahrzehnten unglücklicherweise gerade knapp<br />
vor dem Eintritt eines unglücklichen Ereignisses investiert hat, ergab<br />
sich schon drei und fünf Jahre später ein zweistelliger Gesamtertrag –<br />
sofern man seine Gelder auf mehrere Anlageklassen aufgeteilt hatte.<br />
Einmal stieg der Ölpreis extrem an, dann waren es wieder die Aktien<br />
oder – wie zuletzt – die »simplen« Staatsanleihen bester Bonität.<br />
Investmentfonds sind dabei per Definition das ideale Vehikel, um an<br />
den Wertpapiermärkten eine entsprechende Streuung zu erzielen, wobei<br />
3 Stand November 2012<br />
218
gerade in Krisenzeiten das »Miteigentum« in Form des Sondervermögens<br />
zusätzlich einen wichtigen Aspekt darstellt.<br />
Wie eingangs erwähnt starteten die Aktienbörsen im ersten Quartal<br />
(für viele Anleger ziemlich unerwartet) kräftig durch und zeigten<br />
nach den ersten drei Monaten schon Erträge, die an langfristige<br />
Jahresperformance-Zahlen erinnerten. Mitte März riss jedoch der Faden<br />
und die Dividendenwerte traten wiederum den Rückmarsch an. Das<br />
»griechische Drama« und die »spanische Grippe«, also die Zuspitzung der<br />
Schuldenkrisen in Griechenland und Spanien, waren neben dem schwächeren<br />
Tempo der Weltkonjunktur-Lokomotive China und den vielerorts<br />
auch politischen Veränderungen die Hauptgründe für den Rückzug der<br />
Aktionäre.<br />
Im Zuge des Angstszenarios fielen die Renditen der sichersten Staatsanleihen<br />
auf historische Tiefstniveaus, etwa in Deutschland bei zehnjährigen<br />
Papieren auf 1,2 Prozent, für zweijährige Anleihen gab es<br />
phasenweise überhaupt keine Zinsen, womit man bei der jahrelang<br />
zitierten »Nullzinspolitik Japans« angelangt war. Die tiefschürfende<br />
Angst der Anleger hatte allein den Substanzerhalt in den Vordergrund<br />
gespült, das Ertragsdenken, also das ökonomisch sinnvolle Streben nach<br />
entsprechender Vermögensvermehrung, hatte keine Gültigkeit mehr.<br />
Wer kauft mit welcher Strategie nun Papiere mit keiner oder nur einer<br />
geringen Verzinsung?<br />
Die Aktienbörsen als sensibelste Barometer lieben Unsicherheiten schon<br />
einmal gar nicht, umso weniger, wenn sie – wie beim Griechendrama –<br />
nun schon über zwei Jahre anhalten.<br />
Ist lehrbuchmäßig eine Vielzahl von Rahmenbedingungen für einen<br />
Aktienkurs verantwortlich, so kann doch über gewisse Zeitstrecken<br />
ein einziger Belastungsfaktor (seltener: ein einziges positives Argument)<br />
kursbestimmend sein. Dann spielen attraktive fundamentale<br />
Bewertungen, positive Zukunftsperspektiven, ansprechende langfristige<br />
Statistiken und extrem niedrige Kurse eben keine Rolle, die »Baisse<br />
nährt die Baisse«, die Angst, es könnte noch schlimmer kommen, beschleunigt<br />
noch die Abwärtsspirale. Massiver Abgabedruck trifft auf<br />
bescheidenes Kaufinteresse, wodurch die Kurse neuerlich purzeln.<br />
219
Das Ende der Baisse ist dann durch eine<br />
Verkaufspanik der letzten verbliebenen und<br />
bis zu diesem Zeitpunkt geduldigen Anleger<br />
geprägt, womit allerdings der Nährboden<br />
für die nächste Hausse gegeben ist. Nun haben<br />
alle verkauft, die »raus« wollten, egal um welchen Preis. Der<br />
Abgabedruck ist weg und schon eine geringe Nachfrage einiger mutiger<br />
und frühzeitiger Investoren führten dann bei wenig Handelsvolumen<br />
zu rasch steigenden Kursen, da bei den niedrigen Preisen ja nun kaum<br />
noch jemand verkaufen will.<br />
Nahezu alle<br />
bedeutenden Börsen<br />
endeten 2012 im Plus<br />
Bei aller Schwarzmalerei sah es aber tatsächlich für die Aktionäre 2012<br />
dann eigentlich recht gut aus, nahezu alle bedeutenden Börsen endeten<br />
im Plus.<br />
Wir wollen Ihnen die wichtigsten Rahmenbedingungen für die<br />
Wert papiermärkte für die nächsten sechs bis zwölf Monate nun<br />
gegenüberstellen.<br />
Nachdem unverändert die Schwarzmaler in der Mehrheit sind, sollen die<br />
Pessimisten zuerst zu Wort kommen.<br />
Die Baissiers führen folgende Fakten an, die fallende Kurse erwarten<br />
lassen:<br />
• Die Schuldenberge wachsen überdimensional und können nur<br />
langfristig mit einschneidenden Maßnahmen abgebaut werden.<br />
• Ausgehend von einer Wirtschaftsabschwächung in den USA wird<br />
auch die gesamte Weltwirtschaft leiden.<br />
• Die hoch gelobten »BRIC«-Staaten müssen mit vielen Problemen<br />
fertig werden, dies wird auch die westliche Welt belasten.<br />
• Dabei fällt insbesondere China als Weltkonjunktur-Lokomotive aus.<br />
• Politische Veränderungen verunsichern die Börsianer.<br />
• Die Krisen in Nordafrika und dem Nahen Osten weiten sich<br />
neuerlich aus.<br />
• Die Immobilienblase in China platzt und reißt die gesamte<br />
Wirtschaft mit.<br />
• Flops bei Neuemissionen wie facebook verärgern die Aktionäre.<br />
220
• Generell ist das Übel der Finanzkrise nicht beseitigt, sondern die<br />
Entscheidungen sind nur vertagt.<br />
• Das Image der »Finanzwelt« ist deutlich angeschlagen.<br />
• Die Anleger werden immer risikoscheuer und bunkern sich ein.<br />
• Die sieben mageren Jahre dauern einfach noch an.<br />
Diese Argumente sprechen hingegen für einen kräftigen Aufschwung<br />
und einen heiteren Börsehimmel:<br />
• Die Zinsen werden niedrig bleiben; sobald die Angst weicht und das<br />
Ertragsdenken wieder zunimmt, werden Sparbuchgelder zum Teil in<br />
Wertpapiere umgeschichtet werden.<br />
• Die Bewertung der Aktien ist mehr als fair, zum Teil sogar niedrig<br />
im historischen Vergleich.<br />
• Wer verkaufen wollte, der hatte bereits ausreichend Zeit und<br />
Gelegenheit dazu, die Aktien sind daher immer mehr in »starken<br />
Händen«.<br />
• Gestählt aus der Krise: Negative Nachrichten haben sich in den letzten<br />
Monaten überschlagen, trotzdem hat sich die Börse gut gehalten.<br />
• »Geld regiert die Welt«: Noch nie gab es so viel Cash, was früher<br />
oder später ertragreiche Anlagemöglichkeiten suchen wird. Der<br />
Anlage- und Performancedruck mancher Kapitalsammelstellen<br />
wie Pensionskassen, Versicherungen und SWFs (Sovereign Wealth<br />
Funds) steigt enorm, der ertragsarme Geld- und Rentenmarkt<br />
muss sukzessive verlassen werden. So hat beispielsweise China<br />
Währungsreserven von 3200 Milliarden Dollar, die alle 1,5 Minuten<br />
um eine Million zunehmen.<br />
• Alternative Veranlagungen zu Aktien sind mit geringen Zinsen<br />
versehen oder extrem spekulativ, auch Hedgefonds haben 2012 in<br />
Summe enttäuscht.<br />
• Die Wirtschaft tritt zwar leiser, bleibt aber auf Wachstumskurs.<br />
• Die USA könnten wiederum zu ihrer alten Rolle als Weltkonjunktur-<br />
Lokomotive zurückkehren.<br />
• Der private Konsum wird insbesondere in den Schwellenländern<br />
kräftig wachsen, auch wenn aktuell da und dort eine kleine Pause<br />
eingelegt wird.<br />
• Viele Medien bringen bereits »Notfallpläne für Ihr Geld« – immer ein<br />
gutes Anzeichen für eine baldige Trendwende.<br />
221
Der Börsehimmel wird auch 2013 gelegentlich durch Gewitterwolken eingetrübt<br />
sein. Zu viele Belastungsfaktoren bremsen den Elan der Börsen.<br />
Die Geduld der Anleger wurde schon in den letzten Jahren sehr strapaziert<br />
und könnte durch neue negative Nachrichten platzen.<br />
Nachdem man beim Aufziehen von<br />
Gewitterwolken eher das sichere Gelände<br />
nicht verlassen sollte, empfehlen wir auch den<br />
Anlegern etwas Munition trocken zu halten.<br />
Größere Rückschläge sind allerdings an den<br />
Aktienmärkten eher nicht zu befürchten, weshalb mutigere Investoren<br />
schwache Börsetage zu Käufen in Etappen gemäß der Eichhörnchentaktik<br />
nützen sollten. Wie erwähnt sind die Dividendenwerte auf tieferen<br />
Niveaus durch ihre Bewertung gut abgesichert und 2013 sollte wiederum<br />
entsprechende Kursgewinne ermöglichen.<br />
Größere Rückschläge<br />
sind 2013<br />
nicht zu befürchten<br />
Emerging Markets haben schon einen Teil der Talfahrt hinter sich und<br />
sollten wieder die Outperformer in einem freundlicheren Umfeld sein.<br />
Dabei sind Hongkong (als Chinaplay) und die Türkei (im November<br />
2012 auf Rekordhoch!) die Favoriten, besonders spekulativ eingestellte<br />
Investoren sollten auch die Reboundchancen von Moskau einbeziehen.<br />
Franz Gschiegl ist Volkswirt und Jurist und seit etwa 30 Jahren<br />
Börse- und Finanz marktexperte. Seit 1991 ist er Mitglied des<br />
Vorstands der ERSTE-SPAR INVEST sowie der ERSTE IMMOBILIEN<br />
KAG. Er hat zahlreiche einschlägige Bücher zu Themen wie<br />
Veranlagung, Bank und Börse geschrieben und ist Referent bei<br />
diversen Fachveranstaltungen. Außerdem ist Gschiegl ständiger<br />
Autor des Monatsmagazins GEWINN.<br />
222
Der Euro – scheitert Europa<br />
an seiner eigenen Währung?<br />
von Rainer Münz und Bernadett Povazsai-Römhild<br />
