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POLITIK & GESELLSCHAFT/HAUPTSTADT-STORIES<br />
Die Friedhofsspekulanten<br />
Der Bellu-Friedhof in Bukarest ist ein Ort, wo prominente Künstler,<br />
Stadtväter und Politiker begraben sind. Offiziell ist er längst ausgebucht,<br />
doch ein freier Platz findet sich immer noch. Gegen Geld natürlich.<br />
A<br />
uf dem Bellu-Friedhof kann<br />
man schon mal den Überblick<br />
verlieren, er ist fast 40 Mal so<br />
groß wie ein Fußballfeld. Wegweiser<br />
gibt es nicht. Die Rentnerin Maria Popescu<br />
findet sich in diesem Labyrinth<br />
auch so zurecht. Sie besitzt ein Doppelgrab<br />
auf dem Friedhof, das sie verkaufen<br />
will, um ihre Rente - umgerechnet<br />
67 Euro bekommt sie monatlich – ein<br />
„wenig aufzubessern“. Weil das jedoch<br />
illegal ist, will sie ihren richtigen Namen<br />
nicht nennen. Popescu dürfte das Grab<br />
nur weitervererben oder jemandem<br />
schenken. Doch wer verschenkt heutzutage<br />
noch etwas, dass sich in bare Münze<br />
verwandeln lässt? Und so ist der Bellu-Friedhof<br />
längst zu einem Immobilienmarkt<br />
geworden, auf dem spekuliert<br />
und gewuchert wird. Wer zentral und in<br />
der Nähe eines prominenten Toten platziert<br />
werden will, muss laut rumänischen<br />
Medien bis zu 30.000 Euro für die letzte<br />
Ruhestätte blechen. Eine außergewöhnliche<br />
Skulptur dazu – schon ist man bei<br />
80.000 Euro. Für das Geld könnte man<br />
© C`t`lin Alexa<br />
sich auch eine Ein-Raum-Wohnung in<br />
der Bukarester Innenstadt kaufen. Maria<br />
Popescu ist nun schon eine Viertelstunde<br />
vom Haupttor aus gelaufen.<br />
Endlich. Sie bleibt stehen, an einem abseits<br />
gelegenen Grab. Prominenz fehlt<br />
weit und breit. Nicht gerade die beste<br />
Lage, doch hat Popescu „einen Sonderpreis“.<br />
11.000 Euro soll die Grabstätte<br />
kosten, „die schließlich eine Wohnung<br />
für die Ewigkeit ist“.<br />
Seit rund 150 Jahren lassen sich<br />
Künstler, Politiker und die Oberschicht<br />
von Bukarest auf dem Bellu-Friedhof<br />
beerdigen – in prachtvollen Mausoleen<br />
oder Familiengräbern mit einzigartigen<br />
Skulpturen. Der Nationaldichter Mihai<br />
Eminescu ist auf dem Bellu begraben,<br />
ebenso der Dramatiker Ion Luca Caragiale<br />
oder die Wissenschaftlerin Ana<br />
Aslan, die zu Lebzeiten selbst dem früheren<br />
Bundeskanzler Konrad Adenauer<br />
Tipps gegen das Altern gegeben haben<br />
soll. Bis zur Zwischenkriegszeit war der<br />
Bellu „ein beliebter Promenadenort“,<br />
sagt die Bukarester Architektin Ioana<br />
Petrescu, „weil man sich auf den breit<br />
angelegten Alleen wie in einem Park fühlen<br />
konnte“. Petrescu hat in den vergangenen<br />
Jahren prominente Grabsteine<br />
analysiert und 180 Kulturdenkmale ausfindig<br />
gemacht. Mit diesem Kulturschatz<br />
ist der Bellu ähnlich bedeutend<br />
wie Pariser Friedhof Père Lachaise, auf<br />
den jährlich Hunderttausende Touristen<br />
pilgern, um die Gräber des verstorbenen<br />
irischen Schriftstellers Oscar Wilde<br />
oder des US-Sängers Jim Morisson<br />
zu besuchen. „An eine touristische Vermarktung<br />
wird in Bukarest hingegen<br />
noch keineswegs gedacht“, sagt Petrescu.<br />
Stattdessen geht es auf dem Bellu<br />
vorerst nur darum, Platz zu sparen. Auf<br />
den Alleen entstehen neue Grabesreihen,<br />
Doppelgräber werden nicht mehr<br />
in die Breite, sondern in die Tiefe gebaut<br />
- eine Art Doppelstockbetten also.<br />
Auch darf nach rumänisch-orthodoxem<br />
Brauch das Grab nach sieben Jahren geöffnet,<br />
um die verbliebenen Knochen<br />
auf kleinerer Oberfläche neu zu vergraben<br />
und um Platz zu schaffen – für einen<br />
neuen Toten.<br />
Die 75-jährige Rentnerin Maria Popescu<br />
hat ihren Grabplatz schon. Der<br />
liegt nahe eines Klosters, in dem sie früher<br />
Nonne war. Die Ruhestätte auf dem<br />
Promifriedhof Bellu kann sie also an den<br />
Meistbietenden verkaufen. Das Grab ist<br />
zweietagig und unten bereits belegt –<br />
mit einer Frau, die Popescu zu Lebzeiten<br />
betreut hat. Ein Käufer hat sich<br />
noch nicht gefunden. Vielleicht, weil<br />
Popescu hier eine Art Grabes-WG anzubieten<br />
hat. Nun, die kann man auflösen,<br />
meint sie geschäftstüchtig: „Was<br />
soll nach 20 Jahren von der Alten noch<br />
übrig sein außer Knochen? Ich stecke sie<br />
in ein Säckchen und nehm sie mit zu<br />
mir ins Kloster.“<br />
Annett Müller<br />
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