Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer. Die ... - Historicum.net

Weitere Magazine

Empfehlungen

Info

60 Historische Zeitschrift Band 257 (1993) ginnt das Volk, indem es recht hat, und es beendet sie, indem es unrecht hat') Damit wurden gewiß auch die Schattenseiten der Revolution erkannt und eingeräumt, doch zugleich beharrte man auf dem „guten" Beginn der Revolution, weil dieser erst jenen Prozeß ermöglicht habe, der zum heutigen Stand der liberalen Demokratie hinführe. Auch dieses Argument war im Kern nicht zu widerlegen, die Hinnahme der Charte lag in ihm begründet. Es bildet deshalb auch die Grundlage für jene national-konsensuale Grundauffassung Frankreichs über die Revolution, die vor allem seit dem Beginn der Dritten Republik eine parteiübergreifende Revolutionsbejahung ermöglichte. Ohne die Vorarbeit der Auseinandersetzung mit der Revolution in der Restauration wäre dies freilich kaum möglich gewesen. Die Funktion der Geschichtsschreibung des französischen frühen 19. Jahrhunderts ist in den letzten Jahren erneut intensiv diskutiert worden, insbesondere in ihrer identitätsbildenden Funktion in einer Zeit politisch-sozialer Unruhen. Der amerikanische Historiker Lionel Gossmann hat dabei die besondere Rolle der Geschichtsschreibung in dem Prozeß des langsamen Vergessens der revolutionären Greuel betont. Ihre Funktion sei es gewesen, die traumatischen Erinnerungen an die Revolution festzuhalten und sie in einer höheren Form von Kontinuität, genannt Fortschritt, zu rationalisieren.'n) Die hier untersuchte Debatte um die Gewährung von Entschädigungen an die Emigranten und das damit verbundene schonungslose Aufrechnen der revolutionären Verfehlungen läßt sich in einen vergleichbaren sozialpsychologischen Mechanismus einordnen. Die Revolutionsopfer wurden symbolisch entschädigt, die historischen Sieger mußten einen symbolischen Preis bezahlen, beide verständigten sich damit jedoch über den enormen Schritt von der spätabsolutistischen zur konstitutionellen Monarchie, den Frankreich getan hatte, und fanden sich mit ihm ab. I ") De Maisire (Etude sur la souverainite, II), hier zit. n. Dominique Bagge, Les idees politiques en France sous la Restauration. Paris 1952_ 266. '") Lionel Gossman. History as Dicipherment: Romantic Historiography and the Discovery of the Other, in: New Literary Hist. 16, 1986-87, 23-57, hier 25. Dazu jetzt auch Susan Dunn. Michelet and Lamartine: Regicide, Passion and Compassion, in: H & T 28, 1989, 275-295, hier 294f., mit dem Hinweis auf Chateaubriands Empfehlung, die Erinnerung zu bewahren, um vergessen zu können.
W. Schulze, Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer 61 Natürlich bedeutete die Revolution von 1830 eine deutliche Abkehr von einer Politik der Entschädigung für die Emigranten und als Ersatz dafür späte Belohnungen für die Helden von 1789. Die Debatten der Jahre 1831/33, die sich mit der Bewilligung einer Pension für die sog. "vainqueurs de la Bastille" beschäftigten, wurden erneut zur Generaldebatte über den Platz der Revolution in der französischen Geschichte, der jetzt schon gesichert erschien. Als der Innenminister Comte d'Argout dem Herzog von La Rochefoucauld vorwarf, durch seine heftige Ablehnung dieser Pension dem Bastillesturm und der Revolution gleichsam den Prozeß gemacht zu haben, gab er sich jedoch überzeugt davon, daß weder der Sturm auf die Bastille noch die Revolution als Ganzes, der Rechtfertigung durch ihn, den Minister, bedürften, sie verteidigten sich hinreichend selbst.'") in der Pairskammer hatte man darauf hingewiesen, daß mit dem Sturm auf die Bastille das Zeitalter der repräsentativen Regierungen begonnen habe, dem man die eigene Existenz verdanke und das Recht, hier sprechen zu dürfen.') Damit war das Fundament für eine unbezweifelbare Bedeutung der Revolution für das politische Leben Frankreichs gelegt, die sich über den Tageskampf hinaus erheben und von allen Schichten akzeptiert werden konnte. Die beginnende Verschmelzung von Revolution und Nation hatte ihre erste Wirkung erzielt. Zusammenfassung Der Beitrag fragt nach dem Zusammenhang zwischen der Erinnerung an die Französische Revolution und der Opferentschädigung in der Restaurationsepoche. Gegenstand der Untersuchung im eigentlichen Sinn ist die Analyse der öffentlichen und parlamentarischen Diskussion um die Entschädigung der Emigranten im Rahmen der sog. loi d'indemnite von 1824/25. Diese symbolische Entschädigung der Emigranten provozierte eine heftige Auseinandersetzung um die Bewertung der Revolution, förderte jedoch letztlich den Prozeß einer „Nationalisierung" der Revolution, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts noch verstärken sollte. 124) Vgl. AP 79, 121 (Comte D'Argout). AP 81, 227 (Comte de Pontecoulant). – Zum Kontext der für die Revolutionsdeutung ähnlich aufschlußreichen Debatte um eine Pension für die „vainqueurs de la Bastille" vgl. Winfried Schulze, Der 14. Juli 1789. Biographie eines Tages. 2. Aufl. Stuttgart 1989, 201 ff.
Seite 1 und 2: Revolutionserinnerung und Revolutio
Seite 3 und 4: W Schulze, Revolutionserinnerung un
Seite 5 und 6: W. Schulze, Revolutionserinnerung u
Seite 31: W Schulze, Revolutionserinnerung un

Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer. Die ... - Historicum.net

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

Template löschen?

Als Template speichern?