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Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de

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wür<strong>de</strong>, sollte sein erster nicht ins Ziel fin<strong>de</strong>n. Seine Muskeln spannten sich, als er seinen Bogen hob, <strong>de</strong>n angelegten<br />

Pfeil zurückzog und auf das Tier richtete, das sich noch immer nicht regte.<br />

Aufgeregt trat Talamà einen weiteren Schritt vor, und in <strong>de</strong>m Moment stieß ihr Fuß gegen ein aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n<br />

ragen<strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rnis, und mit einem lauten Aufschrei ging sie zu Bo<strong>de</strong>n. Jensai, erschreckt vom Lärm, ließ <strong>de</strong>n Pfeil<br />

unkontrolliert fliegen, und das Geschoß fuhr krachend in die Äste <strong>de</strong>r Bäume ein, wo es endgültig verharrte.<br />

Doch noch im selben Moment, in <strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Pfeil losgelassen hatte, wußte <strong>de</strong>r erfahrene Jäger, daß etwas nicht<br />

stimmte. Der Hirsch hätte bereits bei Talamàs hastiger Bewegung das Weite suchen müssen, hätte <strong>de</strong>n Schrei <strong>de</strong>r<br />

Jurakai gar nicht abwarten dürfen... und trotz<strong>de</strong>m stand er noch immer an Ort und Stelle, reglos wie eine aus <strong>de</strong>m Fels<br />

geschlagene Statue. Den Kopf gesenkt starrte das Tier gera<strong>de</strong>aus, auf einen Punkt, <strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r Jensai noch Talamà o<strong>de</strong>r<br />

einer <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Jäger einsehen konnte.<br />

Weitere Köpfe tauchten nun um die Baumgruppe aus <strong>de</strong>m Gras heraus auf, einem je<strong>de</strong>n ein ungläubiger Blick ins<br />

Gesicht geschrieben. Talamà, von ihrem Sturz erholt, war die erste, die wie<strong>de</strong>r zu Worten fand.<br />

„Wieso... wieso läuft er nicht weg?“ fragte sie stirnrunzelnd. „Er müßte doch vor Angst schier rasen...“<br />

„Das stimmt“ hauchte Jensai und nahm ihre Hand, zog sie näher zu sich heran. „Aber es kommt manchmal – sehr<br />

selten zwar, aber doch manchmal – vor, daß ein Tier nicht davonrennt, son<strong>de</strong>rn wie leblos stehenbleibt und <strong>de</strong>m Tod<br />

ins Auge sieht.“<br />

„Aber warum...“<br />

„Oft geschieht es einfach, und niemand weiß, warum es passiert ist“ flüsterte <strong>de</strong>r Jäger. „Aber... manchmal flüchten<br />

die Tiere nicht, weil... es etwas gibt, vor <strong>de</strong>m sie noch mehr Angst haben...“ Jensais Stimme wur<strong>de</strong> leiser, bis sie sich<br />

im Rauschen <strong>de</strong>r Halme verlor. Talamà blickte ihm in die Augen, und sie sah, daß er noch mehr zitterte, als die<br />

Gräser im Wind es taten.<br />

Sie holte tief Luft und betrachtete das große Tier, <strong>de</strong>ssen Kopf gesenkt war, so daß das Geweih nach vorn zeigte, wie,<br />

um sich vor etwas zu verteidigen. Talamà blickte zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Jägern, doch keiner von ihnen regte sich. Keiner von<br />

ihnen sah sie an.<br />

Nun, wenn keiner dieser harten Kerle <strong>de</strong>n Mumm dazu hatte... dann wür<strong>de</strong> sie sich ein Herz fassen müssen. Sie<br />

richtete sich auf und ging erhobenen Hauptes durch die Gräser auf <strong>de</strong>n Hirsch zu, bereit, beim kleinsten Anzeichen<br />

einer Gefahr zu flüchten. Doch die Halme blieben ruhig, wiegten sich nur im Wind, wie ein endloses goldbraunes<br />

Meer.<br />

Als sie <strong>de</strong>n Hirsch fast erreicht hatte, fiel ihr etwas son<strong>de</strong>rbares auf... über <strong>de</strong>m Gras direkt vor <strong>de</strong>m Tier schienen<br />

kleine Wölkchen zu sein, schwarze Schatten, die schwebten. Bei näherer Betrachtung erkannte Talamà, daß es we<strong>de</strong>r<br />

