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Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de

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hatte. Wohin Indigo seine Blicke auch wand: Überall tauchten bekannte Gesichter vor ihm auf, in Masken <strong>de</strong>s<br />

Grauens erstarrt o<strong>de</strong>r zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Leichen hingen in <strong>de</strong>n Eingängen <strong>de</strong>r Zelte, waren auf<br />

Pfähle gespießt wor<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r lagen einfach nur auf <strong>de</strong>m blutroten Bo<strong>de</strong>n. Das Blut... diese riesige Menge von Blut<br />

konnte man förmlich riechen! Säuerlich und warm schien er zu sein, <strong>de</strong>r Geruch, ganz und gar nicht so tot, wie die<br />

Gesichter und Augen <strong>de</strong>r Leichen.<br />

Je weiter sie in die Wei<strong>de</strong> vordrangen, <strong>de</strong>sto schlimmer wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anblick, und selbst Nachtfalke konnte sich in<br />

einigen beson<strong>de</strong>rs wi<strong>de</strong>rlichen Fällen nicht mehr zurückhalten. Er übergab sich, auf die Knie gestützt, auf <strong>de</strong>n<br />

verkrusteten Bo<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r einst ein blühen<strong>de</strong>r Rasen gewesen sein mußte. Allerdings <strong>de</strong>utete nichts mehr darauf hin.<br />

„Wann ist das wohl passiert?“ fragte Indigo, während er versuchte, nur durch sein dickes Hemd zu atmen, um so <strong>de</strong>n<br />

Gestank <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s abzumil<strong>de</strong>rn.<br />

Nachtfalke hustete und spuckte angewi<strong>de</strong>rt, und auch er zog sich das Wams bis über die Nase. „Schwer zu sagen“,<br />

keuchte er. „Aber ich wür<strong>de</strong> schätzen, min<strong>de</strong>stens ein paar Stun<strong>de</strong>n. Ich habe mir ein paar <strong>de</strong>r Leichen näher<br />

angesehen - sie sind bereits steif. Bitte, re<strong>de</strong> jetzt nicht mehr, solange dieser Gestank so überwältigend ist.“<br />

Indigo nickte. Ihm fiel auf, daß überall große Löcher und Schächte ein Stück in die Er<strong>de</strong> hinein führten, dann aber<br />

von Geröll und Lehm verschlossen wur<strong>de</strong>n. Seltsam, worauf man alles achtet, dachte er im Stillen. Nichts als Tote<br />

und wie<strong>de</strong>r Tote, aber ich sehe nur die unnatürlichen Erdaufhäufungen und Furchen.<br />

Nachtfalke nahm ihn am Arm, als sie das Zelt von Indigos Eltern erreichten. Es war eingestürzt, aber da das gesamte<br />

Leinen verbrannt war, konnte man zwei Körper ausmachen, die sich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n in einer Umarmung <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s<br />

krümmten. Die Leichen waren nur mehr Skelette, ihre Haut und ihr Fleisch waren entwe<strong>de</strong>r schwarz o<strong>de</strong>r gar nicht<br />

mehr vorhan<strong>de</strong>n. Indigo blieb stehen und blickte angestrengt in an<strong>de</strong>re Richtungen, während Nachtfalke vorsichtig<br />

durch die Asche trat und sich bei <strong>de</strong>n Körpern bückte. Er griff in die Nähe eines Schä<strong>de</strong>ls und schien etwas<br />

aufzuheben. Die stummen Blicke <strong>de</strong>r leeren Augenhöhlen sahen ihn qualvoll an, und Nachtfalke überkam ein Gefühl<br />

<strong>de</strong>r Trauer. Er strich liebevoll über das tote Antlitz und murmelte etwas zum Abschied.<br />

„Jindara und Teagar...“ er entbot <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Leichen einen ehrenvollen Gruß, wobei er sein Haupt neigte und die<br />

flache Hand auf <strong>de</strong>n Bauch legte. Dann sank er auf die Knie und begann zu schluchzen. Sein Körper erbebte unter <strong>de</strong>r<br />

Trauer <strong>de</strong>r Seele. „Mein lieber Teagar, ich bitte dich um Vergebung. Ich konnte dir nicht helfen, weil ich <strong>de</strong>inen Sohn<br />

auf <strong>de</strong>m Weg hierher begleitete. Verzeih mir, daß ich zur schmerzvollsten Stun<strong>de</strong> nicht anwesend... sein konnte.“<br />

Seine Stimme wur<strong>de</strong> heiser, und er geriet ins Stocken. „Ich schwöre, daß ich... alles tun wer<strong>de</strong>, um Indigo zu<br />

beschützen, was immer auch kommen möge. Ruhe in Frie<strong>de</strong>n, mein Freund.“ Er erhob sich und straffte seine<br />

