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25 JA HRE €CO JAHRBU CH 1988–2013 - Sparkasse

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<strong>1988–2013</strong><br />

<strong>25</strong> <strong>JA</strong><strong>HRE</strong> <strong>€CO</strong> <strong>JA</strong>HRBU<strong>CH</strong><br />

2013


Dieses Buch widmen Ihnen<br />

Erste Bank und <strong>Sparkasse</strong>n


<strong>25</strong>. Ausgabe, Jahrgang 2013


Haftungserklärung<br />

Trotz sorgfältigster Recherche der Fakten und genauer Kontrolle ist es<br />

nicht auszuschließen, dass sich auch Fehler bei der Wiedergabe der Texte<br />

eingeschlichen haben. Der Verlag, das Redaktionsteam und die einzelnen<br />

Autoren erklären daher ausdrücklich, dass sie für die Richtigkeit<br />

der Zahlen und Texte keine wie immer geartete Haftung übernehmen.<br />

Wien, im Jänner 2013<br />

Fotohinweis ORF-Teil: ORF (21), Parlamentsdirektion (7), Ifo (1),<br />

OeBS (2), EZB (1), flickr/rinzewind (2), Kodak (1), Gewerkschaft Bau-<br />

Holz (2), Red Bull Content Pool (2), Stadt Linz (2), Graz Tourismus (1),<br />

freistaedter-bier.at (2), Fotolia.com (2), Voestalpine (1), KTM (2),<br />

Stadtgemeinde Salzburg (1), Google (1), Apple (1), facebook (1),<br />

Franz Hlavac (2), shutterstock (1)


Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Österreichischer Rundfunk,<br />

Würzburggasse 30, 1136 Wien<br />

Erste Bank der Oesterreichischen <strong>Sparkasse</strong>n AG,<br />

Graben 21, 1010 Wien<br />

auch für die Inhalte der Erste Bank<br />

verantwortlich<br />

Eigentümer und Verleger:<br />

Dr. Peter Müller Buch- und Kunstverlag Ges. m. b. H.,<br />

Kärntnerstraße 13–15, 1010 Wien<br />

Dr. Harald Hohenberg<br />

Redaktion und für den Inhalt verantwortlich:<br />

Redaktion des ORF-TV-Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong><br />

Günther Kogler<br />

p.a. ORF, Würzburggasse 30, 1136 Wien<br />

Gestaltung & Layout: Sebastian Traxl, Wien<br />

Lektorat: Werner Egger, Graz<br />

Druck: Druckerei Seitz Ges. m. b. H., 2201 Gerasdorf<br />

Verlagsort: Wien<br />

Herstellungsort: Wien<br />

www.erstebank.at<br />

www.orf.at


Inhalt<br />

Turbulente Jahre für den Euro: Von Lügnern, Betrügern und Fantasten<br />

Günther Kogler 15<br />

Steuern, Gebühren & Co.: Das ist neu im Jahr 2013<br />

Christina Kronaus 21<br />

Auf (Kon-)Kurs: Warum wir Pleite-Banken retten<br />

Bettina Fink 27<br />

Allheilmittel ESM? So wird Europas Geldmaschine angeworfen<br />

Beate Haselmayer 31<br />

»Eherne Reserve«: Dem Gold der Österreicher auf der Spur<br />

Bettina Fink 37<br />

Nix wie raus aus dem Euro – aber welche »Fluchtwährung«?<br />

Katinka Nowotny 41<br />

Ratingagenturen: Die Spur der Verwüstung quer durch Europa<br />

Ilja Morozov 47<br />

Der Sündenfall der EZB – wenn nur noch die Druckmaschine hilft<br />

Katinka Nowotny 53<br />

Das Imperium Goldman Sachs – oder: Die Mönche des Geldes<br />

Günther Kogler 59<br />

Wenn Spaniens Blüten blühen, wird das teuer für Europa …<br />

Hans Hrabal 73<br />

»Dolce vita« ist vorbei: Italien wird von der Krise eingeholt<br />

Sabina Riedl 81<br />

Unsere teuren Parteien und der ungenierte Griff in den Steuertopf<br />

Ilja Morozov 85<br />

Das Werben um Betriebe: Noch ist Österreich »liebenswert«<br />

Katinka Nowotny 91<br />

Unser Gehalt, unser Geheimnis: So viel »Verdienst« ist normal<br />

Bettina Fink 95<br />

Ein totaler Bildausfall – der Absturz des Weltkonzerns Kodak<br />

Sabina Riedl 99<br />

Reha statt Rente: Die »Invaliditätspension neu«<br />

Ilja Morozov 105<br />

Österreichische Privatstiftungen: Unsere letzten Steuerparadiese?<br />

Beate Haselmayer 111<br />

Red Bull: Der Sprung in die Werbe-Stratosphäre<br />

Hans Wu 117<br />

6


Panzer, Kanonen und Pistolen – Österreichs »geheime Industrie«<br />

Ilja Morozov 123<br />

In Linz beginnt’s: »Die Dummen gegen die Unmoralischen …«<br />

Hans Hrabal 129<br />

Franzl, Schützi und Konsorten: Eine »eingtragene Partnerschaft«<br />

Günther Kogler 135<br />

Unser teures Bier: Wenn Hopfen und Malz zu barem Geld werden<br />

Philipp Jauernik 143<br />

Die neue Frauenpower: »Schatzi, was machen wir mit dem Geld?«<br />

Angelika Ahrens 149<br />

»Die Voest« – vom Stahlkocher zum hippen High-Tech-Konzern<br />

Sabina Riedl 151<br />

Der edle Stoff, das wunderbare Tuch – eine »Jungfrau« verwöhnt<br />

Angelika Ahrens 157<br />

Erfolg auf zwei Rädern – KTM auf Weltmeister-Kurs<br />

Sabina Riedl 159<br />

Goldenes Handwerk: Maßschuhe aus Frauenhand für »Jedermann«<br />

Angelika Ahrens 165<br />

Wirtschaftsfaktor Jagd – nur leider »ist der Ruf im Arsch«<br />

Philipp Jauernik 169<br />

Google, Apple & facebook: Sind wir machtlose Nutzer?<br />

Hans Wu 175<br />

<strong>25</strong> Jahre <strong>€CO</strong>-Jahrbuch: So hat sich die Welt verändert<br />

Franz Hlavac 183<br />

Bankgeschäft vor <strong>25</strong> Jahren – wo waren eigentlich Sie damals?<br />

Andreas Treichl im Gespräch 206<br />

<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse – Rückblick, Status und Ausblick<br />

Franz Gschiegl 212<br />

Der Euro – scheitert Europa an seiner eigenen Währung?<br />

Rainer Münz und Bernadett Povazsai-Römhild 223<br />

Osteuropa: Überholspur – oder doch nur Abstellgleis?<br />

Zoltan Bakay 234<br />

Geldanlage? Klar – aber wohin mit dem Ersparten?<br />

Thomas Schaufler 247<br />

7


Liebe Leserinnen und Leser!<br />

»Österreich hält sich im europäischen Vergleich recht gut«, das war<br />

im Jahr 2012 fast durchgängig und allerorts zu hören. Einerseits<br />

gilt das für die vergleichsweise erfreulich geringe Arbeitslosigkeit<br />

ebenso wie die Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie oder etwa<br />

die Tourismuswirtschaft. Aber seit Herbst 2012 war klar: Wir können<br />

uns von den Wachstumsproblemen der europäischen Industriestaaten<br />

nicht gänzlich abkoppeln. Für das laufende Jahr wird es schon als Erfolg<br />

gelten, wenn das reale Wirtschaftswachstum nahe an die Ein-Prozent-<br />

Marke heranreicht. Die europaweite Staatsschuldenkrise wirkt weiterhin<br />

als Wachstumsbremse. Doch eine Fortsetzung der Konsolidierung der<br />

Staatshaushalte ist unausweichlich. Das wird wohl auch eine der größten<br />

Herausforderungen der nächsten Jahre bleiben.<br />

Da die Zentralbanken die Leitzinsen nach wie vor sehr tief halten,<br />

herrscht auch in der Eurozone ein historisch niedriges Zinsniveau.<br />

Gut für die Investoren, gleichzeitig jedoch eine schmerzhafte »Dürreperiode«<br />

für Sparer und Anleger, die derzeit bestenfalls darum kämpfen<br />

durch eine längerfristig konzipierte Veranlagungsstrategie den<br />

Realzinsverlusten zu entgehen. Aber auch die Kreditwirtschaft steht ob<br />

diverser Regulierungen vor bisher nicht gekannten Herausforderungen.<br />

Auch wenn in den vergangenen Monaten Banken und Finanzdienstleister<br />

in der öffentlichen Meinung nicht gerade mit den höchsten Beliebtheitswerten<br />

zu kämpfen hatten: Langsam gewinnt wieder die Einsicht<br />

Oberhand, dass nur leistungsfähige Banken, intakte Kapitalmärkte<br />

und wiederaufkommendes Vertrauen in das Finanzwesen die aktuellen<br />

Probleme überwinden helfen.<br />

In der <strong>Sparkasse</strong>ngruppe bleiben jedenfalls Sicherheit und ein erhöhter<br />

Qualitätsanspruch die Leitmotive. Aber immer wenn die Märkte zu stagnieren<br />

drohen ist Innovation das beste Mittel, um sich vom Mitbewerb<br />

positiv abzuheben. Deshalb setzten wir gerade in wirtschaftsschwachen<br />

Zeiten, in der viele Menschen noch immer verunsichert sind, auf<br />

innovative Produkte. Der Kundennutzen steht absolut im Mittelpunkt<br />

aller Überlegungen. Mit mobilen Services über Smartphones und Tablets<br />

aber auch im persönlichen Gespräch, wenn es um beratungsintensive<br />

8


Produkte oder Finanzierungen geht. Bei einem anhaltend niedrigen<br />

Zinsniveau ist es beispielsweise sehr wichtig, Sparern neue, mittel- und<br />

langfristige Veranlagungsalternativen zu eröffnen, um sie vor einem<br />

Substanzverlust zu bewahren. Dabei rücken etwa Investmentfonds<br />

oder gemanagte Vermögensverwaltungen wieder in den Fokus des<br />

Anlegerinteresses.<br />

Eines steht jedenfalls außer Streit: Bei den aktuellen Rahmen be dingungen<br />

braucht es eine intensive Auseinandersetzung mit den Themen<br />

Veranlagung und Finanzierung. Das professionelle Eingehen auf individuelle<br />

Bedürfnisse ist jetzt gefragt. In diesem Sinne soll auch das diesjährige<br />

<strong>€CO</strong>-Jahrbuch – übrigens die <strong>25</strong>. Ausgabe in Folge – Anregung<br />

und Leitfaden zugleich sein. Denn eines ist gerade in Zeiten schwachen<br />

Wirtschaftswachstums und turbulenter Finanzmärkte sehr wichtig:<br />

Reservenbildung trotz gedrückter Realverzinsung, Sicherheit in der Wahl<br />

eines vertrauenswürdigen Finanzpartners und längerfristiges Denken in<br />

Sachen der eigenen Finanzen. Um es klarer zu formulieren: Jetzt gilt es<br />

alles zu unternehmen, um sich für die Zukunft gut aufzustellen. Denn<br />

eines ist – allen aktuellen Unsicherheiten zum Trotz – gewiss: Der<br />

nächste Aufschwung kommt bestimmt!<br />

Wir wünschen Ihnen im Namen der Erste Bank und aller österreichischen<br />

<strong>Sparkasse</strong>n mit diesem Buch eine leichtere Suche nach den für<br />

Sie besten Entscheidungen.<br />

Ihr Christian Aichinger<br />

Präsident des Österreichischen <strong>Sparkasse</strong>nverbandes<br />

Ihr Thomas Uher<br />

Vorstandssprecher der Erste Bank Oesterreich<br />

Thomas Uher, Christian Aichinger<br />

9


Von links nach rechts:<br />

Vordere Reihe:<br />

Angelika Ahrens, Katinka Nowotny, Sonja Titz<br />

Hintere Reihe:<br />

Mag. Hans Tesch, Günther Kogler, Mag. Ilja Morozov<br />

10


Von links nach rechts:<br />

Vordere Reihe:<br />

Sabina Riedl, Hans Wu, Mag. Bettina Fink<br />

Hintere Reihe:<br />

Dr. Christina Kronaus, Hans Hrabal, Mag. Beate Haselmayer<br />

11


Die Krise verlangt nach plausiblen Erklärungen. Diese werden<br />

immer öfter in Form von Metaphern geliefert. Bilder ersetzen Worte.<br />

Diese Gleichnisse wirken besser als langwierige Begründungen. Ein<br />

»Schutzschirm« gegen unberechenbare Finanzmärkte wird positiv gewertet.<br />

Gegen einen »Hebel«, mit dem sich das eingesetzte Rettungskapital<br />

der Euro-Staaten vervielfachen lässt, kann man doch nicht sein.<br />

Allerdings: Mit Metaphern werden Inhalte abgewandelt, oft verfälscht.<br />

Wir vom ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong> bemühen uns, diese Bilder ins<br />

rechte Licht zu rücken, richtig zu deuten. Würde anstelle des »Hebels«<br />

das Symbol eines »Ballons« stehen, der stärker aufgeblasen wird, ist die<br />

Bewertung eine andere. Ein Hebel gilt als stabiles Hilfsinstrument; ein<br />

Ballon kann platzen.<br />

Dieses Beispiel zeigt, dass man mit den passenden Metaphern die<br />

Gefährlichkeit verniedlichen und ausblenden kann, die in bestimmten<br />

Kriseninstrumenten steckt. Das gilt auch für den »stotternden Motor«,<br />

den man als Vergleich heranzieht, wenn die Konjunktur im Euro-Raum<br />

nicht richtig läuft. Sofort fällt einem ein, dass zu wenig Treibstoff im<br />

Tank sein könnte, also zu wenig Geld zur Verfügung steht. Dass ein<br />

stotternder Motor aber auch auf einen gravierenden Schaden hinweisen<br />

kann, daran denkt vorweg kaum jemand.<br />

In all diesen Fällen ist es unsere Aufgabe als Wirtschaftsjournalisten,<br />

auf die mögliche andere Deutung der Bilder hinzuweisen. Auch wenn<br />

die handelnden Akteure es nicht immer gerne sehen.<br />

Metaphern können im Einzelfall auch ganz entlarvend sein. So hat<br />

der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Einsatz von<br />

Rettungsgeldern für Griechenland Ende November gemeint: »Wir fahren<br />

auf Sicht.« Das heißt doch, dass die Rettungsgasse nicht frei sein muss;<br />

dass wir möglicherweise bremsen müssen, bevor es kracht.<br />

12<br />

Von Schutzschirmen, Hebeln<br />

und von stotternden Motoren<br />

von Mag. Hans Tesch


In unseren Sendungen machen wir Inhalte transparent und versuchen,<br />

die Fakten hinter den Metaphern bloßzulegen. Wir möchten den <strong>€CO</strong>-<br />

Zusehern den Durchblick erleichtern. Um selbst eine Metapher zu strapazieren:<br />

Wir versuchen die glatten Oberflächen zu entspiegeln, so dass<br />

die Wahrheiten dahinter sichtbar werden. Sei es bei der Euro-Rettung,<br />

bei den Hintergründen für die Staatsschulden oder bei den Angeboten<br />

für die private Geldanlage.<br />

Dieses <strong>€CO</strong>-Jahrbuch ist mit ein Teil unseres Bemühens, objektiv zu<br />

informieren, plausibel aufzuklären und allen Interessierten zu helfen,<br />

die jeweils richtige und passende Entscheidung für ein wirtschaftliches<br />

Fortkommen zu treffen.<br />

In diesem Sinne viel Nutzen wünscht<br />

Ihr<br />

Hans Tesch<br />

Sendungsverantwortlicher<br />

ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong><br />

PS: Das <strong>€CO</strong>-Jahrbuch erscheint heuer in einer Jubiläumsedition, in<br />

größerem Format und mit noch mehr Informationen. Mein Dank an alle<br />

Mitwirkenden.<br />

13


14<br />

Große Worte –<br />

meist sogar richtige<br />

gesammelt von Günther Kogler<br />

»Griechenland wird als Erstes verlangen, von<br />

Deutschland gerettet zu werden.«<br />

Margaret Thatcher erfährt, dass es die Europäische Union mit der<br />

Einführung einer gemeinsamen Währung ernst meint.<br />

Das war im Jahr 1993.<br />

»Der Euro wird ein brennendes Haus ohne Ausgänge sein.«<br />

William Hague, Parteichef der britischen Tories, im Jahr 2001.<br />

»Wir hätten da noch ein paar Fragen«<br />

Die deutsche Wochenzeitung »Die Zeit« zweifelt den Spruch des<br />

Verfassungsgerichtshofes in Karlsruhe an, der den Fiskalpakt<br />

und den »Europäischen Stabilitätsmechanismus« (ESM) als<br />

»mit dem Deutschen Grundgesetz weitgehend vereinbar«<br />

beurteilte.<br />

»Solange ich lebe, wird es in der europäischen<br />

Schuldenkrise keine Eurobonds geben.«<br />

Möglicherweise lebensverkürzende Ansage der deutschen<br />

Bundeskanzlerin Angela Merkel.<br />

»Wer möchte sich schon in einem brennenden Hotel einmieten?«<br />

Thora Anorsdottir, isländische Präsidentschaftskandidatin,<br />

warnt ihre Landesleute vor einem Beitritt zur Euro-Zone.<br />

»Auch wir bescheißen gelegentlich.«<br />

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble<br />

nimmt Griechenlands Politiker in Schutz.<br />

»Er hat erzählt, dass er Nierensteine hat, direkt<br />

aus dem Krankenhaus kommt, enorme Schmerzen hat.«<br />

Finanzministerin Maria Fekter löst bei Euro-Gruppen-Chef<br />

Jean-Claude Juncker den nächsten Fieberschub aus.


Turbulente Jahre für den Euro: Von<br />

Lügnern, Betrügern und Fantasten<br />

von Günther Kogler<br />

Ist der Euro aus dem Gröbsten heraus? Nein. Steht er Anfang 2013<br />

besser da als Anfang 2012? Nein. Sind wenigstens die Risiken<br />

kleiner geworden, die die europäische Gemeinschaftswährung<br />

bedrohen? Ein letztes Mal: nein. Das Positive am letzten Jahr<br />

war, dass die Union Instrumentarien gefunden hätte, die das<br />

Überleben des Euro ermöglichen könnten. Das Negative an 2012<br />

war: Es gibt sie noch immer, die Lügner, Betrüger und Fantasten<br />

in den so genannten europäischen Eliten.<br />

Wir wollen das alte Jahr nicht als verloren abschreiben – anders, als<br />

das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« im September 2011 prophezeite,<br />

hat der Euro auch das Jahr 2012 überlebt. Das war schon eine<br />

beachtliche Leistung. Die Zone der Gemeinschaftswährung umfasst<br />

auch immer noch siebzehn Mitgliedsländer – diese Leistung war noch<br />

beachtlicher. Und: Unter viel Streit, endlosen Debatten und unzähligen,<br />

nervtötenden Gipfeltreffen hätten die Staatenlenker auch Instrumentarien<br />

gefunden, die das weitere Überleben des Euro auch gewährleisten<br />

könnten. Über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)<br />

wird dazu unglaublich viel Geld in die Hand genommen, über die<br />

Europäische Zentralbank (EZB) wird auf die Finanzmärkte eingewirkt,<br />

wie das in diesem Ausmaß in der alten Welt noch nie der Fall war.<br />

Also: Alles paletti? Leider nein. Die Bedrohungsbilder sind dieselben<br />

geblieben, schlimmer noch, es sind neue dazu gekommen. Als EU-<br />

Währungskommissar Olli Rehn Anfang November 2012 in Brüssel vor<br />

die Presse trat, um einen wirtschaftlichen Ausblick auf die kommenden<br />

Euro-Jahre zu geben, musste er ein Bild zeichnen, in dem Europa<br />

das Wasser bis zum Hals steht. Nur, wenn alles gut geht, schafft es die<br />

Union bis zum Jahresende aus der Rezession. Nur, wenn wirklich alles<br />

gut geht, rettet sich Europa bis zum Jahr 2014 wieder in eine Phase<br />

eines Mini-Wirtschaftswachstums. Und nur, wenn wirklich, also wirklich<br />

alles gut geht, wird die Zahl der Euro-Mitgliedsländer dann immer<br />

noch dieselbe sein wie heute.<br />

15


Abseits der Schönredner rundum die Fakten. Die Budget- und Schuldenlage<br />

vieler Staaten in der Union und vor allem auch in der Euro-<br />

Zone ist dramatisch. Spanien wird sein Budgetdefizit von heuer acht<br />

bis zum Jahr 2014 nur auf 6,4 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes<br />

drücken können. Zur selben Zeit steigt die Verschuldung des großen<br />

Landes von derzeit 86 Prozent der Wirtschaftsleistung auf fast einhundert<br />

Prozent.<br />

Italien bereitet nicht weniger Sorgen. Wenigstens stabil bleibt unser<br />

südlicher Nachbar, mit dem Österreich so viele Wirtschaftsbeziehungen<br />

unterhält – aber auf welchem Niveau: Schon heute ist Italien mit<br />

126 Prozent der eigenen jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet.<br />

Das wird sich, wenn alles gut geht, bis zum nächsten Jahr um genau<br />

null verändern. Aber all das, was die »Expertenregierung« Mario Monti<br />

an harten Sparprogrammen politisch auf die Reihe gebracht hat, all<br />

das fließt direkt in die Abdeckung der Ansprüche der internationalen<br />

Gläubiger.<br />

Und Griechenland? Griechenland ist in allen Modellrechnungen der<br />

Wirtschaftsforscher aus der Abteilung Akutproblem längst in die Abteilung<br />

Dauerproblem verlegt worden. Als 2009 die ersten Hilfszahlungen<br />

argumentiert werden mussten, lautete die Begründung noch:<br />

» ... damit Griechenland im Jahr 2013 wieder auf den Kapitalmarkt zurückkehren<br />

kann.« Die optimistischsten Prognosen heute rechnen mit<br />

einer Rückkehr von Hellas auf besagte Kapitalmärkte frühestens im<br />

Jahr 2020; das sind, wie gesagt, die Projektionen, in denen wirklich,<br />

wirklich, aber auch wirklich alles gut geht.<br />

An Problemfällen also mangelt es in der Euro-Zone nicht. Portugal<br />

könnte noch angeführt werden, das auch durch ein böses wirtschaftliches<br />

Tal geht; selbst Frankreich wird mittlerweile als Wackelkandidat<br />

angesehen und niemand in Berlin will sich ausmalen, was passiert,<br />

wenn Paris seine Probleme – und die bestehen nicht nur in der Automobil-Industrie<br />

– nicht in den Griff bekommt.<br />

Die größte Hürde für die so genannten politischen Eliten besteht in<br />

der Akzeptanz der Bevölkerungen. Daran sind sie selbst schuld. Wer<br />

beobachtet hat, welche Massen von Menschen im November des alten<br />

16


Wirtschaftswachstum (in Prozent, zum Vorjahr gerechnet)<br />

2012 2013 2014<br />

Deutschland<br />

0,8<br />

0,8<br />

2,0<br />

Österreich<br />

0,8<br />

0,5<br />

1,7<br />

Europ. Gemeinschaft (EU 27)<br />

-0,3<br />

0,4<br />

1,6<br />

Großbritannien<br />

-0,3<br />

0,9<br />

2,0<br />

Euro-Länder (Euro 17)<br />

-0,4<br />

0,1<br />

1,4<br />

Spanien<br />

-1,4<br />

-1,4<br />

0,8<br />

Italien<br />

-2,3<br />

-0,5<br />

0,8<br />

Portugal<br />

-3,0<br />

-1,0<br />

0,8<br />

Griechenland<br />

-6,0<br />

-4,2<br />

0,6<br />

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaft, OeNB<br />

Jahres auf die Straßen gingen, von Madrid bis Athen, von Lissabon bis<br />

Rom, um gegen die Politik ihrer jeweiligen Regierungen zu demonstrieren,<br />

dem musste klar werden: Hier ist nicht nur der Feldversuch<br />

Euro in Gefahr, hier wackelt das Großprojekt Europäische Union.<br />

Wunder ist es keines. Jeder Zehnte (!) findet im Raum der Union keine<br />

Arbeit. In absoluten Zahlen: 26 Millionen EU-Bürger sind ohne Job.<br />

Bis zum Jahr 2014 werden, so die Ökonomen, weitere 2,6 Millionen<br />

dazu kommen. In Ländern wie in Griechenland und Spanien wird die<br />

Arbeitslosenrate bei 24 bzw. 26 Prozent verharren; ganz zu schweigen<br />

von den Jugendlichen. In den genannten Krisenländern beträgt die<br />

Jugendarbeitslosigkeit brutale 50 Prozent. So gut ausgebildete junge<br />

Leute wie nie kommen nicht und nicht auf dem Arbeitsmarkt unter.<br />

Lange wird sie nicht mehr ticken, diese Zeitbombe.<br />

Es schließt sich der Kreis zum kleinen Österreich. Wer sich unsere Ziffern<br />

vor Augen führt, dem muss – zwangsläufig beinahe – das Bild<br />

der kleinen Nussschale in rauer See erscheinen. Ein Wirtschaftswachstum<br />

wie jenes des großen Euro-Motors Deutschland; zwischen »good<br />

old germany« und der Alpenrepublik liegen in den Fakten und den<br />

Projektionen maximal 0,1 Prozent. Eine Verschuldung, in Prozent der<br />

Wirtschaftsleistung gerechnet, die besser liegt als jene Deutschlands<br />

17


Arbeitslosenrate (in Prozent)<br />

2012 2013 2014<br />

Österreich<br />

4,5<br />

4,7<br />

4,2<br />

Deutschland<br />

5,5<br />

5,6<br />

5,5<br />

Großbritannien<br />

7,9<br />

8,0<br />

7,8<br />

Europ. Gemeinschaft (EU 27)<br />

10,5<br />

10,9<br />

10,7<br />

Italien<br />

10,6<br />

11,5<br />

11,8<br />

Euro-Länder (Euro 17)<br />

11,3<br />

11,8<br />

11,7<br />

Portugal<br />

15,5<br />

16,4<br />

15,9<br />

Griechenland<br />

23,6<br />

24,0<br />

22,2<br />

Spanien<br />

<strong>25</strong>,1<br />

26,6<br />

26,1<br />

(ein gröberes Sparpaket wird noch vonnöten sein, sonst bleibt der Abstand<br />

nicht groß genug …). Das Highlight schlechthin: die Rate der<br />

Arbeitslosen. Von einer Quote von 4,5 (und in der Projektion: 4,7) Prozent<br />

können andere Euro-Länder nur träumen.<br />

Und doch, auch hierzulande wachsende Unzufriedenheit, wachsender<br />

Frust. Heuer ist ein großes Wahljahr und der Regierung sei ins<br />

Stammbuch geschrieben, was Wolfgang Bachmayer und sein Meinungsforschungsinstitut<br />

OGM zum Jahresende 2012 für <strong>€CO</strong> erhoben haben:<br />

Mehrheitlich fühlt sich die Bevölkerung bereits unterfordert. Sie<br />

glaubt den Lügnern, Betrügern und Fantasten auch im eigenen Land<br />

nicht mehr.<br />

Wer verfolgt hat, wie die Österreicher und Österreicherinnen in den<br />

vergangenen Jahren mit ihrem Geld und mit ihren Vermögen umgegangen<br />

sind, wusste zu deuten, wie groß das Vertrauen in die gemeinsame<br />

Währung noch ist. Wer viel Holz hatte, rettete sich in Immobilien; wer<br />

weniger auf der Kante hatte, steckte es in den Konsum.<br />

Nicht mit den Füßen wurde abgestimmt über den Euro, aber über das<br />

Konto. Gold? Hhmm, ein bisschen. Das Sparbuch? O.k., aber rechnen<br />

in Achtel-Prozenten ist mühsam. Der Bausparer? Auch nicht das<br />

18<br />

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaft, OeNB


Gelbe vom Ei, aber vielleicht, wenn wir uns wieder trauen, brauchen<br />

wir einen »Anspruch« auf einen Kredit. Die Börse? Real gar keine so<br />

schlechte Performance, aber wer war drin? Die Profis, die »Institutionellen«<br />

– für die einfache Kundschaft war die Börse bloß ein Trauerspiel.<br />

Private Vermögensverwaltung? Machen wir selber. Neue Finanzprodukte?<br />

Igitt, so viele Betrugsfälle in den letzten Jahren, von denen<br />

ein Gutteil juristisch noch nicht einmal angegangen wurde.<br />

Am Ende die letzten Fakten. Österreich hilft, wie alle anderen Euro-<br />

Länder, Griechenland nicht nur mit Barem, sondern auch mit Man-Power.<br />

Direkt der EU-Kommission unterstellt befinden sich permanent<br />

Beamte des Wiener Finanzministeriums in Athen, um Griechenland<br />

beim Aufbau einer funktionierenden Finanzadministration zu helfen.<br />

Diese »Task-Force«, die hauptsächlich aus Deutschen, Franzosen und<br />

Italienern besteht, weiß Abenteuerliches zu berichten. Wer den<br />

Erzählungen der internationalen »Task-Force«-Mitglieder genau zuhört,<br />

kann gar nicht anders als Griechenland als »failed state« einzustufen.<br />

Unternehmensbesteuerung? Mittels Karteikarten. Umsatzsteuererhebung?<br />

Keine Software. Korruption? Na klar, nicht zu wenig.<br />

Dabei hätte eine Meldung, sie ging im Wust der vielen Griechenland-<br />

Depeschen des alten Jahres unter, viele hellhörig werden lassen müssen.<br />

Christine Lagarde, die Chefin des Internationales Währungsfonds IWF,<br />

brachte als Begrüßungsgeschenk für die neue griechische Regierung im<br />

Frühherbst des Jahres 2012 eine kleine Liste nach Athen mit: Darauf<br />

standen Namen, Daten und Kontonummern von griechischen Staatsbürgern,<br />

die ihr Scherflein zu Hause nicht leisten wollten, weil sie ihr Vermögen<br />

längst in das »sichere Ausland« transferiert hatten; Schweizer<br />

Banken, Liechtenstein’sche Stiftungen, »Trusts Ltd’s« auf den Kanalinseln<br />

Jersey und Guernsey zwischen England und Frankreich.<br />

Allein schon die Tatsache, dass die IWF-Chefin höchstpersönlich ein so<br />

hochbrisantes Papier überbringt (und offenbar darüber verfügt), sollte<br />

nachdenklich stimmen. Viel nach denklicher jedoch stimmte einen<br />

Journalisten die Meldungen der »Task-Force« dazu: »Ja, jetzt weiß die<br />

griechische Finanzadministration Bescheid. Das Problem ist: Sie verfügt<br />

über keinen alten Datenbestand. Sie beginnt quasi bei null. Bis<br />

das aufgearbeitet ist, vergehen Jahrzehnte.«<br />

19


Zum Politischen: Europa ist sich herzhaft uneins. Diametraler könnten<br />

die Lösungsansätze für die Krise gar nicht sein, als sie sich Ende des<br />

Jahres 2012 darstellten. Die einen, die noch halbwegs Wohlhabenden,<br />

pochen weiter aufs Sparen und Haushalten bei den Defizitländern, die<br />

anderen, die zunehmend Klammen, fordern immer heftiger die »Vergemeinschaftung<br />

der Schulden«. Und beide Pol-Enden haben Sorge an<br />

der Macht zu bleiben. In den »Geber«-Ländern sind neue Belastungen<br />

für die Steuerzahler »nicht mehr zumutbar«, in den »Nehmer«-Ländern<br />

gilt dasselbe für neue Sparprogramme.<br />

Dazwischen blüht das Biotop Europäische Zentralbank. Die in Frankfurt<br />

ansässige ursprüngliche »Inflationswächterin« und »Hüterin des<br />

Euro« ist als einzige handlungsfähige Institution des Euro-Raumes<br />

übrig geblieben. Der Preis dafür ist hoch: ein Land, eine Stimme. Und<br />

so wird im Vierzehn-Tage-Rhythmus abgestimmt, worüber sich die 17<br />

Finanzminister und 17 Regierungschefs der Euro-Zone nie einig würden:<br />

über Anleihenankäufe aus den Schuldnerländern, über Milliardenhilfen<br />

an Krisenbanken, über die Geldmenge und den Refinanzierungssatz<br />

für Kreditinstitute insgesamt.<br />

Das wirklich besondere an der EZB ist freilich nicht der Umstand, dass<br />

sie handelt. Es ist die Tatsache, dass niemand in Europa mehr weiß,<br />

wer wie mit dem Geld der Steuerzahler umgeht. Was in Frankfurt beschlossen<br />

wird, bleibt geheim.<br />

Alles in allem: eine vertrackte Situation. Es ist zu vermuten, dass ein<br />

Aufbrechen der Euro-Länder teuer würde. Fällt ein Land, springt der<br />

Funke der Destruktion auf das nächste über; gefährdet waren und<br />

sind immer die allzu Sorglosen. Es ist aber auch Fakt, dass kein Bürger<br />

in jenen Ländern Europas, die bewusst nicht dem Euro beigetreten<br />

sind, aus genau diesem Grund tot umgefallen wäre.<br />

Also: Der »Feldversuch Euro« hält an. Es gab und gibt unendlich viele<br />

gute Gründe dafür ihn zu unternehmen. Er kann gut ausgehen. Aber:<br />

Er muss nicht zwangsläufig gut gehen. Vor allem: Er muss nicht gut<br />

gehen für alle, die von Anfang an mitmachen wollten.<br />

20


Steuern, Gebühren & Co.:<br />

Das ist neu im Jahr 2013<br />

von Dr. Christina Kronaus<br />

Das heurige Wahljahr 2013 verspricht Spannung. Der Staat<br />

braucht dringend Geld; die etablierten Parteien kämpfen um<br />

ihre Wähler. Wie dieser Balanceakt zwischen Steuerjagd und<br />

Wahlzuckerln aussieht, zeigen wir Ihnen im folgenden Beitrag.<br />

Es gibt viele Neuerungen – sowohl in steuerlicher Hinsicht als<br />

auch, was Sozial- und Pensionsabgaben betrifft. Also: aufpassen<br />

– und nachrechnen.<br />

Gleich eine Milliarde Euro erwartet sich Finanzministerin Maria Fekter<br />

aus den Nachzahlungen österreichischer Steuerflüchtlinge aus<br />

der Schweiz: Viele Experten erachten dies als zu optimistisch. Aber<br />

die Fakten: Vom neuen Steuerabkommen betroffen sind alle Personen,<br />

die in Österreich ansässig sind und am 31. Dezember 2010 und am<br />

1. Jänner 2013 ein Konto oder Depot bei einer Schweizer Bank besaßen.<br />

Diese Personen haben im Zeitraum vom 1. Jänner 2013 bis zum 31. Mai<br />

2013 folgende zwei Wahlmöglichkeiten: Sie bezahlen per »Anonymer<br />

Abgeltung« (pauschale Einmalzahlung). Die Schweizer Bank bucht vom<br />

österreichischen Kunden den von ihr berechneten pauschalen Steuerbetrag<br />

in der Höhe von 15 bis 30 Prozent zu Lasten seines Vermögens<br />

ab und leitet diesen an die österreichische Steuerbehörde weiter. Oder:<br />

Die Betroffenen entscheiden sich, der österreichischen Finanzverwaltung<br />

ihre Vermögenswerte offen zu legen; dann handelt es sich um<br />

eine »freiwillige Meldung«. Dies gilt als strafbefreiende Selbstanzeige.<br />

Um auch die künftige ordnungsgemäße Besteuerung der Kapitalerträge<br />

in Österreich sicherzustellen, enthält das Abkommen auch<br />

eine Verpflichtung der Schweizer Banken zur Einbehaltung einer der<br />

österreichischen Kapitalertragssteuer (KESt) nachempfundenen Abgeltungssteuer<br />

auf die laufenden Kapitalerträge in Höhe von <strong>25</strong> Prozent.<br />

Der Anleger kann dabei wiederum wählen zwischen der (anonymen)<br />

Abzugssteuer und einer Offenlegung der Erträge gegenüber dem österreichischen<br />

Fiskus.<br />

21


Bei Beendigung eines (echten oder freien)<br />

Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung<br />

oder einvernehmliche Lösung muss ab 2013 der Dienstgeber eine<br />

Auflösungsabgabe von 113 Euro bezahlen. Diese neue Abgabe soll dem<br />

Staat 47 Millionen Euro einbringen.<br />

Auflösungsabgabe<br />

Die neue Autobahnvignette kostet für das<br />

gesamte Jahr 2013 für Pkw 80,60 Euro (statt<br />

77,80 Euro im letzten Jahr). Wer ohne gültige Vignette erwischt wird,<br />

zahlt für Pkw – unverändert zum Vorjahr – 120 Euro Ersatzmaut.<br />

Damit erwirbt man freilich nur die Berechtigung, mit diesem Fahrzeug<br />

die Autobahnen und Schnellstraßen an diesem Tag und dem darauf<br />

folgenden Kalendertag zu benützen. Eine gültige Vignette muss dann<br />

trotzdem her. Übrigens: Kann man nicht an Ort und Stelle bezahlen,<br />

droht eine Geldstrafe von 300 bis 3000 Euro.<br />

Autobahnvignette<br />

Die Berechnung der 1,1-prozentigen Eintragungsgebühr<br />

in das Grundbuch vom dreifachen<br />

Einheitswert soll auch ab 2013 für<br />

Schenkungen innerhalb der Familie beibehalten<br />

werden. Begünstigt sind alle (entgeltlichen und unentgeltlichen)<br />

Übertragungen an den Ehegatten, eingetragenen Partner oder<br />

Lebensgefährten, wenn die Lebensgefährten einen gemeinsamen<br />

Hauptwohnsitz haben. Weiters sind alle Übertragungen an Großeltern,<br />

Eltern, Kinder und Enkel sowie deren Ehegatten, an Stief-, Wahloder<br />

Pflegekinder oder deren Kinder bzw. Ehe gatten, aber auch an<br />

Geschwister, Nichten und Neffen begünstigt. Dabei soll es keine Rolle<br />

spielen, ob es sich um privat genutzte bzw. vermietete Liegenschaften<br />

handelt oder um Liegenschaften im Rahmen von Betriebsübertragungen<br />

innerhalb dieses Personenkreises.<br />

Eintragungsgebühr in<br />

das Grundbuch<br />

Elektronische<br />

Rechnung<br />

Ab 2013 berechtigen auch elektronische<br />

Rechnungen, die z. B. per E-Mail, als E-Mail-<br />

Anhang oder Web-Download übermittelt werden,<br />

zum Vorsteuerabzug, ohne dass sie nach<br />

dem Signaturgesetz signiert sein müssen. Voraussetzung ist, dass<br />

der Empfänger dieser Art der Rechnungsausstellung zugestimmt hat<br />

und die Echtheit der Herkunft, die Unversehrtheit ihres Inhaltes und<br />

22


ihre Lesbarkeit bis zum Ende der siebenjährigen Aufbewahrungsfrist<br />

gewährleistet. Eine sehr positive neue Regelung, meinen etwa die<br />

Steuerexperten der Kanzlei »BDO Austria«.<br />

Steuerpflichtige, die über einen Internetanschluss<br />

verfügen und die wegen Überschreitens<br />

der Umsatzgrenze von 30.000 Euro zur<br />

Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen<br />

verpflichtet sind, müssen die Jahressteuererklärungen verpflichtend<br />

über »Finanzonline« elektronisch einreichen. Ab 2013 werden in diesen<br />

Fällen auch die Bescheide nur noch elektronisch zugestellt.<br />

Elektronische<br />

Bescheidzustellung<br />

Steuer auf den<br />

Immobilienertrag<br />

Seit 1. April 2012 werden Veräußerungsgewinne<br />

aus Liegenschaften unabhängig von<br />

der Besitzzeit generell mit <strong>25</strong> Prozent Einkommensteuer<br />

belegt. Für private Veräußerungsgewinne<br />

aus Liegenschaften bedeutet dies in den meisten<br />

Fällen eine zusätzliche Steuerbelastung, da ja davor Liegenschaften<br />

ab dem elften Besitzjahr steuerfrei veräußert werden konnten (für die<br />

Veräußerung innerhalb der ersten Jahre mussten für den Gewinn aber<br />

50 Prozent Einkommensteuer bezahlt werden). Für so genannte Altvermögen,<br />

das sind insbesondere Liegenschaften, die bereits vor dem<br />

1. April 2002 angeschafft wurden, gibt es insofern eine Vereinfachung,<br />

als der Veräußerungsgewinn pauschal mit 14 Prozent des Veräußerungserlöses<br />

angenommen werden kann, was bei einem Steuersatz<br />

von <strong>25</strong> Prozent eine effektive Steuerbelastung von 3,5 Prozent ergibt.<br />

Steuerfrei bleibt weiterhin die Veräußerung von Eigenheimen oder<br />

Eigentumswohnungen, die dem Verkäufer seit der Anschaffung für<br />

mindestens zwei Jahre oder innerhalb der letzten zehn Jahre vor der<br />

Veräußerung für mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz<br />

gedient haben (das ist die so genannte Hauptwohnsitzbefreiung).<br />

Auch die Veräußerung von selbst hergestellten Gebäuden ist steuerfrei,<br />

soweit diese nicht vermietet wurden.<br />

Die Anhebung des begünstigten Steuersatzes<br />

für »sonstige Bezüge« tritt in Kraft. Für<br />

die Jahre 2013 bis 2016 (sagt die Regierung<br />

heute) wird die begünstigte Besteuerung von<br />

Solidarabgabe für<br />

höhere Einkommen<br />

23


»sonstigen Bezügen« mit sechs Prozent bei Einkünften von mehr als<br />

rund 185.000 Euro brutto pro Jahr (inklusive Sonderzahlungen) nicht<br />

mehr zustehen. Zu diesem Zweck wurde zusätzlich zum begünstigten<br />

Steuersatz von sechs Prozent für sonstige, insbesondere einmalige Bezüge<br />

(z. B. 13. und 14. Gehalt, Einmalprämien) innerhalb des Jahressechstels<br />

folgende Progressionsstaffel eingeführt:<br />

Steuersätze für steuerpflichtige sonstige, insbesondere<br />

einmalige Bezüge:<br />

für die ersten 620 Euro<br />

0,00 Prozent<br />

für die nächsten 24.380 Euro<br />

6,00 Prozent<br />

für die nächsten <strong>25</strong>.000 Euro<br />

27,00 Prozent<br />

für die nächsten 33.333 Euro<br />

35,75 Prozent<br />

über 83.333 Euro<br />

50,00 Prozent<br />

Dies bedeutet: Bis zu einem Bruttomonatsgehalt von rund 13.200 Euro<br />

ändert sich bei der Besteuerung der »sonstigen Bezüge« nichts. Bei<br />

darüber hinaus gehenden Bezügen wird der 13. und 14. Bezug bis<br />

zu einem Bruttomonatsgehalt von rund <strong>25</strong>.720 Euro mit 27 Prozent<br />

und bis zu einem Bruttomonatsgehalt von rund 42.400 mit 35,75 Prozent<br />

besteuert. Wer darüber liegt, zahlt einen Spitzensteuersatz von<br />

50 Prozent.<br />

Kürzung des Gewinnfreibetrages<br />

Parallel dazu wird für einkommensteuerpflichtige Unternehmer der<br />

13-prozentige Gewinnfreibetrag für Gewinne ab 175.000 Euro wie folgt<br />

reduziert:<br />

für Gewinne zwischen 175.000 und 350.000 auf 7 Prozent<br />

für Gewinne zwischen 350.000 und 580.000 auf 4,5 Prozent<br />

Die Höchstbemessung für Sozialversicherungsbeiträge<br />

erhöht sich ab 2013 nicht nur<br />

Sozialversicherung:<br />

Die neuen Werte 2013 um die Aufwertungszahl, sondern auch um<br />

zusätzliche 90 Euro pro Monat. Das heißt, die<br />

Höchstbemessungsgrundlage p. a. erhöht sich von 59.220 Euro auf<br />

62.160 Euro. Das bedeutet mehr Geld in die Sozialversicherungskassen,<br />

jedoch auch eventuell einen etwas höheren Pensionsanspruch.<br />

24


Spenden, die als Betriebsausgaben oder Sonderausgaben<br />

geltend gemacht werden können,<br />

Spenden<br />

waren bis jetzt mit zehn Prozent des Vorjahresgewinnes bzw. Gesamtbetrags<br />

der Einkünfte des Vorjahres gedeckelt. Ab 2013 gelten als<br />

Obergrenze zehn Prozent der Einkünfte des laufenden Jahres. Spendenvereine<br />

werden verpflichtet, auf Verlangen des Spenders eine Spendenbestätigung<br />

auszustellen.<br />

Der Bonus von maximal 500 Euro für Hybridautos<br />

und andere umweltfreundliche Antriebs-<br />

NOVA<br />

motoren wird bis zum 31. Dezember 2014 verlängert. Im Gegenzug wird<br />

die Freigrenze mit ersten Jänner von 160 auf 150 Gramm CO 2<br />

gesenkt.<br />

Die im Rahmen der Budgetsanierung<br />

eingeführte neue Besteuerung von<br />

Wertzu wächsen bei Aktien und sonstigen<br />

Kapital anlagen ist ja bereits mit<br />

Steuer auf den<br />

Vermögenszuwachs<br />

1. April 2012 in Kraft getreten. Für alle Verkäufe seit dem 1. April<br />

2012 fällt für das so genannte Neuvermögen die neue Wertpapiersteuer<br />

mit <strong>25</strong> Prozent an. Zum »Neuvermögen« zählen alle seit dem<br />

1. Jänner 2011 erworbenen Aktien und Investmentfonds sowie alle<br />

anderen ab dem 1. April 2012 entgeltlich erworbenen Kapitalanlagen<br />

(insbesondere Anleihen und Derivate). Neu ist, dass Verluste aus<br />

der Veräußerung dieser dem »Neuvermögen« zuzurechnenden Kapitalanlagen<br />

nicht nur mit Ver äußerungsgewinnen, sondern auch mit<br />

Dividenden und Zinsen aus Anleihen (nicht jedoch mit Sparbuchzinsen)<br />

eines Jahres ausgeglichen werden können. Für das Jahr<br />

2012 werden die Banken diesen Verlustausgleich bis spätestens<br />

30. April 2013 durchführen. Ab dem Jahr 2013 erfolgt der Verlustausgleich<br />

bereits laufend und zwar depotübergreifend für alle Depots beim<br />

jeweiligen Bankinstitut.<br />

Im Wahljahr entdeckt die Regierung die Pendler.<br />

Wegen der hohen Spritpreise wird das<br />

Pendlerpauschale angehoben. Zu Redaktionsschluss dieses Buches war<br />

folgendes Modell »in Parlamentsarbeit«: plus 60 Euro für Tagespendler,<br />

die mehr als 60 Kilometer zurücklegen; Erhöhung der Pauschale auch<br />

für Wochenpendler.<br />

Pendlerpauschale<br />

<strong>25</strong>


Pensionen<br />

Seit 1. Jänner sind die Pensionen um 1,8 Prozent<br />

erhöht. Das Sparpaket hat für dieses<br />

Jahr den üblichen »Anpassungsfaktor« außer Kraft gesetzt. Nicht<br />

betroffen sind die Ausgleichszulagen-Richtsätze. Ach ja: Auch für Politiker<br />

gibt’s erstmals nach vier Jahren wieder eine Gehaltserhöhung.<br />

Erraten: Sie beträgt 1,8 Prozent.<br />

Für Gewerbetreibende und Beamte gelten seit<br />

Jahresbeginn höhere Pensionsbeiträge. Der<br />

Eigenanteil der Pflichtbeiträge zur Pen sionsversicherung nach dem<br />

GSVG wird auf 18,5 Prozent der Beitragsgrundlage angehoben, jener<br />

der Pflichtbeiträge nach dem BSVG wird per 1. Juli auf 16 Prozent erhöht.<br />

GSVG und BSVG<br />

Das Ende der<br />

»Hackler«<br />

Die »lange Versicherungsdauer« wird stufenweise<br />

erhöht. Für die Inanspruchnahme der<br />

»Hacklerregelung« (von der hauptsächlich<br />

Beamte, Bank- und Versicherungsangestellte<br />

profitiert hatten) sind statt bisher 38,5 nunmehr 40 Versicherungsjahre<br />

erforderlich.<br />

UnternehmerInnen, die regelmäßig weniger<br />

als <strong>25</strong> Dienstnehmer beschäftigen, haben ab<br />

dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit erstmals<br />

Anspruch auf ein Krankengeld. Es orientiert<br />

sich an den Regelungen des ASVG.<br />

Krankengeld auch<br />

für die Chefs<br />

Mit Jahreswechsel ist die Gaststättenpauschalierungs-Verordnung<br />

vom Verfassungsgerichtshof<br />

aufgehoben worden. Bis zur Stunde<br />

wird im Finanzministerium um eine Nachfolgeregelung<br />

gestritten. Der Protest der Gastwirte ist beträchtlich. Viele<br />

hatten die günstige Steuerpauschalierung bereits fix in ihre Ein- und<br />

Ausgabenrechnung eingerechnet.<br />

Das Problem<br />

pauschalierte Wirte<br />

26


Auf (Kon-)Kurs: Warum<br />

wir Pleite-Banken retten<br />

von Mag. Bettina Fink<br />

Seit 2008 geht ein Schreckgespenst um: Es heißt »Bankenpleite«.<br />

Abermilliarden an Staatshilfen wurden auch in Österreich locker<br />

gemacht, um marode Kreditinstitute vor dem Untergang zu<br />

bewahren. Doch: Warum muss eigentlich der Steuerzahler für<br />

Banken aufkommen, die sich komplett verspekuliert haben? Und<br />

wie viel Geld soll noch fließen?<br />

Was bei der Pleite einer globalen Großbank passiert, zeigte das Beispiel<br />

»Lehman«. Die Investmentbank wurde 2008 von der US-Regierung in<br />

die Insolvenz geschickt. Betroffen waren 640.000 Geschäftspartner der<br />

Bank, 110.000 Gläubiger; die Klagsflut rollt bis heute. Zahlreiche Kleinanleger,<br />

die in Lehman-Zertifikate investiert waren, mussten ihr Geld<br />

abschreiben. Die Furcht vor unkontrollierbaren Auswirkungen solcher<br />

Pleiten versetzte vor allem Europas Politik in einen Banken-Rettungstaumel.<br />

In Österreich notverstaatlicht wurden die Österreichische<br />

Volksbanken AG, die Kommunalkredit und die Hypo Alpe Adria. Ein<br />

Ende der Zahlungsströme durch die öffentliche Hand ist nicht absehbar.<br />

Die Bankenrettung entpuppt sich als Fass ohne Boden.<br />

Die Pleite einer großen Bank käme teurer als deren Rettung, wird<br />

landläufig behauptet. Kurt Pribil, der Vorstand der österreichischen<br />

Finanzmarktaufsicht, schätzt, dass eine Pleite der Banken das Fünfbis<br />

Sechsfache einer Verstaatlichung kosten würde. Dadurch werde der<br />

Staat »de facto erpressbar«. Auf europäischer Ebene wurde 2012 der<br />

permanente Rettungsschirm ESM nicht nur für Pleitestaaten, sondern<br />

automatisch auch für die Rettung von angeblich »systemrelevanten«<br />

Banken aufgespannt. Doch ist die Rettung für die öffentliche Hand<br />

tatsächlich günstiger als eine Pleite?<br />

Schwer abzuschätzen, selbst für einen Experten wie Finanzprofessor<br />

Teodoro D. Cocca von der Universität Linz. Auf jeden Fall ist für ihn<br />

die quasi-automatische Verstaatlichung von Pleitebanken ein fatales<br />

Signal: »Normalerweise müsste ein Bankmanager immer auch Angst<br />

27


haben, dass er untergehen kann. Und weil er diese Angst spürt, wird<br />

er Risiken reduzieren, sorgfältig arbeiten. Diese disziplinierende Kraft<br />

eines drohenden Untergangs wird durch die permanenten Bankenrettungen<br />

freilich eliminiert.«<br />

Doch was hindert Europa denn, Banken »kontrolliert«<br />

pleitegehen zu lassen. Was steht<br />

tatsächlich auf dem Spiel – für Sparer, Investoren<br />

oder die Staaten? Das erste Problem:<br />

Es gibt in Europa kein taugliches Insolvenzrecht für Banken. Was<br />

für normale Unternehmen gilt, war für Banken offenbar undenkbar:<br />

»Scheitern« war einfach nicht eingeplant. In Europa und in Österreich<br />

wird seit einer gefühlten Ewigkeit an einem Fahrplan für die sinnvolle<br />

Abwicklung von Banken-Insolvenzen gearbeitet. Ergebnis: noch offen.<br />

Was steht tatsächlich<br />

auf dem Spiel?<br />

Und Banken unkontrolliert in die Pleite zu schicken, erscheint der Politik<br />

offenbar zu riskant. Da fürchtet man den viel zitierten »Dominoeffekt«:<br />

Stolpert eine Bank, könnten andere Banken, Institutionen und<br />

Investoren mitgerissen werden. Aber: Nicht alle Banken, die in den<br />

letzten Jahren gerettet wurden, wären tatsächlich »systemrelevant«<br />

gewesen. Was im »normalen« Wirtschaftsleben an der Tagesordnung<br />

steht, nämlich Insolvenzen, wird bei Banken gerne außer Kraft gesetzt.<br />

Was genau passierte denn, ginge eine Bank pleite? Ein Blick in eine<br />

Bankbilanz: Banken haben, wie jedes Unternehmen, Vermögen und Verbindlichkeiten.<br />

Besonderheit daran: Zu den »Verbindlichkeiten« zählt<br />

das Geld der Sparer, die diese bei der Bank einlegen, mit dem die Bank<br />

»arbeitet« – das die Sparer aber jederzeit zurückfordern können.<br />

»Schulden« hat eine Bank außerdem bei anderen Banken, die ihr<br />

Geld geliehen haben. Und bei allen, die Anleihen der Bank gekauft<br />

haben – ihr also eine Art Kredit gewähren. Und dann wäre da auch<br />

noch das Eigen kapital, das Geld der Bankeigentümer: Das wären, je nach<br />

Konstruk tion des Geldhauses, die Genossenschafter oder Aktionäre, die<br />

sich Anteile der Bank gekauft haben. Auf der Habenseite, also dem »Vermögen«<br />

einer Bank, stehen vor allem Kredite, die an Firmen, Staaten,<br />

Private oder andere Banken vergeben wurden. Und – quasi unter der<br />

Bilanz – laufen Vertragsgeschäfte, darunter Garantien, Derivate oder<br />

28


Swaps. Im Falle der Pleite sind all diese Akteure in irgendeiner Weise<br />

betroffen.<br />

Die gute Nachricht: Spareinlagen sind im Fall des Falles bis zu 100.000<br />

Euro pro Bank und Person abgesichert. Was die Pleite-Bank nicht<br />

selbst aufbringen kann, wird über die »Einlagensicherung« erst einmal<br />

von den anderen Banksektoren erstattet. Den »Rest« der Sicherung<br />

übernimmt am Ende der Staat. Die Pleite einer Großbank würde<br />

das derzeitige Sicherungssystem allerdings komplett überfordern. Und<br />

es gibt auch Kunden mit viel mehr als 100.000 Euro Einlagen: »Staaten,<br />

Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen, Universitäten – sie<br />

alle haben Geld bei Banken liegen. All diese Akteure wären auch von<br />

einer Bankenpleite betroffen – und da geht es um riesige Summen«,<br />

so Univ.-Prof. Dr. Stefan Pichler von der Wirtschaftsuniversität Wien.<br />

Dann wären da auch noch die institutionellen Anleger. Wie würde eine<br />

Pleite andere Banken oder jene, die Anleihen der Bank besitzen, treffen?<br />

Für Stefan Pichler keine guten Nachrichten: »Für Gläubiger, die<br />

keine gesicherten Spareinlagen haben, bedeutet eine Pleite einen herben<br />

Verlust. Es wird nur die Konkursquote ausbezahlt, die kann zum<br />

Beispiel 50 Prozent betragen – und es dauert Jahre, bis der Konkurs<br />

abgewickelt ist.«<br />

Durch das Auffangen von Banken besonders geschont werden aktuell<br />

immer die Eigentümer. Also Aktionäre oder Genossenschafter. Bei einer<br />

klassischen Pleite würden sie alles verlieren und teils sogar haften<br />

müssen. Doch das fällt ja eigentlich unter das Risiko, das Aktionäre<br />

und Eigentümer nun einmal eingehen. Deshalb sieht Teodoro D. Cooca<br />

den Bankensektor als »viel zu geschützte« Branche. »Der Staat scheint<br />

bereit zu sein, jegliche Verluste abzudecken. Dadurch leidet die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der ganzen Branche. Gute Banken können sich von<br />

schlechten kaum abheben, weil schlechte Banken am Ende auch noch<br />

für ihr Fehlverhalten belohnt werden, indem man sie rettet.«<br />

Und was ändert sich für Kreditnehmer bei einer Bankenpleite? Vorerst<br />

wenig. Ihre Raten zahlen sie weiter – an den Masseverwalter oder eine<br />

Bank, die die Kredite aus der Pleitemasse aufgekauft hat. Trotzdem kann es<br />

Probleme geben. Univ.-Prof. Dr. Stefan Pichler: »Ganz spannend wird<br />

29


die Frage bei Firmen, die ständig neuen Refinanzierungsbedarf haben.<br />

Muss man sich eine neue Bank suchen, wird die Bonität der Firma erst<br />

einmal geprüft. Das kann dauern. Und für manches Unternehmen wird<br />

dann die Zeit knapp.«<br />

Es gab in der Vergangenheit schon etliche<br />

Bankenpleiten in Österreich, darunter die<br />

Bank für Handel und Industrie, BHI, die 1995<br />

insolvent wurde. Tausende Sparer kamen<br />

plötzlich nicht mehr an ihr Geld heran. Fatal vor allem für jene, die<br />

ihr ganzes Geld bei der Pleitebank hatten, aber auch für Firmen, die<br />

Löhne ausbezahlen oder Rechnungen begleichen mussten.<br />

BHI: Die erste Pleite,<br />

die Sparer bedrohte<br />

Der heutige Pensionist Helmut Friedrich war einer der betroffenen<br />

Sparer. Er erinnert sich, dass es etliche Tage dauerte, bis eine erste<br />

Tranche der Einlagensicherung ausbezahlt wurde. »Wir waren deprimiert,<br />

weil wir uns in der Öffentlichkeit in einer langen Menschenschlange<br />

vor der Bank anstellen mussten und jeder wusste: Das waren<br />

die, die zu viel Geld hatten, die es bei der BHI eingelegt haben.«<br />

Friedrich nahm sich einen Anwalt. Und klagte mit zahlreichen anderen<br />

Betroffenen die Republik. 2003 musste der Staat tatsächlich für das<br />

gesamte Ersparte haften. Doch es dauerte zehn Jahre, bis alles Geld<br />

ausbezahlt war. Anwalt Harald Christandl weiß, was eine Bankenpleite<br />

bewirkt – und ist trotzdem nicht dagegen. Wenn auch in abgewandelter<br />

Form: »Jener Bereich einer Bank, der in der Spekulation beheimatet ist,<br />

sollte pleitegehen können. Dort, wo das Bank-Kerngeschäft abläuft, wo<br />

Vertrauen die Basis ist, wo Mittelständler oder kleine Sparer ihr Geld<br />

einlegen, dort sollten die Einlagen aber fast zur Gänze abgesichert sein.«<br />

Doch so ein Vorgehen würde ein neues Banken-Insolvenzrecht und<br />

eine Änderung der »Einlagensicherung« voraussetzen. Ideen gibt es<br />

viele – die politische Einigung, wer denn nun im Falle einer Bankenpleite<br />

finanziell gerade stehen muss, steht noch aus.<br />

Aber selbst dann bliebe die Frage: Wagt es die Politik im Fall des Falles<br />

tatsächlich eine Bank in die Pleite zu schicken – und einen »kalkulierten«<br />

Dominoeffekt zuzulassen?<br />

30


Allheilmittel ESM? So wird<br />

Europas Geldmaschine angeworfen<br />

von Mag. Beate Haselmayer<br />

Milliarden an Rettungsgeldern fließen aus den Geldbörsen<br />

der SteuerzahlerInnen in die maroden Volkswirtschaften der<br />

Euro-Zone. Das soll verhindern, dass die europäische Währung<br />

kollabiert. Doch sind ESM & Co. wirklich die großen Retter in<br />

der Not – oder navigieren sie Europa geradewegs ins Verderben?<br />

Drei Buchstaben sollen über die Zukunft Europas entscheiden. Doch<br />

was steht hinter diesen drei Buchstaben? ESM ist die Abkürzung für<br />

»Europäischer Stabilitätsmechanismus«. Oft wird der ESM auch als »Euro-<br />

Rettungsschirm« bezeichnet, was eigentlich nicht ganz korrekt ist.<br />

Viel eher ist der ESM Teil eines »umfassenden Euro-Rettungsschirms«.<br />

Gemeint sind alle Maßnahmen, die die Europäische Union setzt, um den<br />

Euro und die Euro-Wirtschaftszone zu retten.<br />

• Direktkredite an Griechenland<br />

• Maßnahmen der EZB (Europäische Zentralbank), z. B. Kauf von<br />

Anleihen<br />

• Maßnahmen des IWF (Internationaler Währungsfonds), z. B. Vergabe<br />

von Hilfskrediten<br />

• Maßnahmen des EFSF (die deutsche Übersetzung bringt das<br />

Wortungetüm »Europäische Finanzstabilisierungsfazilität« hervor),<br />

eine befristete Rettungsinstitution und Vorgängerin des ESM<br />

• Maßnahmen des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) oder<br />

unbefristete Rettungsinstitution<br />

»Unbefristete Rettungsinstitution« – das klingt sehr abstrakt für<br />

eine Autorität, die so mächtig ist, dass sie Europa retten oder in den<br />

Abgrund stürzen könnte. Genau genommen ist der ESM so etwas wie<br />

ein Hilfsfonds. Vereinfacht ausgedrückt kann man sich den ESM so<br />

vorstellen:<br />

In Luxemburg steht ein unscheinbares Gebäude, in dem der ESM untergebracht<br />

ist. Dort treffen sich in regelmäßigen Abständen so genannte<br />

31


Finanzministerin Maria Fekter<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Ranz)<br />

»ESM-Gouverneure«; es sind die FinanzministerInnen der Euro-Länder.<br />

Für Österreich reist Finanzministerin Maria Fekter zu den ESM-Treffen.<br />

Sie und die anderen Gouverneure entscheiden, was mit den ESM-Hilfsgeldern<br />

passieren soll.<br />

Ganze 700 Milliarden Euro Stammkapital hat der ESM zur Verfügung.<br />

Diese Riesenmenge stellen alle Euro-Länder gemeinsam auf. Wie viel<br />

Geld ein Land einzahlt, hängt davon ab, mit wie viel Prozent das Land<br />

an der EZB beteiligt ist. Österreich ist mit 2,78 Prozent an der EZB<br />

beteiligt und muss deshalb zwei Milliarden Euro in bar einzahlen. Darüber<br />

hinaus geht jedes Land Haftungen ein. Österreich haftet inzwischen<br />

für 17,5 Milliarden Euro. Sollten alle Haftungen fällig werden,<br />

müsste Österreich also insgesamt 19,5 Milliarden Euro für den ESM<br />

locker machen. Das ist eine schöne Stange Geld – und es wird für die<br />

Politiker von Jahr zu Jahr schwieriger, sie vor den Bürgern zu rechtfertigen.<br />

Geld aus dem ESM soll immer dann fließen, wenn »die finanzielle<br />

Stabilität eines Mitgliedsstaates oder des gesamten Euro-Raums in Gefahr«<br />

ist. Griechenland und Portugal haben schon Gelder aus dem vorläufigen<br />

Hilfsfonds EFSF erhalten. Spanien und Zypern suchen Hilfe; allein<br />

für Spaniens Banken werden über 40 Milliarden Euro locker gemacht.<br />

32


Die Gouverneure des ESM haben dazu ein ganzes Repertoire an Maßnahmen<br />

zur Verfügung, mit denen sie gefährdeten Volkswirtschaften<br />

unter die Arme greifen wollen.<br />

• Finanzhilfen an Krisenstaaten: Der ESM kann der Regierung eines<br />

Krisenstaates mit zinsgünstigen Darlehen weiterhelfen. Im Gegenzug<br />

muss das Land bestimmte Reformauflagen erfüllen.<br />

• Ankauf von Staatsanleihen: Die Voraussetzung für den Ankauf von<br />

Staatsanleihen auf dem Anleihenmarkt ist, dass die EZB »außergewöhnliche<br />

Umstände« bescheinigt.<br />

• Direkte Finanzspritzen an Banken: Sollte es zu einer wirklichen<br />

Einigung in Sachen Bankenunion kommen, darf der ESM Darlehen<br />

gewähren, um auch Banken in Problemländern zu retten. Hier sind<br />

die Euro-Mitgliedsländer in den Verhandlungen sehr weit gekommen.<br />

• Neue Hilfen: Darüber hinaus ist der ESM in der Lage, neue Rettungsmaßnahmen<br />

zu erfinden und dadurch seinen Handlungsspielraum<br />

zu erweitern.<br />

Klar ist: Der ESM steht seit seinem Urbeginn an unter starkem Beschuss.<br />

Dabei besteht nicht nur Zweifel daran, dass er den Euro retten kann.<br />

Die Institution an und für sich, seine Macht und seine Befugnisse werden<br />

heftig kritisiert. Die Tatsache etwa, dass es für Länder, die Teil des<br />

ESM sind, keine Möglichkeit gibt, aus diesem wieder auszutreten. Die<br />

Mitgliedschaft am ESM ist dauerhaft in der jeweiligen nationalen Verfassung<br />

verankert. Oder der Machtverlust in Sachen »nationale Haushaltspolitik«,<br />

den die Mitgliedsstaaten durch die neue Finanzinstitution<br />

erleben. Heftige Kritik gab es auch an der unbegrenzten Haftung<br />

der Mitgliedsstaaten: Das ESM-Stammkapital von 700 Milliarden Euro<br />

kann unbegrenzt erhöht werden können, wenn das notwendig ist.<br />

In Deutschland wurde vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen<br />

den ESM eingereicht. Am 12. September 2012 genehmigte das Gericht<br />

in Karlsruhe den Beitritt Deutschlands zum ESM nur unter der Voraussetzung,<br />

dass die Haftung Deutschlands beschränkt bliebe ...<br />

Der ESM ist also mächtig und er hat sehr viel Geld zur Verfügung.<br />

Doch all die Macht und all das Geld – können sie Europa aus der Krise<br />

führen? Und was bedeutet es für Österreich, dass hier Milliarden an<br />

33


Steuergeldern dazu verwendet werden, die finanzschwachen Volkswirtschaften<br />

der Euro-Zone aufzupäppeln?<br />

Es liegt in der Natur der Sache, dass PolitikerInnen, die die Gesetze<br />

machen und unterzeichnen, diese als »unbedingt notwendig« und<br />

»effektiv« erachten. Finanzministerin Maria Fekter etwa betonte in<br />

<strong>€CO</strong>-Interviews beständig »die Wichtigkeit der neuen europäischen<br />

Finanzinstitution«, auch wenn Österreich nicht zu denen gehört, die<br />

davon profitieren: »Das ist im höchsten Interesse Österreichs. Weil<br />

die Euro-Zone als Staatengefüge muss stabil bleiben. Darauf ist unser<br />

Wohlstand aufgebaut. Wir haben ein großes Interesse daran, dass<br />

unsere Handelspartner, unsere Exportmärkte, jene Länder, mit denen<br />

wir Beziehungen haben, dass die zu einer Stabilität zurückkehren.«<br />

Natürlich werde »Österreich streng« sein und »genau kontrollieren«,<br />

ob die Empfängerstaaten auch ihre »Hausaufgaben machen«, sich also<br />

an die Reformvorgaben halten, die mit dem Erhalt von Krediten einhergehen,<br />

äußerte sich die Finanzministerin: »All jene, die sich nicht<br />

an die Spielregeln halten, die nicht die Hausaufgaben machen, die<br />

werden dann von Europa ein Korsett bekommen und bevormundet werden.<br />

Und ich glaube, dass alle in der Politik höchstes Interesse haben<br />

nicht bevormundet zu werden.«<br />

Es liegt auch in der Natur der Sache, dass eine Institution, die so umgreifend<br />

wirkt wie der ESM, scharfe Kritiker hat. Einer der heftigsten<br />

ist der bekannte Volkswirt Hans Werner Sinn vom deutschen »Ifo«-<br />

Institut. <strong>€CO</strong> traf ihn für ein Interview in München. Für ihn sind die<br />

»Euro-Rettungsmaßnahmen« ein Fass ohne Boden: »Es ist im Grunde<br />

das Thema eines Drogensüchtigen, der sich gewöhnt hat an die Droge.<br />

Wenn wir die absetzen, gibt es eine Krise; um das zu verhindern, müssen<br />

wir halt die Droge weitergeben.«<br />

Hans Werner Sinn kann beispielsweise nicht verstehen, dass die<br />

Steuerzahler für die Rettung des Euro zur Kasse gebeten werden. Viel<br />

eher sollten die Gläubiger der Krisenländer, darunter eben internationale<br />

Banken und Versicherungen, die Schulden abschreiben: »Es gibt<br />

nur eine Gruppe, die die Abschreibungslasten tragen kann, und das<br />

sind die Vermögensbesitzer, die dort investiert haben. Die wollen sich<br />

34


Hans Werner Sinn: Warnt vor der Griechenland-Hilfe<br />

(Foto: Ifo/A. Schellnegger)<br />

aber aus dem Staub machen, ohne die Lasten zu tragen; sie suchen<br />

jetzt einen Dummen, der an ihrer Stelle die Lasten übernimmt und<br />

das sind Sie und ich.« Diejenigen, die in den Krisenländern investiert<br />

hatten, mussten ein Risiko einkalkulieren, für das sie hohe Dividenden<br />

bekommen haben. Jetzt, da das Risiko schlagend geworden ist,<br />

müssten sie »eben die Konsequenzen tragen«, meint der renommierte<br />

Ökonom. Doch stattdessen würde der Verlust von der Europäischen<br />

Union, also letztendlich von den SteuerzahlerInnen der Euro-Länder,<br />

getragen.<br />

Durch die wiederholten Hilfszahlungen an die Krisenländer bestehe<br />

überdies die Gefahr, dass sich Europa in eine »Transferunion« verwandle,<br />

also in eine Gemeinschaft, in der ein starkes Mitglied dem<br />

finanziell Schwächeren auf Dauer Geld zur Verfügung stellen muss, so<br />

wie es zwischen Ost- und Westdeutschland der Fall war. Der Stabilität<br />

und dem sozialen und politischen Frieden diene das laut Sinn jedenfalls<br />

nicht.<br />

Auch mit den Reformvorgaben, dem »Korsett«, wie es Finanzministerin<br />

Maria Fekter so schön nennt, hat Hans Werner Sinn so seine<br />

Probleme: Auch hier sieht er den europäischen Frieden gefährdet: »Zu<br />

sagen, ihr kriegt das Geld und müsst das und das dafür tun, das ist<br />

35


erniedrigend und das führt zu einem Maximum an Spannung politischer<br />

Art in Europa. Das führt auch letztlich zu gar keiner Reform in<br />

Europa. Warum sollen sie sich denn reformieren, wenn das Geld weiter<br />

fließt?«<br />

Und dann ist da noch die große Frage, ob<br />

die europäischen Rettungsmaßnahmen rein<br />

volkswirtschaftlich betrachtet sinnvoll sind.<br />

Hans Werner Sinn hat große Zweifel daran,<br />

dass sie den Euro über Wasser halten: »Man muss natürlich den Euro<br />

retten, das ist doch keine Frage«, meint er im <strong>€CO</strong>-Interview. »Die<br />

Frage ist nur, wie man ihn rettet. Ich glaube, indem man grenzenlos<br />

zahlt, wird der Zusammenbruch des Euro in einem großen Knall vorbereitet.<br />

Wir können ihn nur retten, wenn man die Länder, die nicht<br />

mehr wettbewerbsfähig sind, temporär raus lässt aus der Euro-Zone<br />

und den Rest stabilisiert.« Dann könnten die Länder ihre neuen Währungen<br />

gegenüber dem Euro abwerten und langsam ihre Volkswirtschaften<br />

neu aufbauen – so die Theorie des Münchner Ökonomen.<br />

Den Euro retten?<br />

Ja, sicher. Nur, wie?<br />

In den Augen vieler PolitikerInnen wäre das aber genau die Lösung, die<br />

uns alle noch viel teurer zu stehen kommen würde. Maria Fekter: »Alle,<br />

die sagen, Griechenland pleitegehen zu lassen, die schaufeln erst recht<br />

die Last zu den Steuerzahlern. Daher bin ich nicht dafür, dass Griechenland<br />

pleitegeht; das würde die österreichischen Steuerzahler tatsächlich<br />

reale Milliarden kosten.«<br />

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Politiker und ihre Kritiker<br />