Der Euro ist die gemeinsame Währung der Europäischen Union.<br />
Er hat eine längere Vorgeschichte. Erst seit einem Jahrzehnt im<br />
Umlauf, muss er sich Herausforderungen stellen.<br />
Erste Ideen zu einer gemeinsamen europäischen Währung entstanden bereits<br />
1957 mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />
(EWG), dem Vorläufer der EU. Die EWG hatte den Aufbau eines gemeinsamen<br />
Marktes, also die Erleichterung von Handel, Arbeitsmigration<br />
und Geldverkehr, zwischen ihren Mitgliedsstaaten – das waren Belgien,<br />
Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – zum<br />
Ziel. Die Staaten des Westens hatten damals noch feste Wechselkurse<br />
untereinander sowie zum US-Dollar; als Leitwährung hatte der US-Dollar<br />
zugleich eine fixe Bindung an den Goldpreis.<br />
Mit dem Ende des Systems fester Wechselkurse stellte sich ab Anfang<br />
der 1970er-Jahre die Frage, wie sich die Wechselkursschwankungen<br />
zwischen den europäischen Währungen des gemeinsamen Marktes<br />
reduzieren ließen. Eine Expertengruppe unter Vorsitz des damaligen<br />
luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner schlug<br />
eine europäische Währungsunion vor. Danach einigten sich die<br />
EWG-Staaten auf ein Europäisches Währungssystem (EWS), in dem<br />
Währungsschwankungen innerhalb einer Bandbreite von ± 2,<strong>25</strong> Prozent<br />
zugelassen waren. Bei größeren Schwankungen mussten die<br />
Zentralbanken intervenieren, bis der fixierte Kurs wieder erreicht war.<br />
Drittwährungen, insbesondere dem US-Dollar gegenüber, konnten sich<br />
die Währungen des EWS frei bewegen.<br />
Das EWS trat 1979 in Kraft. Großbritannien wurde nach längerem Zögern<br />
erst 1991 Mitglied – und dies aus Prestigegründen mit einem zu hohen<br />
Kurs des Pfund gegenüber den anderen europäischen Währungen. Der<br />
Bank of England wurden die deshalb nötigen Interventionen auf dem<br />
Devisenmarkt bald zu teuer, worauf hin Großbritannien das System der<br />
festen Wechselkurse schon ein Jahr später wieder verließ. Das Britische<br />
223
Verwendung des Euro in Europa<br />
Eurozone<br />
Länder mit festem Wechselkurs gegenüber dem Euro<br />
EU-Mitglieder ohne festen Wechselkurs zum Euro<br />
Nicht-EU-Mitglieder mit Euro<br />
Quelle: Wikipedia<br />
Pfund wertete ab und George Soros, der im großen Stil auf eine solche<br />
Abwertung gewettet hatte, verdiente daran ein Vermögen.<br />
Die übrigen EU-Staaten beschlossen 1992 im Rahmen des Maastricht-<br />
Vertrages, der die EWG zur Europäischen Union (EU) machte, u. a. die<br />
Einführung einer gemeinsamen Währung. Um die Währung stabil zu<br />
halten, legte der Maastricht-Vertrag Obergrenzen bei den Staatsschulden<br />
von Euro-Ländern fest: Gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
eines Landes sollten die Schulden in Summe nicht mehr als<br />
60 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes ausmachen. Zudem sollte die<br />
jährliche Neuverschuldung durch ein Defizit im Staatshaushalt nicht<br />
mehr als drei Prozent des Brutto-Inlandsproduktes betragen. Das<br />
sind die beiden so genannten Maastricht-Kriterien. Ursprünglich sollten<br />
die Maastricht-Kriterien mittels Sanktionen durchgesetzt werden.<br />
Die gegen Defizitsünder vertraglich vorgesehenen Strafen durch<br />
die EU-Kommission wurden allerdings in der Praxis nie verhängt.<br />
Im Maastricht-Vertrag wurde auch vereinbart, dass die Euro-Staaten<br />
selbst in einer Währungsunion nicht wechselseitig für ihre Schulden<br />
haften, sondern jeweils für ihre nationalen Haushalte selber verantwortlich<br />
bleiben. Dies ist die viel zitierte »No Bailout«-<br />
Klausel des Maastricht-Vertrages. Durch die seit 2010 ergriffenen<br />
224
Verwendung des Euro außerhalb Europas<br />
Afrikanische Gebiete mit Euro<br />
Afrikanische Gebiete mit an den<br />
Euro gebundenen Währungen<br />
Quelle: Wikipedia<br />
Rettungsmaßnahmen in der Euro-Krise wurde diese »No Bailout«-<br />
Klausel faktisch außer Kraft gesetzt.<br />
1998 erfolgte die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB).<br />
Zugleich wurden die endgültigen Wechselkurse der nationalen<br />
Währungen zum zukünftigen Euro festgelegt. Der Euro wurde 1999 als<br />
Buchgeld und 2002 als Bargeld eingeführt. Er löste damit die nationalen<br />
Währungen als Zahlungsmittel in fast allen damaligen EU-Staaten ab.<br />
Die meisten Europäerinnen und Europäer zahlen seither mit Euro und<br />
Cent. Nur Schweden und Dänemark behielten ihre jeweiligen Kronen<br />
und Großbritannien das Pfund. 2007 stieß Slowenien zur Euro-Zone,<br />
2008 folgten Zypern und Malta, 2009 die Slowakei und 2011 Estland.<br />
Heute sind 17 EU-Mitgliedsstaaten in der Euro-Zone. Darüber hinaus<br />
verwenden die Zwergstaaten Monaco, San Marino und Vatikanstadt den<br />
Euro als Landeswährung und prägen eigene Euro-Münzen. Mit Andorra,<br />
Kosovo und Montenegro haben drei weitere Nicht-EU-Staaten den Euro<br />
als Landeswährung, allerdings ohne eigene Euro-Münzen.<br />
Einige andere Länder haben einen festen Wechselkurs zwischen<br />
ihren Landeswährungen und dem Euro. Innerhalb der EU gilt dies für<br />
Bulgarien, Dänemark, Lettland und Litauen. Aber auch der Nicht-EU-<br />
Staat Schweiz hat einen festen Kurs für den Umtausch von Franken<br />
2<strong>25</strong>
Zinssatzentwicklung ausgewählter Euro-Länder<br />
für 10-jährige Staatsanleihen, 1995–2012 (in % p.a.)<br />
Griechenland Portugal Österreich<br />
Deutschland Irland Spanien<br />
30.0<br />
22.5<br />
15.0<br />
7.5<br />
’95 ’96 ’97 ’98 ’99 ’00 ’01 ’02 ’03 ’04 ’05 ’06 ’07 ’08 ’09 ’10 ’11 ’12<br />
Quelle: Thomson Reuters, Erste Group Research<br />
0.0<br />
und Euro fixiert. Ähnliches gilt für Bosnien und für die Staaten der<br />
westafrikanischen Gemeinschaftswährung CFA. Außerhalb Europas<br />
wird der Euro in den zu Frankreich gehörenden Übersee-Departements<br />
Guadeloupe, Martinique, Französisch Guyana, Mayotte und Réunion<br />
sowie in den Übersee-Territorien Miquelon und St. Pierre und<br />
St. Martin verwendet.<br />
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre nahm ihren<br />
Anfang außerhalb Europas. Sie wurde einerseits durch das Platzen<br />
der US-amerikanischen Immobilienblase, vor allem durch die Vergabe<br />
von Krediten an wenig zahlungskräftige Hauskäufer (»Subprime«) und<br />
andererseits durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers ausgelöst.<br />
2009 erreichte die Krise Europa: Auch bei uns mussten Banken<br />
und Autoproduzenten mit Staatsgeld gerettet werden. Die Wirtschaft<br />
fast aller EU-Staaten erlebte einen Abschwung, die Steuereinnahmen<br />
verringerten sich, die Staatsausgaben nahmen zu.<br />
Vor allem gegenüber wirtschaftlich schwächeren Ländern wie<br />
Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien und Zypern bestehen<br />
seither erhebliche Zweifel, ob sie ihre Schulden je wieder voll zurückzahlen<br />
können. Das zeigt sich in den seit dem Ausbruch der Krise deutlich<br />
gestiegenen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen dieser Länder.<br />
226
Entwicklung des Wechselkurses US-Dollar vs. Euro, 2002–2012<br />
(US-Dollar für 1€)<br />
1.6<br />
1.4<br />
1.2<br />
1.0<br />
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
Quelle: OeNB<br />
0.8<br />
Zuvor wurden alle 17 Länder der Euro-Zone vom internationalen<br />
Kapitalmarkt weitgehend gleich behandelt – trotz unterschiedlicher<br />
Wirtschafts- und Fiskalpolitik, trotz unterschiedlichen Wachstums,<br />
trotz unterschiedlichen Niveaus der Staatsschulden. Schon im Vorfeld<br />
der Euro-Einführung begannen sich die Zinsen für Staatspapiere der<br />
Euro-Länder stark anzunähern und erreichten Ende 2000 ein gemeinsames<br />
niedriges Niveau. Länder mit schwächerer Wirtschaft und weniger<br />
soliden Staatsfinanzen profitierten davon, weil sie sich relativ günstig<br />
finanzieren konnten. Dies förderte weder die nationale Budgetdisziplin<br />
noch die Einhaltung der Maastricht-Kriterien. Nicht vergessen sollten<br />
wir dabei: Schon bei der Einführung des Euro im Jahr 2002 lagen mehrere<br />
Länder über den festgelegten Schulden-Obergrenzen. In den Jahren<br />
danach verstießen die meisten Euro-Länder, darunter auch Deutschland<br />
und Österreich, mehrmals gegen eines der beiden Maastricht-Kriterien<br />
oder gegen beide gleichzeitig.<br />
Dabei war die neue Währung anfangs ein großer Erfolg: Wechselspesen<br />
fielen weg, Firmen mussten innerhalb Europas kein Wechselkursrisiko<br />
mehr befürchten, der Handel zwischen EU-Ländern nahm zu. Die<br />
Währung gewann gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert: Bei seiner<br />
Einführung bekam man für einen Euro nur 90 US-Cent, 2008 war ein<br />
