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Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de

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Talamà erhob sich und winkte ab. „Du hast Recht. Wir sollten uns erst dann Sorgen machen, wenn es auch Grund<br />

dazu gibt. Und jetzt wer<strong>de</strong> ich Indigo wecken müssen, weil wir ansonsten heute keinen Weg mehr zurücklegen<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Sie ging, und Nachtfalke blieb über die Karte gebeugt zurück.<br />

In <strong>de</strong>r Höhle war es kühl, viel kühler als draußen, und die Jurakai bereute es, Indigo nicht schon früher wachgerüttelt<br />

zu haben, damit er hinaus an die wärmen<strong>de</strong> Sonne konnte. Die Gestalt <strong>de</strong>s jungen Mannes war noch immer in<br />

Embryonalhaltung auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n zusammengezogen, wie sie ihn verlassen hatte. Ein leises Murmeln und ein sanfter<br />

Fahrer durch seine Haare veranlaßten ihn dazu, die Augen einen Spalt weit zu öffnen und das Mädchen<br />

wahrzunehmen.<br />

„Guten Morgen“, sagte Talamà, und Indigo bemerkte halbwach, daß die Traurigkeit <strong>de</strong>r letzten Nacht für sie<br />

anscheinend vergessen war. „Wenn du mit nach draußen kommst, könnten wir uns vielleicht ein kleines Frühstück<br />

bereiten. Obwohl wir natürlich nicht zu anspruchsvoll sein dürfen“, fügte sie hinzu.<br />

„Gern“, sagte er und streckte sich. Seine steifen Glie<strong>de</strong>r bereiteten ihm ein wenig Sorge, doch er tröstete sich mit <strong>de</strong>r<br />

Vorstellung an einen stärken<strong>de</strong>n Happen, <strong>de</strong>r ihn bald erwartete. „Aber... bleib noch kurz“, bat er, als Talamà sich<br />

wie<strong>de</strong>r zum Gehen wen<strong>de</strong>n wollte.<br />

„Ja?“ fragte sie und nahm neben ihm Platz. Die geringe Höhe <strong>de</strong>r Höhle verhin<strong>de</strong>rte ein angenehmes aufrechtes<br />

Stehen.<br />

„Es ist... wegen gestern Abend. Geht es dir besser?“<br />

Talamà dachte eine Zeit lang über die Frage nach, und anschließend versuchte sie, ihre Gedanken in Worte zu<br />

klei<strong>de</strong>n. „Ich glaube... ja. Ein bißchen. Aber um ehrlich zu sein: die Erinnerung ist noch immer so anwesend und<br />

füllend wie vorher, nur, daß ich sie verdrängt habe. Ein Teil <strong>de</strong>s Schmerzes ist auch fort, und das habe ich dir zu<br />

verdanken... ich glaube, ich habe einfach jeman<strong>de</strong>n gebraucht.“<br />

„Keine Ursache“, meinte <strong>de</strong>r Jurakai. „Falls dich etwas bedrückt, können wir gern darüber re<strong>de</strong>n.“<br />

„Im Moment schaffe ich es, meine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Wenn... wenn die Nacht hereinbricht... und<br />

die Erinnerung wie<strong>de</strong>r hochkommt; ich schätze, dann wird es schwerer, als bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher.<br />

Aber ich möchte jetzt wirklich nicht über so düstere Dinge sprechen. Laß uns hinausgehen, komm.“<br />

Die alte Dame hatte nicht zuviel versprochen, als sie von Gesellschaft sprach.<br />

Die nasse Schnauze eines Schafes riß Dynes aus <strong>de</strong>m Schlaf, und als <strong>de</strong>r Ritter die Augen öffnete, blickte er in ein<br />

Gebil<strong>de</strong>, das nur aus rosaroter Haut und Fell zu bestehen schien. Er strampelte, um sich in Sicherheit zu bringen, doch<br />

das Tier ließ erst von ihm ab, als er sich erhob und nach Paves Ausschau hielt. Angewi<strong>de</strong>rt griff er sich in <strong>de</strong>n<br />

Nacken, um sich von Heu und Stroh zu befreien, während weitere Schafe um seine Beine zappelten. Aus irgen<strong>de</strong>inem<br />

