Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de
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„Wie... wie stellt Ihr Euch das vor, Mann?“ fragte er, und seine Stimme hob sich. „Soll ich vor meine Tore treten und<br />
rufen: „Mein Volk! Versammelt Euch, verlaßt Eure Häuser und verlaßt dieses Land, <strong>de</strong>nn ein einzelner Mann befahl<br />
es mir!“ Was glaubt Ihr, was geschehen wird, Shat’lan? Sie wer<strong>de</strong>n nicht auf mich hören! Sie leben in Ruben.“<br />
„Allerdings nicht mehr lang“ antwortete Indigo unbeeindruckt. „Und auch Ihr wer<strong>de</strong>t nicht mehr lange leben, wenn<br />
Ihr noch einmal mir gegenüber Eure Stimme erhebt.“<br />
Westfald verzog die Lippen und packte <strong>de</strong>n Geistlichen, <strong>de</strong>r an seiner Seite stand, am Arm. Seine Braue zuckte<br />
unkontrolliert, als er <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s Mannes zu sich heranzog. Tuschelnd berieten sich die bei<strong>de</strong>n, dann blickte<br />
Westfald auf. Auch <strong>de</strong>r schlangengleiche Mann erhob sich aus seiner gebückten Lage und bleckte die Zähne.<br />
„Ihr beherrscht die Kunst <strong>de</strong>r Worte, Frem<strong>de</strong>r.“ Westfald ballte die Faust. „Doch Ihr seid nicht <strong>de</strong>r einzige. Eure<br />
Macht ist nichts im Vergleich zu <strong>de</strong>r, die ich unter meinem Befehl habe.“<br />
Indigo sah ihn ernst an. „Ihr begeht einen Fehler, Hoheit.“<br />
„Priester“ wandte sich Westfald an <strong>de</strong>n kahlköpfigen Mann. „Töte ihn.“<br />
„Sehr wohl“ erklang die geraunte Antwort.<br />
Der Geistliche hob die Hän<strong>de</strong>, als er begann, die Worte heraufzubeschwören. Indigo ließ ihn gewähren. Er sagte<br />
nichts, blickte ihm einfach nur in die Augen, während <strong>de</strong>r Priester einsilbige Worte murmelte. Eine halbe Ewigkeit<br />
lang starrten sich die bei<strong>de</strong>n an, und es schien, als wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geistliche <strong>de</strong>n Blick abwen<strong>de</strong>n müssen, als hielte er <strong>de</strong>r<br />
Macht <strong>de</strong>s verhüllten Mannes nicht stand. Doch dann schwoll seine Brust ebenso an wie <strong>de</strong>r Klang seiner Worte, und<br />
ein höhnisches Grinsen trat auf seine Züge.<br />
„Ihr seid nicht halb so mächtig, wie Ihr uns Glauben machen wollt“ flüsterte <strong>de</strong>r Kahlköpfige, und seine Stimme fing<br />
an, sich zu überschlagen, als das Wort Form annahm und sich festigte. Fast füllte es <strong>de</strong>n Raum aus, war wie etwas<br />
Greifbares zu erhaschen.<br />
„Meint Ihr?“ fragte Indigo, und auch er lächelte. Der Priester kniff die Augen zusammen, und im selben Moment<br />
wur<strong>de</strong> ein Schwert mit solcher Wucht von hinten durch seinen Rücken gestoßen, daß die Klinge aus seiner Brust<br />
hervortrat. Ungläubig betrachtete <strong>de</strong>r Geistliche die blutige Schnei<strong>de</strong>, die dort aus seinem Körper herausragte, dann<br />
rutschte er an <strong>de</strong>r Klinge entlang und fiel tot zu Bo<strong>de</strong>n.<br />
Der Ritter, <strong>de</strong>r hinter ihm gestan<strong>de</strong>n hatte und nun die Mordwaffe in <strong>de</strong>r Hand hielt, bewegte zitternd die Lippen. „Ich<br />
wollte nicht... ich habe...“ stammelte er. Dann sackte er bebend zusammen, und nur noch ein leises Wimmern war zu<br />