äußerst konträre Ansichten haben. Auch innerhalb der Volkswirtschaftslehre<br />

gibt es unterschiedliche Strömungen und Denkrichtungen.<br />

Je nach Lager werden die Maßnahmen, die die europäische Politik<br />

setzt, um der Euro-Krise Herr zu werden, unterschiedlich bewertet.<br />

Die einen halten den ESM für eine »notwendige Institution«, die anderen<br />

reiben sich an dem »vermeintlichen Stabilitätsmechanismus«.<br />

Den Weg aus der Krise geben die machthabenden PolitikerInnen vor.<br />

In deren Haut möchte man angesichts der Uneinigkeit unter den Fachleuten<br />

und Ökonomen nicht stecken. In der Haut der Steuerzahler-<br />

Innen allerdings auch nicht.<br />

36


»Eherne Reserve«: Dem Gold<br />

der Österreicher auf der Spur<br />

von Mag. Bettina Fink<br />

Es kracht gewaltig im Gebälk der Europäischen Währungsunion.<br />

Das beunruhigt die Bürger. Viele sehnen sich nach Handfestem,<br />

Angreifbarem: Gold zum Beispiel. Kein Wunder also, dass die<br />

Goldnachfrage in den letzten Jahren durch die Decke ging. Und:<br />

dass die Goldreserven der Republik Österreich plötzlich wieder<br />

interessieren. Nur: Wo ist »unser« Gold eigentlich? Wie viel besitzt<br />

der Staat? Und was sind die Barren wert?<br />

Im Shop der »Münze Österreich« dreht sich alles ums Edelmetall. Vor<br />

allem der Glanz des Goldes hat es den Privatanlegern angetan. Auf dem<br />

Höhepunkt der Finanzmarkt- und Euro-Krise wurden fünfmal so viele<br />

Münzen und Barren an Privatanleger verkauft wie zuvor. Gold gilt als<br />

sicherer Hafen. Die Menschen greifen auf das zurück, was sich schon<br />

einmal »in Krisenzeiten bewährt hat«. Und das, was die Bürger im Kleinen<br />

tun, macht auch der Staat: Er besitzt Gold als »eherne Reserve«.<br />

Österreich hat – so wie fast alle Nationen – Gold zur Absicherung der<br />

Währung im Portfolio. Hüterin des Staatsgoldes ist die Österreichische<br />

Nationalbank. 280 Tonnen Gold soll Österreich derzeit besitzen.<br />

Nur wo liegt es denn eigentlich? Lange gab es darauf keine klare<br />

Antwort. »Weil es internationale Praxis der Notenbanken ist, nicht<br />

alles im Detail zu veröffentlichen. Vor allem aus Sicherheitsgründen«,<br />

argumentierte Dr. Peter Zöllner von der Österreichischen Nationalbank<br />

bis vor kurzem. Doch der Druck der Öffentlichkeit stieg. Vor allem in<br />

Deutschland, wo wilde Debatten über den Verbleib des »nationalen<br />

Goldvorrats« geführt wurden. Ob der Geheimniskrämerei der Nationalbanken<br />

wurde auch der Raum für Verschwörungstheorien immer<br />

größer: So wurde der Verdacht geäußert, das deutsche Gold existiere<br />

gar nicht. Oder aber es hieß: Das Gold sei verliehen, gar nicht mehr als<br />

Barren vorhanden.<br />

Inzwischen hat sich Deutschland – unter dem Druck der Öffentlichkeit<br />

– für eine umfassende Inventur ihres Goldbestandes entschieden.<br />

37


Und auch in Österreich gab sich die Nationalbank Ende 2012 gegenüber<br />

dem Parlament plötzlich auskunftsfreudiger: »Ein Teil des österreichischen<br />

Goldes – nämlich 17 Prozent – liegt in Österreich, der größte<br />

Teil an Goldhandelsplätzen wie London (80 Prozent) und Schweiz<br />

(3 Prozent).« In den USA, wo es lange Zeit vermutet worden war (Fort<br />

Knox), soll derzeit kein österreichisches Gold liegen. Allerdings: »Es<br />

ist für die Zukunft nicht auszuschließen – auch die USA haben ein<br />

Rechtssystem, das zuverlässig ist; nicht umsonst kaufen so viele in<br />

Krisenzeiten US-Dollar.«<br />

Die Österreichische Nationalbank lagert unser<br />

Gold also vor allem dort, wo tief liegende sichere<br />

Tresorräume existieren und wo im Notfall<br />

das Gold auch gehandelt und sofort in<br />

Devisen umgewandelt werden kann. Doch wie sieht es mit dem Thema<br />

»Goldverleih« aus? Sind die österreichischen Goldbarren tatsächlich<br />

physisch vorhanden oder gibt es diese etwa nur noch auf dem Papier,<br />

weil sie »verleast« sind? Fakt ist: Das österreichische Staatsgold wird<br />

seit den 1990er-Jahren immer wieder verliehen. Mit den Zinsen können<br />

die Kosten der Goldlagerung beglichen werden und die Bilanz der<br />

Nationalbank wird aufgefettet.<br />

Das Gold lagert in<br />

Tresorräumen<br />

Das auch zur Freude der jeweiligen Bundesregierung, deren Budget von<br />

den Dividenden der Nationalbank profitiert. Und auch hier wurde die<br />

Nationalbank kurz vor Jahresende 2012 etwas auskunftsfreudiger: »In<br />

den letzten zehn Jahren haben wir mit Goldleihgeschäften rund 300<br />

Millionen Euro verdient – und bei solchen Geschäften keine Ausfälle<br />

verzeichnet«, so OeNB-Vizegouverneur Wolfgang Duchatczek. Anfang<br />

der 2000er-Jahre sollen noch bis zu 80 Prozent des Goldes verliehen<br />

gewesen sein – heute seien es nur noch rund 16 Prozent. »Tendenz<br />

weiter fallend.« Was vor allem mit den geringen Zinsen zu tun hat, die<br />

Gold derzeit bringt. Doch macht es aus heutiger Sicht überhaupt Sinn,<br />

mit der goldenen Notreserve Verleihgeschäfte zu betreiben? Was, wenn<br />

man das Gold plötzlich dringend bräuchte? Klare Antwort darauf: nein.<br />

Gold stellt nur einen Teil der österreichischen Währungsreserven dar.<br />

Diese machen derzeit rund 20 Milliarden Euro aus. Die Goldreserven<br />

waren – dank hohem Goldkurs – Ende 2012 rund elf Milliarden Euro<br />

38


wert. Rund sechs Milliarden der Währungsreserven sind in Devisen,<br />

also Fremdwährungen von Dollar bis Franken, angelegt. Und Österreich<br />

hat auch die Option auf Kredite des IWF, des Internationalen<br />

Währungsfonds, in Höhe von rund drei Milliarden Euro – für den Fall<br />

eines Liquiditätsengpasses. Zusätzlich hat Österreich rund um den<br />

Beitritt zur Europäischen Währungsunion rund 22 Tonnen Gold in die<br />

Europäische Nationalbank eingebracht – zum damaligen Wert von<br />

knapp 200 Millionen Euro übrigens. Heute wäre dieses Gold ein Vielfaches<br />

wert.<br />

Bezogen auf die umlaufenden Geldmengen macht der Anteil des österreichischen<br />

Staatsgoldes heute gerade einmal fünf bis neun Prozent<br />

aus. Österreich hat in den letzten Jahrzehnten auch massiv Goldreserven<br />

abgebaut. Unter anderem, weil dessen Bedeutung sank. Auch im<br />

Zusammenhang mit der Gemeinschaftswährung, dem Euro. 1992 hatte<br />

die Republik rund 650 Tonnen Gold als Währungsreserve. 1999, im<br />

Jahr der faktischen Währungsunion, waren es noch über 400 Tonnen.<br />

Bis 2007 wurde weiter abgebaut. Erst in den letzten Jahren blieben die<br />

Mengen stabil – bei 280 Tonnen.<br />

Es gab auch immer wieder politische Begehrlichkeiten, die österreichischen<br />

Goldvorräte zu verkaufen, um damit Staatsausgaben zu finanzieren.<br />

Auch das Null-Defizit-Budget 2001 des damaligen Finanzministers<br />

Karl-Heinz Grasser ist mit Hilfe von Goldverkäufen »vereinfacht«<br />

worden. Gegen einen Generalverdacht allerdings verwehrt sich der<br />

ehemalige Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Dr. Klaus<br />

Liebscher vehement: »Die Goldverkäufe waren für jene, die das Budget<br />

sanieren wollten, eine willkommene Gelegenheit; aber es war nicht so,<br />

dass wir für die Budgetsanierung verkauft hätten. Für mich war der<br />

Kursgewinn, den wir einfahren wollten, das entscheidende Kriterium.«<br />

Doch was wäre Österreichs Gold denn heute theoretisch wert – im<br />

Ernstfall? Bei einem Währungscrash? Ein paar Zahlen zum Vergleich:<br />

Österreichs Bruttoinlandsprodukt liegt bei rund 300 Milliarden Euro<br />

im Jahr; mit den elf Milliarden in Gold käme man wohl nicht sehr weit.<br />

Sie entsprechen in etwa dem Wert der österreichischen Importe eines<br />

einzigen Monats. Dr. Johann Kernbauer rechnet vor: »Wenn man den<br />

Goldbestand der Nationalbank auf die Österreicher umlegt, ergibt sich<br />

39


ein Goldbesitz pro Kopf von rund 1300 Euro – allein die Bauspareinlagen<br />

sind doppelt so hoch. Und das Finanzvermögen der Österreicher<br />

wird im Schnitt auf 60.000 Euro pro Kopf geschätzt – also ein Vielfaches<br />

dessen, was die Aufteilung des Goldbesitzes auf den einzelnen<br />

Österreicher ausmachen würde.«<br />

Zudem könnte Österreich innerhalb der Europäischen<br />

Währungsunion nicht so einfach nach<br />

Belieben über die eigenen Goldreserven verfügen.<br />

Es existiert ein Abkommen, das den Goldverkauf<br />

pro Jahr limitiert. Und: Man müsste sich bei einem Zugriff auf<br />

das nationale Gold mit der Europäischen Zentralbank abstimmen. »Und<br />

das ist gut so«, sagt Dr. Klaus Liebscher: »Wenn 17 Notenbanken plus die<br />

EZB zusammen sind, kann Österreich nicht souverän tun, was es will.«<br />

Freistil-Verkauf<br />

ist nicht möglich<br />

Gold hat vor allem psychologisch und symbolisch eine starke Wertigkeit;<br />

die reale Bedeutung in der internationalen Geldwirtschaft wird<br />

immer geringer. Für Gold als eiserne Reserve sprechen vor allem emotio<br />

nale Argumente, wie Dr. Eduard Brandstätter, Wirtschaftspsychologe<br />

an der Universität Linz, ausführt: »Gold steht für Luxus, für Reichtum,<br />

eventuell auch etwas Dekadenz. Gold symbolisiert Beständigkeit.«<br />

Und das übrigens seit Jahrtausenden. Angefangen vom Gold der Pharaonen<br />

über den legendären Schatz des antiken König Priamos bis<br />

heute – Gold hat eine wichtige Funktion. Es steht für Macht, für<br />

Sicher heit und Ewigkeit. Sicherheit, die es so natürlich nicht gibt:<br />

Auch Goldkurse schwanken. Bei Gold geht es aber auch um Sehnsüchte.<br />

Denn faktisch gibt es weltweit gar nicht so viel Gold, dass<br />

alles Papiergeld damit abgesichert werden könnte. Die Weltwirtschaft<br />

ist in ihren Dimensionen längst über die existierenden Goldmengen<br />

hinausgewachsen.<br />

Eine tragende Säule des Staates ist Gold derzeit nicht mehr. Doch der<br />

Mythos lebt. Heute, da Milliarden an Hilfsgeldern nach Griechenland<br />

oder hin zu Pleitebanken verschoben werden, mehr denn je. Denn<br />

die dabei bewegten Summen erscheinen den Bürgern immer irrealer,<br />

immer ungreifbarer. Da hat so ein kleiner, funkelnder Barren direkt<br />

etwas Handliches.<br />

40


Nix wie raus aus dem Euro –<br />

aber welche »Fluchtwährung«?<br />

von Katinka Nowotny<br />

Schuldenkrise und Euro-Schwäche – wen wundert es, dass immer<br />

mehr Menschen ihre Ersparnisse schützen wollen, in dem sie in<br />

andere Währungen investieren. Doch gerade für Kleinanleger lauern<br />

hier große Risiken. Oft ist der Spatz in der Hand tatsächlich<br />

besser als die Taube auf dem Dach – auch wenn die Versuchungen<br />

manchmal sehr gross scheinen.<br />

Zehn Jahre lang galt der Euro als starke und stabile Währung, als würdiger<br />

Nachfolger der harten D-Mark, die in ganz Europa als mächtiger Anker in<br />

einer turbulenten Wirtschaftswelt betrachtet wurde. Doch diese Zeiten<br />

sind vorüber. Zwar hat die Gemeinschaftswährung gegenüber anderen<br />

globalen Währungen – dem Dollar, dem Yen, dem britischen Pfund – nicht<br />

gerade dramatisch an Wert verloren. Die an haltende Schuldenkrise am<br />

Südrand der Euro-Zone und die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank,<br />

mit dem Ankauf von Staatsanleihen die Schulden mancher Staaten zu<br />

finanzieren, haben jedoch ihre Spuren in den Wechselkursen hinterlassen.<br />

Deshalb fragen sich immer öfter Anleger in der Euro-Zone, ob sie ihre<br />

Ersparnisse nicht doch anderswo investieren sollten – in Ländern, die<br />

auf das Experiment einer gemeinsamen Währung ohne gemeinsame<br />

Regierung verzichtet haben; in Währungen, die nicht dauernd im<br />

Gerede sind.<br />

Tatsächlich hat etwa der Schweizer Franken in den vergangenen drei<br />

Jahren rund ein Viertel gegenüber dem Euro zugelegt; die norwegische<br />

Krone hat knapp 20 Prozent gewonnen. Auch das britische Pfund ist<br />

heute um fünf Prozent fester als 2009 und selbst der polnische Zloty<br />

hat gegenüber dem Euro um vier Prozent an Boden gut gemacht. Sogar<br />

der US-Dollar ist heute rund zehn Prozent stärker als am Tiefpunkt<br />

der Weltfinanzkrise – trotz der anhaltenden Schwäche der amerikanischen<br />

Wirtschaft. Und der chinesische Yuan steht auch um 20 Prozent<br />

besser da als noch vor ein paar Jahren.<br />

41


Unser Euro: Viele flüchten aus der gemeinsamen Währung<br />

(Foto: OeBS)<br />

Das alles sind Werte, die zum Redaktionsschluss dieses Buches galten.<br />

Sie mögen nun, da Sie das neue <strong>€CO</strong>-Jahrbuch in Händen halten, nicht<br />

mehr hundertprozentig präzise sein – was aber sicher Gültigkeit<br />

haben wird, ist die Tendenz. Selbst die Prognosen für viele Währungen<br />

außerhalb des Euro-Raumes liegen besser als die Erwartungen für die<br />

mit so vielen Problemen behaftete europäische Einheitswährung. Also:<br />

Nichts wie raus aus dem Euro?<br />

Experten raten zur Vorsicht. Denn was eine Investition in eine andere<br />

Währung bringt, hängt nicht nur von der Entwicklung des Wechselkurses<br />

ab, sondern auch von den Zinsen, die man dort verdienen<br />

kann. Und die sind in manchen dieser klassischen Fluchtwährungen,<br />

nun ja, nicht besonders berauschend.<br />

Das gilt vor allem für den Schweizer Franken, für den Anleger fast gar<br />

keine Zinsen mehr erhalten – gerade 0,6 Prozent im Jahr auf zehnjährige<br />

Staatsanleihen. Nur so kann die Schweizer Nationalbank einen<br />

weiteren Wechselkurs-Anstieg der eigenen Währung vermeiden, der<br />

der Wirtschaft des Landes schweren Schaden zufügen würde. »Die<br />

wenigsten Anleger verwenden logischerweise den Schweizer Franken<br />

als Anlagewährung«, sagte uns auch Susanne Höllinger, als sie im Vorjahr<br />

noch Leiterin des Private-Banking-Bereiches der »Erste Bank« war.<br />

42


»Das hat zwei Gründe: Er bietet praktisch keine Verzinsung. Und er ist<br />

bereits so hart und teuer geworden, dass die Erwartung, später noch<br />

einmal Währungsgewinne zu machen, eigentlich gleich null sind.«<br />

Auch in den USA, Großbritannien, Norwegen und Japan sind die Zinsen<br />

niedriger als in Österreich, wo einfache Sparer bereits unter den<br />

geringen Renditen stöhnen. Nur polnische Staatsanleihen scheinen<br />

mit 5,2 Prozent gut aufgestellt. Doch dort gibt es, trotz der starken<br />

pol nischen Wirtschaft, auch ein höheres Risiko als im Westen.<br />

Die Flucht in fremde Währungen birgt grundsätzlich Gefahren, betonen<br />

Experten. Denn damit handelt man sich ein Währungsrisiko ein,<br />

das zu Hause so nicht existiert. Wenn der Euro fällt, dann spürt man<br />

das im Alltag kaum, weil die meisten Preise ja gleich bleiben. Weder<br />

Mieten noch Bier werden teurer. Bloß Tanken kostet noch etwas mehr,<br />

weil das Öl importiert wird; und natürlich verteuern sich auch Reisen<br />

ins (Nicht-Euro-)Ausland.<br />

Bei einer Veranlagung in Fremdwährungen aber spiegelt sich jede<br />

Wechsel kursschwankung sofort in Gewinnen oder Verlusten wider.<br />

Es ist wie eine Investition in spekulativen Aktien. »Wir sind immer<br />

der Meinung, dass es gefährlich ist, aus der Währung zu flüchten, in<br />

der man lebt und arbeitet; genauso wie es gefährlich war, Kredite in<br />

Yen oder Schweizer Franken aufzunehmen«, sagt Harald Holzer, ein<br />

Vorstand der »Kathrein«-Bank.<br />

Währungen können massiv und schnell schwanken. Tagtäglich werden<br />

mehrere Billionen an Euro, Dollar, Yen oder Pfund auf dem internationalen<br />

Devisenmarkt hin und her verschoben. Händler in den großen<br />

Banken bewegen per Mausklick riesige Summen; Angebot und Nachfrage<br />

bestimmen in jedem Augenblick den Preis. Und nicht selten sind<br />

es hochkomplexe Computerprogramme, die darüber entscheiden, ob<br />

ein Währungskurs fällt oder steigt.<br />

Während es bei Aktien noch möglich ist, die Solidität und finanzielle<br />

Stärke des Unternehmens zu beurteilen und daraus Prognosen abzuleiten,<br />

sind Wechselkursprognosen ein reines Ratespiel. Niemand weiß,<br />

wo eine Währung in einem Jahr stehen wird – nicht einmal für den<br />

43


Euro-Druck in Österreich: Währungsspekulation als unsicheres Terrain<br />

(Foto: OeBS)<br />

nächsten Tag ist eine präzise Prognose möglich. Das macht Währungsspekulationen<br />

zu einem unsicheren Terrain, auf dem man sich als<br />

Kleinanleger rasch die Finger verbrennen kann.<br />

Dennoch kann es sinnvoll sein, zumindest einen Teil seiner Ersparnisse<br />

in anderen Währungen anzulegen. Wenn der Euro fällt, dann<br />

bleibt zumindest dieser Teil des Portefeuille stabil. Diversifizierung<br />

hilft immer das Gesamtrisiko bei der Geldanlage zu senken. Je nach<br />

der eigenen Risikobereitschaft und dem Ausmaß der Ersparnisse sollten<br />

dies etwa zehn bis zwanzig Prozent der eigenen Ersparnisse sein,<br />

raten Experten. Bei größeren Vermögen auch mehr.<br />

Aber wohin »flüchten«? Die klassische Alternative zur Heimwährung<br />

ist immer noch der US-Dollar. Die USA bieten den größten Kapitalmarkt<br />

der Welt. Vor allem amerikanische Aktien gehören in jedes<br />

professionell gemanagte Portefeuille. Wer vor zehn Jahren Anteile von<br />

Apple, Google oder Amazon gekauft hat, hat auf jeden Fall gewonnen –<br />

egal, wie sich der Dollar nun von Tag zu Tag entwickelt.<br />

»Der Vorteil des US-Dollar ist, dass hier eine einheitliche Regierung<br />

da ist, die frei agieren kann, ohne Rücksicht auf 17 andere Nationen«,<br />

sagt Holzer unter Hinweis auf die Entscheidungsträgheit<br />

44


der Euro-Zone. »Ein weiterer Vorteil: eine Wirtschaft, die wächst. Der<br />

Nachteil: die volkswirtschaftlichen Rahmendaten – die Verschuldung,<br />

das Budgetdefizit. Hier gibt es Kennzahlen, die genauso schlecht,<br />

wenn nicht sogar noch schlechter als die in der Euro-Zone sind.«<br />

Dazu kommt, dass die Amerikaner Jahr für Jahr immer noch zu wenig<br />

sparen – und ebenso jedes Jahr viel mehr importieren, als sie selbst<br />

für den Export produzieren. Die Lücke in der Leistungsbilanz wird vor<br />

allen durch Kapital aus China geschlossen. Schon allein deshalb wird<br />

dem Dollar seit Jahren ein deutlicher Wertverlust vorausgesagt. Bloß<br />

weil dieser noch nicht oder erst gering eingetroffen ist, heißt das<br />

nicht, dass er niemals kommt.<br />

Wenn aber nicht Dollar, was dann? Japan ist<br />

noch viel höher ver schuldet als die USA und<br />

die Wirtschaft des Landes wächst seit Jahren<br />

kaum. Das spricht gegen den Yen. Auch<br />

in Großbritannien türmen sich die wirtschaftlichen Probleme; das<br />

Land mit seinem riesigen Finanzsektor wurde von der Krise besonders<br />

hart getroffen. Allerdings böte die Londoner Börse eine ansehnliche<br />

Auswahl an großen international agierenden Konzernen mit zum Teil<br />

guten Gewinnaussichten.<br />

Wenn aber nicht<br />

Dollar, was dann?<br />

Beim Schweizer Franken wiederum passen alle fundamentalen<br />

wirtschaft lichen Daten. Wenn die Schweizer Nationalbank nicht durch<br />

ihre Interventionen einen Deckel bei ihrem Kurs zum Euro eingezogen<br />

hätte, dann läge der Franken bereits viel höher in der Bewertung. Aber:<br />

Wer in Franken sein Geld anlegt, muss für diese Sicherheit bezahlen –<br />

durch den Verzicht auf Zinsen; zum Teil sogar durch negative Zinsen.<br />

Interessant scheinen die skandinavischen Staaten, die sich alle vom<br />

Euro fern gehalten haben. Hier ist vor allem die norwegische Krone der<br />

Liebling für Währungshasardeure. Dank des Ölreichtums des Landes<br />

ist die Krone de facto eine »Petrowährung«. »Die norwegische Krone<br />

wurde in den vergangenen Quartalen stark nachgefragt«, erklärt<br />

Valentin Hofstätter, Währungsexperte bei der Raiffeisen Zentralbank.<br />

»Ihr großer Vorteil sind die Erdöleinnahmen und Norwegen ist ein<br />

Nettogläubiger. Aber die Währung ist schon sehr teuer.« Wie sich die<br />

45


Krone weiter entwickelt, hängt also vor allem vom Ölpreis ab. Auch<br />

der muss, vor allem kurzfristig gesehen, nicht immer steigen, sondern<br />

könnte zwischendurch auch wieder einmal stärker nachgeben.<br />

Der polnische Zloty und andere osteuropäische Währungen hängen<br />

in ihrer Kursentwicklung wiederum stark vom Euro ab und stellen<br />

daher keine wirkliche Fluchtwährung dar. Für wirklich Wagemutige<br />

aber lockt der chinesische Yuan, die Währung der vielleicht bald größten<br />

Wirtschaftsmacht der Welt.<br />

Tatsächlich ist der Yuan, auch Renimbi genannt,<br />

in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.<br />

Freilich entscheidet hier nicht das<br />

freie Spiel der Marktkräfte, sondern der Wille<br />

der Kommunistischen Partei. Denn anders als die anderen großen<br />

Währungen der Welt ist der Yuan nicht frei handelbar; er wird von<br />

der Staatsmacht gelenkt. Jahrelang hat diese ihn künstlich niedrig<br />

gehalten, um die Exporte anzukurbeln; erst unter dem starken Druck<br />

der USA hat die chinesische Führung eine allmähliche Aufwertung<br />

zugelassen. »Es ist eine politische Entscheidung, wie sich der Wechselkurs<br />

des Yuan entwickeln wird«, sagt Harald Holzer von der<br />

»Kathrein«-Bank. »Alle gehen davon aus, dass er aufwerten wird; aber<br />

das wird sich erst zeigen.« Mitglied des Pekinger Zentralkomitees<br />

müsste man sein ...<br />

Für Wagemutige<br />

lockt Chinas Yuan<br />

Einer der Hebel, über die die chinesische Regierung den Wechselkurs<br />

steuert, ist: Sie begrenzt den Eintritt von ausländischem Kapital.<br />

Auch das macht es schwer, am künftigen Anstieg des Yuan zu partizipieren.<br />

Am ehesten geht das noch über Veranlagungen in Hongkong,<br />

sagen Asien-Experten.<br />

Also, wohin man immer will: Nur ein kleiner Teil des Vermögens sollte<br />

»anderswo« Zuflucht suchen. Denn was immer passiert – die Dinge,<br />

die jemand fürs tägliche Leben braucht, wird man stets mit der eigenen<br />

Währung bezahlen. Wie bereits zu Beginn geschildert: Der Spatz<br />

in der Hand – nun, Sie wissen schon ...<br />

46


Ratingagenturen: Die Spur der<br />

Verwüstung quer durch Europa<br />

von Mag. Ilja Morozov<br />

Lange Zeit galten »Standard & Poors«, »Moody’s« und »Fitch« als<br />

unantastbar. Damit ist jetzt Schluss. Mehrere wissenschaftliche<br />

Studien geben den berühmt-berüchtigten Ratingriesen Mitschuld<br />

an der Euro-Krise. Und Investoren haben gegen »die großen<br />

Drei« erstmals erfolgreich »wegen massiven Betruges« geklagt.<br />

Schließlich will auch die Europäische Union die Ratingagenturen<br />

an die Kandare nehmen – freilich erst ab dem Jahr 2014.<br />

Der Aufschrei in Europa war groß, als vor einem Jahr reihenweise die<br />

Buchstaben purzelten. Denn mit ihnen purzelten auch Ansehen und<br />

Kreditwürdigkeit. Im Jänner 2012 verlor neben Frankreich auch Österreich<br />

sein heiß geliebtes Triple-A-Rating. Insgesamt neun Staaten wurden<br />

auf einen Schlag ihrer bisherigen Note beraubt. Und das mitten in<br />

der Euro-Krise, während der viele Länder mit enormen Zinsaufschlägen<br />

zu kämpfen hatten. Für viele EU-Politiker war schnell klar, dass hier<br />

»nicht mit objektiven Maßstäben gerechnet« wurde. Sogar von einer<br />

Verschwörung gegen Europa war die Rede. Denn während Angela Merkel<br />

und Co. von einem Rettungsgipfel zum nächsten pilgerten, schienen die<br />

amerikanischen Ratingagenturen nahezu jede Lösung der Euro-Krise zu<br />

torpedieren.<br />

Auch in Österreich ging die Angst um, dass nach dem Verlust der AAA-<br />

Bonität die Zinszahlungen in die Höhe schnellen würden – mit fatalen<br />

Auswirkungen aufs Budget. Eine ganze Nation war empört. <strong>€CO</strong> besuchte<br />

im Frühjahr 2012 daher jenen Analysten, der Österreichs Herabstufung<br />

zu vertreten hatte – und staunte nicht schlecht: Alois Strasser<br />

ist gebürtiger Oberösterreicher und Chefanalyst bei »Standard &<br />

Poor’s« (S&P) in Frankfurt.<br />

Erstmals ließ sich der bis dahin medienscheue Natternbacher von<br />

einem Fernsehteam in die Mangel nehmen. Natürlich fragten wir<br />

ihn, ob er es bereue, seiner Heimat das Triple-A genommen zu haben?<br />

»Nein, weil mein Auftrag ist es, ein richtiges Rating draußen zu<br />

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haben. Ob ich jetzt Österreicher bin oder aus einem anderen Land<br />

komme, ich habe eine gute Arbeit abzuliefern. Und dass Österreich<br />

heruntergestuft worden ist, ist zwar schade, aber es war aufgrund der<br />

Gesamtsituation nicht anders möglich«, antwortete Alois Strasser –<br />

eher unpatriotisch, aber pflichtbewusst. Der wahre Grund für die<br />

Herabstufung auf »das auch noch schöne Rating AA+«, so der Oberösterreicher,<br />

seien eben die Unsicherheiten in der EU und weniger<br />

Österreichs marode Staatsbanken.<br />

Immerhin: Das befürchtete Donnerwetter auf<br />

den Finanzmärkten blieb für die Alpenrepublik<br />

aus. Ende 2012 musste Finanzministerin<br />

Maria Fekter für neue Staatsanleihen so<br />

niedrige Zinsen zahlen wie nie zuvor – beinahe bereits lächerliche<br />

zwei Prozent. Ganz im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Portugal oder<br />

Griechenland. Dort hatten massive Herabstufungen durch die drei Ratingriesen<br />

pure Verzweiflung ausgelöst. Im <strong>€CO</strong>-Interview zeigte sich<br />

der österreichische S&P-Analyst Alois Strasser dennoch von der »makellosen<br />

Leistung« seiner Agentur überzeugt: »Es ist so, dass wir jahrzehntelang<br />

Meinungen zu Staatsratings veröffentlicht haben. Und die<br />

waren eigentlich immer sehr gut und korrekt.«<br />

Das Donnerwetter<br />

ist ausgeblieben<br />

Freilich: Das sehen viele Experten anders. Eine Studie der anerkannten<br />

Wirtschaftsuniversität »HSG« in St. Gallen bestätigte im alten Jahr<br />

erstmals schwarz auf weiß, was viele EU-Politiker von Anfang an vermuteten<br />

– und was sie im neuen Jahr zu neuen Beschränkungen für<br />

die Bonitätswächter greifen lässt: Die Agenturen tragen massiv (Mit-)<br />

Schuld an Europas Misere. »Nicht nachvollziehbare Herabstufungen<br />

europäischer Länder sind eine zentrale Ursache und Triebfeder der<br />

europäischen Schuldenkrise«, fassten die Autoren zusammen. So<br />

haben die Schweizer Wissenschaftler unter anderem errechnet,<br />

dass »S&P«, »Moody’s« und »Fitch« schon seit 2008 nach krummen<br />

Maßstäben bewertet haben. Anhand »objektiver Wirtschaftsfaktoren«<br />

hätte beispielsweise Irland statt um sieben Klassen nur um eineinhalb<br />

Klassen herabgestuft werden dürfen; Portugal statt um acht nur<br />

um eine halbe Klasse und – man glaubt es kaum – selbst Griechenland<br />

hätte zu Beginn der Krise gar nicht herabgestuft werden müssen.<br />

Freilich, hier liegt die Betonung auf dem Begriff »nicht müssen«.<br />

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All das habe die Länder »allerdings an den Rand der Insolvenz« gedrängt,<br />

folgern die Experten nüchtern. Die Studienergebnisse sind<br />

harter Tobak, der den Kritisierten nicht gut bekommen ist. »Standard<br />

& Poor’s« reagierte verschnupft auf die Vorwürfe und antwortete mit<br />

einer zweieinhalbseitigen Gegendarstellung. Die Rechenmodelle der<br />

Schweizer Studienautoren freilich konnten nicht zweifelsfrei widerlegt<br />

werden. Und auch andere Institutionen gingen mit den Ratingagenturen<br />

hart ins Gericht. Laut den Wissenschaftlern der Plattform<br />

»Intereconomics« haben die Analysten vor der Euro-Krise »viel zu<br />

gutmütig Bestnoten« verteilt, »viel zu spät auf hohe Schuldenberge<br />

reagiert« und dann »übereifrig Staaten herabgestuft«. Das habe die Situation<br />

auf den Finanzmärkten »verschärft«.<br />

Die Problematik ist nicht neu. Auch während der Asienkrise vor fast<br />

15 Jahren sind die Agenturen für ihre wenig ruhmreiche Rolle kritisiert<br />

worden. Viele Staaten fühlen sich in »Geiselhaft der Bonitätsprüfer«,<br />

die hauptsächlich den US-Finanzmärkten nahe stehen. Wer<br />

Anleihen platzieren und somit neue Schulden machen will, kommt<br />

de facto nämlich an den »großen Drei« nicht vorbei. Investoren vertrauen<br />

noch immer auf das Urteil von »Standard & Poor’s«, »Moody’s«<br />

und »Fitch«. Dabei hätten Staaten und internationale Organisationen<br />

genügend Beweise in der Hand, um weniger aufgeregt auf die Beurteilungen<br />

der Ratingagenturen reagieren zu können. Doch was ist bisher<br />

geschehen? Richtig, so gut wie nichts. Denn egal, was Ratingagenturen<br />

auch machen, sie sind niemandem Rechenschaft schuldig. Haftungen<br />

für falsche Benotungen sind ausgeschlossen, da es sich ja schließlich<br />

nur um »Meinungen« handelt, die von der Redefreiheit geschützt<br />

werden.<br />

In den USA, dem größten Finanzplatz der Welt, waren die Bonitätswächter<br />

bis zum Jahr 2006 gar völlig ohne Aufsicht. Und das trotz vorheriger<br />

echter Rating-Katastrophen wie »Parmalat«, »Worldcom« oder »Enron«;<br />

dem US-Energieriesen »Enron« war gar vier Tage vor dem Konkurs noch<br />

eine »gute Bonität« bescheinigt worden. Erst als die blamierte amerikanische<br />

Börsenaufsicht SEC Nachforschungen anstellte, gab es die ersten<br />

Kratzer an der Fassade der Ratingagenturen: In einem 700 Seiten starken<br />

Bericht kam eine offizielle Untersuchungskommission der US-Regierung<br />

zum Schluss, dass »Ra tingagenturen die Hauptverursacher der<br />

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Finanzkrise« sind. Detailreich werden darin toxische Finanzprodukte<br />

beschrieben, die bereitwillig mit »AAA« bewertet wurden. Hundertfach<br />

war von den Prüfern schnelles Geld gemacht worden, ohne dass die Produkte<br />

tatsächlich durchleuchtet worden wären ...<br />

Um das wahre Ausmaß der Abzocke im Detail<br />

verstehen zu können, lohnt ein Blick zurück<br />

zum Ausgangspunkt der Finanzkrise. Ratingagenturen<br />

wie »S&P« oder »Moody’s« verdienten<br />

bis dahin ihr Geld, indem sie Unternehmen und Länder auf ihre<br />

Bonität bewerteten. Nur: Staatsanleihen sind zwar prestigeträchtig,<br />

bringen jedoch kaum Umsatz. »Standard & Poor’s« etwa bewertet jährlich<br />

über eine Million Finanzprodukte, von denen aber nur ein Bruchteil<br />

Staaten zuzuordnen ist. Die USA oder Deutschland werden überhaupt<br />

gratis bewertet, weil die Agenturen sonst keinen Zugang zu den<br />

dortigen Kunden erhalten.<br />

Die Bonitätswächter<br />

sind ohne Aufsicht<br />

Richtig viel Geld lässt sich hingegen mit »komplexen Produkten« machen.<br />

Diese tauchten auf dem Markt auf, als ab dem Jahr 2002 immer<br />

mehr Menschen in den USA auch mit schlechter Bonität einen Kredit<br />

bekamen – urplötzlich nämlich machte sich unter den Investmentbanken<br />

eine Art Goldgräberstimmung breit. Gewiefte Finanz mathematiker<br />

verpackten Kredite schlechter Bonität, so genannte »subprime mortgages«,<br />

zu handelbaren Geldanlagen und verkauften diese toxischen<br />

Gebilde an andere Investoren. Damit das Ganze einen seriösen Charakter<br />

hatte, verpassten Ratingagenturen den Produkten ihr Gütesiegel<br />

– in den meisten Fällen übrigens ein »Triple-A«.<br />

Die Gewinne von »Moody’s« und Co. schnellten bei einer Marge von<br />

über 40 Prozent regelrecht in die Höhe. Insgesamt bewerteten die drei<br />

Ratingriesen »Finanzprodukte« im Wert von mehreren Billionen Dollar,<br />

allesamt angeblich höchst objektiv. In Wirklichkeit blieben ihnen<br />

im Schnitt oft nicht einmal zwei Stunden Zeit, um Millionendeals zu<br />

überprüfen – und abzusegnen. Was danach passiert ist, ist Geschichte.<br />

Zahllose »Triple-A«-Produkte verloren nach der Lehman-Pleite 2008 vollständig<br />

an Wert. Massenhaft gingen bestgeratete Finanzprodukte den<br />

Bach hinunter, unglaubliche Summen wurden vernichtet, weil die Investoren<br />

nahezu blind dem Urteil der Bonitätsprüfer vertraut hatten ...<br />

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Und: Viele Investoren, die die Ratingagen turen nicht aus ihrer Verantwortung<br />

entlassen wollten, blitzten mit ihren Klagen auch vor den<br />

Gerichten ab – fast durchwegs argumentierten die Anwaltskanzleien<br />

der Agenturen dabei eben mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit.<br />

Erst im Vorjahr ist es »down under«, also in Aus tralien, zu einem Aufsehen<br />

erregenden Urteil gekommen, das die Opfer der Bonitätsprüfer<br />

erstmals hoffen lässt.<br />

Der Akt geht als »Fall Rembrandt« vermutlich in die Justizgeschichte<br />

ein. Tatsächlich liest sich das 1490 Seiten umfassende Gerichtsurteil<br />

wie ein Wirtschaftskrimi, der alle Vorurteile gegenüber Ratingagenturen<br />

zu bestätigen scheint. 13 kleine australische Gemeinden hatten<br />

auf Schadenersatz geklagt, weil sie durch Investments in »Rembrandt<br />

2006« rund 16 Millionen Dollar verloren hatten. »Standard & Poor’s«<br />

hatte dem neuartigen Finanzprodukt im Oktober 2006 ein »Triple-A«<br />

verpasst, damit dessen Vertreiber – die holländische Investmentbank<br />

»ABN Amro« – Anteilsscheine an den Mann bringen konnte.<br />

Es kam, wie so oft in diesen Jahren: Nur zwölf Monate später war<br />

»Rembrandt 2006« wertlos. Den Schaden trugen die kleinen australischen<br />

Gemeinden – und deren Rechtsvertreter und Detektive deckten<br />

Schriftverkehr und Zustände auf, die jedem Interessierten den<br />

Atem verschlagen. Weil »S&P« selbst nämlich kaum Erfahrung mit<br />

dem brandneuen CPDO (dem hoch riskanten Kreditderivat »Rembrandt<br />

2006« ) hatte, entwickelte ausgerechnet Vertreiber »ABN Amro« ein<br />

Ratingmodell, der es den Analysten dann auch netterweise zur Verfügung<br />

stellte. »Ist es normal, dass eine Ratingagentur einer Bank<br />

erlaubt, eigene Modelle zu erstellen, mit denen sie dann selbst geratet<br />

wird?«, fragte ein verblüffter Mitarbeiter in einem internen Mailverkehr<br />

der holländischen Bank. »Nein! Es ist nicht normal und absolut<br />

verrückt«, antwortete ein Bankmanager, »aber es ist eine tolle Chance<br />

für uns.«<br />

Nicht nur, dass die australischen »S&P«-Analysten keine Erfahrung<br />

mit dem Konstrukt »Rembrandt 2006« hatten; sie verließen sich auch<br />

auf ungeprüfte Daten der Bank und vergaben ein »AAA«, weil die<br />

»ABN Amro« Dampf machte: »Wir stehen unter enormem Druck, das<br />

Produkt noch nächste Woche zu starten. Ihr müsst so schnell wie<br />

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möglich die nötigen Berechnungen starten.« Erst nach und nach dämmerte<br />

es den Analysten, dass Fehler begangen worden sind. »Dieser<br />

Deal ist eine absolute Katastrophe«, schrieb ein hochrangiger S&P-<br />

Analyst an seine Kollegen. Und dennoch: Auch bei einer zweiten Auflage<br />

von »Rembrandt« gab es wieder ein »Triple-A«.<br />

Schließlich rechneten die Prüfer von »S&P« selbst nach – und entdeckten,<br />

dass das Finanzprodukt bei weitem nicht die Bonität hatte,<br />

wie bereits zugestanden. »Als wir das erste Mal diesen ABN Amro-<br />

Deal vor uns hatten, wussten wir, dass hier etwas nicht stimmt. Aber<br />

wir hatten unsere eigene Modellierung auf später verschoben. Nun<br />

sind wir aber in diesem Deal gefangen und können nicht mehr raus«,<br />

hieß es darauf hin »S&P«-intern. Der Fluch der bösen Tat folgte auf<br />

dem Fuß: Um »die Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens« auf dem<br />

australischen Finanzmarkt zu wahren, musste auch eine letzte, dritte<br />

Tranche von »Rembrandt 2006« mit »AAA« bewertet werden.<br />

Verzweifelte Mails eines Junganalysten kurz vor Platzen der Seifenblase<br />

decken die absurd-kriminelle Welt der Ratingagenturen auf: »Ich<br />

bin fertig mit dem ganzen CPDO-Deal; ich wünschte, ich wäre nie in<br />

diese Schweinerei geraten.« Darauf sein Kollege: »Was bist du nicht für<br />

ein Waschlappen.« »Nein, du bist der Waschlappen, weil du dich vor<br />

den Bankern gebückt hast. Du bewertest etwas mit AAA, wenn es in<br />

Wirklichkeit ein A– ist? Bist du stolz darauf?«<br />

So viel zum Thema Ratingagenturen und Unabhängigkeit. Der Richter<br />

in Australien verdonnerte »Standard & Poor’s« und die Bank »ABN<br />

Amro« übrigens zu insgesamt 30 Millionen Dollar Schadenersatz. Und<br />

natürlich ist »Rembrandt 2006« noch immer gerichtsanhängig – ein<br />

derart richtungweisendes Urteil wollten die Rechtsvertreter der Ratingagenturen<br />

selbstverständlich nicht durchgehen lassen.<br />

Aber: Das Stück gibt Hoffnung.<br />

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Der Sündenfall der EZB – wenn<br />

nur noch die Druckmaschine hilft<br />

von Katinka Nowotny<br />

Der Schritt der Europäischen Zentralbank, im großen Umfang<br />

Staatspapiere der Schuldnerstaaten in der Euro-Zone aufzukaufen,<br />

hat eine heftige Debatte unter Ökonomen ausgelöst: Wird damit<br />

die Euro-Krise beigelegt – oder wird nur die Inflation angeheizt?<br />

Sie sollte ein »Bollwerk monetärer Stabilität« sein, ein »fester<br />

Anker für die neue Währung«: Als die Europäische Zentralbank 1998<br />

als Notenbank für zunächst elf Teilnehmerstaaten gegründet wurde,<br />

waren alle ihre Statuten darauf ausgerichtet, sicherzustellen, dass<br />

die EZB niemals die Schulden ihrer Mitglieder finanzieren und so das<br />

Tor zu einer inflationären Geldpolitik aufmachen würde. Denn wenn<br />

einmal eine Notenbank Geld druckt und dieses den Regierenden borgt,<br />

dann werden die Ersparnisse der Bürger weniger wert ...<br />

Vor allem Deutschland hatte damals darauf gedrängt, dass dieses<br />

Szenario nie Wirklichkeit würde. Deshalb erhielt die EZB eine so genannte<br />

»Nichtbeistandsklausel« für Staatsschulden. Ja, selbst die Staaten<br />

untereinander sollten nicht für die Schulden anderer haften. Wenn<br />

jeder auf sich allein gestellt ist, so die Logik, dann würden die Regierungen<br />

bei ihrer Haushaltspolitik Vernunft und Sorgfalt walten lassen.<br />

Doch bekanntlich ist alles ganz anders. Vor allem die Regierungen der<br />

südlichen Euro-Länder häuften riesige Schulden an oder müssen ihren<br />

Banken zu Hilfe kommen, was riesige Löcher in die öffentlichen Haushalte<br />

reißt. Die Zinsen dieser Staaten schnellen in die Höhe, was die<br />

Budgets noch mehr belastet. Und in dieser Lage tut die EZB genau das,<br />

was Deutschland und andere befürchtet hatten: Sie kauft Staatsanleihen<br />

und entlastet damit den Schuldendienst ihrer Mitgliedsstaaten.<br />

Zuerst erwarb sie 2010 griechische Staatsanleihen, dann irische und<br />

portu giesische und schließlich auch Schuldpapiere der großen Volkswirtschaften<br />

Spanien und Italien. Sie tat dies anfangs in »begrenztem<br />

Umfang«, immer vom Argument begleitet, dass »die Beruhigung der<br />

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Anleihemärkte notwendig« sei, damit die Geldpolitik überhaupt funktionieren<br />

kann.<br />

Freilich: Die EZB tastete sich dabei an die Grenzen des Erlaubten heran –<br />

und überschritt diese nach Meinung von Kritikern. Weil eine Änderung<br />

der Regeln die Zustimmung aller Staaten benötigt hätte, interpretierte<br />

die EZB-Spitze nämlich einfach die Regeln um. Wenn die Bank Staatsanleihen<br />

auf dem Sekundärmarkt, also von anderen Investoren, erwirbt,<br />

»dann ist das keine Schuldenfinanzierung«, behauptete das Direktorium.<br />

Nur der direkte Kauf von den Euro-Staaten selbst sei in den EU-<br />

Verträgen verboten.<br />

»Was die EZB tut, ist noch legal, aber bereits<br />

im Grenzbereich«, sagt auch der Wifo-Ökonom<br />

Fritz Breuss. »Und ich glaube, die EZB wäre<br />

froh, wenn sie in Zukunft zusätzliche rechtliche<br />

Kompetenzen hätte.« Als nämlich die Renditen der Krisenländer<br />

trotz aller Rettungsmaßnahmen weiter stiegen und immer heftiger die<br />

Existenz des Euro bedrohten, legte EZB-Präsident Mario Draghi, selbst<br />

Italiener, noch einen Gang zu: Im Sommer 2012 versprach er öffentlich,<br />

er werde »alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten«.<br />

Was die EZB tut,<br />

liegt im Grenzbereich<br />

Die Finanzmärkte lasen dies klarerweise als eine Ankündigung<br />

unbegrenzter Anleihekäufe. Im September wurde vom EZB-Rat mit nur<br />

einer Gegenstimme – sie kam vom deutschen Bundesbank-Präsidenten<br />

Jens Weidmann – tatsächlich ein entsprechender Beschluss gefasst:<br />

unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen für Staaten, die sich den<br />

Auflagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterwerfen.<br />

Seither tobt in der Euro-Zone eine wütende Debatte darüber, ob dies<br />

tatsächlich der einzige Ausweg aus der Krise ist oder ob der Pfad in<br />

Richtung Inflation eingeschlagen wurde, die das Ende der stabilen<br />

Währung Euro einläutet. Noch immer schärfster Kritiker ist Jens Weidmann,<br />

der den Anleihekauf vehement ablehnt und viele seiner Landsleute<br />

auf seiner Seite weiß. »Der Geldsegen der Zentralbanken weckt<br />

anhaltende Begehrlichkeiten«, warnte er im Spiegel-Interview. »Wir<br />

sollten die Gefahr nicht unterschätzen, dass Notenbank-Finanzierung<br />

richtig süchtig machen kann wie eine Droge.«<br />

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Mario Draghi: Was die EZB tut, liegt im Grenzbereich<br />

(Foto: EZB)<br />

Auf der anderen Seite stehen aber eben Mario Draghi und die restliche<br />

Führung der EZB – die anderen 16 Notenbank-Chefs der Euro-Zone, die<br />

meisten Regierungen und auch ein Gutteil der Ökonomen. Sie halten die<br />

Warnungen vor einer bevorstehenden Inflation für maßlos übertrieben.<br />

Solange die Wirtschaft kaum wächst und die Arbeitslosigkeit so hoch<br />

ist, könnten Unternehmen ihre Preise nicht erhöhen und Arbeiter nicht<br />

maßlos höhere Löhne verlangen. Daher komme es trotz »stimulierender<br />

EZB-Politik« zu keinem Anstieg der Verbraucherpreise.<br />

»Wenn eine Zentralbank immer alles aufkauft, was ein Staat an Anleihen<br />

emittiert, dann haben wir irgendwann einmal Inflation«, sagt<br />

Stefan Bruckbauer, der Chefökonom der »UniCredit Bank Austria«. Die<br />

Euro-Zone befinde sich aber »meilenweit weg« von so einer Situation.<br />

»So wie es die EZB machen würde und auch gemacht hat, sehe ich überhaupt<br />

keine Gefahr für die Inflation.«<br />

Das zweite Argument der Kritiker betrifft die Anreize für die Schuldnerstaaten:<br />

Wenn die EZB deren Staatsanleihen unbegrenzt erwirbt,<br />

dann verlören sie jeden Anreiz, das Schuldenmachen einzuschränken<br />

und für eine Budgetkonsolidierung zu sorgen. Doch dann würde sich<br />

die Schuldenkrise langfristig nur weiter verschärfen. »Moral Hazard«<br />

heißt in Fachkreisen dieses Problem, das überall dort auftritt, wo<br />

55


Die EZB-Zentrale in Frankfurt: Die Hüter der Druckmaschinen<br />

(Foto: ORF)<br />

jemandem auf Kosten anderer geholfen wird oder wo gewisse Kosten<br />

gemeinsam getragen werden müssen.<br />

So sieht es auch der Ökonom Taghizadegan Rahim vom Institut für<br />

Wertewirtschaft (IfW): »Es wird immer wieder der Vorschlag gemacht,<br />

etwas zu tun, was die Rettung bringen soll; dabei wird nur Zeit<br />

erkauft. Doch diese wird nicht sinnvoll genutzt, um nachzudenken<br />

und Dinge in eine richtige Richtung zu bringen. Alles geschieht nur,<br />

um eine Lösung der Probleme hinauszuschieben.«<br />

Tatsächlich machte die Euro-Zone genau diese Erfahrung. Als die<br />

EZB im Sommer 2011 erstmals italienische Staatsanleihen kaufte und<br />

damit die stark gestiegenen Renditen wieder drückte, vollführte der<br />

damalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi einen bedenklichen<br />

Schwenk. Er entschärfte zuvor beschlossene Spar- und Reformmaßnahmen<br />

wieder. Für viele in Brüssel und Berlin ein klassisches Beispiel<br />

für »Moral Hazard«.<br />

Immerhin war das noch nicht das Ende der Geschichte. Die anderen<br />

Euro-Staaten wandten sich damals gegen Berlusconi und machten<br />

klar, dass unter seiner Regentschaft Italien keine weitere Hilfe erwarten<br />

könne. Tatsächlich verlor »Il Cavaliere« in Rom die Macht. Und<br />

56


Nachfolger Mario Monti hat mit seiner Expertenregierung die Wirtschaftsreformen<br />

wieder beschleunigt.<br />

Schließlich will auch die EZB beim Aufkauf von Staatsanleihen vorsichtig<br />

vorgehen. Die Verknüpfung mit dem ESM bedeutet, dass nur<br />

jene Staaten davon profitieren sollen, die massiv sparen und sich von<br />

den Aufsehern der EZB, der EU-Kommission und des Internationalen<br />

Währungsfonds – der so genannten Troika – kontrollieren lassen.<br />

Den Beweis für das angeblich harte Durchgreifen musste der frühere<br />

Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi für seine »Europäische Zentralbank«<br />

bisher noch nicht antreten; Italien erklärte umgehend, es benötige<br />

»keine weitere EZB-Hilfe«, und die spanische Regierung von Premier<br />

Mariano Rajoy zögerte die Anrufung der EZB monatelang hinaus.<br />

Dennoch verbesserte sich die Stimmung auf den Finanzmärkten; die<br />

Renditen fielen.<br />

Das ist auch eines der Hauptargumente der Befürworter der umstrittenen<br />

Vorgangsweise: Wenn die EZB nur deutlich genug erkläre, sie sei<br />

»zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen« bereit, dann müsse<br />

sie dies vielleicht gar nicht tun. Denn dann sinke das Ausfallsrisiko<br />

für private Anleger und dann seien diese wieder bereit, die Schulden<br />

der Euro-Staaten zu vernünftigen Konditionen zu finanzieren. Alles<br />

eine Sache der Psychologie ...<br />

Begrenzt die EZB hingegen ihr Ankaufsvolumen, wird die Sache für<br />

sie teurer: denn dann bleibt das Risiko in den Augen vieler Investoren<br />

bestehen und die Notenbank muss tatsächlich marode Staatsanleihen<br />

aufkaufen, die dann bei der nächsten schlechten Nachricht abermals<br />

an Wert verlieren.<br />

Genau dies ist übrigens in den Jahren zwischen 2010 und 2012 geschehen<br />

und hat mit dazu beigetragen, dass die Bilanzsumme der EZB dramatisch<br />

angewachsen ist. Die Notenbank hat mehr Geld verborgt als je<br />

zuvor – vor allem den europäischen Geschäftsbanken, aber auch den<br />

Staaten. Damit hat sie auch mehr Geld »geschöpft« als je zuvor. Nach<br />

der Theorie des Monetarismus ist diese Aufblähung der Geldmenge<br />

aber genau die Hauptursache für Inflation. Gerne zitieren Leute wie<br />

Bundesbank-Chef Jens Weidmann die Szene aus Goethes »Faust II«,<br />

57


in der Mephisto dem Kaiser zum Gelddrucken rät, um seine Finanz -<br />

prob leme zu lösen – um dann gemeinsam mit Faust wieder zu verschwinden,<br />

als das Reich von einer Inflationswelle überrollt wird.<br />

Die Verteidiger des Aufkaufprogramms behaupten:<br />

Dazu muss es nicht kommen. Geld werde<br />

nicht nur von der Notenbank geschöpft, sondern<br />

normalerweise auch von den Geschäftsbanken,<br />

und zwar durch deren Kreditvergabe. Aber genau die sei seit<br />

Ausbruch der Krise deutlich zurückgegangen. Die EZB ersetze also nur<br />

das, was in der Kredit wirtschaft verloren gehe.<br />

Beruhigungspillen<br />

für die Kritiker<br />

Außerdem sind die Verleihungen der Notenbank »nur kurzfristig«; sie<br />

könnte, sobald sich die ersten Anzeichen einer beschleunigten Inflation<br />

einstellen, wieder auf die Bremse steigen, die Zinsen erhöhen und<br />

die Kredite an die Banken wieder zurückfahren.<br />

Aber – würde sie das wirklich tun? Die Warner vor der Inflation argumentieren,<br />

dass die EZB ihre politische Unabhängigkeit, die eigentlich<br />

in den Maastricht-Verträgen festgeschrieben wurde, schon lange verloren<br />

habe. Weil sie sich jetzt so willfährig gegenüber der Politik zeigt,<br />

werde sie das auch später wieder tun. Und die (meisten) Regierungen<br />

der Euro-Zone würden es gar nicht gerne sehen, wenn bei den ersten<br />

Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung die Zinsen gleich wieder<br />

hinaufschnellten. Wer einmal die Droge Schuldenfinanzierung probiert<br />

hat, komme von ihr nicht mehr los.<br />

Tatsächlich: Was derzeit in der Euro-Zone geschieht, ist ein gigantischer<br />

Feldversuch.<br />

Geht der schief, sind ganze Bevölkerungen zu entwöhnen.<br />

»De facto stellen wir einen gigantischen Blankoscheck an hoch<br />

verschuldete Staaten aus.«<br />

Eva Pichler, a.o. Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien,<br />

über den »Europäischen Stabilitätsmechanismus« ESM.<br />

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Das Imperium Goldman Sachs –<br />

oder: Die Mönche des Geldes<br />

von Günther Kogler<br />

Sie ist das Feindbild der »Occupy«-Bewegung und selbst an der<br />

Wall Street mehr gefürchtet als geachtet – die US-Investmentbank<br />

»Goldman Sachs« verkörpert wie keine andere in der Öffentlichkeit<br />

das, was die Finanzwelt in Verruf gebracht hat: Hemmungslose<br />

Spekulation, rücksichtsloses Gewinnstreben, scheinbar gewissenloses<br />

Vorgehen auch gegen die eigene Kundschaft. Und: Ihre<br />

Macht stützt sich auf ein unglaubliches Netzwerk in Politik, in<br />

Aufsichtsbehörden und in Zentralbanken – auch in der EZB.<br />

»Wenn sie irgendwo auf der Welt eine Bank suchen, die die öffentliche<br />

Meinung beeinflusst – sie landen unweigerlich bei Goldman Sachs.«<br />

Als sich vergangenes Jahr drei Kollegen der BBC und zwei französische<br />

Wirtschaftsjournalisten aufmachten und redaktionelle Unterstützung<br />

für eine Dokumentation über das vermutlich mächtigste Geldhaus der<br />

Welt suchten, konnte <strong>€CO</strong> nicht anders – das Wirtschaftsmagazin des<br />

ORF machte mit. Und stieß, so wie die anderen, in den gemeinsamen<br />

Recherchen auf eine wirkliche Geldmaschine.<br />

Goldman Sachs ist keine Bank im herkömmlichen Sinn. Es ist eher ein<br />

Imperium. Mit 700 Milliarden Euro Spielgeld in der Tasche wettet es<br />

auf alles und jedes, strebt nach unerschöpflichem, nie endendem Profit.<br />

Die Bank beschäftigt 30.000 Angestellte, die rund um die Uhr rund<br />

um den Erdball nur eines tun – Geld bewegen. Und von Frankfurt bis<br />

Rom, von London bis Washington haben die Manager von Goldman<br />

Sachs dafür ein Netzwerk errichtet, das einzigartig ist. Krisen kümmern<br />

Banker nur wenig. Ort, Zeit und Anlass spielen keine Rolle –<br />

Goldman Sachs macht immer weiter.<br />

Kritik an den Praktiken des Investmenthauses kommt nur aus der<br />

Zivil gesellschaft. Formuliert wird sie ausschließlich von unabhängigen<br />

Finanzexperten, Buchautoren und Journalisten. Die Politik macht um<br />

das mächtige Geldhaus lieber einen großen Bogen. »Goldman ist keine<br />

Bank wie jede andere; sie ist die mächtigste Bank der Welt. Sie ist von<br />

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Goldman Sachs-Zentrale in New York: Keine Adresse, aber ein Netzwerk<br />

(Foto: ORF)<br />

einer unglaublichen Aura umgeben, fast nicht zu durchschauen. In<br />

meinen 35 Jahren als Wirtschaftsjournalist hat sich Goldman Sachs<br />

verändert – von einer ganz normalen, transparenten Bank zu einem<br />

Konzern, zu einem Supermarkt der Spekulation und des Risikos«, erzählt<br />

etwa Marc Roche, der über die »Goldmänner« in Frankreich auch<br />

ein wenig schmeichelhaftes Buch veröffentlicht hat.<br />

Um zu verstehen, wie die US-Investmentbank tickt, empfiehlt sich ein<br />

Ausflug in die Vergangenheit, zurück auf das Jahr 2007. Es ist das Jahr,<br />

in dem die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Im Jänner richtet US-Präsident<br />

George W. Bush in seiner traditionellen »Botschaft an die Nation«<br />

den Amerikanern aus, dass eigentlich alles paletti ist. Die USA wähnen<br />

sich unbezwingbar: »Unsere Zukunft liegt in einer wachsenden<br />

Wirtschaft. Und das ist genau das, was wir besitzen.«<br />

Tatsächlich aber nimmt das mächtige Land gerade direkten Kurs auf<br />

den Abgrund. Seine Kapitäne hatten einen Eisberg übersehen. Bis<br />

heute fragen sich die Geschichtsschreiber, wie das möglich war. Der<br />

Eisberg war nämlich derart riesig, dass er eigentlich auf jedem Radarschirm<br />

jedes durchschnittlichen Wirtschaftsforschers hätte auftauchen<br />

müssen. Hunderttausende von Amerikanern können nämlich<br />

im selben Jänner 2007 ihre Kredite für ihre Eigenheime nicht mehr<br />

60


zurückzahlen. Sieben Millionen Familien sind von einer Zwangsräumung<br />

bedroht. Die »Subprime-Krise« bahnte sich ihren Weg – der<br />

Traum, mit null Eigenkapital, aber augenscheinlich extrem niedrigen<br />

Zinsen an ein Eigenheim zu kommen, platzte. Am Ende sollten Suppenküchen,<br />

Notunterkünfte und Zeltstädte stehen.<br />

Nur: An der Wall Street in New York, der ersten Börseadresse des Erdballs,<br />

da herrschte Euphorie. »Solange die Musik spielt, solange musst<br />

du tanzen«, sollte sich später einer der Chefs der großen Banken rechtfertigen.<br />

Tatsächlich tanzte die Wall Street. Im Juli 2007 erreichte der<br />

Aktienindex ein Allzeit-Hoch, das seither nie mehr erreicht wurde.<br />

Dabei hatte der Eisberg den Luxusliner schon gerammt, die billigen<br />

Kabinen in den unteren Decks bereits zerstört.<br />

Und: Abseits des Rampenlichts hatte Goldman Sachs den Tanzsaal<br />

längst verlassen. Die Bank spekulierte bereits auf den Untergang –<br />

auf die Pleite der US-Haushalte, auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes.<br />

Nun könnten unbeteiligte Beobachter zu der Erkenntnis<br />

kommen: Gut, die Jungs von Goldman Sachs waren eben kühle<br />

Rechner. Sie haben sich eben nicht blenden lassen vom Glamour des<br />

Tanzsaales, sondern hinter die Fassade des sagenhaften Eigenheim-<br />

Wunders geblickt. Tatsächlich könnte man das sagen – wenn die Banker<br />

von Goldman Sachs mit ihrem Handeln nicht die Grenzen der Moral<br />

überschritten hätten.<br />

Goldman Sachs ist ein Konzern ohne Zweigstellen, ohne Straßenschilder,<br />

ohne sichtbare Identität. Die Bank arbeitet nicht für individuelle<br />

Kunden; sie arbeitet für eine ausgesuchte Klientel: für Ford, für BP,<br />

für den Stahlriesen Arcelor Mittal oder das IT-Netzwerk Facebook etwa.<br />

Und sie arbeitet für Regierungen – für die USA, für China, für Russland.<br />

Ihr Hauptquartier liegt in einem unscheinbaren Bürogebäude,<br />

nur einen Steinwurf entfernt vom neuen World Trade Center. Hinter<br />

diesen Fenstern arbeitet eine ganze Armee von Finanzfachleuten.<br />

Die beraten ihre Kunden; aber sie handeln auch selbst, arbeiten für den<br />

eigenen Vorteil. Sie fühlen sich als die Herren der Finanzwelt. »17 Jahre<br />

lang habe ich an der Wall Street gearbeitet; aber egal wo, bei Merrill<br />

Lynch oder bei JP Morgan, alle wollten wir so werden wie die Leute<br />

61


von Goldman Sachs. Die definierten den Standard der Finanzindustrie.<br />

Immer schien es, als hätten sie die besten und cleversten Beschäftigten;<br />

die waren unterwegs, um zu gewinnen. Und sie pflegten zu sagen:<br />

Es reicht nicht, dass du gewinnst; ein anderer muss verlieren«, erzählte<br />

uns William Cohan, ein ehemaliger Bank manager aus New York.<br />

Viele ehemalige Mitarbeiter des Investmenthauses<br />

bestätigten uns: Wer Goldman Sachs<br />

beitrat, trat einer Glaubensgemeinschaft bei.<br />

Die Kultur des Unternehmens bedeutete: Unterordnung.<br />

Die besteht aus der Mischung aus Gier und Geheimhaltung<br />

– und einem Hunger nach Risiko. Steve Bannon, ein Ex-Goldman-Banker<br />

aus Washington, etwa meinte im Interview: »Goldman Sachs stand<br />

für Erfahrung und für Leistung. Es spielte keine Rolle, woher du kamst,<br />

welche Schule du besucht hattest, was deine Religion oder deine Hautfarbe<br />

war. Das Einzige, was zählte, war: wie hart du gearbeitet, wie<br />

clever du gedealt und wie gut du deine Kunden betreut hattest. Es war,<br />

als wäre man einem Jesuitenorden beigetreten. Und über allem stand:<br />

Alles und jedes berechenbar, alles und jedes zu Geld zu machen. Und<br />

das geschah alles schon früher, noch bevor diese Quants, diese Finanzmathematiker,<br />

überall an der Wall Street auftauchten.«<br />

Beitritt zu einer<br />

Glaubensgemeinschaft<br />

Tatsächlich heuerte Goldman Sachs über Jahrzehnte nur die besten<br />

Uni-Abgänger an. Es war das Markenzeichen des Konzerns. Die Finanzmathematiker<br />

hatten nur eine Aufgabe: die Welt in Gleichungen einzuteilen,<br />

für alles und jedes, das uns umgibt, einen Preis festzulegen:<br />

für Unternehmen, für Staaten, für deren Bevölkerungen. Um dann<br />

Geld darauf zu wetten – auf Zuwächse, auf Verluste. Immer auf der<br />

Suche nach dem maximalen Profit. Nicht umsonst wurden und werden<br />

die Goldman-Mitarbeiter an der Wall Street die »banker monks«<br />

genannt – die Mönche des Geldes.<br />

Im Gegenzug garantierte »die Firma« ihren Fußtruppen Wohlstand und<br />

ein bisserl Reichtum. Nomi Prins, ehemalige Goldman-Bankerin in New<br />

York, räumte ein: »Dein Einkommen sagte etwas über dich aus innerhalb<br />

des Konzerns. Also, wenn jemand 100.000 Dollar im Jahr verdiente und<br />

du konntest 150.000 einstreifen, dann bedeutete das: Du bist besser als<br />

der mit den 100.000. Das hat dir Aufmerksamkeit eingebracht.«<br />

62


Nomi Prins arbeitet heute übrigens als Schriftstellerin in New York. Sie<br />

hätte eine einträgliche Karriere im US-Investmenthaus vor sich gehabt,<br />

aber dann passierte der traumatische 11. September des Jahres 2001<br />

auch für sie. »Vom vierten Stock der Zentrale aus hatte ich den Anschlag<br />

auf das World Trade Center miterlebt. In meiner Etage wurde mit<br />

Öl und mit Gas gehandelt, lauter Dinge, die irgendwie mit Flugzeugen<br />

zu tun haben. Und dann bekommen wir mit, dass ein Flugzeug das Gebäude<br />

nebenan getroffen hat, später sogar noch das zweite, und unser<br />

damaliger Vorgesetzter fordert uns auf, weiter zu arbeiten. Sein Bauchgefühl<br />

sage ihm: Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um Geld zu verdienen.«<br />

Vier Monate später kündigte Nomi Prins.<br />

Den fundamentalen Vertrauensbruch begeht Goldman Sachs schließlich<br />

im Jahr 2007: Das Investmenthaus wettet gegen die eigene Kundschaft.<br />

Es wettet gegen den Immobilienmarkt und leistet sich den »Abacus«-<br />

Skandal. Der ist in den USA in der Zwischenzeit ein viel zitierter<br />

Begriff und rasch erklärt. Die Finanzmathematiker des Geldhauses<br />

suchten sich die Immobilienkredite mit den höchsten Risiken aus. Sie<br />

bündelten sie, bringen ein neues Papier auf den Markt und taufen es<br />

»Abacus«. Das Ding wird mit »Triple-A« gerated; also mit der vermeintlich<br />

größtmöglichen Sicherheit für Investoren.<br />

Goldman Sachs verkauft die Papiere anschließend an die eigene Kundschaft.<br />

Die ist gutgläubig, wird im Ungewissen über die tatsächlichen<br />

Risiken gelassen. Und zur selben Zeit beginnt eine andere Hauptabteilung<br />

von Goldman Sachs gegen das eigene Papier zu spekulieren. Der<br />

Rest ist Geschichte. Sechs Monate später bricht der Immobilienmarkt<br />

in den USA tatsächlich zusammen. Auch die »Abacus«-Papiere brechen<br />

ein. Die Kunden von Goldman Sachs verlieren all ihr Geld. 750 Millionen<br />

Euro hatten sie in das »Triple-A«-Investment gesteckt.<br />

Nur Goldman Sachs streift zweimal Geld ein. Zuerst als Zwischenhändler<br />

beim Verkauf der »Abacus«-Papiere; schließlich als Spieler am<br />

Pokertisch, als die Wette gegen den Erfolg von »Abacus« aufgeht.<br />

Drei Jahre müssen die Hintergangenen des »Abacus«-Skandals warten,<br />

um zu erfahren, wer ihnen so übel mitgespielt hatte. Ein Franzose wird<br />

vorgeführt. Fabrice Tourre. Selbst nennt er sich »the fabulous Fab«<br />

63


– »der märchenhafte Fabrice«. Fabrice Tourre ist Finanzmathematiker.<br />

Er hatte in der angesehenen »Ecole Centrale« in Paris sein Studium<br />

abgeschlossen und war von Goldman Sachs im Alter von nur 22 Jahren<br />

angeheuert worden. Ehrgeizig, reich und arrogant – Tourre ist das<br />

Sinnbild eines Goldman-Sachs-Händlers.<br />

Er muss er sich als Einziger einer Befragung vor dem US-Senat stellen.<br />

Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hatte ihn angeklagt. Es ging um<br />

seine Verwicklung in den Skandal um die »Abacus«-Papiere. Die Anhörung<br />

wird live von mehreren amerikanischen TV-Anstalten übertragen;<br />

und rund um die Welt wurde den Zusehern vor Augen geführt, wie<br />

Goldman Sachs arbeitete – und: wie zynisch das System funktionierte.<br />

Tourre wird von einem Tag auf den anderen von seinem eigenen<br />

Arbeitgeber geopfert. Goldman Sachs bezahlte seine Anwälte, sorgte<br />

aber gleichzeitig dafür, dass höchst peinliche E-Mails Tourres an die<br />

Öffentlichkeit gespielt wurden. Kundenfreundlich für die internationale<br />

Presse gleich in mehrere Sprachen übersetzt. Ein kleiner Auszug:<br />

23. Jänner 2007:<br />

»Das ganze Konstrukt steht vor dem Zusammenbruch ...<br />

Es wird nur einen Überlebenden geben: den märchenhaften Fabrice …«<br />

7. März 2007:<br />

»Das Geschäft ist tot. Die kleinen, dummen Kreditnehmer und<br />

Hauseigentümer halten nicht mehr lange durch.«<br />

13. Juni 2007:<br />

»Gerade habe ich ein paar ›Abacus‹-Papiere an ein paar Zurückgebliebene<br />

verkauft, die mir auf dem Flughafen über den Weg gelaufen sind.<br />

Es hat den Anschein, die reißen sich um unseren Ramsch.«<br />

Selbst verteidigt sich Fabrice Tourre, auf Anraten seiner Anwälte,<br />

folgendermaßen: »Ich bedaure diese E-Mails. Sie werfen ein schlechtes<br />

Licht auf mich und mein Unternehmen. Ich wünschte, ich hätte<br />

sie nicht geschrieben.« Bis heute sollte Fabrice Tourre der einzige<br />

Angestellte von Goldman Sachs bleiben, der angeklagt wurde.<br />

Goldman Sachs selbst wird nie unter Anklage gestellt. Nach dem<br />

64


Tourre-Verfahren zahlte die Bank 400 Millionen Euro quasi als »Abschlagszahlung«.<br />

400 Millionen Euro – zu dieser Zeit verdiente Goldman<br />

Sachs diese Summe binnen zweier Wochen.<br />

Tatsächlich schreibt Goldman Sachs im Jahr<br />

2007 einen Gewinn von 13 Milliarden Euro. Die<br />

Bank hatte erfolgreich gewettet: Gegen die<br />

Kreditnehmer in den kleinen amerikanischen<br />

Wette gegen die<br />

eigene Kundschaft<br />

Haushalten – und gegen die eigene Kundschaft. Der Vorstandsvorsitzende<br />

von Goldman Sachs gewährt sich ein Gehalt von über 50 Millionen<br />

Euro. Intern wird der Verkauf der »Abacus«-Papiere als »Operation<br />

Gegenspekulation« bezeichnet. Es ist der Raubzug des Jahrhunderts.<br />

Dieser »Abacus«-Skandal freilich sollte nur ein Vorbote jenes Crash auf<br />

den Finanzmärkten sein, der die Welt erschütterte. Die Schockwellen,<br />

die vom Platzen der amerikanischen Immobilienblase ausgehen, erreichten<br />

auch alle Spieler außerhalb der Wall Street. Die Zukunft eines<br />

ganzen Systems wurde aufs Spiel gesetzt – innerhalb eines Jahrzehntes<br />

hatte sich global eine so genannte Finanzindustrie entwickelt. Geld<br />

mit Geld zu verdienen, war die Devise gewesen – bis der Traum platzte.<br />

Im September 2008 schlittert die Investmentbank Lehman Brothers in<br />

den Konkurs. Lehman ist einer der größten Konkurrenten von Goldman<br />

Sachs. Ein Hilferuf an die US-Regierung wird ausgeschickt. Deren<br />

Finanzminister Hank Paulson lehnt ab. Lehman Brothers wird ausgelöscht.<br />

Mit einer Pressekonferenz.<br />

Allerdings: Die Sache hatte einen schalen Beigeschmack. Bevor Hank<br />

Paulson Finanzminister der USA wurde, war er Vorstandsvorsitzender<br />

von Goldman Sachs gewesen. Dort hatte er das Aktienvermögen des<br />

Institutes verwaltet. Als Paulson in das Kabinett Bush berufen wird,<br />

verkaufte er seine Goldman-Sachs-Aktien. Daran verdiente er 200 Millionen<br />

Dollar.<br />

Hank Paulson verhinderte aber nicht nur die Rettung des größten<br />

Gegenspielers von Goldman Sachs, er musste auch über die Zukunft<br />

von Amerikas größtem Versicherer, der American Insurance Group,<br />

entscheiden. Auch die AIG befindet sich auf dem Weg in den Bankrott.<br />

65


Ginge freilich AIG pleite, würde auch Goldman Sachs zehn Milliarden<br />

Euro verlieren. Paulson beruft kurzerhand ein Treffen in New York ein;<br />

er verhandelt höchstpersönlich mit seinem früheren Mitstreiter Lloyd<br />

Blankfein. Der ist inzwischen zum neuen Vorstandsvorsitzenden von<br />

Goldman Sachs aufgestiegen. Hinter verschlossenen Türen wird AIG<br />

gerettet – auf einmal doch mit Hilfe von Steuergeld. Unter Freunden<br />

wird aber noch ein Deal vereinbart. Die »American Insurance Group«<br />

zahlt zuerst Goldman Sachs aus – und lässt sich erst dann von der<br />

US-Regierung notverstaatlichen.<br />

William Black, damals Mitarbeiter der US-Finanzmarkt-Aufsichtsbehörde<br />

SEC, ist heute noch sprachlos. »Die Sachlage war: Hank Paulson,<br />

der frühere Vorstandsvorsitzende von Goldman Sachs, fragt Goldman<br />

Sachs, wie mit den Schulden zu verfahren sei, die der gestrauchelte<br />

Versicherungskonzern AIG bei Goldman Sachs hat. Das müssen Sie sich<br />

vorstellen, das ist einfach unglaublich. Es wird Sie wenig überraschen:<br />

Goldman empfiehlt, alle Außenstände abgegolten zu erhalten. Was AIG<br />

auch macht. Das ist klagswürdig, geradezu obszön. Das kostete die<br />

amerikanische Regierung Milliarden.«<br />

Weitere Sündenfälle des US-Investmenthauses gefällig? Das Jahr 2009<br />

beginnt mit Feiern – und mit einem Machtkampf. Barack Obama tritt<br />

sein Amt als neuer Präsident der größten Militär-, aber auch der größten<br />

Wirtschaftsmacht der Welt an. Damit handelt er sich quasi von<br />

Amts wegen mächtige Gegenspieler ein. Einer der ersten Termine, den<br />

der frisch gebackene US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus einberuft,<br />

ist deshalb auch ein Treffen mit den führenden Bankmanagern<br />

des Landes. Unter ihnen befindet sich auch die Nummer eins von Goldman<br />

Sachs – Lloyd Blankfein.<br />

Obama erinnert die Banker an den Zorn der Straße. Die Leute wollten<br />

Köpfe rollen sehen. Tatsächlich ist die Lage ernst. Die USA waren in<br />

eine Rezession geschlittert. Viele Banken überlebten nur, weil hunderte<br />

Milliarden an Steuergeldern in das System gepumpt werden.<br />

Obama verspricht die Geldspritzen aufrecht zu erhalten, verlangt von<br />

den Bankmanagern aber deren Unterstützung bei einer Reform des<br />

Finanzsystems ein. Der Deal wird einvernehmlich abgenickt. Auch von<br />

Lloyd Blankfein.<br />

66


Es ist, nach nur wenigen Tagen Amtszeit, ein erster fataler Fehler<br />

des US-Präsidenten. Er nutzte die Gunst der Stunde nicht, um sofort<br />

Änderungen und Reformen im US-Bankensystem durchzusetzen. Nur<br />

sechs Monate später, als Obama im Sommer 2009 New York besucht,<br />

ist das Mondfenster wieder geschlossen, haben sich die Machtverhältnisse<br />

zurück verschoben. Die Geldhäuser schreiben wieder Profite; das<br />

Casino hatte wieder geöffnet; die atemberaubenden Bonuszahlungen<br />

werden wieder aufgenommen. Niemand mehr will sich an die Milliardenspritzen<br />

erinnern.<br />

Die Bankenlobby hatte den US- Präsidenten<br />

einfach links liegen gelassen, ihn durch Nichtbeachtung<br />

»overruled«. Der ist so verärgert,<br />

dass er sich bei einer Veranstaltung zu einer<br />

Schelte hinreißen lässt, wie sie die Welt noch nicht gehört hatte. »In<br />

der Welt der Finanz gibt es welche, die diesen Moment missdeuten. Ich<br />

ersuche alle, mir zuzuhören: Wir werden nicht, ich wiederhole: Wir werden<br />

nicht wieder zur Maßlosigkeit zurückkehren, die der Auslöser für<br />

diese Krise war. Tatsache ist: Viele Konzerne, die nun wieder Gewinne<br />

schreiben, schulden der amerikanischen Bevölkerung noch etwas.«<br />

Präsident Obama<br />

wird »overruled«<br />

Aber die Sache war längst entschieden. Im Machtkampf mit dem Weißen<br />

Haus behalten die Banker die Oberhand. Auch dieser US-Präsident<br />

hatte einen wichtigen Punkt übersehen – vor allem Goldman Sachs ist<br />

in der Gesetzesmaschinerie Washingtons bestens vernetzt. Zwar muss<br />

der Konzern im Nachhall an den Finanzcrash seinen Status als privilegiertes<br />