Euro hingegen einen US-Dollar und 60 Cent wert. Diese Wertsteigerung<br />
227
Interventionskapazität von EFSF und ESM (in Mrd. Euro)<br />
Kredite von EU-Staaten<br />
On-top Garantierahmen durch<br />
die Euro-Länder (für den Fall<br />
eines Zahlungsausfalls)<br />
Tatsächlicher Kreditrahmen<br />
garantiert durch die<br />
Euro-Länder<br />
Direkt einbezahltes<br />
Grundkapital, das ebenfalls<br />
an Euro-Länder verliehen<br />
werden kann<br />
60<br />
340<br />
440<br />
200<br />
420<br />
900<br />
675<br />
450<br />
2<strong>25</strong><br />
Quelle: EU<br />
EFSF<br />
80<br />
ESM<br />
0<br />
entstand nicht zuletzt, weil Russland, China und die Golfstaaten<br />
einen Teil ihrer Devisenreserven in Euro anzulegen begannen. Heute<br />
ist der Euro nach dem US-Dollar die wichtigste Reservewährung<br />
der Welt.<br />
Erst die Wirtschafts- und Finanzkrise machte die Schwächen der<br />
Währungsunion deutlich: Nun müssen 17 Euro-Länder unterschiedlicher<br />
wirtschafts- und fiskalpolitischer Charakteristika mit einem<br />
gemeinsamen Leitzinssatz und einer gemeinsamen Geldpolitik<br />
auskommen.<br />
All dies hat mit der unvollständigen Architektur Europas zu tun. Zwar verfügen<br />
die Staaten der Euro-Zone über eine gemeinsame Zentralbank (EZB)<br />
und ihre Finanzminister halten regelmäßig gemeinsame Treffen ab (Euro-<br />
Group), doch es gibt keine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik.<br />
Durch die gemeinsame Währung sind zwei Wege versperrt, die viele<br />
Länder in der Vergangenheit beschritten haben, um ihre Finanzprobleme<br />
in den Griff zu bekommen: erstens das Drucken von Geld, um den<br />
Staatshaushalt zu finanzieren, was eine höhere Inflation bewirkte,<br />
die einen Teil der Staatsschulden weginflationierte; und zweitens die<br />
Abwertung der eigenen Währung, um die Exporte billiger zu machen und<br />
dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder zu steigern.<br />
228
Die Krise zwingt die Euro-Länder Reformen anzugehen, die zwar<br />
schon längst auf der Agenda standen, aber in wirtschaftlich besseren<br />
Zeiten auf die lange Bank geschoben wurden. Zur Euro-Rettung wurde<br />
seit Beginn der Euro-Krise einiges unternommen. Die Maßnahmen<br />
umfassen Rettungsschirme, Intervention der EZB und eine größere<br />
Budgetdisziplin. Die Herausforderung wird sein, diese Maßnahmen effizient<br />
einzusetzen und dabei die gesunde Balance zwischen Sparen und<br />
Wachstum zu finden.<br />
Wichtigstes kurzfristiges Instrument der Krisenbekämpfung sind die<br />
so genannten Rettungsschirme: Der vorläufige Schirm EFSF (=European<br />
Financial Stability Facility), der seit August 2010 besteht, und der permanente<br />
Schirm ESM (=European Stability Mechanism), der seit Oktober<br />
2012 handlungsfähig ist.<br />
Mit den Hilfspaketen der Rettungsschirme sollen zahlungsunfähige<br />
Mitgliedsstaaten der Eurozone – unter wirtschaftspolitischen<br />
Auflagen – mit Krediten unterstützt werden. Zugleich darf der ESM<br />
in Schieflage geratene Banken direkt mit frischem Kapital ausstatten.<br />
Voraussetzung für eine solche direkte Rekapitalisierung von Banken ist<br />
allerdings entweder eine gemeinsame Euro-zonenweite Bankenaufsicht,<br />
die noch ins Leben gerufen werden muss, oder eine nationale Haftung<br />
für diese Mittel durch jenes Land, in dem die rekapitalisierten Banken<br />
ihren Sitz haben (Banken-Hilfsprogramm für Spanien).<br />
Seit 2010 bekamen Griechenland 276 Mrd. Euro, Irland 86 Mrd. Euro<br />
und Portugal 78 Mrd. Euro an Hilfen vom EFSF sowie Kredite des<br />
Internationalen Währungsfonds (IWF). Darüber hinaus wurde für<br />
Griechenland im März 2012 ein Schuldenschnitt privater Investoren<br />
in Höhe von ca. 100 Mrd. Euro vereinbart – ein weiterer Verzicht auf<br />
Forderungen ist nicht ausgeschlossen. Spanien beantragte 2012 einen<br />
Rahmen von bis zu 100 Mrd. Euro an frischem Kapital für seine Banken<br />
(tatsächliche Auszahlung 2012/13: ca. 40 Mrd. Euro). Zypern bat um bis<br />
zu 10 Mrd. Euro.<br />
Bei beiden Rettungsschirmen handelt es sich um Währungsfonds, die<br />
von allen Ländern der Euro-Zone gemeinsam finanziert werden bzw.<br />
mit einer Ausfallsgarantie ebendieser versehen sind. Finanzhilfe<br />
229
durch EFSF und ESM bedeutet, dass die betroffenen Länder keine<br />
eigenen Staatsanleihen auflegen und sich dadurch nicht mehr über<br />
den Kapitalmarkt finanzieren müssen, was erheblich teurer wäre.<br />
Stattdessen leihen sich die Rettungsschirme zu günstigen Konditionen<br />
Geld auf den Kapitalmärkten und reichen dieses Geld in Form moderat<br />
verzinster Kredite an jene Länder weiter, die damit ihre laufenden<br />
Haushaltsdefizite, alte Staatsschulden oder ihre in Not geratenen<br />
Banken finanzieren. Diese Hilfen sind an klare Auflagen geknüpft: Die<br />
betroffenen Länder müssen mehr Steuern einheben, Staatsausgaben<br />
begrenzen, ihrer Arbeitsmärkte flexibler gestalten, Staatsbetriebe<br />
privatisieren und nach Möglichkeit international wettbewerbsfähiger<br />
werden. Überwacht wird dies durch eine Troika aus Vertretern der<br />
EU-Kommission, des IWF und der EZB. Hoch verschuldeten Ländern<br />
verschafft diese Vorgehensweise zwar fiskalischen Spielraum, erspart<br />
ihnen aber nicht, strukturelle Reformen anzupacken.<br />
Neben den Rettungsschirmen spielt die EZB<br />
eine tragende Rolle bei der Krisenbekämpfung.<br />
Sie hat seit Beginn der Krise den Leitzinssatz<br />
reduziert, akzeptiert nun auch geringwertigere<br />
Staatsanleihen aus Krisenstaaten als Sicherheit und kauft von<br />
Zeit zu Zeit selbst Anleihen jener Länder, die sich nur noch zu hohen<br />
Zinssätzen verschulden können. Im Herbst 2012 gab die EZB bekannt,<br />
dass sie nun auch Anleihen mit kurzer Laufzeit von Problemstaaten<br />
in nicht limitierter Höhe zu kaufen gedenkt (so genannte »Outright<br />
Monetary Transactions«), sofern sich die betroffenen Länder zu bestimmten<br />
wirtschaftlichen und fiskalischen Reformen verpflichten.<br />
»Anleihen in nicht<br />
limitierter Höhe«<br />
Darüber hinaus stellt die EZB den Banken kurz- und mittelfristig<br />
Liquidität zur Verfügung. Denn viele Banken sind aufgrund des wechselseitigen<br />
Misstrauens vom weltweiten Handel der Banken untereinander<br />
(Geld, Wertpapiere, Devisen) abgeschnitten. 2011 und 2012 gab<br />
die EZB Europas Geschäftsbanken eine zusätzliche Liquidität in Höhe<br />
von rund 1000 Mrd. Euro zu günstigen Konditionen für einen Zeitraum<br />
von drei Jahren. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass die Banken<br />
dadurch ihre eigene wirtschaftliche Situation verbessern, vermehrt<br />
Staatsanleihen kaufen und Kredite an die Realwirtschaft vergeben können,<br />
um so das Wirtschaftswachstum mit anzukurbeln.<br />
230
Neu ist, dass die EZB in Kooperation mit nationalen Regulatoren ab<br />
2013–14 die Aufsicht über systemrelevante Banken der Euro-Zone ausüben<br />
soll.<br />
Auf politischer Ebene reagierten die EU-Staaten auf die Krise mit fiskalischen<br />
Reformen. Dazu gehören:<br />
• erstens die Begutachtung der Budgetentwürfe durch die EU-<br />
Kommission, bevor die nationalen Parlamente darüber abstimmen<br />
(Europäisches Semester);<br />
• zweitens die Verankerung von Schulden-Obergrenzen in der<br />
Verfassung als nationales Recht (Schuldenbremse), wozu sich bis<br />
jetzt alle EU-Mitgliedsländer – mit Ausnahme von Großbritannien<br />
und Tschechien – verpflichtet haben;<br />
• und drittens quasi-automatische Sanktionen in Form von empfindlichen<br />
Strafzahlungen bei der Verletzung von Budgetzielen.<br />
Im Zentrum der Krisenbekämpfung steht seit 2010 die Verringerung<br />
der laufenden Budgetdefizite. Einsparungen bei den Staatsausgaben<br />
und höhere Steuereinnahmen bedeuten allerdings auch weniger öffentlichen<br />
und privaten Konsum. Die verschärfte Haushaltsdisziplin<br />
bremst das Wirtschaftswachstum bzw. sie führt in den Krisenstaaten<br />
zu schrumpfenden Volkswirtschaften. Zugleich zeigt sich, dass die<br />
bisherigen Bemühungen in Summe keineswegs erfolglos sind. So<br />
sind einige Krisenstaaten wettbewerbsfähiger geworden, was sich<br />
an gesunkenen Lohnstückkosten, höheren Exporten und geringeren<br />
Leistungsbilanzdefiziten zeigt.<br />
Die Zukunft der Eurozone hängt daher nicht bloß von Rettungsmaßnahmen<br />
ab, sondern von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Was bringt der Austritt eines Landes aus der Euro-Zone?<br />
Vertraglich sind weder der Austritt eines Landes aus der Euro-Zone<br />
noch ein geordneter Staatsbankrott eines EU-Mitgliedsstaates geregelt.<br />
Dennoch werden solche Szenarien und deren mögliche finanziellen<br />
231
Folgen immer wieder erörtert. Im Zentrum der Diskussion steht dabei<br />
ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone (»Grexit«).<br />
Wie würde das konkret aussehen? Als erstes<br />
würden viele Griechen noch mehr Geld als bisher<br />
im Ausland in Sicherheit bringen. Dieser<br />
Kapitalabfluss wäre mit einem massiven<br />
Abzug von Guthaben bei Geschäftsbanken<br />
verbunden. Dies könnte zu gravierenden Liquiditätsengpässen führen<br />
und das 2012–13 frisch rekapitalisierte griechische Finanzsystem erneut<br />
in Schieflage bringen. Griechenland müsste relativ rasch eine neue<br />
Währung einführen und den Wechselkurs dieser zum Euro festlegen.<br />
Einmal in Umlauf gebracht, würde die neue Währung zum Euro binnen<br />
kürzester Zeit drastisch abwerten. Das hätte folgende Auswirkungen:<br />
Der »Fall des Falles«:<br />
Kapitalabfluss und<br />
Liquiditätsengpass<br />
• Die in Euro notierten öffentlichen Schulden blieben bestehen und<br />
wären schlicht nicht mehr finanzierbar. Ein weiterer Zahlungsausfall<br />
Griechenlands wäre die Folge.<br />
• Griechenland könnte infolge der Währungsabwertung durch günstigere<br />
Exporte an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Vor allem der<br />
zentrale Wirtschaftszweig Tourismus könnte davon profitieren.<br />
Gleichzeitig würden sich Importe verteuern, was einerseits die<br />
Nachfrage nach inländischen Produkten steigern, aber andererseits<br />
bei notwendigen Importprodukten wie Öl und Gas zu deutlichen<br />
Preissteigerungen führen.<br />
• Die Realwirtschaft würde noch eine Zeitlang weiter schrumpfen.<br />
Dieses Szenario klingt sowohl aus Sicht Griechenlands als auch aus Sicht<br />
der übrigen Euro-Länder wenig wünschenswert. Für Europa und die<br />
Weltwirtschaft wäre ein Staatsbankrott Griechenlands ökonomisch zwar<br />
durchaus verkraftbar. Aber es ist zu befürchten, dass die Kapitalmärkte<br />
bei einem Euro-Austritt Griechenlands auch die Zahlungsfähigkeit<br />
Irlands und Portugals, vielleicht sogar jene von Spanien und Italien<br />
in Frage stellen könnten. Käme es in der Folge tatsächlich zu hohen<br />
Zinsaufschlägen und zu Zahlungsschwierigkeiten größerer Euro-Länder,<br />
könnte dies nicht nur in diesen Ländern selbst, sondern auch global<br />
232
zu einer Rezession führen. Daher ist aus heutiger Sicht davon auszugehen,<br />
dass Griechenland den Euro behält, es aber zu einem zweiten<br />
Schuldenschnitt kommt. Die Steuerzahler der übrigen Euro-Staaten kostet<br />
dies auf jeden Fall etwas, weil das verliehene Geld kaum noch verzinst<br />
und wahrscheinlich nicht voll zurückgezahlt werden dürfte.<br />
Studien und Berechnungen zu einem möglichen Euro-Exit Griechenlands<br />
kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In einem Punkt sind<br />
sich die Untersuchungen aber einig: Wahrscheinlich würde ein Austritt<br />
mehr als die beschlossenen Rettungsmaßnahmen kosten. Aus diesem<br />
Grund ist die EU sehr bemüht, die gemeinsame Währung zu behalten<br />
und alles Notwendige zu deren Rettung zu unternehmen. Ob diese<br />
Strategie Erfolg hat und wie viel die Steuerzahler der reicheren Länder<br />
am Ende dafür zahlen müssen, wird sich erst in einigen Jahren abschätzen<br />
lassen.<br />
Rainer Münz leitet das Research & Knowledge Center der<br />
Erste Group und ist Vorsitzender im Erste School Board.<br />
Von 2008 bis 2010 war er Mitglied der »Reflexionsgruppe<br />
Horizont 2020–2030« der Europäischen Union (so<br />
genannter »EU-Weisenrat«).<br />
Bernadett Povazsai-Römhild war bis 2007<br />
Unternehmensberaterin bei Capgemini mit Fokus<br />
Bankensektor. Sie ist im Research & Knowledge Center<br />
der Erste Group tätig und spezialisiert auf die demographischen<br />
und volkswirtschaftlichen Entwicklungen<br />
in Zentral- und Osteuropa.<br />
233
Emerging Markets gibt es aber nicht nur in fernen und exotischen<br />
Re gionen in Fernost oder in Südamerika, sondern auch in unmittelbarer<br />
Nähe. Der Standort Mittel- und Osteuropa war über Jahre das Symbol<br />
des wirtschaftlichen Aufbruchs in Europa. Mit dem Beitritt vieler dieser<br />
Staaten zur Europäischen Union wurde die Region stärker denn je mit<br />
Westeuropa verbunden.<br />
Zwischen Ländern wie Österreich, Deutschland, Frankreich und den<br />
Niederlanden auf der einen Seite und Ländern wie Polen, der Tschech<br />
ischen Republik, der Slowakei und Ungarn auf der anderen Seite<br />
besteht ein enges Geflecht von Wirtschaftsbeziehungen, angefangen<br />
von ausgelagerten Produktionsstätten der Großkonzerne bis hin<br />
zur lokalen Kooperation von Kleinstbetrieben wie Konditoreien und<br />
Zahntechnikern.<br />
Die Grundlage der Zusammenarbeit ist in den gegenseitigen Vorteilen zu<br />
sehen. Westlichen Unternehmen ermöglichte die Ausrichtung auf Zentralund<br />
Osteuropa eine deutliche Reduktion ihrer Produktionskosten sowie<br />
die Erschließung neuer Märkte. Die Volkswirtschaften Zentral- und Osteuropas<br />
profitierten von neuen Arbeitsplätzen sowie vom Zugang zu<br />
westlichem Kapital und Know-how. In den Jahren nach der Einführung<br />
des Euro sowie im unmittelbaren Vorfeld der Osterweiterung der EU<br />
wurde dieses Bild vollends bestätigt. Die Region durchlebte einen Boom,<br />
234<br />
Osteuropa: Überholspur –<br />
oder doch nur Abstellgleis?<br />
von Zoltan Bakay<br />
»Emerging Markets«, so werden jene aufstrebenden Volkswirtschaften<br />
bezeichnet, die wir als Wachstumstreiber der Welt<br />
betrachten. Im Verlauf der aktuellen Wirtschaftskrise hat sich<br />
diese Rolle mehr denn je bestätigt. Schwellenländer wie China,<br />
Indien und Brasilien konnten Wachstumsraten jenseits der<br />
Fünfprozentmarke zu einer Zeit erreichen, als die entwickelten<br />
Volkswirtschaften in der westlichen Welt den schwersten Einbruch<br />
ihrer jüngeren Wirtschaftsgeschichte hinnehmen mussten.
Ungewichteter Mittelwert des realen BIP-Wachstums (in %)<br />
EU 15 (alte Mitgliedsstaaten)<br />
EU 10 (neue Mitgliedsstaaten)<br />
7.00<br />
5.<strong>25</strong><br />
3.50<br />
1.75<br />
Quelle: EIU<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
0.00<br />
wie sie ihn bis dato nicht gekannt hatte. Bis zum Jahr 2008 hatten die<br />
Volkswirtschaften zwischen Ostsee und Schwarzem Meer – ausgelöst<br />
durch einen Investitions- und Nachfrageboom – hohe, bisweilen zweistellige<br />
Wachstumsraten.<br />
Getragen wurde das Wachstum von einer beträchtlichen Investitionsbereitschaft<br />
und Risikofreude in Westeuropa. Motiviert wurde der<br />
Geldfluss dabei vor allem durch die bevorstehende und 2004 bzw. 2007<br />
erfolgte Osterweiterung der EU.<br />
Für die zentral- und osteuropäische Region eröffnete dies neue Möglichkeiten,<br />
die aber gleichzeitig die Herausforderungen der heutigen<br />
Zeit darstellen. Diese ergeben sich einerseits aus der Marktöffnung<br />
der Region und andererseits aus der divergierenden Entwicklung der<br />
einzelnen Staaten.<br />
Der freie Kapitalverkehr bildete nach dem Fall des Eisernen Vorhangs<br />
die Grundlage für den lang anhaltenden Strom von Investitionen in die<br />
zentral- und osteuropäische Region. Bereits die Perspektive einer<br />
Annäherung an Westeuropa reichte Anfang der 1990er-Jahre aus, um den<br />
Investitionsstrom Richtung Osteuropa auszulösen. In dieser häufig als<br />
Transformationsphase bezeichneten Periode wurde neben dem Umbau<br />
235
Ausländische Direktinvestitionen (in % des BIP)<br />
2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Serbien Kroatien Rumänien<br />
Slowakei<br />
Ungarn<br />
Polen<br />
Tschechien<br />
Ukraine<br />
0<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
der ehemals sozialistischen Volkswirtschaften vor allem eines vorangetrieben:<br />
eine konsequente Marktöffnung.<br />
Die Marktöffnung stellte die Beziehung zwischen Ost und West auf eine<br />
neue Grundlage. Diese war primär durch die Rolle des Westens als<br />
Kapitalgeber und die von Mittel- und Osteuropa als Kapitalnehmer geprägt.<br />
Die Entwicklung beschleunigte sich im Zuge der Osterweiterung<br />
der EU. Obwohl manchmal von einer neuen Art der Abhängigkeit der<br />
Region gesprochen wurde, war diese Art der Beziehung für die meisten<br />
Länder Zentral- und Osteuropas (CEE) eher ein Vor- als ein Nachteil.<br />
Als Zulieferer der exportorientieren Technologiekonzerne Westeuropas<br />
profitierten die meisten CEE-Staaten in den Vorkrisenjahren vom<br />
kontinu ierlichen Zufluss westlicher Investitionen und den guten Absatzmöglichkeiten<br />
innerhalb und außerhalb der EU. Dieser Ent wick lung tat<br />
auch die Krise nach 2008 keinen Abbruch. So konnte die Region von<br />
den außereuropäischen Geschäften der westlichen Mutterunternehmen<br />
in den Wachstumsmärkten Asiens und Lateinamerikas mitprofitieren.<br />
In vielen Ländern Zentral- und Osteuropas war der Export in den vergangenen<br />
