Roter Mond (PDF-Version) - Arathas.de
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„Das hast du. Unser Weg wird uns zuallererst in die Täler führen, was dich wahrscheinlich überrascht. Aber ich kann<br />
dir auch sagen, warum wir diesen Umweg einschlagen: Unsere Reise ist eine wichtige Angelegenheit, die ich mit <strong>de</strong>n<br />
Ältesten besprechen muß. Vor allem <strong>de</strong>inen Vater muß ich um Zustimmung bitten, dich mit zum Hofe zu nehmen.<br />
Und auch das Orakel muß davon erfahren. Die Zukunft ist zwar schleierhaft, aber je<strong>de</strong>s winzige Detail kann das<br />
Gesamtbild ein wenig schärfen.“<br />
„Ich dachte mir bereits, daß wir zuerst das Volk besuchen. Es ist mir auch sehr Recht. Ich möchte mich gern von<br />
meinen Eltern und allen an<strong>de</strong>ren verabschie<strong>de</strong>n, bevor wir einen so weiten Weg auf uns nehmen.“<br />
„Das ist sehr vernünftig. Danach wer<strong>de</strong>n wir versuchen, entwe<strong>de</strong>r durch das Hochland o<strong>de</strong>r durch die Sümpfe ins<br />
Innere Reich zu gelangen. Von dort aus habe ich vor, einen weiteren Umweg zu machen, <strong>de</strong>n Schlohenwald zu<br />
umrun<strong>de</strong>n und von Osten her zur Hochburg <strong>de</strong>s Königs zu gelangen.“<br />
Indigos Wissensdurst war gestillt, seine Augen waren bereits zugefallen und schenkten <strong>de</strong>m jungen Jurakai eine<br />
wohltuen<strong>de</strong> Ruhe, die er nach <strong>de</strong>m anstrengen<strong>de</strong>n Tag bitter nötig hatte. Nachtfalke rieb seine Beine, rollte ein wenig<br />
näher ans Feuer und murmelte ein un<strong>de</strong>utliches „Schlaf schön.“ Indigo hörte es bereits nicht mehr.<br />
Ein Schatten, <strong>de</strong>r am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s lauerte, schloß ebenfalls seine Augen und bereitete sich auf die Nachtruhe<br />
vor, wenn er auch darin geübt war, ohne viel Schlaf auszukommen. Der schwarze Körper glitt an einen Ast und wur<strong>de</strong><br />
eins mit <strong>de</strong>n Farben <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s.<br />
Als <strong>de</strong>r Morgen anbrach, war Indigo bereits auf <strong>de</strong>n Beinen und sammelte Früchte und an<strong>de</strong>re nahrhafte Dinge für das<br />
Frühstück. Von Nachtfalkes Lehren wußte er, welche Beeren er lieber hängen lassen sollte, und welche Wurzeln, zu<br />
einem dickflüssigen Brei zerstampft, Kraft gaben und dazu auch noch gut schmeckten. Erfreut stieß er ein paar<br />
Wachol<strong>de</strong>rzweige auseinan<strong>de</strong>r, um an die Pilze, die dahinter auf <strong>de</strong>m moosigen Grund gediehen, zu gelangen. Es<br />
waren Laublattern, unverkennbar mit ihren dicken, gesprenkelten Kappen und <strong>de</strong>m stämmigen Fuß. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Jurakai hatten Glück, <strong>de</strong>nn es waren mehr als genug Pilze für zwei, wenn nicht sogar drei Mahlzeiten. Indigo steckte<br />
die Gewächse freudig in eine kleines Täschchen und watete tiefer durch die Farne und Disteln.<br />
Ganz nah vor sich ent<strong>de</strong>ckte er einen Bach, <strong>de</strong>r plätschernd durch eine dreckige, verwaschene Rinne in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> floß,<br />
und er beschloß, <strong>de</strong>m Verlauf <strong>de</strong>s Flußbettes zu folgen, um auf diese Weise leichter durch das Dickicht zu gelangen.<br />
Die Farne zu bei<strong>de</strong>n Seiten hüllten ihn ein, und die frühe, kühle Sonne warf vereinzelte Lichtflecken auf das dichte<br />
Blätterwerk. Genauso hatte er sich <strong>de</strong>n Beginn einer abenteuerlichen Reise vorgestellt: Ein gemütliches Fleckchen, an<br />
<strong>de</strong>m man rasten konnte, und ganz in <strong>de</strong>r Nähe fließen<strong>de</strong>s Wasser und Unmengen von Pilzen und Beeren, um sich <strong>de</strong>n<br />