Investmenthaus aufgeben, auf seinen Einfluss im Zentrum der<br />

Macht verzichtet er aber nicht. Und diese »Regierung Goldman Sachs«<br />

im Umfeld des Weißen Hauses ist mächtig.<br />

Direkt im Weißen Haus arbeitet der frühere Vorstandsvorsitzende<br />

Robert Rubin. Der war Finanzminister schon unter Bill Clinton, hat<br />

heute direkten Zugang zu jedem US-Präsidenten; Mark Patterson ist<br />

Stabschef im gegenwärtigen Finanzministerium, Robert Hormats<br />

schließlich ist Unterstaatssekretär im Wirtschaftsministerium.<br />

Der zweite Kreis der »Goldman-Freunde« beackert Zentralbank und Aufsichtsbehörden.<br />

William Dudley ist Vorstandsvorsitzender der Federal<br />

67


Reserve von New York; Gary Gensler ist Chef der Handelskommission<br />

der Warenterminbörse; und in der amerikanischen Börseaufsicht werkt<br />

Adam Storch. Allesamt sind sie frühere Mitarbeiter von Goldman Sachs.<br />

Der letzte Zirkel wiederum nimmt Einfluss auf internationale Behörden.<br />

Robert Zoelick war bis vor kurzem Präsident der Weltbank. Und Mark<br />

Carney, Gouverneur der Bank of Canada, hat gerade den Vorsitz im<br />

so genannten Financial Stability Board übernommen – just in jenem<br />

Gremium, das das weltweite Finanzsystem reformieren soll.<br />

Keine einzige dieser Personen wollte uns für unsere Dokumentation<br />

ein Interview geben; Fragen sind in diesem System offenbar nicht erwünscht.<br />

Wir wissen nur: Der Klub der früheren Goldman-Sachs-Gentlemen<br />

funktioniert. Und wie aus einer Drehtür kommen immer wieder<br />

neue Freunde heraus.<br />

An der Wall Street wird Goldman-Sachs-<br />

Chef Lloyd Blankfein übrigens »das Messer«<br />

genannt. Seine Schlagfertigkeit ist<br />

gefürchtet. Blankfein entstammt einer<br />

Arbeiterfamilie aus Brooklyn, einer rauen Umgebung. Vom einfachen<br />

Verkäufer schaffte er den Aufstieg in die Chefetage von Goldman<br />

Sachs, den Olymp der Finanzwelt. Heute ist Blankfein 59 Jahre<br />

alt, verkörpert das Gesicht der Firma; selten nur tritt er an die Öffentlichkeit.<br />

Wenn, dann ist das Kalkül. Dann gibt es Erklärungsnotstand.<br />

Sein Auftritt in der »Charlie Rose Show« vom April 2010<br />

ist nahezu legendär. »Wie oft haben Sie mich im Fernsehen gesehen,<br />

in Talkshows? Niemals«, schnauzte er dabei den Moderator an.<br />

Um dann mit sanfter Stimme hinzuzufügen: »Möglicherweise war<br />

das ein Fehler. Nun haben wir eine Menge Arbeit vor uns, den Leuten<br />

zu erklären, was wir eigentlich tun; eigentlich beginnen wir<br />

dabei bei null.«<br />

Lloyd Blankfein<br />

ist »das Messer«<br />

Als ihn der Moderator dann aber doch höflich und bestimmt auf die<br />

Tatsache hinweist, dass es ja auch Zeiten gegeben habe, da Goldman<br />

Sachs gegen die eigene Kundschaft spekulierte, folgen bei Lloyd<br />

Blankfein Sekunden des Nachdenkens, die sich im TV wie Stunden<br />

anfühlten. »Das ist schwierig zu erklären ... Als Marktführer kaufen<br />

68


und verkaufen wir in jeder Minute des Tages tausende Positionen. Sie<br />

mögen das als Casino bezeichnen – aber wenn es das ist, dann ist es<br />

ein wichtiges Casino der Gesellschaft.«<br />

Und Goldman Sachs heute? Heute geht ein Deal auf, der vor zwölf Jahren<br />

eingefädelt wurde. Am 1. Jänner 2001 wird Griechenland in die<br />

Euro-Zone aufgenommen. Das kommt damals etwas überraschend. Es<br />

ist eine Verbeugung vor dem südlichen Beitrittskandidaten, dessen<br />

Wirtschaft deutlich hinter der anderer Euro-Länder hinterher hinkt.<br />

Aber trotz massiver Bedenken wird Griechenland in die europäische<br />

Oberliga aufgenommen.<br />

Was folgte, ist sattsam bekannt. Das griechische Defizit erreicht binnen<br />

kurzem 100 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes. Bis zum Vorjahr<br />

steigt es auf 160 Prozent.<br />

Aber wie konnte das Land seinen wahren Zustand, seine tatsächliche<br />

Finanzkraft derart verschleiern?<br />

Tatsächlich ist es möglich, Schuldpapiere zu manipulieren. Kreditanleihen<br />

werden in fremde Währungen umgetauscht; an der Wall Street werden<br />

solche Transaktion als »Währungsswap« bezeichnet. Sie täuschen –<br />

sie verfälschen die Bilanzen. Sie ahnen es: Goldman Sachs hilft Athen<br />

beim Frisieren der Bücher. Das US-Investmenthaus stellt nur eine<br />

Bedingung: Der Deal unterliegt höchster Geheimhaltung.<br />

Der Londoner Finanzjournalist Nick Dunbar analysierte für <strong>€CO</strong>, was<br />

seinerzeit passierte, als die Jongleure von Goldman Sachs mit den<br />

Vertretern der griechischen Regierung verhandelten: »Da wurde mit<br />

vielen Fachbegriffen argumentiert; die Rede war von Derivaten und<br />

von Swaps. In Wirklichkeit handelte es sich nur um eine große Wechselstube.<br />

Stellen Sie sich vor, der Schalterbeamte schlägt Ihnen folgenden<br />

Deal vor. Er wechselt Ihnen nicht einen Euro in einen Dollar um,<br />

nein, er gibt Ihnen für jeden Euro zwei Dollar. Sie denken sich: Will<br />

der sein Geld verschenken? Nein, antwortet der Schalterbeamte, natürlich<br />

nicht. Aber wir machen einen Geheimvertrag. Sie zahlen mir später<br />

alles zurück und am offiziellen Wechselbeleg steht, dass ich Ihnen<br />

für jeden Euro zwei Dollar gegeben habe. So arbeitete Goldman Sachs<br />

69


New Yorks Börse: Hier wettete Goldman Sachs gegen die eigene Kundschaft (Foto: ORF)<br />

in Griechenland. Das verringerte die offiziellen Staatsschulden gleich<br />

um drei Milliarden Euro.«<br />

Nur für Goldman Sachs wird die böse Angelegenheit zum einträglichen<br />

Geschäft. Allein im ersten Jahr verdient die Bank daran 600 Millionen<br />

Euro. Risiko? Null. Am selben Tag, als der Deal mit Griechenland<br />

unterzeichnet wird, versichert sich Goldman Sachs gegen eine Pleite<br />

des Euro-Landes.<br />

Das bittere Ende haben am Ende ausschließlich die Griechen auszubaden.<br />

Als alles auffliegt, schießt ihr Zinssatz für weitere Ausleihungen<br />

in die Höhe; die Rückzahlungsraten müssen gestreckt werden,<br />

die Rechnung verdoppelte sich schlicht. Bis Ende 2037 noch muss<br />

Griechen land Jahr für Jahr 400 Millionen Euro für diesen einen Deal<br />

bezahlen. Und der Athener Wirtschaftsjournalist Pavlos Tsinas weiß<br />

sogar von einem zweiten Manipulationsversuch der Goldman-Sachs-<br />

Leute zu berichten. »Wir wissen, dass Goldman im Jahr 2008 einen<br />

weiteren Deal anbieten wollte. Es ging um eine neuerliche, diesmal private<br />

Spekulation auf die Schulden des Landes.«<br />

Nur: Diesmal passierte nichts. Nichts ging weiter. Ein Glück für den<br />

Rest der Euro-Zone, meint Tsinas: »Weil es alle kapiert hatten: Stürzt<br />

70


Griechenland, erschüttert das die ganze Euro-Zone. Wenn Griechenland<br />

fällt, fallen auch Portugal, Belgien und Irland. Diesen Haien ging<br />

es um den ersten Biss: Gelingt der, dann ist Blut im Wasser – und alle<br />

anderen Haie kommen nach.«<br />

Aber Goldman Sachs bereitet im Juni 2011 den letzten Coup vor. Just<br />

einer der früheren Vizechefs, der Italiener Mario Draghi, steht vor<br />

der Wahl zum Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Ganze drei<br />

Jahre lang hatte der Italiener für Goldman Sachs gearbeitet, als Europadirektor,<br />

kurz bevor die Bilanztricks mit Athen aufgedeckt worden<br />

waren. Also: Was wusste Mario Draghi?<br />

Hier seine Rechtfertigung vor den Abgeordneten des Europaparlamentes<br />

in der Original-Übersetzung: »Die Vereinbarungen zwischen Goldman<br />

Sachs und der griechischen Regierung wurden getroffen vor meinem<br />

Job bei Goldman Sachs. Ich hatte damit weder vor noch nach meinem<br />

Job zu tun. Ich habe für Privatkunden von Goldman gearbeitet; tatsächlich<br />

wollte man, dass ich auch für den öffentlichen Sektor arbeite, aber<br />

ich habe höflich abgelehnt. Also: Über diese Dinge weiß ich nichts, ich<br />

habe mich damit auch nicht beschäftigt, Da können sie fragen, wen sie<br />

wollen.« Keine Verurteilung der Praktiken von Goldman Sachs?<br />

Schon im Oktober des Jahres 2011 feiert die europäische Elite den<br />

neuen Chef der Europäischen Zentralbank. Er heißt Mario Draghi. Wieder<br />

gewinnt Goldman Sachs. Nun spannt die Bank ihr wundersames<br />

Netzwerk nicht mehr nur über die USA, sondern auch über Europa.<br />

Wieder hatte sich die Drehtür gedreht, wieder war aus ihr ein Manager<br />

der US-Investmentbank getreten.<br />

Draghi bleibt nämlich nicht allein. Auch Mario Monti, inzwischen Italiens<br />

Premierminister, früher EU-Wettbewerbskommissar, war lange<br />

Zeit Berater von Goldman Sachs gewesen. Übrigens genauso wie sein<br />

Vorvorgänger Romano Prodi, der sogar Präsident der EU-Kommission<br />

gewesen war.<br />

Othmar Issing, einst Chefökonom der Europäischen Zentralbank,<br />

schwärmt in Deutschland in den höchsten Tönen über die Vorzüge von<br />

Goldman Sachs. In Großbritannien steigt Peter Sutherland, einst Chef<br />

71


der Internationalen Abteilung von Goldman, zum EU-Kommissar auf;<br />

er nützt das Netzwerk, das schon Lord Griffiths aufgebaut hatte, ein<br />

früherer enger Berater von Margaret Thatcher<br />

Aus Portugal hilft Antonio Borges, er wird Europadirektor des Internationalen<br />

Währungsfonds; aus Frankreich stößt Charles de Croisset dazu,<br />

einst Vorstandsvorsitzender der Credit Comercial de France, zwischendurch<br />

war er Vizepräsident von Goldman Sachs Europa gewesen.<br />

Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um von einer dunklen<br />

Ahnung befallen zu werden. Macht sich der Oligarch des Finanzwesens<br />

aus der Neuen Welt auch in der Alten Welt breit? Selbst Richard<br />

Sylla von der New Yorker »Stern Business School« kann das System<br />

dahinter nicht in Abrede stellen, relativiert aber: »Goldman Sachs<br />

ist eine Kaderschmiede. Du kriegst den Goldman-Sachs-Abschluss an<br />

der Goldman-Sachs-Universität und du wirst dich immer an die Goldman-Sachs-Kultur<br />

erinnern. Heute ist Mario Draghi Chef der Europäischen<br />

Zentralbank; wenn Lloyd Blankfein von Goldman Sachs ihn<br />

morgen sprechen will, na gut, er braucht nur zum Hörer zu greifen. Es<br />

gibt alte Verbindungen. Das ist einfach die Strategie dieser Banker: Sie<br />

zementieren ihre Position.«<br />

Eine Frage freilich bleibt unbeantwortet: Sind Finanzfachleute, Banker<br />

und Manager wirklich die Geeignetsten, den Bevölkerungen Europas<br />

die neuen, unglaublichen Sparprogramme zu verordnen? Und: Steht<br />

hinter den Aufstiegen eines Mario Draghi, eines Mario Monti und eines<br />

Lucas Papademos, der Gouverneur der griechischen Zentralbank gewesen<br />

war, nicht noch etwas anderes? Wird Europa gerade Zeuge, wie<br />

Banker politische Macht übernehmen? Ist es Hilflosigkeit oder Unachtsamkeit:<br />

Die politischen Eliten Europas lassen Finanzprofis als »Retter<br />

in der Not« agieren.<br />

Aber waren es nicht gerade diese »Retter in der Not«, die nur ein paar<br />

Jahre zuvor den Markt mit giftigen Papieren überflutet hatten?<br />

72


Wenn Spaniens Blüten blühen,<br />

wird das teuer für Europa …<br />

von Hans Hrabal<br />

Wie verantwortungslose Eliten, die Gier des Mittelstandes und der<br />

Egoismus der Regionen Europas viertgrößte Volkswirtschaft in<br />

die Pleite manövrierten – so könnte der Untertitel eines Buches<br />

lauten, das die spanische Tragödie beschreibt. Tatsächlich ist es<br />

beschämend zu beobachten, wie ein ehemaliges Vorzeige land der<br />

Europäischen Union ruiniert wurde – und welche Kraftanstrengungen<br />

jetzt nötig sind, das Land wieder aufzurichten.<br />

Den Spaniern geht die Geduld aus. Die Abstände zwischen den<br />

Generalstreiks, die jeweils das ganze Land lähmen, werden immer kürzer.<br />

Der Aufruhr überrascht nicht. <strong>25</strong> Prozent der Bevölkerung sind<br />

mittler weile arbeitslos. Bei den Unter-30-Jährigen ist gar die Hälfte<br />

ohne Job. Doch nicht nur die Arbeitslosen gehen auf die Straße. So<br />

gut wie alle sind von Einsparungen, drohendem Jobverlust, strauchelnden<br />

Betrieben, Privatkonkursen, Delogierungen betroffen und<br />

artikulieren ihren Frust immer lauter.<br />

Arbeiter, Geschäftsleute, Angestellte, Beamte, auch Polizisten, Ärzte,<br />

Krankenschwestern demonstrieren zu Zehntausenden gegen die von<br />

der Regierung verordneten Sparprogramme. Die Fahnen der Protestierer<br />

wehen aufmüpfig. Auch die Sprüche, die die Demonstranten in Madrid,<br />

in Barcelona, in Valencia vor sich her schreien, werden radikaler. »Es<br />

tut uns leid, dass wir die wirklich Schuldigen nicht einsperren dürfen«,<br />

lautet einer der einprägsamsten Slogans etwa der Polizeigewerkschafter.<br />

Die Antwort, wer dies denn sei, liefern die aufgebrachten Hüter<br />

von Recht und Ordnung auch gleich mit: »Banker und Politiker!«<br />

Weit von der von der Wahrheit ist der Kampfruf nicht entfernt. Wie in<br />

Griechenland zeigt sich auch in Spanien, dass Politiker, Justiz, Banken<br />

und Medien versagt haben. Vor allem die angeblichen Eliten tragen<br />

Schuld an der Misere. Eine Clique, bestehend aus höchsten Repräsentanten<br />

des Staates, hat das Land jahrelang heruntergewirtschaftet,<br />

hat selbst Kasse gemacht, hat sinnlos ausgegeben, spendiert, ließ sich<br />

73


Ciudad Val de Luz: Leere Gassen, leere Kassen<br />

(Foto: flickr/rinzewind)<br />

feiern – und hat den Kopf in den Sand gesteckt vor den wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftspolitischen Konsequenzen.<br />

Ciudad Val de Luz, die »Stadt des Lichts« – einprägsamer kann ein<br />

Symbol für die spanische Misere nicht sein. Ersonnen von Marketingexperten,<br />

Immobilienentwicklern und Baulöwen, liegt etwa 150 Kilometer<br />

von Madrid entfernt eine riesige Ansammlung von fertigen und<br />

halbfertigen Wohnblöcken und brach liegenden, fertig aufgeschlossenen<br />

Bauparzellen – mitten in der spanischen Pampa. Wohnraum für<br />

etwa 50.000 Menschen sollte hier entstehen. Das Zielpublikum: junge<br />

Familien aus dem Mittelstand, Aufsteiger mit guter Ausbildung und<br />

einer viel versprechenden Zukunft.<br />

Heute ist Ciudad Val de Luz eine Geisterstadt; Licht erzeugen nur wenige<br />

einsame Straßenlaternen. Die sind freilich vom Feinsten. Designerschick<br />

und modernste Neontechnik scheinen auf fertig asphaltierten<br />

Zufahrtsstraßen, fein säuberlich angelegte Blumenbeete, bunte<br />

Kinderschaukeln und Klettergerüste. Die meisten der Häuser und Anlagen<br />

stehen leer. Der Wind weht einsam durch die Straßen.<br />

Das Geisterprojekt wurde noch vor der Wirtschaftskrise begonnen.<br />

Kurz nach Baubeginn, im Jahr 2008, entwickelte es sich über Nacht<br />

74


zum Rohrkrepierer. Statt 20.000 Wohnungen wurden nur knapp 2000<br />

gebaut (nicht einmal 500 davon sind verkauft). Statt 50.000 Menschen<br />

zählt die halbfertige Satellitensiedlung heute kaum 2000 Einwohner.<br />

Die meisten von ihnen haben sich für ihre schmucken Appartements<br />

und Bilderbuch-Reihenhäuser auch noch schwer verschuldet. Ciudad<br />

Val de Luz wird wegen genau dieser »Besonderheiten« von ausländischen<br />

Kamerateams gestürmt ...<br />

Eine 80-Quadratmeter-Wohnung mit zwei Zimmern kostet wegen Immobilienflaute<br />

und Konjunktureinbruch im Herbst 2012 offiziell noch<br />

85.000 Euro. Vor wenigen Jahren, als die spanische Wirtschaft noch als<br />

kerngesund galt, kostete dieselbe Wohnung das Doppelte – mindestens.<br />

Und das Losschlagen der Appartements war lange Zeit trotzdem kein<br />

Problem. Hunderttausende solcher Neubauwohnungen fanden in der<br />

Zeit vor 2008 begeisterte Nachfrage. Hunderte ähnliche Retorten städte<br />

wie Ciudad Val de Luz zeugen in ganz Spanien davon.<br />

Die Finanzierungen zum Kauf von Wohnungen<br />

wurden den Spaniern jahrelang von den<br />

Banken und <strong>Sparkasse</strong>n geradezu nachgeworfen.<br />

Fremdfinanzierungen über 100 Prozent<br />

des Kaufwerts waren Standard; sehr häufig umwarben die Kreditgeber<br />

ihre Kunden sogar mit Finanzierungspaketen von bis zu 130 Prozent<br />

des Kaufpreises. So konnten sich die Kunden nicht nur ihre Wohnung,<br />

sondern zusätzlich auch gleich noch die gesamte Einrichtung, ein kleines<br />

Auto und einen Familienurlaub leisten. Die Gier erfasste das ganze<br />

Land – wer sollte solchen Verlockungen auch widerstehen können?<br />

Günstige Kredite<br />

zum Diskontpreis<br />

An die Rückzahlung der Schulden dachte in ganz Spanien jahrelang<br />

niemand. Wieso auch? Von 1999 bis 2008 hatten sich die Immobilienpreise<br />

in Spanien durchschnittlich verdreifacht. Wer eine Immobilie<br />

(egal, ob ein Industrieobjekt oder eine Wohnung) erstand, ging davon<br />

aus, dass das Investment ohnehin verlässlich an Wert gewinnen würde.<br />

Der Boom riss alle mit. Wer da wegen zu berappender Zinsen oder<br />

Rückzahlungsraten nicht investieren wollte, stand schnell als kleinlicher<br />

Idiot und Verlierer da. Wer hingegen riskierte und Schulden aufnahm,<br />

lukrierte Wertsteigerungen, schöpfte Gewinne ab, konnte quasi<br />

auf Kredit reich werden.<br />

75


Millionen Normalverdiener sprangen auf den verheißungsvollen<br />

»Wachstumszug« auf. Die Gier nach schnellem Geld wurde zur Volksseuche.<br />

Manch cleverer Mittelständler wurde tatsächlich reich oder<br />

schaffte es wenigstens zu ein bisschen Wohlstand. Im Hintergrund<br />

schöpften aber vor allem die Bauwirtschaft, die Banken und die Immobilienentwickler<br />

den Rahm ab. Die Gewinnspirale, die hier gedreht<br />

wurde, glich letztendlich einem großen, riskanten Pyramidenspiel, bei<br />

dem klar war, dass irgendwann ziemlich viele alles verlieren werden –<br />

aber alle mitzockten, weil sie hofften, doch noch zu den Gewinnern zu<br />

gehören.<br />

Und niemand stoppte die unkontrollierte Spekulationblase.<br />

Aber was war mit den politischen<br />

Kontrollmechanismen, mit der Justiz,<br />

mit der Bankenaufsicht und auch mit den<br />

Medien los? Alfredo Pastor war 1993 bis 1995 spanischer Staatssekretär<br />

für Finanzen. Heute ist er ein anerkannter Professor für Wirtschaftswissenschaften<br />

in Barcelona. Pastor sieht die Ereignisse, die zur aktuellen<br />

Situation geführt haben, natürlich kritisch. Das Versagen sämtlicher<br />

Frühwarn- und Kontrollmechanismen erklärt er so: »Keiner kann<br />

heute mehr verstehen, was damals los war. Es herrschte der allgemeine<br />

Wahnsinn, die Gier hatte die Vernunft außer Kraft gesetzt. Wie die<br />

Lemminge haben sich die Spanier in die Spekulation gestürzt. Und<br />

alle haben begeistert mitgemacht. Es war wie bei einer lustigen, verrückten<br />

Party. Auch wenn man weiß, dass man morgen Kopfweh haben<br />

wird, gibt es niemanden, der gerade dann die Musik abdreht, wenn die<br />

Party auf dem Höhepunkt ist.«<br />

Niemand stoppte die<br />

Spekulationsblase<br />

Die Party begann mit der Zusammenarbeit von Baufirmen, Banken und<br />

Immobilienbranche, kurz nachdem Spanien Generalissimo Franco<br />

los- und endlich eine Demokratie geworden war. Damals galt Spanien<br />

als ein hoffnungslos zurückgebliebener europäischer Schwellenstaat,<br />

der ab seinem EU-Beitritt 1986 mit milliardenschweren Infrastruktur-<br />

Investitionen aus Brüssel aufgepäppelt werden musste.<br />

Und wie es bei Infrastrukturprojekten nun mal so ist: Nutznießer<br />

ist primär die Bauwirtschaft. Die boomte und mit ihr zogen Handel<br />

und Gewerbe nach. Ab den 1990er-Jahren galt Spanien als<br />

76


Spanien: Immobilienblase wie in den USA<br />

(Foto: flickr/rinzewind)<br />

Wirtschaftswunderland, als konjunktureller Phönix aus der Asche. In<br />

Spanien grünte es grün. Das Land hatte sich nach außen hin innerhalb<br />

nur eines Jahrzehnts ins 21. Jahrhundert katapultiert, den Moder und<br />

Staub von fünfzig Jahren Diktatur hinter sich gelassen.<br />

Gestylte Verwaltungsgebäude, moderne Straßennetze, Flughäfen,<br />

Hoch geschwindigkeitsbahnen wurden errichtet. Berühmte Architekten<br />

mit Aufsehen erregenden und teuren Konstruktionen beauftragt.<br />

Spanien war wieder wer. Und die Bauwirtschaft mit den Banken im<br />

Rücken war der Motor dieser Entwicklung. Der konservativen Regierung<br />

Aznar, die das Land in den 1990ern dominierte, konnte das nur<br />

recht sein. Spanien litt traditionellerweise unter einer relativ hohen<br />

Sockelarbeitslosigkeit von etwa 20 bis <strong>25</strong> Prozent, doch dank des Baubooms<br />

stieg die Beschäftigung rasant an. Diesen Erfolg heftete sich<br />

die Regierung gerne auf ihre Fahnen. Und tat ab nun alles nur Menschenmögliche,<br />

um die Bauwirtschaft immer weiter zu beschäftigen.<br />

Die Olympischen Spiele 1992 etwa boten dafür einen prächtigen Anlass.<br />

Und das war nur der Anfang. Bis zur Wirtschaftskrise 2008 herrschte<br />

in Spanien für die Bauwirtschaft Goldgräberstimmung.<br />

Nicht nur die Zentralregierung, auch die 17 weitgehend autonomen<br />

Regionen schöpften aus dem Vollen. Auch wenn vor allem die<br />

77


wirtschaftlich erfolgreichen nördlichen Regionen wie Katalonien, das<br />

Baskenland und Navarra heute so tun, als ob ausschließlich die Maßlosigkeit<br />

der Politiker in Madrid schuld am spanischen Debakel wäre:<br />

Die Regionen haben stets ihr Scherflein beigetragen, wenn es um Geldverschwendung<br />

ging.<br />

Gnadenlos egoistisch betrieb jeder Provinzkaiser<br />

wirtschaftlich meist sinnlose Prestigeprojekte.<br />

Jahrzehntelang. Jenseits einer<br />

vernünftigen Koordination der infrastrukturellen<br />

Bedürfnisse des Gesamtstaates wurden Flughäfen gebaut, deren<br />

Kapazitäten bis heute niemand braucht, wurden vierspurige Autobahnen<br />

verlegt, die in der Ödnis enden, gigantomanische Bahnhöfe, riesige<br />

Universitäten, ausufernde Fußballstadien errichtet, die nie ausgelastet<br />

wurden.<br />

Die Prestigeprojekte<br />

der Provinzkaiser<br />

Bis 2007 verursachten die Regionen allein bereits 38 Prozent der<br />

Staatsschulden. Für die Defizite der Regionen musste letztendlich ohnehin<br />

der Zentralstaat, die Regierung in Madrid geradestehen. Obwohl<br />

diese bei den Ausgaben der Regionalregierungen keinerlei Mitspracheoder<br />

gar Vetorechte hatte.<br />

Die Regionen waren es auch, die letztlich das spanische Bankensystem<br />

zum Kippen brachten. Denn die viel zitierte spanische Bankenkrise,<br />

wegen der die EU Madrid erst vor wenigen Monaten mit einem 45-Milliarden-Hilfspaket<br />

beistehen musste, ist keine Krise der Banken, sondern<br />

eine Krise der <strong>Sparkasse</strong>n. Der regionalen <strong>Sparkasse</strong>n, um genau<br />

zu sein. Nicht genug, dass die Regionen das Geld ihrer Steuerzahler<br />

jahrelang für sinnlose Imageprojekte ausgaben, hatten sie auch noch<br />

die unter ihrem Einfluss stehenden Regional-<strong>Sparkasse</strong>n zur Finanzierung<br />

weiterer Unternehmungen genötigt.<br />

Das gilt vor allem für gigantische Wohnbauprojekte im Stil der Ciudad<br />

Val de Luz, die in Spanien zur Jahrtausendwende zunehmend<br />

die In frastrukturprojekte der 1990er-Jahre ergänzten. Regionen und<br />

Gemeinden versprachen sich davon Wohlstand, Reichtum und Ansehen.<br />

Die Banken, die <strong>Sparkasse</strong>n und die Bauwirtschaft sowieso. Das<br />

System funktionierte so: Die Gemeinden brachten billiges Bauland<br />

78


ein und schlossen es auf Kosten des Steuerzahlers auf. Die Regionen<br />

gründeten mit Gemeinden, <strong>Sparkasse</strong>n, Baufirmen gemeinsame Entwicklungsgesellschaften<br />

und Bauträger, die das Ganze umsetzten und<br />

vermarkteten; die Kreditinstitute sorgten für die Vorfinanzierungen<br />

und halfen, Kunden mit unverschämt günstigen Krediten anzulocken;<br />

die Baufirmen bauten, die Gemeinden hofften auf neue Mitbürger und<br />

Steuerzahler und die Regionalpolitiker saßen in den Aufsichtsräten,<br />

kassierten saftige Zusatzeinkommen oder ließen auch mal ihren Parteien<br />

fette Spenden zukommen.<br />

Es war wie bei der »Subprime-Krise« in den USA. Solange dann auch<br />

noch die Immobi lienpreise kontinuierlich anstiegen, glich das System<br />

dem Stein der Weisen. Nur: Ab 2008 war auch hier die wunderbare Geldvermehrung<br />

vorüber. Die Immobilienpreise fielen, die Menschen konnten<br />

ihre Kredite nicht mehr bedienen. Der Baufortschritt stockte. Die<br />

Finanz ierungen wackelten, die Kassen gerieten in Schieflage. Milliarden<br />

von Krediten hätten abgeschrieben werden müssen. Und zahlreiche Banken<br />

hätten ehrlicherweise wohl in Konkurs gehen müssen.<br />

Spätestens zu diesem Zeitpunkt erhält die spanische Misere ein neue,<br />

abstoßende Fratze: Regierungskriminalität. Denn trotz hoffnungs loser<br />

Überschuldung wurde keine der maroden Kassen in die Insolvenz geschickt.<br />

Bankenaufsicht, Finanzministerium, Zentralbank, Justiz – alle<br />

verharrten im Nichtstun. Nicht nur, dass der Staat nicht eingriff, die<br />

Regierung verschlimmerte die Situation noch. Sieben Regional-<strong>Sparkasse</strong>n,<br />

jede für sich allein genommen ein Sanierungsfall, wurden zu einer<br />

Riesenbank, der heutigen Bankia-Gruppe, verschmolzen.<br />

Es war eine gigantische Bad-Bank, die nach außen hin freilich blütenweiß<br />

präsentiert wurde. Die kriminelle Konstruktion wurde schließlich<br />

auch noch an die Börse gebracht. Die Aktien wurden zu überhöhten<br />

Preisen überwiegend den Kunden der früheren sieben <strong>Sparkasse</strong>n,<br />

nunmehr eben den Kunden der Bankia, aufs Auge bzw. ins Depot gedrückt.<br />

Rund 350.000 Kunden, Sparer und Anleger, wurden so unter<br />

Mitwirkung der Regierung in die Miesen manövriert.<br />

Nur wenige Monate nach Ausgabe der Aktien waren diese bereits um<br />

75 Prozent ihres Ausgabepreises gefallen. Ein Betrug, dessen Ausmaß<br />

79


sogar die großen bisherigen Anlegerskandale in Europa und den USA<br />

in den Schatten stellt – und der vor allem in die Verantwortung der<br />

sozialistischen Regierung unter Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez<br />

Zapatero fällt.<br />

Und die Moral von der Geschichte? Die Gründung der Bankia-Gruppe<br />

konnte den Verfall des spanischen Finanzsystems nur geringfügig verzögern;<br />

die Bad-Bank schreibt 24 Milliarden Miese, ist als systemrelevante<br />

Bank heute aber too big to fail und muss mit EU-Geld gerettet<br />

werden. Und Zapatero verlor zwar die letzten spanischen Wahlen, politisch<br />

oder juristisch vorgegangen wird gegen ihn nicht. Ebenso nicht<br />

wie gegen andere Politiker (sowohl der Sozialisten als auch der Konservativen),<br />

gegen eingeweihte Bankmanager und nicht gegen die in<br />

den Betrug involvierten Beamten. Nicht einmal Ermittlungen wurden<br />

bisher eingeleitet.<br />

Freilich: Nicht alle in Spanien finden das gerecht. Auch das ist ein<br />

Grund für die Demonstrationen. Der bekannte TV-Journalist Hermann<br />

Tertsch bringt, als <strong>€CO</strong> dem Niedergang des Landes hinterher recherchierte,<br />

den Frust der Menschen auf den Punkt: »Zapatero hatte alles<br />

gewusst, als man noch etwas dagegen hätte machen können. Anstatt<br />

zu reagieren hat er alles vertuscht, hat behauptet, dass Spaniens Bankensystem<br />

das sicherste der Welt sei. Er und die gesamte Clique, die<br />

das zu verantworten hat, sind Verbrecher und sollten ins Gefängnis.«<br />

Ob das je passieren wird, ist freilich fraglich. Und letztlich hätte ja<br />

auch die EU zeitgerecht eingreifen können. Warum sie es nicht getan<br />

hat, bleibt ebenfalls eine der vielen unbeantworteten Fragen, die sich<br />

aus dem spanischen Dilemma ergeben.<br />

»Mit dem Euro ist es wie mit einem Auto, das den Berg<br />

hinunterfährt und immer schneller wird. Die Euro-Retter sagen<br />

sich: Wenn wir bremsen, bricht das Auto vielleicht aus; und<br />

deshalb bremsen wir lieber gar nicht.«<br />

Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener<br />

Wirtschaftsforschungsinstitutes „ifo“<br />

80


»Dolce vita« ist vorbei: Italien<br />

wird von der Krise eingeholt<br />

von Sabina Riedl<br />

Leere Strände im Sommer; Italiens Vorzeigeindustrien auf dem<br />

Boden. Lange Gesichter statt »dolce vita« – was ist nur los mit<br />

»bella Italia«? Nach Spanien, Portugal und Griechenland hat<br />

das Krisenvirus den nächsten Mittelmeerstaat erfasst und hält<br />

unseren unmittelbaren südlichen Nachbarn im Würgegriff. Es<br />

war nahezu mitleiderregend, wie <strong>€CO</strong> einen Lokalaugenschein<br />

an der oberen Adria erleben musste ...<br />

Das jedenfalls sind die ernüchternden Eckdaten der italienischen<br />

Wirtschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt: Ein Ende der Rezession ist<br />

nicht in Sicht. Im letzten Quartal des Vorjahres schrumpfte die Wirtschaft<br />

um weitere 0,2 Prozent und die EU-Kommission rechnet sogar<br />

mit einem Konjunktureinbruch insgesamt um 2,3 Prozent. Auch heuer<br />

stehen die Zeichen auf »Schrumpfen«. Erst 2014 erwartet die EU für<br />

Italien wieder ein zartes Wachstum.<br />

Die Industrie in der drittgrößten Volkswirtschaft Europas ist schwer<br />

angeschlagen und scheint sich nicht zu erholen. Sowohl im Inland als<br />

auch im Ausland ging die Nachfrage nach italienischen Produkten zurück.<br />

In den letzten vier Jahren mussten allein 100.000 Textilhersteller<br />

zusperren. Damit aber trifft die Wirtschaftskrise auch die Identität<br />

und das Selbstverständnis unserer südlichen Nachbarn ins Mark.<br />

Ein Drittel der italienischen Jugend ist arbeitslos, man spricht auch<br />

hier schon von einer verlorenen Generation. »Dove vai?«, fragt man<br />

sich besorgt, denn außer dass Italien der drittgrößte Player in der<br />

Europäischen Gemeinschaft ist, sind viele Österreicher, die im letzten<br />

Jahr in Italien Urlaub machten, von dem spürbaren Stimmungstief im<br />

Land des »dolce vita« bestürzt.<br />

Ein Sommer in Italien war für Generationen von uns der Inbegriff<br />

der Unbeschwertheit, des prallen Lebens und des Genusses gewesen.<br />

Doch gerade in der italienischsten aller Jahreszeiten, der Urlaubszeit,<br />

81


offenbarte sich im vierten Krisenjahr hintereinander der triste Zustand<br />

unseres Lieblings-Nachbarlandes. Unser Lokalaugenschein an<br />

der oberen Adria, der Badewanne der Österreicher, übertraf die düstersten<br />

Erwartungen noch. Gab es früher in der Hochsaison zwischen<br />

Juli und August keine freie Liege mehr auf dem Lido di Jesolo, war das<br />

Gästeaufkommen diesmal mehr als verhalten. Kein Zweifel, die Krise<br />

war in Italien angekommen.<br />

Wie immer standen die Schirme dicht gedrängt<br />

nebeneinander in Reih und Glied, aber<br />

darunter herrschte außer Schatten nur gähnende<br />

Leere. So wenig Touristen wie 2012<br />

gab’s an Italiens beliebtester Strandmeile noch nie. Vor allem die<br />

Italiener selbst, die oft übers Wochenende zum Blaumachen an den<br />

Strand fahren, ließen aus. 44 Prozent verzichteten auf einen Sommerkurzurlaub<br />

– andare al mare, der obligate Ausflug an den Strand, war<br />

schlicht und einfach zu teuer geworden.<br />

Gähnende Leere<br />

unter den Schirmen<br />

Auch die Urlauber aus dem restlichen Europa sparten spürbar. Die<br />

Stimmung in den Ferienparadiesen am Mittelmeer, wo die Österreicher<br />

seit Generationen ihre Lebensgeister auftankten, war im Keller. Und<br />

selbst in der Serenissima, die um diese Jahreszeit sonst hoffnungslos<br />

überlaufen ist, war es ungewöhnlich still. In den Restaurants, Cafés<br />

und Geschäften klagten die Betreiber, dass die wenigen Gäste, die<br />

kommen, nichts ausgeben würden.<br />

Ein paar Eindrücke, noch einmal in Erinnerung gerufen: Der Lido di<br />

Jesolo, die längste Strand- und Partymeile an der oberen Adria, ist<br />

üblicherweise zum Bersten voll. Letztes Jahr erreichte die Auslastung<br />

ein Rekordtief. Von einem Rückgang um die 30 Prozent war die Rede –<br />

hinter vorgehaltener Hand, denn nur wenige der Hoteliers oder Geschäftsleute,<br />

die wir fragten, waren besonders auskunftsfreudig.<br />

So fragten wir zwei, die es wissen müssten: Daniele Bragato und Giuglio<br />

Rovere, beide Bademeister wie aus dem Bilderbuch, am beliebten<br />

Mazzini-Strand von Jesolo. Wir trafen sie, sonnengebräunt und vom<br />

Workout gestählt, auf einem der salvataggio, der Hochstände, wo sie<br />

seit mehr als zwanzig Jahren für die Sicherheit der Badegäste sorgen.<br />

82


Und obwohl ihre äußere Erscheinung immer noch die heile italienische<br />

Urlaubswelt verkörperte, saßen ihnen zwei schlechte Saisonen in den<br />

Knochen. »Eine so miese Saison wie diese«, klagten sie, hätten sie<br />

noch nie erlebt. »Leute«, sinnierte Daniele Bragato, »waren voriges<br />

Jahr viel mehr hier. Man spürt den Unterschied zu 2011 – und Schuld<br />

daran trägt die Krise.«<br />

Sein Kollege Giuglio Rovere sekundierte: »Die Leute bleiben aus, weil<br />

sie kein Geld haben, keine Arbeit, leider, das ist wirklich hart. Überhaupt<br />

finde ich, es war ein Fehler, in Italien den Euro einzuführen.<br />

Denn darauf hin hat sich alles verteuert. Eine Pizza Margherita beispielsweise<br />

hat früher 5000 Lire gekostet, jetzt kostet sie fünf Euro,<br />

also doppelt so viel. So wie alles andere auch – nur die Einkommen,<br />

die sind gleich geblieben.«<br />

Kein Wunder, dass es unter diesen Umständen die Italiener waren, die<br />

hauptsächlich ausblieben. Viele sorgten sich um ihre Zukunft und wollten<br />

vorsichtshalber sparen; andere wieder waren bereits Opfer der Krise.<br />

»Ausländer sind etwa gleich viele da wie voriges Jahr«, erzählte uns der<br />

Student Nicola Vido, der mit seinem rollenden Eis-und-Getränke-Kiosk<br />

den Strand auf und ab fuhr. »Nur Italiener sind deutlich weniger da.«<br />

Der rigide Sparkurs Mario Montis hatte den Italienern bereits tief in<br />

die Tasche gegriffen. Statt ein, zwei Wochen Badeurlaub am Meer, wie<br />

es früher Tradition war, fuhr man im vergangenen Jahr maximal ein<br />

bis zwei Tage ans Meer. Das war das höchste der Gefühle.<br />

Der Rückgang der touristischen Einnahmen traf Italien im Vorjahr<br />

hart – denn immerhin machten die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr<br />

22 Prozent der gesamten Wertschöpfung des Mittelmeerstaates<br />

aus. Die Krise traf also den Lebensnerv unseres liebsten Urlaublandes.<br />

Und: Wie nimmt Österreich die Krise bei unserem südlichen Nachbarn<br />

wahr? Wir bitten unseren Interviewpartner, den Finanzberater<br />

Andreas Schuster von Hypo Capital Management, in eine der traditionsreichsten<br />

Pizzerien in Wien: das Rossini in der Innenstadt. Der<br />

erklärte Italienfan berät Kunden der Kathrein-Bank und der Raiffeisen<br />

NÖ. Im Auftrag besorgter Anleger und Investoren hatte er eine Studie<br />

83


zur Wirtschaftslage in Italien verfasst – die verheißt allerdings nichts<br />

Gutes. Die Gründe für das Schwächeln der italienischen Wirtschaft<br />

sind vielfältig; gerade die traditionellen Säulen der italienischen Exportwirtschaft<br />

hätten nachgegeben.<br />

Andreas Schuster erklärt das so: »Der Wegfall der Konkurrenzfähigkeit<br />

der italienischen Exportindustrie ist bedingt durch die Tatsache,<br />

dass Italien auf Märkten produziert, wo die asiatische Konkurrenz<br />

relativ gute, günstige Produkte herstellt.« Gerade die »klassischen italienischen<br />

Sektoren« wie die Bekleidungsindustrie, Schuhe, Textilien,<br />

Fahrzeuge hätten Federn gelassen – also all jene Handelssparten, in<br />

denen Italien bereits viel Terrain verloren hat.<br />

Und worauf müssen sich die Österreicher einrichten, die Italienische<br />

Investitionen oder Anleihen haben? »Ich glaube«, so Andreas Schuster,<br />

»den Worst Case haben wir schon gesehen im Fall von Griechenland.<br />

Man muss eben auf einen Gutteil seiner Forderungen oder Investitionen<br />

verzichten oder wird dazu gezwungen. So ein Szenario ist für Italien<br />

aktuell nicht am Horizont, aber sicher eines der Risikoszenarien,<br />

die man langfristig sehen könnte.«<br />

Eine der größten italienisch-österreichischen Finanzverflechtungen<br />

findet sich natürlich im Bankensektor. Die Bank Austria ist eine<br />

100-Prozent-Tochter der Mailänder Großbank UniCredit, deren Aktien<br />

seit der Krise im Sinkflug sind. Ist eine Ansteckung der größten<br />

heimischen Bank durch die italienische Mutter zu befürchten, wollen<br />

wir vom Chef-Ökonomen der UniCredit Bank Austria AG, Stefan<br />

Bruckbauer, wissen? Und der findet deutliche Worte: »Ein Land in der<br />

Rezession ist immer eine Herausforderung für eine Bank. Am italienischen<br />

Staat leidet die UniCredit nicht. Der italienische Staat geht<br />

nicht pleite. Und sollte er pleitegehen, ist es aus meiner Sicht ziemlich<br />

egal, wo eine Bank in Europa angesiedelt ist; dann wird es alle<br />

ordentlich durchbeuteln, egal, ob es eine deutsche, österreichische,<br />

spanische oder italienische Bank ist. Also dieser Illusion brauchen wir<br />

uns nicht hinzugeben. Wenn eines der reichsten und größten Länder<br />

Europas eine Staatspleite macht, bleibt kein Stein auf dem anderen.«<br />

84


Unsere teuren Parteien und der<br />

ungenierte Griff in den Steuertopf<br />

von Mag. Ilja Morozov<br />

So teuer waren uns die Parteien noch nie: SPÖ, ÖVP und Co. dürfen<br />

sich ab 2013 über viel Geld freuen; über sehr viel Geld. Denn<br />

während etwa bei den Pensionisten oder den Beamten gespart<br />

wird, wird die Parteienförderung saftig erhöht. Und zwar gleich<br />

um das Zweifache. Und selbstverständlich ist klar: Bezahlen muss<br />

das wie üblich der Steuerzahler.<br />

Seit vielen Jahren schon ist Österreich Weltspitze, was die Parteienförderung<br />

betrifft. Kaum woanders auf dem Globus wird – pro Kopf<br />

gerechnet – so viel Geld an das politische System ausgeschüttet wie<br />

hierzulande. Hierfür hat die Republik in der Vergangenheit schon<br />

reichlich Kritik geerntet.<br />

Aber: Im Frühjahr 2012 roch es nach Veränderung. Angesichts der<br />

Euro-Krise und klammer Staatsfinanzen brachte die Regierung gerade<br />

ein milliardenschweres Sparpaket zur Welt. »Gespart muss überall werden,<br />

aber nicht bei jenen, die arm sind«, erklärte Bundeskanzler Werner<br />

Faymann seinen Mitbürgern auf »Youtube«. Auch von einer möglichen<br />

Kürzung der Parteienförderung war die Rede.<br />

Aber: Weit gefehlt. Nur wenige Monate später und zur großen Überraschung<br />

von Experten und wohl auch der Parteikassiere selbst haben<br />

sich die »armen« Parlamentsparteien stattdessen per Gesetz eine<br />

Verdoppelung der Staatszuschüsse ab Juli 2012 gegönnt. Von nun an<br />

werden jedes Jahr stolze 29 Millionen Euro (statt bisher 15 Millionen)<br />

auf die Parteikonten überwiesen. Eine Steigerung um rund 90 Prozent.<br />

Heuer werden gar 36 Millionen Euro ausgeschüttet, da der Staat bereitwillig<br />

auch noch für das zweite Halbjahr 2012 nachzahlt.<br />

Beinahe wäre die Rechnung für den Steuerzahler sogar noch höher<br />

ausgefallen. Eifrige Beamte im Bundeskanzleramt hatten das Gesetz<br />

nämlich so ausgelegt, dass die Parteienförderung rückwirkend für das<br />

gesamte Jahr 2012 ausbezahlt werden muss. Also 43 statt 36 Millionen<br />

85


Euro im heurigen Jahr. Erst aufmerksame Journalisten schlugen gerade<br />

noch rechtzeitig Alarm. Und nach einem öffentlichen Aufschrei der<br />

Entrüstung wurde das peinliche Missgeschick als schlichter »Irrtum«<br />

abgetan und korrigiert.<br />

So oder so, für viele Bürger ist dieser plötzliche Geldregen eine Frechheit,<br />

da doch im Zuge des Sparpaketes »jeder seinen Beitrag leisten«<br />

sollte. Pensionen wurden eingefroren, Beamtenposten nicht nachbesetzt<br />

und Bausparprämien gekürzt. Selbst die Super-Reichen sollten<br />

höhere Steuern zahlen. Warum nur blieben die Parteien verschont? Hat<br />

die Opposition etwa geschlafen, als sich ÖVP und SPÖ darauf geeinigt<br />

hatten? Nein, das nicht. Zumindest nach außen zeigte man sich auf<br />

einer Linie mit dem Volk. Eva Glawischnig von den Grünen tönte etwa<br />

im Parlament: »Ich halte die Erhöhung der Parteienförderung für nicht<br />

akzeptabel, absolut inakzeptabel!« Und Josef Bucher vom BZÖ tobte:<br />

»Das ist eine entwürdigende Maßnahme für die Steuerzahlerinnen und<br />

Steuerzahler!«<br />

Die Oppositionsparteien waren zwar empört und verweigerten ihre Zustimmung<br />

zum Gesetz, das Geld nahmen sie dann aber trotzdem gerne.<br />

So liegt es seitdem an Faymann, Fekter und Co. die immense Geldflut<br />

mit immer denselben Argumenten zu verteidigen. Diese Rückzugslinie<br />

lautet kurz zusammengefasst: Weil künftig weniger Geld fließt, muss<br />

ab sofort mehr Geld fließen. Alles klar? Wir klären gerne auf. Nur eines<br />

gleich vorweg: Rein rechnerisch fällt diese Argumentation durch sämtliche<br />

Logiktests.<br />

Tatsächlich ist es zunächst so, dass mit dem neuen Gesetz nicht nur<br />

höhere Förderungen, sondern auch strengere Regeln bei der Parteienfinanzierung<br />

eingeführt worden sind. Da wären einmal die bis dato<br />

kaum kontrollierten Spenden. Im Lichte der Telekom-Affäre, zahlreicher<br />

Korruptionsvorwürfe und anderer illegaler Zahlungen müssen<br />

von nun an von allen Parteien Spendenzuwendungen über 3500 Euro<br />

offen gelegt werden – samt Namen und Anschrift des Wohltäters. Gelder<br />

aus dem Ausland dürfen bei Beträgen über <strong>25</strong>00 Euro gar nicht<br />

mehr angenommen werden. Und Einzelspenden ab 50.000 Euro gehören<br />

umgehend dem Rechnungshof gemeldet, der den Namen des Spenders<br />

kundtun muss.<br />

86


Unser Parlament: Teure Parteien<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Hikade)<br />

Der erste öffentlich »gebrandmarkte« Großspender ist übrigens Parteigründer<br />

Frank Stronach, weil er sich selbst – sprich seiner »Team<br />

Stronach«-Partei – eine Million Euro gespendet hat. Auch Spenden auf<br />

Landes- und Bezirksebene sowie Geldflüsse an parteinahe Organisationen<br />

gehören nach den neuen Regelungen eingerechnet. Zusätzlich<br />

müssen auch Inserate (ab 3500 Euro) und Sponsoring-Gelder (ab 12.000<br />

Euro) veröffentlicht werden. Damit sollen die bisher mickrigen Rechenschaftsberichte<br />

der Parteien aussagekräftiger werden, zumal sie derzeit<br />

kaum ein Fünftel eines A4-Blattes umfassen. Zum Vergleich: Ein<br />

Jahresabschluss eines Unternehmens geht meist über mehrere Seiten.<br />

Und: Erstmals drohen bei Vergehen auch harte Strafen, die künftig<br />

ein »unabhängiger Parteien-Transparenz-Senat« ahnden soll. Somit<br />

soll »endgültig Schluss« sein mit anonymen und dubiosen Zahlungen.<br />

Diese plötzliche Transparenz hatte anfangs selbst hart gesottene Kritiker<br />

überzeugt. Parteifinanzierungs-Experte DDr. Hubert Sickinger<br />

etwa sprach in einer ersten Reaktion von einem »großen Wurf«.<br />

Alles schön und gut, aber warum greift man im Gegenzug wiederum<br />

den Bürgern so unverschämt in die Tasche? Vermutlich aus einem<br />

einfachen Grund: Die Parteizentralen haben Sorge, dass die strengeren<br />

Transparenzregeln künftig viele Spender abschrecken. Und um<br />

87


Der Beschluss: Der Steuerzahler zahlt eh’ (Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Hagen)<br />

finanziellen Katastrophen vorzubeugen, wurde die Parteienförderung<br />

daher sicherheitshalber gleich verdoppelt. Schließlich hat ja nicht<br />

jeder einen Stronach bei der Hand.<br />

Freilich: Welche »Unsummen« bei einem totalen Spendenboykott tatsächlich<br />

in den Parteikassen fehlen würden, verrät ein Blick in die<br />

aktuell verfügbaren Rechenschaftsberichte aus dem Jahr 2011. Die<br />

SPÖ müsste demnach auf 2260 Euro verzichten. Die FPÖ hätte 320 Euro<br />

in den Wind zu schreiben, das BZÖ 300 Euro. Und die Grünen würden<br />

nicht einmal etwas merken – weil an sie angeblich überhaupt niemand<br />

gespendet hat. Einzig für die ÖVP dürfte einiges auf dem Spiel<br />

stehen. Hier verzeichnete man 2011 immerhin 1,3 Millionen Euro auf<br />

dem Spendenkonto. Dem gegenüber steht freilich das satte Förderplus<br />

von 14 Millionen Euro im Jahr, das ganz klar in krasser Relation zu<br />

den möglichen Spendenausfällen steht ...<br />

Aber: Schließlich droht ja noch an einer anderen Front finanzielles<br />

Ungemach. Ab sofort gibt es nämlich keine Rückerstattung von Wahlkampfkosten<br />

mehr, argumentieren die Parteien. Allein der Urnengang<br />

im Jahr 2006 dürfte nach den Berechnungen von Prof. Sickinger ungefähr<br />

60 Millionen Euro gekostet haben, also deutlich mehr als zehn<br />

Millionen Euro je Partei. Nun war es bisher so, dass zumindest ein Teil<br />

88


der Kosten bei Nationalratswahlen vom Staat übernommen worden war.<br />

Rund 14 Millionen an Steuermitteln sind hierfür geflossen. Allerdings<br />

nur in jenen Jahren, in denen eine Wahl stattgefunden hat – also alle<br />

fünf Jahre, manchmal auch etwas öfter.<br />

Einen drohenden Geldmangel kann man SPÖ, ÖVP und Co. hier tatsächlich<br />

nicht abstreiten. Doch mit der doppelten Parteienförderung – in<br />

genau derselben Höhe wie die bisherige Kostenrückerstattung – wird<br />

jetzt so getan, als ob jedes Jahr Wahlkampf wäre. Das ist unverständlich.<br />

Ein automatischer Inflationsausgleich sorgt noch dazu für stetig<br />

steigende Förderungen. Auch wenn die Spenden gänzlich ausfallen<br />

sollten, können sich die Parteien noch immer getrost nach hinten<br />

lehnen. Zumal auch die Wahlkampfkosten mit dem neuen Parteienfinanzierungs-Gesetz<br />

auf maximal sieben Millionen Euro pro Partei<br />

begrenzt worden sind. Die heuer stattfindenden Nationalratswahlen<br />

dürften folglich keine allzu große finanzielle Belastung darstellen.<br />

Und worauf auch gerne vergessen wird: EU-Wahlkampfkosten werden<br />

auch weiterhin rückerstattet. Auch hier hätte einiges Sparpotenzial<br />

bestanden. Immerhin schießt der Staat rund 13 Millionen Euro zu, wie<br />

zuletzt bei der EU-Wahl im Jahr 2009. Aber das war den Parteien dann<br />

wohl doch zu riskant. Künftig werden »bis zu zwei Euro je Wahlberechtigten«<br />

extra abgegolten. Macht übrigens genau 13 Millionen Euro.<br />

Also auch hier ist keine Gefahr auszumachen, die eine Verdoppelung<br />

rechtfertigen würde.<br />

Überhaupt stehen die Parteien derzeit finanziell so gut da wie schon<br />

lange nicht. Bis auf FPÖ und SPÖ haben keine der anderen Parteien<br />

nennenswerte Schulden in der Bilanz stehen. Nüchtern betrachtet<br />

kann die enorme Anhebung der Parteienförderung daher nur als<br />

»großzügiges Geschenk«, keinesfalls aber als »bittere Notwendigkeit«<br />

qualifiziert werden.<br />

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich kostet<br />

Demokratie Geld und es sei hart arbeitenden Parteien auch vergönnt.<br />

Jedoch nur, wenn es tatsächlich notwendig ist. Denn am Ende<br />

bleibt fraglich, ob die teuer erkaufte Transparenz bei den Parteienfinanzen<br />

auch wie erwartet eintrifft. Bekanntlich gibt es ja immer<br />

89


Die Säulenhalle: Absprache unter den Parteien<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Ranz)<br />

irgendwelche Schlupflöcher. So haben bereits parteinahe Vorfeldorganisationen<br />

damit begonnen, Parallelstrukturen aufzubauen, um der<br />

Spendentransparenz zu entgehen.<br />

Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter gründet etwa<br />

den Verein »Gewerkschafter in der SPÖ« und der ebenfalls rote Pensionistenverband<br />

den Verein »65 Plus«. Solch Entwicklungen lassen<br />

am durchschlagenden Erfolg des neuen Gesetzes zweifeln. Und<br />

noch ein Punkt bereitet Kopfzerbrechen: die Parteienförderung auf<br />

Bundesländer ebene. Mit 1<strong>25</strong> Millionen Euro im Jahr ist diese um ein<br />

Vielfaches teurer als jene für die Bundesparteien.<br />

Statt auch hier den Sparstift anzusetzen, ist im neuen Parteienförderungs-Gesetz<br />

ein Korridor zwischen 6,20 und maximal 22 Euro je<br />

Wahlberechtigten vorgesehen, den die einzelnen Länder auch noch<br />

unter sich aushandeln dürfen. Noch hat kein Bundesland ähnlich<br />

drastische Erhöhungen angekündigt wie die Parlamentsparteien. In<br />

Zukunft ist das jedoch nicht auszuschließen, bewegt sich doch beispielsweise<br />

Niederösterreich mit 11,16 Euro pro Kopf am unteren Limit<br />

des Möglichen. Doch um auch hier härter durchzugreifen, dafür hat es<br />

den Bundesparteien wohl an Argumenten gefehlt ...<br />

90


Das Werben um Betriebe:<br />

Noch ist Österreich »liebenswert«<br />

von Katinka Nowotny<br />

Jedes Jahr siedeln sich hunderte ausländische Unternehmen in<br />

Österreich und hier vor allem in Wien an. Angezogen werden sie<br />

von hoher Lebensqualität und gut ausgebildeten Mitarbeitern.<br />

Aber der Wettkampf um neue Firmen wird immer härter.<br />

Der US-Amerikaner Chris Carlston hätte mit seinem kleinen Unternehmen<br />

auch nach Paris, nach London oder nach Madrid gehen können.<br />

Aber er hat sich vor rund einem Jahr für Wien entschieden – und<br />

wurde so einer von hunderten neuen Betriebsgründern in Österreich.<br />

Carlstons kleines Büro in der Wiener Innenstadt wertet für internationale<br />

Ölkonzerne Satellitenbilder aus, damit diese wissen, wo<br />

es sich zu bohren lohnt. Diese Arbeit kann überall auf der Welt gemacht<br />

werden. Carlston entschied sich für Österreichs Bundeshauptstadt<br />

– wegen der hohen Lebensqualität, die er und seine Familie hier<br />

genießen können<br />

»Wien ist gut für Familien«, sagt er. »Die Stadt ist sicher, sauber<br />

und der öffentliche Verkehr funktioniert bestens. Wir können unseren<br />

Kindern hier mehr Freiheiten geben. Paris und London wären für uns<br />

zu groß gewesen. Wien war eine gute Wahl.«<br />

Tatsächlich ist die hohe Lebensqualität einer der großen Pluspunkte,<br />

mit denen Wien und auch andere österreichische Städte in aller Welt<br />

um Ansiedelungen werben können. Jahr für Jahr wird die Bundeshauptstadt<br />

vom Beratungsunternehmen »Mercer« als »lebenswerteste Stadt<br />

für internationale Manager« ausgezeichnet. Aber mit Kultur, mit Parks<br />

und mit Freundlichkeit allein kann man Weltkonzerne nicht mehr dazu<br />

bringen, große Summen hier zu investieren. Der Kampf um Betriebsansiedelungen<br />

ist härter geworden und nicht mehr in allen Bereichen<br />

kann Österreich punkten. Hohe Steuern, eine schwerfällige Bürokratie<br />

und komplizierte Arbeitsbewilligungen sind die häufigsten Themen,<br />

über die internationale Manager regelmäßig klagen.<br />

91


»Staaten wie Tschechien oder Ungarn gehen immer stärker in unser<br />

Standortprofil hinein«, warnt Rene Siegl, der Chef der Austrian<br />

Business Agency (ABA), die für Betriebsansiedelungen wirbt. 2011 hat<br />

seine Firma 180 Unternehmen mit 1800 neuen Jobs begleitet. »Es ist<br />

kein Wunder – die müssen sich ihrerseits gegen die Ukraine, gegen<br />

Rumänien oder gegen Bulgarien abgrenzen und das machen sie, indem<br />

sie höher qualifizierte Leistungen anbieten. Daher ist Wien sicherlich<br />

auch der Konkurrenz durch Prag und durch Budapest ausgesetzt. Das<br />

ist ein neues Umfeld, das in den letzten fünf bis zehn Jahren entstanden<br />

ist.«<br />

Lange Zeit war Wien der unumstrittene Champion,<br />

wenn es um Ost europa-Zentralen internationaler<br />

Konzerne ging. Schon vor dem Fall<br />

des Eisernen Vorhanges wurde von Wien aus<br />

der Markt in den kommunistischen Ländern beobachtet; und ab 1989<br />

erfolgte die Expansion in die Nachbarstaaten und weiter nach Osten<br />

von Wien aus – rasant. Für Österreichs Bundeshauptstadt sprachen<br />

unter anderem die zen trale Lage in Europa, gute Verkehrsverbindungen,<br />

vor allem das dichte Flugnetz der AUA, die hohe Rechtssicherheit<br />

und die Verfügbarkeit hochwertiger Dienstleistungen. Immer noch ist<br />

Wien für viele deutlich attraktiver als Prag oder Budapest, aber der<br />

Abstand ist geschrumpft.<br />

»Go east« startete<br />

immer von Wien aus<br />

»Es ist ein globaler Wettlauf um die besten Unternehmen dieser Erde<br />

und sobald man sich da ein bisschen zurücklehnt, fällt man klarerweise<br />

auch zurück«, sagt Gerhard Hirczi, der die Wirtschaftsagentur<br />

Wien in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) leitet. 126 Unternehmen<br />

kamen mit seiner Hilfe im Vorjahr nach Wien – ein Rekordwert.<br />

Darunter war auch die amerikanische Modekette »Forever 21«. Auf<br />

ihrem ersten Sprung nach Europa entschied sie sich für Wien – als attraktiven,<br />

aber auch herausfordernden Testmarkt. Entscheidend waren<br />

neben dem kaufkräftigen Publikum die Verfügbarkeit qualifizierter<br />

Mitarbeiter – und natürlich Immobilien in Top-Lage und (damals) dennoch<br />

erschwinglichen Mieten.<br />

Aber: So attraktiv Headquarters und Dienstleistungsbetriebe für einen<br />

Wirtschaftsstandort auch sind, die meisten Arbeitsplätze entste hen<br />

92


nach wie vor in der Industrieproduktion. Und da muss Österreich noch<br />

härter kämpfen, denn die heimischen Löhne zählen zu den höchsten<br />

der Welt. Statt Ansiedelungen kommt es deswegen auch immer wieder<br />

zu Abwanderungen oder Betriebsschließungen, die meist in strukturschwachen<br />

Regionen Arbeitsplätze kosten.<br />

Bei hohen Kosten müssen andere Dinge passen – vor allem die Qualifikation<br />

der Mitarbeiter und die Möglichkeiten für Partnerschaften bei<br />

Forschung und Entwicklung. Das zählt etwa für die Firma »Castolin«,<br />

einem Spezialisten für Schweißtechnik und Tochter der deutschen<br />

»Messer Gruppe«. Vor kurzem hat das Unternehmen in Niederösterreich<br />

eine neue Produktionshalle eingerichtet und zusätzliches Personal<br />

eingestellt. Kieswerke, Papierproduzenten und die Stahlindustrie lassen<br />

hier ihre Maschinen und Anlagen mit Spezial-Schweißverfahren<br />

vor zu raschem Verschleiß schützen.<br />

Dem Einsatz dieser Technik gingen lange Jahre der Entwicklung voraus<br />

– in enger Zusammenarbeit mit lokalen Forschungseinrichtungen.<br />

Solches Know-how ist nicht einfach zu verlagern, deshalb bleibe<br />

»Castolin« auch in Österreich, sagt Manager Robert Kirchmayer. »Es<br />

gibt eine gute Kundenstruktur hier in Österreich und in den umliegenden<br />

Ländern, die wir schon seit Jahrzehnten beackern. Mit ihr<br />

können wir uns weiter entwickeln; zusammen mit der Technologie<br />

und der Forschung ist das ein Mix, der uns am Standort in Österreich<br />

sicherlich gegenüber anderen überlegen macht.«<br />

Der gute Ruf des Landes wird auch noch weiter im Osten geschätzt –<br />

in China. Der steirische Elektromotoren-Hersteller ATB stand nach der<br />

Pleite des Großinvestors Mirko Kovats und dessen »A-Tec«-Holding zum<br />

Verkauf. Den Zuschlag erhielt das chinesische Familienunternehmen<br />

Wolong, das von einem neuen Headquarter in Wien mit ATB-Produkten<br />

in alle Welt expandieren will. »Jene Motoren, die ich hier herstellen<br />

kann, kann ich nicht in China produzieren«, sagt ATB-Aufsichtsrat<br />

Christian Schmidt. »Das spricht für den Standort Österreich und eine<br />

Headquarterfunktion in Wien.«<br />

Doch Experten warnen: Wenn Österreich die Rahmenbedingungen<br />

nicht laufend verbessert, dann wird das Land von anderen überholt.<br />

93


»In den letzten zwei, drei Jahren verliert Österreich in den internationalen<br />

Rankings jedes Mal ein, zwei, teilweise sogar drei Plätze. Wenn<br />

man selbst nicht stark reformiert, dann wird man nach hinten durchgereicht«,<br />

sagt ABA-Chef Siegl.<br />

Die Körperschaftssteuer ist in Österreich mit <strong>25</strong> Prozent im guten<br />

euro päischen Durchschnitt und stellt kein Hindernis dar. Die unter<br />

der schwarz-blauen Regierung eingeführte Gruppenbesteuerung galt<br />

lange Zeit sogar als echtes Plus: Verluste bei Auslandstöchtern<br />

konn ten im Inland von der Steuer abgesetzt werden. Das war vor<br />

allem bei der Ansiedelung von Unternehmenszentralen ein starkes<br />

Argument. Wie bekannt, ist es hier zu wirklichen Verschlechterungen<br />

für Unternehmen gekommen.<br />

Zusätzlich gibt es eine Fülle von kleineren Steuern und Gebühren wie<br />

Werbeabgaben oder Gesellschaftssteuern, die dem Budget relativ wenig<br />

bringen, aber dem Unternehmen großen Verwaltungsaufwand verursachen,<br />

kritisiert Barbara Polster-Grüll von der internationalen Wirtschaftstreuhand-Gesellschaft<br />

KPMG. Und die hohen Einkommensteuern<br />

und Lohnnebenkosten sind vor allem für hoch bezahlte Manager ein<br />

echtes Problem. 60 Kilometer weiter in Bratislava ist das Leben zwar<br />

weder billiger noch schöner, aber die Steuerbelastung deutlich geringer.<br />

»Die Höhe der Steuern ist in der Regel nicht das entscheidende<br />

Argument für eine Ansiedelung«, schränkt Hirczi ein. »Es muss ein<br />

Package geben, dann läuft die Steuer sozusagen nebenbei mit.«<br />

Zu diesem »Paket« gehört im Übrigen auch die berühmte »Ausländerpolitik«<br />

– und die könnte hierzulande deutlich liberaler werden. Der<br />

Amerikaner Chris Carlston etwa konnte seiner Frau keine Arbeitsbewilligung<br />

beschaffen. Und andere Unternehmen klagen auch darüber, wie<br />

schwer es ist, die notwendigen Papiere für qualifizierte Arbeitskräfte<br />

aus dem Nicht-EU-Raum zu erhalten – Rot-Weiß-Rot-Card hin oder her.<br />

Und noch wirchtiger als das, ist das Wissen, dass die Kinder in Wien<br />

sicherer aufwachsen als etwa in einer amerikanischen Großstadt. »Wir<br />

sehen unsere Kinder in die Straßenbahn einsteigen und haben dabei<br />

ein sicheres Gefühl.«<br />

94


Unser Gehalt, unser Geheimnis:<br />

So viel »Verdienst« ist normal<br />

von Mag. Bettina Fink<br />

Studieren Sie manchmal aus Interesse Stellenanzeigen? Mal sehen,<br />

was sich auf dem Arbeitsmarkt so tut? Seit geraumer Zeit finden<br />

sich im Kleingedruckten auch konkrete Angaben zur Entlohnung:<br />

Also Informationen über das Monats- oder Jahresbruttogehalt<br />

sowie den Kollektivvertrag. Das liest sich spannend. Doch sind<br />

die genannten Summen auch realistisch?<br />

Seit mehr als einem Jahr sind Arbeitgeber per Gesetz verpflichtet,<br />

Löhne in Jobausschreibungen offen zu legen. Die neue Lohntransparenz:<br />

Sie wurde von der Frauenministerin und der Gewerkschaft als<br />

»Waffe im Kampf gegen die konstatierten Lohnunterschiede zwischen<br />

Männern und Frauen« durchgesetzt. Die These: Wer weiß, was die<br />

eigene Arbeitskraft wert ist, welche Löhne üblicherweise in der eigenen<br />

Branche bezahlt werden, kann auch besser verhandeln.<br />

Das Gute daran: Der größte Teil aller Unternehmen hält sich mittlerweile<br />

auch an die gesetzlichen Vorgaben. Doch meist wird in Inseraten<br />

nur der kollektivvertragliche Mindestlohn angegeben – und Bereitschaft<br />

zur Überzahlung signalisiert. Das ist zwar gesetzeskonform –<br />

für Bewerber aber oft wenig hilfreich. Beispiele gefällig?<br />

Conrad Pramböck ist Gehaltsexperte bei der internationalen Personalberatung<br />

»Pedersen & Partners«. Als solcher hat er permanent Einblick<br />

in die Einkommensdaten verschiedenster Branchen und Firmen,<br />

sowohl national als auch international. Mit ihm machen wir einen<br />

Gehalts-Check: Im Karriereteil großer österreichischer Tageszeitungen<br />

nimmt er spontan Inserate unter die Lupe.<br />

Beispiel eins: Gesucht wird eine Assistentin der Geschäftsführung<br />

mit Berufserfahrung. Der angegebene Mindestlohn: 1586 Euro<br />

brutto monatlich. Die Einschätzung von Dr. Conrad Pramböck: »1500<br />

Euro entsprechen dem Mindestgehalt von Einsteigerinnen, die die<br />

HAK-Matura absolviert haben. Wenn ich Vorstandsassistentin bin und<br />

95


Berufserfahrung habe, bewegen sich die Gehälter jedenfalls zwischen<br />

<strong>25</strong>00 und 3500 Euro brutto pro Monat, die Gehaltsangabe ist also völlig<br />

unrealistisch.«<br />

Beispiel zwei: Gesucht wird ein/e VertriebsmitarbeiterIn in der Pharmabranche.<br />

Die Person soll ein abgeschlossenes naturwissenschaftliches<br />

Studium und Berufserfahrung vorweisen. Die Pharmabranche<br />

hat den Nimbus gut zu bezahlen. Doch das Jobinserat offeriert gerade<br />

einmal 1441 Euro brutto pro Monat. Dr. Conrad Pramböck: »Das ist<br />

nicht einmal das Einstiegsgehalt von MaturantInnen. Tatsächlich<br />

müsste so jemand zwischen <strong>25</strong>00 und 3000 Euro brutto verdienen, also<br />

die Angaben im Inserat weichen um 50 Prozent von der Realität ab.«<br />

Beispiel drei: Ausgeschrieben ist die Stelle einer Buchhalterin mit<br />

abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung und dem Schwerpunkt<br />

Rechnungswesen. Sie soll einige Jahre Erfahrung haben. Für eine Vollzeitbeschäftigung<br />

werden im Inserat 1700 bis <strong>25</strong>00 Euro als Gehalt genannt.<br />

Pramböck: »Das ist eine Stellenausschreibung, die realistische<br />

Angaben macht. Damit kann man etwas anfangen.«<br />

So einfach scheint es mit der Lohntransparenz in Inseraten also nicht<br />

zu sein. Darum liefern wir zur Orientierung einen realistischen Überblick<br />

über übliche Einstiegsgehälter in Österreich. Abweichungen je<br />

nach Branche sind natürlich möglich.<br />

Einstiegsgehälter im Überblick<br />

• Die Einstiegsgehälter für Facharbeiter liegen meist zwischen 1300<br />

und 1700 Euro. Nach zehn Jahren sind es 2100 bis 2800 Euro.<br />

• Die meisten Maturanten starten mit 1400 bis 1800 Euro und kommen<br />

nach zehn Jahren auf 2300 bis 3200 Euro.<br />

• Akademiker steigen mit 1800 bis <strong>25</strong>00 Euro ein. Nach fünf Jahren<br />

liegen sie bei 2900 bis 3600 Euro. Deutliche Ausreißer nach unten<br />

oder oben sind möglich – je nach Studienwahl.<br />

Besonders schwierig wird es mit den realistischen Gehaltsangaben in<br />

den höheren Etagen. Markus Brenner ist Personalberater in Wien und<br />

vermittelt Führungskräfte. »Gehälter sind hierzulande immer noch ein<br />

großes Tabuthema. Vor allem aber hängen sie stark von der Person des<br />

96


Bewerbers, der Bewerberin ab, der Erfahrung und dem Wissen, die sie<br />

oder er mitbringt. Die Spielräume sind darum – speziell bei Führungspositionen<br />