Jahren die einzige stabile Wachstumskomponente, da die krisenbedingte<br />
Verunsicherung den heimischen Konsum und die lokalen<br />
Investitionen zum Teil massiv einbrechen ließ.<br />
236
Potenzielles BIP-Wachstum (in %)<br />
2001–2008<br />
2012–2013F<br />
5.0<br />
2.5<br />
Ungarn<br />
Tschechien<br />
Rumänien<br />
Slowakei<br />
Polen<br />
0.0<br />
Quelle: Europäische Kommission, Ameco<br />
So betrachtet profitiert die zentral- und osteuropäische Region von<br />
ihrer außergewöhnlich hohen Abhängigkeit von Westeuropa. Allerdings<br />
haben die Wachstumstreiber der Vergangenheit im Zuge der Krise merklich<br />
an Bedeutung verloren: Bedingt durch die deutlich vorsichtigere<br />
Kreditvergabe haben sowohl Konsum als auch Investitionstätigkeit deutlich<br />
nachgelassen. Letzteres hat den unerfreulichen Nebeneffekt, auch<br />
langfristig wachstumshemmend zu wirken, da sich die potenziellen<br />
Wachstumsmöglichkeiten auf Jahre reduzieren.<br />
Abschließend lässt sich zur Herausforderung »Marktöffnung« festhalten,<br />
dass die enge Verbindung zur westeuropäischen Exportwirtschaft<br />
in der Vergangenheit zumeist mehr Vor- als Nachteile gebracht hat. Für<br />
die kommenden Jahre sollte aber über die Gefahren der Konzentration<br />
dieser Beziehungen auf bestimmte Länder und Branchen nachgedacht<br />
werden. Ferner hat sich im Zuge der Krise gezeigt, dass die Verfügbarkeit<br />
von ausländischem Kapital immer dann von Vorteil ist, wenn es für längerfristige<br />
Investitionen eingesetzt wird. Makroökonomisch bedenklich<br />
sind hingegen reine Portfolio-Investments, da dieses Geld häufig auch<br />
sehr schnell wieder abgezogen wird.<br />
Gemeinhin wird die Region Zentral- und Osteuropa im Sinne einer wirtschaftlich-geographischen<br />
Einheit behandelt. Diese Sicht erklärt sich<br />
237
Beschäftigungsraten 2010 (Altersgruppe 20–64)<br />
≤ 60%<br />
60–65%<br />
65–70%<br />
70–75%<br />
> 75%<br />
Quelle: Eurostat<br />
vor allem aus historischer Perspektive, insbesondere ihrer vormaligen<br />
Zugehörigkeit zum »Ostblock«. Das sozialistische Wirtschaftsmodell<br />
und sein Untergang haben zwar nicht gleiche, wohl aber vergleichbare<br />
Ausgangsbedingungen für die Länder der Region geschaffen.<br />
Sämtliche Staaten mussten Anfang der 1990er-Jahre ihre grundsätzlichen<br />
wirtschaftspolitischen Modelle neu gestalten. Eine Konsequenz der<br />
Neuorientierung war, dass weite Teile der Bevölkerung ihren Arbeitsplatz<br />
verloren. Viele dieser Arbeitsplätze wurden in den Folgejahren nicht<br />
mehr ersetzt, so dass bis heute die Beschäftigungsraten in der Region<br />
sehr niedrig sind.<br />
Wie die Übersicht zeigt, unterscheiden sich die Beschäf tigungsraten<br />
in der Region allerdings sehr deutlich. Diese Unterschiede sind auf unterschiedliche<br />
Standortfaktoren (z. B. regionale Nähe zu westlichen<br />
Produktionsstätten, günstige Verkehrsanbindung), Unterschiede bei<br />
den Humanressourcen (z. B. verfügbare Anzahl an Fachkräften) und<br />
politisch-wirtschaftliche Rahmenbedingungen (z. B. stabile, investitionsfreundliche<br />
Umgebung) zurückzuführen.<br />
Die genannten Unterschiede haben sich im Laufe der vergangenen<br />
20 Jahre zwischen den Ländern immer weiter verfestigt. Im Ergebnis<br />
238
BIP pro Kopf 2012 (in Euro)<br />
13.129<br />
14.405<br />
9.943<br />
10.032<br />
10.398<br />
6.369<br />
2.831<br />
3.921<br />
Ukraine<br />
Serbien<br />
Rumänien<br />
Polen<br />
Ungarn<br />
Kroatien<br />
Slowakei<br />
Tschechien<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
unterscheiden sich die Länder Zentral- und Osteuropas in puncto wirtschaftliche<br />
Leistungsfähigkeit mittlerweile recht deutlich. Dies zeigt<br />
sich be son ders, wenn man das pro Kopf erwirtschaftete BIP in der<br />
Region vergleicht.<br />
Die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der einzelnen Länder traten<br />
vor allem in der Zeit des wirtschaftlichen Abschwungs zutage. Wettbewerbsfähigere<br />
Volkswirtschaften bauten ihren Vorsprung gegenüber<br />
weniger wettbewerbsfähigen immer weiter aus. Manche Staaten schafften<br />
es, über Jahre ein ausgeglichenes, stabiles Umfeld zu schaffen,<br />
wodurch sich das Zinsniveau auf niedrigerem Niveau stabilisierte, andernorts<br />
gelang dies nicht. In einigen Staaten war es nicht möglich, vormaligen<br />
gesellschaftlichen Eliten ihre Machtbasis zu nehmen, in anderen<br />
Staaten gewannen Reformer die Oberhand. In Verbindung mit der aktuellen<br />
Krise hat sich gezeigt, dass besser aufgestellte Staaten wesentlich<br />
leichter durch die Krise kamen als andere, die ihre »Hausaufgaben« in<br />
den wirtschaftlich guten Zeiten nicht erledigt hatten.<br />
Unter den entwickelteren Volkswirtschaften der Region sind diesbezüglich<br />
vor allem Polen und die Slowakei sowie mit Abstrichen die Tschechische<br />
Republik zu nennen. Alle drei Staaten zeichneten sich in der<br />
Vorkrisenzeit durch ein ausgeglichenes Wachstum aus. Es wurden keine<br />
239
BIP-Wachstum in den Krisenjahren (in %)<br />
2008 2009 2010 2011 2012<br />
7.5<br />
0<br />
-7.5<br />
Polen<br />
Rumänien<br />
Serbien<br />
Slowakei<br />
Ukraine<br />
-15.0<br />
Kroatien Tschechien Ungarn<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
unnötigen Risiken eingegangen, weder die Staatsverschuldung noch die<br />
Verschuldung von Haushalten und Unternehmen erreichten kritische<br />
Höhen. Es gab keine Immobilienblasen, Investoren wurden durch stabile<br />
Rahmenbedingungen angelockt.<br />
Länder wie Estland, Lettland, Litauen und in Ansätzen auch Rumänien<br />
durchliefen dagegen klassische Boom-Bust-Zyklen. Damit ist gemeint,<br />
dass sich die Konjunktur in den Vorkrisenjahren deutlich überhitzte.<br />
Löhne stiegen rasant in die Höhe. Haushalte und Staaten konsumierten<br />
über ihren Verhältnissen, Unternehmen investierten aufgrund<br />
überschätzter Wachstumsfantasien. Die plötzlich einsetzende<br />
Gegenbewegung ließ das nachfragebasierte Wachstumsmodell unvermittelt<br />
und heftig einbrechen. Aggressive Maßnahmen zur Wiederherstellung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit – insbesondere die so genannte<br />
interne Abwertung, wobei Löhne gekürzt werden – konnten jedoch die<br />
negative Entwicklung stoppen. Allerdings zu einem hohen Preis, nämlich<br />
Lohnkürzungen und Kaufkraftverluste in weiten Teilen der Bevölkerung.<br />
Daneben gab es die Staaten, die mit strukturellen Problemen individueller<br />
Natur zu kämpfen haben. Ungarn war und ist zu hoch im Ausland<br />
verschuldet und es verschreckt ausländische Investoren durch wenig stabile<br />
wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Kroatien und Serbien<br />
240
BIP-Prognose der EU für 2013 und 2014 (in %)<br />
2013 2014<br />
3,5 3,5<br />
4<br />
2,6<br />
2,7<br />
3,0<br />
3<br />
1,3<br />
1,4<br />
1,4<br />
1,6<br />
2,0<br />
1,5<br />
2,0<br />
1,8<br />
2,2<br />
2,0<br />
2<br />
0,8<br />
1<br />
0,3<br />
Ungarn<br />
0,0<br />
Kroatien<br />
0,1<br />
Euro<br />
0,4<br />
EU<br />
Tschechien<br />
Serbien<br />
Polen<br />
Rumänien<br />
Slowakei<br />
Ukraine<br />
0<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
kämpfen mit ihrer wenig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur und<br />
den Spätfolgen der Jugoslawienkriege. Die Ukraine ist zum Spielball der<br />
Interessenkonflikte zwischen Russland und der westlichen Welt geworden.<br />
Abschließend bleibt hinsichtlich der Herausforderung »divergente Entwicklung«<br />
festzuhalten, dass in den kommenden Jahren sämtliche<br />
Länder der Region die richtigen Lehren aus ihrer individuellen Vergangenheit<br />
ziehen sollten. Insbesondere hat sich gezeigt, dass das<br />
zukünftige Wachstum vor allem ausgeglichen sein sollte. Hohe<br />
Wachstumsraten per se sind noch kein Garant für deren Nachhaltigkeit.<br />
Die Positionierung der Region Zentral- und Osteuropa im europäischen<br />
Wirtschaftsgefüge ist geprägt von einem Höchstmaß an Offenheit und<br />
einer einseitigen Ausrichtung auf Westeuropa. Insofern überrascht es<br />
wenig, dass der kurzfristige Ausblick für die Region Zentral- und Osteuropa<br />
maßgeblich von der Entwicklung in der Euro-Zone beeinflusst wird.<br />
Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Euroraum wurden<br />
daher auch die Prognosen für die zentral- und osteuropäische Region<br />
zum Teil deutlich reduziert. Zusammenfassend zeichnet sich ab, dass<br />
2013 noch ein schwaches Jahr sein dürfte und das Wachstum erst in den<br />
Jahren 2014–2015 wieder einsetzt.<br />
241
Nachholbedarf bei Investitionen<br />
(Foto: flickr/70475110@N00)<br />
Wesentlich für Zentral- und Osteuropa ist, ob es sich weiterhin um eine<br />
Wachstumsregion von »Emerging Markets« handelt. Dies entscheidet<br />