Magen vollzuschlagen. Der Sturm <strong>de</strong>s letzten Tages war vollkommen abgeklungen, und ein leichtes Lüftchen wehte,<br />
so es sich in <strong>de</strong>n Ästelungen <strong>de</strong>s tiefen Wal<strong>de</strong>s verirrte, durch Indigos Haar und machte sich ein Spiel daraus, es zu<br />
zerzausen. Der Jurakai sog genüßlich die frische Morgenluft ein und machte es sich auf einem bemoosten Platz<br />
bequem, <strong>de</strong>r so gelegen war, daß die Sonne schon zu dieser frühen Stun<strong>de</strong> darauf schien. Er rekelte sich in <strong>de</strong>n ersten<br />
Strahlen <strong>de</strong>s Tages und fühlte die Wärme, die vom Auge Himmelfeuers ausging. Ein Schauern <strong>de</strong>r Behaglichkeit<br />
durchlief ihn, und seine Gedanken schweiften ab von <strong>de</strong>n Beeren <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>n Früchten <strong>de</strong>r Natur, glitten<br />
hinüber zu <strong>de</strong>n Shat’lan, von <strong>de</strong>nen er nur so wenig wußte.<br />
Die Shat’lan...<br />
Vielleicht hatten sie einst in diesem Wald ihr Lager aufgeschlagen, hatten ihre Pfer<strong>de</strong> an genau <strong>de</strong>m Fluß getränkt, an<br />
<strong>de</strong>ssen Bett Indigo heute seinen Weg gesucht hatte. Möglicherweise war genau an dieser Stelle, an <strong>de</strong>r er, Indigo<br />
Jael’vre, jetzt lag, ein Mann o<strong>de</strong>r eine Frau dieser dunklen Rasse gelegen, hatte die Sonne genossen und geträumt. Wo<br />
mochten die Schwarzen Seelen, wie die Menschen sie nannten, wohl heute sein? Hatten die Manur sie tatsächlich<br />
ausgerottet, wie es in ihren Legen<strong>de</strong>n und Geschichten hieß? O<strong>de</strong>r hielten sich noch immer ein paar Gruppen dieser<br />
alten, gefürchteten Rasse irgendwo in Ruben auf? Versteckt in tiefen Höhlen o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Bergketten im Sü<strong>de</strong>n, auf<br />
Rache an ihren Erzfein<strong>de</strong>n sinnend... Falke hatte schon <strong>de</strong>s öfteren von einem unerwarteten Zusammentreffen mit <strong>de</strong>n<br />
Shat’lan erzählt... nun, wenigstens mit ein paar von ihnen. Es waren wahrscheinlich, wie <strong>de</strong>r alte Jurakai vermutete,<br />
Einzelgänger, die versuchten, die Geheimnisse ihres Lan<strong>de</strong>s vor <strong>de</strong>njenigen zu schützen, die es zerstören und<br />
einnehmen wollten. Die letzten Berichte über Sichtungen <strong>de</strong>r Shat’lan reichten viele Jahre zurück, und das letzte Mal,<br />
daß eine ganze Gruppe von ihnen gesehen wur<strong>de</strong>, war vermutlich zu <strong>de</strong>r Zeit gewesen, als die Schwarzen Seelen noch<br />
eine erbitterte Schlacht gegen die Manur austrugen. Der Ausgang dieses Kampfes war von vornherein klargewesen:<br />
Mit <strong>de</strong>n wenigen ihres Volkes konnten sich die Shat’lan nicht auf lange Zeit gegen die Menschen behaupten, und so<br />
zerfielen ihre Städte und Siedlungen allmählich zu Staub und Erinnerungen, während sie weiter und weiter<br />
zurückgetrieben wur<strong>de</strong>n. Die Spuren <strong>de</strong>r letzten Shat’lan-Stadt mußten längst verwaschen und verweht sein...<br />
Ja, wahrscheinlich gab es nicht einmal mehr die Orte, an <strong>de</strong>nen die Shat’lan einst gelebt hatten. Vielleicht war schon<br />
längst <strong>de</strong>r Wald zurückgekehrt, hatte die alten Bauten überwuchert und das Reich zurückerobert, das ihm durch die<br />
Hand <strong>de</strong>r Schwarzen Seelen entrissen wor<strong>de</strong>n war...<br />
Indigos Gedanken wur<strong>de</strong>n mit je<strong>de</strong>m Herzschlag schwerer, und in <strong>de</strong>r warmen, lauen Morgensonne legte er sich nach<br />
hinten und versank in <strong>de</strong>n aufgewärmten Moosen. Sein Atem ging ruhiger und tiefer, und bald war er auf <strong>de</strong>r kleinen<br />
Lichtung eingeschlummert.<br />
Bil<strong>de</strong>r begannen ihn zu umschwirren...<br />
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