– gewaltig.« Gehaltsbandbreiten zwischen 50.000 bis zu<br />

120.000 Euro jährlich für einen ausgeschriebenen Job im mittleren Management<br />

– alles ist möglich. Und dann wären da auch noch viele andere<br />

Variablen zu beachten: »Wie viel ist fix, wie viel Gehalt va riabel,<br />

sind Überstunden inkludiert, gibt es einen Dienstwagen, eventuell<br />

auch Pensionszusagen?«, so Markus Brenner.<br />

Das reine Jahresgehalt sagt oft wenig aus. Und wenn man es allein<br />

darauf anlegt, fürchtet der Personalberater eine Annäherung an »britische<br />

Verhältnisse, wo es nur noch darum geht, wie viel ist der Job<br />

wert, was bekomme ich bezahlt. Das gefällt mir persönlich gar nicht,<br />

es geht ja auch darum, dass ein Job zu mir passt, dass er Spaß macht.«<br />

Auch wenn bei Führungsjobs scheinbar vieles relativ ist: hier ein Gehaltsüberblick<br />

zur Orientierung. Viel hängt auch von der Größe des<br />

Unternehmens und von der Branche ab, fügt Conrad Pramböck hinzu.<br />

Gehälter für Führungsjobs<br />

• Wer nach fünf bis zehn Jahren zum Teamleiter aufsteigt, verdient<br />

meist 3400 bis 5000 Euro brutto monatlich.<br />

• Abteilungsleiter in einem mittelständischen Betrieb mit 200 bis 500<br />

Mitarbeitern können nach zehn bis 20 Jahren mit 4800 bis 7000 Euro<br />

rechnen.<br />

• Bereichsleiter bei einem Großunternehmen mit mehr als 1000<br />

Mitarbeitern wird man meist nach 15 bis <strong>25</strong> Berufsjahren. Die<br />

Gehaltsbandbreite: 6800 bis 11.000 Euro. Abweichungen nicht<br />

ausgeschlossen.<br />

Eine völlig andere Welt: die Produktion des<br />

Automobil-Zulieferers Rupert Fertinger in Angelernter oder<br />

Wolkersdorf. 150 der 200 Mitarbeiter arbeiten<br />

in der Produktion. Meist angelernte Ar-<br />

echter Facharbeiter?<br />

beiter und echte Facharbeiter. Hier gilt der Metaller-Kollektivvertrag.<br />

Rund 1600 Euro brutto monatlich – das ist der Einstiegslohn<br />

– bei entsprechender Erfahrung und Qualifikation sind Überzahlungen<br />

von zehn bis 20 Prozent möglich. Und auch der Schichtdienst<br />

bringt Zulagen.<br />

97


Doch in lichte Höhen eines richtig guten Akademikergehalts steigen<br />

die wenigsten hier auf. Die Firma Rupert Fertinger sucht vor allem für<br />

die automatisierten Anlagen immer wieder Fertigungstechniker und<br />

Mechatroniker – Fachkräfte, die sehr rar sind. Der kollektivvertragliche<br />

Mindestlohn ist für besonders gefragte Techniker zwar ein Anhaltspunkt,<br />

aber nicht der alles entscheidende. Für das Unternehmen<br />

ist die Offenlegung der Löhne in Stelleninseraten also eine Gratwanderung.<br />

Man will keine unattraktiven Mindestgehälter angeben und<br />

gute Bewerber abschrecken – aber auch nicht überzogene Erwartungen<br />

wecken. Doch gerade bei sehr gefragtem Personal stehen die Firmen<br />

in einem harten Wettbewerb um die besten Leute. Personalchefin<br />

Brigitta John: »In der freien Wirtschaft kann man das Gehalt nicht<br />

so schematisieren, wie man sich das vielleicht in Ministerien oder<br />

Ämtern vorstellt, wo es fixe, klare Einstufungen gibt. Bei uns herrscht<br />

das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das ist ein Markt.«<br />

Hilfreich ist die Gehälteroffenlegung derzeit vor allem für Berufsgruppen,<br />

die nahe am Kollektivvertrag bezahlt werden. Laut Gewerkschaft<br />

wussten viele ArbeitnehmerInnen bislang nicht einmal, welches<br />

Gehalt ihnen mindestens zusteht. Und ob sie im richtigen oder in<br />

einem für sie schlechteren Kollektivvertrag angestellt werden, so<br />

Brigitte Ruprecht, Bundesfrauenvorsitzende im ÖGB. »Wir haben in<br />

Österreich mehr als 800 verschiedene Kollektivverträge. Und da kann<br />

es schon einen Unterschied machen, ob ich in einem Industrie- oder<br />

einem Gewerbekollektivvertrag eingestuft werde.«<br />

Zumindest diese Einstufungen werden durch die Gehaltsoffenlegung<br />

transparenter. Es bleibt aber trotzdem niemandem erspart, sich gut<br />

über den Marktwert der eigenen Arbeitskraft zu informieren, wenn<br />

man einen neuen Job anstrebt. Je höher oder je gefragter die Qualifikation,<br />

desto mehr Spielraum ist gegeben.<br />

Aber so lange Firmen in vielen Inseraten keine realistischen Angaben<br />

machen, sondern nur Minimalanforderungen veröffentlichen, erfüllt<br />

sich eine politische Idee hinter der Gehälteroffenlegung nur bedingt:<br />

nämlich, dass allfällige Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern<br />

verschwinden sollen.<br />

98


Ein totaler Bildausfall – der<br />

Absturz des Weltkonzerns Kodak<br />

von Sabina Riedl<br />

Es war die spektakulärste Pleite des abgelaufenen Jahres – dass<br />

ein Weltkonzern und mit ihm eine der wertvollsten, gediegensten<br />

und bekanntesten Marken der Welt baden gehen, erlebt man<br />

nicht alle Tage. Der Kamerapionier und Filmhersteller Kodak<br />

schlitterte in die Insolvenz. Für viele markiert der Crash auch<br />

das Ende einer Ära.<br />

Kodak hat die digitale Revolution verschlafen, darin sind sich die<br />

Brancheninsider einig – viele von ihnen freilich mit einer Träne im<br />

Knopfloch. Immerhin war Kodak die neuntwichtigste Marke der Welt.<br />

Gründer- und Firmenvater George Eastman war ein visionäres Genie.<br />

Er hatte 1888 die erste Amateurkamera auf den Markt gebracht und<br />

damit Fotogeschichte geschrieben.<br />

Die europäischen Niederlassungen sind vorläufig nicht betroffen. Wenngleich<br />

der Schock auch dort tief sitzt. Die Kodak-Aktie ist in nur fünf<br />

Jahren ins Bodenlose gestürzt – von <strong>25</strong>,8 Euro auf zum Jahreswechsel<br />

0,17 Euro – und lange schien es fraglich, ob und wie es mit dem einstigen<br />

Vorzeigebetrieb nach dem Insolvenzverfahren weitergehen würde.<br />

Doch nun zeichnet sich eine wenigstens vorläufige Rettung ab.<br />

Mitte November gab Kodak nämlich bekannt, dass der Konzern 800<br />

Millionen Dollar für einen Neubeginn in der Kriegskasse habe. Genau<br />

gesagt sind es 793 Millionen, die vorwiegend von zwei US-Großbanken,<br />

UBS und JP-Morgan, kommen sollen. Damit Kodak als Druckerhersteller<br />

durchstarten kann, muss das Unternehmen erst seine etwa<br />

1000 Digitalfoto-Patente zu Geld machen. Die Geschäftsführung erhofft<br />

sich daraus einen Erlös von rund 500 Millionen Dollar – das<br />

klingt schon sehr viel bescheidener als noch Anfang des Jahres 2012,<br />

als von »bis zu drei Milliarden Dollar an Patentwerten« die Rede war.<br />

Nach seinem Niedergang muss sich der Konzern womöglich mit noch<br />

viel weniger als einer halben Milliarde begnügen.<br />

99


Eine Marke verschläft das digitale Zeitalter<br />

(Foto: Kodak)<br />

Das ist doppelt bitter und auch ein wenig ironisch, weil aus der<br />

Kodak-Entwicklungsabteilung die allerersten, damals noch revolutionären<br />

Digitalkameras schlüpften. Doch während die Konkurrenten<br />

schleunigst auf den digitalen Zug aufsprangen, verschlief Marktführer<br />

Kodak, der die Speerspitzen der Entwicklung unter seinem eigenen<br />

Dach beschäftigte, trotz seines gewaltigen Vorsprungs an Know-how<br />

und Forschung die digitale Revolution.<br />

Wie sind die Mächtigen gefallen, denkt man unwillkürlich, wenn man<br />

an das goldene K denkt. Vom weltumspannenden Imperium und einer<br />

Marke, die jedes Kind noch heute mit Familienalben, wertvollen Erinnerungen<br />

und Fotografie verbindet, zu einem beispiellosen Niedergang<br />

war es nur ein kurzer Weg. Zu spät haben die Chefs die Weichen gestellt,<br />

viel zu spät erkannt, dass der Film, ihre Haupteinnahmequelle,<br />

zum Nischenprodukt verkommen würde.<br />

Und wer hätte gedacht, dass der Oldie von Paul Simon aus dem Jahr<br />

1973 »Don’t Take My Kodakchrome Away« die Firma Kodak überleben<br />

würde? Das gigantische Kamera-und-Film-Imperium mit Sitz in<br />

Rochester, New York, beschäftigte zu seinen Glanzzeiten in den 1980erund<br />

1990er-Jahren 145.000 Mitarbeiter weltweit; heute sind es gerade<br />

mal 19.000.<br />

100


Ein Teil des Kodak-Dramas hat sich, abgeschottet von der Öffentlichkeit,<br />

sogar vor den Toren Wiens abgespielt. Im Sommer 2003, kurz vor<br />

der Schließung des Kodak-Labors in Wien-Auhof, waren wir mit einer<br />

<strong>€CO</strong>-Kamera vor Ort. Was wir dort, im damals größten Foto-Entwicklungslabor<br />

Europas, zu sehen bekamen, lässt sich am ehesten mit dem<br />

sprichwörtlichen »Zeichen an der Wand« beschreiben.<br />

Es war die erste Urlaubssaison im Zeichen der Digitalfotografie. Im<br />

Entwicklungslabor am westlichen Stadtrand Wiens herrschte im Herzstück<br />

des Betriebs, an den kilometerlangen Produktionsstraßen zur<br />

Filmentwicklung, bereits gespenstische Stille – während sich im Obergeschoss,<br />

in einem behelfsmäßig eingerichteten Digitallabor, Wäschekörbe<br />

mit unerledigten Aufträgen für die Ausarbeitung von digitalen<br />

Urlaubsfotos türmten.<br />

Der damalige Geschäftsführer von Kodak-Österreich versuchte noch,<br />

den sich abzeichnenden Dammbruch auf dem Fotosektor zu verhindern:<br />

Mit einer 300.000 Euro teuren »Gratis-Ausarbeitungsaktion« für<br />

digitale Urlaubsfotos versuchte er zumindest den Printbetrieb zu retten.<br />

Vergebens. Das Geld war futsch und es hagelte wütende Kundenproteste,<br />

weil die Ausarbeitung wochenlang dauerte und nicht, wie in<br />

der Werbung versprochen, »ein paar Tage«.<br />

Im <strong>€CO</strong>-Interview vor neun Jahren, am 7. August 2003, gab er sich<br />

noch zuversichtlich, dass die schlimmsten Einschnitte nicht unter<br />

seinem Dach passieren würden. Das digitale Schlamassel, dem er nicht<br />

Herr wurde, kommentierte er damals, als wären alle Chancen intakt,<br />

doch noch die Kurve zu kriegen: »Das bedeutet nur«, sagte er, »dass<br />

wir uns fit machen müssen. Wir werden da und dort natürlich auch<br />

Restrukturierungen vornehmen müssen, bei der Produktion und den<br />

Maschinen, aber leider auch, und das sollte man immer zuletzt machen,<br />

bei der Belegschaft.« Nachsatz: Aber betroffen wären sowieso in<br />

erster Linie die USA und nicht Europa.<br />

Nun, er sollte sich täuschen, denn schon kurz nach seinem Interview<br />

war das größte Kodak-Entwicklungslabor Europas geschlossen, alle Mitarbeiter<br />

entlassen, nur Christian Wimmer und 18 weitere Kodak-Angestellte<br />

verblieben in ganz Österreich ...<br />

101


Im Vorjahr besuchten wir den Ex-Kodak- Geschäftsführer an seinem<br />

neuen Arbeitsplatz. Heute ist Christian Wimmer Geschäfts führer<br />

des Einrichters »Service & More«. Die Kodak-Ära ist auch für ihn zu<br />

Ende gegangen. Die dramatischen Ereignisse, die zum Finale geführt<br />

hatten, wird er sein Leben lang nicht vergessen. »Es war ein sehr<br />

schmerzhafter Prozess«, erinnert sich Christian Wimmer, »auch für<br />

mich persönlich. Weil man den Plan im Kopf hat, es sind 450 Mitarbeiter<br />

und am Ende des Tages werden nur 50 bis 100 überbleiben. Man weiß,<br />

dass das nur unter Schmerzen vonstatten gehen kann.«<br />

Hochmut, die Gier der Aktionäre, die von hohen Renditen verwöhnt<br />

waren, gewaltige Fixkosten und ein zu langsamer Richtungswechsel<br />

sind dem Weltmarktführer letztlich zum Verhängnis geworden.<br />

»Man hätte die Restrukturierung nicht auf zehn, zwölf oder 15 Jahre<br />

planen dürfen, sondern auf zwei oder drei Jahre – man hätte den Aktionären<br />

sagen müssen, es gibt jetzt kein Geld, das brauchen wir, um<br />

uns neu aufzustellen. Das hat man verabsäumt. Diesen Mut hat man<br />

leider in Rochester nicht gehabt«, lautet Wimmers wehmütige Bilanz.<br />

Dabei stand am Beginn der Firmengründung vor 131 Jahren eine<br />

technische und ökonomische Revolution – die Fotografie wurde massentauglich.<br />

US-Fotopionier und Visionär George Eastman entwickelte<br />

die erste Amateurkamera, genannt »The Original«.<br />

Im »Fotomuseum Westlicht« in Wien zeigt uns Inhaber und Sammler<br />

Peter Coeln die erste Kodak, die den Firmenruhm begründete. »Der<br />

Slogan«, erzählt er, »lautete: You push the button, we do the rest. Man<br />

hat die ganze Kamera eingeschickt und bekam 100 entwickelte Fotos zurück,<br />

mit einem neu eingelegten Film. Die Kamera hat <strong>25</strong> Dollar gekostet,<br />

das Tauschen des Films und die Entwicklung der Bilder zehn Dollar.«<br />

Es folgte der »Kodak Brownie 1894«, der für nur zwei Dollar auf den<br />

Markt kam – ein massentaugliches Amateurprodukt, dem noch viele<br />

epochale Entwicklungen folgen sollten.<br />

Goldene Rahmen, Bilder auf Silberplatten, die Exponate im »Westlicht<br />

Fotomuseum« zeugen vom Wert der Fotografie anno dazumal. Sie<br />

102


führen dem Betrachter vor Augen, wie kostspielig fotografieren einst<br />

war – und wie spottbillig heute; auch und nicht zuletzt das Verdienst<br />

von Kodak.<br />

Branchenkenner und Profifotograf Peter Coeln über die Zukunft der<br />

Firma: »Wichtig wäre, dass sich Kodak wieder selbst reinigt. Ich hoffe,<br />

dass die Firma bestehen bleibt. Kodak ist einer der großen Brands der<br />

Welt und ist in keiner Sprache negativ besetzt, was für eine Marke<br />

sehr wichtig ist.« Alte Kodak-Werbespots aus den 1960er-Jahren lassen<br />

einen wehmütig werden. Ist die Marke doch mit öster reichischen<br />

Wohnzimmern und Familiennostalgien auf Generationen hin untrennbar<br />

verwachsen.<br />

Das bestätigt auch die österreichische Fotodynastie<br />

schlechthin, die in den goldenen<br />

Kodak-Zeiten ihre eigene Firmen-Erfolgsgeschichte<br />

schrieb: die Hartlauers. Nach dem<br />

Ein Markt stellt<br />

sich auf den Kopf<br />

plötzlichen Tod des »Fotolöwen« Franz Josef im Jahr 2000 übernahm<br />

Sohn Robert den Betrieb – für den Junior ein Sprung ins kalte Wasser<br />

– an der Schwelle zur digitalen Revolution. »Bei den Kameras«, erinnert<br />

sich Robert Hartlauer an die rasante Entwicklung, »war im Jahr 2000<br />

ein Anteil von fünf Prozent digital. Heute sind es 100 Prozent. Heute<br />

gibt es kaum noch analoge Kameras, die verkauft werden. Bei der Ausarbeitung<br />

lag der analoge Anteil früher bei 99 Prozent, heute macht die<br />

digitale Ausarbeitung 60, 70 Prozent aus. Das hat sich ganz klar in den<br />

letzten zehn Jahren zu 100 Prozent gedreht – verständlicherweise.«<br />

Die frühen Familienalben der Hartlauers sind noch analog, die späteren<br />

digital – wie schnell ein Fixstern wie Kodak zu einer Fußnote werden<br />

kann, überrascht sogar den Profi. »Ich werde oft nachdenklich, wenn<br />

ich mir die Marktentwicklung so anschaue, auch im Tele kom-Bereich.«<br />

Totgesagte leben länger, heißt es im Allgemeinen. Wenn Kodak im<br />

Sanierungsverfahren seine Patente zu Geld machen kann, wäre der<br />

Weg für ein Comeback auf einen strahlenden Siegerplatz im Fotodruck<br />

geebnet. Wenn nicht, verschwindet die einstmals achtgrößte Marke<br />

der Welt vom Markt – einfach so. Einfach, wie eine Fotografie im<br />

Laufe der Jahre verblassen und schließlich ganz verschwinden kann.<br />

103


104<br />

Große Worte –<br />

meist sogar richtige<br />

gesammelt von Günther Kogler<br />

»Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ein<br />

Regierungsmitglied hinzugehen hat, wenn<br />

es eingeladen wird.«<br />

Wollte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) tatsächlich<br />

in die »Gästeliste« aufgenommen werden, um vor dem<br />

parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Sachen<br />

Inseratenaffäre auszusagen?<br />

»Ich weiß nicht, was Sie mit Schmiergeld meinen.”<br />

Ex-Innenminister und Ex-EU-Abgeordneter Ernst Strasser<br />

(auch Ex-ÖVP) hat keine Ahnung, was der parlamentarische<br />

Korruptions-Unterausschuss von ihm will.<br />

»Die Leistungsfrage wird hier immer wieder ins<br />

Lächerliche gezogen. Ich beantworte sie daher nicht mehr.«<br />

Walter Meischberger, Ex-FPÖ-Generalsekretär und Ex-Lobbyist,<br />

will bei der Suche nach seiner Leistung nicht mehr helfen.<br />

»Ich hab’ im Jahr 35 bis 40 Jagden. Wenn nicht<br />

gerade der Kaiser von China kommt, merk’ ich<br />

mir keine Namen.«<br />

Lobbyist Alfons Mensdorff-Pouilly merkt sich auf<br />

seinen Pirschzügen nur die Tiere.<br />

»Nach der Abwicklung des Hypo-Verkaufes haben<br />

Haider und ich die Idee entwickelt, dass etwas an<br />

die Parteien gehen soll.«<br />

Aus der Erinnerung des zurückgetretenen und in erster Instanz<br />

verurteilten Kärntner ÖVP-Chefs Josef Martinz.<br />

»Am Hochstand verhandeln, das bringt sicher nichts.«<br />

Ex-Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad will Geschäfte<br />

niemals mit der Flinte im Anschlag abgeschlossen haben.


Reha statt Rente: Die<br />

»Invaliditätspension neu«<br />

von Mag. Ilja Morozov<br />

Es war ein logischer Reformansatz im »Frühpensionsland<br />

Österreich«: Wer krank ist, kann künftig nicht mehr so einfach<br />

in Frühpension gehen. Stattdessen stehen Arztbesuche und Umschulungen<br />

auf dem Programm. Die Idee ist gut, die Umsetzung<br />

jedoch weniger. Große Ungerechtigkeiten bleiben bestehen.<br />

Großbaustelle Wiener Innenstadt. Vergangenen Sommer besucht <strong>€CO</strong><br />

schwer schuftende Bauarbeiter beim Umbau der U-Bahnstation Karlsplatz.<br />

Hitze, Feuer, Staub – unter harten Bedingungen werden hier im<br />

Akkord Gleise aneinandergeschweißt. Wie lange hält man denn so eine<br />

Arbeit körperlich aus, wollen wir wissen. »Bis zur Pension sicherlich<br />

nicht«, tönt es unisono aus den verschwitzten Gesichtern. Für mehr<br />

bleibt im Interview keine Zeit, jede Minute ist hier beinhart kalkuliert.<br />

Arbeitsunfälle, Bandscheiben-Vorfälle, Stress. Bauarbeiter sind<br />

Paradekandidaten für die invaliditätsbedingte Frühpension, sollte<br />

man denken. Leider sind sie bei Weitem nicht die einzigen.<br />

Österreichweit scheiden jedes Jahr über 20.000 Menschen krankheitsbedingt<br />

aus dem aktiven Erwerbsleben aus, quer durch alle Berufsgruppen.<br />

Egal, ob Angestellter oder Arbeiter, keiner ist davor gefeit.<br />

Aktuell gehen hierzulande sogar mehr Menschen in Invaliditätspension<br />

als in die reguläre Alterspension. Besonders alarmierend ist die<br />

Zahl der Unter-50-Jährigen. Diese machen bereits ein Drittel aller Betroffenen<br />

aus, Tendenz steigend. Das kommt den Staat ziemlich teuer.<br />

Drei bis fünf Milliarden Euro müssen jedes Jahr für diese Invaliditätspensionen<br />

berappt werden. »Ohne Ergreifung gesetzlicher Maßnahmen<br />

ist die mittel- und langfristige Finanzierung der gesetzlichen<br />

Pensionsversicherung gefährdet«, warnt daher das Sozialministerium.<br />

Verhindern soll das die »Invaliditätspension NEU«, ein unter Sozialminister<br />

Rudolf Hundstorfer (SPÖ) ausgearbeitetes Gesetz. Im Kern sieht<br />

die neue Regelung vor, dass die befristete Invaliditätspension ab 2014<br />

schrittweise abgeschafft wird.<br />

105


Behandlung<br />

statt Pension<br />

Da jedes Jahr ein neuer Jahrgang dazu kommt, läuft die bisherige<br />

Regelung bis 2029 automatisch aus. Damit soll massenhaften Frühpensionierungen<br />

endlich ein Riegel vorgeschoben werden. »Das Wichtigste<br />

ist einmal, dass wir nicht sagen: Da hast’ eine Rente, baba und fall net.<br />

Sondern dass wir einmal hinschauen und mit den Menschen arbeiten«,<br />

erklärt Rudolf Hundstorfer. Gleich zwei Fliegen mit einer Klappe will<br />

der Minister schlagen. Einerseits sollen erkrankte Menschen wieder ins<br />

Berufsleben integriert und das durchschnittliche Pensionsantrittsalter<br />

dadurch angehoben werden. Das ist im europäi schen Vergleich ja<br />

wahrlich nicht berühmt. Und andererseits sollen die Pensionskosten<br />

innerhalb von fünf Jahren um 700 Millionen Euro reduziert werden.<br />

Abgesehen davon, dass das Einsparungspotenzial von so manchem Experten<br />

als »heroische Annahme« stark angezweifelt wird, bleiben viele<br />

Problemfelder freilich ungelöst.<br />

Zunächst aber zu den Details. Das neue Gesetz<br />

gilt für all jene, die am 1. Jänner 2014 jünger<br />

als fünfzig Jahre sind. Sie können dann nicht<br />

mehr in die befristete Invaliditätspension<br />

abgeschoben werden, sondern müssen sich stattdessen medizinischen<br />

Behandlungen oder einer Umschulung beim Arbeitsmarktservice unterziehen.<br />

Oder beidem. Nur wer tatsächlich dauerhaft krank oder invalide<br />

ist, darf auch in Zukunft in den vorzeitigen Ruhestand.<br />

Bisher wurde etwa ein an Krebs erkrankter Angestellter nach einer gewissen<br />

Zeit nahezu automatisch in Frühpension geschickt. Ab 2014<br />

erhält er aber so lange eine ärztliche Behandlung und Reha-Geld bezahlt,<br />

bis er – hoffentlich auskuriert – seinen alten Beruf wieder aufnehmen<br />

kann. Sollte jemand den alten Job nicht mehr verrichten können,<br />

so sind verpflichtende Umschulungsmaßnahmen durch das AMS<br />

vorgesehen. Parallel wird ein Umschulungsgeld ausbezahlt, das sich am<br />

Arbeitslosengeld orientiert, zumindest jedoch sind es 950 Euro im Monat.<br />

Nach den Vorstellungen des Sozialministers könnte ein Tischler mit<br />

Bandscheiben-Vorfall zum Fachmarktverkäufer ausgebildet werden und<br />

später eine neue Karriere als Holzberater im Baumarkt starten. Oder<br />

eine Friseurin, die an Neurodermitis und Depressionen erkrankt ist,<br />

eine Umschulung zu ihrem »Traumberuf« EDV-Technikerin erhalten. So<br />

106


Die Gretchenfrage: Gelernter oder ungelernter Arbeiter? (Foto: Gewerkschaft Bau-Holz)<br />

wenigstens der Wunsch des Ministers. Eine ganze Reihe von Problemen<br />

trübt jedoch diese Hoffnung.<br />

Ein großes Manko ist der oft kritisierte »Berufsschutz«, der in abgeschwächter<br />

Form weiterhin erhalten bleibt. Die Problematik: Derzeit<br />

kann »Fachpersonal« bei Invalidität nur auf Tätigkeiten im »angestammten<br />

Berufsfeld« verwiesen werden. Ein invalider Dachdecker<br />

darf also auf keinen Fall als Bürokaufmann arbeiten. Weil er aber<br />

nichts anderes gelernt hat, ist der Weg in die Frühpension praktisch<br />

vorgezeichnet.<br />

Nun hat man stattdessen den Begriff »Qualifikationsschutz« eingeführt.<br />

Das AMS kann künftig auf andere Berufsfelder verweisen und<br />

umschulen. Die Umschulung muss aber dem Ausbildungsniveau und<br />

der »Neigung« des Betroffenen entsprechen. Ein gelernter Elektriker<br />

müsste demnach eine gleichwertige Lehrausbildung erhalten, aber<br />

nichts darunter. Er dürfte also nicht als einfacher Verkäufer arbeiten.<br />

Kritiker monieren daher, dass trotz neuer Regelung noch immer<br />

keine ausreichende Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gegeben ist.<br />

Befürchtet wird, dass sich Schlupflöcher in die Frühpension auftun<br />

könnten. Vor allem der ÖVP sind sämtliche Schutzbestimmungen für<br />

107


Rudolf Hundstorfer–Baugewerkschafter Josef Muchitsch: Alles eitel Wonne? (Foto: GBH)<br />

Arbeitnehmer ein Dorn im Auge (sofern diese nicht gerade die Beamtenschaft<br />

schützen ...). In einem Schreiben an das rote Sozialministerium<br />

forderte Finanzministerin Maria Fekter, dass »eine Qualifikation<br />

nach ›unten‹ nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollte« und<br />

eine Aufhebung des Qualifikationsschutzes »anzustreben wäre«.<br />

Es blieb dennoch dabei: Weitergehende Änderungen sind am Veto der<br />

Gewerkschaften und der Arbeiterkammern gescheitert. Die Folgen: Im<br />

AMS fürchtet man nun eine Kostenlawine, die beispielsweise berufsunfähige<br />

Akademiker lostreten könnten. Denn diese müssten dem<br />

Gesetz entsprechend eine »ebenbürtige Ausbildung« erhalten. »Das<br />

läuft im Wesentlichen darauf hinaus, wenn einer von der Gesellschaft<br />

schon ein Studium finanziert bekommen hat, dass er unter den gegebenen<br />

Umständen einen Rechtsanspruch hat, ein zweites Studium finanziert<br />

zu bekommen«, warnte AMS-Chef Herbert Buchinger.<br />

Ein weiteres Problem für viele ist, dass eine große Berufsgruppe von<br />

jeglichen Strapazen verschont bleibt – die Beamten. Bei ihnen greift<br />

das neue Gesetz nicht. Sie profitieren weiterhin von einem Versetzungsschutz<br />

und müssen nicht zum AMS pilgern. Dabei: Frühpensionierungen<br />

gebe es aber auch hier zuhauf. So erfolgt etwa in der<br />

Stadt Wien mit ihren weit über 80.000 Bediensteten die Hälfte aller<br />

108


Pensionierungen »frühzeitig«. Freilich: Den Vorwurf, dass manch<br />

Beamtem großzügig »Dienstunfähigkeit« attestiert wird, will man hier<br />

nicht gelten lassen. Schließlich würde es sich ja meist um verbeamtete<br />

Feuerwehrleute oder Krankenpfleger handeln, die körperlich am Ende<br />

seien ...<br />

Wie gut es ist, ein<br />

Beamter zu sein<br />

Während diese Beamten also auch in Zukunft<br />

getrost in Frührente gehen können, muss<br />

eine andere Gruppe bis zum Schluss »leiden«:<br />

die Berufsgruppe der »ungelernten Hilfskräfte«.<br />

Allein am Bau machen sie 40 Prozent aller Arbeiter aus. Schon<br />

bisher hatten sie absolut keinen Berufsschutz, konnten folglich überall<br />

hin »auf dem gesamten Arbeitsmarkt« weiter verwiesen werden.<br />

»Ein Hilfsarbeiter hat keine Chance auf eine Frühpension, auf eine<br />

Invaliditätspension. Der pendelt zwischen Arbeitsamt, Krankenkasse<br />

und Pensionsversicherung hin und her, jahrelang. Bis er letztendlich<br />

irgendwann einmal eine Pensionszuerkennung erhält«, ärgert sich<br />

Bau-Gewerkschafter Josef Muchitsch über diese Ungerechtigkeit. An<br />

dieser misslichen Lage hat sich nichts geändert.<br />

Scharfe Kritik gibt es aber nicht nur an dem, was im Gesetz drinnen<br />

steht. So vermisst etwa die Arbeiterkammer, dass verpflichtende Präventivmaßnahmen<br />

für Unternehmen nicht festgeschrieben worden<br />

sind. Dabei geht es nicht nur um körperliche Gefahren, sondern auch<br />

um das geistige Wohlbefinden der Mitarbeiter. Denn immer öfter sind<br />

psychische Erkrankungen der Hauptgrund für vorzeitige Pensionierungen.<br />

Von knapp 24.000 Invaliditätspensionen im Jahr 2011 waren 8500<br />

auf Depressionen oder Burn-out zurückzuführen. Das bedeutet einen<br />

dramatischen Anstieg um 80 Prozent innerhalb von nur zehn Jahren.<br />

Die weitläufige Meinung, es treffe hauptsächlich Schreibtisch-Angestellte,<br />

stimmt dabei mit der Realität nicht überein. In absoluten Zahlen<br />

leiden deutlich mehr Arbeiter an psychischen Erkrankungen als Angestellte.<br />

»Wir sind heute Belastungsfaktoren ausgesetzt, die sich in der Arbeitswelt<br />

genauso wie auch in der Freizeitwelt spiegeln. Man ist de facto<br />

24 Stunden erreichbar und die Unsicherheit hat auch zugenommen«,<br />

erklärt Dr. Klaus Rudolf Pirich, der stellvertretende Chefarzt der Pensionsversicherungsanstalt.<br />

Seine Institution ist es, die schlussendlich<br />

109


darüber entscheidet, ob jemand in Invaliditätspension gehen kann,<br />

eine Umschulung bekommt oder medizinisch rehabilitiert wird.<br />

Hier lassen jahrzehntelange Erfahrungen Zweifel am vollen Erfolg der<br />

Invaliditätspension NEU aufkommen. Egal, ob bei körperlichen oder<br />

psychischen Gebrechen, eine Reintegration in die Arbeitswelt gestaltet<br />

sich oft langwierig und kompliziert. »Die Erfahrung hat gezeigt: Berufliche<br />

Rehabilitationen bei Personen bis 45 sind erfolgversprechend.<br />

Danach wird’s kritisch«, glaubt Dr. Pirich. Oft fehlt etwa die Motivation,<br />

nach jahrzehntelanger Arbeit nochmals die Schulbank zu drücken.<br />

Es gebe aber auch viele, die »trotz ihrer psychischen Erkrankung<br />

im Erwerbsleben sein wollen, aber es geht nur ganz einfach nicht«,<br />

erklärt der Arzt und urteilt zum Gesetz: »Ein wesentliches Wunder erwarte<br />

ich mir dadurch nicht.«<br />

Angesichts dessen erscheinen die Pläne des Sozialministers überambitioniert,<br />

um nicht zu sagen unrealistisch. Eine depressive<br />

Friseurin als EDV-Technikerin? Ein invalider Tischler als Holzberater?<br />

In wenigen Jahren wissen wir, welche Umschulungsmaßnahmen Erfolg<br />

haben und welche nicht. Unter dem Strich sind sich die Experten<br />

einig: Die neue Regelung ist ein wichtiger Schritt nach vorne. Ein großer<br />

Wurf ist sie nicht.<br />

»Ich habe mir da einmal alle Finger verbrannt und die<br />

Zunge. Ich möchte die derzeit friedliche Stimmung mir<br />

gegenüber nicht anheizen.«<br />

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) regt doch keine Anhebung<br />

des Frauenpensionsalters an.<br />

»Ich habe nie zu jenen Reporter-Schönlingen gehört,<br />

die mit ihren gelifteten Hodensäcken eher<br />

Unterhosenmodels gleichen.«<br />

ORF-Kriegsreporter Fritz Orter geht in Pension.<br />

110


Österreichische Privatstiftungen:<br />

Unsere letzten Steuerparadiese?<br />

von Mag. Beate Haselmayer<br />

Privatstiftungen haben letztes Jahr wieder einmal für Schlagzeilen<br />

gesorgt. Hat Martin Graf, Dritter Nationalratspräsident, die<br />

Wiener Pensionistin Getrude Meschar tatsächlich hinters Licht<br />

geführt? Oder hat die betagte Frau nur die Vor-, nicht aber die<br />

Nachteile solcher Konstruktionen gesehen? Und: Was ist mit den<br />

vielen anderen Privatstiftungen in Österreich? Kann man dort<br />

wirklich ganz legal Steuern sparen?<br />

Melinda Esterhazy, Hannes Androsch, Hans Peter Haselsteiner – sie<br />

alle haben zwei Dinge gemeinsam: Sie gehören zu den reicheren Menschen<br />

des Landes und sie haben ihr Vermögen in eine Privatstiftung<br />

gesteckt. 3400 solcher Privatstiftungen gibt es in Österreich. Experten<br />

schätzen, dass bis zu 100 Milliarden Euro darin geparkt sind. Ganz<br />

schön viel Geld. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, warum<br />

die Reichen Stiftungen gründen, bekommt man Antworten, die nicht<br />

ganz frei von Vorurteilen sind: »Geldwäsche, Steuerhinterziehung,<br />

linke Tricksereien!« Doch was ist dran an diesen Vermutungen?<br />

Nun, eines ist ganz klar: Österreichische Privatstiftungen wurden ins<br />

Leben gerufen, um vermögenden Menschen Steuervorteile zu bieten.<br />

Mit dem Erlass des Privatstiftungsgesetzes im Jahr 1993 reagierte die<br />

Politik darauf, dass Großanleger wie »Billa«-Gründer Karl Wlaschek mit<br />

ihrem Vermögen in die Schweiz oder nach Liechtenstein abwanderten.<br />

Dorthin, wo die Steuerabgaben niedriger waren. Keine Erbschaftssteuer,<br />

keine Steuern für Zinserträge und Dividenden – das waren die<br />

Anreize, mit denen man Wlaschek & Co. nach Österreich lockte. Mit<br />

Erfolg, erzählt Dr. Christoph Kraus vom Verband österreichischer Privatstiftungen:<br />

»Karl Wlaschek ist nur der Paradefall. Es gibt eine Reihe<br />

von anderen Vermögenden, die auch zurückgekommen sind mit dem<br />

Stiftungsgesetz von 1993.«<br />

Die Steueroase blühte, doch nicht für lange Zeit. Heftige Kritik von<br />

vielen Seiten sorgte dafür, dass sukzessive Steuervorteile abgebaut<br />

111


wurden. Ein vehementer Kritiker war Steuerexperte Otto Farny von<br />

der Arbeiterkammer: »Wir haben nie eingesehen, warum man für nicht<br />

gemeinnützige Stiftungen derartige Steuerbegünstigungen braucht.«<br />

Schritt für Schritt wurden also Begünstigungen abgebaut. Doch wie<br />

sieht es heute aus? Zahlt es sich aus steuerlicher Sicht aus, eine Privatstiftung<br />

zu gründen? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden,<br />

muss man sich schon ziemlich genau mit dem Thema »Privatstiftungen«<br />

auseinandersetzten.<br />

Zunächst einmal aber das »Einmaleins« des<br />

Stiftungswesens: Eine Privatstiftung ist eine<br />

durchaus komplizierte rechtliche Konstruktion.<br />

Wer eine Stiftung gründet, muss bereit<br />

sein, sich von seinem gesamten Vermögen zu trennen. Wertpapiere,<br />

Geld, Unternehmen, Häuser – alles kann auf eine Stiftung übertragen<br />

werden. Der Stifter legt in einer Stiftungsurkunde den Zweck<br />

der Stiftung fest. Der kann eigennützig (häufig findet man auch die<br />

Bezeichnung privatnützig) oder gemeinnützig sein. Im Fall einer<br />

eigennützigen Privatstiftung werden Begünstigte festgelegt. Meist<br />

sind das der Stifter selbst und seine Kinder. Sie bekommen regelmäßig<br />

Geld aus der Stiftung. Melinda Esterhazy, Hannes Androsch, zu Lebzeiten<br />

auch Hans Dichand – sie alle haben eigennützige Privatstiftungen<br />

gegründet.<br />

Das »Einmaleins«<br />

des Stiftungswesens<br />

Bei einer gemeinnützigen Stiftung kommen die Stiftungserträge<br />

einem gemeinnützigen Projekt zugute. Ein Beispiel für eine gemeinnützige<br />

Stiftung ist die »Caritas Socialis«. Sie wurde 2002 von der<br />

Schwesterngemeinschaft »Caritas Socialis« gegründet und unterstützt<br />

etwa ein Hospizzentrum und ein Wohnheim für Mütter und Kinder.<br />

Mag. Hanna Schneider von der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht<br />

derartige gemeinnützige Stiftungen in Österreich. Doch allzu<br />

viele gibt es davon gar nicht: 200 sind es an der Zahl, wenig im<br />

europäischen Vergleich. Das überrascht nicht, denn wie wir bereits<br />

wissen, wurde das Privatstiftungsgesetz geschaffen, um das Kapital<br />

der Reichen ins Land zu bringen und nicht um Gemeinnützigkeit zu<br />

fördern. »In Deutschland gibt es eine große Zahl an Stiftungen, es<br />

112


Stiftungen in Österreich: Verzicht auf Rechte<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Ranz)<br />

sind ungefähr 16.000. Von diesen Stiftungen sind etwa 95 Prozent gemeinnützig.<br />

Und nur ein verschwindender kleiner Teil privatnützig.<br />

Das liegt genau daran, dass dort nur jene Stiftungen steuerlich begünstigt<br />

werden, die gemeinnützige Zwecke verfolgen; die rein privatnützigen<br />

bekommen diese steuerlichen Anreize nicht«, erläutert Mag.<br />

Hanna Schneider im <strong>€CO</strong>-Interview.<br />

Doch bevor es um die aktuellen Steuerbegünstigungen geht, zurück zu<br />

den Basics rund um Privatstiftungen: Eine wichtige Rolle innerhalb<br />

des Stiftungskonstrukts spielen die Stiftungsvorstände. Der Stifter<br />

legt mindestens drei Vorstände fest. Im medial offen diskutierten<br />

Fall der Pensionistin Gertrude Meschar war Martin Graf einer dieser<br />

Stiftungsvorstände – ein Politiker der FPÖ, gleichzeitig auch Dritter<br />

Nationalratspräsident.<br />

Für ihre Arbeit bekommen die Stiftungsvorstände regelmäßig Geld.<br />

Auch sonst fallen in einer Stiftung Kosten an. Aus diesem Grund sollte<br />

eine Privatstiftung eine bestimmte Größe haben. Experten sprechen<br />

von mindestens fünf bis zehn Millionen Euro Stiftungs kapital. Und<br />

der wichtigste Aspekt: Die Stiftungsvorstände lenken die Stiftung<br />

– und das Vermögen, das sich darin befindet. Der Stifter hat also keinen<br />

direkten Einfluss mehr auf sein Vermögen. Ein ziemlich großer<br />

113


Steueroase per Parlamentsbeschluss?<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Zolles KG/Hagen)<br />

Machtverlust. Warum aber sollte jemand mit viel Geld diesen in Kauf<br />

nehmen? Welche Vorteile erschließen sich daraus?<br />

Hans Peter Haselsteiner, Lenker des international aufgestellten Baukonzernes<br />

STRABAG, war einer der ersten Österreicher, die eine Privatstiftung<br />

gründeten. Damals blühte sie noch, die Steueroase. Die<br />

Steuervorteile waren für ihn aber nicht ausschlaggebend – »Man nimmt<br />

sie natürlich, wenn sie einem angeboten werden«, beteuert er im Gespräch<br />

mit <strong>€CO</strong> und: »Seinerzeit war die Überlegung, dass die Firma<br />

durch den Erbweg nicht geteilt werden sollte und meine Nachkommen,<br />

also meine Kinder, an einem gemeinsamen Strang ziehen sollten.«<br />

Ein Vorteil, der vor allem Unternehmer überzeugt: Wenn es ums Erben<br />

geht, gehen viele Unternehmen verloren. Sie werden auf die Nachkommen<br />

aufgeteilt – und nicht selten kommt es deshalb zum Verkauf<br />

einzelner Unternehmensteile. Wird das Unternehmen aber in eine Privatstiftung<br />

eingebracht, dann bleibt das Unternehmen ein Ganzes. Die<br />

Erben werden als Begünstigte eingesetzt und bekommen regelmäßig<br />

Anteile aus den Stiftungserträgen ausbezahlt.<br />

Freilich: Könnte ein ausgeklügelt formuliertes Testament nicht genau<br />

denselben Zweck erfüllen? Christoph Kraus: »Eine Stiftung ist ein<br />

114


lebendiger Grabstein, wenn Sie so wollen. Das Testament ist ein<br />

wesentlich eingeschränkteres Instrument als eine Stiftung; sie kann<br />

über hundert Jahre existieren, sie kann sämtliche unternehmenspolitischen<br />

Prinzipien ausformulieren. Das ist ein Instrument, das<br />

wesentlich weiter geht als das Testament.« Ein Vorteil, der – abgesehen<br />

von der Sicherung von Arbeitsplätzen – wohl oft auch aus familiären<br />

Gründen gesucht wird.<br />

Doch wo sind sie, die großen Steuervorteile, die eine Privatstiftung<br />

heute noch bringt? Um diese Frage zu beantworten, ist ein kleiner<br />

Exkurs ins Steuerrecht nötig. Dort steht schwarz auf weiß, welche<br />

Steuern derzeit in Stiftungen anfallen:<br />

• bis zu 3,5 Prozent Stiftungseingangssteuer für jenes Vermögen,<br />

das in die Stiftung eingebracht wird.<br />

• <strong>25</strong> Prozent Körperschaftssteuer, die etwa bei betrieblichen<br />

Einkünften anfällt.<br />

• <strong>25</strong> Prozent Zwischensteuer, die zum Beispiel bei Zinsen aus<br />

Bankguthaben und Anleihen zu entrichten ist.<br />

• <strong>25</strong> Prozent Kapitalertragssteuer bei der Ausschüttung an<br />

Begünstigte (wenn nicht schon Zwischensteuer entrichtet wurde).<br />

Ganz schön viele Steuern – vorausgesetzt, man hält sich an die Gesetze.<br />

Und doch wieder weniger, als befände sich das Vermögen außerhalb<br />

der Stiftung. Doch wie ist das eigentlich mit den Gesetzen? Kann<br />

man die in österreichischen Privatstiftungen umgehen und tatsächlich<br />

tricksen oder sogar Geld waschen? Viele von <strong>€CO</strong> befragten Steuerexperten<br />

meinten: eher nicht. »In Österreich herrschen im Rahmen dieser<br />

ganzen Geldwäsche-Bestimmungen, die ja in den letzten Jahren<br />

sukzessive verschärft wurden, derart strenge Bestimmungen, dass es<br />

kaum möglich ist, eine österreichische Stiftung zum Geldwaschen zu<br />

verwenden. Mag sein, dass das in der Anfangszeit in den 1990er-Jahren<br />

noch möglich war, aber aus heutiger Sicht ist das nicht mehr möglich.«<br />

Auch Christoph Kraus vom Verband österreichischer Privatstiftungen<br />

verweist darauf, dass die Kriminalfälle der Vergangenheit alle mit<br />

liechtensteinischen Stiftungen zu tun haben. »Es ist eindeutig so,<br />

dass die missbräuchliche Verwendung der österreichischen Privatstiftung<br />

nicht möglich ist.«<br />

115


Dann gehen wir also davon aus, dass man sich hierzulande an die<br />

Steuergesetze hält. Kann man dann österreichische Privatstiftungen<br />

fairerweise überhaupt noch als »legale Steueroasen« bezeichnen? Nun,<br />

es gibt noch einen Steuervorteil, der sehr ungewöhnlich im europäischen<br />

Vergleich ist. Er besteht dann, wenn Beteiligungen an Kapitalgesellschaften<br />

verkauft werden. Normalerweise würden auf den Gewinn,<br />

der dabei gemacht wird, <strong>25</strong> Prozent Steuer anfallen. Doch wenn<br />

das Geld wieder investiert wird, wird die Steuer gestundet. Und eine<br />

Steuer, die etwa erst in fünfzig Jahren bezahlt werden muss, ist fast<br />

null.<br />

Für Unternehmer macht es einen großen Unterschied, ob nach Abzug<br />

der Steuer ein Investment von 75 Millionen Euro möglich ist oder ob<br />

100 Millionen investiert werden können, weil keine Steuer bezahlt<br />

wurde. »Selbstverständlich werden Stiftungen wegen dieses verbliebenen<br />

Steuervorteils gegründet. Ich würde sogar behaupten, dass ein<br />

Großteil der in den letzten ein bis zwei Jahren, in denen ja die anderen<br />

Steuervorteile abgeschafft wurden, und auch ein Großteil der in<br />

Zukunft noch zu gründenden Stiftungen auf genau diesen Umstand<br />

zurückzuführen ist.«<br />

Abseits von Tricksereien, Steuerhinterziehung und Geldwäsche gibt es<br />

sie also doch noch, die österreichische Steueroase. Auch wenn sie kleiner<br />

geworden ist – der Steuervorteil, den österreichische Privatstiftungen<br />

bieten, ist nicht zu unterschätzen.<br />

»Lieber spät als gar nicht erwischt.«<br />

Finanzministerin Maria Fekter freut sich früh über frische<br />

Steuermillionen aus der Schweiz.<br />

»Sparen ist freiwillige Enteignung.«<br />

Peter Bosek, der Privat- und Firmenkundenvorstand der „Erste<br />

Bank“, in einer Formulierung, die sich die Autoren dieses<br />

Jahrbuches nie getraut hätten.<br />

116


Red Bull: Der Aufstieg in<br />

die Werbe-Stratosphäre<br />

von Hans Wu<br />

Der Begriff »Gassenfeger« ist ein Relikt aus einer mittlerweile<br />

fernen Vergangenheit. Gemeint sind damit Fernsehereignisse, die<br />

zum Zeitpunkt der Ausstrahlung den Großteil des Fernsehpublikums<br />

von der Straße holen. Der Stratosphärensprung von Felix<br />

Baumgartner war so ein »Gassenfeger«.<br />

Es waren Bilder, die sich bei Millionen von Fernsehzusehern in der<br />

ganzen Welt in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Es waren<br />

Bilder, die auch weit nach Sendeschluss, im Internet, von weiteren Millionen<br />

gesehen wurden. Es sind Bilder von der höchsten Werbereklame<br />

der Welt. Dabei passierte eigentlich nicht viel: Ein Mann in einem<br />

Raumanzug steigt aus einer Art Tonne, salutierte in die Kamera – und<br />

stürzte sich in die Tiefe. Und 3,2 Millionen Österreicher sahen zu.<br />

Auch jenseits der Grenzen der Alpenrepublik wurde der sechsminütige<br />

Sprung aus knapp 40.000 Metern über Null live übertragen. Beim<br />

Berlusconi-Sender »Italia 2« sahen 1,8 Millionen Italiener den Höhepunkt<br />

der Stratosphären-Performance. Der deutsche Nachrichtensender<br />

»n-tv« freute sich über einen Spitzenwert von sieben Millionen Zusehern.<br />

Einen Rekord konnte auch das Internet-Videoportal »Youtube«<br />

verzeichnen: Mit acht Millionen gleichzeitigen Sehern wurde sogar die<br />

erste Amtseinführung von Präsident Barack Obama, dem bisherigen<br />

Rekordhalter bei Liveübertragungen, geschlagen.<br />

Und die Alpenrepublik hat wieder Grund stolz zu sein: Wir sind Weltraum!<br />

Ein extraterrestrisch gesteigertes Selbstwertgefühl, das von<br />

einem Getränkeproduzenten aus dem Salzburger Fuschl spendiert<br />

wurde. Freilich: Über die Kosten des Fernsehstunts schweigt Red Bull.<br />

Eine »Summe von 50 Millionen Euro« wird kolportiert – mehr ist nicht<br />

zu erfahren.<br />

<strong>€CO</strong> fragte an kompetenter Stelle nach. In Graz befindet sich das Österreichische<br />

Weltraum-Forschungsinstitut. Ja, das gibt es tatsächlich.<br />

117


Der Sprung in die Werbe-Stratosphäre<br />

(Foto: Red Bull Content Pool/Jay Nemeth)<br />

Hier wurde einst die Mission des letzten Österreichers im All, Franz<br />

Viehböck, vorbereitet. Neben der Vermittlung von Forschung und Lehre<br />

werden hier auch Messgeräte für internationale Weltraummis sionen<br />

hergestellt. Institutsleiter Wolfgang Baumjohann hatte in seiner Studienzeit<br />

noch bei unbemannten Ballonmissionen in die Stratosphäre<br />

mitgearbeitet. Aber das ist schon lange her.<br />

Den »Forschungswert« der »Red Bull«-Mission, den bezweifelt er. Für<br />

die Weltraumwissenschaft gibt es schon lange keinen Grund mehr, wie<br />

Felix Baumgartner in erdnahe Höhen von 40 Kilometern aufzusteigen.<br />

Alles, was man über die Stratosphäre wissen will, weiß man schon. Die<br />

High-Tech-Messgeräte der Grazer fliegen dagegen mit der europäischen<br />

Weltraumagentur ESA und mit der NASA bereits zum Saturn und darüber<br />

hinaus.<br />

Bis zu fünf Millionen Euro lässt sich das Österreichische Weltrauminstitut<br />

für einen der Forschungsapparate von den Auftraggebern bezahlen.<br />

Missionen ins All haben schon immer astronomische Kosten<br />

verursacht. Und die 50 Millionen, die gerüchteweise die »Mission Stratos«<br />

gekostet haben soll, die sind für den Weltraumprofessor durchaus<br />

realistisch: »Ich denke, die hauptsächlichen Gelder sind in den Ballon<br />

selbst geflossen, in den Bau der Kapsel und in den Aufbau des kleinen<br />

118


Bodenzentrums. All das kostet jeweils ein paar Zigmillionen Euro. Ich<br />

denke auch, wenn ich ein ganzes Team über fünf Jahre bezahlen muss,<br />

auch da kommen etliche Lohnkosten zusammen. So ganz billig sind<br />

Spezialisten auch nicht.«<br />

Es sind also 50 Millionen, die eigentlich für die Bewerbung einer Dose<br />

mit einem Verkaufspreis rund um einen Euro ausgegeben wurden.<br />

Allerdings richtet sich die Werbebotschaft vom Rande des Weltalls auch<br />

an einen weltweiten Markt. In 164 Ländern der Welt wird das süßliche<br />

rosa Getränk in der blauen Dose mittlerweile verkauft.<br />

In den 1980er-Jahren entdeckte der Marketingmitarbeiter Dietrich<br />

Mateschitz bei einem Thailand-Aufenthalt das koffein- und taurinhaltige<br />

Getränk »Krating Daeng«. Mit den Produzenten Chaleo Yoovidhya<br />

einigte er sich über die Lizenzrechte, gemeinsam wurde dann die Red<br />

Bull GmbH gegründet. 49 Prozent der Gesellschaft gingen an Dietrich<br />

Mateschitz, 49 Prozent an seinen thailändischen Geschäftspartner –<br />

und zwei Prozent an dessen Sohn. Nach dem Tod von Chaleo Yoovidhya<br />

dürfte die Mehrheit der Firma nun bei der thailändischen Familie liegen.<br />

Nur: Das Geschäft wird weiter aus Österreich bestimmt. 1987 erschien<br />

die Dose auf dem heimischen Markt. Der Rest ist Marketinggeschichte.<br />

Auch wenn sich heute weit günstigere Dosen im Regal tummeln, der<br />

Ur-Energydrink kommt noch immer aus Fuschl. Eine bekannte, nahezu<br />

unbezahlbare Marke: Neben der Dose fällt jedem auf die Frage nach<br />

Red Bull zumindest auch noch der Spruch mit »den Flügeln« ein.<br />

Es ist eine riesige Bilderwelt, die »Red Bull«-Chef Dietrich Mateschitz<br />

rund um die Marke aufgebaut hat. Überall, wo der Schriftzug mit den<br />

roten Stieren platziert wird, gehen Emotionen hoch, überschreiten<br />

Menschen scheinbar Grenzen, wird es in jeder Hinsicht extrem. Klippenspringer,<br />

Snowboarder, Kunstflieger, Fallschirmspringer – und<br />

selbst Lindsey Vonn trägt gegen gute Entlohnung das Logo der Energy-<br />

Brause zur Schau. In der Formel 1 unterhält der Salzburger Getränkeproduzent<br />

im Namen der Dose sogar gleich zwei Rennställe.<br />

Unfassbare 4,6 Milliarden Dosen werden im Jahr produziert; damit erzielt<br />

Red Bull einen Umsatz von aktuell 4,3 Milliarden Euro. Ebenso<br />

119


unfassbare 1,4 Milliarden Euro, also ein Drittel davon, werden für die<br />

Marketingaktivitäten ausgegeben. So stehen, nur als Beispiel, gleich<br />

600 Sportler als Werbeträger im Sold von Dietrich Mateschitz. Die 50<br />

Millionen Euro, die da fünf Jahre hindurch für das »Projekt Stratos«<br />

ausgegeben wurden, sind da noch relativ günstig. Vor allem im Vergleich<br />

zu den Ausgaben in der Formel 1: Geschätzte 150 Millionen Euro<br />

kosten hier pro Jahr die Boliden, die Teams und die Entwicklung.<br />

Doch im Vergleich zum »Projekt Stratos« handelt es sich bei den üblichen<br />

»Red Bull«-Aktivitäten nur um einfaches Sponsoring. Sogar bei<br />

den hoch dotierten Formel-1-Teams stehen im Endeffekt im Bewusstsein<br />

der Zuseher an erster Stelle die Fahrer und die Fahrzeuge – und<br />

danach erst die Werbebotschaften an der Karosserie. Beim Sprung vom<br />

Rande des Alls aber ist ein Ereignis direkt an eine Marke gescriptet<br />

worden. Höher, schneller, gefährlicher – hier wurde das selbst konstruierte<br />

Image von Red Bull in Reinform abgefeiert.<br />

Ist mit dem Aufstieg und dem Fall von Felix Baumgartner nun auch der<br />

Zenit des Werbehimmels erreicht worden? Wie nachhaltig profitiert die<br />

Marke Red Bull von dieser Aktion? Kann der Wert der Bilder, die dabei<br />

entstanden sind, überhaupt monetär bewertet werden?<br />

Wolfgang Mayerhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien ist Fachmann<br />

für Werbewirkungsforschung. Der Wissenschaftler zeigt sich von<br />

dem Ereignis beeindruckt; auf die Nachfrage nach einer genauen Bewertung<br />

bleibt er aber kryptisch: »Als Marktforscher kenne ich zwar<br />

den Wert der Marktforschung für Markenführung und auch für Entscheidungen,<br />

die das Unternehmen trifft. Ich würde aber sagen, und<br />

das passt ja für dieses Beispiel, es gibt Phänomene zwischen Himmel<br />

und Erde, die sich ganz einfach der Messung der Marktforschung entziehen.<br />

Und ich glaube, diese Frage ist eine, durch die die Marktforschung<br />

an ihre Grenzen stößt.«<br />

Wir gingen mit unseren Fragen weiter zu den Praktikern des täglichen<br />

Werbegeschäfts. Die »Mediacom« ist die größte Medienagentur des<br />

Landes Österreich. Ihre Aufgabe ist die Verteilung von Werbung auf<br />

verschiedenste Massenmedien. 420 Millionen Euro »für Schaltungen«<br />

vergibt Geschäftsführer Andreas Vretscha jedes Jahr.<br />

120


Felix Baumgartner: Jubeln für Geld<br />

(Foto: Red Bull Content Pool/Jörg Mitter)<br />

Mit der genauen Berechnung, zumindest der Werbewerte, müsste er<br />

also über Expertisen verfügen. Doch auch vom Werbeplaner hören wir<br />

nur eine grobe Einschätzung: »Da kommt mehr zurück als nur die 50<br />

Millionen, die vermutlich ausgegeben wurden. Wenn man alle medialen<br />

Coverages zusammenrechnet weltweit, wird man sehr leicht über diese<br />

50 Millionen kommen. Und das Ganze hat natürlich auch einen mittelund<br />

langfristigen Effekt. Da ist ein Pay-off da, das weit über diesen 50<br />

Millionen liegen wird.«<br />

Das Consulting-Unternehmen »Eurobrand« dagegen will es ganz genau<br />

wissen. Kein Wunder, lebt die Beraterfirma doch von dem Anspruch,<br />

Marken »exakt bewerten« zu können. Geschäftsführer Gerhard Hrebicek<br />

hatte wenige Tage nach dem Ereignis zu rechnen begonnen: »Wir<br />

haben das analysiert; wir schätzen die Werbewerte, und nur die Werbewerte,<br />

auf vier bis sechs Milliarden Euro.« Auf diese wirklich atemberaubende<br />

Summe kommt der Markenfachmann einfach durch die Multiplikation<br />

der Sendezeiten mit den gängigen Werbetarifen. Freilich:<br />

Eine Methode der Bewertung, die von anderen Marketingexperten eher<br />

kritisch beäugt wird.<br />

Um Werbung geht es hier doch ohnehin nicht allein. Hier ist eine<br />

Geschichte geschrieben worden, in der es um Mut, Tatendrang und<br />

121


Fortschritt geht. Das Publikum erlebt eine schwierige Vorbereitung,<br />

einen langwierigen Aufstieg, einen tiefen Fall und natürlich ein<br />

Happy-End. Und das alles vor einer Kulisse, die sich zwischen Himmel<br />

und Erde spannt. Es ist ein inszeniertes Epos, bei dem am Ende nur<br />

eine einfache Botschaft überbleibt: »Red Bull«. »Projekt Stratos« hat<br />

auch die Marke und das Image der Dosenhersteller in stratosphärische<br />

Höhen gebracht.<br />

Und: Ist so ein Ereignis überhaupt noch »zu toppen«? Weltraumprofessor<br />

Wolfgang Baumjohann hätte sogar »eine Idee«. Mit einer kleinen<br />

Rakete könnte Felix Baumgartner noch um einiges weiter in den<br />

Himmel aufsteigen; vom Scheitelpunkt des Geschosses könnte er dann<br />

bereits aus etwa 60 Kilometer Höhe in die Tiefe stürzen. Für den Wissenschaftler<br />

ist das technisch machbar. Die Kosten für diese Aktion<br />

schätzt er auf »etwa 200 Millionen Euro«. Und auch das wäre für »Red<br />

Bull« durchaus machbar.<br />

»Mit einer Goldmedaille um den Hals kannst<br />

du 500 Mädels haben.«<br />

Wie viele Goldmedaillen hat Schwimmstar Markus Rogan im alten<br />

Jahr errungen?<br />

»Du hast eine gewisse Verantwortung<br />

deinem Sponsor gegenüber.«<br />

Schallmauer-Hüpfer Felix Baumgartner nimmt sich fest vor, seinen<br />

Stratosphärensprung zu überleben.<br />

»Für mich sind das Leute, die vom Wasser maximal wissen,<br />

dass es nass ist.«<br />

Schwimmstar Dinko Jukic ärgert sich über die Funktionäre des<br />

Österreichischen Schwimmverbandes.<br />

122


Panzer, Kanonen und Pistolen –<br />

Österreichs »geheime Industrie«<br />

von Mag. Ilja Morozov<br />

Keine Werbung, keine Interviews, keine Publicity. Diskretion<br />

hat bei heimischen Rüstungsbetrieben oberste Priorität. Oder<br />

wussten Sie etwa, dass der »Kristallkonzern« Swarovski auch<br />

auf Waffen messen vertreten ist? <strong>25</strong> Jahre nach dem »Noricum-<br />

Skandal« blickt <strong>€CO</strong> hinter die Kulissen von Glock, Steyr und Co.<br />

Man schweigt und genießt. Unbemerkt von der Öffentlichkeit arbeitet<br />

eine ganze Branche still und heimlich vor sich hin und das noch dazu<br />

überaus erfolgreich. Drei Milliarden Euro Umsatz, mehr als 90 Prozent<br />

Exportanteil und rund 8000 Arbeitsplätze. Österreichs Rüstungs- und<br />

Sicherheitsindustrie liefert so ziemlich alles in alle Welt, was man sich<br />

als ziviler Bürger gar nicht alles vorstellen will. Drohnen, Handgra naten,<br />

Panzermunition – bis hin zur High-Tech-Verschlüsselungstechnik.<br />

Kaum jemand weiß davon, weil sich die heimischen Branchenvertreter<br />

lieber nicht der Öffentlichkeit stellen. »Wir sind gebrannte Kinder«,<br />

rechtfertigt ein Manager am Telefon die Geheimnistuerei. Gemeint<br />

ist das überaus schlechte Image der Waffenproduktion hierzulande.<br />

Kein Wunder, hat doch so ziemlich jeder Hersteller schon den einen<br />

oder anderen Skandal hinter sich. Nur selten sind diese »gebrannten<br />

Kinder« in der Vergangenheit zu Unrecht beschuldigt, viel öfter jedoch<br />

zu Recht wegen unmoralischer oder gar illegaler Deals angeprangert<br />

worden. Daher wird jede Interviewanfrage kritisch beäugt – und oft<br />

abgelehnt. Warum auch Rechenschaft ablegen – das Geschäft rennt<br />

ja ohnehin prächtig. Nur nicht auffallen in der eigenen Heimat, lautet<br />

die Devise. Längst befinden sich die großen Kunden außerhalb<br />

Österreichs, vor allem im Nahen Osten, in Asien oder in Lateinamerika.<br />

Um an lukrative Aufträge zu gelangen, hält man sich an »internationale<br />

Gepflogen heiten« – an die Diskretion der Branche. So auch im<br />

vergang enen Jahr im Juni. <strong>€CO</strong> war dabei.<br />

Kaum zwei Flugstunden von Wien entfernt, im Pariser Vorort Ville pinte,<br />

findet alle zwei Jahre ein höchst klandestiner Event statt. In der Stadt<br />

123


der Mode und Haubenlokale geht die so genannte »Euro satory« über<br />

die Bühne, die größte Waffenschau auf Erden. Die schweigsamste Branche<br />

trifft sich ausgerechnet auf einer Messe. Hier bieten rund 1400<br />

Rüstungskonzerne aus aller Welt ihr neuestes Kriegsgerät feil. Und<br />

tausende Offiziere, Sicherheitsexperten und Waffenhändler halten sich<br />

über die neuesten Vernichtungsdinge auf dem Laufenden. Bomben<br />

und Raketen aus den USA, Kampfpanzer aus Deutschland, Maschinengewehre<br />

aus Russland. Alles, was Rang und Namen hat – von der<br />

deutschen Firma Kraus Maffei-Wegmann bis zum US-Konzern Lockheed<br />

Martin –, ist vertreten. Auch China, Indien oder Israel haben ihre<br />

Zelte aufgeschlagen. Auf einem abgeriegelten Außengelände werden<br />

Terroristenangriffe nachgespielt, Drohnen gestartet und Gelände wagen<br />

durch den Schlamm gejagt. In den Hallen präsentieren Manager im<br />

Anzug ihr Warensortiment. Prospekte werden verteilt, Verhandlungen<br />

geführt, verkauft.<br />

Und mitten drin, da ist auch Österreich auf<br />

stolzen 800 Quadratmetern vertreten. Es geht<br />

gemütlich zu. Bei Mozartkugeln, Mannerschnitten<br />

und Sekt wird am Stand der Wirt -<br />

schaftskammer auf den Erfolg angestoßen. Auch die ehemalige<br />

Außen ministerin und jetzige Botschafterin in Frankreich Ursula<br />

Plassnik ist gekommen. Hier, und nur hier, kann man ungeniert stolz<br />

sein auf die heimischen Rüstungsbetriebe, die sich in aller Welt durchsetzen<br />

können.<br />

Kugeln von Mozart –<br />

und solche von Glock<br />

Wenig überraschend ist die Firma Glock mit ihren populären Pistolen<br />

auf der Rüstungsmesse vertreten. Auch der etwas kleinere Konkurrent<br />

Steyr-Mannlicher führt seine Maschinengewehre samt Granatenwerfer<br />

vor. Ebenfalls dabei ist der niederösterreichische Betrieb Hirtenberger,<br />

der tatsächlich noch immer Mörser, Granatwerfer und Panzermunition<br />

herstellt – aber absolut nichts dazu sagen möchte.<br />

Neben den Traditionsfirmen weist die österreichische Teilnehmerliste<br />

auch weniger bekannte Unternehmen auf. Etwa den Wiener Betrieb<br />

»Blaschke Wehrtechnik«, der weltweit führend ist, wenn es um<br />

Schutz anzüge für schwer kontaminierte Gebiete geht. Oder die Tiroler<br />

Firma Plansee, die Legierungen für panzerbrechende Munition fertigt.<br />

124


Gänzlich unerwartet trifft man jedoch auf den gut versteckten Stand<br />

von Swarovski. Hier werden ausnahmsweise keine mit Glitzerstein verzierten<br />

Produkte ausgestellt. Wir erfahren: Der Konzern ist Weltmarktführer<br />

im Hochqualitätsbereich der Beobachtungsoptik. Zu Deutsch:<br />

Ferngläser für »professionelle Beobachter«. »Unsere Geräte sieht man<br />

beim Militär, bei Sondereinheiten etwa in Afghanistan, im Einsatz«,<br />

erzählt der einzige Swarovski-Vertreter vor Ort, um sofort klarzustellen:<br />

»Ferngläser, das machen wir. Zielfernrohe für Waffen machen wir<br />

nicht. Das machen dann andere Firmen.« Stimmt, denn gleich daneben<br />

ist der Stand der Firma »Kahles« aufgebaut, des ältesten Zielfernrohr-Herstellers<br />

der Welt. Ebenfalls ein Unternehmen aus Österreich.<br />

Und, siehe da, es ist ausgerechnet eine Tochterfirma von Swarovski.<br />

Aber das wollte man so offen nicht zugeben. Schließlich passt das so<br />

gar nicht zum Glamour-Image, mit dem man sich in der Heimat gerne<br />

schmückt.<br />

Eines ist bei der Waffenmesse offensichtlich: Österreichs Hersteller<br />

haben ein Problem mit sich selbst. Man will zwar am Rüstungsgeschäft<br />

gut verdienen, aber auf keinen Fall damit in die Öffentlichkeit<br />

gehen. Offenbar schämt man sich für das, was man macht. Dabei fertigen<br />

die heutigen österreichischen Produzenten längst kein richtig<br />

schweres Kriegsgerät mehr. Kampfpanzer oder Haubitzen heimischer<br />

Produktion sind auf der »Eurosatory« im Gegensatz zur ebenfalls »neutralen«<br />

Schweiz nicht zu finden. Dieser Industriezweig ist hierzulande<br />

ausgestorben. Doch nicht etwa aus moralischen Gründen oder einer<br />

strengen Neutralitätsauslegung wegen hat man darauf verzichtet. Und<br />

schon gar nicht auf freiwilliger Basis. »Der berühmte Noricum-Skandal<br />

hat stattgefunden. Ausschlaggebend war aber neben dem Skandal,<br />

dass auch die Märkte für diese Produkte aus österreichischer<br />

Sicht nicht mehr vorhanden sind«, erklärt Dr. Rudolf Lohberger. Der<br />

ehemalige Chef des Minen- und Sprengstoffherstellers Dynamit Nobel<br />

schneidet mit dem Skandal die dunkelste Geschichte der heimischen<br />

Rüstungsindustrie an. Firmen gingen in Konkurs, mysteriöse Todesfälle<br />

machten Schlagzeilen, Untersuchungskommissionen wurden eingeleitet<br />

und Gerichtsurteile gesprochen. Nur ein einziger Mann erlebte<br />

in dieser Zeit einen ungeahnten Höhenflug: Gaston Glock, der in Wahrheit<br />

von der Ideenlosigkeit Steyr-Mannlichers profitierte. Ein Blick zurück<br />

zeigt, wie es zu all dem gekommen ist.<br />

1<strong>25</strong>


Vor etwas mehr als <strong>25</strong> Jahren ist die Welt noch in Ordnung. Damals<br />

dominieren zwei Betriebe die schwere Waffenproduktion in Österreich.<br />

Auf der einen Seite steht der Staatskonzern Steyr-Daimler-Puch,<br />

der den berühmten Jagdpanzer Kürassier, den Truppentransporter<br />

Pinzgauer und das STG77 fertigt. Und auf der anderen Seite steht<br />

der Staatsbetrieb Voest, zu dem die Tochterunternehmen Noricum<br />

und Hirtenberger gehören. Hirtenberger versorgt das Bundesheer mit<br />

Munition und produziert auch sonst alles Mögliche, das abge feuert<br />

werden kann. Noricum hingegen ist ein Quereinsteiger. Ende der<br />

1970er-Jahre, als die Auftragslage des reinen Stahlverarbeiters schwächelt,<br />

droht der Bankrott.<br />

Das Management setzt als vermeintlich letzte Chance auf ein kanadisches<br />

Lizenzprodukt der Firma »Gerald Bull« und lässt die gefürchtete<br />

GHN-45 – die »Gun Howitzer Noricum« – produzieren. Eine Kanone,<br />

die mit spezieller Munition über 40 Kilometer weit feuern konnte.<br />

Fürs österreichische Bundesheer ist das nichts, da der Staatsvertrag<br />

solch weitreichende Artilleriegeschütze verbietet. Es bleibt also nur<br />

der Export, der schon damals gesetzlich stark eingeschränkt ist. Und<br />

dennoch liefert Noricum ab 1981 insgesamt 340 Haubitzen an den Irak<br />

und den Iran. Möglich machen das fingierte Endabnehmerzertifikate<br />

und Zwischenstopps in Libyen, Jordanien oder Brasilien.<br />

Das Problem: Beide Länder befinden sich gerade im Krieg. Trotz Hinweisen<br />

eines österreichischen Botschafters im Jahr 1985, der kurz<br />

danach auf mysteriöse Weise stirbt, passiert nichts. Als das illegale<br />

Geschäft dann 1987 doch auffliegt, ist der größte Skandal der Zweiten<br />

Republik perfekt. Zahlreiche Manager werden wegen Neutralitätsgefährdung<br />

verurteilt, Karl Blecha – heutiger Präsident des Pensionistenverbandes<br />

– tritt als Innenminister zurück. Ebenfalls bestraft wird<br />

die Firma Hirtenberger; sie hatte die dazugehörige Munition an die<br />

Kriegsnationen im Golf geschickt.<br />

Mit dem »Noricum-Skandal« kommt die gesamte Rüstungsindustrie<br />

in Verruf und verliert immer mehr an Bedeutung. Unternehmen wie<br />

der Minenhersteller Assmann gehen in Konkurs, Dynamit Nobel stellt<br />

seine militärische Produktion ein und Steyr-Daimler-Puch wird nach<br />

finanziellen Problemen filetiert und verkauft. Doch während sich in<br />

126


der gesamten Branche Katerstimmung breit macht, erobert ein Kärntner<br />

Ingenieur in Windeseile die weite Welt: der Messer- und Feldflaschenproduzent<br />