darüber, ob die Region auch zukünftig schneller wachsen kann als der<br />
entwickeltere Teil Europas. Im Prinzip ist dies möglich. Die Region hat<br />
weiterhin enormes Nachholpotenzial auf beinahe allen Gebieten.<br />
Das Wohlstandsgefälle entlang der ehemaligen Ost-West-Grenzen ist<br />
nach wie vor eklatant. Die Infrastruktur erweckt beim westlichen<br />
Be sucher häufig noch immer Erinnerungen an die Zeit vor dem Fall des<br />
Eisernen Vorhangs. Voraussetzung einer derartigen Entwicklung ist<br />
aller dings, dass kontinuierlich Anstrengungen unternommen werden,<br />
um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu erhöhen. Dazu gehören insbesondere<br />
die weitere Verbesserung des institutionellen Rahmens und<br />
der Infrastruktur, die stärkere Entwicklung der Unternehmenskultur<br />
inländischer Marktteilnehmer, der Ausbau der Ressource Wissen, die<br />
Entwicklung einer eigenen Kapitalbasis und generell die Erhöhung der<br />
Produktivität.<br />
Auch stellt sich die Frage, ob das Konvergenzmodell der Region – die<br />
konzentrierte Ausrichtung der Wirtschaft auf Westeuropa verbunden<br />
mit einem Höchstmaß an Offenheit – nachhaltig den gewünschten<br />
Erfolg bringt. Die meisten Volkswirtschaften der Region zeichnen sich<br />
242
Anteile der Importe und Exporte am BIP (in %)<br />
Import 2000 Import 2012 Export 2000 Export 2012<br />
90<br />
45<br />
Kroatien Polen Rumänien Serbien Ukraine Tschechien Ungarn Slowakei<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
0<br />
durch eine duale Struktur aus. Auf der einen Seite stehen kapitalstarke<br />
und exportfähige westliche Tochterunternehmen, auf der anderen Seite<br />
kapi talschwache, meist auf heimische Dienstleistungen spezialisierte<br />
Kleinunternehmen.<br />
Wettbewerbsnachteile beim Zugang zum Kapitalmarkt verhindern, dass<br />
sich aus diesen Kleinunternehmen so etwas wie ein großer, international<br />
wettbewerbsfähiger lokaler Mittelstand wie etwa in Deutschland<br />
oder Österreich entwickelt. Die mittelständischen Betriebe Zentral- und<br />
Osteuropas sind derzeit meist nicht in der Lage qualifizierte lokale Experten<br />
zu gewinnen, um qualitativ hochwertigere und dadurch exportfähigere<br />
Produkte und Dienstleistungen herzustellen. Der Mehrwert<br />
der hergestellten Produkte und Dienstleistungen ist daher meist relativ<br />
niedrig, was sich negativ auf die Ertragskraft dieser Unternehmen auswirkt.<br />
Wie die Entwicklung im westlichen Ausland zeigt, ist aber gerade<br />
der Aufbau eines leistungsfähigen lokalen Mittelstands entscheidend für<br />
die wirtschaftliche Weiterentwicklung.<br />
Wie kann bzw. wie sollte es weitergehen? Als limitierende Rahmenbedingung<br />
lässt sich zunächst festhalten, dass wenig nachhaltige,<br />
unausgeglichene Wachstumsmodelle wie beispielsweise im Baltikum<br />
wohl in Zukunft ausgedient haben. Ein ausgeglicheneres Wachstum<br />
243
Beiträge zum BIP-Wachstum 2015 (in %)<br />
Exporte Bruttoinvestitionen Staatlicher Konsum Privater Konsum Lagerbestände<br />
6.0<br />
4.5<br />
3.0<br />
1.5<br />
0.0<br />
Kroatien Tschechien Ungarn Rumänien Serbien Slowakei<br />
Quelle: Europäische Kommission bzw. für die Ukraine IWF, Herbst 2012<br />
Quelle: EIU<br />
Ukraine<br />
-1.5<br />
bedeutet nach unserem heutigen Kenntnisstand weniger kreditgetriebenes<br />
Wachstum, eine solidere Finanzierung der Staatsausgaben<br />
und mehr Nachhaltigkeit bei der Verwendung von Fördermitteln. Auch<br />
muss sich die Region darauf einstellen, dass Investitionsquoten wie<br />
in der Vorkrisenzeit wohl in dieser Höhe nicht mehr erreicht werden.<br />
Für Zentral- und Osteuropa bedeutet dies, dass die wesentlichen<br />
Wachstumstreiber der Vergangenheit wohl auf längere Zeit eingeschränkt<br />
wirksam sein werden.<br />
Was spricht dennoch für ein relativ höheres Wachstum in der Region?<br />
Klar ist, dass sich an den fundamentalen Eigenschaften der Volkswirtschaften<br />
im Vergleich zur Vorkrisenwelt wenig geändert hat. Zwischen<br />
Westeuropa auf der einen und Zentral- und Osteuropa auf der<br />
anderen Seite besteht nach wie vor ein signifikantes Wohlstandsgefälle,<br />
die Produktivität der osteuropäischen Volkswirtschaften liegt weit unter<br />
dem westeuropäischen Standard, Institutionen und Infrastruktur sind<br />
weiter verbesserungsfähig.<br />
Die Frage ist, wo das Wachstum herkommen soll? Zum einen ist es sehr<br />
fraglich, ob die aktuellen, besonders niedrigen Investitionsquoten,<br />
Konsumquoten und Kreditflüsse selbst in einer strenger regulierten<br />
Nachkrisenwelt auf derart niedrigem Niveau verweilen werden. Gegen<br />
244
Entwicklung der Lohnstückkosten (Index 2005=100)<br />
<strong>25</strong>0<br />
Lettland<br />
200<br />
Estland<br />
Rumänien<br />
Litauen<br />
Serbien<br />
Slowakei<br />
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
Quelle: EIU<br />
150<br />
100<br />
eine derartige Entwicklung sprechen bekannte Rahmenbedingungen, die<br />
gemeinhin einer höheren Investitionsquote förderlich sind.<br />
Dazu gehören das noch immer deutlich niedrigere Lohnniveau bei gleichzeitig<br />
gutem Bildungsstand der arbeitenden Bevölkerung, die über die<br />
Jahre kontinuierlich verbesserte Infrastruktur, die regionale Nähe zu den<br />
westlichen Industriezentren und eine gewachsene Rechtssicherheit bedingt<br />
durch die EU-Mitgliedschaft bzw. angestrebte EU-Mitgliedschaft.<br />
Neben diesen durch die Krise wenig veränderten Rahmenbedingungen<br />
haben sich die meisten Zentral- und Osteuropäer über die vergangenen<br />
Krisenjahre als besonders konsequente Reformer hervorgetan. Im<br />
Gegensatz zu den Krisenregionen in Südeuropa ist die Korrektur der<br />
in manchen Ländern zu schnell gestiegenen Lohnstückkosten weit<br />
reibungsloser verlaufen als beispielsweise in Südeuropa. Die meisten<br />
Staaten sind ferner bemüht, Steuern auf Unternehmen niedrig zu halten,<br />
was häufig durch die Verlagerung der Steuerlast auf den Konsum erreicht<br />
wurde.<br />
Was ist für die Region Zentral- und Osteuropa zu erwarten? Die Variante<br />
»Abstellgleis« erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten Potenziale<br />
unwahrscheinlich. Vielmehr zeichnet sich ab, dass sich an den<br />
245
Mehrwertsteuersätze 2011 (in %)<br />
Seit 2008:<br />
Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />
Keine Änderung<br />
23%<br />
21%<br />
21%<br />
15%<br />
<strong>25</strong>%<br />
19%<br />
20%<br />
19.6%<br />
19%<br />
20%<br />
20%<br />
22%<br />
21%<br />
23% 20%<br />
20%<br />
27% 24%<br />
23%<br />
18%<br />
20%<br />
20%<br />
23%<br />
15%<br />
Quelle: Euroäische Kommission<br />
grundsätzlichen Wachstumsfaktoren durch die Krise nur wenig geändert<br />
hat. Das Wachstum wird kein Vorkrisenniveau mehr erreichen, aber es<br />
spricht nichts dagegen, dass das, was die Region auszeichnet, wahrgenommen<br />
und belohnt wird.<br />
Zudem hat sich Zentral- und Osteuropa in den vergangenen Jahren<br />
als zuverlässige Wachstumsregion mit hohem Reformeifer und hoher<br />
Wettbewerbsorientierung bewiesen. Es gibt kein Argument, wes -<br />
halb diese Grundhaltung in einer Nachkrisenwelt nicht die erwarteten<br />
Frü chte tragen sollte.<br />
Zoltan Bakay war bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 ist<br />
er im Research & Knowledge Center der Erste Group tätig und<br />
spezialisiert auf die volkswirtschaftliche Entwicklung der<br />
Wachstumsregionen in Zentral- und Osteuropa.<br />
246
Geldanlage? Klar – aber<br />
wohin mit dem Ersparten?<br />
von Thomas Schaufler<br />
Geld so anzulegen, dass nach Abzug der Inflation noch etwas<br />
übrig bleibt, das ist die Herausforderung der nächsten Jahre.<br />
Die niedrigen Sparzinsen werden uns nämlich noch eine Weile<br />
begleiten. Es ist im Moment nicht möglich, mit rein konservativen<br />
Anlageformen wie z. B. einem Sparbuch sein Vermögen zu<br />
vermehren. Was sich in all den Jahrzehnten der unterschiedlichen<br />
Krisen bewährt hat, ist die Tatsache, dass man sein Geld vor<br />
niedrigen Zinsen und andauernden Wirtschaftsflauten am besten<br />
dadurch schützt, indem man es auf verschiedene Anlageklassen<br />
aufteilt. Warum sind die Zinsen aber so niedrig, was bezweckt<br />
die Europäische Zentralbank (EZB) damit?<br />
Die EZB versucht mit ihrer Geldpolitik die Zinsen deutlich unter den<br />
Inflationsraten zu halten. Entsprechend der komplexen wirtschaftlichen<br />
Lage in der Euro-Zone wird auch die Geldpolitik der EZB immer<br />
komplexer. Die Zentralbank muss einerseits für die gesamte Euro-<br />
Zone die Preisstabilität gewährleisten und andererseits dafür sorgen,<br />
dass die niedrigen Zinsen in allen Mitgliedsländern ankommen und<br />
