Beelitzer Nachrichten - November 2013
"Schaut Euch dieses Städtchen an": Im Rathaus wurde wieder für den Polizeiruf 110 gedreht. Hauptdarsteller Horst Krause spricht im Interview über seine Rolle - und die Entwicklung von Beelitz Fördergeld für Kitas: Beelitz besticht durch innovative Betreuungskonzepte. Für die neue Eltern-Kind-Gruppe und die Kita "Borstel" gab es Geld und Lob von der Bildungsministerin Revolution der Narren: Der Beelitzer Carnevalclub hat traditionell am elften Elften das Rathaus gestürmt - und die fünfte Jahreszeit eingeläutet
"Schaut Euch dieses Städtchen an": Im Rathaus wurde wieder für den Polizeiruf 110 gedreht. Hauptdarsteller Horst Krause spricht im Interview über seine Rolle - und die Entwicklung von Beelitz
Fördergeld für Kitas: Beelitz besticht durch innovative Betreuungskonzepte. Für die neue Eltern-Kind-Gruppe und die Kita "Borstel" gab es Geld und Lob von der Bildungsministerin
Revolution der Narren: Der Beelitzer Carnevalclub hat traditionell am elften Elften das Rathaus gestürmt - und die fünfte Jahreszeit eingeläutet
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BEELITZER NACHRICHTEN NR. 10 / 24. JAHRGANG<br />
20. NOVEMBER <strong>2013</strong>, SEITE 35<br />
Alles Menschliche erstickt<br />
Zippora Feiblowitsch hat als Jugendliche die Vernichtungslager der Nazis überlebt. Am<br />
Sally-Bein-Gymnasium berichtete sie über ihr unfassbares Schicksal<br />
60 Jahre lang wollte sie<br />
keinen Fuß mehr auf deutschen<br />
oder polnischen Boden<br />
setzten - zu groß war<br />
das Grauen, welches sie<br />
hier erfahren hatte. Erst<br />
jetzt, im hohen Alter, kehrt<br />
Zippora Feiblowitsch in das<br />
Land jener zurück, die sie<br />
einst quälten, die ihr ihre<br />
Familie raubten und fast ihr<br />
gesamtes Volk vernichteten.<br />
Als Zeitzeugin will sie an<br />
die Verbrechen des Nationalsozialis<br />
mus erinnern und<br />
junge Menschen mahnen -<br />
„damit so etwas Unvorstellbares<br />
nie mehr geschieht“.<br />
Die 86-jährige Jüdin war<br />
kürzlich am Sally-Bein-<br />
Gymnasium zu Gast und<br />
sprach zwei Stunden lang<br />
über die Gräuel, welche sie<br />
erleben und mit ansehen<br />
musste. Initiiert hat die Begegnung das<br />
Institut Neue Impulse, welches auch<br />
Austausche zwischen Jugendlichen aus<br />
Deutschland und Israel organisiert. Dass<br />
der Besuch genau auf den Geburtstag<br />
Sally Beins am 6. <strong>November</strong> fiel, war<br />
reiner Zufall. Der Gründer des jüdischen<br />
Kinderheims in Beelitz erblickte vor 132<br />
Jahren das Licht der Welt. Gestorben ist<br />
er wahrscheinlich dort, wo Zippora<br />
Feiblowitsch selbst ein unmenschliches<br />
Martyrium erleiden musste:<br />
In Auschwitz.<br />
1944 wurde ihre Familie in<br />
ihrer Heimat in Siebenbürgen<br />
von Nachbarn denunziert<br />
und von der Polizei in<br />
einen Zug gesetzt. „Die<br />
Waggons waren so voll,<br />
man konnte sich keinen<br />
Zentimeter bewegen. Tagelang<br />
ging die Fahrt.“ Noch<br />
schrecklicher aber war die<br />
Ankunft: „In Auschwitz<br />
empfing uns ein hoch gewachsener<br />
und gut aussehender<br />
Mann. Er war der<br />
größte Teufel von allen.“<br />
Detailliert beschreibt Zippora Feiblowitsch,<br />
wie KZ-Arzt Joseph Mengele<br />