Gaston Glock.<br />

Oft wird er als genialer Erfinder seiner Pistole<br />

bezeichnet. Tatsächlich spielten Glück<br />

und Zufall die größten Rollen. Anfang der<br />

1980er-Jahre schreibt das österreichische<br />

Ein Anfang mit<br />

20.000 Pistolen<br />

Bundesheer eine große Pistolenlieferung aus, um Altbestände aus der<br />

Wehrmachtszeit zu ersetzen. Steyr-Mannlicher nimmt als einziger heimischer<br />

Produzent an der internationalen Ausschreibung teil – und<br />

verliert. Gewonnen hatte die italienische Beretta. Auf politischen<br />

Druck hin wird nochmals eine Auswahlrunde gestartet. Weil sich die<br />

Firma Steyr vehement weigert, Mängel an ihrer Pistole auszumerzen,<br />

wird Glock gefragt, ob er nicht eine Pistole fertigen könnte. Dieser<br />

riecht seine Chance und engagiert zwei Ferlacher Büchsenmacher, die<br />

die Anweisungen vom Bundesheer technisch umsetzen. »Er konnte<br />

eine Pistole nicht von einem Revolver unterscheiden«, berichtet ein<br />

damaliger Offizier. Aber Glock hat den nötigen Riecher, er riskiert all<br />

sein Geld und gewinnt den Auftrag für mehr als 20.000 Pistolen. Zwar<br />

hatte er nicht die beste Waffe angeboten, aber das Preis-Leistung-Verhältnis<br />

hatte gepasst.<br />

Was danach passiert, ist Geschichte: Die Glock-Pistole feiert rund um<br />

den Globus Erfolge. Mit gerissenen Marketingstrategien – beispielsweise<br />

Gratis-Lieferungen an Hollywoods Filmausstatter – fasst der Waffenproduzent<br />

schnell Fuß in den USA. Heute verwenden 65 Prozent aller<br />

US-Polizisten eine Waffe »made in Austria«. Unglaub liche 500.000 Pistolen<br />

exportiert die Glock GmbH jährlich in die Verein igten Staaten. Der<br />

Umsatz bewegt sich schätzungsweise bei weit über 150 Millionen Euro.<br />

Offizielle Zahlen werden vom Unternehmen freilich nicht veröffentlicht.<br />

Und wie erging es dem unfreiwilligen Wegbereiter Steyr-Mannlicher?<br />

Weniger gut. Nach einem Beinahe-Konkurs im Jahr 2007 rappelt sich<br />

der oberösterreichische Produzent erst langsam wieder auf. »Wir standen<br />

sehr schlecht da. Wir hatten damals einen Umsatz von acht Millionen<br />

Euro. 2011 haben wir ihn auf 22 Millionen Euro steigern können,<br />

2012 sind es bereits 30«, erzählt Geschäftsführer Dr. Michael Engesser.<br />

127


Zwei österreichische Investoren haben den Betrieb letztendlich gerettet.<br />

Mit seinen Scharfschützen-Gewehren ist Steyr bei Spezialeinheiten<br />

in aller Welt bereits gut aufgestellt. Jetzt wird mit einer eigens<br />

entwickelten Pistole auch Glock der Kampf angesagt.<br />

Einziges Hindernis aus Unternehmenssicht: die seit dem Noricum-<br />

Skandal noch strengeren Exportkontrollen der Republik. »Es ist wohl<br />

die am besten kontrollierte Industrie Österreichs«, beteuern Branchenvertreter<br />

immer wieder. Für jede Lieferung muss angefragt werden,<br />

bei Kriegsgerät wird noch strenger geprüft. Genau unter die Lupe<br />

genommen wird neben Steyr, Glock und Hirtenberger auch die ehemalige<br />

ARGES Armaturen, die heute zum deutschen Rheinmetall-Konzern<br />

gehört und im oberösterreichischen Kaufing Handgranaten und<br />

40-mm-Munition fertigt. Sowie die ehemalige Steyr Spezialfahrzeuge<br />

in Wien-Simmering – aufgekauft vom US-Riesen General Dynamics –,<br />

wo erst im vergangenen Juni ein neuer Prototyp für einen Aufklärungspanzer<br />

vom Stapel lief.<br />

Diese fünf Unternehmen zählen auch zu den letzten klassischen<br />

Rüstungsproduzenten Österreichs. Ansonsten tummeln sich heutzutage<br />

Dutzende Firmen sowohl im zivilen als auch im militärischen<br />

Sicherheits bereich herum. Die Wiener Firma Frequentis etwa stellt<br />

Kommunika tionssysteme für die Flugsicherung her, liefert aber<br />

auch an das US-Militär. Schiebel aus Wiener Neustadt verkauft seine<br />

Drohnen sowohl an private Unternehmen als auch an Grenzschutz-<br />

Behörden.<br />

Solange ein Land als »okay« genehmigt ist, liefert die Branche überall<br />

hin. Schließlich ist der internationale Wettbewerb groß. Dabei wird<br />

vergessen, wie schnell sich das Blatt drehen kann. Pakistan galt beispielsweise<br />

in den 1960er-Jahren als Tor zur westlichen Welt, war unbedenklich.<br />

Österreich vergab eine Produktionslizenz für Handgranaten.<br />

Jahrzehnte später finden sich genau diese Granaten in Konflikten<br />

und bei Terroranschlägen wieder.<br />

So etwas könne man im Vorhinein eben nie wissen, sagt ein Manager<br />

nüchtern. Tatsächlich: So läuft nun einmal das Geschäft. Für Moralfragen<br />

bleibt da wenig Zeit.<br />

128


In Linz beginnt’s: »Die Dummen<br />

gegen die Unmoralischen ...«<br />

von Hans Hrabal<br />

Seit Jahren tobt zwischen der Stadt Linz und der BAWAG ein<br />

bizarrer Millionenstreit um ein verunglücktes Zins-Swap- Geschäft.<br />

Dabei geht es auch um Politik, mehr aber um Eitelkeit, um Größenwahn,<br />

um Gier und um Dummheit; möglicherweise auch um<br />

kriminelle Machenschaften. Wenn Gemeinden zocken gehen – ein<br />

Sittenbild, ausnahmsweise nicht aus Salzburg.<br />

Österreich im Jahr 2005. Unsere Geschichte beginnt in einem längst<br />

vergangenen Zeitalter, als Anleger noch daran glauben durften, schnell<br />

reich zu werden, Investoren davon ausgingen, locker bessere Gewinne<br />

zu machen als der Börsenindex dies ahnen ließ und Banken allen<br />

Grund hatten, ihren Kunden zu versichern, dass dies – wenn schon<br />

nicht garantiert – dann doch »zumindest wahrscheinlich« ist.<br />

Die erste tragende Rolle in unserem Plot hat die ehemalige Gewerkschaftsbank,<br />

die BAWAG. Damals war die Bank gerade »angeschlagen«<br />

– der BAWAG-Skandal war Tagesthema, Unsummen von Geldern<br />

waren futsch, das vorherige Management vor Gericht, die Kunden irritiert,<br />

das Image auf im Keller. Und trotzdem: Gerade erst schien es,<br />

als sei die Bank aus dem ärgsten Schlamassel der Skandale um Elsner,<br />

Zwettler und Flöttl so einigermaßen entkommen. Die tat alles, um sich<br />

zu regenerieren, wieder ihren normalen Geschäften nachzugehen, der<br />

Öffentlichkeit, den Kunden und auch sich selbst zu beweisen, dass<br />

man doch nichts anderes sei als eine normale, tüchtige Bank – bemüht,<br />

sich an die Gesetze zu halten und gute Geschäfte zu machen.<br />

Das Management war ausgetauscht worden. Ein anerkannter Finanzfachmann<br />

wurde gefunden. Er war zuvor Direktor bei der Bank für<br />

internationalen Zahlungsausgleich gewesen und half den seriösen Neustart<br />

der Bank perfekt zu personifizieren. Ewald Nowotny, ein versierter<br />

Volkswirtschaftsprofessor, früher auch langjähriger SPÖ-Abgeordneter,<br />

sollte die Bank wieder ins rechte Licht rücken. Sie fit für einen Verkauf<br />

oder eine Beteiligung neuer Eigentümer machen. Projekt Neustart.<br />

129


In Linz beginnt’s: »Die Dummen gegen die Unmoralischen…«<br />

(Foto: Stadt Linz)<br />

Dieser Neustart führte die neue BAWAG auch nach Linz, jene Kommune,<br />

die die zweite tragende Rolle in unserer Geschichte spielt.<br />

Oberste Gemeindevertreter sind Bürgermeister Franz Dobusch und dessen<br />

»Kronprinz« und engster Vertrauter, Finanzstadtrat Johann Mayr,<br />

Akademiker, Managertyp und zuständig für sämtliche finanziellen<br />

Belange von Österreichs drittgrößter Kommune. Mayer zur Seite stand<br />

auch ein beamteter Finanzdirektor, auch er spielt in der Geschichte<br />

eine Rolle. Zusammen regierten die drei über rund 600 Millionen Euro<br />

Jahresbudget. Und mehrere Dutzend auf Geldgeschäfte aller Art spezialisierte<br />

Magistratsbedienstete helfen ihnen dabei.<br />

Mayer und die Kommune waren selbstbewusste Kunden, die genau wussten,<br />

was sie wollten. Keine kleinen Sparer oder Häuslbauer jedenfalls.<br />

Man hatte die BAWAG, aber auch andere Banken geladen, um »eine<br />

Anleihe zu begeben und Fremdmittel in der Höhe von 195 Millionen<br />

Euro« aufzutreiben. Das ist übrigens rund ein Drittel des jährlichen<br />

Gesamtbudgets der Kommune, das da als Kreide aufgenommen werden<br />

sollte. Und, wichtiger Punkt für unsere Geschichte: Eine »Anleihe in<br />

einer fremden Währung, nämlich in Schweizer Franken«, sollte es sein.<br />

Solch eine Anleihenemission ist für eine Gemeinde, die ja mit dem<br />

Geld der Steuerzahler operiert, auf den ersten Blick vielleicht ein<br />

130


wenig unüblich; doch die BAWAG übernahm die Emission prompt<br />

und gern. Auch sonst schienen die Partner wie füreinander geschaffen.<br />

Der frisch gebackene BAWAG-General Nowotny war für die Linzer<br />

Stadtroten quasi einer der Ihren. Er hatte in Linz Wirtschaft<br />

studiert, saß jahrelang in allen möglichen oberösterreichischen Leitungsgremien<br />

der SPÖ, hatte sozusagen Stallgeruch. Der Deal wurde<br />

abgeschlossen und er hätte auch niemanden mehr interessiert oder<br />

gar Staub aufgewirbelt, wenn ... ja wenn es sich um eine Euro-Anleihe<br />

und eben nicht um eine Franken-Anleihe gehandelt hätte.<br />

Ähnlich wie das auch jene Österreicher, die Franken-Kredite für den<br />

Kauf von Wohnungen oder Häusern aufnahmen, bemerken mussten,<br />

erging es nämlich auch den Linzer Gemeindevätern. Der Kurs des<br />

Franken hatte sich zunehmend gegenüber dem Euro verbessert und<br />

die Rückzahlungen der Franken wurden für jene, die ihr Geld in Euro<br />

scheffelten, empfindlich teurer. Nachdem die Säckelwarte von Linz<br />

mit der Franken-Anleihe ab 2005 durchaus einige schöne Kursgewinne<br />

machen konnten und sich ihre Rückzahlungen anfangs dadurch verbilligten,<br />

schmierte ab 2007 der Euro ab. So richtig. Richtig teuer. Die<br />

Finanz- und Wirtschaftskrise im Euro-Raum ließ grüßen.<br />

Ab jetzt wurde das Verhältnis der Geschäftspartner komplizierter.<br />

Denn die Anleihe wurde nicht, um eine weitere Eskalation des Währungsrisikos<br />

zu verhindern, in Euro über- (was natürlich gekostet<br />

hätte), sondern weitergeführt. Zusätzlich wurde ein zweites Geschäft<br />

gestrickt, das angeblich der Absicherung »etwaiger weiterer Währungsschwankungen<br />

der Anleihe« dienen hätte sollen. Ein so genanntes<br />

Derivatengeschäft. Und noch dazu ein ziemlich kompliziertes: ein<br />

so genannter Zins-Swap, bei dem der Gegenzeichner, in diesem Fall die<br />

BAWAG, dem Zeichner, der Stadt Linz, einerseits einen fixen Zinssatz<br />

der Anleihe garantiert, aber sich etwaige Zinssteigerungen, die durch<br />

die Währungsschwankungen entstehen, abgelten lässt.<br />

Es ist ein Geschäft, das nichts für Partner mit schwachen Nerven ist.<br />

Ein Geschäft nur für die Vollprofis des Finanzmarktes. Ein Geschäft,<br />

das nur eingehen sollte, der zuvor genau verstanden hat, worauf er<br />

sich einlässt, dem bewusst ist, welche Chancen und welche Risiken<br />

er eingeht. Und ein Geschäft, das zumindest in diesem Fall komplett<br />

131


in die Hosen ging. Denn es kam, wie es kommen musste – entgegen<br />

den ursprünglichen Hoffnungen der Kommune stiegen nämlich sowohl<br />

der Wert des Franken zum Euro weiter an als auch der Zinssatz selbst.<br />

Damit wurden sämtliche Risiken aus beiden Geschäften schlagend –<br />

und das hieß für die Linzer: Zahlen bitte. Und das nicht zu knapp. Bis<br />

Ende 2012 hatten sich die Kosten aus dem gefloppten Geschäft für die<br />

Linzer auf aberwitzige 418 Millionen Euro aufgetürmt. 418 Millionen<br />

Euro als Folge einer 195-Millionen-Anleihe, die ja eigentlich Geld hätte<br />

bringen sollte. Gute Geschäfte lesen sich zweifellos anders.<br />

Gezahlt haben die Linzer Finanzmanager bisher nicht. Der Grund<br />

dafür ist so skurril, dass er sogar wahr sein könnte. Die Linzer Stadtväter,<br />

sonst Manns genug, um die Verantwortung für die drittgrößte<br />

österreichische Stadt und ihr jährliches 600 Millionen schweres Jahresbudget<br />

zu übernehmen, wollen nämlich, jetzt da es ans Zahlen ging,<br />

erkannt haben, dass sie »eigentlich nie wirklich verstanden haben«,<br />

worauf sie sich bei dem Zins-Swap eigentlich einließen; sie spielten<br />

der BAWAG nun den alleinigen schwarzen Peter für die Verluste zu.<br />

Quintessenz: Man wurde »nicht richtig und nicht rechtzeitig informiert«<br />

– und letztendlich »über den Tisch gezogen«. Die Stadt hat<br />

diesbezüglich auch Klage eingebracht und einen Prozess angestrengt.<br />

Die einst so schöne Geschäftsfreundschaft zwischen den Partnern, sie<br />

ist dahin; der Stallgeruch verweht.<br />

Martin Janssen ist ein anerkannter Professor. Der Schweizer Finanzwissenschaftler<br />

hat in Zürich auch eine kleine, feine Investment-Boutique,<br />

die für Auftraggeber aus der Bankenbranche hoch komplizierte<br />

Derivativprodukte entwickelt. Er gilt als einer der führenden Gutachter<br />

in Finanzdingen im deutschen Sprachraum.<br />

Die Linzer Stadtväter haben sich Janssen als Gutachter gegen die<br />

BAWAG ins Spiel geholt. Der Mann hat den umfangreichen Geschäftsakt<br />

und die Prozessunterlagen studiert. Er bestätigt seinen Auftraggebern,<br />

dass sie – na ja – zu naiv waren. »Die Linzer Politiker und<br />

Beamte waren fachlich nie in der Lage, das hoch komplizierte Wechselspiel<br />

der beiden Geschäfte, Anleihe und Zins-Swap, zu verstehen.<br />

Die BAWAG hätte solche Geschäfte mit einem solchen Kunden nicht<br />

eingehen dürfen. Man muss doch merken, wenn das Gegenüber etwas<br />

132


Die Ars electronica: Da war die Welt noch in Ordnung, in Linz<br />

(Foto: Stadt Linz)<br />

nicht versteht und nicht verstehen kann. Das ist unethisch.« Die Stadt<br />

Linz gegen die BAWAG, das ist für Janssen ein Match der »Dummen<br />

gegen die Unmoralischen« – genau so schreibt er es auch in seinem<br />

Gutachten. Sicher nicht gerade schmeichelhaft für den Finanzdirektor<br />

und den Finanzstadtrat, nicht für den Bürgermeister und nicht für die<br />

Gemeinderatsmehrheit; anderseits die offenbar einzige nachvollziehbare<br />

Argumentation, die helfen könnte, alle politischen Verantwortungsträger<br />

aus eben dieser Verantwortung zu manövrieren und der<br />

Stadt – vielleicht – einen Teil der offenen 418 Millionen zu ersparen.<br />

Aber: Auch die Gegenseite schläft nicht. Auch die BAWAG hat ihren<br />

Gutachter ins Feld gerückt: Mark Wahrenburg, wieder ein Professor,<br />

diesmal aus Frankfurt. Auch Wahrenburg bestätigt: Dass die Bank<br />

alles richtig gemacht hat, dass die Stadt jederzeit aus dem Deal hätte<br />

aussteigen können, dies aber nicht wollte. Dass die Bank sogar dazu<br />

geraten hätte, der Kunde sich aber als beratungsresistent erwiesen<br />

hätte. Ja, was soll man da machen?<br />

Dummheit? Mangelnde Moral? Eitelkeit? Gier? Oder doch ein abgekartetes<br />

Spiel von Beteiligten, die sich an dem Flop der Stadt noch<br />

bereichert haben? Man muss das nunmehr involvierte Landesgericht<br />

Linz nicht beneiden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt erst mal. Wegen<br />

133


Betrug und Untreue. Verdächtige gibt es auf beiden Seiten. Bei den<br />

Stadtverantwortlichen laufen Ermittlungen gegen den ehemaligen<br />

Finanzdirektor und den immer noch im Amt befindlichen Finanzstadtrat.<br />

Auch gegen die BAWAG wird ermittelt. Selbst wenn man nicht so<br />

ganz genau sagen kann, gegen wen konkret. Das damals verantwortliche<br />

Management hat die Bank samt und sonders verlassen. Das gilt<br />

übrigens auch für alle seinerzeit in das Geschäft verwickelten subalternen<br />

Mitarbeiter.<br />

Die Linzer Steuerzahler auch – ja, auch sie haben eine tragende Rolle<br />

in unserer Geschichte. Es ist jener Part, der am Schluss immer alles<br />

bezahlt. Trost gibt es für sie nur einen und der ist schwach genug. Sie<br />

sind nicht allein. Nicht nur in Linz könnte es im fernen Zeitalter vor<br />

der Finanzkrise »dumme« Politiker oder »unethische« Banker gegeben<br />

haben, die mit Steuergeldern zockten. Laut dem Land Oberösterreich<br />

hatten im letzten Jahr noch 24 Gemeinden 92 Franken-Kredite in einer<br />

Gesamthöhe von <strong>25</strong>6 Millionen Euro am Laufen. Zehn davon hatten<br />

auch Swaps und ähnlich komplizierte Derivat-Absicherungsgeschäfte<br />

abgeschlossen.<br />

Und: Das sind nur die Zahlen aus dem Land Oberösterreich. In der<br />

ganzen Republik sind »etliche hundert Kommunen« von ähnlichen<br />

Finanz unfällen betroffen. Die meisten Fälle sind zumindest dem<br />

Gemeindevertreterverband bekannt. Oder dem Städtebund. Wen das<br />

ärgern sollte – 2013 finden drei Landtagswahlen und eine Nationalratswahl<br />

statt.<br />

»Man hätte ebenso gut auf Schweinebäuche<br />

spekulieren können.«<br />

Prüfer Martin Janssen über die (Steuer-)Geldanlagen<br />

der Stadt Linz.<br />

134


Franzl, Schützi und Konsorten:<br />

Eine »eingetragene Partnerschaft«<br />

von Günther Kogler<br />

Es ist eine seltsame Diskrepanz: Im Land selbst begleitet die<br />

politische Funktionärskaste das Treiben ihrer politischen Führung<br />

mit Skepsis, Ohnmacht und manchmal auch Wut. In Restösterreich<br />

schwankt die Gefühlslage zwischen stillem Respekt und<br />

abwartendem Kalkül – »na, schaun mer mal, wie lang die das<br />

durchhalten«. Dabei passiert nichts Außergewöhnliches in der<br />

Steiermark. Außer, dass es zwei Parteiobleute gibt, die es ernst<br />

meinen mit dem Wählerauftrag.<br />

Die Rede ist von Franz Voves und von Hermann Schützenhöfer, dem<br />

Landeshauptmann und dem Landeshauptmann-Stellvertreter der<br />

Grünen Mark. Der »Franzl« hatte, als größte Heldentat, vor acht Jahren<br />

der SPÖ im einstmals schwarzen Kernland den Fürstenstuhl erobert;<br />

der »Schützi« hatte, als größte Heldentat, ebenfalls vor acht<br />

Jahren, verhindert, dass sich eine kopf- und machtlos gewordene ÖVP-<br />

Führungsriege in nur einer Nacht gegenseitig ausrottete.<br />

Soweit die Heldensagen. Aber: Was kümmern die den einfachen Bürger;<br />

den, wir nehmen es an, ehrlichen Steuerzahler? Nun, es gesellt<br />

sich noch eine Legende dazu. Einmal noch durften der »Franzl« und<br />

der »Schützi« in altgewohnter Manier bei Landtagswahlen ihre Klingen<br />

kreuzen und die Entscheidung ist denkbar knapp für den Amtsinhaber<br />

und gegen den Herausforderer ausgefallen.<br />

Aber dann, in den Wochen nach diesem erneuten politischen und<br />

abermaligen finanziellen Blutbad, traf wieder Licht die Steiermark.<br />

Der angebliche Quereinsteiger (Voves) und der angebliche Polit-<br />

Dauerfunktionär (Schützenhöfer) kamen einander bei tatsächlichem<br />

steirischem Wein (angeblich Sauvignon blanc) näher. Die Führer von<br />

SPÖ und ÖVP, per Landesverfassung ohnehin zur Zusammenarbeit<br />

verdonnert, begründeten aus heiterem Himmel eine »Reformpartnerschaft«.<br />

Sie vereinbarten, nicht gegeneinander, sondern miteinander<br />

arbeiten zu wollen. Sogar ein Schwur wurde abgelegt, berichteten die<br />

135


In Graz wird ein normaler Polit-Job erledigt<br />

(Foto: Graz Tourismus/Schiffer)<br />

Minnesänger: Fortan und fürderhin sollte mit dem Geld der Steirerinnen<br />

und Steirer sorgfältiger umgegangen werden.<br />

Und plötzlich berührte diese Selbstverständlichkeit den einfachen<br />

Bürger sehr wohl. Über Jahre und Jahrzehnte hindurch war die steirische<br />

Landespolitik nahezu liederlich mit den Finanzen umgegangen.<br />

Im österreichweiten Vergleich waren nur Kärnten und das Ausnahme-<br />

Bundesland Wien noch sorgloser im Ausgeben der Steuergelder gewesen.<br />

Ein erstes (sie nannten es im Jahr 2011 keck: Spar-)Budget der<br />

»Reformpartner« drückte die Neuverschuldung der Grünen Mark auf<br />

4<strong>25</strong> Millionen Euro. Ein wahrhaft mutiger Begriff bei einem Gesamtbudget<br />

von knapp 5,4 Milliarden und einem Gesamtschuldenstand (inklusive<br />

der ausgelagerten Anleihen für die Krankenanstalten-Gesellschaft<br />

und inklusive anderer Budgettricks) von vier Milliarden Euro.<br />

Aber Franz Voves und Hermann Schützenhöfer stöberten weitere<br />

Vorräte des Sauvignon blanc auf und plötzlich kamen die anderen<br />

Fürsten außerhalb der steirischen Landesgrenzen aus dem Staunen<br />

nicht mehr heraus. Die meinten es tatsächlich ernst in der Grazer<br />

Burg. Auf breiter Front wurde in die Defizitmaschine der Landespolitik<br />

eingegriffen. An den Schleusen des Füllhorns Sozialpolitik wurde<br />

gedreht; den Spitälern wurde gezielt der Geldhahn zugedreht; in der<br />

136


Wirtschaftsförderung, im Wohnbau und in der Subventionierung der<br />

Landwirte wurde »durchforstet«; Schulen wurden und werden geschlossen;<br />

Bezirkshauptmannschaften wurden und werden zusammengelegt;<br />

die Landesverwaltung wurde und wird ungekrempelt – vorbehaltlich<br />

hofrätlicher Empörungen bei den Höchstgerichten wird die<br />

Zahl der Verantwortung tragenden Spitzenbeamten von <strong>25</strong>0 auf 140<br />

eingedampft. Bei der nächsten Landtagswahl wird der Landtag verkleinert,<br />

ebenso die Zahl der Mitglieder der Landesregierung.<br />

Alles funktioniert, weil die »erste eingetragene Partnerschaft der<br />

Steiermark« (Copyright: Nicht-Partner FPÖ) tatsächlich funktioniert.<br />

Bestürmen die durchwegs roten Sozialverbände den roten Soziallandesrat<br />

und den roten Landeshauptmann, widersteht die ÖVP dem Versuch,<br />

daraus Kapital zu schlagen. Protestieren schwarze Agrarier, schwarze<br />

Unternehmer und schwarze Personalvertreter bei ihren schwarzen Landesräten<br />

und dem schwarzen Landeshauptmann-Stellvertreter gegen<br />

die Kürzungen, hält »Reformpartner« SPÖ still. Ein bisserl ist die Demokratie<br />

ausgeschaltet in der Steiermark. Aber wer will schon etwas dagegen<br />

haben, gegen einen vernünftigeren Umgang mit öffentlichem Geld?<br />

Damit ist auch schon das entscheidende Stichwort gefallen. Wer will<br />

schon etwas gegen einen vernünftigeren Umgang mit öffentlichem<br />

Geld haben? Niemand weiß, wie lange es noch funktioniert, aber das<br />

Modell der Reformpartner löst rundherum unterschiedlichste Befindlichkeiten<br />

aus. An einem geschlossenen Regierungsblock zerschellt<br />

einmal als allererstes die Opposition; weder die Grünen noch die in der<br />

Landesregierung vertretene FPÖ haben dem bestimmenden Auftritt<br />

der Regierenden nennenswerte Argumente entgegenzusetzen. Allein<br />

die KPÖ – jawohl, liebe Österreicherinnen und Österreicher, die gibt<br />

es in der Steiermark noch in nennenswerter Größe – könnte von der<br />

Unzufriedenheit (vor allem im Bereich der Sozialpolitik) profitieren.<br />

Ratlos trifft die Reformpartnerschaft vor allem die üblichen Verdächtigen<br />

der eigenen Parteifunktionäre. Wie Stimmen maximieren bei einer<br />

Personal vertretungswahl, wenn der eigene Personallandesrat bei den<br />

eigenen Leuten hineinschneidet? Wie »soziale Wärme« erzeugen bei<br />

Benachteiligten, wenn der eigene Sozialreferent durch eine Kürzung<br />

der Zuschüsse die Außentemperatur absenkt? Spürbar sind rundherum<br />

137


die Irritationen gewachsen. Wenn niemand mehr aus dem eigenen Nest<br />

die eigenen Befindlichkeiten befriedigt – wie lange dauert es, bis die<br />

Nestflüchter eine kritische Masse erreichen?<br />

Ratlos auch die Medienlandschaft. Die beherrschenden Nachrichtenund<br />

Meinungsbildner in der Grünen Mark sind die »Kleine Zeitung«,<br />

die größte Bundesländer-Zeitung der Republik, weiters der Steiermark-<br />

Ableger der »Kronen-Zeitung«, die mit Abstand meistgelesene Kaufzeitung<br />

Österreichs, und natürlich der ORF, die noch immer größte<br />

»Medienorgel des Landes« (Copyright: Gerd Bacher). Alle verspüren,<br />

dass es zu Brüchen und Umbrüchen kommt, auch in der Kundschaft<br />

der regierenden Parteien; aber alle haben sich dazu durchgerungen,<br />

den Kurs der Reformpartner eher wohlwollend zu begleiten.<br />

Das schafft Unmut bei Lesern, Hörern und Sehern. Viele finden sich in<br />

der Berichterstattung nicht wieder. Als ruchbar wurde, dass die großen<br />

Tageszeitungen aus dem Topf der Landesregierung jeweils auch<br />

noch einige hunderttausend Euro für die »Begleitung der Reformvorhaben«<br />

erhalten, drohte eine veritable Vertrauenskrise. Tatsächlich ist<br />

es eine Gratwanderung für die Meinungsbildner in den Medien. Aber<br />

das Projekt ist zu schaffen. Wer Notwendigkeiten erkennt und Befindlichkeiten<br />

enttarnt, ist immer auf der richtigen Seite.<br />

Und tatsächlich scheinen die Aussichten verheißungsvoll; halten<br />

»Franzl« und »Schützi« ihren Kurs, sinkt das Budgetdefizit der Steiermark<br />

heuer auf 377 Millionen, im Jahr 2014 gar auf 190 Millionen Euro.<br />

Na ja, und im Jahr 2015, dem Jahr der nächsten Landtagswahl, würde<br />

bei Fortsetzung des Kraftaktes gar ein ausgeglichener Landeshaushalt<br />

locken. Erstmals, noch einmal: erstmals seit fünf Jahrzehnten, würde<br />

in der Grazer Burg nicht mehr Geld ausgegeben, als die Grazer Burg an<br />

Steuergeldern einnimmt.<br />

Und völlig konsterniert schließlich der Rest Österreichs. Mit Ausnahme<br />

Vorarlbergs schreiben alle Bundesländer Miese, die einen mehr,<br />

die anderen weniger. Aber: Ein solches Programm umgesetzt auch im<br />

wirklich reichen Niederösterreich? Oder gar in einer der besten Hauptstädte<br />

der Welt, der in der Zwischenzeit unparkbar gewordenen »Wohlfühloase«<br />

Wien? Undenkbar. Jedenfalls für die jeweils Regierenden. Die<br />

138


veranlagen lieber Wohnbaugelder und verkaufen Straßenbahnen und<br />

Abwasserkanäle. Wohl ist zu hören, dass auch Erwin P. und Michael H.<br />

dem Sauvignon nicht abgeneigt wären, aber jenseits von Wechsel und<br />

Semmering wird der Begriff »Reformpartnerschaft« noch immer anders<br />

interpretiert. Die mächtigsten Politiker der Republik reformieren lieber<br />

ihre jeweils aktuellen Bundesregierungen als Zu- und Eingriffe in ihren<br />

eigenen Machtbereichen zuzulassen.<br />

Um die Kirche im Dorf zu lassen. Noch ist die<br />

Steiermark kein Vorzeige-Bundesland, was<br />

den Umgang mit Steuergeld angeht. Noch<br />

immer ist das Budgetdefizit erdrückend hoch.<br />

Der Weg ist<br />

lang und steinig<br />

Noch immer ist der Weg lang und steinig und noch immer nicht ist klar,<br />

ob beide Landesparteiobleute den eingeschlagenen Kurs politisch überleben.<br />

Aber es gäbe einen Plan, eine Vision, wie sich die handelnden<br />

Personen aus dem Würgegriff der begrenzten Finanzen befreien wollen.<br />

Natürlich: Nicht immer fährt der Sparstift geräuschlos durch den Bürgerwald.<br />

Die »Privatisierung« des landschaftlichen Landeskrankenhauses<br />

West in Graz (es soll den knapper kalkulierenden »Barmherzigen<br />

Brüdern« übertragen werden) ist zwar notwendig und nimmt mit<br />

einem Schlag 300 teure Spitalsbetten aus der Kostenstruktur des Landes;<br />

aber war besagtes »Landeskrankenhaus West« nicht mit viel Pomp<br />

und Trara der Landespolitik erst vor zwölf Jahren neu gegründet und<br />

gebaut worden – mit einem Schock neuer Ärztestellen und einer Hundertschaft<br />

neuer Pflegebediensteter?<br />

Aber: Der Kern des Vorhabens ist richtig. Vernünftiger mit dem Geld<br />

der Steuerzahler umgehen. Sparen. Nicht mehr ausgeben, als das<br />

Land hat. Die Mittel dorthin lenken, wo sie gebraucht werden, und<br />

dort abziehen, wo es nur um das Bedienen privilegierter Seilschaften<br />

geht. Das Besondere an der »Reformpartnerschaft« ist nicht, dass es<br />

so etwas gibt. Franz Voves und Hermann Schützenhöfer erledigen bloß<br />

ihren Job.<br />

Das Besondere in einer der reichsten Republiken der Welt ist, dass<br />

eine ganz normale Managertätigkeit zweier Landespolitiker als Ausnahmeerscheinung<br />

empfunden wird.<br />

139


Gemeindefinanzen: Sparen, ohne<br />

dass das Land einen Cent sieht<br />

Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist die Steiermark »kleiner« geworden.<br />

Sie verfügt nur noch über 539 Gemeinden; im alten Jahr waren es<br />

noch 542 gewesen. Im Bezirk Leoben fusionierten Trofaiach, Gai<br />

und Hafning, im Bezirk Hartberg machen seit Jahresbeginn 2013<br />

Buch-Geiselsdorf und St. Magdalena am Lemberg gemeinsame Sache.<br />

Warum eine solche Meldung Eingang in ein Jahrbuch über Wirtschaft<br />

und Finanzen findet? Weil selbst anhand des Mikrokosmos<br />

der kleinsten Verwaltungsebenen, eben der Gemeinden, veranschaulicht<br />

werden kann, wie es sich mit dem Steuergeld der Bürger<br />

vernünftiger umgehen lässt. Und das Schöne daran ist: Das Ersparte<br />

bleibt direkt in den Kommunen. Das Land sieht keinen Cent.<br />

Als zentrales Programm ihrer »Reformpartnerschaft« hat die steirische<br />

Landesregierung ihren Gemeinden auch ein großes Fusionsprogramm<br />

verordnet. 39 Prozent aller Kleinstgemeinden Österreichs<br />

nämlich liegen in der Grünen Mark. Das kostet Geld und Personal.<br />

Jede Gemeinde unterhält eine Verwaltung – selbst Freiland, mit 128<br />

Einwohnern die kleinste Gemeinde der Steiermark, benötigt einen<br />

Bürgermeister (Entschädigung), einen Gemeinderat (Sitzungsgeld)<br />

und einen Gemeindesekretär (Monatsgehalt). Weitere 76 Kommunen<br />

in der Grünen Mark haben weniger als 500 Einwohner, nochmal 120<br />

liegen unter der 1000er-Marke.<br />

Am Ende der Gemeindezusammenlegungen sollen nur noch »weit<br />

unter 300« Kommunen übrig bleiben – das wäre der Wunsch des<br />

Landeshauptmannes und seines Stellvertreters. Die Vorzüge des Vorhabens<br />

liegen im Detail, sie sind aber handfest. Dass die Fusionierung<br />

von Bruck an der Mur und Kapfenberg mit weit mehr als 35.000<br />

Einwohnern dabei auch eine neue zweitgrößte Stadt des Landes<br />

entstehen lassen würde, schriebe freilich auch die Geschichte einer<br />

ganzen Region um.<br />

Nicht alle Bürger und schon gar nicht alle Bürgermeister können den<br />

eingeforderten Zusammenlegungen etwas abgewinnen. Aber denen,<br />

140


die nachrechnen, tun sich kleine Schatzkisten auf. So wie einer Region<br />

im oberen Feistritztal im Bezirk Weiz, wo sich die Ortschefs von<br />

Gschaid (rund 1000 Einwohner), Haslau (450), Koglhof (1100) und<br />

Waisenegg (1100) mit der »Zentrale« Birkfeld (1600) auf ein gemeinsames<br />

»Packel« hauen wollen. Bislang schrieben alle fünf Gemeinden<br />

zusammen ein Defizit von 268.000 Euro im Jahr; nach der Fusion<br />

blieben auf einmal 443.000 Euro im Jahr als Überschuss übrig. Wenn<br />

das nichts ist ...<br />

Im Einzelnen: Die Verwaltung der neuen »Großgemeinde« Birkfeld<br />

käme um 142.000 Euro billiger. Von fünf Gemeindeämtern blieben<br />

nur zwei übrig. Personal würde eingespart; bei den Standesbeamten,<br />

im Bauamt, bei den Gemeindearbeitern. Entlassen würde niemand,<br />

aber frei werdende Stellen würden nicht nachbesetzt. Vier<br />

Kindergärten würden zu nur noch dreien zusammengelegt. Damit<br />

könnte auch eine Ferienbetreuung während der für Eltern kritischen<br />

Sommermonate organisiert werden.<br />

Die Wasserversorgung, die Müllentsorgung und die Gebühren würden<br />

billiger. Fünf gemeinsam organisierte Gemeinden organisieren sich<br />

leichter und verhandeln besser mit den Anbietern. Ersparnis: 137.000<br />

Euro im Jahr, davon allein 84.000 Euro durch den Entfall von Krediten,<br />

die nicht mehr aufgenommen werden müssen. Dasselbe gilt für<br />

den Straßenbau: Dort sind gleich 168.000 Euro zu holen, der Großteil<br />

wieder durch den Entfall unbedeckter Kredite. Wird solcherart gespart<br />

ist sogar an den Neubau von Gemeindestraßen wieder zu denken ...<br />

Schließlich die »politischen Kosten«: Fünf Gemeinden benötigen<br />

15 Gemeindevorstände, die eine Aufwandsentschädigung erhalten<br />

(Bürgermeister, der Stellvertreter, der Kassier). Eine Gemeinde<br />

müsste nur noch drei Vorstände entlohnen. Das läppert sich. Im<br />

oberen Feistritz tal macht die Einsparung »in der Politik« allein<br />

100.000 Euro im Jahr aus. Allerdings: Am Ortsbild soll sich nichts<br />

ändern. Zwar wird die neue Gemeinde den Namen Birkfeld tragen,<br />

die Ortstafeln Gschaid, Haslau, Koglhof und Waisenegg bleiben aber<br />

erhalten – nur mit dem Zusatz: »Gemeinde Birkfeld«. Verwaltung<br />

und lokale Identität sollen zwei Paar Schuhe bleiben.<br />

141


Alle Einsparungen greifen schon im ersten Jahr nach der Zusammenlegung.<br />

Jedes weitere Jahr kommt frisch Angespartes hinzu. Der<br />

Fuhrpark der bisher getrennten Wirtschaftshöfe wird im Laufe der<br />

Zeit optimiert; nach 15 Jahren ist der Personalumbau abgeschlossen,<br />

mit nur noch einem Bauamtsleiter, einem Standesbeamten, einem<br />

Gemeindesekretär. Im Idealfall stimmen sogar die Freiwilligen Feuerwehren<br />

ihre Löschfahrzeuge aufeinander ab. Pfarr- und Kulturvereine<br />

arbeiten enger zusammen, Fremdenverkehrs- und Wirtschaftsverbände<br />

werden optimiert.<br />

Das alles wird viel Stress und Unruhe auslösen; aber es ist schaffbar.<br />

Wer nachrechnet, wird sich der Fusion nicht verschließen können.<br />

Es bleibt Geld in der gemeinsamen Gemeindekasse übrig. Es ist<br />

das Geld der Bewohner der fünf Gemeinden. Sind einmal die Schulden<br />

aus der Vergangenheit beglichen, könnten sogar die Wasser-,<br />

Abwasser- und Müllgebühren gesenkt werden.<br />

Übrigens: Die letzte große »Flurbereinigung« in der Steiermark<br />

datiert aus dem vorigen Jahrhundert. Unter Landeshauptmann<br />

Josef Krainer sen. wurden aus 884 (!) Gemeinden 561 gemacht.<br />

Das geschah vor fast 50 Jahren. Zur Erinnerung: Das vorliegende<br />

<strong>€CO</strong>-Jahrbuch gibt es seit <strong>25</strong> Jahren. Vielleicht machen wir uns einmal<br />

die Mühe nachzurechnen, wie viel Geld in dieser Zeit verloren<br />

gegangen ist. Ja: Steuergeld.<br />

»Der Rechnungshof kommt in letzter Zeit von einer<br />

Disqualifikation in die andere. Manche Herren im Glaspalast am<br />

Donaukanal sind offensichtlich zu wenig qualifiziert.«<br />

Wenn Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) glaubt,<br />

dass das Land Niederösterreich seine Wohnbaugelder lukrativ<br />

veranlagt hat, dann ist das auch so.<br />

142


Unser teures Bier: Wenn Hopfen<br />

und Malz zu barem Geld werden<br />

von Philipp Jauernik<br />

Sie haben es sicher schon bemerkt – die Bierpreise sind gestiegen.<br />

Zumindest beim österreichischen Branchenprimus, der Brau<br />

Union, die rund die Hälfte der Marktanteile für sich reklamieren<br />

kann. Mit Dezember 2012 erhöhte sie die Preise für ihre bekannten<br />

Marken (Zipfer, Gösser, Puntigamer, Kaiser, Schwechater) um<br />

durchschnittlich drei Prozent. Begründet wurde das mit »gestiegenen<br />

Rohstoffpreisen«. Tatsächlich: Am mangelnden Absatz<br />

konnte es nicht gelegen sein. Der Durchschnittsösterreicher trinkt<br />

inzwischen mehr Bier als der Durchschnittsdeutsche.<br />

Ein altes Sprichwort sagt: »Auch Wasser wird zum edlen Tropfen,<br />

mischt man es mit Malz und Hopfen.« Tatsächlich wäre die Wasserqualität<br />

entscheidend. Der Brauvorgang beginnt aber erst mit der Fermentation<br />

– dazu verwendet der Brauer Hefe. So sähe Bier aus, braute man<br />

es allein nach dem »Reinheitsgebot« – einer Verordnung, die so nie<br />

existierte. Dabei wurde bloß auf einzelne Textpassagen unterschiedlicher<br />

alter gesetzlicher Regelungen Bezug genommen – insbesondere<br />

auf die »bayerische Landesordnung« aus dem Jahr 1516.<br />

Heute steckt im kühlen Hellen schon ein bisserl mehr moderne Technik.<br />

Das ursprünglich recht einfache Produkt wird umso komplexer, je höher<br />

die Qualitätsstandards werden. Dazu braucht es »das entsprechende<br />

Equipment und auch ein Hygienegrundverständnis«, erklärt der Wiener<br />

Albert Welledits. Der Technikingenieur stammt aus einer Familie von<br />

Brauern – seit 1924 stellen die Welledits’ zudem Brauanlagen her.<br />

Mittlerweile werden diese in die ganze Welt exportiert. Albert Welledits<br />

lieferte schon nach Afrika, nach Lateinamerika und nach Russland. Zu<br />

seinen bekannteren Kunden zählt etwa der russische Oligarch Roman<br />

Abramowitsch. In Welledits’ eigener Wirtshausbrauerei, dem »Salmbräu«<br />

am Wiener Rennweg, hängen unter anderem Bilder, die den Hausherrn<br />

mit dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales zeigen – gleich neben<br />

dem berühmt-berüchtigten venezolanischen Staatschef Hugo Chavez.<br />

143


In Russland ist Bier zwar nicht so tief verwurzelt wie in Mitteleuropa,<br />

aber das Reich Wladimir Putins schlägt sich in der Produktion nicht<br />

schlecht. Von wegen »Wodka-Land«: Fast 103 Millionen Hektoliter Bier<br />

werden jährlich in Russland gebraut – Tendenz steigend. Das bevölkerungsmäßig<br />

wesentlich kleinere Deutschland liegt mit über 95 Millionen<br />

Hektolitern auf Platz zwei. Österreichs Brauer können mengenmäßig<br />

nicht mithalten und schafften zuletzt »nur« 8,67 Millionen<br />

Hektoliter. Rechnet man aber pro Kopf und Kehle, so ist das rot-weißrote<br />

Ergebnis ein internationaler Spitzenwert: Wir trinken mehr Bier<br />

als die Deutschen. Nur Nachbar Tschechien weist weltweit (!) einen<br />

höheren Bierkonsum aus als Österreich.<br />

Das weiß man auch in den 170 heimischen Braustätten. 97 davon sind<br />

Gasthaus- und Hausbrauereien; zusammen stellen sie mehr als 1000<br />

verschiedene Biere her. Damit wird ein Umsatz von weit über einer Milliarde<br />

Euro erzielt. Allein die Steuern auf Bier spülten dem Fiskus im<br />

vergangenen Jahr rund 700 Millionen Euro in die Kassen. Das liegt auch<br />

am heimischen Steuerrekord. Die österreichische »Biersteuer« wurde im<br />

Jahr 2000, als Ersatz für die abgeschaffte Getränkesteuer, umgehend<br />

drastisch erhöht. Kein schlechtes Geschäft also für die Republik, wenn<br />

sie solcherart Hopfen und Malz zu barem Geld macht ...<br />

Nach Angaben des Verbandes der Brauereien beträgt die gesamtsteuerliche<br />

Belastung des Hopfengetränkes fast 50 Prozent. Die Steuerlast<br />

ist damit in Österreich zweieinhalb Mal so hoch wie im benachbarten<br />

Deutschland, das noch dazu eine geringere Umsatzsteuer einhebt. Daraus<br />

ergibt sich, so der Verband, ein »im Schnitt um 20 Prozent höherer<br />

Flaschenbierpreis in Österreich«; und folglich einen Preisunterschied,<br />

der für die heimischen Brauer einen Wettbewerbsnachteil bedeutet.<br />

Die Produzenten wissen das und versuchen mit Spezialsorten zu punkten.<br />

So hat etwa die »Trumer Brauerei« im »Jahr des Waldes« 2011 in<br />

Kooperation mit den Österreichischen Bundesforsten ein Waldbier aus<br />

frischen Tannentrieben gebraut. »Gösser« braut in diesen Wochen zur<br />

Schiweltmeisterschaft in Schladming das »Gösser WM-Gold« und vermarktet<br />

es mit drei WM-»Bier-Botschaftern«: Harti Weirather, Hans<br />

Knauß und Michael Walchhofer. Letzterer fungiert auch als Ehrenbraumeister<br />

des »goldenen Bieres«.<br />

144


Braucommune Freistadt: Jeder Hausbesitzer hält Anteile<br />

(Foto: freistaedter-bier.at)<br />

Vor allem aber sind es süße Mischgetränke, die den Absatz steigern<br />

sollen. Besonders Frauen soll das Produkt Bier, das von vielen eher als<br />

bitteres Männergetränk wahrgenommen wird, schmackhaft gemacht<br />

werden. Karl Schwarz, Geschäftsführer und Eigentümer der »Privatbrauerei<br />

Zwettl«, begründet diesen Trend zum Radler: Radler sei zwar<br />

keine große Braukunst, es werde nur Limonade mit Bier gemischt. Aber<br />

es böte den Brauereien eine ideale Gelegenheit, die Zielgruppe zu erweitern:<br />

»Vor allem junge Leute sind daran gewöhnt, süße Getränke zu<br />

trinken. Sie kommen über den süßlichen Geschmack letztlich zum Bier.«<br />

Wie viele kleinere Brauereien kämpfen auch die Zwettler gegen die<br />

Marktdominanz der »Brau Union«, die zur internationalen Heineken-<br />

Gruppe gehört. Die Branche zeigt sich allerdings lernfähig: Seit Bier als<br />

Genussmittel vermarktet wird, geht’s mit Image und Absatz bergauf.<br />

Man hat sich einfach ein Beispiel an der Weinbranche genommen, die<br />

seit dem Glykolskandal im Jahr 1985 unglaubliche Fortschritte gemacht<br />

hat. Hiermit ist auch Bier, das vorher als »Maurergetränk« verschrien<br />

war, »salonfähig« geworden. Karl Schwarz: »Bier passt zu jeder Gelegenheit.<br />

Das äußert sich eben auch in dem sehr hohen Pro-Kopf-Verbrauch.«<br />

In der Tat: Beim Biertrinken ist Österreich, wie gesagt, Weltspitze.<br />

108 Liter werden pro Kopf und Jahr getrunken. Mehr verdrücken nur<br />

145


Braucommune: Wird ohne Bier aus Freistadt gestreikt?<br />

(Foto: freistaedter-bier.at)<br />

die Tschechen: Mit 132 Litern sind sie klar die Nummer eins. Nachbar<br />

Deutschland (102 Liter) gerät bereits immer mehr ins Hintertreffen;<br />

Seit Österreich im Jahr 2010 an Deutschland vorbeigezogen ist, erhöht<br />

sich der Abstand von Jahr zu Jahr. Das traditionsreiche Brauerland<br />

Belgien kommt gar »nur« auf 78 Liter. Und zum »Leben wie Gott in<br />

Frankreich« gehört anscheinend eher Wein als Bier: Nur 30 Liter Gerstensaft<br />

werden dort pro Kopf jährlich getrunken.<br />

Für Ewald Pöschko ist das wenig verwunderlich: »Jedes Volk hat<br />

irgend wo sein Rauschmittel kultiviert«, erklärt der Geschäftsführer<br />

der »Braucommune Freistadt« verschmitzt. Bayern, Südböhmen und<br />

Österreich sind in seinen Augen »die Biertrinkernationen der Welt«.Er<br />

weiß, wovon er spricht: Die Freistädter »Braucommune« ist ein weltweites<br />

Unikat – ihre Besitzanteile sind nämlich grundbücherlich an<br />

die Häuser der Freistädter Altstadt geknüpft und können nicht veräußert<br />

werden. Wer also ein Haus in der Freistädter Altstadt kauft, ist<br />

automatisch Miteigentümer der »Braucommune«.<br />

Die Brauerei, die in dieser Form seit dem 17. Jahrhundert besteht,<br />

ist ein nicht wegzudenkender Teil der Geschichte und Kultur der<br />

Bezirkshauptstadt im Mühlviertel. Ihre Bedeutung ist unter anderem<br />

daran ersichtlich, dass sie Gastgeberin der oberösterreichischen<br />

146


Landesausstellung 2013 ist. Auf Regionalität wird in der Brauerei viel<br />

Wert gelegt. Alle Rohstoffe kommen aus der unmittelbaren Umgebung.<br />

Die Bevölkerung honoriert das. »Bei uns ist es nicht egal, ob etwa ein<br />

Bauherr einem Maurer irgendein No-Name-Produkt hinstellt. Der will<br />

schon ›sein‹ Produkt haben: Mit Freistädter Bier wird seine Arbeit gewertet.<br />

Gibt man ihm allerdings irgendein Massenbier, könnte es sein,<br />

dass er womöglich gar nicht mehr weiterarbeitet«, schildert Pöschko<br />

nicht ohne Stolz den Stellenwert »seines« Bieres in der Region.<br />

Allerdings ist bei aller Regionalität auffällig, dass bestimmte Biersorten<br />

nur in bestimmten Gegenden zu erwerben sind. Im oberösterreichischen<br />

Mühlviertel dominiert Freistädter Bier in den Supermarktregalen.<br />

Sobald man die Landesgrenze zum niederösterreichischen Waldviertel<br />

überschreitet, ist es so gut wie verschwunden; die Getränkeabteilungen<br />

sind plötzlich mit Zwettler Bier gefüllt. In Vorarlberg findet man kaum<br />

Produkte der Wiener Ottakringer Brauerei, dafür ist etwa »Mohrenbräu«<br />

stark vertreten. Der Gedanke an mögliche Kartellabsprachen drängt sich<br />

nahezu auf ...<br />

Und: So abwegig scheint diese Vermutung nicht. Erst im Juni 2011<br />

führte die Bundeswettbewerbsbehörde Hausdurchsuchungen bei »Stiegl«<br />

und »Ottakringer« durch, die »Brau Union« trat als »Kronzeugin« auf.<br />

Der Vorwurf: Preis- und Belieferungsabsprachen der Brauereien gegenüber<br />

Großverbrauchermärkten. 2007 erst verhängte die EU-Kommission<br />

eine Strafe von knapp 274 Millionen Euro gegen ein weiteres Bierkartell<br />

in den Niederlanden. Die belgische Beck’s-Mutter »InBev« hatte im Verbund<br />

mit den niederländischen Braufirmen »Heineken«, »Bavaria« und<br />

»Grolsch« die Bierpreise künstlich hoch gehalten. Auch die Erinnerungen<br />

an das »Bierkartell«, das bis zum Jahr 2000 in Österreich den Markt<br />

unter sich aufteilte, sind noch lebendig.<br />

Die Lieferabsprachen in Österreich hätten allerdings »ausschließlich<br />

Qualitätshintergründe« gehabt, behauptet »Ottakringer«-Vorstandschef<br />

Sigi Menz. Der Vorarlberger, der auch Präsident des Brauereiverbandes<br />

ist, hält Absprachen hierzulande für gar nicht mehr notwendig:<br />

»Das ist wahrscheinlich eine regionale Zufallsthematik, weil der<br />

eine den einen Wirten und der andere den anderen Wirten besser<br />

kennt.« In einer derart stark regionalisierten Bierwirtschaft sei das<br />

147


anders kaum möglich. »Ottakringer« habe, so Menz, zwar versucht, in<br />

Vorarlberg Fuß zu fassen, das sei aber nicht geglückt. Die Konsumenten<br />

seien eben ihren regionalen Stammmarken treu. »Daraus ergibt<br />

sich, dass keiner ein Kartell braucht.«<br />

Auch Alfred Welledits aus dem »Salmbräu« glaubt daran, dass Konsumenten<br />

verstärkt zu ihrem angestammten Bier greifen. Er spricht<br />

sogar von »einer Schere zwischen den Bieren der großen Konzerne,<br />

die immer mehr in Richtung Einheitsgeschmack tendieren, und andererseits<br />

kleinen, regionalen Brauern«, die spezielle Biere brauen und<br />

ihre Stammkundschaft hätten. Für ihn gibt es auch noch ökologische<br />

Aspekte, die für regionale Wirtshausbiere sprechen, denn globale Konzerne<br />

transportieren ihr Gebräu oft tausende Kilometer weit. »Der<br />

ökologische Fußabdruck ist enorm, wenn man bedenkt, dass Bier zu<br />

weit mehr als 90 Prozent aus Wasser besteht.«<br />

Auch qualitativ ist der gelernte Brauer von den »Massenbieren nicht<br />

überzeugt«. Wenn man auf den Boden einer Bierdose blicke und dort<br />

ein Haltbarkeitsdatum entdeckt, das noch drei Jahre entfernt liege,<br />

»dann kann man sich nicht viel erwarten. Das Bier ist zu Tode pasteurisiert<br />

und zu Tode filtriert. Da bleibt nichts mehr übrig vom Bier.«<br />

Was viele Konsumenten überhaupt übersehen: Der Qualitätsabfall vom<br />

Flaschen- zum Dosenbier ist nochmals enorm: »Es geht noch weiter hinunter,<br />

tatsächlich.«<br />

Die Österreicher trinken übrigens am liebsten Märzen- und Lagerbier.<br />

Während Sport-Großereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft<br />

steigen übrigens die Umsätze der Brauereien um bis zu zehn Prozent.<br />

Spielen Mannschaften wie Deutschland oder Tschechien – klassische<br />

Biertrinkernationen, die auch sportlich reizvoll sind –, konstatiert<br />

Sigi Menz besonders volle Bierlieferwagen.<br />

Echte Anhänger des Hopfengetränks finden aber ohnehin immer einen<br />

Grund zum Anstoßen. Und frisch gezapft lässt sich’s noch immer am<br />

genussvollsten zuprosten.<br />

148


Die neue Frauenpower: »Schatzi,<br />

was machen wir mit dem Geld?«<br />

von Angelika Ahrens<br />

Immer mehr Frauen in Österreich sind berufstätig – sprich: sie<br />

verdienen ihr eigenes Geld. Aber wie sieht es beim Anlegen von<br />

Geld aus? Haben da die Männer oder die Frauen die bessere<br />

Nase? Fest steht der »kleine Unterschied«: Für Männer ist Geld<br />

oft ein Statussymbol, für Frauen ist es nur Mittel zum Zweck,<br />

meinen Experten.<br />

Frauen sind in der Anlage von Geld weniger kompetent als Männer –<br />

das ist das weit verbreitete Vorurteil. Kaum ein anderer Aspekt in<br />

Sachen Finanzanlage ist mit so viel Klischees und Vorurteilen besetzt<br />

wie das Thema Frauen und Geldanlage. Dabei interessieren sich Frauen<br />

immer intensiver mit der Frage: »Was tun mit dem Verdienten?« Und<br />

Studienergebnisse haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt,<br />

dass sich Frauen mit ihrer Herangehensweise an das heikle Problem<br />

keineswegs verstecken müssen.<br />

Oft fallen die Ergebnisse im langjährigen Vergleich unter dem Strich<br />

sogar besser aus als bei Männern. Beide Geschlechter denken zunächst<br />

einmal vollkommen unterschiedlich über Geld: »Männer identifizieren<br />

Geld mit Macht und Kontrolle. Für Frauen bedeutet Geld Sicherheit und<br />

Autonomie«, erklärt die US-Psychologin Kathleen Gurney. Und: Frauen<br />

gehen Finanzfragen einfach anders an. »Frauen holen sich Rat vom<br />

Profi, fragen ihre Bank oder bestimmte Mitglieder in der Familie«, wissen<br />

die Finanzexperten der Branche. »Nur ganz wenige Frauen nutzen<br />

das Internet oder die Medien.«<br />

Jede Frau entscheidet letztendlich am liebsten selbst, wie sie ihr<br />

Geld anlegt. Es muss in erster Linie sicher sein: So haben 65 Prozent<br />

der Frauen ein Sparbuch, 60 Prozent besitzen einen Bausparvertrag,<br />

46 Prozent eine Lebensversicherung. Risikoreiche Anlagen wie Aktien,<br />

Anleihen oder Investmentfonds besitzen gerade einmal 16 Prozent der<br />

weiblichen Bevölkerung. »Frauen haben ein größeres Risikobewusstsein<br />

als Männer. Wenn sie einmal Geld verdient haben, dann wollen sie<br />

149


»Schatzi, was machen wir mit dem Geld?«<br />

(Foto: Peter Atkins/Fotolia.com)<br />

es auch nicht mehr hergeben. Sie streben danach, es zu behalten. Und<br />

setzen deswegen weniger auf eher riskante Anlagemöglichkeiten«, berichten<br />

die Anlageexperten quer durch den Markt.<br />

»Für Männer ist Geld oft ein Statussymbol. Für Frauen ist es ein Mittel<br />

zum Zweck«, meint Renate Kewenig. Mitbegründerin von »FrauInvest«,<br />

einer Anlageberatung von Frauen für Frauen. Aber sind Frauen deswegen<br />

die besseren Anleger? »Frauen halten ihre Anlagestrategien länger<br />

durch. Und das ist sicher ein klarer Vorteil. Meist kommt am Ende<br />

ein positives Gesamtergebnis dabei heraus.« So hat die University of<br />

California erhoben und errechnet, dass die Rendite der von Frauen<br />

gemanagten Aktiendepots im Schnitt um 1,4 Prozent höher liegt als<br />

die der Männer. Die Gründe lagen zum Beispiel in der geringeren Zahl<br />

an Umschichtungen (also Käufen und Verkäufen) und an der größeren<br />

Sicher heitsorientierung.<br />

Zum Schluss noch ein paar Fakten: Im Schnitt legen Frauen <strong>25</strong>0 Euro<br />

pro Monat zur Seite. Das sind nur um 13 Euro weniger, als Männer monatlich<br />

ansparen. Immerhin: Frauen verdienen ja im Schnitt auch noch<br />

immer deutlich weniger als Männer. Und viele Frauen arbeiten gar nur<br />

Teilzeit. Und wer letztendlich die bessere Strategie und damit die bessere<br />

»Nase« haben wird – nun, frau ist sich da schon ziemlich sicher.<br />

150


»Die Voest« – vom Stahlkocher<br />

zum hippen High-Tech-Konzern<br />

von Sabina Riedl<br />

Österreichs Schwerindustrie ist trotz des schwierigen konjunkturellen<br />

Umfelds auf Erfolgs- und Expansionskurs. Mit Schienen<br />

für prestigeträchtige Hochgeschwindigkeitsstrecken und Spezialstählen<br />

für die Raumfahrt- und Flugzeugindustrie füllt etwa die<br />

Voestalpine AG auch in Krisenzeiten ihre Auftragsbücher – und<br />

mausert sich vom Stahlkocher zum High-Tech-Konzern.<br />

Dabei sind insgesamt die Aussichten für die europäische Stahlindustrie<br />

nicht gerade rosig. Hohe Überkapazitäten stehen einem stetig sinkenden<br />

Verbrauch gegenüber. Von den derzeit produzierten 210 Millionen<br />

Tonnen Rohstahl werden gerade einmal 145 Millionen verbraucht.<br />

Dadurch sind bis zu ein Viertel der Jobs der europäischen Stahlerzeuger<br />

bedroht – das wären immerhin 100.000 Arbeitsplätze. Um Angebot<br />

und Nachfrage wieder anzugleichen, müsste einiges an Überkapazität<br />

vom Markt genommen werden. Denn derzeit liegt die Auslastung der<br />

Stahlproduzenten bei nur 70 bis 75 Prozent.<br />

Und: Klar hat auch die Voestalpine AG diese Entwicklung zu spüren<br />

bekommen. Obwohl das Team um CEO Wolfgang Eder die richtigen<br />

Schwerpunkte gesetzt hat und wichtige Nischen auf dem Stahlmarkt<br />

erobern konnte. Dennoch gab es im ersten Halbjahr 2012 einen Rückgang<br />

des operativen Ergebnisses um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr<br />

zu vermelden. Immerhin blieb der Umsatz weitgehend stabil.<br />

Dennoch ist das Management nicht von seinen Expansionsvorhaben<br />

abgewichen. So wurde noch im November des alten Jahres mit dem<br />

Bau des neuen US-Werks der »Metal Forming Division« in Cartersville<br />

im Bundesstaat Georgia begonnen. Eine Investition von immerhin<br />

50 Millionen Euro. Im jüngsten US-Ableger der Voestalpine sollen<br />

künftig Automobil-Komponenten hergestellt werden.<br />

Stahl ist seit 3000 Jahren der Inbegriff von Macht, Kraft und Fortschritt<br />

– heiß begehrt bei Potentaten für Waffen und Rüstung, aber<br />

151


Das Weltmeister-Produkt: Langschienen aus Donawitz<br />

(Foto: Voestalpine)<br />

auch als Werkzeug für Gewerbe und Industrie. Stahl gilt auch als die<br />

Initialzündung für die Mobilität. Österreich hat eine lange Tradition<br />

in Metallgewinnung und -verarbeitung. Diesen Vorsprung haben wir<br />

bis heute gehalten. Die Voestalpine AG ist dabei mit 20.000 Beschäftigten<br />

nicht nur größter heimischer Arbeitgeber und Leitbetrieb, sondern<br />

auch Kulturträger, Lehrwerkstatt, Großfamilie und Innovationsmotor<br />

– und das schon seit Generationen.<br />

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Stahl kann man brechen, aber nicht<br />

biegen. Zumindest auf die Langschienen der Voestalpine trifft das<br />

nicht zu – wie Spaghetti winden sich die 120 Meter langen Ungetüme<br />

beim Transport, ehe sie im Sommer auf dem neuen Hauptbahnhof<br />

Wien verlegt wurden. Diese Schienen sind tatsächlich ein verfahrenstechnisches<br />

Meisterwerk: Sie halten mehr aus als andere – und nützen<br />

sich nicht so schnell ab. Das liegt am Verfahren, das nur die Voest beherrscht.<br />

Kopfgehärtet nennt man es – und nur am Standort Donawitz in der<br />

Obersteiermark können Schienen dieser Dimensionen gleichmäßig<br />

abgekühlt werden, was sie so widerstandfähig macht. Gebraucht werden<br />

sie überall, wo hohe Geschwindigkeiten gefahren werden und die<br />

Schienen großen Belastungen ausgesetzt sind – also in Bahnhöfen<br />

152


und anderen stark frequentieren Strecken. Mit diesem Produkt sind<br />

die Österreicher konkurrenzlos auf dem Weltmarkt.<br />

Das hat ihnen prestigeträchtige Aufträge wie die Hochgeschwindigkeits-Strecke<br />

Shanghai– Peking eingetragen und jüngst auch Moskau–<br />

St. Petersburg. Und wer solche Lieferungen quer über den Globus hinkriegt,<br />

scheut keine noch so große technische Herausforderung. Kein<br />

Auftrag in dieser Größenordnung ist alltäglich – obwohl es auch in<br />

dieser Liga absolute Top-Herausforderungen zu meistern gilt.<br />

Auf eine bauliche Meisterleistung dabei ist<br />

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder besonders<br />

stolz. »Beim Projekt Flughafen Hongkong beispielsweise<br />

waren wir die Einzigen, die sich<br />

getraut haben, die Hochgeschwindigkeits-Verbindung vom Flughafen<br />

in die Stadt zu bauen – über viele Brücken, in sehr schwierigem Gelände<br />

mit hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht.<br />

Sie müssen sich vorstellen, die Schienen auf einer Brücke verändern<br />

ihre Länge zwischen Tag und Nacht um rund einen Meter aufgrund<br />

des Temperaturunterschiedes. Das müssen Sie technisch in den Griff<br />

kriegen.«<br />

Temperaturunterschied<br />

von über einem Meter<br />

Auch die ÖBB, ein lang gedienter Partner der Voest, sind ein zufriedener<br />

Kunde. Für den neuen HBf Wien, der vor kurzem in Teilbetrieb<br />

ging, wurden 100 Kilometer Langschienen und 330 Spezialweichen im<br />

Wert von 60 Millionen Euro bestellt und verlegt. Was der Voestalpine<br />

den Auftrag gebracht hat, erklärt der technische Direktor der ÖBB,<br />

Bernhard Knoll: »Die Voestalpine kann Dinge, die andere nicht können.<br />

Zum Beispiel verschiedene Schienenprofilformen mit unterschiedlichsten<br />

Stahlgüten zu walzen ist eine große Herausforderung. Aber auch<br />

Weichen komplett vormontiert auf Weichentransportwagen just in<br />

time auf die Baustelle zu liefern, ist eine logistische Herausforderung,<br />

die nicht jeder meistert.«<br />

Spezialstähle sind übrigens die Zukunft. Sie müssen immer höheren<br />

Anforderungen entsprechen, auch immer leichter ist die Devise, denn<br />

je weniger Gewicht ein Werkstoff hat, desto geringer wird der Spritverbrauch<br />

von Autos und Flugzeugen, für deren Bau er verwendet wird.<br />

153


Auch eine Reduktion der Emissionen kann dadurch erreicht werden.<br />

Trotzdem muss ein Leichtstahl stabil, rostfrei, unverformbar und robust<br />

sein – also ein Alleskönner.<br />

Das war für die Voestalpine auch die Eintrittskarte ins »big business«<br />

der Raumfahrt- und Flugzeugindustrie. <strong>25</strong> Prozent der Triebwerke des<br />

neuen Airbus A-380 bestehen aus Voeststahl – und der ist so leicht,<br />

dass er offenbar Flügel verleiht. Aber auch in der Automobilindustrie<br />

punkten die Linzer mit ihren hochwertigen Stahlblechen. Das hat<br />

übrigens selbst die Arbeit im Werk verändert – die schmutzigen Jobs<br />

sind deutlich weniger geworden.<br />

Bei unserem Besuch im Walzwerk treffen wir übrigens Helmut<br />

Schypani, der seit 33 Jahren »im Betrieb« arbeitet, und seine Tochter<br />

Nina, die hier Maschinenbau lernt. Herr Schypani führt uns durch die<br />

riesige Halle, in der die Stahlbleche gewalzt und für den Transport auf<br />

Rollen gedreht werden. Heute, erzählt er uns, laufe »alles automatisch,<br />

die Arbeit hier war früher wesentlich lauter, dreckiger und gefährlicher«.<br />

Die beiden, Vater und Tochter, sind »Voestler«, wie sie im Buche<br />

stehen – stolz auf ihren Betrieb und dessen Familientradition. Die<br />

Schypanis stehen exemplarisch für alles, wofür die Voestalpine sonst<br />

noch steht – nicht nur dass sie ein weltweit agierender Stahlkonzern<br />

ist, ist sie auch Heimat, Identität und Großfamilie. Immerhin halten<br />

die Voestler 13 Prozent an ihrem Betrieb und sind damit zweitgrößter<br />

Kernaktionär – das schafft Loyalität und Verbundenheit über viele<br />

Generationen.<br />

Nina Schypani erzählt, dass sie schon als Kind mitbekommen habe,<br />

dass ihr Vater »schichtelt« (so heißt die Schichtarbeit im Arbeiterjargon).<br />

Am Beispiel des Vaters lernte sie früh, dass die Arbeit laut<br />

und schmutzig ist, aber das schreckte sie nicht ab. »Da mach’ ich lieber<br />

eine Arbeit, bei der ich dreckig werde, als dass ich im Büro sitz’,<br />

wo’s mir überhaupt nicht gefällt«, sagt die hübsche Blondine, die sich<br />

entgegen der ursprünglich geplanten Karriere als Friseurin für die<br />

Voest-Hack’n entschied und heute eines der wenigen Mädchen unter<br />

den Voest-Lehrlingen ist.<br />

154


Helmut Schypani hatte auch schon als Junger im Betrieb gelernt, auch<br />

sein Vater war Voestler gewesen. Seine 18-jährige Tochter verkörpert<br />

also die dritte Generation, die die Familientradition aufrecht hält.<br />

Das erfüllt ihn mit Stolz. »Man macht sich zwar als Vater Sorgen, wie<br />

wird’s weitergehen nach ihrer Ausbildung. Ich kenn‘ das Metier, wenn<br />

sie nachher im Betrieb draußen ist, gibt’s gefährliche Situationen, gerade<br />

bei der Maschinenbautechnik, wo du nicht nur im Büro sitzt oder<br />

in der Werkstätte. Auf der einen Seite ist das gut, man kommt zu Störungen<br />

und lernt das Werksgelände kennen. Aber man macht sich Sorgen<br />

als Vater, ist andererseits aber auch stolz auf die Tochter.«<br />

Während die Voestalpine in Linz ihr lokales<br />

Kolorit behalten hat, ist sie außerhalb Österreichs<br />

still und leise zum Weltkonzern aufgestiegen.<br />

Mehr als 46.000 Mitarbeiter weltweit,<br />

Stiller Aufstieg zum<br />

Weltkonzern<br />

360 Niederlassungen in 60 Ländern auf fünf Kontinenten – sie ist der<br />

drittgrößte börsenotierte Stahlproduzent Europas, wo sie 72 Prozent<br />

ihres Umsatzes von heuer elf Milliarden Euro macht.<br />

Die Nachteile der Globalisierung hat die Voestalpine wie alle Stahlkonzerne<br />

während der Wirtschaftskrise zu spüren bekommen. Auftragsrückgänge<br />

zwangen zu Mitarbeiterabbau und Kurzarbeit – eine bittere<br />

Erfahrung für Belegschaft und Management. Wolfgang Eder erinnert<br />

sich: »Wir hatten gerade von Herbst 2008 bis Herbst 2009 eine schwierige<br />

Phase, aber – wenn ich mich richtig erinnere – es gab überhaupt<br />

nur ein Quartal, in dem wir Verlust gemacht haben, selbst in dieser<br />

sehr schwierigen Situation. Wir haben die ganze übrige Zeit Gewinn<br />

gemacht, wir konnten, Gott sei Dank, den Abbau an Mitarbeitern in<br />

Grenzen halten und erfreulicherweise haben wir heute wieder den Mitarbeiterstand,<br />

den wir vor der Krise hatten.«<br />

Viel schlimmer, erinnert sich Eder, der seit 30 Jahren bei der Voestalpine<br />

ist, war die Krise der 1980er-Jahre. Damals ging es für »die alte<br />

Verstaatlichte« ums Überleben – Zerschlagen oder Neubeginn, das war<br />

die Frage. Dieselbe Frage war auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

gestellt worden, als die Voest in Schutt und Asche lag. Die Alliierten<br />

hatten die von den Nazis begründeten Hermann-Göring-Werke dem Erdboden<br />

gleich gemacht und die kriegswichtige Stahlindustrie pulverisiert.<br />

155


Zweimal in ihrer bewegten jüngeren Geschichte ist die Voestalpine<br />

wieder auferstanden – wie der Phönix aus der Asche. Und der Standort<br />

an der Donau ist heute kaum wieder zu erkennen: sauberes, grünes,<br />

parkartiges Gelände, getrimmter Rasen, kein schwarzer Qualm steigt<br />

mehr aus den Schloten der Hochöfen – der wahrscheinlich sauberste<br />

Stahlkocher der Welt. 194 Millionen Euro hat die Voestalpine allein<br />

voriges Jahr für die Einhaltung der strengen Umweltschutzauflagen in<br />

der EU bezahlt.<br />

Das macht eine Absiedelung der Hochöfen an eine EU-Außengrenze<br />

zwar immer wahrscheinlicher, doch das kann noch dauern – wie jede<br />

Weichenstellung in der Stahlbranche. »Das ist der große Unterschied<br />

zu anderen Industrien«, sinniert Wolfgang Eder, »wo die Halbwertszeiten<br />

bei ein, zwei Jahren liegen, das heißt, wo man mit vier- bis<br />

fünfjährigen Planungszeiträumen auskommt. Wir planen auf fünfzehn,<br />

zwanzig, dreißig Jahre, zumindest in einem erheblichen Teil unseres<br />

Portfolios. Das heißt, die Planung allein ist bei uns schon eine sehr<br />

große Herausforderung.«<br />

132 Millionen Euro übrigens hat die Voestalpine im vergangenen Jahr<br />

in die Forschung investiert, elf Prozent mehr als 2011 – ein Etat, von<br />

dem manche Universität nur träumen kann, aber notwendig, um sich<br />

auch künftig als Marktführer zu behaupten. Schließlich wurde auch<br />

der Grundstein für den Welterfolg mit den Schienen und Weichen<br />

schon vor 30 Jahren gelegt. Maschinen werden ausgeladen und für die<br />

Testfahrt vorbereitet.<br />

»Wir haben 50 freigestellte Betriebsräte mit mindestens<br />

weiteren 50 Mitarbeitern, die nichts anderes zu tun haben als<br />

ihre Daseinsberechtigung zu rechtfertigen.«<br />

»Post«-Chef Georg Pölzl scheint sein Unternehmen<br />

wirklich gut zu kennen.<br />

156


Der edle Stoff, das wunderbare<br />

Tuch – eine »Jungfrau« verwöhnt<br />

von Angelika Ahrens<br />

Der Prinz von Quatar, der König von Malaysia und Luciano<br />

Pavarotti – sie alle besuchten schon die »Schwäbische Jungfrau«<br />

am Graben im Ersten Bezirk in Wien. Auch Kaiser Franz I. und<br />

Kaiserin Sisy hatten ihre Servietten und Spitzenbettwäsche dort<br />

fertigen lassen. Das Traditionsunternehmen mit angeschlossener<br />

Näherei in der Bundeshauptstadt gibt es seit fast 300 Jahren<br />

»Bei uns gibt es fast alles – für ein Flugzeug, ein Schiff, ein kleines<br />

Haus oder auch für ein schlichtes Apartment: ländliche Motive auf<br />

handgewebtem Leinen. Oder, wenn Sie wollen, auch etwas für einen<br />

Palast. Wir helfen Ihnen gerne.« Die quirlige Frau Hanni breitet in<br />

Windeseile gestickte Tischdecken, Läufer und Geschirrtücher auf dem<br />

Verkaufstisch aus. Darunter auch eine Tischdecke mit Fasanen oder<br />

mit Gockelhahn und Hennen. »Wenn jemand ein Häuschen auf dem<br />

Semmering hat oder eine Fasanjagd besitzt – oder für sein Landhaus<br />

in Kitzbühel in Tirol beispielsweise«, meint die 74-Jährige augenzwinkernd.<br />

Die Mitarbeiterinnen der »Schwäbischen Jungfrau« fertigen in<br />

der angeschlossenen Näherei alles nach Maß, wenn es sein muss.<br />

Auch persönliche Taschentücher sind wieder in Mode – mit gesticktem<br />

Monogramm selbstverständlich. Darauf ist Frau Hanni besonders stolz.<br />

»Das ist zum Beispiel ein belgischer Stoff. Fühlen sie mal! Das ist sehr<br />

kostbar. Diese Taschentücher sind einfach ihr Geld wert. Vor allem<br />

Gäste aus Japan kaufen derzeit so etwas gerne ein. Man hat eben wieder<br />

a bisserl Kultur. Das ist doch sehr schön «, meint Frau Hanni.<br />

Und so ein »persönliches Taschentuch« kann auch schon einmal an<br />

die 42 Euro kosten. Das ist viel Geld. Immerhin: Es gibt auch noch<br />

edle Stofftaschentücher für etwas weniger. Das Unternehmen versucht<br />

allen Kunden und jedem Börsel etwas zu bieten.<br />

Frau Hanni Vanicek kennt ihre Kundschaft bestens. Seit 52 Jahren<br />

führt sie den Wäscheausstatter »Zur schwäbischen Jungfrau«. Viele<br />

157


tatsächliche und auch manche nur vermeintliche Prominente »sind<br />

schon da gewesen«, am Graben im Ersten Wiener Gemeindebezirk. Von<br />

den Rockefellers aus den USA über Karl Merkatz und Luciano Pavarotti<br />

bis hin zu Udo Jürgens. Auch viele Königshäuser hat der Betrieb ausgestattet.<br />

