Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer. Die ... - Historicum.net

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36 Historische Zeitschrift Band 257 (1993) so liberalen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen.") So verwundert es nicht, wenn 1825 das ehemalige Konventsmitglied Barere die Bücher von Thiers und Mignet begrüßte und zugleich die Defizite im gegenwärtigen Verfassungsleben Frankreichs beklagte.') Im liberalen „Globe" rezensierte man 1825 eine vergleichende Übersicht über die Cahiers de dolances von 1789 mit dem deutlichen Hinweis, daß die Publikation doppelt wertvoll sei; einmal für den Stand der Meinungen im Jahre 1789, zum anderen aber auch als „Kriterium des Regimes von 1825". Man könne daran sehen, wie wenig gesetzliche Garantien man nach 36 Jahren tatsächlich erhalten habe.") Als 1824 der Ex-Conventionel und Vielschreiber J. Ch. Bailleul seine Abhandlungen über die „Doctrines i-ligieuses et politiques, seules propres ä terminer ou ä prvenir les it-volutions ou Resultats n&essaires de la Revolution fran9aise" (Paris 1824) publizierte, würdigte der „Mercure du XIXe si&le" daran vor allem die unverzichtbaren „Fundamentalregeln der Gesellschaft", die jede Regierung zu befolgen habe. 26) Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß damit jene Gedanken gemeint waren, die Bailleul der Revolution zuschrieb. Das späte Ancien Regime, ja das ganze aufgeklärte 18. Jahrhundert, wurde zu einer beliebten Vergleichsepoche: Um so mehr wunderte sich ein liberaler Kritiker über die „Blindheit" jenes Teils des Adels, der in Kenntnis dieser Zustände alles tue, um Frankreich wieder in einen ähnlichen Zustand zurückzuversetzen.") Besonders nach der politischen Wende von 1824, dem Ausscheiden Chateaubriands aus der Regierung und seiner Hinwendung zur liberalen Publizistik wurde das späte 18. Jahrhundert immer stärker zum Reservoir politischer Normvorstellungen. Nicht zuletzt das enorme Inter- 23) Vgl. dazu Mellon, Political Uses (wie Anm. 4), Kap. 2. ") Roger Massio, Bertrand Barre justifie la Revolution francaise en 1825, in: AHRF 35, 1963, 506-08. Vgl. auch Leo Gershoy, Bertrand Barere de Vieuzac, un mCdiateur de la Revolution, in: AHRF 33, 1961, 1-18, und ders., Bertrand Barere. A Reluctant Terrorist. Princeton, N. J. 1962. 25) Le Globe, Nr. 147 v. 30. August 1825, 764. Die Rezension galt: F. Grille, Introduction aux trimoires de la Revolution Franoise ou Tableaux comparatifs des mandats et des pouvoirs donn&s aux clputs aux tats-gi-iraux. 2 Vols. Paris 1825. – Zu „Le Globe", dem „Flaggschiff für eine Generation", vgl. Alan B. Spitzer, The French Generation of 1820. Princeton 1987, 97ff. ") Paris 1824. Die positive Rezension im „Mercure du XIX.s." v. 8. Mai 1824, 216ff. 27 ) Vgl. Le Mercure du XIX. si&le, 95. Livr. v. 29. Januar 1825, 155ff. (hier zit. n. Rachman, Mercure [wie Anm. 14], 137).
W. Schulze, Revolutionserinnerung und Revolutionsopfer 37 esse an Voltaire, aber auch an den anderen großen Autoren der Aufklärung, das sich in einer Flut neuer Gesamtausgaben zeigte, belegt diesen Vorgang.") Die Leistungen und Funktionen der Geschichtsschreibung eines Thiers, eines Mignet, eines Guizot sind vielfach beschrieben worden. Tatsächlich beeindruckt auch heute noch das Konzept dieser Historiker"), die naturnotwendig-vernünftige Entstehung dieser Revolution als den Höhepunkt eines langen Kampfes zwischen Adel und Bürgertum, die Europa vielleicht mehrere Jahrhunderte vorangebracht habe (so Thiers)"), zu verteidigen und daraus zugleich die liberalen Lehren für ihre eigene Epoche zu ziehen. Diese „&ole fataliste", von der zuerst Chateaubriand 1831 gesprochen hat 31 ), ist in der Historiographiegeschichte Frankreichs wie in der Geschichte der Erforschung der Französischen Revolution hinreichend gewürdigt worden») Ihre Leistung besteht darin – so hat es B. IZizov am Beispiel Thiers formuliert –, daß die Frage „Wer hat Schuld?" durch die Frage „Welches sind die Gründe der Revolution?" ersetzt wurde») In diesem Zusammenhang muß die Frage der Emigrantenentschädigung besonders interessieren, denn eine Entscheidung darüber war nur durch eine erneute Debatte über die Rechtmäßigkeit von Revolution oder Emigration zu erreichen. ") Vgl. dazu Ruth Jakoby, Das Feuilleton des Journal des Debats von 1814 bis 1830. Ein Beitrag zur Literaturdiskussion der Restauration. Tübingen 1988, 204f., Mellon, Political Uses (wie Anm. 4), 74ff., und allgemein John Lough. The Philosophes and Post-Revolutionary France. London/New York 1982. 29)So formuliert Ernst Schulin, Die Französische Revolution. München 1988, 27. Vgl. auch Mellon, Political Uses (wie Anm. 4). 18. 30)Zit. n. Peter Stadler, Politik und Geschichtsschreibung in der Französischen Restauration 1814-1830, in: HZ 180, 1955, 265-296, hier 292. 37 ) Chateaubriand, Etudes historiques. Paris 1831, hier zit. n. Shirley Ch. Gruner, Political Historiography in Restoration France, in: H & T 8, 1969, 346- 365, hier 363. 32)Vgl. die beiden zeitgleich erschienenen Untersuchungen von Stadler und Mellon: Peter Stadler, Geschichtsschreibung und historisches Denken in Frankreich 1789-1871. Zürich 1958, 118 ff., und ders., Politik (wie Anm. 30), und Mellon, Political Uses (wie Anm. 4), bes. 5 ff., sowie die älteren Arbeiten von B. L'historiographie romantique francaise, 1815-1830. Moskau o. J., über Mignet und Thiers bes. 353 ff., und Dietrich Gerhard, Guizot, Augustin Thierry und die Rolle des Tiers-Etat in der französischen Geschichte, in: HZ 190, 1960, 290-310. Vgl. auch G. De Marziu. a., La storiografia della restaurazione francese. Rom 1982. 33) L'historiographie romantique francaise (wie Anm. 32), 397.
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