Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer. Die ... - Historicum.net

W. Schulze, Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer 57
wähnten starken regionalen Differenzierung der Entschädigungen
muß auch bedacht werden, daß die Entschädigungssummen ja nicht
in bar, sondern in Rentenpapieren zu 3% ausgezahlt wurden, dazu
noch in fünf Tranchen. Da diese 3%igen Papiere nach ihrer Emission
aber noch lange unter ihrem Ausgabekurs gehandelt wurden,
hätten die Empfänger sie nur mit erheblichen Verlusten zu Kapital
machen können. Ein schneller Landrückkauf in großem Stil konnte
deshalb nicht beobachtet werden.
In der Forschung gilt es immer noch als umstritten, ob es nach
der Entschädigung der Emigranten tatsächlich zu einer gewissen
Angleichung der Interessen adeliger und bürgerlicher Grundbesitzer
kam." 5 ) So sehr auch gemeinsame Interessen etwa in der Vermarktung
agrarischer Produkte bestanden, so blieben doch die Differenzen
bestehen, die die Herkunft des Bodeneigentums betrafen.
Unabhängig davon kann jedoch nicht bezweifelt werden, daß die
Entschädigungsaktion den Immobilienmarkt erheblich beruhigte;
die latente Unsicherheit war ihm genommen, es gab kein Land „erster"
und „zweiter Klasse" mehr, ja, man wird sagen können, daß
die wahren Gewinner des lndemnitätsgesetzes die Masse der
„neuen Besitzer" war, die sich einer beachtlichen Wertsteigerung ihrer
Güter bewußt wurden. Insofern mag das „Entschädigungsgesetz"
tatsächlich eine gewisse Rolle in der Versöhnung der „deux
Frances" gespielt haben' ' 6), wobei der symbolische Wert des Gesetzes
gewiß höher zu veranschlagen ist als der tatsächlich meßbare sozial-
oder wirtschaftspolitische Effekt. Es muß jedoch festgehalten
werden, daß sich Departements mit hohem Nationalgüteranteil in
der Wahlsoziologie des 19. Jahrhunderts weiterhin als „liberale"
Departements erwiesen.
Paul Leuillot hat die Meinung vertreten, daß die Restauration
u. a. durch die Entschädigungsregelung, aber auch durch das Majoratsrecht
von 1826 auf dem Gebiet der Eigentumsordnung partiell
in Frankreich 1630-1830, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Klassen in der
europäischen Sozialgeschichte. Göttingen 1979, 84. Vgl. auch Haupt, Sozialgeschichte
Frankreichs (wie Anm. 3), 134, zur steckengebliebenen Verbürgerlichung
des Adels.
" 5 1 Vgl. dazu vor allem Haupt, Nationalismus (wie Anm. 55), bes. 88 ff., und
jetzt David I liggs, Nobles in Nineteenth-Century France. The Practice of
Inegalitarianism. Baltimore/London 1987, 102 ff.
"') So argumentiert Gain, Restauration (wie Anm. 36), Vol. 2, 442, im Einklang
mit Lamartine, der von einer „Versöhnung der Klassen und der Herzen"
gesprochen hat.