den Häftlingen klar machte, dass der<br />
schwarze Rauch aus den Schloten und<br />
der Geruch nach verbranntem Fleisch<br />
von Menschen stammt - und dass ihnen<br />
das gleiche Schicksal bevorstünde. Ihre<br />
Eltern wurden gleich „selektiert“ und<br />
Zippora Feiblowitsch (l.) berichtete von unfassbaren Gräueltaten, die an ihrem Volk begangen wurden.<br />
ermordet, Zippora und ihre Schwester<br />
galten noch als verwendungsfähig.<br />
„Es war immer kalt. Es gab keinen<br />
Baum, keinen Vogel“, schildert die 86-<br />
Jährige den Lageralltag. Zehn Mädchen<br />
mussten sich ein Bett und eine Decke<br />
teilen, zu essen gab es nur eine mit Brom<br />
vergiftete Suppe. Sie durften sich nicht<br />
waschen, bekamen sämtliche Haare geschoren,<br />
jede hatte nur ein Kleid. Im<br />
Winter wuschen sie sich mit Schnee.<br />
„Wir haben alles versucht,<br />
um menschlich zu<br />
bleiben.“ Und die Deutschen<br />
haben alles versucht,<br />
um jeden Rest von<br />
Menschlichkeit zu ersticken.<br />
Sie berichtet, wie<br />
eine Freundin, „eine 20-<br />
jährige wunderschöne<br />
Frau“, vor den Augen der<br />
SS-Leute ihr Kind gebären<br />
musste - und dann<br />
gezwungen wurde, es in<br />
einem Eimer zu ertränken.<br />
Bei solchen Berichten<br />
muss Zippora Feiblowitsch<br />
immer wieder um Fassung ringen<br />
- auch nach so vielen Jahren. Doch unermüdlich<br />
erzählt sie weiter, während die<br />
Zehntklässler ihrerseits kaum zu atmen<br />
wagen. Sie berichtet, wie sie erneut in<br />
einen Zug gepfercht und nach Salzwedel<br />
geschafft wurde, wo sie als Zwangsarbeiterin<br />
Patronenhülsen fertigen musste.<br />
Für Sally Bein wurde nach<br />
dem Gespräch eine Gedenkstunde<br />
veranstaltet.<br />
Fotos: Lähns<br />
Wie sie schreckliches Fieber bekam,<br />
nachdem sie eine W internacht lang im<br />
Schnee knien musste. Und wie der Lagerkommandant<br />
sie versteckte, weil er<br />
offenbar ahnte, dass das Kriegsende bevor<br />
stand. „Haben Sie in all der Zeit<br />
noch gehofft zu überleben?“, fragt eine<br />
Schülerin in die Stille. „Bis zum Schluss<br />
nicht“, so die Antwort. Doch letztendlich<br />
habe sie gewonnen, sagt Zippora Feiblowitsch<br />
nicht ohne Stolz. Denn sie habe<br />
nicht nur überlebt, sondern sogar eine<br />
Familie gegründet.<br />
Nach dem Krieg streifte sie mit ihrer<br />
Schwester fast ein Jahr durch Europa auf<br />
der Suche nach dem Bruder, wollte<br />
schließlich nach Israel auswandern und<br />
lernte unterwegs ihren späteren Mann<br />
kennen. Heute lebt Zippora Feiblowitsch<br />
in Haifa. Sie hat drei Kinder, 13 Enkel<br />
und viele Urenkel, wie sie erzählt.<br />
Ihre Tochter Malka sitzt - wie meistens<br />
bei ihren Zeitzeugengesprächen - neben<br />
ihr. „Meine Mutter ist eine Heldin“, sagt<br />
sie auf Englisch. Und dann berichtet sie,<br />
wie es ihr als Kind von KZ-Überlebenden<br />
gegangen war: „Für uns gab es nur<br />
unsere Eltern, keine Großeltern, keine<br />
weiteren Verwandten.“ Oft mussten die<br />
Kinder still sein, wenn im Radio Lebenszeichen<br />
von möglichen Verwandten<br />
durchgegeben wurden. Und es musste<br />
bei Tisch immer alles aufgegessen werden.<br />
Zippora Feblowitsch nickt. Denn es<br />
gab Zeiten, in denen sie für ein Stück<br />
Brot gestorben wäre.