Extremrisiken für die Euro-Stabilität vermieden werden können. Dies<br />
ist für die Mission der Zentralbank eines »starken und stabilen« Euro<br />
grundlegend wichtig.<br />
Generell sollte in Europa die wirtschaftliche Entwicklung schwach<br />
und die Inflationserwartungen weiter moderat bleiben. Das belegen<br />
auch die zuletzt veröffentlichten Indikatoren wie zum Beispiel<br />
die Konsumentenstimmung oder das Geschäftsklima, welche weiter<br />
gefallen sind. Der Start in den Herbst ist schlecht ausgefallen und<br />
somit kann noch nicht mit Sicherheit abgeschätzt werden, ob der<br />
wirtschaftliche Tiefpunkt im vierten Quartal 2012 tatsächlich durchschritten<br />
worden ist. Die Risiken sind derzeit nach unten gerichtet,<br />
aber es bleibt zu hoffen, dass eine stärkere Rezession vermieden<br />
werden kann. Wenngleich die Inflation in der Euro-Zone zuletzt im<br />
Gleichklang mit dem Ölpreis über den Erwartungen lag. Somit ist nach<br />
247
EZB Leitzins vs. Inflation (Eurozone) 2007–2012 (in %)<br />
Eurozone Inflation EZB Leitzins 2% Inflationszielwert EZB<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
Quelle: Erste Group Research<br />
-1<br />
wie vor mit sinkenden Inflationsraten zu rechnen. Im Moment werden<br />
offizielle Inflationsraten von ca. zwei bis drei Prozent ausgewiesen,<br />
jedoch hat die Inflationsrate nicht mehr oberste Priorität der<br />
Geldpolitik der EZB. Zu unterschiedlich ist im Moment die wirtschaftliche<br />
Entwicklung in Europa. Während in Mitteleuropa nach wie vor<br />
positive Bruttoinlandsprodukt-Raten verzeichnet werden, zeigt ein<br />
Blick nach Südeuropa ein weniger positives Bild.<br />
Daher ist mittelfristig zu erwarten, dass die EZB die Wirtschaft weiterhin<br />
sowohl zinsseitig als auch mit außergewöhnlichen geldpolitischen<br />
Maßnahmen unterstützen wird. Auch wenn unmittelbar kein<br />
Handlungsbedarf besteht, so ist angesichts der Inflationsperspektiven<br />
2013 mit einer weiteren Senkung des Leitzinssatzes auf 0,5 Prozent und<br />
niedrigen Zinsen bis 2015 zu rechnen.<br />
Zusätzlich hat die EZB ein Anleihen-Ankauf-Programm, welches OMT<br />
(Outright Monetary Transaction) genannt wird, für die Euro-Staaten<br />
angekündigt. Dieses Ankaufsprogramm steht nur jenen Ländern zur<br />
Verfügung, die im Rahmen der viel zitierten Euro-Rettungsschirme EFSF<br />
und ESM um Unterstützung ansuchen. Der Grund für dieses Hilfsprogramm<br />
ist jener, dass die Zinssenkungen der EZB nur Euro-Staaten mit guter<br />
Bonität erreichen. Problemländer, wie zum Beispiel Griechenland,<br />
248
profitieren nicht von diesen Zinssenkungen. Im Rahmen dessen kann die<br />
EZB Staatsanleihen mit kurzen Restlaufzeiten (von ein bis drei Jahren)<br />
von betroffenen Euro-Ländern auf dem Sekundärmarkt 4 in unlimitierter<br />
Menge kaufen. Die Liquidität sollte aber später wieder abgezogen werden.<br />
Die Idee dieser Maßnahme: Kauft die EZB in großem Umfang z. B. spanische<br />
Staatsanleihen, muss dies zu steigenden Anleihekursen führen,<br />
was wiederum niedrigere Aufwendungen für Spanien bedeutet. Dadurch<br />
sollten destruktive Szenarien abgefedert und starke Renditeanstiege in<br />
Spanien kurzfristig vermieden werden. Tiefere Renditen wiederum sollen<br />
es dann Spanien leichter machen, neue Anleihen zu tieferen Zinsen<br />
auszugeben, was wiederum der Finanzsituation Spaniens helfen würde.<br />
Eine langfristige Lösung kann dadurch jedoch nicht garantiert werden.<br />
Die Renditen für Benchmark-Anleihen (Deutsche Bundesanleihen) sollten<br />
angesichts des niedrigen Zinsausblicks auf Sicht von einem Jahr gedämpft<br />
bleiben. Schon jetzt ergeben deutsche Bundesanleihen mit einer<br />
Laufzeit bis 2016 negative Renditen.<br />
Dass die EZB jedenfalls sämtliche Schleusen geöffnet hat, dokumentiert<br />
auch die Bilanzsumme. Diese hat sich seit 2001 immerhin fast vervierfacht,<br />
von 814 Milliarden Euro auf aktuell 3,046 Billionen Euro 5 . Damit<br />
liegt die EZB sogar vor der Federal Reserve (FED) 6 , welche ihrerseits die<br />
Geldmenge auf aktuell 2,810 Billionen Dollar ebenfalls deutlich ausgeweitet<br />
hat.<br />
Der Kurs der EZB bedeutet jedenfalls für konservative Anleger, dass eine<br />
positive Nominalverzinsung und somit der schon oft zitierte Werterhalt<br />
ohne Risiko im Moment nicht möglich ist. Der Drei-Monate-Euribor 7 liegt<br />
momentan bei 0,20 Prozent. An diesem Referenzzins orientieren sich z.<br />
B. viele Sparprodukte. Die zehnjährigen risikolosen Zinsen stehen im<br />
Moment um 1,60, die Inflation hingegen bei etwa 2,3 Prozent.<br />
Anleger sind mehr denn je gefordert, Investitionen mit kalkulierbaren<br />
Risiken einzugehen, wenn am Ende keine Minusrendite das Ergebnis<br />
sein soll. Um aber nicht vielleicht auf das vermeintlich falsche<br />
Pferd zu setzen, ist eine breite Streuung über mehrere Anlageklassen<br />
wichtiger denn je. Auch ein Blick in die Vergangenheit belegt, dass<br />
eine breite Streuung fast immer positive Renditen über einen längeren<br />
Zeitraum liefert.<br />
4 Finanzmarkt zum Handel von schon emittierten Wertpapieren wie Aktien und Anleihen.<br />
5 Stand Oktober 2012<br />
6 US-Notenbank<br />
7 Euro Interbank Offered Rate<br />
249
Es gab immer wieder Krisen, welche sich über einen kürzeren oder längeren<br />
Zeitraum gezogen haben. Die Übersicht rechts zeigt einen Blick<br />
auf die Entwicklung von unterschiedlichen Anlageklassen im Zuge einer<br />
Krise. Um das Bild möglichst realistisch zu zeichnen, wurde folgende<br />
Basis verwendet:<br />
• Aktien: MSCI World Index<br />
• Anleihen: JP Morgan Bondindex<br />
• Immobilien: EPRA Immobilienindex<br />
• US-Dollar-Index: Entwicklung Dollar gegenüber Euro, Yen, Franken,<br />
Pfund, Kanadischer Dollar und Schwedische Krone<br />
• Schweizer Franken gegenüber Euro<br />
• Gold in USD<br />
• Öl (Light Sweet Oil) in USD<br />
Weitere Annahme: Genau einen Tag vor Ausbruch der jeweiligen Krise<br />
wurde in die aufgezählten Anlageklassen gleichgewichtet investiert<br />
(EPRA Immobilienindex vor 1990 nicht verfügbar).<br />
Nach genau fünf Jahren zeigt sich in der Wertentwicklung der verschiedenen<br />
Anlageklassen ein sehr unterschiedliches Bild. Mit Ausnahme von<br />
Öl hat keine (!) Anlageklasse immer funktioniert und positive Renditen<br />
gebracht. Auch das im Moment so beliebte Gold konnte gerade in den<br />
1980er- und 1990er-Jahren nicht überzeugen. Anleihen zeigen sich zwar<br />
sehr robust, konnten aber auch nicht immer positive Renditen bringen.<br />
Gerade bei tiefen Zinsen bergen Anleihen auch ein höheres Verlustrisiko.<br />
Jedoch wurde bei einer gleich gewichteten Aufteilung über mehrere<br />
Anlageklassen fast immer ein positives Endergebnis nach fünf<br />
Jahren erzielt. Eine breite Diversifikation zahlt sich also aus, wie die<br />
unterschied lichen Krisenereignisse belegen. Ein Vorteil ist das reduzierte<br />
Schwankungsverhalten eines breit gestreuten Portfolios. Es gibt<br />
einfach keine Anlageklasse, die immer nur nach oben geht. Daher ist<br />
man auf unvorhergesehene Ereignisse am besten vorbereitet, wenn man<br />
das Vermögen in ein stabiles, breit aufgestelltes Portfolio aufteilt. Wie<br />
schon in der modernen Portfoliotheorie festgestellt wurde, erhöht sich<br />
durch eine Streuung die Renditeerwartung und das Risiko wird gleichzeitig<br />
reduziert. Ein doppelt positiver Effekt.<br />
<strong>25</strong>0
Perfomance der jeweiligen Anlageklasse bei einem Investment einen Tag vor der<br />
Krise mit einer Behaltefrist von 5 Jahren und Ertrag des gesamten Portfolios<br />
Ölkrise 1973<br />
Öl<br />
+344,95%<br />
Gold<br />
+1<strong>25</strong>,40%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+46,49%<br />
Anleihen<br />
+22,06%<br />
US Dollar<br />
+4,23%<br />
Aktien<br />
+1,06%<br />
Ertrag<br />
77,74%<br />
Energiekrise 1979/80<br />
Öl<br />
+111,30%<br />
Gold<br />
+64,68%<br />
Aktien<br />
+48,30%<br />
US Dollar<br />
+32,26%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+6,81%<br />
Anleihen<br />
-12,54%<br />
Ertrag<br />
35,83%<br />
Aktiencrash 1987<br />
Anleihen<br />
+73,65%<br />
Öl<br />
+10,19%<br />
Aktien<br />
+6,35%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
-7,78%<br />
US Dollar<br />
-11,22%<br />
Gold<br />
-26,80%<br />
Ertrag<br />
6,34%<br />
Japankrise 1990<br />
Anleihen<br />
+53,87%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+8,51%<br />
Aktien<br />
+7,64%<br />
Gold<br />
-6,14%<br />
US Dollar<br />
-6,45%<br />
Öl<br />
-<strong>25</strong>,33%<br />
Immobilien<br />
-45,35%<br />
Ertrag<br />
-1,89%<br />
Asienkrise 1997<br />
Anleihen<br />
+39,09%<br />
Öl<br />
+33,<strong>25</strong>%<br />
Immobilien<br />
+24,99%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+11,00%<br />
US Dollar<br />
+10,02%<br />