Alles ist mit Fotos und Autogrammen in zahlreichen Fotoalben<br />

festgehalten.<br />

»Wir haben kürzlich einen ganzen Palast in Malaysia ausgestattet. Da<br />

haben wir Tisch- und Bettwäsche für 900 Personen gefertigt. Der König<br />

war dann selbst einmal in Wien, er war sogar bei uns im Geschäft«,<br />

erzählt Frau Hanni stolz.<br />

Klar: Wirtschaftskrise und Co sind auch in der »Schwäbischen Jungfrau«<br />

zu spüren. Doch Frau Hanni macht noch immer ein gutes Geschäft:<br />

»Ich glaube, in den letzten Jahres ist vieles anders geworden.<br />

Wir sind aber Gott sei Dank zu bekannt. In unserer Branche gibt es<br />

nur wenige, die ein ähnliches Sortiment anbieten. So können wir in<br />

die ganze Welt liefern. Ich wundere mich oft, dass die Kunden sogar<br />

aus Mexiko zu uns kommen. Viele entdecken uns auch im Internet. Das<br />

Bürgertum hat immer Qualität gekauft. Es gibt nur wenige Firmen, die<br />

maßfertigen, sticken und ganze Häuser einrichten.<br />

Freilich: Harte Zeiten hat auch Frau Hanni erlebt. 1968 ist ihr Geschäft<br />

ausgebrannt; mitten in der Nacht ist die »Schwäbische Jungfrau« in<br />

Flammen aufgegangen. Einzig die wertvollen großen Jungfrauen-<br />

Gemälde von Leopold Kuppelwieser und Johann Nepomuk Maier konnten<br />

damals gerettet werden. Sie hängen auch heute noch im Geschäft.<br />

Ein Jungfrauen-Bild verziert auch außen das Geschäft. Und die gemalte<br />

Jungfrau aus längst vergangener Zeit ist es auch, die die Kunden<br />

ins Geschäft lockt. Oft nur, um ein Leintuch für die Kinder zu kaufen,<br />

das 40 Euro kostet. Wie eine serbische Touristin, die während unseres<br />

Besuches in das Geschäft schneit. Sie weiß zwar nicht genau, was, aber<br />

»irgendetwas« habe sie »hineingezogen in den kleinen Laden«. Dann<br />

erkundete sie die Qualität – und musste einfach etwas kaufen. Frau<br />

Hanni lächelt und begleitet die Kundin noch zur Tür. Mit dem Stil und<br />

dem Charme der alten Schule: »Serbien, so ein schönes Land – beehren<br />

Sie uns bald wieder.«<br />

158


Erfolg auf zwei Rädern –<br />

KTM auf Weltmeister-Kurs<br />

von Sabina Riedl<br />

KTM – der Erfolg trägt Orange. Nach einer krisenbedingten<br />

Katharsis geht es für einen heimischen Traditionsbetrieb wieder<br />

steil bergauf. Erstmals konnten die Mattighofener im vergangenen<br />

Jahr in nur sechs Monaten mehr als 50.000 Motorräder<br />

absetzen. Damit befand sich ein österreichisches Unternehmen<br />

auf weltmeisterlichem Kurs.<br />

Allein im ersten Halbjahr 2012 erzielte KTM mit weltweit 50.233 verkauften<br />

Motorrädern einen Rekordabsatz – und steigerte sich gegenüber<br />

dem Vorjahr um 36 Prozent. Die angepeilten 100.000 Stück, das<br />

ist die Marke, die es wieder zu erreichen gilt, waren in greifbare Nähe<br />

gerückt und würden an die Stückzahlen, die vor der Krise verkauft<br />

wurden, anschließen. Eine psychologisch wichtige Marke.<br />

Mit diesem erhöhten Drehmoment bei den Absatzzahlen hat KTM auch<br />

bei den Marktanteilen enorm aufgeholt und liegt jetzt trotz eines<br />

weiter rückläufigen Motorradmarktes in Europa (minus zwölf Prozent<br />

waren es im vergangenen Jahr) bei einem Plus von sieben Prozent.<br />

Das war angesichts des wirtschaftlich steinigen Umfelds sensationell.<br />

Auf dem US-Markt, der noch mehr gelitten hatte als der europäische,<br />

konnten die Mattighofener immerhin 0,5 Prozent aufholen – sie liegen<br />

dort bei einem Marktanteil von 4,5 Prozent.<br />

Diese starke Entwicklung verdankte KTM vor allem zwei neuen<br />

Modellen: der schweren Straßenmaschine »Duke 690« und dem »Offroad<br />

Bike Freeride 350«.<br />

Von den Fahreigenschaften der Letzteren durften wir uns auf der KTM-<br />

Teststrecke in Stegenwald bei Salzburg selbst ein Bild machen. Das<br />

Gelände liegt unweit von Werfenweng, umgeben von einem atemberaubenden<br />

Bergpanorama. Im Morgengrauen kommen zwei Kleinbusse mit<br />

zwei Technikern und fünf Fahrern. Zehn funkelnagelneue Maschinen<br />

werden ausgeladen und für die Testfahrt vorbereitet.<br />

159


Weltmeister KTM: Ingenieure aus Österreich, Kapital aus Indien<br />

(Foto: KTM)<br />

Was dann passiert, treibt selbst einem Zuseher das Adrenalin bis in<br />

die Haarwurzeln. Mit Vollgas geht’s bergauf und bergab, in halsbrecherische<br />

Kurven, über Stock und Stein. Die Fahrt auf der Teststrecke ist<br />

symbolisch für den wilden Ritt, den der Innviertler Motorradhersteller<br />

in den letzten Jahren hingelegt hat: Getöse, Steinschlag, Schleudern,<br />

Aufholen, Gas geben, Abheben inklusive.<br />

Was die Testfahrer dort aus den Maschinen rausholen, erinnert eher<br />

an Filmstunts denn an ein Fahren mit einem Motorrad. Sprünge über<br />

Schanzen bis zu fünf, sechs Meter hoch machen sie nicht aus purem<br />

Übermut, sondern von Berufs wegen. Die neuen Modelle müssen auf<br />

Herz und Nieren geprüft werden und werden deshalb bis auf ihre<br />

maximale Belastbarkeit hin ausgereizt. Nur so lassen sich die Fahreigenschaften<br />

über die Entwicklungsabteilung nochmals verbessern.<br />

Der jüngste Coup aus der KTM-Entwicklungsabteilung ist der elektrische<br />

Offroader »Freeride E«. Mit einem Drehmoment von 70 Newtonmeter<br />

ist er genauso leistungsstark wie ein 1<strong>25</strong>-ccm-Verbrennungsmotor<br />

– nur eben emissionsfrei und lautlos, sozusagen die »grüne<br />

Zukunft« im Gelände. Verwirrend anzusehen, weil die Maschine neben<br />

den Zuschauern einen Kavalierstart hinlegt – umherfliegende Steine,<br />

aber kein blauer Dunst, kein ohrenbetäubendes Geknatter.<br />

160


Die Produktion ist nach wie vor am ursprünglichen Standort im oberösterreichischen<br />

Mattighofen beheimatet; und wäre dort gar nicht<br />

mehr wegzudenken. Mattighofen ist praktisch KTM – jeder zweite Einwohner<br />

ist beim Zweiradhersteller beschäftigt. Neu ist nur der strategische<br />

Partner: Bajaj, der zweitgrößte indische Motorradhersteller, den<br />

KTM-Chef Stefan Pierer an Bord geholt hat.<br />

Pierer selbst leitet die Geschicke von KTM seit 20 Jahren und hat das<br />

Handwerk, das hier so groß geschrieben wird, von der Pieke auf gelernt.<br />

»Ich bin gelernter Maschinenbauer«, erzählt der Chef, während<br />

wir die Produktionsstraße, in der die Motorräder händisch zusammengebaut<br />

werden, abschreiten. »Ich habe zumindest die Fähigkeit, das<br />

zusammenzuschrauben, was wir hier sehen.«<br />

Der indische Motorradriese, übrigens der viertgrößte<br />

der Welt, hat zwar 47 Prozent von KTM<br />

übernommen, das Sagen haben aber nach wie<br />

vor die Mattighofener. Stefan Pierer hat damit<br />

nicht nur 180 Millionen Euro Kapital ins Unternehmen geholt, sondern<br />

vermutlich auch die Eintrittskarte für das ganz große Geschäft auf dem<br />

Zweiradsektor gelöst.<br />

Indien ante portas:<br />

180 frische Millionen<br />

»Indien ist der weltgrößte Motorradmarkt – nur damit Sie eine Vorstellung<br />

haben: Zwölf Millionen Stück Motorräder im Jahr werden dort<br />

verkauft, also eine Million pro Monat«, erklärt Stefan Pierer. »Natürlich<br />

sind die Motorräder nicht vergleichbar mit diesen hier; das sind<br />

einfache, luftgekühlte Zweiräder mit kleinen Hubräumen, aber der<br />

Wohlstand in Indien wächst. Ich sag’ einmal: In zehn, fünfzehn Jahren<br />

kann sich eine Mittelschicht auch unsere Motorräder leisten.«<br />

Derzeit werden die in Indien produzierten »Duke 200« noch zu Hause<br />

in Oberösterreich kontrolliert – auf dem Subkontinent wird zwar zum<br />

halben Preis gefertigt, doch das bedarf umso strengerer Qualitätskontrollen.<br />

Übrigens: Welche Maschinen aus Indien kommen, erkennt<br />

sogar der Laie – am Geruch. Das feine Curryaroma in der Werkshalle<br />

kommt nicht etwa aus der werkseigenen Kantine, sondern haftet an<br />

der Verpackung der indischen »Duke 200« – ein Hauch Exotik in<br />

Mattighofen.<br />

161


Das hat zweifellos Charme, bedeutet aber auch eine Gratwanderung<br />

zwischen den günstigen Fertigungsbedingungen des neuen Partners<br />

und der peniblen Einhaltung der gewohnt gediegenen technischen<br />

Standards bei KTM. Wie man diesen gerecht wird, wollen wir wissen:<br />

»Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist wesentlich besser«, sagt Stefan<br />

Pierer. »Wir haben in Indien Mitarbeiter, die die Fertigung auch vor<br />

Ort kontrollieren.«<br />

Die gewaltige Absatzsteigerung um mehr als 36 Prozent geht jedenfalls<br />

mehrheitlich auf das Konto des neuen indischen Partners. Und<br />

auch die Hoffnung auf zusätzliches Wachstum gründet sich auf den<br />

Zweirad-Giganten Bajaj.<br />

Den Grundstein für den allerersten Höhenflug von KTM legten zwei<br />

Pioniere in den Vierzigerjahren des vorigen Jahrunderts: Die Gründerväter<br />

Ernst Kronreif und Hans Trunkenpolz. Das Kürzel KTM steht für<br />

»Kronreif, Trunkenpolz, Mattighofen« und ist seither untrennbar mit<br />

der kleinen Gemeinde im Innviertel verbunden. Hier gingen 1954 die<br />

ersten Kult roller, die Motorräder von der Siegerstraße – die Chrom gewordenen<br />

Bubenträume, in Serie gefertigt.<br />

Auch Stefan Pierer gerät ins Schwärmen,<br />

wenn er an seine erste KTM denkt: »Eine KTM<br />

war mein allererstes Moped. Das war Anfang<br />

der Siebzigerjahre. Wenn man auf dem Land<br />

aufwächst, dann ist ein Moped oder ein motorisiertes Zweirad die Teilnahmekarte<br />

am sozialen Leben. Jedenfalls: Meine erste KTM habe ich<br />

mir mit eigener Ferienarbeit, genauer gesagt mit Schwammerlsuchen,<br />

verdient.«<br />

Das Moped als<br />

Eintrittskarte<br />

Nach den goldenen 1970er-Jahren folgten schwere Schicksalsjahre in<br />

Mattighofen. Das Management setzte mit der Fahrradproduktion aufs<br />

falsche Pferd. Der Absatz brach ein und führte, trotz oder wegen des<br />

Sanierers Josef Taus, in eine historische Pleite – ein Los, das auch die<br />

steirische Traditionsmarke »Puch« ereilte.<br />

»Wie bei allen Dingen«, sinniert Pierer, »kann eine große Krise auch<br />

immer eine riesige Chance zur Veränderung sein. KTM hatte 1991 die<br />

162


KTM »Offroad«: In diesem Segment nahezu unschlagbar<br />

(Foto: KTM/R. Schedl)<br />

größte Pleite abgeliefert in Österreich und wir hatten damals die Möglichkeit<br />

und die Chance, die Marke und alles, was mit den Motorrädern<br />

zusammenhing, also Maschinenteile und Mitarbeiter, zu übernehmen.<br />

Wir haben am 7. Jänner 1992 begonnen, damals mit 160 Mitarbeitern,<br />

klein und sehr motiviert; und wir haben daraus in den letzten zwanzig<br />

Jahren die Nummer zwei in Europa und, beim Geländemotorrad,<br />

die Nummer eins auf der Welt gemacht. Wir sind jetzt mittlerweile<br />

knapp 1800 Mitarbeiter. Das ist insgesamt eine sehr schöne, sehr motivierende<br />

Geschichte.«<br />

Immer »vorne mitzufahren« ist auch Teil der Firmenphilosophie und<br />

des wirtschaftlichen Erfolgs. Der KTM-Pilot Ken Roczen etwa findet<br />

sich beim Supercross regelmäßig auf den ersten Plätzen; und der<br />

Sizilianer Tonio Cairoli, der früher Yamaha fuhr, hat mit seiner KTM<br />

zuletzt bereits zum zweiten Mal hintereinander den Motocross-Weltmeistertitel<br />

geholt.<br />

Der Slogan »Ready to Race«, die Farbe Orange, das Design, die Renntage,<br />

die KTM-Mitarbeiter und die treue Fangemeinde, die sich regelmäßig<br />

zu den Wettbewerben trifft – all das hat eine starke Marke entstehen<br />

lassen. Motorsportbegeisterte identifizieren sich damit wie mit<br />

ihrem Lieblingsclub. Die Fanartikel, die Kappen, Jacken, Stiefel, alle<br />

163


im KTM-Design, sind mittlerweile »der« Renner – und eine tragende<br />

Säule bei den Einnahmen. »Wir machen ungefähr 20 Prozent unseres<br />

Umsatzes in diesem Produktbereich«, erklärt Stefan Pierer. »Das ist<br />

ein Ausdruck unserer Markenstärke.«<br />

Die Wirtschaftskrise 2008 hatte allerdings auch vor den Mattighofenern<br />

nicht halt gemacht. Der Welt-Motorradmarkt halbierte sich innerhalb<br />

kürzester Zeit – die gesamte Branche geriet ins Schleudern.<br />

Stefan Pierer erlebte die schwärzeste Zeit in seinen zwanzig Jahren<br />

bei KTM. »Dass etwas heraufzieht, haben wir gespürt«, sagt er und<br />

wird auf einmal sehr nachdenklich. »Aber das Ausmaß des Absturzes<br />

war völlig unerwartet. Im Nachhinein muss ich sagen, alles, was einen<br />

nicht umbringt, macht einen wesentlich stärker. Aber insgesamt war<br />

das eine ganz schwierige und harte Erfahrung. Ich habe viel gelernt,<br />

ich muss auch sagen, ich habe viel gelitten darunter, weil Sie letztlich<br />

Mitarbeiter abbauen müssen. Das war eine schwere Zeit. Aber auch<br />

diese Erfahrung hat schlussendlich zu dem Erfolg geführt, den wir<br />

jetzt haben.«<br />

»Damals« mussten über 400 Mitarbeiter abgebaut<br />

werden – immerhin fast 20 Prozent<br />

der Belegschaft. Ein schwerer Gang für den<br />

leidenschaftlichen KTMler Stefan Pierer: »Das<br />

tut weh«, erinnert er sich an die dramatischen Ereignisse. »Wissen Sie,<br />

wenn Sie 15 Jahre Mitarbeiter aufbauen und dann müssen Sie hintreten<br />

und sagen, wir müssen kehrt machen ... Und keiner weiß, wie tief<br />

der Abgrund hinuntergeht. Das war eine Zeit, in der Fahren auf Sicht<br />

nicht möglich war. Alle bewegten sich nur im Nebel.«<br />

»Fahren auf Sicht«<br />

war unmöglich<br />

Seit vorigem Jahr geht es, wie gesagt, wieder steil bergauf. Der Mitarbeiterstand<br />

ist beinahe dort, wo er vor der Krise lag, ebenso die Absatzzahlen.<br />

Nicht schlecht für einen kleinen Player aus einem noch<br />

kleineren europäischen Land, der es mit asiatischen Giganten wie<br />

Honda und Yamaha aufnehmen muss. Die sind zwar auf der Straße<br />

unschlagbar – aber im Gelände, da haben die Innviertler noch jeden<br />

Konkurrenten abgehängt.<br />

164


Goldenes Handwerk: Maßschuhe<br />

aus Frauenhand für »Jedermann«<br />

von Angelika Ahrens<br />

Wer lernt heute noch ein altes Handwerk? Wer lässt sich nach<br />

der Matura zum Meister ausbilden? Das machen in der Tat nur<br />

wenige. Doris Pfaffenlehner ist so eine Ausnahme. Im letzten<br />

Festspielsommer war sie erstmals die Chefin der Schuhmacher-<br />

Werkstatt der Salzburger Festspiele. Wir haben sie besucht.<br />

»Bei den Knopfstiefeletten mit den Barockabsätzen geht es um den<br />

Fersenschwung«, erklärt uns Doris Pfaffenlehner. »Der soll während<br />

der Vorführung schön ausgeprägt sein.« Burschikos ist sie, die Leiterin<br />

der Schuhmacher-Werkstatt der Festspiele. Sie hat ihren Arbeitsplatz<br />

nur einen Steinwurf von der berühmten Pferdeschwemme entfernt.<br />

Ein blaues Haarband hält ihre kurzen dunklen Haare aus dem Gesicht.<br />

Jetzt wird Maß genommen. Sie stellt gerade einen Holzleisten her, also<br />

eine Art Rohling. Der soll das Maß für den späteren Barock stiefel ergeben.<br />

Um sie herum wird gehämmert. Sohlen werden mühsam mit<br />

Glasscherben aufgeraut. Manchmal legt die Leiterin der Schuh macher-<br />

Werkstatt ihre blaue lange Schürze zur Seite und eilt zu den Stars, um<br />

persönlich Maß zu nehmen.<br />

Bei Anna Netrebko zum Beispiel. Für »die Netrebko« hat sie rote Lackschuhe<br />

gemacht, die die Diva als Violetta bei »La Traviatta« auf der<br />

Bühne getragen hat. Für Peter Simonischek waren es »Jedermann«-<br />

Schuhe. Bei den Barockstiefeln jetzt misst sie den Leisten mit einem<br />

Maßband ab. Zeichnet Entwürfe für den Schuh, wie eine Schneiderin<br />

es für ein Kleid machen würde. Als Vorlage dienen alte Zeichnungen,<br />

Muster aus dem Archiv, die schon so vergilbt und mitgenommen sind,<br />

dass sie fast schon auseinander fallen. Vorsichtig fährt sie noch einmal<br />

mit den Fingern über den Leisten.<br />

Sie fühlt den Schwung des Holzabsatzes, kontrolliert, ob der Papierentwurf<br />

passt. Dann schneidet sie den Stoff zu und setzt sich zur Nähmaschine.<br />

»Jeder Schuhmacher hat seine eigene Art zu zeichnen, man<br />

165


Salzburg, Dom: Maßschuhe für »Jedermann«<br />

(Foto: Stadtgemeinde Salzburg)<br />

kann das auch mit Formeln machen. Ich habe eine freiere Art. Hab’<br />

mir von überall was abgeschaut und mache das jetzt auf meine eigene<br />

Art und Weise.« Das Rattern der Nähmaschine lässt sie verstummen.<br />

Pro Festspielsaison fertigt eine Handvoll Schuhmacher aus Deutschland<br />

und Österreich bis zu <strong>25</strong> Paar Schuhe für die Festspielstars. Alles<br />

per Hand. Das ist nicht wenig. Denn für ein Paar Herrenschuhe braucht<br />

man locker bis zu 40 Arbeitsstunden. Dazu kommen Eilaufträge. Und<br />

das alles wenige Wochen vor Festspielbeginn. Hier ist alles last minute.<br />

Auch die Kostümbildner kommen erst kurz zuvor zur Besprechung.<br />

Die heute 29-jährige Niederösterreicherin ist seit Jahren dabei. Doch<br />

2012 hat die junge Schuhmacher-Meisterin erstmals auch die Leitung<br />

der Festspielwerkstatt übernommen. »Wir fertigen nur Schuhe, die<br />

man sonst nicht kaufen kann. Wie die blauen Knopfstiefeletten mit<br />

Barockabsätzen für das Stück ›Die Soldaten‹«, erklärt uns Doris Pfaffenlehner.<br />

Superman-Stiefel für »La Boheme«. Oder weiße und bunte<br />

Schuhe für »Ariadne auf Naxos«. Alles ist aus dem feinsten Material.<br />

Aus feinster Seide. Oder edlem Leder.<br />

Die junge Schuhmacher-Meisterin lässt vorsichtig die Nadel der Nähmaschine<br />

über den Stoff gleiten. Stich für Stich. »Man muss aufpassen,<br />

166


dass man sich nicht in die Finger näht. Wichtig ist auch, dass die Naht<br />

g’rad’ ist. Jeder Stich hinterlässt ein Loch im Leder. Wenn man daneben<br />

näht, muss man meist neu anfangen.«<br />

Die Barockstiefel haben viele kleine Knöpfe. Zu viele: »Ich nehme an, die<br />

haben damals Ankleiderinnen gehabt, die ihnen auch die Schuhe, die<br />

Stiefel zugemacht haben. Weil das Zumachen von den ganzen Knöpfen<br />

ist echt viel Arbeit. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum es solche<br />

Stiefel heute nicht mehr zu kaufen gibt«, sinniert Doris Pfaffenlehner.<br />

Plötzlich geht die Werkstatttür auf – eine Dame schiebt sich mit großen<br />

Säcken, die auf dem Boden schleifen, herein. »Ein Eilauftrag«,<br />

stößt sie schnaufend hervor und zeigt den Schuhmachern eine handgeschriebene<br />

Liste. »Die Größen hier sind dringend. Die sind für die<br />

›Prinzen von Homburg‹. Alle Stiefel brauchen eine Gummisohle auf der<br />

Bühne. Denn da spritzt Wasser bei der Aufführung. Es sind 13 bis 14<br />

Paar. Die sollten bis morgen früh fertig sein.« Die Schuhmacher schlucken,<br />

lächeln. Wird sich schon irgendwie ausgehen. Bis morgen.<br />

Andere Schuhe brauchen dringend eine Flüstersohle, damit sich die<br />

Schauspieler auf der Bühne so leise wie möglich bewegen können. Hier<br />

in Salzburg wird beinahe alles ermöglicht. Fast eine kleine Zauberwerkstatt.<br />

Das übrige Jahr über ist Schuhmacher-Meisterin Doris Pfaffenlehner<br />

ebenso gefragt. In ihrer Werkstatt in einem historischen Gebäude, in<br />

einem alten Bahnhof. In der Nähe von Mariazell. Genauer gesagt in<br />

Kernhof; auch da fertigt sie Maßschuhe statt Masse. Das Unternehmen<br />

liegt ein bisserl außerhalb der Welt. Mitten in einem Wandergebiet.<br />

Beim Wandern hatte sie auch den leerstehenden alten Bahnhof mit<br />

dem schönen Wartesaal entdeckt; dann mit ihrem Freund gemeinsam<br />

gekauft und in mühevoller Kleinarbeit saniert. Sie hat sich dort kurzerhand<br />

selbstständig gemacht – mitten in der Wirtschaftskrise ein<br />

Geschäft aufgesperrt. Für sie hat es funktioniert.<br />

Dabei war es ganz nützlich, dass viele Industrielle und Kaufleute aus<br />

Wien rund ums Mariazellerland einen Zweitwohnsitz, oft auch eine<br />

167


Jagd haben. Dieser kaufkräftige und qualitätsbewusste Kundenkreis<br />

hat sie untereinander weiterempfohlen.<br />

Doris Pfaffenlehner ist eines von vier Kindern einer Bauernfamilie<br />

aus dem Melktal. Die Arbeit mit den Händen hat ihr immer schon viel<br />

Freude bereitet. Nach der Mittelschule hatte sie zunächst die Höhere<br />

Lehranstalt für künstlerische Gestaltung besucht und damit mit Holz,<br />

Keramik oder Metall gearbeitet. Bis sie entdeckte, was sie wirklich<br />

will – die Schuhmacherei. »Ich hab’ zwar immer gern Schuhe gekauft.<br />

Aber ich hatte, bevor ich zufällig beim k. u. k. Hofschuhmacher Scheer<br />

im Ersten Wiener Gemeindebezirk vorbeigegangen bin, nie darüber<br />

nachgedacht, dass ich sie auch selbst herstellen könnte.«<br />

Die junge Frau hat sich darauf hin bei Wiens erster Adresse für Maßschuhe<br />

beworben. Und wird – abgelehnt. Kein Platz für sie. Ein halbes<br />

Jahr später probiert sie es noch einmal beim Scheer. Diesmal nimmt er<br />

sie. Sie stellt sich derart geschickt an, dass sie nach kaum mehr als<br />

eineinhalb Jahren auf Rat ihres Lehrmeisters zur Abschlussprüfung<br />

antritt. Die schafft sie mit Bravour.<br />

Und dann – Venedig. Dort lernt sie weiter.<br />

Die junge Frau ist nicht nur ehrgeizig, sondern<br />

auch beharrlich. Mittlerweile ist sie bereits<br />

bekannt. Und: ein halbes Jahr im Voraus<br />

ausgebucht. Die Preise für ihre Schuhe sind kein Klacks: Herrenschuhe<br />

kosten 1100 Euro und mehr. Damenschuhe gibt es auch erst ab 700<br />

Euro. Alles Einzelstücke. Alles aus Leder. Kein Wunder, arbeitet die<br />

junge Mutter doch eine ganze Woche an einem einzigen Paar Schuhe.<br />

»Es ist ein seltener Beruf geworden«, meint Doris Pfaffenlehner nachdenklich.<br />

»Und es ist nicht die bestbezahlte Arbeit der Welt. Aber ich<br />

finde, es ist wichtig, dass es eine schöne Arbeit ist.«<br />

Kein Klacks: Ein Schuh<br />

um 1100 Euro<br />

Das Wichtigste ist übrigens bei einem Lederschuh, dass er innen und<br />

außen aus Leder ist. Nur so ist er atmungsaktiv, erklärt sie abschließend<br />

noch. Zweigstellen à la Wien–Mailand wird es wohl nicht geben,<br />

meint sie. Aber: Einen Lehrling will sie haben, die Schuhmacher-Meisterin.<br />

Dem sie ein Handwerk beizeiten weitergeben kann.<br />

168


Wirtschaftsfaktor Jagd – nur<br />

leider »ist der Ruf im Arsch«<br />

von Philipp Jauernik<br />

Der Wald. Morgengrauen. Ein paar Vögel zwitschern. Mitten<br />

in dieses Idyll hinein bricht ein Schuss aus der Büchse eines<br />

Jägers ... Viel gescholten sind sie, die in Grüntöne gekleidet<br />

auf Hochständen sitzen, geduckt durch den Wald pirschen und,<br />

so will es das aktuelle Image, durch gegenseitige Einladungen<br />

» einander gewogen machen« wollen: Das letzte Jahr war für Jäger<br />

ein echtes Seuchenjahr. Rund um »Graf Ali« (Mensdorff-Pouilly)<br />

gingen alle etwaigen vorhandenen Sympathiepunkte verloren.<br />

Selbst erklärte der burgenländische Landwirt in einem Interview:<br />

»Der Ruf ist eh im Arsch.«<br />

Tatsächlich war es nicht gerade förderlich, dass in den vergangenen<br />

Monaten Jagdeinladungen in Verbindung mit vermuteten Korruptionsgeschäften<br />

ans Tageslicht kamen. Telekom, Eurofighter und viele<br />

andere Affären sollen unter dubiosen Umständen ausgerechnet auf<br />

Österreichs Hochständen buchstäblich in Schuss gekommen sein. Die<br />

Beliebtheitswerte der heimischen Weidmänner sanken bodenlos in<br />

den Keller. Nicht nur »Bambimörder«, nein, auch noch »korrupte Verbrecher«<br />

seien sie, sprach der Volksmund.<br />

Das will Peter Lebersorger nicht auf sich sitzen lassen. Der Jurist ist<br />

Generalsekretär der österreichischen Landesjagdverbände und damit<br />

oberster Vertreter der heimischen Jägerschaft. Natürlich, meint er,<br />

gebe es auch in der Jägerschaft »schwarze Schafe«, die »das Weidwerk<br />

für ihre Zwecke missbrauchen«. Dadurch sei aber doch nicht die Jagd<br />

an sich etwas Schlechtes – oder würden etwa »Jachten an sich verteufelt,<br />

nur weil ein Finanzminister sich einst einen Urlaub auf einer solchen<br />

von einem befreundeten Banker schenken ließ«?<br />

Aufgabe des Jägers, erläutert Lebersorger, seien Hege und Pflege von<br />

Wald und Wild. Die Jägerschaft sei damit verantwortlich für eine<br />

intakte und auch für das Auge erfreuliche und blühende Landschaft<br />

voller gesunder Wildtiere. Davon profitieren Wirtschaftszweige wie der<br />

169


Tourismus, das Gastgewerbe oder die Hotellerie. »Manche bezeichnen<br />

das als Umwegrentabilität.«<br />

Ins selbe Horn stößt auch Fritz Wolf, Waldpädagoge und Forstwart in<br />

Niederösterreich. »Für jeden Schaden, den das Wild an Wald und Natur<br />

hinterlässt, ist der Jäger verantwortlich.« Das betrifft auch finanzielle<br />

Fragen: Von Rehen geschälte Baumstämme sterben, von Wildschweinen<br />

zerwühlte Felder werfen keine Ernten ab. Die Schadensummen klettern<br />

dann schnell in schwindelnde Höhen, vom ökologischen Schaden ganz<br />

zu schweigen.<br />

»Es ist also keineswegs so, dass wir Jäger,<br />

wie man uns mitunter beschuldigt, im Wald<br />

schießwütig werden und wild drauflos ballern«,<br />

weist Wolf die Vorwürfe der Jagdgegner zurück.<br />

Vielmehr muss sehr genau beachtet werden, wann worauf geschossen<br />

wird. Und selbst unter den zum Abschuss freigegebenen Tieren gibt es<br />

Einschränkungen. Das Erlegen eines kapitalen Tieres erfordert genaue<br />

Kenntnisse der sozialen Struktur im Rudel: »Wir Jäger müssen sehr<br />

genau auf die Balance im Wald achten. So darf aus einer Rotte Wildschweine<br />

niemals die Leitbache geschossen werden, da geht es auch um<br />

den sozialen Frieden unter den Tieren.«<br />

Jäger achten auf<br />

die Balance<br />

Keine Freude hat Wolf mit dem Klischee, Jäger würden nur alte und<br />

kranke Tiere schießen, denn »das ist Schwachsinn«. »Wir sind nur<br />

dann gute Jäger, wenn wir einen gesunden Wildbestand haben.« Das<br />

Wildbret muss schließlich verkauft werden. Kein Wirt möchte seinen –<br />

zahlenden – Gästen krankes Wildbret vorsetzen.<br />

Die Forderung vieler Jagdgegner, doch die Natur sich selbst zu überlassen,<br />

damit die Tiere eines natürlichen Todes sterben und sich der Bestand<br />

selbst regelt, kostet Wolf nur ein müdes Lächeln. Dazu bedürfe<br />

es, erklärt er, einer von Menschen unberührten Wildnis. Die sei aber<br />

in Österreich nicht mehr gegeben. Ganz im Gegenteil: Betrachtet man<br />

Österreich und ganz Mitteleuropa einmal aus der Vogelper spektive,<br />

sieht man Häuser, Wiesen, Felder, dazwischen auch Bäume. Eine Kulturlandschaft,<br />

die mit unberührter Wildnis und unendlicher Bewaldung<br />

»nicht mehr viel zu tun hat«.<br />

170


Tatsächlich: Rund 98 Prozent der Bundesfläche werden »jagdlich bewirtschaftet«,<br />

also bejagt. Und das ist ein richtiger Wirtschaftszweig:<br />

Der gesamte jährliche Wirtschaftswert des Jagdwesens in Österreich<br />

einschließlich angeschlossener Wirtschaftszweige wird auf rund<br />

475 Millionen Euro Gesamtumsatz geschätzt. Völlig unabhängig davon,<br />

ob man nun positiv oder negativ zum früher so viel besungenen »edlen<br />

Weidwerk« steht – es ist ein Geschäft!<br />

Ein Geschäft, dessen größter Anteil Löhne und Gehälter der zahllosen<br />

Beschäftigten im Jagdwesen sowie der Berufsjäger und der Jagdaufsichtsorgane<br />

sind. Sie allein machen schon 199 Millionen Euro aus.<br />

Ebenfalls eine sehr beachtliche Summe stellen die jährlichen Jagdpachtbeträge<br />

und die Abschussgebühren dar. Zusammen sind dies<br />

allein 53 Millionen. Diese Beträge sind insofern von besonderer Bedeutung,<br />

da sie zu einem hohen Anteil den Landwirten und Grundeigentümern<br />

verbleiben und für sie in schwierigen Zeiten ein wichtiges –<br />

weil vorhersehbares – Einkommen darstellen.<br />

Österreichs Jäger liefern jährlich Wildbret im Wert von ungefähr<br />

24 Millionen Euro. Und die Nachfrage nach dem Qualitätsprodukt Wildbret<br />

ist ungebrochen. Gerade in Zeiten des Misstrauens in Fleisch und<br />

Fleischprodukte explodierte europaweit der Bedarf an Wildfleisch.<br />

Offen sichtlich ist Wildfleisch ein Produkt, von dessen naturnaher Herkunft<br />

und auch ethisch-einwandfreier Beschaffung die Konsumenten<br />

überzeugt sind.<br />

Genau bekannt ist auch die Summe aller Abgaben, Gebühren und<br />

Versicherungsprämien, die jährlich im Zuge der Jagd entstehen bzw.<br />

abgeführt werden: 26 Millionen Euro. In diesen Topf fallen auch die<br />

Forschungsförderung durch die Jägerschaft sowie wichtige Projekte,<br />

die Jagdgesellschaften verwirklichen.<br />

Über die tatsächlichen Kosten für Jagdbetrieb, Weiterbildung, Jagdwaffen<br />

und Munition, Optik, Bekleidung und Brauchtum gibt es keine<br />

detaillierten Aufzeichnungen. Sie hängen auch sehr stark von den<br />

Möglichkeiten des einzelnen Jägers und den Notwendigkeiten des jeweiligen<br />

Reviers ab. Für diesen Bereich werden rund 173 Millionen<br />

Euro geschätzt.<br />

171


Die Kosten des Jagdbetriebes – dazu zählen in erster Linie die Wildfütterung,<br />

aber auch die Auspflanzung von Wildäckern samt dem dazugehörigen<br />

Maschineneinsatz sowie die Erhaltungskosten – machen<br />

in der Regel etwa 100 Prozent des so genannten »Pachtschillings«<br />

einer Jagd aus. Österreichweit beläuft sich diese Summe demnach auf<br />

etwa 53 Millionen Euro.<br />

Die Kosten für die jeweilige Aus- und Weiterbildung<br />

wiederum lassen sich sehr genau<br />

abschätzen: Kurse und Seminare werden zu<br />

einem wesentlichen Prozentsatz von den Landesjagdverbänden<br />

selbst veran staltet, auch Fachliteratur, Videos und<br />

Lehrmittel werden teilweise über die Verbände vertrieben. Dazu kommen<br />

noch Standgebühren und für individuelles Schießtraining auf den<br />

Schießplätzen. Pro Jahr und Jäger kommen auf diese Weise an die 140<br />

Euro zustande, zusammen etwa 16 Millionen.<br />

Billig ist sie<br />

nicht, die Jagd<br />

Kaum ein Jäger kauft jährlich ein neues Gewehr. Doch geht man auch<br />

nur davon aus, dass jeder Jäger pro Jahr 350 Euro an Munition und<br />

anteiligen Kosten für seine Jagdwaffen aufbringt, so beträgt dies bei<br />

österreic hweit rund 120.000 Jägern bereits 40 Millionen Euro.<br />

Ein Jäger benötigt verschiedene optische Hilfen: mindestens ein<br />

Fernglas und ein Zielfernrohr, oft jedoch deren mehrere mit verschiedenen<br />

Vergrößerungen und dazu häufig auch noch ein Spektiv<br />

– ein optisches Teleskop, das der Beobachtung größerer Revierflächen<br />

dient. Die extremen Anforderungen der Jägerschaft vor allem<br />

im Schwachlicht bereich oder in der Nacht – vor allem bei der Wildschweinjagd<br />

– lassen einen jährlichen Anteilswert von 140 Euro pro<br />

Jäger als nicht zu hoch gegriffen erscheinen. Summe: 16 Millionen<br />

Euro.<br />

Jagdbekleidung muss den Jäger nicht nur vor Kälte, Nässe und Schmutz<br />

schützen, sondern sollte auch noch möglichst reißfest und selbstverständlich<br />

aus geräuscharmen Materialien hergestellt sein. Dennoch<br />

nutzt sie sich verhältnismäßig stark ab. Jeder Jäger investiert nach<br />

Schätzung der Zentralstelle pro Jahr etwa 350 Euro in seine jagdliche<br />

Bekleidung, was insgesamt etwa 40 Millionen Euro ergibt.<br />

172


Ebenfalls auf der Gewinnerseite sind die Versicherungsgesellschaften.<br />

Alle »Jagdsport ausübenden Personen« müssen 75 Euro an den jeweiligen<br />

Landesjagdverband abführen, der die Jäger kollektiv versichert.<br />

Damit ist Vorsorge getroffen, sollte im Trubel ein Jagdhund einen<br />

anderen beißen oder ein Weidmann irrtümlich einen Dachziegel vom<br />

Forsthaus schießen. Jagdunfälle mit Personenschaden, die ebenfalls<br />

versichert sind, sollen auch schon vorgekommen sein ...<br />

Die Ausgaben unter der Rubrik Brauchtum entfallen zu einem wesentlichen<br />

Prozentsatz auf die Trophäenbehandlung. Präparierte Geweihe<br />

und Gehörne, Keilerwaffen, Felle, Bälge und Decken oder auch Ganzpräparate<br />

schlagen sich in der Börse jedes Jägers zu Buche. Dazu kommen<br />

noch Ausgaben für – oftmals historische – Kunst und Kultur aus<br />

dem jagdlichen Bereich. Pro Jäger werden etwa 70 Euro im Jahr angenommen,<br />

insgesamt dann acht Millionen Euro.<br />

Apropos Jagdpacht! In Österreich wird nach dem so genannten Reviersystem<br />

gejagt. Jagdrecht ist in Österreich untrennbar mit dem Eigentum<br />

an Grund und Boden verbunden. Von diesem Grundsatz gibt es<br />

keine Ausnahmen. Allerdings muss ein Gebiet groß genug sein, um als<br />

Eigenjagd gelten zu dürfen. In den meisten Bundesländern liegt diese<br />

Grenze bei 115 Hektar, die zusammenhängend liegen müssen. Ist das<br />

nicht der Fall, fällt das Grundstück jagdrechtlich zur Genossenschaftsjagd<br />

der jeweiligen Gemeinde. Solche Genossenschafts-Jagdgebiete<br />

müssen zwingend verpachtet werden; in all diesen Fällen sind dann<br />

die Pächter die Jagdausübungsberechtigten.<br />

Dieses System sichert den Artenreichtum im Lande, erklärt Exper te Lebersorger.<br />

Einerseits haben die Landesjagdverbände und Bezirkshauptmannschaften<br />

so einen klaren Überblick, wie viel Stück welchen Wildes<br />

sich auf ihrem Gebiet aufhält. Überzählige müssen nach den behördlich<br />

vorgegebenen Abschussplänen von den Pächtern der jeweiligen Gebiete<br />

geschossen und der Behörde nachgewiesen werden.<br />

Damit ist gewährleistet, dass niemand aus Jux und Tollerei eine Tierart<br />

ausrottet. Gleichzeitig wird der Bestand in einem Maße gehalten,<br />

das für die Natur auch erträglich ist, für das genug Lebensraum, Rückzug<br />

und Nahrung vorhanden ist.<br />

173


Die Jagd: Schlechtes Image, gutes Geschäft<br />

(Foto: Bergringfoto/Fotolia.com)<br />

Entgegen einem Irrglauben wird übrigens auch in Nationalparks gejagt.<br />

Schmankerl am Rande: Der Nationalpark Hohe Tauern hat im Sommer<br />

2012 verlautbaren lassen, nur noch bleifreie Munition einsetzen zu<br />

wollen. Begründet wird die Umstellung von den Verantwortlichen des<br />

Parks mit der »besseren Verträglichkeit für Mensch und Tier«. Greifvögel,<br />

die sich an im Wald verbleibenden Organen erlegter Tiere laben,<br />

würden durch verbleite Geschosse Vergiftungen erleiden und daran zugrunde<br />

gehen. In der Vergangenheit seien davon mehrfach streng geschützte<br />

Steinadler betroffen gewesen. Außerdem wolle man den Kunden<br />

Wildbret ohne Bleieintrag im Muskelgewebe anbieten können ...<br />

Auch wenn durch die Jagd immer wieder Hektik entsteht, sei es bei<br />

den Anhörungen im Korruptions-Untersuchungsausschuss oder im Umfeld<br />

von Politik und Telekom: Mit Weidmannsheil und Weidmannsdank<br />

wird pro Jahr eine halbe Milliarde Euro umgesetzt. So ist das Sitzen<br />

auf dem Hochstand für die einen ein Beruf, für andere stellt es eine<br />

besondere Leidenschaft dar. Für tausende Österreicher ist die Jagd ein<br />

sicherer Arbeitsplatz. Für Revierbesitzer und das Land ist sie ein Millionengeschäft.<br />

Alles in allem heißt das für die Beteiligten: Wenn »der<br />

Ruf im Arsch ist«, fleißig daran arbeiten, dass das nicht so bleibt ...<br />

174


Google, Apple & facebook:<br />

Sind wir machtlose Nutzer?<br />

von Hans Wu<br />

Durch den Boom bei Smartphones und Tablets ist uns das Internet<br />

auf den Leib gerückt. Und damit auch drei Technologiekonzerne<br />

aus dem Silicon Valley. Ist die Welt jetzt kleiner geworden? Sind<br />

wir zu einem globalen Dorf zusammengerückt? Und wie profitieren<br />

Google, Apple und facebook davon?<br />

Die aktuelle Zahl der Mitarbeiter, die weiß der Schweizer Pressebetreuer<br />

von Google-Europa nicht, »aber tausend werden es jetzt am Standort<br />

Zürich schon sein«. Waren es im August 2012 nicht noch 800 Mitarbeiter?,<br />

so unsere überraschte Frage. »Generell kommen jeden Monat immer<br />

rund 50 neue Mitarbeiter dazu.« Wachstumssorgen sind hier anscheinend<br />

nicht bekannt. Und, es wird also eng im »Paradies«. Google eilt<br />

seit Gründungstagen der Ruf voraus, seine Angestellten über alle Maße<br />

zu verwöhnen. Ein Ruf, den <strong>€CO</strong> nach einem Lokalaugenschein im<br />

Headquarter Zürich im letzten Sommer nur bestätigen kann.<br />

Im Erdgeschoss, gleich hinter der Rezeption, betreten wir den Speisesaal.<br />

Für die Google-Mitarbeiter gilt all you can eat – zum Nulltarif.<br />

Für die kulinarische Grundversorgung außerhalb der Hauptmahlzeiten<br />

sorgen auch die so genannten »Microkitchen« in jedem Stockwerk.<br />

Die Microkitchen »Library« wiederum ist eine Mischung aus Kaffeehaus<br />

und Bibliothek. Am beliebtesten ist der »Jungle«, der mit einem<br />

üppigen Arrangement aus exotischen Zimmerpflanzen tatsächlich an<br />

einen In-door-Urwald erinnert. Dafür, dass das Grün nicht welk wird,<br />

sorgen eigene Zimmerpflanzengärtner. Und dafür, dass in den Microkitchen<br />

immer genug Kekse, Schokolade, Eiscreme und Softdrinks vorhanden<br />

sind, sorgt täglich eine eigene Cateringtruppe.<br />

Kein Wunder, dass die Alteingesessenen hier von der »Google-Kugel«<br />

sprechen, also vom kleinen Bäuchlein, das sich neue Mitarbeiter nach<br />

spätestens zwei Monaten zugelegt haben. Dabei gebe es genug Gelegenheit,<br />

überflüssige Pfunde loszuwerden: Der große Fitnessbereich<br />

175


Microkitchen bei Google: Wohlfühloase für Mitarbeiter<br />

(Foto: Google)<br />

gehört zum Wohlfühl-Arbeitsplatz genauso wie das Massageangebot,<br />

die Rückzugskojen, die Räume für Sport und Spiel und der Ruheraum.<br />

Beleuchtete Aquarien sind da in einem abgedunkelten Zimmer die einzige<br />

Lichtquelle, unzählige Liegen stehen für das »Powernapping« der<br />

Mitarbeiter bereit.<br />

Das Mitarbeiter-Wellness-Programm hat durchaus wirtschaftliche<br />

Gründe: Ein Angestellter, der so am Arbeitsplatz umsorgt wird, bleibt<br />

länger im Büro. Arbeits- und Freizeit verschwimmen. Hier wird die<br />

Ausweitung der Produktionszone betrieben. Weltweit hat Google<br />

55.000 Mitarbeiter, die alle in ähnlichen Arbeitsumgebungen ihrem<br />

Werk nachgehen.<br />

Fast könnte man von einem neukalifornischen way of life sprechen.<br />

Im facebook-Hauptquartier in Silicon Valley findet man nämlich ähnliche<br />

Arbeitsverhältnisse vor. Und bei der Ur-Technologiefirma im Tal,<br />

Apple, gilt der legere Umgang seit den Gründungstagen in den 1970ern.<br />

Diese drei Firmen gelten zur Zeit als die »heißesten« Brands im Technologiebereich.<br />

Drei erfolgreiche Konzerne, die seit Jahren einen beinharten<br />

Konkurrenzkampf untereinander führen. Alle drei profitieren vom<br />

Zugriff in unsere Privatsphäre. Wir haben sie selber herein gelassen.<br />

176


Google, Apple, facebook: Der Suchmaschinenbetreiber, der Hardware-Hersteller<br />

und das soziale Netzwerk. Es sind Firmen, die, wenn<br />

es um Kunden, Nutzung und Verkauf geht, Minute für Minute Rekordzahlen<br />

schreiben: Während sie die nächsten zehn Zeilen lesen, werden<br />

47.000 Apps, also Spiele und Programme für Apples iPhone und iPad<br />

heruntergeladen, werden auf facebook 700.000 Meldungen geschrieben<br />

und auf Google zwei Millionen Suchabfragen getätigt.<br />

Es ist die schöne neue Welt der totalen Vernetzung.<br />

Und wie sich die Gattung Homo sapiens<br />

in dieser verhält, dafür gibt es sogar<br />

eine neue Wissenschaft. Wolfgang Zeglovits<br />

Drei Firmen, drei<br />

Gründer-Mythen<br />

ist Medienanthropologe. Für ihn rührt der Erfolg der drei Großprofiteure<br />

daher, dass Nutzer und Kunden sich gegenseitig als gute<br />

Freunde betrachten: »Bei Apple, facebook und Google sind vor allem<br />

die Entstehungsmythen interessant. Es sind alle drei recht junge Firmen.<br />

Apple gibt es eigentlich seit den 1970er-Jahren, Google ist in<br />

den 1990er-Jahren entstanden und facebook zur Jahrtausendwende.<br />

Die drei Geschichten sind einander ein bisschen ähnlich: Es gibt da<br />

jemanden mit einer genialen Idee und der macht mit viel Einsatz eine<br />

erfolgreiche Firma auf.«<br />

Der im Jahr 2011 verstorbene Steve Jobs wird von seinen Fans als<br />

»Visionär« verehrt. Dabei hat er, im Gegenteil, nie darauf gehört, was<br />

seine Anhänger eigentlich wollten. Dem Apple-Gründer ist es immer<br />

nur um die Produkte der Zukunft gegangen. Die Kundenbedürfnisse<br />

der Gegenwart sind für ihn nie von Interesse gewesen. Diese Ignoranz<br />

gegenüber den Nutzern ist zu einem wichtigen Teil der Heiligenvita<br />

geworden.<br />

Die Legende der Google-Gründer Larry Page und Sergej Brin klingt<br />

da wenigstens um Nuancen anders: Als Mathematikgenies, wie sie im<br />

Buche stehen, sind sie die Gralsritter auf der Suche nach der Weltformel<br />

für Wissen gewesen. Und »nur nebenbei« soll dabei der Milliardenkonzern<br />

entstanden sein.<br />

Nahezu banal wirkt da der Gründermythos eines anderen jungen<br />

Genies. Als junger Harvard-Student soll Mark Zuckerberg einen Weg<br />

177


gesucht haben, Mädchen näher zu kommen. Das Ergebnis seiner hormonell<br />

bedingten Sturm-und-Drang-Zeit war dann die Schöpfung des<br />

sozialen Netzwerkes. So erzählt es zumindest die Legende über den<br />

facebook-Gründer. Da sieht man den »Like-Button« dann auch gleich<br />

mit ganz anderen Augen.<br />

Schöne Geschichten regen gewöhnlich die Fantasie an – vor allem die<br />

der Anleger und Investoren. Nur: Die Börsenfantasien bei den drei<br />

Technologiekonzernen haben sich unterschiedlich entwickelt. Die<br />

Aktie von facebook hat sich nach dem Start im Mai 2012 zumeist auf<br />

Talfahrt befunden. Ein Wertpapier hat bei der Ausgabe noch 38 Dollar<br />

gekostet; zwischenzeitlich ist der Kurs auf 17,55 Dollar eingebrochen.<br />

Wenn Sie diese Zeilen lesen, liegt er möglicherweise schon wieder wo<br />

anders.<br />

Die anfängliche schlechte Börsenperformance<br />

ist auf die Unsicherheiten bei dem Geschäftsmodell<br />

für Handynutzer zurückzuführen. Als<br />

weiterer Grund gilt der Umstand, dass die<br />

wichtigen Anleger schon vor dem Börsengang investiert waren. So war<br />

die Aktie bereits überbewertet gestartet. Erst Ende des vergangenen<br />

Jahres hatten die Anleger wieder etwas Vertrauen gefunden.<br />

Aktien nur mit<br />

viel »Fantasie«<br />

Zufriedener sind die Investoren mit der Google-Aktie. Hier setzt man<br />

auf die technologische Kompetenz und das solide Geschäftsmodell<br />

mit der Internetwerbung. Und gar zu einem Riesen an der Börse hat<br />

sich Apple entwickelt. Der Aktienanalyst Stephan Lingnau lässt die<br />

Performance der vergangenen Jahre Revue passieren: »Apple dotiert<br />

seit 1982 auf der Börse und konnte seither eine durchschnittliche<br />

Jahresperformance von 18 Prozent aufweisen. Wenn man sich nur die<br />

letzten zwei Jahre ansieht, so konnte die Apple-Aktie um 80 Prozent<br />

zulegen.«<br />

2012 ist der Börsenwert von Apple zeitweise über 620 Milliarden Dollar<br />

gelegen – und ist somit wertvoller als jener der großen Öl-Multis<br />

gewesen. Für eine Digi- und Internetbude gar nicht schlecht. Manche<br />

Experten prophezeien gar eine Marktkapitalisierung von einer Billion<br />

Dollar im Jahr 2015.<br />

178


iPhone 5: »Wischhandy« mit Kultcharakter<br />

(Foto: Apple Inc.)<br />

Für Apple ist die Rolle als Nummer eins in der Welt der Bits und Bytes<br />

eine neue. Seit der Gründung in den 1970ern hat man sich eher als<br />

kleinerer Herausforderer der Großen, wie IBM und Microsoft, geübt.<br />

Eine innovative Firma, deren Produkte vorwiegend von einer Minderheit<br />

von Spezialisten, wie Grafikern, Musikern oder Architekten, gekauft<br />

worden ist.<br />

Doch das hatte sich vor sechs Jahren radikal geändert. 2007 bringen<br />

die Ingenieure und Designer von Apple ihren Stein der Weisen auf den<br />

Markt. Das Wundermittel für hohe Gewinne und anscheinend endlos<br />

steigende Aktienkurse, ein Produkt, das für eine völlig neue Zielgruppe<br />

geschaffen worden ist: für die breite Masse. Mit einem ersten iPhone<br />

hat Apple auf einem milliardenschweren Markt der mobilen Traumwelt<br />

keinen Stein auf dem anderen gelassen. High-Tech-Handys, mit denen<br />

man im Internet surfen, fotografieren, Videos ansehen oder Spiele spielen<br />

konnte, hatte es schon vorher gegeben. Mit dem kleinen flachen<br />

Quader mit Touchscreen aber war eine neue Liga eröffnet worden.<br />

Über 300 Millionen iPhones sind seit 2007 weltweit verkauft worden.<br />

Das aktuelle Gerät, das iPhone 5, ist ab 680 Euro in Österreich<br />

erhältlich. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, dass die Produktions-<br />

und Vertriebskosten auf maximal 100 Euro geschätzt werden.<br />

179


Der große Rest bleibt vorwiegend dem Konzern, denn immer häufiger<br />

vertreibt Apple seine Hardware über eigene Shops oder gleich direkt<br />

online.<br />

Doch auch nach dem Kauf des Smartphone gibt es für den Besitzer<br />

viele Möglichkeiten, Apple neues Geld zu überweisen. Das Zauberwort<br />

heißt »Ecosystem«. Jedes iPhone hat direkte Verbindung zu einem<br />

Online-Angebot an Musik, Filmen und Apps, wie die Software und<br />

die Spiele für das Smartphone genannt werden. Und bei jedem Verkauf<br />

schneidet Apple mit. Das abgeschlossene virtuelle Einkaufszentrum<br />

am Handy hatten schon viele vorher einrichten wollen: die alten<br />

Handyproduzenten etwa wie Nokia, aber auch zahllose andere Mobilfunk-Anbieter<br />

in aller Welt. Aber erst dem Branchenneuling Apple ist<br />

es gelungen, daraus ein funktionierendes Geschäft zu machen.<br />

Das große Geschäft mit den smarten Handtelefonen<br />

zog bald auch andere Marktteilnehmer<br />

an. Heute liefern viele ostasiatische<br />

Gerätehersteller wie Samsung, LG oder HTC<br />

Umsatzkaiser Apple einen harten Konkurrenzkampf. Dabei können sie<br />

auf mächtige Rückendeckung bauen. Mit dem Android-Betriebssystem<br />

haben sie einen starken Motor auf ihren Smartphones, noch dazu<br />

einen, der von Google entwickelt worden ist und gratis zur Verfügung<br />

gestellt wird.<br />

Nokia hatte begonnnen,<br />

was Apple zu Ende führt<br />

Ende 2012 waren bereits 72 Prozent aller Smartphones solche, die<br />

mit Android ausgestattet worden sind. Im Kampf um Marktanteile<br />

wird auf allen Seiten technologisch hochgerüstet. In immer kürzeren<br />

Abständen erscheinen neue Modelle. Die Rivalität wird aber nicht<br />

nur auf dem Markt ausgefochten, sondern immer öfter auch vor dem<br />

Patentrichter. Vor allem Apple zerrt die Konkurrenz immer wieder vor<br />

Gericht. Diese spart nicht mit Gegenklagen. Kein Detail ist dabei zu<br />

klein, um es nicht zum Streitgegenstand zu machen. Es geht um abgerundete<br />

Ecken oder um wenige Zeilen Programmiercode.<br />

Mittlerweile ist die ganze Technologieszene in Patentkriege verwickelt.<br />

Neben Apple, Google, facebook und Handyherstellern wie Samsung,<br />

Nokia oder HTC stehen auch Firmen wie IBM, Oracle, Yahoo oder Kodak<br />

180


im juristischen Streit miteinander. »In der Welt der Smartphones<br />

werden Patente benutzt, um Innovation zu behindern. Darauf sind wir<br />

eigentlich gar nicht erpicht. Natürlich verteidigen auch wir unser geistiges<br />

Eigentum gegen Angriffe der anderen, aber eigentlich wollen wir<br />

weiter entwickeln. Es ist wirklich beunruhigend, dass so viel Aufwand<br />

in die gegenseitige Behinderung gesteckt wird statt in die Innovation<br />

zum Vorteil für Kunden und Gesellschaft«, so Matt Brittin, der Europachef<br />

von Google, im <strong>€CO</strong>-Interview.<br />

Neben den Kleinkrieg der Anwälte gibt es natürlich<br />

die klaren Hauptkampflinien unter<br />

den drei Konzernen. Facebook will mit seinem<br />

so zialen Netzwerk (eine Milliarde Nutzer!)<br />

Der Kleinkrieg der<br />

Konzernanwälte<br />

Marktanteile vom Internet-Werbekuchen von Google. Und Google macht<br />

mit Android Apple das Leben auf dem Smartphone-Markt schwer.<br />

Und es geht bei allen Dreien um die Vorherrschaft in der Datenwolke.<br />

Die so genannten »Clouds« sind, einfach gesagt, Computerzentren,<br />

in denen der Nutzer Daten wie Fotos, Musik, Kontakte und Filme<br />

hoch- und wieder herunterladen kann. Ein nützlicher Service, bei<br />

dem verschiedene Geräte wie Computer, Tablet oder Smartphone, die<br />

viele User schon besitzen, zum Einsatz kommen. Nur: Die Internetspeicher<br />

der drei Konzerne gelangen so auch zu sensiblen, persönlichen<br />

Daten ihrer Nutzer. Und das ruft die Datenschützer auf den Plan.<br />

Der Wiener Jusstudent Max Schrems hatte sich etwa für die Daten<br />

interessiert, die facebook über ihn gespeichert hat. Beim europäischen<br />

Hauptquartier in Irland hat er deren Herausgabe gefordert. Nach genauer<br />

Durchsicht des Datenmaterials hat er dann den Konzern mit<br />

22 Datenschutzklagen eingedeckt. Es ist der sprichwörtliche Kampf<br />

»David gegen Goliath«, bei dem der angehende Jurist den Konzern<br />

gut kennen gelernt hat: »Facebook ist ein Studentenprojekt. Das ist<br />

irgendwann mal in den USA explodiert, dort gibt es kein Datenschutzrecht.<br />

Es ist größer und größer geworden und trotzdem steht das<br />

Ganze auf tönernen Füßen. Das Problem ist, es heißt oft: ›Ja, wissen<br />

wir, aber der Zuckerberg will das nicht.‹ Und damit endet dann die<br />

Diskussion. Das ist das Hauptproblem, dass dort oben einer sitzt, der<br />

sagt: ›Europäisches Recht interessiert mich nicht.‹ «<br />

181


Mark Zuckerberg: Anfangs beurteilte facebook nur die Studentinnen<br />

(Foto: facebook)<br />

Auch für Google und Apple ist Datenschutz eine »fremde europäische<br />

Sitte«, so Medien anthropologe Wolfgang Zeglovits: »Letztendlich ist<br />

es so, dass alle drei Firmen klarerweise den Kunden im Fokus haben.<br />

Das, was wir diesen Firmen geben, ist nicht nur Aufmerksamkeit,<br />

indem wir deren Services nutzen, sondern auch jede Menge Daten, die<br />

über unser Verhalten Auskunft geben.«<br />

Sind wir machtlose Nutzer in einem Nachbarschaftsstreit, der im fernen<br />

kalifornischen Silicon Valley ausgetragen wird? Tatsache ist, dass<br />

wir sie schätzen, die schönen Smartphones, die komfortablen Services<br />

und die vielen neuen Freunde im sozialen Netzwerk. Tatsache ist aber<br />

auch, dass uns dabei der mögliche Missbrauch von Machtverhältnissen<br />

durch Monopole noch immer zu wenig bewusst ist.<br />

Die Welt ist nicht kleiner geworden. Wir sind nicht zu einem globalen<br />

Dorf zusammengerückt. Auch nicht durch Google, Apple und facebook.<br />

Aber wir, die Nutzer, sind für die drei Riesen durchsichtiger geworden.<br />

182


<strong>25</strong> Jahre <strong>€CO</strong>-Jahrbuch:<br />

So hat sich die Welt verändert<br />

von Franz Hlavac<br />

»Die derzeitige Stimmungskrise der EU ist weder die erste noch<br />

die schwerstwiegende. Sie wird auch nicht die letzte sein.«<br />

Erinnern Sie sich noch an Corrado Pirzio-Biroli? Nun, er war<br />

Botschafter der EU in Österreich, als Österreich der Union beitrat.<br />

Das Eingangszitat hören wir, als wir ihn im August des letzten<br />

Jahres auf seinem Schloss in Brazzà in der Nähe von Udine im<br />

Friaul besuchen.<br />

Bei diesem Gespräch geht es nicht nur um Griechenland und die Schuldenkrise<br />

in Europa, sondern auch um gemeinsame Erinnerungen an<br />

die Vorbereitungen für die EU-Volksabstimmung am 12. Juni 1994.<br />

Corrado ist überzeugter Europäer, nicht nur aus Tradition. Bei einer<br />

Führung durch das Familienmuseum in Brazzà zeigt er Fotos der<br />

Familie. Ein Teil davon ist europäische Geschichte, auch aus der Zeit,<br />

als die europäischen Großmächte Afrika entdeckten. Großonkel Pietro<br />

Savorgnan di Brazzà etwa erforschte den Kongo; die Hauptstadt Brazzaville<br />

ist nach ihm benannt.<br />

Im Ersten Weltkrieg ist das Schloss Brazzà Sitz des Oberkommandos<br />

der österreichisch-ungarischen Armee – und brennt 1918 ab. Danach<br />

erfährt die Familie viel Leid im Faschismus. Großvater Ulrich von Hassel<br />

wird als Gegner Hitlers hingerichtet; Corrados Mutter kommt ins<br />

KZ. Corrado und Bruder Roberto werden verschleppt und im Kinderheim<br />

Wiesenhof in Absam in Tirol zwangsuntergebracht. Dort werden<br />

sie von der Großmutter erst im Jahr 1945 wieder gefunden. Nach dem<br />

Studium in Italien arbeitet Pirzio-Biroli ab 1971 bei der EG, wird Spezialist<br />

vor allem für Agrarfragen. 1993 wird er Botschafter der EU in<br />

Österreich.<br />

Pirzio-Biroli hat viel zur positiven Haltung Österreichs gegenüber der<br />

Europäischen Union beigetragen. Bei seinen Auftritten im ORF, unter<br />

anderem im damaligen Wirtschaftsmagazin »Schilling«, hat er mit<br />

183


Corrado Pirzio-Biroli: »Nicht die erste und nicht die letzte Krise der EU« (Foto: Hlavac)<br />

zum Teil unkonventionellen Methoden ein Bild der EU vermittelt, das<br />

sich deutlich von der Vorstellung einer anonymen EU-Bürokratie unterscheidet.<br />

Ich war damals neben meiner Funktion als Chef der Wirtschaftsredaktion<br />

(ab 1. Jänner 1992) zuständig für die Koordination aller<br />

ORF-Aktivitäten im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt. Die folgenden<br />

fünf Themen standen im Mittelpunkt unserer Beiträge und der Diskussionen<br />

unseres Europa-Forums:<br />

• Arbeitsplatz Europa. Wohlstand und Lebensqualität<br />

• Markt ohne Grenzen. Transit und Umwelt<br />

• Landwirtschaft, Lebensmittel und Konsumentenschutz<br />

• Demokratie und Mitbestimmung, Sicherheit und Frieden<br />

• Die Herausforderungen der EU und ihre Zukunft. Als hätte sich<br />

irgendetwas geändert ...<br />

Bundeskanzler (und SPÖ-Chef) war damals Franz Vranitzky, im<br />

Außenamt amtierte Alois Mock, ÖVP-Chef war Erhard Busek und als<br />

Landwirtschaftsminister fungierte Franz Fischler. Fischler wird 1995<br />

Österreichs erster EU-Kommissar, zuständig für Agrarfragen. Sein<br />

Kabinettschef heißt – Corrado Pirzio-Biroli ...<br />

184


In Brüssel arbeitet damals Günter Schmidt als ORF-Korrespondent. Der<br />

hatte davor bis Ende 1991 die Fernseh-Wirtschaftsredaktion geleitet.<br />

Am 24. Oktober 1979 war erstmals ein Wirtschaftsmagazin im Fernsehen<br />

ausgestrahlt worden. Die Idee, die Sendung »Schilling« zu taufen,<br />

kommt aus der Redaktion. Leiter war damals Klaus Emmerich; mit im<br />

Team damals schon unter anderen Hans Tesch.<br />

Wirtschaftsnachrichten gelten in dieser Zeit als »etwas Trockenes«,<br />

schwer Verständliches. Wer damals versucht, Wirtschaftsinformationen<br />

konsumierbar zu machen, muss sich von »Experten« den Vorwurf<br />

der Trivialisierung anhören.<br />

1980 übernimmt Günter Schmidt die Leitung des Magazins, das anfangs<br />

14-täglich ausgestrahlt wird. Von März 1984 an gibt es »Schilling«<br />

wöchentlich. Dauer: <strong>25</strong> Minuten.<br />

Zur Jahreswende 1988/89 erscheint auch das<br />

erste Jahrbuch. Die Europadebatte beherrscht<br />

schon dieses erste Buch. In welcher Form soll<br />

sich das neutrale Österreich auf dem künftigen<br />

Binnenmarkt beteiligen, fragt Ernst A. Swietly; Elmar Oberhauser<br />

berichtet aus der Schweiz über die Transitproblematik; Walter Sonnleitner<br />

beleuchtet die Steuerreform der seinerzeitigen Bundesregierung.<br />

Kurt Rammers torfer untersucht die Sanierung der verstaatlichten<br />

Industrie, Erich Hirtl die Änderungen bei der Wohnbauförderung<br />

und Eva Pfisterer die Stadtsanierung. »Schilling« präsentiert außerdem<br />

ein Auto, das General Motors mit einem Antrieb aus Sonnenenergie<br />

gebaut und in Australien erprobt hat.<br />

Schon 1989 ein Thema:<br />

Die Sonnenenergie<br />

Damals, 1988, gibt es noch die Zentralsparkasse unter Generaldirektor<br />

Karl Vak, weiters den Müller-Verlag in der Grinzinger Straße und den<br />

Informationsintendanten Johannes Kunz.<br />

1989 bringt die Wende im Osten eine Revolution und den Zusammenbruch<br />

eines Systems. Die Epoche des Kalten Krieges ist ausgestanden.<br />

Es begann mit Gorbatschows »neuem Denken«. Das bringt den verfolgten<br />

Schriftsteller Vaclav Havel auf den Präsidentenstuhl und in<br />

Berlin fällt die Mauer. Die Deutschen werden wieder vereint. Politiker<br />

185


geben den Staaten zwischen Atlantik und Ural plötzlich die Chance, in<br />

»einem gemeinsamen Haus« unterzukommen.<br />

Was 1989 die Menschen in Leipzig, Prag und Budapest bewegt, dokumentiert<br />

der ORF in zahlreichen Livesendungen, Kommentaren – und<br />

auch im hauseigenen Wirtschaftsmagazin. Und natürlich nicht zu vergessen:<br />

Außenminister Alois Mock übergibt dem französischen Ratsvorsitzenden<br />

Roland Dumas am 17. Juli 1989 in Brüssel den Antrag<br />

Österreichs auf Mitgliedschaft bei der Europäischen Gemeinschaft.<br />

Von himmelhoch jauchzend bis einigermaßen betrübt reicht im Jahr<br />

1990 die Gemütsverfassung der Wirtschaftsexperten. Die westliche<br />

Wirtschaft befindet sich in einer noch nie dagewesenen Aufschwungphase:<br />

Die Marktwirtschaft hat auf allen Linien gesiegt, die Sanierung<br />

der maroden Ostwirtschaften verspricht neue Wachstumsimpulse,<br />

ebenso die neue wirtschaftliche Supermacht Deutschland mit seinen<br />

nun 80 Millionen Einwohnern.<br />

Doch zur Jahresmitte zeigt sich, dass einige Hoffnungen etwas zu<br />

euphorisch sind. Die irakische Invasion Kuwaits macht deutlich, dass<br />

die Weltwirtschaft auch nach dem Ende des Kalten Krieges für Störungen<br />

anfällig ist. Die Ölpreiskrise trifft vor allem die ehemaligen<br />

»Satelliten« Moskaus, deren Reformprogramme ohnedies nur sehr zäh<br />

vorankommen.<br />

1991 wird die Weltbühne geprägt vom Ende des Sowjetkommunismus<br />

als einer der führenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Faktoren. Es gibt jetzt auch formal keinen Warschauer Pakt und<br />

keinen Comecon (oder »Rat für wirtschaftliche Zusammenarbeit«, wie<br />

er offiziell hieß) mehr. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die<br />

schon lange das »W« aus dem Kürzel »EWG« gestrichen hat, um zu<br />

dokumentieren, dass sie mehr als ein Wirtschaftsklub sein will, diese<br />

»EG« ringt um eine neue politische und wirtschaftliche Verfassung.<br />

Wie sehr sie nach ihren unbestreitbar großen wirtschaftlichen Erfolgen<br />

auch eine stärkere politische Identität und Kraft benötigt, zeigt sich an<br />

ihrem über lange Strecken wenig erfolgreichen Agieren in der jugoslawischen<br />

Tragödie. Auf der positiven Seite der Bilanz steht der erfolgreiche<br />

186


Die Deutschen werden wieder vereint<br />

(Foto: anweber/shutterstock)<br />

Abschluss der EWR-Verhandlungen, mit dem die sieben EFTA-Staaten in<br />

vielen Bereichen den zwölf EG-Ländern gleichgestellt werden. Dieser<br />

Vertrag ist eine Vorstufe zum angepeilten EG-Beitritt Österreichs.<br />

In diesem Jahr 1991 erfolgt auch die Fusion von Zentralsparkasse und<br />

Länderbank zur Bank Austria AG. Es entsteht die größte Bank<br />

Österreichs. Ende 1991 verlässt Günter Schmidt die Leitung der Wirtschaftsredaktion<br />

und tritt in Brüssel die Nachfolge des EG-Korrespondenten<br />

Klaus Emmerich an. In Wien ernennt mich Generalintendant<br />

Gerd Bacher zum Leiter der Wirtschaftsredaktion und zum Koordinator<br />

aller EG-und Europafragen in der Informationsintendanz von Johannes<br />

Kunz. Die nächsten 18 Jahre leite ich das Wirtschaftsmagazin.<br />

1992 wird die Wirtschaftsberichterstattung im Fernsehen weiter ausgebaut.<br />

Im April startet das tägliche Finanzmarkt-Service. Nun gibt es<br />

in jeder »Zeit im Bild«-Ausgabe aktuelle Wirtschaftsnews aus Österreich<br />

und aus aller Welt mit Beiträgen über Unternehmen und Branchen,<br />

über Arbeitsplätze, Manager sowie Entwicklungen und Veränderungen<br />

bei den Zinsen und auf den Finanzmärkten.<br />

Ende 1992 hat das »Schilling«-Team Grund zum Feiern: Die 500. Ausgabe<br />

des Wirtschaftsmagazins wird ausgestrahlt.<br />

187


ORF-Magazin »Schilling«: Moderator Franz Hlavac, damals noch jung (Foto: ORF/Friess)<br />

1993 jammern alle über die Rezession. In diesem Jahr geht der längste<br />

Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit zu Ende. Nach Jahren des<br />

ununterbrochenen Wachstums reißt die Konjunktur ab. Das belebt auch<br />

in Österreich den Willen zur Veränderung. Das Wirtschaftsmagazin<br />

zeigt positive Alternativen und Nischen für neue Produkte auf. Erfolgreiche<br />

