Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de
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„Nimm nur wenig“ meinte er, steckte einen Teil <strong>de</strong>s eigenen Brots in eine Tasche. „Es ist besser, zu sparen.<br />
Außer<strong>de</strong>m gibt es nur in unserer Zelle Wasser, darum warte lieber. Sonst wird dich <strong>de</strong>r Durst in <strong>de</strong>n Wahnsinn<br />
treiben, und es wird noch eine Zeit dauern, bis wir wie<strong>de</strong>r gehen können.“<br />
„Wie lange lassen sie uns <strong>de</strong>nn hier arbeiten?“ fragte Talamà entsetzt.<br />
„Das ist unterschiedlich“ sagte Elan<strong>de</strong>r. „Kommt darauf an, wie groß <strong>de</strong>r Tunnel ist, <strong>de</strong>n wir bearbeiten sollen. Wenn<br />
wir fertig sind, dann wer<strong>de</strong>n wir entwe<strong>de</strong>r woan<strong>de</strong>rs eingesetzt, o<strong>de</strong>r wir dürfen aufhören.“<br />
Schweigend verrichteten sie ihre Arbeit, stan<strong>de</strong>n nebeneinan<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m dunklen Gang und klopften das lockere<br />
Erdreich fest. Auch die restlichen Manur waren wie<strong>de</strong>r ans Werk gegangen, und einige hatten vor Erschöpfung zu<br />
weinen begonnen. Mitleid regte sich in Talamà, als ein Mädchen an ihr vorüberlief, das eine Schaufel auf <strong>de</strong>r Schulter<br />
trug, die größer als die junge Manur selbst war. Die Kleine maß höchstens zehn Jahre, wenn nicht weniger, und ihre<br />
aufgeschürften Arme und Beine ließen die Jurakai zusammenzucken. Sanft berührte sie das Mädchen an <strong>de</strong>r Schulter,<br />
und erschrocken fuhr die Manur herum, betrachtete Talamà furchtsam. Niemand sonst schien sich um das Mädchen<br />
zu kümmern, und nach einem kurzen Blick zum Ork, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> in ein Gespräch mit seinen Kamera<strong>de</strong>n versunken<br />
war, holte Talamà die Brotkrumen hervor und drückte sie <strong>de</strong>m Mädchen in die Hand. Die Kleine starrte sie an, dann<br />
murmelte sie etwas und lief davon, stopfte sich das Brot während <strong>de</strong>s Laufens in <strong>de</strong>n Mund.<br />
Elan<strong>de</strong>r stöhnte kummervoll und blickte <strong>de</strong>r rennen<strong>de</strong>n Gestalt nach.<br />
„Glaubst du, daß die Nahrung für uns alle hier reichen wird?“ fragte er aufgebracht, doch Talamà beschwichtigte ihn.<br />
„Ich mußte es tun“ gab sie zurück, und ein Ausdruck <strong>de</strong>r Leere spiegelte sich in ihren Augen. „Ich konnte nicht<br />
an<strong>de</strong>rs. Und es tut mir nicht leid“ betonte sie. „Die Kleine braucht das Brot nötiger als ich. Es war nur gerecht, daß ich<br />
es ihr überließ.“<br />
Der Zwerg seufzte. „Das ist <strong>de</strong>ine Sache. Aber du wirst herausfin<strong>de</strong>n, daß es so etwas wie Gerechtigkeit hier unten<br />
nicht gibt. Es heißt Leben o<strong>de</strong>r Sterben, und die meisten hängen irgendwo in <strong>de</strong>r Mitte davon.“<br />
„Darum geht es nicht“ erwi<strong>de</strong>rte Talamà.<br />
Der Dverjae schüttelte <strong>de</strong>n Kopf und arbeitete weiter. „Du hast noch viel zu lernen.“<br />
„Möglicherweise“ gab die Jurakai zu und hackte sinnlos auf einen großen Stein ein.<br />
„Wo hast du eigentlich genau gewohnt?“ fragte <strong>de</strong>r Zwerg unvermittelt und beobachtete die junge Frau, wie sie auf<br />
<strong>de</strong>n Fels hämmerte.<br />
„In Eldraja’aro, falls dir <strong>de</strong>r Name etwas sagt.“ Bei <strong>de</strong>m Wort nickte Elan<strong>de</strong>r aufmerksam, und Talamà fuhr fort. „Der<br />
erste Angriff erfolgte jedoch im Sommerlager <strong>de</strong>r Jurakai, und ich <strong>de</strong>nke, daß ich die Einzige war, die <strong>de</strong>n Orks<br />
entkam. Mit ein paar an<strong>de</strong>ren, die mich fan<strong>de</strong>n, brach ich dann auf, um <strong>de</strong>m Hochkönig die Nachricht <strong>de</strong>r Attacken<br />