hören.<br />
„Genug“ erklang Westfalds Stimme im schweigen<strong>de</strong>n Saal. „Es ist genug, Shat’lan. Ich habe gesehen, was ich sehen<br />
mußte. Niemand wird Euch mehr angreifen, das schwöre ich Euch. Auch Ihr, Dynes, wer<strong>de</strong>t verschont. Ich beuge<br />
mich <strong>de</strong>r Gewalt. Betrachtet Euch als Sieger, Frem<strong>de</strong>r.“ Ein erschöpfter Ausdruck lag auf <strong>de</strong>s Königs Zügen, nach<strong>de</strong>m<br />
er die Worte hervorgebracht hatte. Er wußte, wann er verloren hatte.<br />
Indigo nickte. „Ihr habt die richtige Entscheidung gefällt, Hoheit. Die einzige, die Euch und Eurem Volk das Leben<br />
retten konnte.“<br />
„Und was sollen wir nun tun?“ fragte Westfald verwirrt. Er trug eine Miene zur Schau, die herzerweichend war. Der<br />
starke, ungebändigte König fügte sich einem frem<strong>de</strong>n Willen.<br />
„Ihr wer<strong>de</strong>t die Nachricht unter Eurem Volk verkün<strong>de</strong>n, daß die Shat’lan zurückgekehrt sind, Hoheit. Anschließend<br />
wer<strong>de</strong>t Ihr ins Exil gehen. Ich lasse Euch drei volle <strong>Mond</strong>e Zeit, um alles vorzubereiten. Nach dieser Frist will ich nie<br />
wie<strong>de</strong>r einen Menschen auf Rubens Antlitz sehen.“<br />
„Wohin sollen wir gehen? Hinter <strong>de</strong>m südlichen Gebirge liegt nur endlose Wüste“ sagte <strong>de</strong>r König gebrochen. „Kein<br />
Mensch kann dort für längere Zeit überleben.“<br />
„Dann reist in <strong>de</strong>n Nor<strong>de</strong>n, Hoheit.“<br />
„Seid Ihr verrückt? Der Nor<strong>de</strong>n ist durchzogen mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Orkstämmen! Und nicht nur Orks leben dort,<br />
son<strong>de</strong>rn noch viel Schlimmeres...“<br />
Indigo winkte ab. „Ihr seid groß darin, Völker zu verdrängen und auszurotten, Hoheit. Eure gesamte Rasse ist wie<br />
geschaffen dafür. Ihr wer<strong>de</strong>t bestimmt keine Mühe damit haben, das Land für Euch zu beanspruchen.“<br />
Mit einem Kopfschütteln senkte Westfald das Haupt und ließ sich von seinem Thron sinken. „Dann erweist mir<br />
wenigstens die eine Ehre und verlaßt mich nun“ murmelte er.<br />
Indigo nickte Keldar zu, und auch Dynes, <strong>de</strong>r das gesamte Schauspiel still verfolgt hatte, zog sich mit ihnen zurück.<br />
Hinter ihnen fiel König Westfald auf die Knie und nahm die leblose Hand seines Sohnes vom Bo<strong>de</strong>n auf. Zum ersten<br />
Mal in seinem Leben hatte er eine Nie<strong>de</strong>rlage erlitten. Zum ersten Mal in seinem Leben weinte er.<br />
„Du hast es geschafft, An’chassar“ murmelte Keldar, und seine Worte hallten von <strong>de</strong>n marmornen Wän<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r.<br />
„Schatten muß nicht mehr vor Sonne weichen...“<br />
„So stellt Ihr Euch also die Lösung all Eurer Probleme vor“ sagte Dynes, während sie durch die Hallen wan<strong>de</strong>rten.<br />
„Ich verstehe Eure Sorge, Sir <strong>Arathas</strong>.“ Indigo hielt an und wartete, bis <strong>de</strong>r Ritter es ihm gleich tat. „Doch Ihr braucht<br />
keine Angst zu haben.“<br />
„Um was sollte ich noch Angst haben?“ erkundigte Dynes sich schwach. „Da Ihr sowieso schon alles an Euch gerissen<br />
habt, das Ihr bekommen konntet.“<br />
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