Unternehmen, die den Trend der Zukunft darstellen, werden<br />

porträtiert.<br />

Eine sechsteilige Dokumentation »Industrie am Wendepunkt« beleuchtet<br />

die Zukunftschancen der österreichischen Industrie.<br />

Im Februar 1993 beginnen Österreichs Beitrittsverhandlungen mit der<br />

EG und am 1. November 1993 tritt der Vertrag von Maastricht in Kraft.<br />

Aus der EG, der Europäischen Gemeinschaft, wird die EU, die Europäische<br />

Union.<br />

Am 1. Jänner 1994 wird der EWR, der Europäische Wirtschaftsraum,<br />

aus EU- und EFTA-Staaten (mit Ausnahme der Schweiz und Liechtensteins)<br />

Realität. Am 1. März 1994 werden Österreichs Beitrittsverhandlungen<br />

abgeschlossen. Am 12. Juni 1994 stimmen 66,58 Prozent der<br />

Österreicher beim Referendum mit ja. Und schon am 24. Juni werden<br />

auf der griechischen Insel Korfu die Beitrittsverträge Österreichs,<br />

188


Schwedens, Finnlands und Norwegens beim EU-Gipfeltreffen feierlich<br />

unterzeichnet. Der Nationalrat beschließt am 11. November 1994 den<br />

EU-Beitrittsvertrag mit großer Mehrheit (141 Ja-Stimmen).<br />

In »Schilling« wird 1994 eine unendliche Fülle von Informationen zu<br />

allen Fragen rund um Österreichs EU-Beitritt aufgearbeitet, durchwegs<br />

kritisch und offen Pro und Kontra beleuchtend. Der Kontakt mit Fragen<br />

und Wünschen der Bevölkerung wird durch die Diskussionsveranstaltungen<br />

des »Europa Forums«, an denen unsere Redaktion (Waltraud<br />

Langer) maßgeblich mitarbeitet, besonders eng gehalten.<br />

1995 erhält »Schilling« einen neuen Sendeplatz. Am Donnerstag, um<br />

22.30 Uhr im »zweiten Hauptabend«, beginnt seither das Wirtschaftsmagazin.<br />

Das neue spartanische Design der Sendung spiegelt sich auch<br />

im damaligen Jahrbuch wider.<br />

Das Vertrauen in die Währung Schilling bleibt erhalten, auch nach<br />

dem Scheitern der Budgetverhandlungen im Herbst 1995 und der Auflösung<br />

der Koalitionsregierung von SPÖ und ÖVP. Der neue Finanzminister<br />

Viktor Klima macht sofort klar, dass Österreich alle notwendigen<br />

Schritte setzen wird, um die strengen Bedingungen für eine Aufnahme<br />

des Schilling in die Europäische Währungsunion zu schaffen. Am Sparziel<br />

für Maastricht, also den Richtzahlen für die Staatsverschuldung<br />

und das Budgetdefizit, führt kein Weg vorbei.<br />

1996 – der Countdown für den Euro läuft. Die Vorbereitung auf die<br />

künftige gemeinsame europäische Währung lenkt die Aufmerksamkeit<br />

der Österreicher wieder intensiver auf die Wirtschaftsthemen. Die Vielschichtigkeit<br />

dieser Materie veranlasst den ORF einen neuen Schwerpunkt<br />

auf eine umfassende Information über diesen Euro zu legen.<br />

Am 13. Dezember 1996 ist es so weit. Das Aussehen der Euro-Geldscheine<br />

wird präsentiert. Gleichzeitig um 15 Uhr wird in allen<br />

EU-Staaten der Siegervorschlag präsentiert. Die Sache ist bis zuletzt so<br />

geheim, dass es die Österreicher fast als Letzte erfahren: Ihr Entwurf<br />

hat gewonnen. Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Wolfgang<br />

Schüssel wird beim EU-Gipfel in Dublin bereits zum österreichischen<br />

Erfolg gratuliert, als sie noch nichts davon wissen.<br />

189


Denn die Österreichische Nationalbank hält sich an die Schweigepflicht.<br />

Sie präsentiert nur in einem kleinen Kreis den Mann, der mit<br />

einem Schlag europaweit bekannt wird: Der Grafiker Robert Kalina<br />

hatte in nur einem halben Jahr »dem Euro sein Gesicht« gegeben. Mit<br />

allen Sicherheitsbestimmungen und unter Vermeidung aller Symbole,<br />

die ein Land als negativ empfinden könnte.<br />

Die Reaktionen auf die für viele ungewohnt bunten Noten fallen sehr<br />

unterschiedlich aus. Vom empörten »Der Mist kommt aus der hiesigen<br />

Nationalbank« im »profil« bis zu »Das ist positiv für Österreichs kulturelles<br />

Selbstbewusstsein« vom damaligen Bundeskanzler Vranitzky. Im<br />

Jänner tritt Vranitzky nach der Schlappe der SPÖ bei den Europawahlen<br />

zurück. Sein Nachfolger wird Viktor Klima, auch als Parteivorsitzender.<br />

1997 ist bei den Österreichern der Groschen gefallen. Ihnen wird klar,<br />

dass der Euro kommt. ORF-Informationsintendant Rudolf Nagiller<br />

beauftragt die Redaktion, einen Informationsschwerpunkt in allen<br />

ORF-Programmen über die Vor- und Nachteile der neuen Währung zu<br />

koordinieren und zu gestalten. Spezialausgaben von »Schilling«, »Report«<br />

und »Pressestunde« berichten über »Das Geld von morgen«.<br />

In diesem Jahr bewältigt die »Erste Bank« die Fusion zwischen der Ersten<br />

Österreichischen Spar-Casse und der GiroCredit in Rekordzeit und<br />

beweist mit ihrem Börsengang, dass es möglich ist, die Österreicher<br />

durch fundierte Informationen für Aktieninvestments zu gewinnen.<br />

Ebenfalls 1997 beschließt die »Erste Bank«, sich an der 10. »Schilling«-Jahrbuchausgabe<br />

zu beteiligen. Dieses Jahrbuch erscheint ab<br />

nun immer als Vorschau und nicht wie bisher als Nachlese.<br />

Es folgt also auf die neunte Ausgabe 1996 die zehnte Ausgabe 1998. An<br />

dieser Stelle sei festgehalten, dass sich die »Erste« seither nie in den<br />

redaktionellen Teil des ORF eingemischt hat. Im Gegensatz zu anderen<br />

Financiers, die das einmal erfolglos probierten. Wir sind deshalb gewechselt.<br />

1998 steht ganz im Zeichen der Vorbereitungen auf die künftige gemeinsame<br />

europäische Währung. Im ersten Halbjahr wird die erste<br />

190


Das Parlament: Grosse Mehrheit für den EU-Beitritt<br />

(Foto: Parlamentsdirektion/Olah)<br />

Teilnehmerrunde am Euro festgestellt. Voraussetzung ist die Erfüllung<br />

der Maastrichter Kriterien (Haushaltsdefizit, Stand der öffentlichen<br />

Schulden, Inflationsrate, Wechselkurse, langfristige Zinssätze).<br />

Die bilateralen Umrechnungskurse der nationalen Währungen zu -<br />

einander werden verhandelt und publiziert.<br />

Im zweiten Halbjahr 1998 dominiert die erste EU-Präsidentschaft<br />

Österreichs die Berichterstattung und die Entwicklung an den Börsen.<br />

1998 ist das Finanzwetter ziemlich stürmisch. Die Krisen in Asien, Russland<br />

und Lateinamerika haben wieder einmal gezeigt, dass der sicher<br />

fährt, der sich auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen bewegt.<br />

Am 1. Jänner 1999 werden die Umrechnungskurse der am Euro teilnehmenden<br />

nationalen Währungen unwiderruflich festgelegt. Ab diesem<br />

Zeitpunkt gibt es bis zum 31. Dezember 2001 den Euro als Buchgeld.<br />

Das heißt, er kann für alle »unbaren« Zahlungen, etwa bei Überweisungen,<br />

verwendet werden.<br />

1999 erscheint auch das Wirtschaftsmagazin des ORF unter dem Namen<br />

»Euro Austria«. Der Sendungstitel zeigt die Philosophie. Die neue<br />

191


So ändern sich die Zeiten:<br />

Das Jahrbuch des ORF-<br />

Wirtschaftsmagazines vor<br />

20 Jahren (rechts) und<br />

vor zwei Jahren (links)<br />

(Fotos: ORF/Hans Leitner)<br />

Währung gibt es schon als Verrechnungseinheit und das Magazin<br />

streicht das typisch Österreichische hervor.<br />

Erinnern Sie sich noch, wie zum Jahreswechsel 1999/2000 die Furcht<br />

vor dem Milleniums-Bug herrschte, also vor den Computerproblemen,<br />

die durch die Behandlung von Jahreszahlen als zweistellige Angabe<br />

drohten? Was würde es mit sich bringen, wenn Computer statt des<br />

1. Jänner 2000 den 1. Jänner 1900 ausweisen? Nichts Wesentliches<br />

ist Gott sei Dank geschehen. Der Aufbruch ins neue Jahrtausend hat<br />

andere spannende Perspektiven.<br />

Die österreichische Wende ist auch eine politische; im Februar 2000<br />

wird die erste schwarz-blaue Regierung Schüssel gebildet. Eine starke<br />

Polarisierung durchzieht das Land. Die EU belegt das Land mit politischen<br />

Sanktionen. Das Jahr 2000 bringt Österreich ein »Wendejahr«<br />

auch für die Wirtschaft. Budgetsanierung heißt das Schlagwort. Und<br />

das bedeutet: neue Belastungen für alle Österreicher. Von Gebührenerhöhungen<br />

bis zu Selbstbehalten im Gesundheitsbereich und zum<br />

Wegfall so manchen Steuerzuckerls.<br />

Von »sozialer Treffsicherheit« ist schon damals viel die Rede.<br />

In diesem Jahr wird in der Zeit im Bild um 13 Uhr die Börseleiste<br />

192


eingeführt. Moderatorin wird Waltraud Langer aus unserem Team. Sie<br />

wird 2001 mit der Leitung der Wirtschaftsredaktion für die Zeit im<br />

Bild 1 beauftragt. Mir wird gleichzeitig die Funktion des ORF-Wirtschaftssprechers<br />

übertragen.<br />

2001 steht die Information ganz im Zeichen der bevorstehenden<br />

Euro-Bargeldeinführung. Der ORF startet in Kooperation mit der Wirtschaftskammer<br />

Österreich und der Österreichischen Nationalbank eine<br />

Hotline, die sich mit Fragen der Euro-Einführung beschäftigt. Im Wirtschaftsmagazin<br />

gibt es die »Doppelte Preisauszeichnung«: Ab 1. Juli<br />

2001 werden auf allen Inserts der TV-Beiträge die Preise in Schilling<br />

und in Euro aufgelistet.<br />

Ende August 2001 zeigt Nationalbank-Präsident Klaus Liebscher erstmals<br />

im Wirtschaftsmagazin die neuen Euro-Banknoten. Bereits am<br />

1. September beginnt die Vorverteilung der Euro-Banknoten und -Cent<br />

Münzen an Banken und Unternehmen. Am 15. Dezember gibt es dann<br />

die Euro-Startpakete »für alle«.<br />

Ein weiterer Aspekt des Geldlebens 2001, der uns in Erinnerung bleibt,<br />

sind die turbulente Entwicklung der internationalen Börsen und<br />

schließlich die Kursstürze, die die Terroranschläge vom 11. September<br />

verursachen. Die USA verfallen 2001 in eine Rezession.<br />

Der EU-Kommissar für die »Erweiterung«, der deutsche Günter Verheugen,<br />

meint im ORF-Wirtschaftsmagazin: »Die Bewahrung der inneren<br />

und äußeren Sicherheit steht heute an oberster Stelle der europäischen<br />

Agenda. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation wird<br />

wieder deutlich, worum es bei der Erweiterung der EU eigentlich geht:<br />

um ein geopolitisch-strategisches Großprojekt, das Europa tief greifend<br />

verändern wird.« Und er sagt dann: »Nur auf der Grundlage des inneren<br />

und äußeren Friedens in Europa lassen sich nachhaltiges Wachstum<br />

und Wohlstand erzielen.« Nach dem Motto: Mehr Integration erfordert<br />

mehr Sicherheit.<br />

Am 1. Jänner 2002 lösen Euro und Cent Schilling und Groschen als<br />

Zahlungsmittel ab. Beide Währungen sind noch bis Ende Juni in Verwendung.<br />

Dann wird der Schilling endgültig vom Euro ersetzt.<br />

193


Im ORF wird Gerhard Weis als Generalintendant von Monika Lindner<br />

abgelöst und im Zuge ihrer Programmreform erhält im Oktober 2002<br />

die Wirtschaftssendung des ORF den neuen Namen »<strong>€CO</strong>«.<br />

Ein weiteres Thema, das noch bis ins Jahr 2002 die Österreicher bewegt,<br />

ist die Abschaffung der Sparbuch-Anonymität. Doch die weitere<br />

Entwicklung beweist, dass sich auch die besondere österreichische Lösung<br />

des Bankgeheimnisses bewährt.<br />

Im September 2002 zerbricht nach einem Sonderparteitag in Knittelfeld<br />

die ÖVP/FPÖ-Koalition. Die Novemberwahlen gewinnt die ÖVP –<br />

und sie macht mit der geschwächten FPÖ weiter.<br />

Finanzminister Grasser, damals beliebt und geachtet, verkündet ein<br />

saniertes Budget. Erst Jahre später wird enttarnt, was damals alles<br />

gelaufen ist.<br />

Im Prozess der EU-Erweiterung wird 2003 ein<br />

ereignisreiches Jahr. In Deutschland finden<br />

Parlamentswahlen statt. Gerhard Schröders<br />

Amtszeit als Chef einer rot-grünen Koalition<br />

wird verlängert, Jacques Chiracs Position bei den Präsidentenwahlen<br />

in Frankreich gestärkt. Weil es keine Veränderung gibt, erleichtert<br />

dies die Einigung der EU mit den »neuen Beitrittsländern« im Osten,<br />

vor allem in der Agrarfrage. Im April 2003 werden die Beitrittsverträge<br />

mit zehn Ländern feierlich unterzeichnet. Neben den beiden Mittelmeerinseln<br />

Malta und Zypern, den drei baltischen Ländern Estland,<br />

Lettland und Litauen kommen ab Mai 2004 auch die fünf Länder zur<br />

EU, die für Österreich von größter Bedeutung sind: die mittelbaren<br />

und unmittelbaren Nachbarn Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn<br />

und Polen.<br />

Die EU wächst in<br />

Richtung Osten<br />

Durch die EU-Erweiterung rückt Österreich geopolitisch wieder ins<br />

Zentrum Europas und gewinnt ohne Zweifel an Bedeutung.<br />

Österreichs Wirtschaft kommt im Osten eine tragende Rolle<br />

zu. Viele Betriebe haben sich schon in den Jahren vor 2004 in den<br />

zentraleuropäischen Nachbarländern angesiedelt. Damit wird eine<br />

194


langfristig strategisch richtige Standortwahl getroffen. In naher<br />

Zukunft befinden auch sie sich mit ihren osteuropäischen Tochterunternehmen<br />

in der EU, womit die Vorteile des freien Personen-,<br />

Waren- und Dienstleistungsverkehr voll genützt werden.<br />

2005 ist für die Republik Österreich ein Jubiläums- und Gedenkjahr.<br />

In dessen Mittelpunkt stehen die Jubiläen »60 Jahre Zweite Republik«,<br />

»50 Jahre Staatsvertrag« und »10 Jahre EU-Mitgliedschaft«. Dieses<br />

Gedenkjahr bietet dem ORF-Wirtschaftsmagazin Gelegenheit, Vergangenheit<br />

und Zukunftsperspektiven zusammenzuführen. Das gilt insbesondere<br />

im Hinblick auf die Entwicklung von Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Technologie. <strong>€CO</strong> geht damals der Frage nach, ob die Österreicher<br />

– wenn die Medizin weiter so große Fortschritte macht – nicht<br />

bis zum Alter von 70 Jahren im Arbeitsprozess stehen könnten ...<br />

2005 wird die – laut Regierung – »größte Steuerreform der Zweiten<br />

Republik« in einer zweiten Etappe umgesetzt. Aber nicht jeder Steuerzahler<br />

wird entlastet; Kleinstverdiener bekommen nichts und Spitzenverdiener<br />

de facto auch nichts. Ein neues Jahr – auch eine neue<br />

Pensionsreform. 2005 tritt mit der so genannten »Harmonisierung«<br />

die dritte Reform innerhalb weniger Jahre in Kraft. Mit dem Pensionskonto<br />

wird ein neues, einheitliches Pensionssystem für alle Unter-50-Jährigen<br />

geschaffen. Die Reform bringt Änderungen bei den<br />

Versicherungszeiten, bei der Erlangung eines Anspruchs und bei der<br />

Pensionsberechnung. Das Expertenurteil: Die Harmonisierung ist für<br />

Ältere günstiger, für Jüngere schlechter – und für alle komplizierter.<br />

Österreichs Bankenlandschaft verändert sich 2005 dramatisch. Der<br />

größte Bankkonzern, die Bank Austria-Creditanstalt, erfährt einen<br />

einschneidenden Eigentümerwechsel. Statt der bayerischen Hypo-Vereinsbank<br />

ist sie in den Besitz der italienischen UniCredit übergegangen<br />

und wird entscheidend umstrukturiert.<br />

Die viertgrößte Bankengruppe, der BAWAG-PSK-Konzern, muss im<br />

Spätherbst 2005 eine bittere Erfahrung machen. Eine ihrer langjährigen<br />

Partnergesellschaften in den USA, die Maklerfirma Refco bzw.<br />

deren Haupteigentümer Bennett, lockt dem Management an einem<br />

Oktober-Wochenende unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen<br />

195


350-Millionen-Euro-Kredit heraus. Die Sicherheiten werden nicht ausreichend<br />

geprüft. Als der Fehler bemerkt wird und die Bank das Geld<br />

zurückholen will, ist es zu spät. Die Refco wird insolvent. Das verantwortliche<br />

Management tritt in Wien zurück und macht dem Nationalökonomen<br />

Ewald Nowotny Platz.<br />

Im Frühjahr 2006 informiert Nowotny die Finanzmarktaufsicht über<br />

spekulative Karibik-Geschäfte. Bawag-Aufsichtsratschef Günter<br />

Weninger enthüllt hohe Verluste aus dem Jahr 2000 und die damalige<br />

Garantie des ÖGB für die BAWAG. Weninger tritt zurück. ÖGB-Chef Verzetnitsch<br />

verteidigt die Entscheidung, die Haftung für die BAWAG zu<br />

übernehmen. Auch Verzetnitsch tritt zurück. Vier BAWAG-Vorstände<br />

müssen gehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der ÖGB-Bundesvorstand<br />

fasst in einer Nachtsitzung den Grundsatzbeschluss zum vollständigen<br />

Verkauf der BAWAG. Ende Dezember wird die BAWAG tatsächlich<br />

an den US-Investor Cerberus verkauft.<br />

Im folgenden Frühjahr wird Ex-Generaldirektor Elsner in Frankreich<br />

verhaftet. Es folgen gegen ihn und andere Vorstände erste Prozesse; bis<br />

heute gelingt die vollständige Aufklärung des Bawag-Skandals nicht.<br />

Dr. Franz Hlavac, Jahrgang 1948, maturierte 1966 am<br />

Schottengymnasium in Wien. Anschließend absolvierte er den<br />

ordentlichen Präsenzdienst. 1967 begann er das Studium der<br />

Zeitgeschichte und Germanistik an der Philosophischen Fakultät<br />

der Universität Wien. 1973 promovierte er zum Doktor der<br />

Philosophie.<br />

Erste journalistische Erfahrungen sammelte Franz Hlavac<br />

ab 1971 als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen<br />

und beim Hörfunk des ORF. Im April 1974 wurde er im Aktuellen Dienst des<br />

Fernsehens angestellt. 1989 wurde Dr. Hlavac Programmkoordinator in der Fernseh-<br />

Informationsintendanz und Leiter des Europa-Magazins »Compass«.<br />

Von 1. Jänner 1992 bis 31. Dezember 2009 leitete Franz Hlavac die<br />

Wirtschaftsredaktion des Fernsehens und damit auch das Wirtschaftsmagazin.<br />

Zunächst das Magazin »Schilling«, danach »Euro Austria« und zuletzt »<strong>€CO</strong>«. In<br />

dieser Zeit koordinierte er die Berichterstattung über den EU-Beitritt Österreichs<br />

(1992 bis 1995). Außerdem koordinierte Dr. Hlavac auch die ORF-Berichterstattung<br />

über die Währungsumstellung auf den Euro.<br />

Im August 2005 wurde ihm der Professortitel verliehen.<br />

Seit 2010 arbeitet Franz Hlavac als freier Journalist und Buchautor. Im »Styria«-<br />

Verlag erschien 2011 der Bestseller »Unser Friaul« (Autoren: Dr. Gisela Hopfmüller<br />

und Dr. Franz Hlavac).<br />

196


Im Jahr 2006 steht Österreich auch im Mittelpunkt der europäi schen<br />

Politik. Im ersten Halbjahr übernimmt unser Land die EU-Präsidentschaft.<br />

Europa neuen Schwung verleihen – unter diesem Motto startet<br />

Österreich ins Mozartjahr. Am 26. Jänner, an Mozarts <strong>25</strong>0. Geburtstag,<br />

lädt EU-Ratspräsident Schüssel 24 Staats- und Regierungschefs nach<br />

Salzburg ein. Es steht die Schlussphase der Gespräche mit Bulgarien<br />

und Rumänien an sowie die Anfangsphase der Beitrittsverhandlungen<br />

mit Kroatien und der Türkei.<br />

Die schwierigen Rahmenbedingungen 2006: 20 Millionen Arbeitslose<br />

in Europa. Pessimismus und Reformkrise trotz leichter Konjunkturverbesserung.<br />

Ausgesprochen positive Zeichen kommen nur aus<br />

Japan. China erwartet acht Prozent Wirtschaftswachstum. Die EU zwei<br />

Prozent.<br />

2007 – ein Jahr der Veränderungen. In Österreich tritt die Regierung<br />

Gusenbauer/Molterer an. Alexander Wrabetz ist neuer Generaldirektor<br />

des ORF. Die Anleger an den internationalen Börsen brauchen Nerven<br />

wie Drahtseile. Kreditkrise, Bankenkrise, Finanzkrise sind die<br />

Schlagwörter des Jahres im Herbst. Tatsache ist, dass von vielen Anlegern<br />

die US-Hypothekenkrise nicht ernst genug eingeschätzt worden<br />

ist. Viele Banker, Ökonomen, Wirtschaftsforscher und Politiker glauben,<br />

dass sich die Gewitterwolken bald verziehen werden. Alle haben<br />

Unrecht.<br />

Der 15. September 2008, der Tag, an dem die US-Investment-Bank<br />

Lehman Brothers kollabiert, ist ein historischer Tag. Die Finanzkrise<br />

ist über Nacht global zu spüren und sie zwingt in der Folge Banken,<br />

Märkte und ganze Staaten in die Knie. Noch nie zuvor ist so viel Kapital<br />

in ganz kurzer Zeit vernichtet worden und noch nie zuvor sind<br />

so viele hoch bezahlte Experten als Blender und Betrüger enttarnt<br />

worden.<br />

Warum es so weit kommen konnte, ist einfach zu beantworten.<br />

Eine Kombination von Gier, Unvorsichtigkeit und Unwissen und der<br />

Glaube, dass Risiko keinen Preis hat, diese Mixtur ist letztendlich<br />

der Ausgangspunkt der Krise. Dazu kommt, dass wir in Österreich und<br />

197


Günther Schmidt, Franz Hlavac: Ein Jahrbuch wird geboren<br />

(Foto: ORF)<br />

auch in Zentral- und Osteuropa lange in der falschen Überzeugung<br />

lebten, wir hätten nicht in die Subprime-Papiere investiert. Ein Irrglaube,<br />

also werden wir von den Folgen dieser Produkte nicht bewahrt.<br />

Das war der Hauptfehler. Wir haben geglaubt, dass die Finanzkrise in<br />

den USA keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft in Österreich und<br />

Zentral- und Osteuropa haben wird.<br />

Dass die Welt im September wirtschaftlich am Abgrund steht, zeigt die<br />

Dokumentation der BBC, die <strong>€CO</strong> im Sommer 2010 ausstrahlt.<br />

In diesem Sommer wird Hans Tesch zu meinem Nachfolger als Leiter<br />

des Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong> bestellt. Sein Team hat in den letzten<br />

Jahren gezeigt, dass <strong>€CO</strong> seine besten Momente hat, wenn es gelingt,<br />

plastisch Zusammenhänge aufzuzeigen und Fragen zu aktuellen Entwicklungen<br />

zu geben. Die Zuseherzahlen geben dem <strong>€CO</strong>-Team Recht.<br />

Ich bin 2010 aus dem ORF altersbedingt ausgeschieden. Meine Frau<br />

und ich leben jetzt als freie Journalisten teilweise im Friaul und in<br />

Wien. Im März 2013 wird unser zweites Buch über Friaul erscheinen.<br />

Titel: »Friaul erleben«, eine historische und kulinarische Reise durch<br />

unsere Teilzeit-Heimat.<br />

198


Große Worte –<br />

meist sogar richtige<br />

gesammelt von Günther Kogler<br />

»Träumt groß. Arbeitet hart. Denkt selbstständig.«<br />

Lehrer David McCullough jr. verabschiedet die Absolventen<br />

der Highschool von Wellesley, einem Vorort von Boston.<br />

Seine bewegende Rede wurde auf »Youtube« gestellt und von<br />

US-Nutzern mehrere Millionen Mal angeklickt.<br />

»Erklimmt die Berge nicht, um dort eine Flagge zu hissen,<br />

sondern wegen der Herausforderung. Erklimmt die Berge, damit<br />

ihr die Welt sehen könnt, nicht damit die Welt euch sieht.«<br />

Derselbe.<br />

»Adelstitel sollen in Österreich auf zehn Jahre vergeben<br />

werden. So wie Wunschkennzeichen.«<br />

Auf diese Idee ist das demokratische Österreich tatsächlich<br />

noch nicht gekommen. Zitat von Ulrich »von« Habsburg, einem<br />

Urururur-Urenkel von Kaiserin Maria Theresia.<br />

»Ich bin nicht mediengeil; die Medien sind geil auf mich.«<br />

Balettstar Karina Sarkissova ahnt, wie sie auf die Öffentlichkeit wirkt.<br />

»Politik ist wie Schlammcatchen mit einem Schwein:<br />

Du wirst dreckig und dem Schwein macht es Spaß.«<br />

Alexander Morlang, Berliner »Pirat«, über die Zustände<br />

(nicht nur) in der deutschen Innenpolitik.<br />

»Wir nennen das bulls without balls.«<br />

Was Frank Stronach über Wirtschaftsforscher denkt,<br />

übersetzen wir lieber nicht.<br />

»Das Wort Ungehorsam kann so nicht stehen bleiben.«<br />

Kardinal Christoph Schönborn weist behutsam auf die klitzekleine<br />

Differenz hin, die er mit der »Pfarrerinitiative« hat.<br />

199


Die AutorInnen des ORF-Teiles<br />

Angelika Christine Ahrens<br />

Geboren: 24. 3. 1972 in Salzburg,<br />

aufgewachsen in Freilassing/Deutschland<br />

Schulbildung: Abitur am Rottmayr-Gymnasium<br />

Laufen (Abschluss 1991)<br />

Bis 1994 <strong>Sparkasse</strong> Berchtesgadener Land, parallel dazu eine TV/<br />

Radioausbildung; 1994 Brokerbüro Hornblower Fischer New York;<br />

1994–96 Studium an der Europäischen Journalismus Akademie,<br />

Donauuniversität Krems (Master of Advanced Studies,<br />

Journalism in Print, Radio and Television).<br />

Ab 1995 für den ORF (Österreicher Rundfunk) unterwegs<br />

zunächst als Volontärin im Aktuellen Dienst Niederösterreich.<br />

Ab 2001 Moderation und Gestaltung der Börsenleiste in der »ZiB<br />

13 Uhr«, TV-Beiträge in der »ZiB 1«, »ZiB 2« und <strong>€CO</strong> sowie seit<br />

2002 Moderation des Wirtschaftsmagazins <strong>€CO</strong><br />

Mag. Bettina Fink<br />

Geboren in Bregenz, Vorarlberg<br />

seit 2000: Redakteurin beim Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>,<br />

zuvor bei der Zeit im Bild<br />

1994–2000: ORF-Landesstudio Vorarlberg, Chefin vom Dienst für<br />

die Sendung »Vorarlberg heute«.<br />

1993–94: Freie Journalistin in Berlin. Ständige freie<br />

Mitarbeiterin der Tageszeitung »taz«, Kulturberichte für »Die<br />

Welt«, Hörfunk-Beiträge für den »Sender Freies Berlin«<br />

1990–93: »Energieinstitut Vorarlberg«, Projektleiterin für<br />

Öffentlichkeitsarbeit in der Non-Profit-Organisation.<br />

1989–90: »Vorarlberger Nachrichten«, Bregenz, Redakteurin in<br />

den Bereichen Lokales, Kultur und Wirtschaft<br />

Studium der Germanistik, Publizistik und Kommunikationswissenschaften<br />

an den Universitäten Salzburg bzw. Innsbruck<br />

Hans Hrabal<br />

geb. 19. 9. 1964<br />

Seit Sommer 2010 Redakteur beim Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>, ORF<br />

2004–10 Leiter Business Development Neue Medien, ORF<br />

2000–04 Projektleiter Fernsehdigitalisierung,<br />

1998–2000 Redakteur für Konsumentenschutz- und<br />

Bürgerservice-Themen beim Vorabendmagazin<br />

Willkommen Österreich, ORF<br />

1992–98 Redakteur Wir Bürgerservice, ORF<br />

1988–92 Freier Journalist für TREND, PROFIL, WIENER, Ö3<br />

Studium der Politikwissenschaft und Handelswissenschaft in<br />

Wien. Post Graduate Studien in Washington D.C., Bologna und<br />

Berlin<br />

200


Günther Kogler<br />

geb 1956 in Übelbach in der Steiermark; Matura in Graz;<br />

Computerausbildung Systemprogrammierer;<br />

seit 1982 verheiratet, zwei Kinder<br />

1976 Freier Mitarbeiter »Kleine Zeitung«,<br />

1979 Redakteur für Innenpolitik<br />

1988 Leiter der Lokalredaktion »Kleine Zeitung«, Graz<br />

1989 ORF-Landesstudio Steiermark<br />

1994 ORF Wien, Politikmagazin »Der Report«<br />

seit 1998 Vortrags- und Prüfungstätigkeit im Rahmen des<br />

» Medienkundlichen Lehrganges« an der Universität Graz<br />

2001 Sendungsverantwortlicher »TV- Diskussionen«<br />

seit 2010 stv. Sendungsverantwortlicher <strong>€CO</strong><br />

Hobbys: Neugier, Architektur, steirischer Weißwein,<br />

Flugmaschinen aller Art<br />

Dr. Christina Kronaus<br />

Studium der Romanistik und Publizistik<br />

an der Universität Wien.<br />

Lehrgang für Werbung und Verkauf an der<br />

Wirtschaftsuniversität Wien.<br />

Journalistische Lehrjahre in der »Presse«,<br />

seit 1984 Reporterin/Filmemacherin für den ORF/3Sat.<br />

Produktionen für internationale Fernsehprojekte<br />

zum Thema Frauen/Umwelt/Nachhaltigkeit.<br />

Lehrtätigkeit für die europäische<br />

Konsumentenschutzorganisation<br />

BEUC in Brüssel.<br />

Mag. Ilja Morozov<br />

Geboren 1986 in Moskau, aufgewachsen in St. Pölten,<br />

gesegnet mit steirischen Wurzeln. Wirtschaftlich geprägt<br />

durch seine HAK-Ausbildung und dem Wirtschaftsstudium<br />

ab 2006 (Diplom), mit Spezialisierung auf Außenhandel<br />

und Unternehmensführung. Suchte frühen Kontakt mit der<br />

Praxis: in der Schulzeit Verkäufer im Möbelhaus Leiner, div.<br />

Praktika im Controlling, Ausbildung zum Vermögensberater,<br />

Marketingpraktikum bei 3M, Backstage-Guide im ORF usw.<br />

Einstieg in den Journalismus 2006 als freier Redakteur bei den<br />

Bezirksblättern, 2009 ORF-Redaktionspraktikant in der »Zeit im<br />

Bild«. Zunächst im Aktuellen Dienst des ORF, seit November 2010<br />

bei <strong>€CO</strong><br />

201


Sabina Riedl<br />

Geboren am 14. 5. 1965 in Wien<br />

Aufgewachsen in den USA, in Chapel Hill, North Carolina.<br />

1976–83 Gymnasium in Wien 19, Gymnasiumstraße<br />

Ab 1984 Studium am Institut für Übersetzer- und<br />

Dolmetscherausbildung / Englisch und Italienisch<br />

Seit 1987 Redakteurin im ORF<br />

1998 Staatspreis für Wissenschaftspublizistik für die<br />

Dokumentation »Der kleine Unterschied«, ein Feature über<br />

Geschlechtsunterschiede in der Sendereihe Modern Times Spezial<br />

Seit 1999 ist sie als Redakteurin für das<br />

Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong> im Dauereinsatz<br />

Sie ist Mutter einer 12-jährigen Tochter und frönt privat<br />

dem Boxsport, Reisen, Kinofilmen, Rockmusik und dem<br />

Gitarrespielen.<br />

Mag. Hans Tesch<br />

Jahrgang 1955. Studierter Betriebswirtschafter,<br />

Wirtschaftsuni Wien.<br />

Journalist mit Leib und Seele. Begonnen 1979 als Freier<br />

Mitarbeiter der Zeit-im-Bild-Redaktion, dann Redakteur und<br />

Chefredakteur im ORF-Landesstudio Burgenland. Seit Anfang<br />

2011 Leiter von <strong>€CO</strong>. Sachbuchautor von »Sicher selbständig«<br />

und »Bauen, kaufen, finanzieren«, Wirtschaftsverlag<br />

Ueberreuter. Projektentwickler und Studienverfasser<br />

Als ehrenamtlicher Obmann des Franz-Liszt-Vereines im Wohnort<br />

Raiding die Basis für den Bau des Konzerthauses und somit für<br />

den heute hochkarätigen Konzertbetrieb geschaffen.<br />

»Liest« gerne Hörbucher, »studiert« gerne Wein-Jahrgänge.<br />

Tätigkeit als Hobby-Winzer im Geburtsort Horitschon.<br />

Hans Wu<br />

Geboren in Wien, am 28. 11. 1969<br />

Sohn von Liu Lee-Chun, Landwirtin, und<br />

DI Dr. Wu Zun-Ho, Landwirt<br />

1980–88 BRGXXI Ödenburgerstraße in 1210 Wien<br />

1988–95 Studium der Geschichte an der Uni Wien<br />

1991–2000 Redakteur/Gestalter beim ORF.<br />

2002 Application Research Manager und Trendscout beim<br />

Mobilfunkbetreiber ONE GmbH<br />

2003 Produktentwickler beim Mobilfunk-Serviceentwickler<br />

Connovation GmbH<br />

2003–07 Produktmanager bei ORF Online<br />

2007–09 Redakteur bei der ORF-Sendung »Wie bitte?«<br />

2009 Wechsel zur ORF-Wirtschaftssendung <strong>€CO</strong><br />

202


Die AutorInnen des ORF-Teiles<br />

Philipp Jauernik<br />

Geboren 1987 in Wien, Studium der Geschichte mit Fokus auf<br />

Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Journalistenausbildungen<br />

an diversen Schulen, Praktika im Zuge eines selbst gebastelten<br />

Medientrainee-Programms bei APA, Furche, Die Presse und <strong>€CO</strong>.<br />

Außerdem mehrere längere Aufenthalte in Brüssel. Seit Sommer<br />

als freier Journalist in Wien tätig.<br />

Mag. Beate Haselmayer<br />

geb. 1981 in Tulln in NÖ.<br />

Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften,<br />

Slawistik und Deutsch als Fremdsprache in Wien.<br />

Studienaufenthalte in Russland und der Ukraine.<br />

Stipendium an der Donau-Universität Krems (Lehrgang für<br />

Fernsehjournalismus). 2006: Recherche für Dokumentarfilme.<br />

2007–2012: Freie Reporterin für die ORF-Reportagesendung »Am<br />

Schauplatz«. 2011–2012: Freie Mitarbeiterin in der »Zeit im Bild«.<br />

Seit März 2012: Redakteurin im ORF-Wirtschaftsmagazin <strong>€CO</strong>.<br />

Katinka Nowotny<br />

Jahrgang 1964; Studium Volkswirtschaft und Soziologie an der<br />

Universität Wien, Master (M.A.) in Television Journalism an der<br />

New York University mit einem Fulbright-Stipendium.<br />

Seit mehr als zwei Jahrzehnten Fernsehjournalistin aus<br />

Leidenschaft. Aufgewachsen in Kairo, New York und Wien hat sie<br />

immer wieder für das Weltjournal aus Krisengebieten berichtet:<br />

aus Nordkorea, aus Sarajevo, aus New York nach 9/11. Nebenbei<br />

15 Jahre lang Österreich-Korrespondentin von CNN World View.<br />

Zahlreiche Journalistenpreise. 2011 »Chefin vom Dienst« im<br />

Weltjournal. Ab 2012 im Stammteam von <strong>€CO</strong>. Ganz nach dem<br />

Motto: »Wirtschaft in diesen Zeiten ist spannend wie selten<br />

zuvor.« Verheiratet; zwei Kinder. Eine begeisterte Ruderin und<br />

jeden Sommer besteigt sie einen Dreitausender in Österreich.<br />

203


204<br />

Von links nach rechts:<br />

Franz Gschiegl, Bernadett Povazsai-Römhild, Thomas Schaufler


Zoltan Bakay, Rainer Münz<br />

205


War die Zeit als Banker vor <strong>25</strong> Jahren eine »schönere«? Ich weiß,<br />

auf was Sie hinauswollen. Die Reputation von Bankern in der heutigen<br />

Zeit und so ... Aber, ehrlich gesagt, ich habe mir diese Frage<br />

noch nie so gestellt. Denn als Banker muss ich die Verantwortung für<br />

die Spareinlagen meiner Kunden tragen und vor diesem Hintergrund<br />

entscheiden, wie ich kreditfinanzierte Projekte einschätze. Daran<br />

hat sich nichts geändert. Man darf aber nicht vergessen, dass die<br />

Bankenbranche vor einem totalen Umbruch steht. Das ist auf der einen<br />

Seite spannend, aber es ist auch eine Herausforderung. Immerhin kann<br />

man so auch beweisen, ob man sein Unternehmen kennt und wie gut<br />

man es vor Untiefen schützen kann. Insofern ist es heute wahrscheinlich<br />

sogar aufregender als vor <strong>25</strong> Jahren.<br />

War die Bankenlandschaft damals stabiler als heute? In Österreich<br />

war sie bis in die späten 1990er-Jahre von verstaatlichten Banken oder<br />

von Banken, deren Eigentümer nicht an entsprechenden Erträgen interessiert<br />

waren, geprägt. Das hat sich im Vergleich zu heute wesentlich<br />

verbessert. Was in ganz Europa im Vergleich zu den USA aber nicht<br />

passiert ist, ist ein Abbau der Überkapazitäten im Bankensektor.<br />

Während in den USA seit 2008 allein 1800 Banken geschlossen worden<br />

sind und das Geschäft auf die verbleibenden Banken übergegangen ist,<br />

gab es so etwas in Europa nicht einmal annähernd. Und das halte ich<br />

für ungesund.<br />

Die Erste war zu dieser Zeit eine kleine <strong>Sparkasse</strong>. Sie waren maßgeblich<br />

daran beteiligt, dass die Erste heute eine der größten<br />

Bankengruppen in Zentraleuropa ist. Rückblickend eine kluge<br />

Entscheidung? Ja, es war eine kluge Entscheidung, weil wir uns neue,<br />

wichtige Wachstumsmärkte erschlossen und dadurch Arbeitsplätze in<br />

Österreich gesichert und aufgebaut haben. Ohne die damals begonnene<br />

Expansion nach Tschechien, in die Slowakei und bis nach Rumänien<br />

gäbe es keine eigenständigen österreichischen Banken mehr – und<br />

auch viele andere heimische Firmen, die sich in der Region etabliert<br />

206<br />

Bankgeschäft vor <strong>25</strong> Jahren –<br />

wo waren eigentlich Sie damals?<br />

Andreas Treichl im Gespräch


Andreas Treichl<br />

(Foto: Godany)<br />

haben nicht. Und wir werden als Land auch weiterhin von dieser<br />

Region profitieren, weil sie die einzige Wachstumsregion in Europa<br />

ist. Was uns als Region in Zentraleuropa allerdings noch fehlt, ist<br />

die Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr erreichen könnten. Ich<br />

habe da die skandinavischen Staaten vor Augen, die uns zeigen, wie<br />

man sich als Region interna tional sehr gut positioniert und damit für<br />

Investoren interessant wird.<br />

Der Wirtschaftsmotor will seit über vier Jahren nicht mehr richtig<br />

anspringen. Was sind Ihrer Meinung nach jetzt die größten<br />

Herausforderungen für Banken? Im Moment sicherlich die Unsicherheit<br />

über die künftigen Regelwerke. Derzeit haben wir drei unterschiedlich<br />

hohe Anforderungen an das Eigenkapital, die allesamt<br />

anders berechnet werden und von verschiedenen Regulatoren überwacht<br />

werden. Das ist ineffizient und lähmend. In Zeiten wirtschaftlicher<br />

Unsicherheit kann so etwas die Situation noch verschärfen. Ein<br />

Beispiel: Der Straßenverkehr wird dann am sichersten, wenn sich niemand<br />

mehr bewegt. Aber dann kommt keiner mehr vorwärts. Und das<br />

darf im Bankgeschäft nicht passieren, denn unser Geschäft ist es, der<br />

Wirtschaft das Risiko abzusichern. Das können wir sofort ausschalten,<br />

wenn wir den Banken 100 Prozent Eigenkapital vorschreiben. Nur,<br />

dann be wegt sich auch in der Wirtschaft nichts mehr.<br />

207


Wird es jemals wieder so werden wie »früher«?<br />

(Anm.: Wachstum wie bis Mitte/Ende<br />

der 2000er-Jahre) Ja, jede Krise hat irgendwann<br />

ein Ende. Es ist zugegebenermaßen eine<br />

schwere Krise, die wir erleben, aber auch nicht<br />

die erste. Was wir brauchen, sind Vertrauen<br />

und Sicherheit. Beides ist im Moment noch<br />

ziemlich unterentwickelt. Wir sollten aber alles daran setzen, den<br />

Menschen Zuversicht in die wirtschaftliche Entwicklung zu geben. Ganz<br />

besonders wichtig ist dies für die Länder im Süden Europas. Denn aus<br />

einer Jugendarbeitslosigkeit von knapp 50 Prozent können politische<br />

Strömungen entstehen, die wir alle in Europa nicht mehr haben wollen.<br />

»Jede Krise hat<br />

irgendwann ein Ende<br />

… Nur der Blick nach<br />

vorne bringt einen<br />

voran.«<br />

Und um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wie früher wird es nicht mehr.<br />

Das ist aber auch gut so. Wachstum um des Wachstums willen ist nicht<br />

nachhaltig.<br />

Was macht ein Banker wie Sie eigentlich an einem »normalen«<br />

Arbeitstag? Mir den Kopf darüber zerbrechen, wie wir die Kunden in<br />

unserer Region noch besser erreichen können. Und das nicht nur mit<br />

unserem Service, sondern wir müssen das Bankgeschäft insgesamt verständlicher<br />

machen. Dazu trägt auch hoffentlich das <strong>€CO</strong>-Jahrbuch bei:<br />

Wirtschaftsthemen und Zusammenhänge kurz und kompakt zu erklären.<br />

Das Image von Bankern hat in den letzten Jahren schwer gelitten.<br />

Welches Ego bzw. welches Selbstverständnis braucht ein<br />

Banker heute, um zu überleben? Das stimmt und ist gleichzeitig<br />

aber auch falsch. Ja, wir werden für die Krise verantwortlich<br />

gemacht, aber gleichzeitig wird auch der eigene Berater oder die<br />

eigene Bank als vertrauenswürdig eingeschätzt. Da hilft uns sicherlich,<br />

dass wir als heimische Banken immer nur das klassische Einlagen-<br />

Kredit-Geschäft gemacht haben. Wir finanzieren unseren Wohnbau,<br />

wir ölen den Wirtschaftsmotor und sind regionaler Partner unserer<br />

Klein- und Mittelbetriebe. Anonymisiert werden wir als Branche aber<br />

für Missstände verantwortlich gemacht, die wir nicht verursacht haben.<br />

Damit meine ich die Problematik der öffentlichen Verschuldung.<br />

Außerdem liegt viel an noch immer gültigen Regelungen: Z. B. wenn ich<br />

als Bank einer Firma, die ich seit hundert Jahren kenne und die immer<br />

208


profitabel war, einen Kredit geben will, muss ich aktuell zehn Mal so<br />

viel Eigenkapital vorhalten, als wenn ich eine Anleihe von Griechenland<br />

kaufe, von der ich jetzt schon weiß, dass sie, wenn überhaupt, nur über<br />

den Steuerzahler zurückgezahlt werden kann. Das ist doch verrückt.<br />

»Was sich aber<br />

geändert hat, ist die<br />

Wahrnehmung von<br />

Risiko.«<br />

Was bedeutet Risiko heute? Grundsätzlich<br />

nichts anderes als früher. Risiko berechnet<br />

grob gesagt die Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

eines Negativereignisses. Was sich aber geändert<br />

hat, ist die Wahrnehmung von Risiko.<br />

Heute werden Risiken doch etwas differenzierter<br />

gesehen. Wer hat sich z. B. vor 2008 vorstellen können, dass<br />

eine US-Bank wie Lehman einfach pleitegehen kann und die ganze<br />

Finanzwirtschaft mit in den Abgrund reißt? Ein erhebliches Risiko das<br />

offenbar anders bewertet wurde. Das Bewusstsein hat sich jedenfalls<br />

geschärft. Als Banker muss ich auch sagen, Risiko ist teurer geworden.<br />

Durch das Misstrauen auf dem Kapitalmarkt und die regulatorischen<br />

Bestimmungen müssen Banken für die Übernahme von Kreditrisiken<br />

mehr Geld aufwenden. Insgesamt sind aber alle Akteure der Wirtschaft<br />

risikoaverser geworden, nicht nur die Banken.<br />

Wenn Sie heute ein Kind fragt, wozu man überhaupt Banken<br />

braucht, wie erklären Sie das? Das Kerngeschäft einer <strong>Sparkasse</strong>, so<br />

wie wir es sind, ist im Prinzip ein Simples: Auf der einen Seite zahlt<br />

die Bank denen, die Geld sparen, Zinsen. Wenngleich das bei der<br />

momentanen Vorgabe auf dem Geldmarkt nicht viel ist. Auf der anderen<br />

Seite bezahlt jemand, der Geld braucht, der Bank Zinsen für das Geld,<br />

das er sich ausborgt. Auch diese Zinsen sind aktuell so niedrig wie nie.<br />

Bei dem Ganzen übernimmt die Bank ein Risiko. Nämlich jenes, dass<br />

sie Geld verborgt und darauf vertraut, dass derjenige es zurückbezahlt.<br />

Mit der Differenz aus Spar- und Kreditzinsen verdienen wir unser Geld.<br />

Und man darf dabei nicht vergessen, Wachstum und somit Wohlstand<br />

sind nur möglich, wenn ich jemanden habe, der das damit verbundene<br />

finanzielle Risiko übernimmt. Und das sind eben nun mal die Banken.<br />

Zukunftsprognosen haben mittlerweile eine kurze Halbwertszeit.<br />

Trotzdem – wo sehen Sie Banken und deren Aufgaben in <strong>25</strong> Jahren?<br />

Hätten Sie mich das vor <strong>25</strong> Jahren gefragt, hätte ich wahrscheinlich<br />

209


nicht gedacht, dass heute jeder mit einem Smartphone herumläuft<br />

und seine Überweisungen auf dem Heimweg in der Straßenbahn machen<br />

kann. Es sind einerseits technologische Entwicklungen, die unser<br />

Geschäft noch stark verändern werden. Aber auch gesellschaftliche. Es<br />

heißt ja nicht, nur weil eine Technologie mal gut funktioniert, dass<br />

sie deswegen auch jeder gleich verwenden wird. Da gibt es auch viele<br />

kulturelle Unterschiede, allein wenn ich mir die USA anschaue und<br />

einzelne Länder in Europa. Ich glaube aber, in Summe wird es eine<br />

Kombination aus beidem sein – Bankgeschäft als Beziehungsgeschäft<br />

mit Menschen, wenn es um Wissen und Beratung geht. Auf der anderen<br />

Seite die »einfachen« Dinge, die jeder flexibel und unabhängig von<br />

e iner Filiale selbst erledigen will.<br />

Gibt es noch Wachstumsmöglichkeiten für Banken, quantitativ und<br />

qualitativ? Natürlich! In der Region Zentral- und Osteuropa ist die<br />

Durchdringung mit Bank- oder Versicherungsprodukten immer noch<br />

weit unter dem EU-Durchschnitt. Es gibt aber auch Nischen wie das<br />

Mikrokreditgeschäft oder der gesamte Bereich der Alternativ energie-<br />

Finanzierung. Da werden wir auch in Zukunft unseren Fokus weiter<br />

darauf legen.<br />

Muss man als Unternehmen wirklich immer weiter wachsen oder ist<br />

es auch irgendwann mal gut? Wachstum um jeden Preis führt in die<br />

falsche Richtung. Es geht darum, nachhaltige Entwicklungen zu fördern<br />

– auch in der Finanzwirtschaft. Die Zweite <strong>Sparkasse</strong> oder unsere<br />

Mikrofinanztochter Good.bee sind hier nur zwei Beispiele.<br />

Was motiviert Sie persönlich den Job noch<br />

zu machen – immerhin sind Sie schon<br />

über 30 Jahre Banker? Ich mache das aus<br />

Leidenschaft. Und weil ich auch nach über 30<br />

Jahren immer noch etwas bewirken und verändern<br />

möchte. Einen so großen Bankkonzern<br />

zu führen war gerade in den letzten Jahren<br />

eine echte Herausforderung. Und es tut sich<br />

so viel Neues – nicht immer nur Erfreuliches, aber dafür auch viel<br />

Notwendiges und das finde ich einfach spannend. Und es beschäftigen<br />

mich ja nicht immer nur die graue Theorie und Zahlen, sondern das<br />

»Einen so großen<br />

Bankkonzern zu<br />

führen war gerade<br />

in den letzten<br />

Jahren eine echte<br />

Herausforderung.«<br />

210


Andreas Treichl<br />

(Foto: Godany)<br />

ständige Weiterentwickeln unserer Bank. Wie kann ich unser Service<br />

verbessern? Was bedeutet die Technologisierung in den Hosentaschen<br />

(Anm. Smartphones) für unser Geschäft? Was erwarten die Menschen<br />

von einer modernen Bank und wie können wir das bieten? Das sind doch<br />

spannende Fragen, die mich laufend motivieren.<br />

Welche Perspektive geben Sie einem jungen Menschen, den Sie<br />

heute für eine Karriere in der Ersten anwerben wollen? Es gibt<br />

Entwicklungsmöglichkeiten in alle Richtungen. In einem so großen<br />

Unternehmen gibt’s fast alle Arten von Jobs: Lehrlinge, Kundenbetreuer,<br />

Risikomanager, Juristen, Marketingleute usw. – und es ist keine<br />

Seltenheit, dass ein Lehrling es bis zum Filialdirektor hier geschafft<br />

hat. In einer Bank zu arbeiten ist nach wie vor ein toller Job. Auch<br />

wenn seit der Finanzkrise manche das Gegenteil behaupten.<br />

Andreas Treichl absolvierte nach dem Studium der Volkswirtschaft mehrere<br />

Traineeprogramme in New York, wo er 1977 bei der Chase Manhatten Bank seine<br />

Banklaufbahn begann. Diese führte ihn über einen Zeitraum von 15 Jahren nach<br />

Brüssel, Athen und Wien. Im Jahr 1994 wurde Treichl Mitglied des Vorstandes der<br />

Erste Österreichische <strong>Sparkasse</strong> und am 1. Juli 1997 dessen Vorstandsvorsitzender.<br />

211


Auch wenn die Wiener Börse auf der Bühne der globalen Aktienmärkte<br />

nur eine ganz kleine Rolle spielt, so konnte sie sich doch des Öft<br />

eren gehörig in Szene setzen ... allerdings in beiden Richtungen.<br />

Kursvervielfachungen in relativ kurzen Zeitphasen wurden von extremen<br />

Abstürzen abgelöst – und umgekehrt. Mal standen die Austroaktien<br />

im Banne der internationalen Ereignisse, mal koppelten sie sich davon<br />

total ab, mal gab es eine hausgemachte Hausse 1 – und auch Baisse 2 , mal<br />

eine Siebenschläferphase. Immer wieder war der heimische Aktienmarkt<br />

auch für Überraschungen gut – ebenfalls in beiden Richtungen.<br />

Kneippkuren gab es jedenfalls im letzten Vierteljahrhundert ausreichend,<br />

damit aber oft auch enorme Kurschancen für mutige und antizyklisch<br />

agierende Investoren. Kleine Börsen, und mit einem Anteil von<br />

unter einem halben Prozent gemessen an der Weltbörsenkapitalisierung<br />

zählt Wien eben dazu, zeichnen sich durch hohe Volatilitäten und damit<br />

Kursbocksprüngen genauso aus wie durch international betrachtet<br />

geringe Umsätze, die eben diese Fluktuationen nach oben und unten<br />

mitverantworten.<br />

Wir beginnen unsere Zeitrechnung etwas früher, da in der globalen<br />

Börsegeschichte im Spätsommer 1982 eine der kräftigsten Haussephasen<br />

des letzten Jahrhunderts startete, nachdem eine schwere Rezession<br />

ihr Ende fand. Der weltweit am meisten beachtete Börsenindex, der 30<br />

Industrieaktien umfassende Dow Jones Industrial Index, lag im August<br />

1982 noch unter 800 Punkten, zum Jahresende waren es dann schon<br />

1070,55 Punkte und heute liegen die Werte bei etwa 13.000.<br />

212<br />

<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse –<br />

Rückblick, Status und Ausblick<br />

von Franz Gschiegl<br />

<strong>25</strong> Jahre Wiener Börse: eine bewegte Geschichte. <strong>25</strong> Jahre sind<br />

in der raschlebigen und hektischen Finanzwelt eine fast endlos<br />

erscheinende Zeitspanne. Trotzdem blicken wir kurz zurück und<br />

stellen dann die Wiener Börse hinter den Röntgenschirm für eine<br />

aktuelle anatomische Analyse.<br />

1 Phase steigender Kurse von Wertpapieren, Devisen etc.<br />

2 Baisse steht für anhaltend sinkende Kurse an den Börsen.


Die Börse Wien<br />

(Foto: Paul Weber/fotolia.de)<br />

An der Wiener Börse ging diese globale Trendwende allerdings fürs<br />

Erste einmal vorbei, der damals repräsentative Wiener Börse kammerindex<br />

fiel noch im Oktober auf 96,44 – den tiefsten Stand seiner Geschichte.<br />

14 Jahre davor, also 1968, lag der Startwert bei 100 (den ATX<br />

gibt es erst ab 1991, er wurde aber bis 1986 rückgerechnet).<br />

Das Jahr 1982 endete dann in Wien mit einem Minus von 6,65<br />

Prozent, während nahezu alle Weltbörsen mit einem kräftigen Plus<br />

abschlossen. Der heimische Aktienmarkt wurde vorerst von der internationalen<br />

Trendwende nicht angesteckt, erst gegen Jahresende<br />

zeigten sich leichte Kursanstiege. Schlechte Unternehmensergebnisse,<br />

Dividendenausfälle, weiter abnehmender Streubesitz und allgemeines<br />

Desinteresse der Anleger waren die entscheidenden Bremsklötze. So<br />

lag der gesamte Jahresumsatz der sowohl börslich als auch außerbörslich<br />

gehandelten Austroaktien bei knapp über einer Milliarde Schilling,<br />

also etwa 70 Millionen Euro.<br />

Überhaupt, so ändern sich die Zeiten: Das Interesse der Investoren<br />

fokussierte sich auf den heimischen Anlei henmarkt, gab es doch<br />

für beste Bonitäten noch Renditen von 10,6 Prozent, nachdem 1981<br />

sogar kurzfristig elf Prozent angeboten wurden – damals noch ohne<br />

Besteuerung der Zinsen.<br />

213


Etwas verspätet gab es dann doch im zweiten Halbjahr 1983 auch in<br />

Österreich kräftig steigende Aktienkurse, 1984 war wiederum von einer<br />

Verschnaufpause geprägt. 1985 sorgte dann Wien erstmals (zumindest<br />

nach dem Börsencrash vom 8. Mai 1873) für internationale Schlagzeilen,<br />

wurde doch vom Großinvestor Jim Rogers die Wiener Börse als unterbewerteter<br />

Geheimtipp in der US-Wochenzeitschrift »Barron’s« ganz groß<br />

in die Auslage gestellt. Noch heute träumen viele heimische Börsianer<br />

vom berühmten Prinzen, der das Dornröschen wach küsste. Die Aktien<br />

des Magnesitproduzenten Veitscher (übrigens auch mit einem riesigen<br />

eigenen Wertpapier-Portefeuille) war 1985 mit + 344 Prozent der<br />

Highflyer, über den gesamten Börsezyklus war die Kahane-Holding<br />

»Montana« der Star mit einem Plus von fast 1000 Prozent (!).<br />

Zur damaligen Zeit überwogen in Wien noch<br />

die Einheitsnotierungen, das heißt, bei den<br />

meisten Aktien gab es nur einen Kurs pro<br />

Börsetag. Des Öfteren gab es sogar aufgrund<br />

eines Nachfrage- oder Angebotsüberhanges<br />

gar keine Umsätze, sondern nur eine Notiz mit<br />

dem Zusatz G (für Geld), was eine zu hohe Nachfrage bedeutete, oder rG<br />

(für repartiert Geld), wobei mindestens <strong>25</strong> Prozent des Kaufwunsches<br />

bedient wurden. In die Gegenrichtung ging es dann mit W (für Ware)<br />

und rW (für repartiert Ware). Die Tageskursveränderung war mit zehn<br />

Prozent begrenzt. Dies führte nicht selten dazu, dass ein »Favorit« umsatzlos<br />

einige Tage mit einer »G-Notiz« jeweils um zehn Prozent stieg<br />

und der Trend dann allerdings oft auf eine rW- und W-Notiz umschlug.<br />

Naja, immerhin ein interessantes Austriacum.<br />

»Bei den meisten<br />

Aktien gab es 1985<br />

nur einen Kurs pro<br />

Börsetag.«<br />

Nach dem Weltbörsencrash vom Oktober 1987 (wobei der Einbruch zwar<br />

heftig, aber nur kurzfristig war und die meisten Börsen das Kalenderjahr<br />

sogar noch mit einem Plus abschlossen) setzte sich die 1982 begonnene<br />

Megahausse fort und brachte auch der heimischen Börse im Zeitraum von<br />

Februar 1988 bis Februar 1990 eine Indexvervierfachung im schon zurückgerechneten<br />

ATX von 434 Punkten auf etwa 1800 Zähler. Der Fall der<br />

Berliner Mauer und die nachfolgende Öffnung Osteuropas waren dabei<br />

die Trendbeschleuniger. Mit der Kuwaitkrise stürzten die Austroaktien<br />

dann um etwa zwei Drittel in den nachfolgenden zwei Jahren ab. Danach<br />

folgte ein lang anhaltender Seitwärtstrend und erst 14 Jahre später,<br />

214


also im Jahre 2004, konnte der ATX seine historischen Höchststände<br />

überbieten.<br />

Dazwischen platzte noch die »TMT«-Blase,<br />

eine internationale Megahausse, die von<br />

Technologie-, Medien- und Telekomaktien<br />

getragen wurde. Mit dem Beginn des Internetzeitalters<br />

wurden vor allem Technoaktien<br />

extrem nach oben gepusht, wobei die Mehrheit<br />

der Titel kaum über einen fundamentalen<br />

Hintergrund oder gar schwarze Bilanzzahlen verfügten. In Wien<br />

waren (Gott sei Dank!) diese drei Branchen kaum vertreten, die wenigen<br />

Highflyer wie Cybertron oder Y-Line gingen schlussendlich auch<br />

pleite. Auch für gestandene Börsianer war das Geschehen auf dem<br />

»Neuen Markt« in Deutschland eine neue Erfahrung, gab es doch in<br />

diesem speziellen »TMT«-Segment nach Indexvervielfachungen einen<br />

Indexrückgang um über 90 Prozent (!), was die Auflösung des gesamten<br />

Neuen Marktes zur Folge hatte.<br />

»Mit dem Beginn des<br />

Internetzeitalters<br />

wurden vor allem<br />

Technokatien extrem<br />

nach oben gepusht.«<br />

Einige Tapfere der »Überlebenden« fanden sich dann im neu gegründeten<br />

»Tec-DAX« wieder. Kleine Anekdote: Am Top dieser Hausse wollte<br />

sogar Dieter Bohlen mit »Modern Talking« an die Börse gehen und hatte<br />

sich schon eine Bewertung eingeholt.<br />

Ziemlich exakt drei Jahre gingen dann die Weltbörsen auf Tauchstation,<br />

genau vom März 2000 bis März 2003. Nachdem Wien dieses Thema so gut<br />

wie nicht spielte, waren auch die Kursverluste »überschaubar«. Wien war<br />

dann neben New York auch die einzige Börse, die schon im Oktober 2002<br />

drehte, die anderen eben erst im darauffolgenden März.<br />

In knapp fünf Jahren zeigte dann der ATX seine bisher beste Performance,<br />

stieg er doch um das Fünffache an. Konkret lag der Ausgangswert<br />

am 11. Oktober 2002 bei 1014,02 und der Intraday-Höchstkurs<br />

am 9. Juli 2007 bei tollen 5010,93 Punkten. Daneben gab es noch<br />

eine austrospezifische Hausse bei den alsbald heillos überbewerteten<br />

Immobilienaktien, die sich vorerst vervielfachten, dann aber mit einem<br />

Minus von etwa 90 Prozent im IATX (dem Immobilien-ATX) dem ehemaligen<br />

»Neuen Markt« Konkurrenz machten.<br />

215


Im Zuge der bekannten Finanzkrisen (US-Subprime, dann Lehman-Pleite<br />

und die nachfolgenden »Lawinen«) ging auch die Wiener Börse zu einem<br />

Sturzflug über und verlor in 20 Monaten 72,5 Prozent. Am 9. März 2009<br />

drehten dann mit den Weltmärkten auch die Wiener Titel und legten in<br />

der ersten kräftigen technischen Gegenbewegung in sieben Monaten<br />

wieder 100 Prozent zu. 2011 kam es dann im Zuge der Zuspitzung<br />

der Staatsschuldenkrisen zu einem gehörigen Einbruch vor allem der<br />

Finanztitel, wobei Österreich auch im internationalen Vergleich zu den<br />

größten Verlierern zählte. Am 23. November 2011 kam der ATX-Absturz<br />

bei einem Niveau von 1653 Punkten dann zum Stillstand und konnte<br />

sich dann im letzten Jahr (2012) sukzessive wieder auf 2200 Zähler<br />

zurückkämpfen.<br />

Eine Erfolgsstory auf dem heimischen Kapitalmarkt soll nicht verschwiegen<br />

werden: Gab es 1982 lediglich zwei österreichische Fondsgesellschaften,<br />

die in zwölf Fonds gerade einmal eine halbe Milliarde<br />

verwalteten, so sind es zur Zeit 22 Kapitalanlagegesellschaften, die<br />

in 2159 Fonds 134,6 Milliarden betreuen. Sie sind somit auch wichtige<br />

Teilnehmer am heimischen Börsegeschehen.<br />

Auch wenn die heimischen Aktien 2012 deutlich hinter der Performance<br />

vieler Weltbörsen nachhinkten, zählen sie weiterhin zu den<br />

vernachlässigten Favoriten. Es liegt nach wie vor eine attraktive<br />

Bewertung gemessen an den klassischen Börsekennzahlen (wie Kurs-<br />

Gewinn-Verhältnis, Kurs-/Buchwert, Dividendenrendite, Cashflow<br />

etc.) vor, Österreich weist im EU-Raum eine überdurchschnittlich<br />

gute Konjunktursituation auf, die Zinsen werden niedrig bleiben, was<br />

Aktien interessanter macht, die meisten Investoren haben die Hausse<br />

verpasst und weisen zu geringe oder gar keine Aktienpositionen auf,<br />

sukzessive nimmt die Risikobereitschaft der Anleger wieder zu.<br />

Als Bremsen sind die stark reduzierte Osteuropa-Fantasie, die Angst<br />

vor weiteren Krisen, neue steuerliche Belastungen, die ungelöste<br />

Staatsschulden-Problematik und das internationale Desinteresse an<br />

Österreich zu nennen.<br />

Das Börsejahr 2012 war von einer selten zu beobachtenden, aber erfreulichen<br />

Besonderheit geprägt: Nahezu alle Wertpapierkategorien und<br />

216


Handelsüberwachungsraum<br />

(Foto: Wiener Börse)<br />

Weltbörsen wiesen ein Plus auf, wenn man von ein paar Exoten absieht.<br />

Es gibt in der Börsegeschichte nur wenige Zeitfenster, in denen unisono<br />

Aktien und Anleihen über sehr weite Strecken Kursanstiege aufwiesen,<br />

wobei im Segment der Anleihen sich auch die Plusstände über alle<br />

Bereiche erstreckten, egal, ob man mündelsichere Papiere oder hochverzinste<br />

Risikoanleihen hielt, egal, ob sie im Euro-Land-Bereich oder<br />

in den Schwellenländern angesiedelt waren.<br />

Die meisten Dividendenwerte zeigten nach einem enttäuschenden<br />

Aktienjahr 2011 im Jahr 2012 in zwei Aufwärtsphasen teils kräftige<br />

Kursgewinne, der erste Schwung zog sich vom Jahresbeginn bis in<br />

den April hinein, nach einer Verschnaufpause mit entsprechender<br />

Gegenbewegung ging es dann nochmals vom Juni bis Anfang Oktober<br />

nach oben. Im vierten Quartal gab es dann wieder eine Verschnaufpause.<br />

Die zahlreichen Krisen führten 2011/2012 bei vielen Anlegern zu neuerlichen<br />

Resignationen, zu Wertpapierdepot-Auflösungen und damit entweder<br />

zu Dotierungen der Sparbücher, zu Käufen von Staatsanleihen<br />

höchster Bonität hin bis zur Nullverzinsung, zur Flucht in Immobilien<br />

und, dieses Mal etwas abgeschwächter, zum Kauf von Edelmetallen. Die<br />

Einlagensicherung mit bis zu 100.000 Euro pro Person und Institut war<br />

und ist ein beliebtes Argument, um Geld zu »bunkern« oder zumindest<br />

217


vorübergehend Munition trocken zu halten. Dies führte beispielsweise<br />

in Österreich und in Deutschland zu täglich fälligen rekordhohen<br />

Sparbucheinlagen.<br />

Die nahe dem Gefrierpunkt liegende Verzinsung spielte dabei keine<br />

Rolle, auch die Inflation mit zuletzt 2,8 Prozent 3 war nicht beängstigend<br />

im Sinne eines längerfristigen Kaufkraftverlustes. Ja, die meisten<br />

Investoren würden sogar eine höhere Inflation bei unveränderten<br />

Zinsniveaus akzeptieren, da sie dies quasi als »Versicherungsprämie« für<br />

ihr heiliges Sparbuch werten. »Cash is king« oder auf gut Wienerisch:<br />

»Cash is fesch« war die klare Devise – zum Teil auch von alten Börsehasen.<br />

Das »Bunkern« ist eine durchaus verständliche<br />

Reaktion, liegt es doch in der Natur jeden<br />

Anlegers, dass er in erster Linie einmal kein<br />

Geld verlieren will – und wenn aktuell keine<br />

interessanten Ertragschancen in Sicht sind,<br />

so muss man wohl geduldig zuwarten, bis die<br />

Gewitterwolken abziehen. Dabei ist psychologisch leicht nachvollziehbar,<br />

dass die jüngsten (leider überwiegend negativen) Ereignisse stärker das<br />

Handeln beeinflussen als die langfristige Statistik und Erfahrung. Gleich<br />

hat man das Thema des »Paradigmenwechsels« bei der Hand – eine probate<br />

Entschuldigung für orientierungslose Anleger.<br />

»Das »Bunkern«<br />

ist eine durchaus<br />

verständliche<br />

Reaktion.«<br />

Jedenfalls sei die allerwichtigste Erkenntnis aus den letzten Jahrzehnten<br />

im Börsegeschehen leicht zusammengefasst: Die Aufteilung<br />

des Vermögens auf mehrere »Assetklassen« wie Aktien, Anleihen,<br />

Gold, Devisen, Rohstoffe, Immobilien etc. bringt eben eine vernünftige<br />

und langfristig ertragreiche Risikostreuung, eben die viel zitierte<br />

Diversifikation, mit sich. Konkret und besonders exemplarisch: Auch<br />

wenn man in den letzten Jahrzehnten unglücklicherweise gerade knapp<br />

vor dem Eintritt eines unglücklichen Ereignisses investiert hat, ergab<br />

sich schon drei und fünf Jahre später ein zweistelliger Gesamtertrag –<br />

sofern man seine Gelder auf mehrere Anlageklassen aufgeteilt hatte.<br />

Einmal stieg der Ölpreis extrem an, dann waren es wieder die Aktien<br />

oder – wie zuletzt – die »simplen« Staatsanleihen bester Bonität.<br />

Investmentfonds sind dabei per Definition das ideale Vehikel, um an<br />

den Wertpapiermärkten eine entsprechende Streuung zu erzielen, wobei<br />

3 Stand November 2012<br />

218


gerade in Krisenzeiten das »Miteigentum« in Form des Sondervermögens<br />

zusätzlich einen wichtigen Aspekt darstellt.<br />

Wie eingangs erwähnt starteten die Aktienbörsen im ersten Quartal<br />

(für viele Anleger ziemlich unerwartet) kräftig durch und zeigten<br />

nach den ersten drei Monaten schon Erträge, die an langfristige<br />

Jahresperformance-Zahlen erinnerten. Mitte März riss jedoch der Faden<br />

und die Dividendenwerte traten wiederum den Rückmarsch an. Das<br />

»griechische Drama« und die »spanische Grippe«, also die Zuspitzung der<br />

Schuldenkrisen in Griechenland und Spanien, waren neben dem schwächeren<br />

Tempo der Weltkonjunktur-Lokomotive China und den vielerorts<br />

auch politischen Veränderungen die Hauptgründe für den Rückzug der<br />

Aktionäre.<br />

Im Zuge des Angstszenarios fielen die Renditen der sichersten Staatsanleihen<br />

auf historische Tiefstniveaus, etwa in Deutschland bei zehnjährigen<br />

Papieren auf 1,2 Prozent, für zweijährige Anleihen gab es<br />

phasenweise überhaupt keine Zinsen, womit man bei der jahrelang<br />

zitierten »Nullzinspolitik Japans« angelangt war. Die tiefschürfende<br />

Angst der Anleger hatte allein den Substanzerhalt in den Vordergrund<br />

gespült, das Ertragsdenken, also das ökonomisch sinnvolle Streben nach<br />

entsprechender Vermögensvermehrung, hatte keine Gültigkeit mehr.<br />

Wer kauft mit welcher Strategie nun Papiere mit keiner oder nur einer<br />

geringen Verzinsung?<br />

Die Aktienbörsen als sensibelste Barometer lieben Unsicherheiten schon<br />

einmal gar nicht, umso weniger, wenn sie – wie beim Griechendrama –<br />

nun schon über zwei Jahre anhalten.<br />

Ist lehrbuchmäßig eine Vielzahl von Rahmenbedingungen für einen<br />

Aktienkurs verantwortlich, so kann doch über gewisse Zeitstrecken<br />

ein einziger Belastungsfaktor (seltener: ein einziges positives Argument)<br />

kursbestimmend sein. Dann spielen attraktive fundamentale<br />

Bewertungen, positive Zukunftsperspektiven, ansprechende langfristige<br />

Statistiken und extrem niedrige Kurse eben keine Rolle, die »Baisse<br />

nährt die Baisse«, die Angst, es könnte noch schlimmer kommen, beschleunigt<br />

noch die Abwärtsspirale. Massiver Abgabedruck trifft auf<br />

bescheidenes Kaufinteresse, wodurch die Kurse neuerlich purzeln.<br />

219


Das Ende der Baisse ist dann durch eine<br />

Verkaufspanik der letzten verbliebenen und<br />

bis zu diesem Zeitpunkt geduldigen Anleger<br />

geprägt, womit allerdings der Nährboden<br />

für die nächste Hausse gegeben ist. Nun haben<br />

alle verkauft, die »raus« wollten, egal um welchen Preis. Der<br />

Abgabedruck ist weg und schon eine geringe Nachfrage einiger mutiger<br />

und frühzeitiger Investoren führten dann bei wenig Handelsvolumen<br />

zu rasch steigenden Kursen, da bei den niedrigen Preisen ja nun kaum<br />

noch jemand verkaufen will.<br />

Nahezu alle<br />

bedeutenden Börsen<br />

endeten 2012 im Plus<br />

Bei aller Schwarzmalerei sah es aber tatsächlich für die Aktionäre 2012<br />

dann eigentlich recht gut aus, nahezu alle bedeutenden Börsen endeten<br />

im Plus.<br />

Wir wollen Ihnen die wichtigsten Rahmenbedingungen für die<br />

Wert papiermärkte für die nächsten sechs bis zwölf Monate nun<br />

gegenüberstellen.<br />

Nachdem unverändert die Schwarzmaler in der Mehrheit sind, sollen die<br />

Pessimisten zuerst zu Wort kommen.<br />

Die Baissiers führen folgende Fakten an, die fallende Kurse erwarten<br />

lassen:<br />

• Die Schuldenberge wachsen überdimensional und können nur<br />

langfristig mit einschneidenden Maßnahmen abgebaut werden.<br />

• Ausgehend von einer Wirtschaftsabschwächung in den USA wird<br />

auch die gesamte Weltwirtschaft leiden.<br />

• Die hoch gelobten »BRIC«-Staaten müssen mit vielen Problemen<br />

fertig werden, dies wird auch die westliche Welt belasten.<br />

• Dabei fällt insbesondere China als Weltkonjunktur-Lokomotive aus.<br />

• Politische Veränderungen verunsichern die Börsianer.<br />

• Die Krisen in Nordafrika und dem Nahen Osten weiten sich<br />

neuerlich aus.<br />

• Die Immobilienblase in China platzt und reißt die gesamte<br />

Wirtschaft mit.<br />

• Flops bei Neuemissionen wie facebook verärgern die Aktionäre.<br />

220


• Generell ist das Übel der Finanzkrise nicht beseitigt, sondern die<br />

Entscheidungen sind nur vertagt.<br />

• Das Image der »Finanzwelt« ist deutlich angeschlagen.<br />

• Die Anleger werden immer risikoscheuer und bunkern sich ein.<br />

• Die sieben mageren Jahre dauern einfach noch an.<br />

Diese Argumente sprechen hingegen für einen kräftigen Aufschwung<br />

und einen heiteren Börsehimmel:<br />

• Die Zinsen werden niedrig bleiben; sobald die Angst weicht und das<br />

Ertragsdenken wieder zunimmt, werden Sparbuchgelder zum Teil in<br />

Wertpapiere umgeschichtet werden.<br />

• Die Bewertung der Aktien ist mehr als fair, zum Teil sogar niedrig<br />

im historischen Vergleich.<br />

• Wer verkaufen wollte, der hatte bereits ausreichend Zeit und<br />

Gelegenheit dazu, die Aktien sind daher immer mehr in »starken<br />

Händen«.<br />

• Gestählt aus der Krise: Negative Nachrichten haben sich in den letzten<br />

Monaten überschlagen, trotzdem hat sich die Börse gut gehalten.<br />

• »Geld regiert die Welt«: Noch nie gab es so viel Cash, was früher<br />

oder später ertragreiche Anlagemöglichkeiten suchen wird. Der<br />

Anlage- und Performancedruck mancher Kapitalsammelstellen<br />

wie Pensionskassen, Versicherungen und SWFs (Sovereign Wealth<br />

Funds) steigt enorm, der ertragsarme Geld- und Rentenmarkt<br />

muss sukzessive verlassen werden. So hat beispielsweise China<br />

Währungsreserven von 3200 Milliarden Dollar, die alle 1,5 Minuten<br />

um eine Million zunehmen.<br />

• Alternative Veranlagungen zu Aktien sind mit geringen Zinsen<br />

versehen oder extrem spekulativ, auch Hedgefonds haben 2012 in<br />

Summe enttäuscht.<br />

• Die Wirtschaft tritt zwar leiser, bleibt aber auf Wachstumskurs.<br />

• Die USA könnten wiederum zu ihrer alten Rolle als Weltkonjunktur-<br />

Lokomotive zurückkehren.<br />

• Der private Konsum wird insbesondere in den Schwellenländern<br />

kräftig wachsen, auch wenn aktuell da und dort eine kleine Pause<br />

eingelegt wird.<br />

• Viele Medien bringen bereits »Notfallpläne für Ihr Geld« – immer ein<br />

gutes Anzeichen für eine baldige Trendwende.<br />

221


Der Börsehimmel wird auch 2013 gelegentlich durch Gewitterwolken eingetrübt<br />

sein. Zu viele Belastungsfaktoren bremsen den Elan der Börsen.<br />

Die Geduld der Anleger wurde schon in den letzten Jahren sehr strapaziert<br />

und könnte durch neue negative Nachrichten platzen.<br />

Nachdem man beim Aufziehen von<br />

Gewitterwolken eher das sichere Gelände<br />

nicht verlassen sollte, empfehlen wir auch den<br />

Anlegern etwas Munition trocken zu halten.<br />

Größere Rückschläge sind allerdings an den<br />

Aktienmärkten eher nicht zu befürchten, weshalb mutigere Investoren<br />

schwache Börsetage zu Käufen in Etappen gemäß der Eichhörnchentaktik<br />

nützen sollten. Wie erwähnt sind die Dividendenwerte auf tieferen<br />

Niveaus durch ihre Bewertung gut abgesichert und 2013 sollte wiederum<br />

entsprechende Kursgewinne ermöglichen.<br />

Größere Rückschläge<br />

sind 2013<br />

nicht zu befürchten<br />

Emerging Markets haben schon einen Teil der Talfahrt hinter sich und<br />

sollten wieder die Outperformer in einem freundlicheren Umfeld sein.<br />

Dabei sind Hongkong (als Chinaplay) und die Türkei (im November<br />

2012 auf Rekordhoch!) die Favoriten, besonders spekulativ eingestellte<br />

Investoren sollten auch die Reboundchancen von Moskau einbeziehen.<br />

Franz Gschiegl ist Volkswirt und Jurist und seit etwa 30 Jahren<br />

Börse- und Finanz marktexperte. Seit 1991 ist er Mitglied des<br />

Vorstands der ERSTE-SPAR INVEST sowie der ERSTE IMMOBILIEN<br />

KAG. Er hat zahlreiche einschlägige Bücher zu Themen wie<br />

Veranlagung, Bank und Börse geschrieben und ist Referent bei<br />

diversen Fachveranstaltungen. Außerdem ist Gschiegl ständiger<br />

Autor des Monatsmagazins GEWINN.<br />

222


Der Euro – scheitert Europa<br />

an seiner eigenen Währung?<br />

von Rainer Münz und Bernadett Povazsai-Römhild<br />

Der Euro ist die gemeinsame Währung der Europäischen Union.<br />

Er hat eine längere Vorgeschichte. Erst seit einem Jahrzehnt im<br />

Umlauf, muss er sich Herausforderungen stellen.<br />

Erste Ideen zu einer gemeinsamen europäischen Währung entstanden bereits<br />

1957 mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

(EWG), dem Vorläufer der EU. Die EWG hatte den Aufbau eines gemeinsamen<br />

Marktes, also die Erleichterung von Handel, Arbeitsmigration<br />

und Geldverkehr, zwischen ihren Mitgliedsstaaten – das waren Belgien,<br />

Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – zum<br />

Ziel. Die Staaten des Westens hatten damals noch feste Wechselkurse<br />

untereinander sowie zum US-Dollar; als Leitwährung hatte der US-Dollar<br />

zugleich eine fixe Bindung an den Goldpreis.<br />

Mit dem Ende des Systems fester Wechselkurse stellte sich ab Anfang<br />

der 1970er-Jahre die Frage, wie sich die Wechselkursschwankungen<br />

zwischen den europäischen Währungen des gemeinsamen Marktes<br />

reduzieren ließen. Eine Expertengruppe unter Vorsitz des damaligen<br />

luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner schlug<br />

eine europäische Währungsunion vor. Danach einigten sich die<br />

EWG-Staaten auf ein Europäisches Währungssystem (EWS), in dem<br />

Währungsschwankungen innerhalb einer Bandbreite von ± 2,<strong>25</strong> Prozent<br />

zugelassen waren. Bei größeren Schwankungen mussten die<br />

Zentralbanken intervenieren, bis der fixierte Kurs wieder erreicht war.<br />

Drittwährungen, insbesondere dem US-Dollar gegenüber, konnten sich<br />

die Währungen des EWS frei bewegen.<br />

Das EWS trat 1979 in Kraft. Großbritannien wurde nach längerem Zögern<br />

erst 1991 Mitglied – und dies aus Prestigegründen mit einem zu hohen<br />

Kurs des Pfund gegenüber den anderen europäischen Währungen. Der<br />

Bank of England wurden die deshalb nötigen Interventionen auf dem<br />

Devisenmarkt bald zu teuer, worauf hin Großbritannien das System der<br />

festen Wechselkurse schon ein Jahr später wieder verließ. Das Britische<br />

223


Verwendung des Euro in Europa<br />

Eurozone<br />

Länder mit festem Wechselkurs gegenüber dem Euro<br />

EU-Mitglieder ohne festen Wechselkurs zum Euro<br />

Nicht-EU-Mitglieder mit Euro<br />

Quelle: Wikipedia<br />

Pfund wertete ab und George Soros, der im großen Stil auf eine solche<br />

Abwertung gewettet hatte, verdiente daran ein Vermögen.<br />

Die übrigen EU-Staaten beschlossen 1992 im Rahmen des Maastricht-<br />

Vertrages, der die EWG zur Europäischen Union (EU) machte, u. a. die<br />

Einführung einer gemeinsamen Währung. Um die Währung stabil zu<br />

halten, legte der Maastricht-Vertrag Obergrenzen bei den Staatsschulden<br />

von Euro-Ländern fest: Gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

eines Landes sollten die Schulden in Summe nicht mehr als<br />

60 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes ausmachen. Zudem sollte die<br />

jährliche Neuverschuldung durch ein Defizit im Staatshaushalt nicht<br />

mehr als drei Prozent des Brutto-Inlandsproduktes betragen. Das<br />

sind die beiden so genannten Maastricht-Kriterien. Ursprünglich sollten<br />

die Maastricht-Kriterien mittels Sanktionen durchgesetzt werden.<br />

Die gegen Defizitsünder vertraglich vorgesehenen Strafen durch<br />

die EU-Kommission wurden allerdings in der Praxis nie verhängt.<br />

Im Maastricht-Vertrag wurde auch vereinbart, dass die Euro-Staaten<br />

selbst in einer Währungsunion nicht wechselseitig für ihre Schulden<br />

haften, sondern jeweils für ihre nationalen Haushalte selber verantwortlich<br />

bleiben. Dies ist die viel zitierte »No Bailout«-<br />

Klausel des Maastricht-Vertrages. Durch die seit 2010 ergriffenen<br />

224


Verwendung des Euro außerhalb Europas<br />

Afrikanische Gebiete mit Euro<br />

Afrikanische Gebiete mit an den<br />

Euro gebundenen Währungen<br />

Quelle: Wikipedia<br />

Rettungsmaßnahmen in der Euro-Krise wurde diese »No Bailout«-<br />

Klausel faktisch außer Kraft gesetzt.<br />

1998 erfolgte die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB).<br />

Zugleich wurden die endgültigen Wechselkurse der nationalen<br />

Währungen zum zukünftigen Euro festgelegt. Der Euro wurde 1999 als<br />

Buchgeld und 2002 als Bargeld eingeführt. Er löste damit die nationalen<br />

Währungen als Zahlungsmittel in fast allen damaligen EU-Staaten ab.<br />

Die meisten Europäerinnen und Europäer zahlen seither mit Euro und<br />

Cent. Nur Schweden und Dänemark behielten ihre jeweiligen Kronen<br />

und Großbritannien das Pfund. 2007 stieß Slowenien zur Euro-Zone,<br />

2008 folgten Zypern und Malta, 2009 die Slowakei und 2011 Estland.<br />

Heute sind 17 EU-Mitgliedsstaaten in der Euro-Zone. Darüber hinaus<br />

verwenden die Zwergstaaten Monaco, San Marino und Vatikanstadt den<br />

Euro als Landeswährung und prägen eigene Euro-Münzen. Mit Andorra,<br />

Kosovo und Montenegro haben drei weitere Nicht-EU-Staaten den Euro<br />

als Landeswährung, allerdings ohne eigene Euro-Münzen.<br />

Einige andere Länder haben einen festen Wechselkurs zwischen<br />

ihren Landeswährungen und dem Euro. Innerhalb der EU gilt dies für<br />

Bulgarien, Dänemark, Lettland und Litauen. Aber auch der Nicht-EU-<br />

Staat Schweiz hat einen festen Kurs für den Umtausch von Franken<br />

2<strong>25</strong>


Zinssatzentwicklung ausgewählter Euro-Länder<br />

für 10-jährige Staatsanleihen, 1995–2012 (in % p.a.)<br />

Griechenland Portugal Österreich<br />

Deutschland Irland Spanien<br />

30.0<br />

22.5<br />

15.0<br />

7.5<br />

’95 ’96 ’97 ’98 ’99 ’00 ’01 ’02 ’03 ’04 ’05 ’06 ’07 ’08 ’09 ’10 ’11 ’12<br />

Quelle: Thomson Reuters, Erste Group Research<br />

0.0<br />

und Euro fixiert. Ähnliches gilt für Bosnien und für die Staaten der<br />

westafrikanischen Gemeinschaftswährung CFA. Außerhalb Europas<br />

wird der Euro in den zu Frankreich gehörenden Übersee-Departements<br />

Guadeloupe, Martinique, Französisch Guyana, Mayotte und Réunion<br />

sowie in den Übersee-Territorien Miquelon und St. Pierre und<br />

St. Martin verwendet.<br />

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre nahm ihren<br />

Anfang außerhalb Europas. Sie wurde einerseits durch das Platzen<br />

der US-amerikanischen Immobilienblase, vor allem durch die Vergabe<br />

von Krediten an wenig zahlungskräftige Hauskäufer (»Subprime«) und<br />

andererseits durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers ausgelöst.<br />