zuzutragen und ihn um Hilfe zu bitten. Aber jetzt sieht alles nicht mehr ganz so rosig aus; was haben diese Orks nur<br />
vor?“<br />
„Ich habe keine Ahnung, was <strong>de</strong>r Zweck dieser ganzen Tunnelgraberei ist. Noch weiß ich, warum die Siedlungen und<br />
Dörfer angegriffen wer<strong>de</strong>n, aber ich weiß, daß die Orks nicht die Urheber <strong>de</strong>s Aufruhrs sind. Diese Weißen dort<br />
drüben“ er <strong>de</strong>utete auf <strong>de</strong>n Hochgewachsenen, <strong>de</strong>r am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ganges an <strong>de</strong>r Wand lehnte, „sind noch viel<br />
grausamer und übler als die Schwarzorks. Wenn sie jeman<strong>de</strong>n schlagen, dann ist es meist endgültig. Selbst diese<br />
grunzen<strong>de</strong>n Mistkerle haben Angst vor <strong>de</strong>n Weißen. Und ich glaube, daß auch die Glühwürmchen, wie ich sie nenne,<br />
nur Lakaien sind. Sie behan<strong>de</strong>ln die Drachen mit großer Ehrfurcht, und wie es aussieht, sind die fetten Würmer noch<br />
eine Stufe höher gestellt. Was über ihnen kommt, ist mir allerdings unklar. Bloß kann ich mir nicht vorstellen, daß die<br />
Drachen diese Angriffe aushecken, beim besten Willen nicht.“<br />
„Die Weißen - Glühwürmchen, wenn du so willst - was genau tun sie?“<br />
„Sie beobachten meist. Manchmal kommen sie nachts in die Gefängnisse, ziehen ein paar von uns heraus und<br />
verschwin<strong>de</strong>n mit ihnen. Wir sehen die Betroffenen niemals wie<strong>de</strong>r. Ansonsten verhalten sie sich eher ruhig. Wir<br />
haben mehr mit <strong>de</strong>n Orks zu tun.“<br />
Da Talamà keine weiteren Fragen mehr stellte, schwieg auch Elan<strong>de</strong>r, und eine lange Zeit hackten sie nur auf ein<br />
wenig Er<strong>de</strong> ein o<strong>de</strong>r drückten die Wän<strong>de</strong> fest. Die Gedanken <strong>de</strong>r jungen Frau hingen in <strong>de</strong>n darauffolgen<strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>n<br />
hauptsächlich bei Indigo und Nachtfalke und bei ihrem Volk, das sie auf so tragische Art und Weise verloren hatte.<br />
Nach einer Zeit, die wie eine Ewigkeit erschien, durften sie endlich ihre Werkzeuge abgeben und wur<strong>de</strong>n durch die<br />
Tunnel zurück zu ihrem Gefängnis getrieben. Talamà hielt Ausschau nach <strong>de</strong>m kleinen Mädchen, <strong>de</strong>m sie das Brot<br />
geschenkt hatte, konnte es jedoch nicht sehen in <strong>de</strong>r Menge von Manur. Bald stan<strong>de</strong>n sie wie<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>r Tür, und <strong>de</strong>r<br />
Ork schubste sie hinein, schlug sie, wenn sie nicht schnell genug durch die Öffnung sprangen. Dann krachte das Tor<br />
zu, und Dunkelheit umfing die Gruppe. Die Manur liefen durch die Höhle, suchten sich ihren Schlafplatz und<br />
kauerten sich dort nie<strong>de</strong>r, und auch Talamà und <strong>de</strong>r Zwerg begaben sich zu ihren kleinen Nestern. Sie machten es sich<br />
so bequem wie möglich auf <strong>de</strong>m harten Untergrund, und Talamà kuschelte sich in eine Nische an <strong>de</strong>r Wand.<br />
„Wann gibt es <strong>de</strong>nn etwas zu essen und zu trinken?“ fragte sie Elan<strong>de</strong>r, doch <strong>de</strong>r hob nur fragend die Achseln.<br />
„Unterschiedlich. Wenn sie gera<strong>de</strong> Lust haben, bringen sie etwas. Manchmal vergessen sie uns auch, ob absichtlich<br />
o<strong>de</strong>r nicht, und dann gibt es gar nichts.“<br />
Doch nach einiger Zeit öffnete sich die Tür erneut, und zwei Orks kamen herein, verteilten Wasserschälchen und Brot<br />
unter <strong>de</strong>n Anwesen<strong>de</strong>n. Nur wer sich noch regte empfing eine Gabe, die Toten und Sterben<strong>de</strong>n gingen leer aus.<br />
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