Grund konnte er mit Tieren noch weitaus weniger anfangen als mit Menschen.<br />

„Guten Morgen“ erklang Paves‘ belustigte Stimme aus einer Ecke <strong>de</strong>s Raumes. Der Junge hatte es sich auf einem<br />

Stapel von Kisten bequem gemacht und grinste breit, als er Dynes vergebliche Versuche beobachtete, sich vor <strong>de</strong>n<br />

blöken<strong>de</strong>n Wesen in Sicherheit zu bringen.<br />

Dynes fluchte und rettete sich ebenfalls auf eine Kiste. Jetzt wur<strong>de</strong> ihm klar, wie die Alte es nachts hier aushalten<br />

konnte, ohne zu heizen. All ihr Vieh hatte sie drinnen untergebracht, brachte es nur zum Grasen nach draußen. Die<br />

Unmengen an Wärme, die von <strong>de</strong>n Tieren abgestrahlt wur<strong>de</strong>, vertrieb die Kälte aus <strong>de</strong>m gesamten Haus. Außer<strong>de</strong>m<br />

stank es bestialisch. Nun, wenigstens hatten sie bei <strong>de</strong>n Schafen übernachten dürfen; durch die nächste Wand<br />

erklangen die grunzen<strong>de</strong>n Schreie von Schweinen.<br />

Sich weiterhin säubernd nickte <strong>de</strong>r Ritter seinem Begleiter zu und machte Anstalten, <strong>de</strong>m Gehege zu entfliehen.<br />

„Frau Fassbin<strong>de</strong>r war vorhin schon da und hat gesagt, sie hätte Frühstück angerichtet“ teilte Paves redselig mit und<br />

sprang vom Kistenstapel herunter. Er kraulte eines <strong>de</strong>r Schafe hinter <strong>de</strong>m Ohr, dann kletterte er über das Gatter, das<br />

im Türstock errichtet wor<strong>de</strong>n war.<br />

„Hoffentlich nichts, was mit Schaf zu tun hat“ knurrte Dynes und hievte sich über die Holzbohlen in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Raum. Er wur<strong>de</strong> das Gefühl nicht los, daß die alte Dame ohne Frage auch weitaus angenehmere Ruheplätze gehabt<br />

hätte.<br />

In <strong>de</strong>r Küche wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>r Farmerin empfangen, die ihnen ein köstliches Mahl aus Eiern und Schinken<br />

zusammengestellt hatte. Heißhungrig ließ <strong>de</strong>r Ritter sich die Speisen auf <strong>de</strong>r Zunge zergehen und dankte Himmelfeuer<br />

dafür, daß es Schwein war, das dort auf seinem Teller lag.<br />

„Es tut mir leid, daß ich Euch in meinen Ställen schlafen ließ“ sagte die Alte, während ihre Gäste aßen. „Aber diese<br />

Zimmer sind bei weitem die wärmsten von allen, und ich dachte mir, daß ihr durchgefrorenen Gestalten etwas Wärme<br />

vertragen könntet. Wenn Ihr wollt, kann ich Eure Klei<strong>de</strong>r draußen ausklopfen, Herr Dynes.“<br />

„Danke, nein.“ Er warf einen grimmigen Blick zu Paves, <strong>de</strong>r sich hinter seinem Speck zu verstecken versuchte. „Mein<br />

Knappe hat ja wun<strong>de</strong>rbar geschlafen auf <strong>de</strong>n Kisten, die in Euren Ställen lagern. Bloß bin ich etwas zu groß, um mich<br />

auf ihnen zusammenzurollen.“<br />

Die restliche Zeit am Tisch sprach niemand von ihnen mehr ein Wort, doch <strong>de</strong>r Knabe und die Frau wechselten<br />

oftmals vielsagen<strong>de</strong> Blicke, was Dynes nicht entging. Schmunzelnd stand die alte Dame anschließend auf und führte<br />

die bei<strong>de</strong>n nach draußen, um ihnen die Waschfässer zu zeigen. Die Reisen<strong>de</strong>n machten sich daran, sich zu säubern,<br />

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