Schultern, um seinen Worten Kraft zu verleihen und <strong>de</strong>n Toten zu ehren. Dann folgte er seiner Spur zurück zu Indigo,<br />

<strong>de</strong>r am Eingang <strong>de</strong>s zerstörten Zeltes wartete und versuchte, die Tränen wegzublinzeln.<br />

„Hier“ sagte Nachtfalke und schob seinem Gefährten ein kleines Medaillon in die Hän<strong>de</strong>. „Es gehörte <strong>de</strong>inem Vater,<br />

und ich <strong>de</strong>nke, er wür<strong>de</strong> wollen, daß du es bekommst. Bitte bewahr es mit Sorgfalt auf.“<br />

Indigo blickte Nachtfalke verzweifelt an, doch <strong>de</strong>r Alte konnte ihm keinen Trost spen<strong>de</strong>n. Traurig schüttelte er <strong>de</strong>n<br />

Kopf und schloß die Augen. Dann fiel <strong>de</strong>r Junge ihm in die Arme und versuchte, allen Schmerz herauszuschreien. Er<br />

brüllte und brüllte, schrie die Ungerechtigkeit in die Welt hinaus. Er schluchzte in Nachtfalkes Wams, und als er<br />

heiser gewor<strong>de</strong>n war, zitterte er und klammerte sich fest.<br />

Nachtfalke umschloß ihn mit <strong>de</strong>n Armen und drückte ihn gegen seine Brust.<br />

Ein starker Nordwind wehte über die zerfallene Stätte <strong>de</strong>r Vernichtung, blies <strong>de</strong>n Gestank fort und ließ die weiße<br />

Asche in <strong>de</strong>n Himmel aufsteigen. Spiralförmig tänzelte sie in <strong>de</strong>r Luft, schwebte herab und wur<strong>de</strong> neuerlich vom<br />

Wind erfaßt.<br />

Indigo stand inmitten <strong>de</strong>s Ascheregens, <strong>de</strong>r um ihn herum nie<strong>de</strong>rfiel und die Wiesen in ein vorwinterliches Weiß<br />

klei<strong>de</strong>te. Die herumgewirbelten Flocken drangen ihm in Mund, Nase und Augen, und bald fiel ihm das Atmen schwer<br />

und er wur<strong>de</strong> von Hustenanfällen geschüttelt. Er ließ jedoch nicht von seiner Aufgabe ab, bei <strong>de</strong>r er sogar Nachtfalkes<br />

Hilfe abgelehnt hatte. Dies mußte er erledigen - er war es seinen Eltern schuldig. Mit einem Schwert lockerte er <strong>de</strong>n<br />

harten Bo<strong>de</strong>n auf, warf die Er<strong>de</strong> beiseite und schaufelte sie mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Loch. Immer tiefer wur<strong>de</strong> es,<br />

während die Kräfte <strong>de</strong>n Jurakai verließen. Es kam ihm vor, als wür<strong>de</strong> er Stun<strong>de</strong>n an dieser kleinen Vertiefung<br />

arbeiten, und noch immer war er nicht soweit vorgedrungen, wie er wollte. Mit verzweifelten Stößen zerfurchte er die<br />

Er<strong>de</strong>, schlug auf sie ein, als wäre sie Schuld an <strong>de</strong>r Vernichtung <strong>de</strong>r Wei<strong>de</strong>. Langsam baute sich die Wut ab, die<br />

Schwärze vor seinen Augen schwand, und <strong>de</strong>r Druck, <strong>de</strong>r auf seiner Seele lastete, drückte nicht mehr ganz so stark<br />

und unbarmherzig zu. Mit je<strong>de</strong>m weiteren Schlag auf <strong>de</strong>n schutzlosen Bo<strong>de</strong>n und gegen einen körperlosen Feind<br />

verebbte sein Zorn, und nach ein paar weiteren Schwüngen verharrte er nie<strong>de</strong>rgeschlagen.<br />

Er setzte sich zu Bo<strong>de</strong>n und holte die Steine und Erdklumpen aus <strong>de</strong>m Loch, riß sich seine Fingernägel auf, während<br />

er an <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn kratzte und die Mul<strong>de</strong> erweiterte. Seine dreckigen, kalten Hän<strong>de</strong> schmerzten mit je<strong>de</strong>m weiteren<br />

Hineinfahren und Ausheben, und wie<strong>de</strong>r füllten Tränen seinen Blick und verschleierten die Sicht auf seine Arbeit. Ein<br />

Trauerlied schlich sich auf seine Lippen, und ohne es zu bemerken, begann er, die Melodie zu summen. Irgendwann<br />

sang er leise vor sich hin, während er <strong>de</strong>n schmutzigen Bo<strong>de</strong>n zerwühlte, ein heulen<strong>de</strong>r Maulwurf, <strong>de</strong>r sich ins<br />

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