2009 erreichte die Krise Europa: Auch bei uns mussten Banken<br />

und Autoproduzenten mit Staatsgeld gerettet werden. Die Wirtschaft<br />

fast aller EU-Staaten erlebte einen Abschwung, die Steuereinnahmen<br />

verringerten sich, die Staatsausgaben nahmen zu.<br />

Vor allem gegenüber wirtschaftlich schwächeren Ländern wie<br />

Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien und Zypern bestehen<br />

seither erhebliche Zweifel, ob sie ihre Schulden je wieder voll zurückzahlen<br />

können. Das zeigt sich in den seit dem Ausbruch der Krise deutlich<br />

gestiegenen Risikoaufschlägen auf Staatsanleihen dieser Länder.<br />

226


Entwicklung des Wechselkurses US-Dollar vs. Euro, 2002–2012<br />

(US-Dollar für 1€)<br />

1.6<br />

1.4<br />

1.2<br />

1.0<br />

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />

Quelle: OeNB<br />

0.8<br />

Zuvor wurden alle 17 Länder der Euro-Zone vom internationalen<br />

Kapitalmarkt weitgehend gleich behandelt – trotz unterschiedlicher<br />

Wirtschafts- und Fiskalpolitik, trotz unterschiedlichen Wachstums,<br />

trotz unterschiedlichen Niveaus der Staatsschulden. Schon im Vorfeld<br />

der Euro-Einführung begannen sich die Zinsen für Staatspapiere der<br />

Euro-Länder stark anzunähern und erreichten Ende 2000 ein gemeinsames<br />

niedriges Niveau. Länder mit schwächerer Wirtschaft und weniger<br />

soliden Staatsfinanzen profitierten davon, weil sie sich relativ günstig<br />

finanzieren konnten. Dies förderte weder die nationale Budgetdisziplin<br />

noch die Einhaltung der Maastricht-Kriterien. Nicht vergessen sollten<br />

wir dabei: Schon bei der Einführung des Euro im Jahr 2002 lagen mehrere<br />

Länder über den festgelegten Schulden-Obergrenzen. In den Jahren<br />

danach verstießen die meisten Euro-Länder, darunter auch Deutschland<br />

und Österreich, mehrmals gegen eines der beiden Maastricht-Kriterien<br />

oder gegen beide gleichzeitig.<br />

Dabei war die neue Währung anfangs ein großer Erfolg: Wechselspesen<br />

fielen weg, Firmen mussten innerhalb Europas kein Wechselkursrisiko<br />

mehr befürchten, der Handel zwischen EU-Ländern nahm zu. Die<br />

Währung gewann gegenüber dem US-Dollar deutlich an Wert: Bei seiner<br />

Einführung bekam man für einen Euro nur 90 US-Cent, 2008 war ein<br />

Euro hingegen einen US-Dollar und 60 Cent wert. Diese Wertsteigerung<br />

227


Interventionskapazität von EFSF und ESM (in Mrd. Euro)<br />

Kredite von EU-Staaten<br />

On-top Garantierahmen durch<br />

die Euro-Länder (für den Fall<br />

eines Zahlungsausfalls)<br />

Tatsächlicher Kreditrahmen<br />

garantiert durch die<br />

Euro-Länder<br />

Direkt einbezahltes<br />

Grundkapital, das ebenfalls<br />

an Euro-Länder verliehen<br />

werden kann<br />

60<br />

340<br />

440<br />

200<br />

420<br />

900<br />

675<br />

450<br />

2<strong>25</strong><br />

Quelle: EU<br />

EFSF<br />

80<br />

ESM<br />

0<br />

entstand nicht zuletzt, weil Russland, China und die Golfstaaten<br />

einen Teil ihrer Devisenreserven in Euro anzulegen begannen. Heute<br />

ist der Euro nach dem US-Dollar die wichtigste Reservewährung<br />

der Welt.<br />

Erst die Wirtschafts- und Finanzkrise machte die Schwächen der<br />

Währungsunion deutlich: Nun müssen 17 Euro-Länder unterschiedlicher<br />

wirtschafts- und fiskalpolitischer Charakteristika mit einem<br />

gemeinsamen Leitzinssatz und einer gemeinsamen Geldpolitik<br />

auskommen.<br />

All dies hat mit der unvollständigen Architektur Europas zu tun. Zwar verfügen<br />

die Staaten der Euro-Zone über eine gemeinsame Zentralbank (EZB)<br />

und ihre Finanzminister halten regelmäßig gemeinsame Treffen ab (Euro-<br />

Group), doch es gibt keine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik.<br />

Durch die gemeinsame Währung sind zwei Wege versperrt, die viele<br />

Länder in der Vergangenheit beschritten haben, um ihre Finanzprobleme<br />

in den Griff zu bekommen: erstens das Drucken von Geld, um den<br />

Staatshaushalt zu finanzieren, was eine höhere Inflation bewirkte,<br />

die einen Teil der Staatsschulden weginflationierte; und zweitens die<br />

Abwertung der eigenen Währung, um die Exporte billiger zu machen und<br />

dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder zu steigern.<br />

228


Die Krise zwingt die Euro-Länder Reformen anzugehen, die zwar<br />

schon längst auf der Agenda standen, aber in wirtschaftlich besseren<br />

Zeiten auf die lange Bank geschoben wurden. Zur Euro-Rettung wurde<br />

seit Beginn der Euro-Krise einiges unternommen. Die Maßnahmen<br />

umfassen Rettungsschirme, Intervention der EZB und eine größere<br />

Budgetdisziplin. Die Herausforderung wird sein, diese Maßnahmen effizient<br />

einzusetzen und dabei die gesunde Balance zwischen Sparen und<br />

Wachstum zu finden.<br />

Wichtigstes kurzfristiges Instrument der Krisenbekämpfung sind die<br />

so genannten Rettungsschirme: Der vorläufige Schirm EFSF (=European<br />

Financial Stability Facility), der seit August 2010 besteht, und der permanente<br />

Schirm ESM (=European Stability Mechanism), der seit Oktober<br />

2012 handlungsfähig ist.<br />

Mit den Hilfspaketen der Rettungsschirme sollen zahlungsunfähige<br />

Mitgliedsstaaten der Eurozone – unter wirtschaftspolitischen<br />

Auflagen – mit Krediten unterstützt werden. Zugleich darf der ESM<br />

in Schieflage geratene Banken direkt mit frischem Kapital ausstatten.<br />

Voraussetzung für eine solche direkte Rekapitalisierung von Banken ist<br />

allerdings entweder eine gemeinsame Euro-zonenweite Bankenaufsicht,<br />

die noch ins Leben gerufen werden muss, oder eine nationale Haftung<br />

für diese Mittel durch jenes Land, in dem die rekapitalisierten Banken<br />

ihren Sitz haben (Banken-Hilfsprogramm für Spanien).<br />

Seit 2010 bekamen Griechenland 276 Mrd. Euro, Irland 86 Mrd. Euro<br />

und Portugal 78 Mrd. Euro an Hilfen vom EFSF sowie Kredite des<br />

Internationalen Währungsfonds (IWF). Darüber hinaus wurde für<br />

Griechenland im März 2012 ein Schuldenschnitt privater Investoren<br />

in Höhe von ca. 100 Mrd. Euro vereinbart – ein weiterer Verzicht auf<br />

Forderungen ist nicht ausgeschlossen. Spanien beantragte 2012 einen<br />

Rahmen von bis zu 100 Mrd. Euro an frischem Kapital für seine Banken<br />

(tatsächliche Auszahlung 2012/13: ca. 40 Mrd. Euro). Zypern bat um bis<br />

zu 10 Mrd. Euro.<br />

Bei beiden Rettungsschirmen handelt es sich um Währungsfonds, die<br />

von allen Ländern der Euro-Zone gemeinsam finanziert werden bzw.<br />

mit einer Ausfallsgarantie ebendieser versehen sind. Finanzhilfe<br />

229


durch EFSF und ESM bedeutet, dass die betroffenen Länder keine<br />

eigenen Staatsanleihen auflegen und sich dadurch nicht mehr über<br />

den Kapitalmarkt finanzieren müssen, was erheblich teurer wäre.<br />

Stattdessen leihen sich die Rettungsschirme zu günstigen Konditionen<br />

Geld auf den Kapitalmärkten und reichen dieses Geld in Form moderat<br />

verzinster Kredite an jene Länder weiter, die damit ihre laufenden<br />

Haushaltsdefizite, alte Staatsschulden oder ihre in Not geratenen<br />

Banken finanzieren. Diese Hilfen sind an klare Auflagen geknüpft: Die<br />

betroffenen Länder müssen mehr Steuern einheben, Staatsausgaben<br />

begrenzen, ihrer Arbeitsmärkte flexibler gestalten, Staatsbetriebe<br />

privatisieren und nach Möglichkeit international wettbewerbsfähiger<br />

werden. Überwacht wird dies durch eine Troika aus Vertretern der<br />

EU-Kommission, des IWF und der EZB. Hoch verschuldeten Ländern<br />

verschafft diese Vorgehensweise zwar fiskalischen Spielraum, erspart<br />

ihnen aber nicht, strukturelle Reformen anzupacken.<br />

Neben den Rettungsschirmen spielt die EZB<br />

eine tragende Rolle bei der Krisenbekämpfung.<br />

Sie hat seit Beginn der Krise den Leitzinssatz<br />

reduziert, akzeptiert nun auch geringwertigere<br />

Staatsanleihen aus Krisenstaaten als Sicherheit und kauft von<br />

Zeit zu Zeit selbst Anleihen jener Länder, die sich nur noch zu hohen<br />

Zinssätzen verschulden können. Im Herbst 2012 gab die EZB bekannt,<br />

dass sie nun auch Anleihen mit kurzer Laufzeit von Problemstaaten<br />

in nicht limitierter Höhe zu kaufen gedenkt (so genannte »Outright<br />

Monetary Transactions«), sofern sich die betroffenen Länder zu bestimmten<br />

wirtschaftlichen und fiskalischen Reformen verpflichten.<br />

»Anleihen in nicht<br />

limitierter Höhe«<br />

Darüber hinaus stellt die EZB den Banken kurz- und mittelfristig<br />

Liquidität zur Verfügung. Denn viele Banken sind aufgrund des wechselseitigen<br />

Misstrauens vom weltweiten Handel der Banken untereinander<br />

(Geld, Wertpapiere, Devisen) abgeschnitten. 2011 und 2012 gab<br />

die EZB Europas Geschäftsbanken eine zusätzliche Liquidität in Höhe<br />

von rund 1000 Mrd. Euro zu günstigen Konditionen für einen Zeitraum<br />

von drei Jahren. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass die Banken<br />

dadurch ihre eigene wirtschaftliche Situation verbessern, vermehrt<br />

Staatsanleihen kaufen und Kredite an die Realwirtschaft vergeben können,<br />

um so das Wirtschaftswachstum mit anzukurbeln.<br />

230


Neu ist, dass die EZB in Kooperation mit nationalen Regulatoren ab<br />

2013–14 die Aufsicht über systemrelevante Banken der Euro-Zone ausüben<br />

soll.<br />

Auf politischer Ebene reagierten die EU-Staaten auf die Krise mit fiskalischen<br />

Reformen. Dazu gehören:<br />

• erstens die Begutachtung der Budgetentwürfe durch die EU-<br />

Kommission, bevor die nationalen Parlamente darüber abstimmen<br />

(Europäisches Semester);<br />

• zweitens die Verankerung von Schulden-Obergrenzen in der<br />

Verfassung als nationales Recht (Schuldenbremse), wozu sich bis<br />

jetzt alle EU-Mitgliedsländer – mit Ausnahme von Großbritannien<br />

und Tschechien – verpflichtet haben;<br />

• und drittens quasi-automatische Sanktionen in Form von empfindlichen<br />

Strafzahlungen bei der Verletzung von Budgetzielen.<br />

Im Zentrum der Krisenbekämpfung steht seit 2010 die Verringerung<br />

der laufenden Budgetdefizite. Einsparungen bei den Staatsausgaben<br />

und höhere Steuereinnahmen bedeuten allerdings auch weniger öffentlichen<br />

und privaten Konsum. Die verschärfte Haushaltsdisziplin<br />

bremst das Wirtschaftswachstum bzw. sie führt in den Krisenstaaten<br />

zu schrumpfenden Volkswirtschaften. Zugleich zeigt sich, dass die<br />

bisherigen Bemühungen in Summe keineswegs erfolglos sind. So<br />

sind einige Krisenstaaten wettbewerbsfähiger geworden, was sich<br />

an gesunkenen Lohnstückkosten, höheren Exporten und geringeren<br />

Leistungsbilanzdefiziten zeigt.<br />

Die Zukunft der Eurozone hängt daher nicht bloß von Rettungsmaßnahmen<br />

ab, sondern von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Was bringt der Austritt eines Landes aus der Euro-Zone?<br />

Vertraglich sind weder der Austritt eines Landes aus der Euro-Zone<br />

noch ein geordneter Staatsbankrott eines EU-Mitgliedsstaates geregelt.<br />

Dennoch werden solche Szenarien und deren mögliche finanziellen<br />

231


Folgen immer wieder erörtert. Im Zentrum der Diskussion steht dabei<br />

ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone (»Grexit«).<br />

Wie würde das konkret aussehen? Als erstes<br />

würden viele Griechen noch mehr Geld als bisher<br />

im Ausland in Sicherheit bringen. Dieser<br />

Kapitalabfluss wäre mit einem massiven<br />

Abzug von Guthaben bei Geschäftsbanken<br />

verbunden. Dies könnte zu gravierenden Liquiditätsengpässen führen<br />

und das 2012–13 frisch rekapitalisierte griechische Finanzsystem erneut<br />

in Schieflage bringen. Griechenland müsste relativ rasch eine neue<br />

Währung einführen und den Wechselkurs dieser zum Euro festlegen.<br />

Einmal in Umlauf gebracht, würde die neue Währung zum Euro binnen<br />

kürzester Zeit drastisch abwerten. Das hätte folgende Auswirkungen:<br />

Der »Fall des Falles«:<br />

Kapitalabfluss und<br />

Liquiditätsengpass<br />

• Die in Euro notierten öffentlichen Schulden blieben bestehen und<br />

wären schlicht nicht mehr finanzierbar. Ein weiterer Zahlungsausfall<br />

Griechenlands wäre die Folge.<br />

• Griechenland könnte infolge der Währungsabwertung durch günstigere<br />

Exporte an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Vor allem der<br />

zentrale Wirtschaftszweig Tourismus könnte davon profitieren.<br />

Gleichzeitig würden sich Importe verteuern, was einerseits die<br />

Nachfrage nach inländischen Produkten steigern, aber andererseits<br />

bei notwendigen Importprodukten wie Öl und Gas zu deutlichen<br />

Preissteigerungen führen.<br />

• Die Realwirtschaft würde noch eine Zeitlang weiter schrumpfen.<br />

Dieses Szenario klingt sowohl aus Sicht Griechenlands als auch aus Sicht<br />

der übrigen Euro-Länder wenig wünschenswert. Für Europa und die<br />

Weltwirtschaft wäre ein Staatsbankrott Griechenlands ökonomisch zwar<br />

durchaus verkraftbar. Aber es ist zu befürchten, dass die Kapitalmärkte<br />

bei einem Euro-Austritt Griechenlands auch die Zahlungsfähigkeit<br />

Irlands und Portugals, vielleicht sogar jene von Spanien und Italien<br />

in Frage stellen könnten. Käme es in der Folge tatsächlich zu hohen<br />

Zinsaufschlägen und zu Zahlungsschwierigkeiten größerer Euro-Länder,<br />

könnte dies nicht nur in diesen Ländern selbst, sondern auch global<br />

232


zu einer Rezession führen. Daher ist aus heutiger Sicht davon auszugehen,<br />

dass Griechenland den Euro behält, es aber zu einem zweiten<br />

Schuldenschnitt kommt. Die Steuerzahler der übrigen Euro-Staaten kostet<br />

dies auf jeden Fall etwas, weil das verliehene Geld kaum noch verzinst<br />

und wahrscheinlich nicht voll zurückgezahlt werden dürfte.<br />

Studien und Berechnungen zu einem möglichen Euro-Exit Griechenlands<br />

kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In einem Punkt sind<br />

sich die Untersuchungen aber einig: Wahrscheinlich würde ein Austritt<br />

mehr als die beschlossenen Rettungsmaßnahmen kosten. Aus diesem<br />

Grund ist die EU sehr bemüht, die gemeinsame Währung zu behalten<br />

und alles Notwendige zu deren Rettung zu unternehmen. Ob diese<br />

Strategie Erfolg hat und wie viel die Steuerzahler der reicheren Länder<br />

am Ende dafür zahlen müssen, wird sich erst in einigen Jahren abschätzen<br />

lassen.<br />

Rainer Münz leitet das Research & Knowledge Center der<br />

Erste Group und ist Vorsitzender im Erste School Board.<br />

Von 2008 bis 2010 war er Mitglied der »Reflexionsgruppe<br />

Horizont 2020–2030« der Europäischen Union (so<br />

genannter »EU-Weisenrat«).<br />

Bernadett Povazsai-Römhild war bis 2007<br />

Unternehmensberaterin bei Capgemini mit Fokus<br />

Bankensektor. Sie ist im Research & Knowledge Center<br />

der Erste Group tätig und spezialisiert auf die demographischen<br />

und volkswirtschaftlichen Entwicklungen<br />

in Zentral- und Osteuropa.<br />

233


Emerging Markets gibt es aber nicht nur in fernen und exotischen<br />

Re gionen in Fernost oder in Südamerika, sondern auch in unmittelbarer<br />

Nähe. Der Standort Mittel- und Osteuropa war über Jahre das Symbol<br />

des wirtschaftlichen Aufbruchs in Europa. Mit dem Beitritt vieler dieser<br />

Staaten zur Europäischen Union wurde die Region stärker denn je mit<br />

Westeuropa verbunden.<br />

Zwischen Ländern wie Österreich, Deutschland, Frankreich und den<br />

Niederlanden auf der einen Seite und Ländern wie Polen, der Tschech<br />

ischen Republik, der Slowakei und Ungarn auf der anderen Seite<br />

besteht ein enges Geflecht von Wirtschaftsbeziehungen, angefangen<br />

von ausgelagerten Produktionsstätten der Großkonzerne bis hin<br />

zur lokalen Kooperation von Kleinstbetrieben wie Konditoreien und<br />

Zahntechnikern.<br />

Die Grundlage der Zusammenarbeit ist in den gegenseitigen Vorteilen zu<br />

sehen. Westlichen Unternehmen ermöglichte die Ausrichtung auf Zentralund<br />

Osteuropa eine deutliche Reduktion ihrer Produktionskosten sowie<br />

die Erschließung neuer Märkte. Die Volkswirtschaften Zentral- und Osteuropas<br />

profitierten von neuen Arbeitsplätzen sowie vom Zugang zu<br />

westlichem Kapital und Know-how. In den Jahren nach der Einführung<br />

des Euro sowie im unmittelbaren Vorfeld der Osterweiterung der EU<br />

wurde dieses Bild vollends bestätigt. Die Region durchlebte einen Boom,<br />

234<br />

Osteuropa: Überholspur –<br />

oder doch nur Abstellgleis?<br />

von Zoltan Bakay<br />

»Emerging Markets«, so werden jene aufstrebenden Volkswirtschaften<br />

bezeichnet, die wir als Wachstumstreiber der Welt<br />

betrachten. Im Verlauf der aktuellen Wirtschaftskrise hat sich<br />

diese Rolle mehr denn je bestätigt. Schwellenländer wie China,<br />

Indien und Brasilien konnten Wachstumsraten jenseits der<br />

Fünfprozentmarke zu einer Zeit erreichen, als die entwickelten<br />

Volkswirtschaften in der westlichen Welt den schwersten Einbruch<br />

ihrer jüngeren Wirtschaftsgeschichte hinnehmen mussten.


Ungewichteter Mittelwert des realen BIP-Wachstums (in %)<br />

EU 15 (alte Mitgliedsstaaten)<br />

EU 10 (neue Mitgliedsstaaten)<br />

7.00<br />

5.<strong>25</strong><br />

3.50<br />

1.75<br />

Quelle: EIU<br />

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />

0.00<br />

wie sie ihn bis dato nicht gekannt hatte. Bis zum Jahr 2008 hatten die<br />

Volkswirtschaften zwischen Ostsee und Schwarzem Meer – ausgelöst<br />

durch einen Investitions- und Nachfrageboom – hohe, bisweilen zweistellige<br />

Wachstumsraten.<br />

Getragen wurde das Wachstum von einer beträchtlichen Investitionsbereitschaft<br />

und Risikofreude in Westeuropa. Motiviert wurde der<br />

Geldfluss dabei vor allem durch die bevorstehende und 2004 bzw. 2007<br />

erfolgte Osterweiterung der EU.<br />

Für die zentral- und osteuropäische Region eröffnete dies neue Möglichkeiten,<br />

die aber gleichzeitig die Herausforderungen der heutigen<br />

Zeit darstellen. Diese ergeben sich einerseits aus der Marktöffnung<br />

der Region und andererseits aus der divergierenden Entwicklung der<br />

einzelnen Staaten.<br />

Der freie Kapitalverkehr bildete nach dem Fall des Eisernen Vorhangs<br />

die Grundlage für den lang anhaltenden Strom von Investitionen in die<br />

zentral- und osteuropäische Region. Bereits die Perspektive einer<br />

Annäherung an Westeuropa reichte Anfang der 1990er-Jahre aus, um den<br />

Investitionsstrom Richtung Osteuropa auszulösen. In dieser häufig als<br />

Transformationsphase bezeichneten Periode wurde neben dem Umbau<br />

235


Ausländische Direktinvestitionen (in % des BIP)<br />

2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Serbien Kroatien Rumänien<br />

Slowakei<br />

Ungarn<br />

Polen<br />

Tschechien<br />

Ukraine<br />

0<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

der ehemals sozialistischen Volkswirtschaften vor allem eines vorangetrieben:<br />

eine konsequente Marktöffnung.<br />

Die Marktöffnung stellte die Beziehung zwischen Ost und West auf eine<br />

neue Grundlage. Diese war primär durch die Rolle des Westens als<br />

Kapitalgeber und die von Mittel- und Osteuropa als Kapitalnehmer geprägt.<br />

Die Entwicklung beschleunigte sich im Zuge der Osterweiterung<br />

der EU. Obwohl manchmal von einer neuen Art der Abhängigkeit der<br />

Region gesprochen wurde, war diese Art der Beziehung für die meisten<br />

Länder Zentral- und Osteuropas (CEE) eher ein Vor- als ein Nachteil.<br />

Als Zulieferer der exportorientieren Technologiekonzerne Westeuropas<br />

profitierten die meisten CEE-Staaten in den Vorkrisenjahren vom<br />

kontinu ierlichen Zufluss westlicher Investitionen und den guten Absatzmöglichkeiten<br />

innerhalb und außerhalb der EU. Dieser Ent wick lung tat<br />

auch die Krise nach 2008 keinen Abbruch. So konnte die Region von<br />

den außereuropäischen Geschäften der westlichen Mutterunternehmen<br />

in den Wachstumsmärkten Asiens und Lateinamerikas mitprofitieren.<br />

In vielen Ländern Zentral- und Osteuropas war der Export in den vergangenen<br />

Jahren die einzige stabile Wachstumskomponente, da die krisenbedingte<br />

Verunsicherung den heimischen Konsum und die lokalen<br />

Investitionen zum Teil massiv einbrechen ließ.<br />

236


Potenzielles BIP-Wachstum (in %)<br />

2001–2008<br />

2012–2013F<br />

5.0<br />

2.5<br />

Ungarn<br />

Tschechien<br />

Rumänien<br />

Slowakei<br />

Polen<br />

0.0<br />

Quelle: Europäische Kommission, Ameco<br />

So betrachtet profitiert die zentral- und osteuropäische Region von<br />

ihrer außergewöhnlich hohen Abhängigkeit von Westeuropa. Allerdings<br />

haben die Wachstumstreiber der Vergangenheit im Zuge der Krise merklich<br />

an Bedeutung verloren: Bedingt durch die deutlich vorsichtigere<br />

Kreditvergabe haben sowohl Konsum als auch Investitionstätigkeit deutlich<br />

nachgelassen. Letzteres hat den unerfreulichen Nebeneffekt, auch<br />

langfristig wachstumshemmend zu wirken, da sich die potenziellen<br />

Wachstumsmöglichkeiten auf Jahre reduzieren.<br />

Abschließend lässt sich zur Herausforderung »Marktöffnung« festhalten,<br />

dass die enge Verbindung zur westeuropäischen Exportwirtschaft<br />

in der Vergangenheit zumeist mehr Vor- als Nachteile gebracht hat. Für<br />

die kommenden Jahre sollte aber über die Gefahren der Konzentration<br />

dieser Beziehungen auf bestimmte Länder und Branchen nachgedacht<br />

werden. Ferner hat sich im Zuge der Krise gezeigt, dass die Verfügbarkeit<br />

von ausländischem Kapital immer dann von Vorteil ist, wenn es für längerfristige<br />

Investitionen eingesetzt wird. Makroökonomisch bedenklich<br />

sind hingegen reine Portfolio-Investments, da dieses Geld häufig auch<br />

sehr schnell wieder abgezogen wird.<br />

Gemeinhin wird die Region Zentral- und Osteuropa im Sinne einer wirtschaftlich-geographischen<br />

Einheit behandelt. Diese Sicht erklärt sich<br />

237


Beschäftigungsraten 2010 (Altersgruppe 20–64)<br />

≤ 60%<br />

60–65%<br />

65–70%<br />

70–75%<br />

> 75%<br />

Quelle: Eurostat<br />

vor allem aus historischer Perspektive, insbesondere ihrer vormaligen<br />

Zugehörigkeit zum »Ostblock«. Das sozialistische Wirtschaftsmodell<br />

und sein Untergang haben zwar nicht gleiche, wohl aber vergleichbare<br />

Ausgangsbedingungen für die Länder der Region geschaffen.<br />

Sämtliche Staaten mussten Anfang der 1990er-Jahre ihre grundsätzlichen<br />

wirtschaftspolitischen Modelle neu gestalten. Eine Konsequenz der<br />

Neuorientierung war, dass weite Teile der Bevölkerung ihren Arbeitsplatz<br />

verloren. Viele dieser Arbeitsplätze wurden in den Folgejahren nicht<br />

mehr ersetzt, so dass bis heute die Beschäftigungsraten in der Region<br />

sehr niedrig sind.<br />

Wie die Übersicht zeigt, unterscheiden sich die Beschäf tigungsraten<br />

in der Region allerdings sehr deutlich. Diese Unterschiede sind auf unterschiedliche<br />

Standortfaktoren (z. B. regionale Nähe zu westlichen<br />

Produktionsstätten, günstige Verkehrsanbindung), Unterschiede bei<br />

den Humanressourcen (z. B. verfügbare Anzahl an Fachkräften) und<br />

politisch-wirtschaftliche Rahmenbedingungen (z. B. stabile, investitionsfreundliche<br />

Umgebung) zurückzuführen.<br />

Die genannten Unterschiede haben sich im Laufe der vergangenen<br />

20 Jahre zwischen den Ländern immer weiter verfestigt. Im Ergebnis<br />

238


BIP pro Kopf 2012 (in Euro)<br />

13.129<br />

14.405<br />

9.943<br />

10.032<br />

10.398<br />

6.369<br />

2.831<br />

3.921<br />

Ukraine<br />

Serbien<br />

Rumänien<br />

Polen<br />

Ungarn<br />

Kroatien<br />

Slowakei<br />

Tschechien<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

unterscheiden sich die Länder Zentral- und Osteuropas in puncto wirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit mittlerweile recht deutlich. Dies zeigt<br />

sich be son ders, wenn man das pro Kopf erwirtschaftete BIP in der<br />

Region vergleicht.<br />

Die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der einzelnen Länder traten<br />

vor allem in der Zeit des wirtschaftlichen Abschwungs zutage. Wettbewerbsfähigere<br />

Volkswirtschaften bauten ihren Vorsprung gegenüber<br />

weniger wettbewerbsfähigen immer weiter aus. Manche Staaten schafften<br />

es, über Jahre ein ausgeglichenes, stabiles Umfeld zu schaffen,<br />

wodurch sich das Zinsniveau auf niedrigerem Niveau stabilisierte, andernorts<br />

gelang dies nicht. In einigen Staaten war es nicht möglich, vormaligen<br />

gesellschaftlichen Eliten ihre Machtbasis zu nehmen, in anderen<br />

Staaten gewannen Reformer die Oberhand. In Verbindung mit der aktuellen<br />

Krise hat sich gezeigt, dass besser aufgestellte Staaten wesentlich<br />

leichter durch die Krise kamen als andere, die ihre »Hausaufgaben« in<br />

den wirtschaftlich guten Zeiten nicht erledigt hatten.<br />

Unter den entwickelteren Volkswirtschaften der Region sind diesbezüglich<br />

vor allem Polen und die Slowakei sowie mit Abstrichen die Tschechische<br />

Republik zu nennen. Alle drei Staaten zeichneten sich in der<br />

Vorkrisenzeit durch ein ausgeglichenes Wachstum aus. Es wurden keine<br />

239


BIP-Wachstum in den Krisenjahren (in %)<br />

2008 2009 2010 2011 2012<br />

7.5<br />

0<br />

-7.5<br />

Polen<br />

Rumänien<br />

Serbien<br />

Slowakei<br />

Ukraine<br />

-15.0<br />

Kroatien Tschechien Ungarn<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

unnötigen Risiken eingegangen, weder die Staatsverschuldung noch die<br />

Verschuldung von Haushalten und Unternehmen erreichten kritische<br />

Höhen. Es gab keine Immobilienblasen, Investoren wurden durch stabile<br />

Rahmenbedingungen angelockt.<br />

Länder wie Estland, Lettland, Litauen und in Ansätzen auch Rumänien<br />

durchliefen dagegen klassische Boom-Bust-Zyklen. Damit ist gemeint,<br />

dass sich die Konjunktur in den Vorkrisenjahren deutlich überhitzte.<br />

Löhne stiegen rasant in die Höhe. Haushalte und Staaten konsumierten<br />

über ihren Verhältnissen, Unternehmen investierten aufgrund<br />

überschätzter Wachstumsfantasien. Die plötzlich einsetzende<br />

Gegenbewegung ließ das nachfragebasierte Wachstumsmodell unvermittelt<br />

und heftig einbrechen. Aggressive Maßnahmen zur Wiederherstellung<br />

der Wettbewerbsfähigkeit – insbesondere die so genannte<br />

interne Abwertung, wobei Löhne gekürzt werden – konnten jedoch die<br />

negative Entwicklung stoppen. Allerdings zu einem hohen Preis, nämlich<br />

Lohnkürzungen und Kaufkraftverluste in weiten Teilen der Bevölkerung.<br />

Daneben gab es die Staaten, die mit strukturellen Problemen individueller<br />

Natur zu kämpfen haben. Ungarn war und ist zu hoch im Ausland<br />

verschuldet und es verschreckt ausländische Investoren durch wenig stabile<br />

wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Kroatien und Serbien<br />

240


BIP-Prognose der EU für 2013 und 2014 (in %)<br />

2013 2014<br />

3,5 3,5<br />

4<br />

2,6<br />

2,7<br />

3,0<br />

3<br />

1,3<br />

1,4<br />

1,4<br />

1,6<br />

2,0<br />

1,5<br />

2,0<br />

1,8<br />

2,2<br />

2,0<br />

2<br />

0,8<br />

1<br />

0,3<br />

Ungarn<br />

0,0<br />

Kroatien<br />

0,1<br />

Euro<br />

0,4<br />

EU<br />

Tschechien<br />

Serbien<br />

Polen<br />

Rumänien<br />

Slowakei<br />

Ukraine<br />

0<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

kämpfen mit ihrer wenig wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur und<br />

den Spätfolgen der Jugoslawienkriege. Die Ukraine ist zum Spielball der<br />

Interessenkonflikte zwischen Russland und der westlichen Welt geworden.<br />

Abschließend bleibt hinsichtlich der Herausforderung »divergente Entwicklung«<br />

festzuhalten, dass in den kommenden Jahren sämtliche<br />

Länder der Region die richtigen Lehren aus ihrer individuellen Vergangenheit<br />

ziehen sollten. Insbesondere hat sich gezeigt, dass das<br />

zukünftige Wachstum vor allem ausgeglichen sein sollte. Hohe<br />

Wachstumsraten per se sind noch kein Garant für deren Nachhaltigkeit.<br />

Die Positionierung der Region Zentral- und Osteuropa im europäischen<br />

Wirtschaftsgefüge ist geprägt von einem Höchstmaß an Offenheit und<br />

einer einseitigen Ausrichtung auf Westeuropa. Insofern überrascht es<br />

wenig, dass der kurzfristige Ausblick für die Region Zentral- und Osteuropa<br />

maßgeblich von der Entwicklung in der Euro-Zone beeinflusst wird.<br />

Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Euroraum wurden<br />

daher auch die Prognosen für die zentral- und osteuropäische Region<br />

zum Teil deutlich reduziert. Zusammenfassend zeichnet sich ab, dass<br />

2013 noch ein schwaches Jahr sein dürfte und das Wachstum erst in den<br />

Jahren 2014–2015 wieder einsetzt.<br />

241


Nachholbedarf bei Investitionen<br />

(Foto: flickr/70475110@N00)<br />

Wesentlich für Zentral- und Osteuropa ist, ob es sich weiterhin um eine<br />

Wachstumsregion von »Emerging Markets« handelt. Dies entscheidet<br />

darüber, ob die Region auch zukünftig schneller wachsen kann als der<br />

entwickeltere Teil Europas. Im Prinzip ist dies möglich. Die Region hat<br />

weiterhin enormes Nachholpotenzial auf beinahe allen Gebieten.<br />

Das Wohlstandsgefälle entlang der ehemaligen Ost-West-Grenzen ist<br />

nach wie vor eklatant. Die Infrastruktur erweckt beim westlichen<br />

Be sucher häufig noch immer Erinnerungen an die Zeit vor dem Fall des<br />

Eisernen Vorhangs. Voraussetzung einer derartigen Entwicklung ist<br />

aller dings, dass kontinuierlich Anstrengungen unternommen werden,<br />

um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu erhöhen. Dazu gehören insbesondere<br />

die weitere Verbesserung des institutionellen Rahmens und<br />

der Infrastruktur, die stärkere Entwicklung der Unternehmenskultur<br />

inländischer Marktteilnehmer, der Ausbau der Ressource Wissen, die<br />

Entwicklung einer eigenen Kapitalbasis und generell die Erhöhung der<br />

Produktivität.<br />

Auch stellt sich die Frage, ob das Konvergenzmodell der Region – die<br />

konzentrierte Ausrichtung der Wirtschaft auf Westeuropa verbunden<br />

mit einem Höchstmaß an Offenheit – nachhaltig den gewünschten<br />

Erfolg bringt. Die meisten Volkswirtschaften der Region zeichnen sich<br />

242


Anteile der Importe und Exporte am BIP (in %)<br />

Import 2000 Import 2012 Export 2000 Export 2012<br />

90<br />

45<br />

Kroatien Polen Rumänien Serbien Ukraine Tschechien Ungarn Slowakei<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

0<br />

durch eine duale Struktur aus. Auf der einen Seite stehen kapitalstarke<br />

und exportfähige westliche Tochterunternehmen, auf der anderen Seite<br />

kapi talschwache, meist auf heimische Dienstleistungen spezialisierte<br />

Kleinunternehmen.<br />

Wettbewerbsnachteile beim Zugang zum Kapitalmarkt verhindern, dass<br />

sich aus diesen Kleinunternehmen so etwas wie ein großer, international<br />

wettbewerbsfähiger lokaler Mittelstand wie etwa in Deutschland<br />

oder Österreich entwickelt. Die mittelständischen Betriebe Zentral- und<br />

Osteuropas sind derzeit meist nicht in der Lage qualifizierte lokale Experten<br />

zu gewinnen, um qualitativ hochwertigere und dadurch exportfähigere<br />

Produkte und Dienstleistungen herzustellen. Der Mehrwert<br />

der hergestellten Produkte und Dienstleistungen ist daher meist relativ<br />

niedrig, was sich negativ auf die Ertragskraft dieser Unternehmen auswirkt.<br />

Wie die Entwicklung im westlichen Ausland zeigt, ist aber gerade<br />

der Aufbau eines leistungsfähigen lokalen Mittelstands entscheidend für<br />

die wirtschaftliche Weiterentwicklung.<br />

Wie kann bzw. wie sollte es weitergehen? Als limitierende Rahmenbedingung<br />

lässt sich zunächst festhalten, dass wenig nachhaltige,<br />

unausgeglichene Wachstumsmodelle wie beispielsweise im Baltikum<br />

wohl in Zukunft ausgedient haben. Ein ausgeglicheneres Wachstum<br />

243


Beiträge zum BIP-Wachstum 2015 (in %)<br />

Exporte Bruttoinvestitionen Staatlicher Konsum Privater Konsum Lagerbestände<br />

6.0<br />

4.5<br />

3.0<br />

1.5<br />

0.0<br />

Kroatien Tschechien Ungarn Rumänien Serbien Slowakei<br />

Quelle: Europäische Kommission bzw. für die Ukraine IWF, Herbst 2012<br />

Quelle: EIU<br />

Ukraine<br />

-1.5<br />

bedeutet nach unserem heutigen Kenntnisstand weniger kreditgetriebenes<br />

Wachstum, eine solidere Finanzierung der Staatsausgaben<br />

und mehr Nachhaltigkeit bei der Verwendung von Fördermitteln. Auch<br />

muss sich die Region darauf einstellen, dass Investitionsquoten wie<br />

in der Vorkrisenzeit wohl in dieser Höhe nicht mehr erreicht werden.<br />

Für Zentral- und Osteuropa bedeutet dies, dass die wesentlichen<br />

Wachstumstreiber der Vergangenheit wohl auf längere Zeit eingeschränkt<br />

wirksam sein werden.<br />

Was spricht dennoch für ein relativ höheres Wachstum in der Region?<br />

Klar ist, dass sich an den fundamentalen Eigenschaften der Volkswirtschaften<br />

im Vergleich zur Vorkrisenwelt wenig geändert hat. Zwischen<br />

Westeuropa auf der einen und Zentral- und Osteuropa auf der<br />

anderen Seite besteht nach wie vor ein signifikantes Wohlstandsgefälle,<br />

die Produktivität der osteuropäischen Volkswirtschaften liegt weit unter<br />

dem westeuropäischen Standard, Institutionen und Infrastruktur sind<br />

weiter verbesserungsfähig.<br />

Die Frage ist, wo das Wachstum herkommen soll? Zum einen ist es sehr<br />

fraglich, ob die aktuellen, besonders niedrigen Investitionsquoten,<br />

Konsumquoten und Kreditflüsse selbst in einer strenger regulierten<br />

Nachkrisenwelt auf derart niedrigem Niveau verweilen werden. Gegen<br />

244


Entwicklung der Lohnstückkosten (Index 2005=100)<br />

<strong>25</strong>0<br />

Lettland<br />

200<br />

Estland<br />

Rumänien<br />

Litauen<br />

Serbien<br />

Slowakei<br />

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />

Quelle: EIU<br />

150<br />

100<br />

eine derartige Entwicklung sprechen bekannte Rahmenbedingungen, die<br />

gemeinhin einer höheren Investitionsquote förderlich sind.<br />

Dazu gehören das noch immer deutlich niedrigere Lohnniveau bei gleichzeitig<br />

gutem Bildungsstand der arbeitenden Bevölkerung, die über die<br />

Jahre kontinuierlich verbesserte Infrastruktur, die regionale Nähe zu den<br />

westlichen Industriezentren und eine gewachsene Rechtssicherheit bedingt<br />

durch die EU-Mitgliedschaft bzw. angestrebte EU-Mitgliedschaft.<br />

Neben diesen durch die Krise wenig veränderten Rahmenbedingungen<br />

haben sich die meisten Zentral- und Osteuropäer über die vergangenen<br />

Krisenjahre als besonders konsequente Reformer hervorgetan. Im<br />

Gegensatz zu den Krisenregionen in Südeuropa ist die Korrektur der<br />

in manchen Ländern zu schnell gestiegenen Lohnstückkosten weit<br />

reibungsloser verlaufen als beispielsweise in Südeuropa. Die meisten<br />

Staaten sind ferner bemüht, Steuern auf Unternehmen niedrig zu halten,<br />

was häufig durch die Verlagerung der Steuerlast auf den Konsum erreicht<br />

wurde.<br />

Was ist für die Region Zentral- und Osteuropa zu erwarten? Die Variante<br />

»Abstellgleis« erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten Potenziale<br />

unwahrscheinlich. Vielmehr zeichnet sich ab, dass sich an den<br />

245


Mehrwertsteuersätze 2011 (in %)<br />

Seit 2008:<br />

Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />

Keine Änderung<br />

23%<br />

21%<br />

21%<br />

15%<br />

<strong>25</strong>%<br />

19%<br />

20%<br />

19.6%<br />

19%<br />

20%<br />

20%<br />

22%<br />

21%<br />

23% 20%<br />

20%<br />

27% 24%<br />

23%<br />

18%<br />

20%<br />

20%<br />

23%<br />

15%<br />

Quelle: Euroäische Kommission<br />

grundsätzlichen Wachstumsfaktoren durch die Krise nur wenig geändert<br />

hat. Das Wachstum wird kein Vorkrisenniveau mehr erreichen, aber es<br />

spricht nichts dagegen, dass das, was die Region auszeichnet, wahrgenommen<br />

und belohnt wird.<br />

Zudem hat sich Zentral- und Osteuropa in den vergangenen Jahren<br />

als zuverlässige Wachstumsregion mit hohem Reformeifer und hoher<br />

Wettbewerbsorientierung bewiesen. Es gibt kein Argument, wes -<br />

halb diese Grundhaltung in einer Nachkrisenwelt nicht die erwarteten<br />

Frü chte tragen sollte.<br />

Zoltan Bakay war bis 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 ist<br />

er im Research & Knowledge Center der Erste Group tätig und<br />

spezialisiert auf die volkswirtschaftliche Entwicklung der<br />

Wachstumsregionen in Zentral- und Osteuropa.<br />

246


Geldanlage? Klar – aber<br />

wohin mit dem Ersparten?<br />

von Thomas Schaufler<br />

Geld so anzulegen, dass nach Abzug der Inflation noch etwas<br />

übrig bleibt, das ist die Herausforderung der nächsten Jahre.<br />

Die niedrigen Sparzinsen werden uns nämlich noch eine Weile<br />

begleiten. Es ist im Moment nicht möglich, mit rein konservativen<br />

Anlageformen wie z. B. einem Sparbuch sein Vermögen zu<br />

vermehren. Was sich in all den Jahrzehnten der unterschiedlichen<br />

Krisen bewährt hat, ist die Tatsache, dass man sein Geld vor<br />

niedrigen Zinsen und andauernden Wirtschaftsflauten am besten<br />

dadurch schützt, indem man es auf verschiedene Anlageklassen<br />

aufteilt. Warum sind die Zinsen aber so niedrig, was bezweckt<br />

die Europäische Zentralbank (EZB) damit?<br />

Die EZB versucht mit ihrer Geldpolitik die Zinsen deutlich unter den<br />

Inflationsraten zu halten. Entsprechend der komplexen wirtschaftlichen<br />

Lage in der Euro-Zone wird auch die Geldpolitik der EZB immer<br />

komplexer. Die Zentralbank muss einerseits für die gesamte Euro-<br />

Zone die Preisstabilität gewährleisten und andererseits dafür sorgen,<br />

dass die niedrigen Zinsen in allen Mitgliedsländern ankommen und<br />

Extremrisiken für die Euro-Stabilität vermieden werden können. Dies<br />

ist für die Mission der Zentralbank eines »starken und stabilen« Euro<br />

grundlegend wichtig.<br />

Generell sollte in Europa die wirtschaftliche Entwicklung schwach<br />

und die Inflationserwartungen weiter moderat bleiben. Das belegen<br />

auch die zuletzt veröffentlichten Indikatoren wie zum Beispiel<br />

die Konsumentenstimmung oder das Geschäftsklima, welche weiter<br />

gefallen sind. Der Start in den Herbst ist schlecht ausgefallen und<br />

somit kann noch nicht mit Sicherheit abgeschätzt werden, ob der<br />

wirtschaftliche Tiefpunkt im vierten Quartal 2012 tatsächlich durchschritten<br />

worden ist. Die Risiken sind derzeit nach unten gerichtet,<br />

aber es bleibt zu hoffen, dass eine stärkere Rezession vermieden<br />

werden kann. Wenngleich die Inflation in der Euro-Zone zuletzt im<br />

Gleichklang mit dem Ölpreis über den Erwartungen lag. Somit ist nach<br />

247


EZB Leitzins vs. Inflation (Eurozone) 2007–2012 (in %)<br />

Eurozone Inflation EZB Leitzins 2% Inflationszielwert EZB<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />

Quelle: Erste Group Research<br />

-1<br />

wie vor mit sinkenden Inflationsraten zu rechnen. Im Moment werden<br />

offizielle Inflationsraten von ca. zwei bis drei Prozent ausgewiesen,<br />

jedoch hat die Inflationsrate nicht mehr oberste Priorität der<br />

Geldpolitik der EZB. Zu unterschiedlich ist im Moment die wirtschaftliche<br />

Entwicklung in Europa. Während in Mitteleuropa nach wie vor<br />

positive Bruttoinlandsprodukt-Raten verzeichnet werden, zeigt ein<br />

Blick nach Südeuropa ein weniger positives Bild.<br />

Daher ist mittelfristig zu erwarten, dass die EZB die Wirtschaft weiterhin<br />

sowohl zinsseitig als auch mit außergewöhnlichen geldpolitischen<br />

Maßnahmen unterstützen wird. Auch wenn unmittelbar kein<br />

Handlungsbedarf besteht, so ist angesichts der Inflationsperspektiven<br />

2013 mit einer weiteren Senkung des Leitzinssatzes auf 0,5 Prozent und<br />

niedrigen Zinsen bis 2015 zu rechnen.<br />

Zusätzlich hat die EZB ein Anleihen-Ankauf-Programm, welches OMT<br />

(Outright Monetary Transaction) genannt wird, für die Euro-Staaten<br />

angekündigt. Dieses Ankaufsprogramm steht nur jenen Ländern zur<br />

Verfügung, die im Rahmen der viel zitierten Euro-Rettungsschirme EFSF<br />

und ESM um Unterstützung ansuchen. Der Grund für dieses Hilfsprogramm<br />

ist jener, dass die Zinssenkungen der EZB nur Euro-Staaten mit guter<br />

Bonität erreichen. Problemländer, wie zum Beispiel Griechenland,<br />

248


profitieren nicht von diesen Zinssenkungen. Im Rahmen dessen kann die<br />

EZB Staatsanleihen mit kurzen Restlaufzeiten (von ein bis drei Jahren)<br />

von betroffenen Euro-Ländern auf dem Sekundärmarkt 4 in unlimitierter<br />

Menge kaufen. Die Liquidität sollte aber später wieder abgezogen werden.<br />

Die Idee dieser Maßnahme: Kauft die EZB in großem Umfang z. B. spanische<br />

Staatsanleihen, muss dies zu steigenden Anleihekursen führen,<br />

was wiederum niedrigere Aufwendungen für Spanien bedeutet. Dadurch<br />

sollten destruktive Szenarien abgefedert und starke Renditeanstiege in<br />

Spanien kurzfristig vermieden werden. Tiefere Renditen wiederum sollen<br />

es dann Spanien leichter machen, neue Anleihen zu tieferen Zinsen<br />

auszugeben, was wiederum der Finanzsituation Spaniens helfen würde.<br />

Eine langfristige Lösung kann dadurch jedoch nicht garantiert werden.<br />

Die Renditen für Benchmark-Anleihen (Deutsche Bundesanleihen) sollten<br />

angesichts des niedrigen Zinsausblicks auf Sicht von einem Jahr gedämpft<br />

bleiben. Schon jetzt ergeben deutsche Bundesanleihen mit einer<br />

Laufzeit bis 2016 negative Renditen.<br />

Dass die EZB jedenfalls sämtliche Schleusen geöffnet hat, dokumentiert<br />

auch die Bilanzsumme. Diese hat sich seit 2001 immerhin fast vervierfacht,<br />

von 814 Milliarden Euro auf aktuell 3,046 Billionen Euro 5 . Damit<br />

liegt die EZB sogar vor der Federal Reserve (FED) 6 , welche ihrerseits die<br />

Geldmenge auf aktuell 2,810 Billionen Dollar ebenfalls deutlich ausgeweitet<br />

hat.<br />

Der Kurs der EZB bedeutet jedenfalls für konservative Anleger, dass eine<br />

positive Nominalverzinsung und somit der schon oft zitierte Werterhalt<br />

ohne Risiko im Moment nicht möglich ist. Der Drei-Monate-Euribor 7 liegt<br />

momentan bei 0,20 Prozent. An diesem Referenzzins orientieren sich z.<br />

B. viele Sparprodukte. Die zehnjährigen risikolosen Zinsen stehen im<br />

Moment um 1,60, die Inflation hingegen bei etwa 2,3 Prozent.<br />

Anleger sind mehr denn je gefordert, Investitionen mit kalkulierbaren<br />

Risiken einzugehen, wenn am Ende keine Minusrendite das Ergebnis<br />

sein soll. Um aber nicht vielleicht auf das vermeintlich falsche<br />

Pferd zu setzen, ist eine breite Streuung über mehrere Anlageklassen<br />

wichtiger denn je. Auch ein Blick in die Vergangenheit belegt, dass<br />

eine breite Streuung fast immer positive Renditen über einen längeren<br />

Zeitraum liefert.<br />

4 Finanzmarkt zum Handel von schon emittierten Wertpapieren wie Aktien und Anleihen.<br />

5 Stand Oktober 2012<br />

6 US-Notenbank<br />

7 Euro Interbank Offered Rate<br />

249


Es gab immer wieder Krisen, welche sich über einen kürzeren oder längeren<br />

Zeitraum gezogen haben. Die Übersicht rechts zeigt einen Blick<br />

auf die Entwicklung von unterschiedlichen Anlageklassen im Zuge einer<br />

Krise. Um das Bild möglichst realistisch zu zeichnen, wurde folgende<br />

Basis verwendet:<br />

• Aktien: MSCI World Index<br />

• Anleihen: JP Morgan Bondindex<br />

• Immobilien: EPRA Immobilienindex<br />

• US-Dollar-Index: Entwicklung Dollar gegenüber Euro, Yen, Franken,<br />

Pfund, Kanadischer Dollar und Schwedische Krone<br />

• Schweizer Franken gegenüber Euro<br />

• Gold in USD<br />

• Öl (Light Sweet Oil) in USD<br />

Weitere Annahme: Genau einen Tag vor Ausbruch der jeweiligen Krise<br />

wurde in die aufgezählten Anlageklassen gleichgewichtet investiert<br />

(EPRA Immobilienindex vor 1990 nicht verfügbar).<br />

Nach genau fünf Jahren zeigt sich in der Wertentwicklung der verschiedenen<br />

Anlageklassen ein sehr unterschiedliches Bild. Mit Ausnahme von<br />

Öl hat keine (!) Anlageklasse immer funktioniert und positive Renditen<br />

gebracht. Auch das im Moment so beliebte Gold konnte gerade in den<br />

1980er- und 1990er-Jahren nicht überzeugen. Anleihen zeigen sich zwar<br />

sehr robust, konnten aber auch nicht immer positive Renditen bringen.<br />

Gerade bei tiefen Zinsen bergen Anleihen auch ein höheres Verlustrisiko.<br />

Jedoch wurde bei einer gleich gewichteten Aufteilung über mehrere<br />

Anlageklassen fast immer ein positives Endergebnis nach fünf<br />

Jahren erzielt. Eine breite Diversifikation zahlt sich also aus, wie die<br />

unterschied lichen Krisenereignisse belegen. Ein Vorteil ist das reduzierte<br />

Schwankungsverhalten eines breit gestreuten Portfolios. Es gibt<br />

einfach keine Anlageklasse, die immer nur nach oben geht. Daher ist<br />

man auf unvorhergesehene Ereignisse am besten vorbereitet, wenn man<br />

das Vermögen in ein stabiles, breit aufgestelltes Portfolio aufteilt. Wie<br />

schon in der modernen Portfoliotheorie festgestellt wurde, erhöht sich<br />

durch eine Streuung die Renditeerwartung und das Risiko wird gleichzeitig<br />

reduziert. Ein doppelt positiver Effekt.<br />

<strong>25</strong>0


Perfomance der jeweiligen Anlageklasse bei einem Investment einen Tag vor der<br />

Krise mit einer Behaltefrist von 5 Jahren und Ertrag des gesamten Portfolios<br />

Ölkrise 1973<br />

Öl<br />

+344,95%<br />

Gold<br />

+1<strong>25</strong>,40%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+46,49%<br />

Anleihen<br />

+22,06%<br />

US Dollar<br />

+4,23%<br />

Aktien<br />

+1,06%<br />

Ertrag<br />

77,74%<br />

Energiekrise 1979/80<br />

Öl<br />

+111,30%<br />

Gold<br />

+64,68%<br />

Aktien<br />

+48,30%<br />

US Dollar<br />

+32,26%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+6,81%<br />

Anleihen<br />

-12,54%<br />

Ertrag<br />

35,83%<br />

Aktiencrash 1987<br />

Anleihen<br />

+73,65%<br />

Öl<br />

+10,19%<br />

Aktien<br />

+6,35%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

-7,78%<br />

US Dollar<br />

-11,22%<br />

Gold<br />

-26,80%<br />

Ertrag<br />

6,34%<br />

Japankrise 1990<br />

Anleihen<br />

+53,87%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+8,51%<br />

Aktien<br />

+7,64%<br />

Gold<br />

-6,14%<br />

US Dollar<br />

-6,45%<br />

Öl<br />

-<strong>25</strong>,33%<br />

Immobilien<br />

-45,35%<br />

Ertrag<br />

-1,89%<br />

Asienkrise 1997<br />

Anleihen<br />

+39,09%<br />

Öl<br />

+33,<strong>25</strong>%<br />

Immobilien<br />

+24,99%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+11,00%<br />

US Dollar<br />

+10,02%<br />

Aktien<br />

-5,02%<br />

Gold<br />

-6,83%<br />

Ertrag<br />

15,21%<br />

Russlandkrise 1998<br />

Öl<br />

+87,92%<br />

Anleihen<br />

+30,86%<br />

Gold<br />

+9,07%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+8,34%<br />

US Dollar<br />

+0,06%<br />

Immobilien<br />

-9,74%<br />

Aktien<br />

-26,10%<br />

Ertrag<br />

14,34%<br />

Internetblase 2000<br />

Immobilien<br />

+83,71%<br />

Öl<br />

+62,89%<br />

Anleihen<br />

+52,00%<br />

Gold<br />

+49,70%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+3,94%<br />

Aktien<br />

-13,42%<br />

US Dollar<br />

-15,71%<br />

Ertrag<br />

31,87%<br />

September 11, 2001<br />

Öl<br />

+143,65%<br />

Gold<br />

+126,96%<br />

Immobilien<br />

+114,94%<br />

Anleihen<br />

+42,92%<br />

Aktien<br />

+38,73%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

-4,23%<br />

US Dollar<br />

-21,24%<br />

Ertrag<br />

63,10%<br />

Lehman 2008*<br />

Gold<br />

+124,16%<br />

Anleihen<br />

+41,95%<br />

<strong>CH</strong>F<br />

+24,84%<br />

Aktien<br />

+2,43%<br />

US Dollar<br />

+1,16%<br />

Immobilien<br />

-11,15%<br />

Öl<br />

-11,95%<br />

Ertrag<br />

24,49%<br />

*bis 03.12.2012<br />

<strong>25</strong>1


Die Bedeutung einer strategischen Portfolio-Ausrichtung hat nichts an<br />

ihrer Wichtigkeit verloren, jedoch ist das richtige Timing bei volatilen<br />

Börsen entscheidend, da die langfristigen, mehrjährigen Trends der<br />

Vergangenheit angehören. Schon seit geraumer Zeit sind an den Kapitalmärkten<br />

große Schwankungsbreiten ohne klare Trends nach oben oder<br />

unten zu beobachten. Das bedeutet, die Kurse schwanken mehr oder<br />

weniger um ihren Mittelwert und dabei kann es ohne aktive Asset<br />

Allocation passieren, dass der Depotstand am Jahresende jener ist, mit<br />

dem man das Jahr begonnen hat. Nicht jeder hat das Wissen oder die<br />

Zeit, sich mit den sich ständig ändernden Trends auf den Kapitalmärkten<br />

auseinanderzusetzen und demnach sein Vermögen laufend umzuschichten.<br />

Genau deshalb erfahren Vermögensverwaltungs-Lösungen für<br />

Privatkunden eine Renaissance. Allein in der Erste Bank hat sich die<br />

Zahl jener, die ein professionelles Vermögensmanagement in Anspruch<br />

nehmen, seit 2008 um mehr als fünfzig Prozent gesteigert.<br />

Als finanzielle Basis für eine weitere Geldanlage sollte jeder über ein<br />

Sparbuch verfügen. Darauf parkt man idealerweise rund drei Netto-<br />

Monatsgehälter, um für die Notfälle des Alltags gerüstet zu sein. So ist<br />

man jederzeit liquid, wenn z. B. die Waschmaschine kaputt wird oder<br />

sonstige ungeplante Ausgaben zu tätigen sind. Für die mittelfristige<br />

Veranlagung eignet sich ein Bausparvertrag gut, um auf eine überschaubare<br />

Zeit Geld anzusparen, wenngleich auch seit 2012 mit einer<br />

geschmälerten staatlichen Prämie. Was Versicherungen betrifft, so<br />

ist die Entscheidung sehr individuell zu treffen und auch je nach<br />

Lebenssituation abzuwiegen, was man zwischen Pensionsvorsorge und<br />

Lebensversicherung etc. benötigt.<br />

Wenn man also darüber hinaus verfügbares Geld hat, für das man Veranlagungsmöglichkeiten<br />

sucht, so gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.<br />

Je nach Risikolust, Lebenssituation, gewünschter Anlagedauer<br />

usw. sollte man sich am besten mit einem Profi beraten und gemeinsam<br />

die beste Strategie für sein Geld erarbeiten.<br />

Wer z. B. ein Direktinvestment in Aktien scheut, könnte sich Bonus-<br />

Zertifikate als Alternative näher ansehen. Während bei einem<br />

Aktieninvestment nur bei steigenden Kursen Erträge erzielt werden,<br />

profitieren Bonus-Zertifikate bereits von stagnierenden oder sogar<br />

<strong>25</strong>2


leicht schwächeren Kursnotierungen. Das Ertragspotenzial ist somit<br />

oft höher als bei einem Direktinvestment. Der wichtigste Bestandteil<br />

für ein Bonus-Zertifikat ist die Dividende. Denn diese wird zur<br />

Finanzierung der Bonuszahlung eingesetzt. Der Investor profitiert bei<br />

Bonus-Zertifikaten von steigenden Kursen eines zugrunde liegenden<br />

Basiswerts, erhält eine hohe Bonuszahlung und ist vor fallenden Kursen<br />

bis zur Sicherheitsschwelle geschützt. Sollte es jedoch zu einem unerwarteten<br />

Kursrutsch kommen, entfällt die Bonuszahlung und der Kurs<br />

des Basiswerts wird am Laufzeitende gutgeschrieben. Auch in diesem<br />

Fall ist man bei der Kursentwicklung nicht schlechter gestellt als der<br />

Aktionär.<br />

Es gibt auch noch eine Vielzahl weiterer »Teilschutz«-Produkte, welche<br />

Schutz vor moderaten Kursrückgängen bieten und gleichzeitig Renditen<br />

deutlich über dem Sparbuch ermöglichen. Ein genauer Blick darauf<br />

lohnt sich, besonders im aktuellen Zinsumfeld. Unabhängig von der<br />

Wahl des Anlageproduktes gilt es auch auf die angesprochene Portfolio-<br />

Diversifikation zu achten und verschiedene Anlageklassen auszuwählen.<br />

Aktien sind nur ein Parameter in einer klar strukturierten Portfolio-<br />

Auf teilung. Ein weiterer wichtiger Bestandteil sind Anleihen. Aber<br />

auch die vermeintlich sichere Anleihe birgt einige Risiken, welche<br />

es zu beachten gibt. Das Bonitätsrisiko, also das Risiko, dass sich<br />

die Kreditsituation des Unternehmens, welches die Anleihe begibt,<br />

bis hin zur Zahlungsunfähigkeit verschlechtert, steht hier im<br />

Vordergrund. Da aber mit vermeintlich sicheren Anleihen wie etwa<br />

Deutschen Bundesanleihen kaum Ertrag erzielt werden kann – einjährige<br />

Veranlagungen kosten hier sogar Geld –, muss für mehr Ertrag auch<br />

bei Anleihen der Schritt zu mehr Risiko gegangen werden. Dies geschieht<br />

zum Beispiel beim Kauf von Unternehmensanleihen, welche je nach<br />

Bonität und Laufzeit deutlich höhere Renditen versprechen. Um allerdings<br />

hier nicht auf das falsche Pferd zu setzen, empfiehlt sich neben<br />

der Unternehmensanalyse vor allem auch die Auswahl mehrerer Branchen<br />

und verschiedener Unternehmen. Denn auch hier ist die Streuung<br />

zur Risikominimierung besonders wichtig. Bei der Einschätzung der<br />

Unternehmenskennzahlen wiederum kann der Bankberater unterstützen.<br />

Neben der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ist auch die Laufzeit ein<br />

wichtiger Bestandteil des persönlichen Portfolios. Hier gilt es zwischen<br />

<strong>25</strong>3


ascher Verfügbarkeit und höherem Ertrag abzuwägen. Denn je länger<br />

die Bindung, umso besser die Konditionen. Aber es erhöht sich auch das<br />

Kursrisiko während der Laufzeit.<br />

Im Bereich Immobilien gibt es ebenfalls zahlreiche Investitionsmöglichkeiten.<br />

Neben einem direkten Immobilienerwerb oder Beteiligungen<br />

bietet sich auch ein Immobilienfonds an, welcher breit gestreut<br />

in Immobilien investiert. Der Erste Immobilienfonds erzielt seit Jahren<br />

konstante Erträge. Er erfreut sich auch wegen der konservativen<br />

Anlagestrategie und dem Fokus auf Wohnimmobilien konstanter Zuflüsse.<br />

Gold steht im Moment bei vielen Anlegern hoch im Kurs und gilt als<br />

wichtiger Portfolio-Baustein. Von vielen verunsicherten Anlegern wird<br />

das Edelmetall in den Portfolios seit ein paar Jahren auch übergewichtet.<br />

Andere wiederum meiden Gold zur Gänze. Insgesamt wird das Edelmetall<br />

sehr kontrovers gesehen. Fest steht allerdings, dass es in einem diversifizierten<br />

Portfolio nicht fehlen sollte. Gerade weil Gold bereits elf Jahre<br />

hindurch positive Renditen geliefert hat, gilt es auch auf die Risiken<br />

zu achten. Gold notiert zum einen in US-Dollar. Daraus ergibt sich für<br />

den Anleger ein Währungsrisiko. Auch Kurskorrekturen von mehr als<br />

100 USD sind immer wieder zu beobachten.<br />

Wie bei allen Portfolio-Bausteinen gilt: Die Dosis macht es und eine<br />

breite Streuung der Anlageklassen hilft das Risiko zu minimieren und<br />

gleichzeitig die Ertragschancen zu optimieren. Alles auf eine Karte zu<br />

setzen bei der Geldanlage ist nie der richtige Weg. Wenn sich Märkte<br />

und Zinsen ändern, profitieren im Normalfall einige Assetklassen,<br />

andere verlieren. Daher ist es gerade in einer Zeit, in der sich die meisten<br />

Experten einig sind, dass die Zinsen noch ein paar Jahre sehr niedrig<br />

sein werden, so wichtig, sich um eine passende Aufteilung seines<br />

Vermögens zu kümmern.<br />

Thomas Schaufler leitet in der Erste Group den<br />

Wertpapierverkauf für Privatkunden und <strong>Sparkasse</strong>n.<br />

Daneben ist die Abteilung auch für die Zusammenstellung<br />

neuer Wertpapierprodukte (Anleihen, Fonds, Strukturierte<br />

Produkte) zuständig. Gleichzeitig vertritt Thomas<br />

Schaufler die Erste Group im ZFA (Zertifikate Forum<br />

Austria). Das Forum setzt sich für den kundenorientierten<br />

Einsatz von Zertifikaten ein.<br />

<strong>25</strong>4

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