Aktien<br />
-5,02%<br />
Gold<br />
-6,83%<br />
Ertrag<br />
15,21%<br />
Russlandkrise 1998<br />
Öl<br />
+87,92%<br />
Anleihen<br />
+30,86%<br />
Gold<br />
+9,07%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+8,34%<br />
US Dollar<br />
+0,06%<br />
Immobilien<br />
-9,74%<br />
Aktien<br />
-26,10%<br />
Ertrag<br />
14,34%<br />
Internetblase 2000<br />
Immobilien<br />
+83,71%<br />
Öl<br />
+62,89%<br />
Anleihen<br />
+52,00%<br />
Gold<br />
+49,70%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+3,94%<br />
Aktien<br />
-13,42%<br />
US Dollar<br />
-15,71%<br />
Ertrag<br />
31,87%<br />
September 11, 2001<br />
Öl<br />
+143,65%<br />
Gold<br />
+126,96%<br />
Immobilien<br />
+114,94%<br />
Anleihen<br />
+42,92%<br />
Aktien<br />
+38,73%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
-4,23%<br />
US Dollar<br />
-21,24%<br />
Ertrag<br />
63,10%<br />
Lehman 2008*<br />
Gold<br />
+124,16%<br />
Anleihen<br />
+41,95%<br />
<strong>CH</strong>F<br />
+24,84%<br />
Aktien<br />
+2,43%<br />
US Dollar<br />
+1,16%<br />
Immobilien<br />
-11,15%<br />
Öl<br />
-11,95%<br />
Ertrag<br />
24,49%<br />
*bis 03.12.2012<br />
<strong>25</strong>1
Die Bedeutung einer strategischen Portfolio-Ausrichtung hat nichts an<br />
ihrer Wichtigkeit verloren, jedoch ist das richtige Timing bei volatilen<br />
Börsen entscheidend, da die langfristigen, mehrjährigen Trends der<br />
Vergangenheit angehören. Schon seit geraumer Zeit sind an den Kapitalmärkten<br />
große Schwankungsbreiten ohne klare Trends nach oben oder<br />
unten zu beobachten. Das bedeutet, die Kurse schwanken mehr oder<br />
weniger um ihren Mittelwert und dabei kann es ohne aktive Asset<br />
Allocation passieren, dass der Depotstand am Jahresende jener ist, mit<br />
dem man das Jahr begonnen hat. Nicht jeder hat das Wissen oder die<br />
Zeit, sich mit den sich ständig ändernden Trends auf den Kapitalmärkten<br />
auseinanderzusetzen und demnach sein Vermögen laufend umzuschichten.<br />
Genau deshalb erfahren Vermögensverwaltungs-Lösungen für<br />
Privatkunden eine Renaissance. Allein in der Erste Bank hat sich die<br />
Zahl jener, die ein professionelles Vermögensmanagement in Anspruch<br />
nehmen, seit 2008 um mehr als fünfzig Prozent gesteigert.<br />
Als finanzielle Basis für eine weitere Geldanlage sollte jeder über ein<br />
Sparbuch verfügen. Darauf parkt man idealerweise rund drei Netto-<br />
Monatsgehälter, um für die Notfälle des Alltags gerüstet zu sein. So ist<br />
man jederzeit liquid, wenn z. B. die Waschmaschine kaputt wird oder<br />
sonstige ungeplante Ausgaben zu tätigen sind. Für die mittelfristige<br />
Veranlagung eignet sich ein Bausparvertrag gut, um auf eine überschaubare<br />
Zeit Geld anzusparen, wenngleich auch seit 2012 mit einer<br />
geschmälerten staatlichen Prämie. Was Versicherungen betrifft, so<br />
ist die Entscheidung sehr individuell zu treffen und auch je nach<br />
Lebenssituation abzuwiegen, was man zwischen Pensionsvorsorge und<br />
Lebensversicherung etc. benötigt.<br />
Wenn man also darüber hinaus verfügbares Geld hat, für das man Veranlagungsmöglichkeiten<br />
sucht, so gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.<br />
Je nach Risikolust, Lebenssituation, gewünschter Anlagedauer<br />
usw. sollte man sich am besten mit einem Profi beraten und gemeinsam<br />
die beste Strategie für sein Geld erarbeiten.<br />
Wer z. B. ein Direktinvestment in Aktien scheut, könnte sich Bonus-<br />
Zertifikate als Alternative näher ansehen. Während bei einem<br />
Aktieninvestment nur bei steigenden Kursen Erträge erzielt werden,<br />
profitieren Bonus-Zertifikate bereits von stagnierenden oder sogar<br />
<strong>25</strong>2
leicht schwächeren Kursnotierungen. Das Ertragspotenzial ist somit<br />
oft höher als bei einem Direktinvestment. Der wichtigste Bestandteil<br />
für ein Bonus-Zertifikat ist die Dividende. Denn diese wird zur<br />
Finanzierung der Bonuszahlung eingesetzt. Der Investor profitiert bei<br />
Bonus-Zertifikaten von steigenden Kursen eines zugrunde liegenden<br />
Basiswerts, erhält eine hohe Bonuszahlung und ist vor fallenden Kursen<br />
bis zur Sicherheitsschwelle geschützt. Sollte es jedoch zu einem unerwarteten<br />
Kursrutsch kommen, entfällt die Bonuszahlung und der Kurs<br />
des Basiswerts wird am Laufzeitende gutgeschrieben. Auch in diesem<br />
Fall ist man bei der Kursentwicklung nicht schlechter gestellt als der<br />
Aktionär.<br />
Es gibt auch noch eine Vielzahl weiterer »Teilschutz«-Produkte, welche<br />
Schutz vor moderaten Kursrückgängen bieten und gleichzeitig Renditen<br />
deutlich über dem Sparbuch ermöglichen. Ein genauer Blick darauf<br />
lohnt sich, besonders im aktuellen Zinsumfeld. Unabhängig von der<br />
Wahl des Anlageproduktes gilt es auch auf die angesprochene Portfolio-<br />
Diversifikation zu achten und verschiedene Anlageklassen auszuwählen.<br />
Aktien sind nur ein Parameter in einer klar strukturierten Portfolio-<br />
Auf teilung. Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind Anleihen. Aber<br />
auch die vermeintlich sichere Anleihe birgt einige Risiken, welche<br />
es zu beachten gibt. Das Bonitätsrisiko, also das Risiko, dass sich<br />
die Kreditsituation des Unternehmens, welches die Anleihe begibt,<br />
bis hin zur Zahlungsunfähigkeit verschlechtert, steht hier im<br />
Vordergrund. Da aber mit vermeintlich sicheren Anleihen wie etwa<br />
Deutschen Bundesanleihen kaum Ertrag erzielt werden kann – einjährige<br />
Veranlagungen kosten hier sogar Geld –, muss für mehr Ertrag auch<br />
bei Anleihen der Schritt zu mehr Risiko gegangen werden. Dies geschieht<br />
zum Beispiel beim Kauf von Unternehmensanleihen, welche je nach<br />
Bonität und Laufzeit deutlich höhere Renditen versprechen. Um allerdings<br />
hier nicht auf das falsche Pferd zu setzen, empfiehlt sich neben<br />
der Unternehmensanalyse vor allem auch die Auswahl mehrerer Branchen<br />
und verschiedener Unternehmen. Denn auch hier ist die Streuung<br />
zur Risikominimierung besonders wichtig. Bei der Einschätzung der<br />
Unternehmenskennzahlen wiederum kann der Bankberater unterstützen.<br />
Neben der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ist auch die Laufzeit ein<br />
wichtiger Bestandteil des persönlichen Portfolios. Hier gilt es zwischen<br />
<strong>25</strong>3
ascher Verfügbarkeit und höherem Ertrag abzuwägen. Denn je länger<br />
die Bindung, umso besser die Konditionen. Aber es erhöht sich auch das<br />
Kursrisiko während der Laufzeit.<br />
Im Bereich Immobilien gibt es ebenfalls zahlreiche Investitionsmöglichkeiten.<br />
Neben einem direkten Immobilienerwerb oder Beteiligungen<br />
bietet sich auch ein Immobilienfonds an, welcher breit gestreut<br />
in Immobilien investiert. Der Erste Immobilienfonds erzielt seit Jahren<br />
konstante Erträge. Er erfreut sich auch wegen der konservativen<br />
Anlagestrategie und dem Fokus auf Wohnimmobilien konstanter Zuflüsse.<br />
Gold steht im Moment bei vielen Anlegern hoch im Kurs und gilt als<br />
wichtiger Portfolio-Baustein. Von vielen verunsicherten Anlegern wird<br />
das Edelmetall in den Portfolios seit ein paar Jahren auch übergewichtet.<br />
Andere wiederum meiden Gold zur Gänze. Insgesamt wird das Edelmetall<br />
sehr kontrovers gesehen. Fest steht allerdings, dass es in einem diversifizierten<br />
Portfolio nicht fehlen sollte. Gerade weil Gold bereits elf Jahre<br />
hindurch positive Renditen geliefert hat, gilt es auch auf die Risiken<br />
zu achten. Gold notiert zum einen in US-Dollar. Daraus ergibt sich für<br />
den Anleger ein Währungsrisiko. Auch Kurskorrekturen von mehr als<br />
100 USD sind immer wieder zu beobachten.<br />
Wie bei allen Portfolio-Bausteinen gilt: Die Dosis macht es und eine<br />
breite Streuung der Anlageklassen hilft das Risiko zu minimieren und<br />
gleichzeitig die Ertragschancen zu optimieren. Alles auf eine Karte zu<br />
setzen bei der Geldanlage ist nie der richtige Weg. Wenn sich Märkte<br />
und Zinsen ändern, profitieren im Normalfall einige Assetklassen,<br />
andere verlieren. Daher ist es gerade in einer Zeit, in der sich die meisten<br />
Experten einig sind, dass die Zinsen noch ein paar Jahre sehr niedrig<br />
sein werden, so wichtig, sich um eine passende Aufteilung seines<br />
Vermögens zu kümmern.<br />
Thomas Schaufler leitet in der Erste Group den<br />
Wertpapierverkauf für Privatkunden und <strong>Sparkasse</strong>n.<br />
Daneben ist die Abteilung auch für die Zusammenstellung<br />
neuer Wertpapierprodukte (Anleihen, Fonds, Strukturierte<br />
Produkte) zuständig. Gleichzeitig vertritt Thomas<br />
Schaufler die Erste Group im ZFA (Zertifikate Forum<br />
Austria). Das Forum setzt sich für den kundenorientierten<br />
Einsatz von Zertifikaten ein.<br />
<strong>25</strong>4