Wolken noch Schatten, son<strong>de</strong>rn tausen<strong>de</strong> von kleinen Fliegen waren, die sich dort in <strong>de</strong>r Luft sammelten. Sie schritt<br />

nach vorn, zollte dabei <strong>de</strong>m großen Waldbewohner, <strong>de</strong>m sie bis hierher gefolgt waren, kaum Beachtung, bis sie die<br />

erste Wolke <strong>de</strong>r Fliegen erreichte. Die kleinen Biester machten keine Anstalten, auseinan<strong>de</strong>rzustieben, so wie die<br />

Jurakai es erwartet hatte, sie machten ihr nur kurz Platz, um anschließend wie<strong>de</strong>r schwirrend aufzusteigen.<br />

Der Blick <strong>de</strong>r jungen Frau fiel auf <strong>de</strong>n Grund für die enorme Fliegenpopulation. Brechreiz keimte in ihr, doch<br />

inmitten <strong>de</strong>r Insektenwolke blieb sie stehen und drehte sich zu <strong>de</strong>n Jägern um, die sie mit furchtsamen Augen<br />

betrachteten. Doch es schien keine Gefahr auszugehen von <strong>de</strong>m Ort, an <strong>de</strong>m Talamà stand, und so wagten sie sich aus<br />

ihren Verstecken hervor, um ebenfalls zu sehen, was <strong>de</strong>n Hirsch veranlaßte, noch immer leblos vor <strong>de</strong>n Bäumen zu<br />

verharren.<br />

Talamà wandte ihnen <strong>de</strong>n Rücken zu, um wie<strong>de</strong>r auf das Etwas zu starren, das in <strong>de</strong>n Gräsern lag und Ungeziefer<br />

anzog. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie jetzt auch Blutschlieren, die sich über die Halme und die Er<strong>de</strong> zogen,<br />

doch sie waren schon alt, vertrocknet und braun. Auch das Objekt <strong>de</strong>s Anstoßes wirkte nicht sehr frisch, war dafür<br />

umso abscheulicher.<br />

Es war <strong>de</strong>r Kadaver eines Wildpfer<strong>de</strong>s, o<strong>de</strong>r besser gesagt, das, was davon noch übrig war. Es schien nicht in zwei<br />

Hälften gerissen, son<strong>de</strong>rn regelrecht zerfetzt wor<strong>de</strong>n zu sein. Verklebte Überreste <strong>de</strong>s Kopfes waren etwas weiter<br />

Abseits auszumachen, und in unmittelbarer Nähe waren Beine und Teile <strong>de</strong>s Brustkorbes zu fin<strong>de</strong>n. Das meiste<br />

Fleisch war bereits abgenagt, nur die Knochen ragten vielerorts noch aus <strong>de</strong>r harten Masse, von <strong>de</strong>r Sonne schon<br />

gebleicht und sprö<strong>de</strong>.<br />

Talamà ging weiter, am ersten Pferd vorbei, das auf bestialische Weise getötet wor<strong>de</strong>n war, und fand ein weiteres vor.<br />

Es war, wenn überhaupt möglich, noch schrecklicher zugerichtet als das vorherige, und die junge Frau sank zitternd<br />

auf die Knie und übergab sich ins Gras. Als sie endlich wie<strong>de</strong>r aufsah, fiel ihr das getrocknete Blut in die Augen, und<br />

sie sank erneut zu Bo<strong>de</strong>n. Jensai trat hinter sie und legte seine Hand auf ihren Rücken, doch sie bemerkte es gar nicht.<br />

Niemand sprach ein Wort, während sie durch das Grasland gingen. Nur die Geräusche sich erbrechen<strong>de</strong>r Jurakai<br />

hallten über die Ebene.<br />

Hinterher, als sie eine Umgebung von mehreren Wegminuten abgelaufen hatten, fan<strong>de</strong>n sie die Kadaver von<br />

insgesamt acht Wildpfer<strong>de</strong>n, alle auf die gleiche grausame Weise zerrissen und verstümmelt. Niemand wagte es, die<br />

Leichname anzurühren o<strong>de</strong>r sich ihnen auch nur zu nähern, aus Angst, daß das, was ihnen wi<strong>de</strong>rfahren war, sich<br />

übertragen könnte o<strong>de</strong>r zurückkehren.<br />

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